9128/J XXV. GP

Eingelangt am 28.04.2016
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

der Abgeordneten Katzian, Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, Vizekanzler Dr. Reinhold Mitterlehner

betreffend das umfassende Handelsabkommen der EU mit Kanada

Die juristische Prüfung des CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) wurde nun abgeschlossen und der englische Abkommenstext liegt vor. Dennoch sind viele sozial- und arbeitsrechtliche sowie demokratiepolitische Fragen offen.

Anfrage

Ratifikationsprozess

Nicht nur seitens des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft wurde festgehalten, dass CETA oder TTIP auf jeden Fall auch durch die jeweiligen nationalen Parlamente beschlossen werden muss. Im vorliegen Text ist offen, ob CETA als gemischtes Abkommen beschlossen werden soll. Die Europäische Kommission hatte in ihrer Pressekonferenz anlässlich der Einigung über die Investitionsentscheidungen darauf hingewiesen, dass letztlich die Mitgliedstaaten dies zu entscheiden haben.

1.      Wie wurde die Position des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zur Frage der Gemischtheit begründet? Welche juristische Meinung vertreten der Verfassungsdienst und das Völkerrechtsbüro?

2.       Gibt es im Rat eine einheitliche Position zur Frage der Gemischtheit des Abkommens? Welche Auffassung vertritt der juristische Dienst des Rates?

3.       Werden Sie nur dann das Abkommen unterzeichnen, wenn es als gemischtes Abkommen vorgelegt wird - also auch eine Beschlussfassung des österreichischen Nationalrates sichergestellt ist?

4.       Wie sieht das genaue Prozedere auf der EU-Ebene aus und mit welchen Mehrheiten (qualifizierte Mehrheit/Einstimmigkeit) wird das Abkommen im Falle eines gemischten Abkommens beschlossen? Wie wird dies genau begründet? Wie ist hier die Rechtsmeinung des juristischen Dienstes des Rates?

5.       Ist es richtig, dass der Rat auch mit Einstimmigkeit über die vorläufige Anwendung entscheidet. Wird das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft aus demokratiepolitischen Gründen und aufgrund der massiven Bedenken der Bevölkerung zu diesem Abkommen - laut Umfragen lehnen mehr als 70 % der österreichischen Bevölkerung TTIP oder CETA ab - gegen eine vorläufige Anwendung des gesamten Abkommens aussprechen? Warum bzw. warum nicht?

6.       Die österreichische Verfassung sieht in Art. 50 B-VG keine Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages vor. Ist es daher richtig, dass ohne verfassungsgesetzliche Grundlage, die vorläufige Anwendbarkeit jener Teile eines gemischten Abkommens, die sich auf die einzelnen Nationalstaaten beziehen, in Österreich nicht möglich ist? Welche Teile sind das Ihrer Ansicht nach? Welche Teile sind dies nach Ansicht der Europäischen Kommission? Bzw. gibt es einen Katalog, welche CETA-Bestimmungen in wessen Kompetenz fallen?

Entschließung des Nationalrates vom 24. September 2014

In der Entschließung des Nationalrates vom 24. September 2014 wurden Anforderungen an Freihandelsabkommen der EU festgehalten. Der österreichische Bundeskanzler hat am 18. Dezember 2015 und 19./20. März 2015 beim Europäischen Rat in einer Erklärung für das Protokoll über die Tagung des Europäischen Rates festgehalten, dass gemäß der Entschließung des österreichischen Nationalrats zu Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA vom September 2014 die Sinnhaftigkeit der Aufnahme von ISDS- Klauseln bei Abkommen mit Staaten mit entwickelten Rechtssystemen nicht erkennbar ist.

7.       Im Rat für Handelsfragen wurden dennoch an der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit festgehalten. Der Nationalrat hat aber bislang keine anderslautende Entschließung verabschiedet. Sind Sie aus diesem Grund auch der Ansicht, dass die Entschließung nach wie vor der Aufnahme von ISDS in CETA entgegensteht. Hat Ihr Ministerium daher auch, wie der Herr Bundeskanzler, einen entsprechenden Vorbehalt, der den Anforderungen der Entschließung des Nationalrates Rechnung trägt, in den Ratsgremien der EU eingebracht?

Investitionsschutz

Das ICS ist nur eine Variante von ISDS und stellt die jeweiligen nationalen Rechtssysteme infrage.

8.       Wie soll gewährleistet sein, dass das CETA-Tribunal für Investor-Staat-Streitverfahren das umfassende Rechtsschutzsystem der EU-Verträge unberührt lässt?

9.       Haben die EU-Gerichte ihre exklusive Zuständigkeit, über Individualklagen gegen EU- Maßnahmen, Entscheidungen und Regeln zu entscheiden, mit dem CETA-Tribunal für Investor-Staat-Streitverfahren zu teilen?

10.   Ist das CETA-Tribunal für Investor-Staat-Streitverfahren vom EuGH als kompatibel mit EU-Recht befunden worden? Bzw. werden Sie sich dafür einsetzen, dass CETA vor der Unterzeichnung vom EuGH auf seine Übereinstimmung mit dem Unionsrecht geprüft wird?

11.   Der materielle Investitionsschutz für Investoren aus dem Vertragspartnerland Kanada (Verpflichtungsbestimmungen „gerechte und billige Behandlung" sowie Entschädigungsrechte bei „indirekter Enteignung") geht weit über den nationalen

Rechtsschutz gegenüber Eigentum hinaus. Verstößt dieser Umstand nicht gegen den verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichheitssatz? Welche Folgen sind zu befürchten?

Arbeitnehmerlnnenrechte

Sie haben im EU-Unterausschuss vom 14.12.2015 u.a. folgendes wiedergegeben: „Die Verpflichtungen für ein hohes Umsetzungsniveau international anerkannter Sozial- und Umweltstandards sei ein wesentlicher Bestandteil des Nachhaltigkeitskapitels" (https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR 2015/PK1424/). Weder Kommission noch Mitgliedstaaten, insbesondere die österreichischen VertreterInnen des BMWFW und auch sie selbst, haben darauf beharrt, dass die kanadische Regierung ihren internationalen Verpflichtungen zur Ratifizierung der ILO-Mindestarbeitsnormen nachkommen musste. Kanada hat die Übereinkommen 98 (Vereinigungsrecht und Kollektivvertragsrecht) und 138 (Mindestalter) noch nicht ratifiziert.

12.   Wie begründen Sie diese vorsätzliche Inkohärenz mit internationalem Völkerrecht?

13.   Welche zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründe rechtfertigen Ihrer Meinung nach eine Abweichung von der bindenden Stellungnahme des Nationalrates zu CETA vom 15.1.2013 (15/SEU XXIV. GP) zu dieser Frage?

Besonders positiv war in den Verhandlungen zu CETA der kanadische Vorschlag über die ILO-Mindestarbeitsnormen hinausgehende Elemente verbindlich in das Freihandelsabkommen miteinzubeziehen (Mindestlöhne, Überstundenentgelt, Arbeitnehmerlnnenschutz und die Gleichbehandlung von Migrantlnnen in Bezug auf Arbeitsbedingungen).

14.   Mit welcher Begründung wurde diese Initiative Kanadas durch die EU abgelehnt? Weshalb hat die österreichische Bundesregierung den kanadischen Vorschlag nicht unterstützt?

Die EU-Mitgliedstaaten und die Kommission beteuern seit Jahren, dass die EU in Rahmen von CETA die höchsten Standards anstrebten. Die Verhandlungen mit der kanadischen Regierung und letztlich auch die Entwicklung des Nachhaltigkeitskapitels haben gezeigt, dass die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten den kanadischen Impuls für höhere Standards, im Sinne einer effektiven Durchsetzung, abgelehnt haben. Kanada hat vorgeschlagen den Verstoß gegen die in CETA getroffenen Vereinbarungen mittels hoher Geldstrafen zu sanktionieren. Sie haben damit als zuständiger Minister einem Nachhaltigkeitskapitel zugestimmt, dessen Bestimmungen nicht rechtsverbindlich durchsetzbar sind und bei Verstößen ohne jegliche Konsequenzen bleiben.

15.   Mittels welcher Maßnahmen sollen die angestrebten höheren Arbeits- und Umweltstandards erreicht werden? Es wird um konkrete Beispiele ersucht.

 

Regulierungskooperation

Der Anwendungsbereich der Regulierungskooperation in CETA ist extrem weit. Er umfasst bis auf wenige Ausnahmen jedwede gegenwärtige und künftige Regulierungen der EU oder ihrer Mitgliedstaaten, die einen Bezug zum Handel mit Waren oder Dienstleistungen aufweisen. Darunter fallen auch solche, die dem Schutz der Arbeitnehmerlnnen, der VerbraucherInnen und der Umwelt dienen.

16.   Weshalb haben Sie sich nicht für Ausnahmen in diesen Bereichen eingesetzt?

Es ist bis dato unklar, ob und in welchen Fällen völkerrechtlich bindende Beschlüsse des CETA Joint Committee die Zustimmung des EU-Ministerrates, des EU-Parlamentes und der entsprechenden Organe der Mitgliedstaaten erfordern.

Ein weiteres Defizit liegt darin, dass nach dem geltenden EU-Recht das EU-Parlament nur ein einziges Mal bei der Ratifikation der Abkommen zustimmen muss. Über die Regulierungskooperation innerhalb der Abkommen muss es nur noch informiert wird.

17.   Wie gedenken Sie ab Inkrafttreten von CETA dieses Demokratiedefizit ausgleichen? Welche Maßnahmen werden Sie dagegen ergreifen? Wie positioniert sich Österreich und welche Vorschläge bringt es vor, um die mitgliedstaatlichen Organe und das Europäische Parlament einzubinden?

18.   Handelt es sich bei Vertragsänderungsermächtigungen der CETA-Organe um vereinfachte Vertragsänderungen im Sinne des Art. 50 B-VG?

Living Agreement: Die Regulierungszusammenarbeit erfasst auch in Vorbereitung befindliche zukünftige Regulierungen. Im CETA Joint Committee können völkerrechtlich verbindliche Beschlüsse getroffen werden. Davon umfasst sind auch Änderungen der Anhänge, Anlagen, Protokolle und Anmerkungen. Dies könnte signifikante Fortentwicklungen des Abkommens zur Folge haben.

19.   Wie erklären Sie diesen Interessensexport an ein transatlantisches Gremium, wo bereits die EU-interne Interessensabstimmung an seine Grenzen stößt und zu erheblichen Regulierungsdefiziten führt?

Die Regulierungszusammenarbeit berührt auch Bereiche, die in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten fallen. Gleichzeitig sind in CETA nur die EU selbst, nicht aber die Mitgliedstaaten, unmittelbar an der Regulierungszusammenarbeit beteiligt.

20.   Haben Sie vor die Interessenvertretung der österreichischen Bevölkerung an die EU- Kommission abzutreten? Wenn nicht, wie wollen Sie die Interessenvertretung der österreichischen Bevölkerung gegenüber Kanada sicherstellen?

In CETA wird betont, möglichst hohe Schutzstandards zu gewährleisten. Dennoch wurden vergleichsweise schwache Formulierungen verwendet. Ob dadurch nennenswerter Schutz erreicht wird, ist zu bezweifeln. Bedenklich ist insbesondere, dass das Vorsorgeprinzip als ein Kernelement der europäischen Regulierungspolitik in CETA nicht vorkommt. Es wird auf das WTO-Recht verwiesen, das jedoch auf eine wissenschaftliche Begründung ausgerichtet ist. Im Gegensatz dazu ermöglicht das Vorsorgeprinzip bereits Schutzmaßnahmen, wenn die Schädlichkeit von bestimmten Substanzen noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann.

 

21.   Wie begründen Sie den österreichischen VerbraucherInnen gegenüber den Verzicht auf dieses wichtige Prinzip?

Zusammensetzung der beteiligten Stakeholdern offen: Es bleibt völlig unklar, welche Einflussmöglichkeiten welchen Interessengruppen zugestanden werden sollen. Der Begriff der Stakeholder ist äußerst weitreichend und umfasst neben der Vertretung gesellschaftlicher Interessen einen großen Teil an sehr einflussreichen Repräsentanten von Unternehmensinteressen. Bis dato ist nicht sichergestellt, dass zivilgesellschaftliche Gruppen in den Gremien, die für die Zielsetzung ihrer Arbeit relevant ist, vertreten sind und sich ihre Einbindung auf die Ergebnisse hinreichend auswirken kann.

22.   Wie stellen Sie sicher, dass Arbeitnehmerlnnen-Interessen und die Interessen der Zivilgesellschaft entsprechend ihrer Bedeutung in der Gesellschaft ihre Wirkung entfalten können?

Dienstleistungen

23.   Sind öffentliche Dienstleistungen vom Anwendungsbereich des CETA-Abkommens ausgenommen? Welche Vorkehrungen wurden getroffen, um eine Ausnahme öffentlicher Dienstleistungen aus dem Anwendungsbereich von u.a. Bestimmungen zum Investitionsschutz und Domestic Regulation sicherzustellen? Welche rechtlichen Risikoeinschätzungen liegen zur Einschränkung von Handlungsspielräumen zum Erhalt und Ausbau von Regulierung, Erbringung sowie Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen durch das CETA-Abkommen vor?

24.   Welche Ausnahmebestimmungen wurden im Rahmen des CETA Vertragstextes verankert, um die rechtsichere Anwendbarkeit der Schutzbestimmungen des österreichischen Außenwirtschaftsgesetzes bezüglich der Beschränkung von Beteiligungen an Unternehmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschließlich der Daseins- und Krisenvorsorge sowie bezüglich des ÖBIB-Gesetzes und dessen Anforderung der Sicherstellung des Einflusses der ÖBIB bei entsprechenden Beteiligungen zu gewährleisten? Inwiefern können Bestimmungen des CETA zu einer eingeschränkten Anwendbarkeit von Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes (u.a. §25a) und des ÖBIB-Gesetzes (u.a. §7(2)) führen?

Im CETA finden sich Bestimmungen zum kurzfristen grenzüberschreitenden Einsatz von Arbeitskräften (mode IV).

25.   Welche Vorkehrungen wurden im Abkommen vorgenommen, um eine grenzüberschreitende Vollstreckung von Strafen in der Folge von Verletzungen gegen

Kollektivvertragsbestimmungen sicherzustellen? Wurden zum Beispiel Bestimmungen für eine Verwaltungskooperation getroffen?

Beschaffungswesen

26.   Der Einsatz von soziale Kriterien und Umweltkriterien bei der Vergabe soll einen

wichtigen Beitrag leisten, Sozialdumping zu vermeiden und ökologische Zielsetzung zu erreichen. Im Zusammenhang mit sozialen Zielsetzungen ist auch die Möglichkeit der "inhouse-Vergabe" ein anerkanntes wichtiges Anliegen. Aufgrund welcher juristischen Einschätzungen kommen Sie zum Schluss, dass Risiken im Hinblick auf die Vereinbarkeit von sozialen und ökologischen Kriterien bei der Vergabe oder auf die „inhouse-Vergabe" ausgeschlossen sind.