9285/J XXV. GP

Eingelangt am 18.05.2016
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Peter Pilz, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Justiz

betreffend neue Berichtspflichten der StA und versteckte Weisungen

BEGRÜNDUNG

 

Am 1. Jänner 2016 trat die im Juli 2015 beschlossene Änderung des Staatsanwaltschaftsgesetzes in Kraft. Dabei wurden zwei Ziele verfolgt: Weisungen sollten transparenter und objektiviert werden. Dazu wurde der sogenannte „Weisungsrat“ geschaffen.  Das zweite Ziel der Reform war, durch eine Verringerung und Präzisierung der staatsanwaltschaftlichen Berichtspflichten eine Beschleunigung der Ermittlungsverfahren zu erreichen.

Bei den Weisungen zeigen erste Erfahrungen aus der Praxis, dass die angestrebte Transparenz bisher leider nicht erreicht werden konnte. Vielmehr zeigen sich bei Ministerium und Oberstaatsanwaltschaften Bemühungen, inhaltlich Einfluss auf Verfahren zu nehmen, ohne dass dies aktenkundig wird:

Der Weisungsrat wird nach der Rechtslage nur befasst, wenn der Bundesminister für Justiz den Vorschlägen der Oberstaatsanwaltschaft nicht folgen will. Wenn daher bereits die OStA Vorhaben der Staatsanwaltschaft nicht genehmigen möchte – was in vielen Fällen in enger Abstimmung mit dem BMJ zu geschehen scheint – dann wird der Weisungsrat gar nicht eingebunden.

Noch „eleganter“ und subtiler lassen sich Einflussnahmen auf Verfahren über „Dienstbesprechungen“ bewerkstelligen. Dort treffen sich StA, OStA und VertreterInnen des BMJ (samt ReferentInnen der Weisungsabteilung). Von der StA wird der Sachverhalt dargetan und dargestellt, was von ihr beabsichtigt ist, die OStA äußert sich dazu und wie berichtet wird kommt es dann vor, dass seitens des BMJ ein Vorhaben der Staatsanwaltschaft „derzeit“ nicht zur Kenntnis genommen wird. Es liegt damit keine Weisung und auch kein „zur Kenntnis nehmen“ vor, dennoch ist damit die vom Plan der Staatsanwaltschaft abweichende Meinung des BMJ klar kommuniziert. In der Kommentarliteratur zu § 29 StAG wird diese Variante als in Widerspruch zum gesetzlichen Ziel der Transparenz stehend bezeichnet. Dennoch kommt sie in der Praxis vor, wie häufig soll mit dieser Anfrage geklärt werden.

 Eine weitere beliebte Form, inhaltliche Vorgaben intransparent zu gestalten, stellt die „stille Weisung“ dar. § 29 Abs 3 StAG sieht vor, dass „Ausfertigungen“ von Weisungen der Oberstaatsanwaltschaften zum Akt zu nehmen sind. In der Praxis wird nun eher harmlosen, rein formalen Weisungen ein Begleiterlass beigeschlossen, der nicht Teil der Ausfertigung wird sondern lediglich dem Tagebuch angeschlossen wird, in das keine Akteneinsicht der Parteien besteht. In diesem Erlass werden häufig inhaltliche Erwägungen ausgeführt („Die Staatsanwaltschaft wird ersucht, ergänzend zu prüfen…“), mit welchen ebenfalls materielle Vorgaben gemacht werden, ohne dass eine formelle Weisung erteilt wird.

Schließlich soll es auch gängige Praxis sein, dass ReferentInnen der Oberstaatsanwaltschaft direkt und persönlich bei LeiterInnen von Staatsanwaltschaften intervenieren, damit diese Einfluss auf die Verfahrensführung der Staatsanwälte und Staatsanwältinnen in bestimmten Verfahren nehmen mögen.

Auch bei den Berichten zeigen erste Erfahrungen aus der Praxis, dass das Ziel einer Entlastung der Staatsanwaltschaften zum Zweck einer Verfahrensbeschleunigung bisher nicht erreicht wurde. Grund dafür ist das Unterlaufen des neuen Gesetzes durch Erlässe von BMJ und Oberstaatsanwaltschaften über neue Berichtspflichten.

Konkret haben die Staatsanwaltschaften– ohne einen Berichtsauftrag abzuwarten – der Oberstaatsanwaltschaft aus Eigenem über Strafsachen zu berichten, an denen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht (so genannte „clamorose“ Strafsachen), bzw über Strafsachen zu berichten, in denen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen sind, die noch nicht hinreichend geklärt sind. Dabei ist aber grundsätzlich nur mehr über die beabsichtige Erledigung zu berichten. Während des Ermittlungsverfahrens ist über bedeutende Verfahrensschritte hingegen lediglich zeitnah nach deren Anordnung zu informieren.

Darüber hinaus bleibt es den Oberstaatsanwaltschaften und dem Bundesminister für Justiz aber unbenommen, sich in Wahrnehmung ihrer Aufsichts- und Weisungsbefugnisse über den Anfall bestimmter Gruppen von Strafsachen Bericht erstatten zu lassen (Gruppenberichte). Von dieser Möglichkeit hat der Bundesminister für Justiz zuletzt im Berichtspflichtenerlass 2016 vom 18.12.2015 Gebrauch gemacht. Aus der Praxis wird jedoch berichtet, dass darüber hinausgehend von den Oberstaatsanwaltschaften in eigenen Erlässen noch zahlreiche weitere „Gruppenberichtspflichten“ geschaffen wurden, welche im Ergebnis zu einem höheren Aufwand für die Staatsanwaltschaften führen als vor der Novelle. Diese wurden soweit ersichtlich nicht veröffentlicht.

Der Berichtspflichtenerlass 2016 hat auch neue „Informationsberichte“ eingeführt. Damit sollen – über die gesetzlich vorgesehenen Berichtspflichten hinaus – auch in jenen Fällen vorab Berichte erstattet werden, in denen ein „dringendes Informationsbedürfnis der Oberstaatsanwaltschaft bzw. des Bundesministers für Justiz offenkundig“ sei. Das sei etwa der Fall bei Anzeigen oder Straftaten von Personen des öffentlichen Lebens, auch wenn die Straftat keinen unmittelbaren Bezug zu deren Funktion aufweist, oder bei Strafsachen, die aufgrund einer umfangreichen Berichterstattung in Medien mit überregionaler Bedeutung eine erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit erlangt haben oder zum Anlass für Kritik an den Sicherheitsbehörden der der Justiz, insbesondere an der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft, genommen wurden.

Anzumerken ist, dass Berichte ein notwendiges Element des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens sind. Nichtsdestotrotz stehen Gruppenberichtspflichten und die neuen Informationsberichtspflichten in einem Spannungsverhältnis mit dem Ziel der Beschleunigung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

Weisungen

1.            Wie viele Weisungen gemäß § 29a StAG des Bundesministers für Justiz an die Oberstaatsanwaltschaften gab es in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

2.            Wie viele dieser Weisungen wurden in Verfahren erteilt, die Ihrer Einschätzung nach als „clamoros“ zu bewerten sind, und zwar in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

3.            Wie oft wurde der Weisenrat mit beabsichtigten Weisungen (Erledigungsvorschlägen) des BMJ befasst und zwar in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

4.            In wie vielen Fällen hat sich der Weisenrat dabei den betreffenden vollständigen Ermittlungsakt als Grundlage für seine Empfehlungen vorlegen lassen und zwar in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

5.            In wie vielen Fällen wurde diesen Erledigungsvorschlägen vom Weisenrat entsprochen und zwar in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

6.            In wie vielen Fällen wurde diesen Erledigungsvorschlägen vom Weisenrat nicht entsprochen und zwar in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

7.            In wie vielen Fällen einer abschlägigen Behandlung eines Erledigungsschreibens durch den Weisenrat wurde in weiterer Folge überhaupt keine Weisung erteilt/eine abgeänderte Weisung erteilt und zwar in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

8.            Wie viele Weisungen gem. § 29a StAG des Bundesministers für Justiz an die Oberstaatsanwaltschaften gab es im Jahr 2016 bisher insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

9.            Wie viele dieser Weisungen wurden in Verfahren erteilt, die Ihrer Einschätzung nach als „clamoros“ zu bewerten sind, im Jahr 2016 bisher insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

10.         Wie oft wurde der Weisungsrat mit beabsichtigten Weisungen (Erledigungsvorschlägen) des BMJ befasst und zwar im Jahr 2016 bisher insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

11.         In wie vielen Fällen hat sich der Weisungsrat dabei den betreffenden vollständigen Ermittlungsakt als Grundlage für seine Empfehlungen vorlegen lassen und zwar  im Jahr 2016 bisher insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

12.         In wie vielen Fällen wurde diesen Erledigungsvorschlägen vom Weisungsrat entsprochen und zwar im Jahr 2016 bisher insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

13.         In wie vielen Fällen wurde diesen Erledigungsvorschlägen vom Weisungsrat nicht entsprochen und zwar im Jahr 2016 bisher insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

14.         In wie vielen Fällen einer abschlägigen Behandlung eines Erledigungsschreibens durch den Weisungsrat wurde in weiterer Folge überhaupt keine Weisung erteilt/eine abgeänderte Weisung erteilt und zwar im Jahr 2016 bisher insgesamt und aufgeschlüsselt auf die vier OStAs?

15.         Auf welcher Rechtsgrundlage beruht das Ergebnis einer Dienstbesprechung, dass ein Vorhaben der Staatsanwaltschaft seitens des Bundesministers für Justiz „derzeit nicht zur Kenntnis genommen“ werde, und welche Rechtsfolgen hat eine solche Aussage?

16.         Wie oft wurden in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils insgesamt und 2016 bisher in Dienstbesprechungen Vorhaben der Staatsanwaltschaften „derzeit nicht zur Kenntnis genommen“?

17.         Mit welchen Folgen muss ein Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin rechnen, der oder die eine Maßnahme setzt, obwohl ein derartiges Vorhaben seitens des Bundesministers für Justiz „derzeit nicht zur Kenntnis genommen“ wurde?

18.         Auf welcher Rechtsgrundlage beruht die Begleitung von Weisungen an die Staatsanwaltschaften mit beiliegenden Erlässen, welche nicht in die Ausfertigung der Weisung aufzunehmen sind?

19.         In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils sowie 2016 bisher Weisungen an die Staatsanwaltschaften Erlässe mit ergänzenden Textteilen beigefügt, welche nicht in die Ausfertigung der Weisung aufzunehmen waren?

20.         Ist es zutreffend, dass im Schlepperprozess vor dem LG Wiener Neustadt die Staatsanwaltschaft mit einer derartigen stillen Weisung in einem Erlass „ersucht“ wurde, ein Rechtsmittel anzumelden?

21.         Falls ja: Weshalb wurde nicht einfach eine Weisung zur Ergreifung eines Rechtsmittels erteilt?

22.         In wie vielen Fällen wurde seitens der Oberstaatsanwaltschaft direkt bei der Leitung einer Staatsanwaltschaft interveniert, um Einfluss auf die Führung von Ermittlungsverfahren durch Staatsanwälte und Staatsanwältinnen zu nehmen, und zwar in den Jahren 2013 und 2015 jeweils insgesamt sowie im Jahr 2016 bisher?

23.         Auf welche Art und Weise werden derartige persönliche Interventionen dokumentiert?

 

Erlässe BMJ - Berichtspflichten

24.         Welche Rechtsgrundlage haben die im Erlass vom 18. Dezember 2015 (BMJ-22/0005-IV 5/2015) vorgesehenen Anfallsberichte bei einer offenkundigen Annahme eines dringenden Informationsbedürfnisses („Informationsberichte“)?

25.         Welche bestimmten Gruppen von Strafverfahren im Sinne des § 8 Abs 2 StAG können diese Informationsberichte betreffen?

26.         Wie oft wurden seit dem 1.1.2016 Informationsberichte an BMJ/OStA erstattet?

27.         Wie oft wurden solche Informationsberichte von BMJ/OStA angefordert?

28.         Wie oft wurde aus eigenem berichtet?

 

Erlässe OStA - Berichtspflichten

29.         Welche allgemeinen Berichtspflichten wurden von der Oberstaatsanwaltschaft Wien gegenüber welchen Staatsanwaltschaften ihres Sprengels mit Erlass auferlegt?

30.         Wann wurden diese Berichtspflichten jeweils mit Erlass auferlegt?

31.         Was ist der konkrete Inhalt der Berichtspflichten nach diesem Erlass?

32.         Zu welchen Delikten wurden Gruppenberichtspflichten mit diesem Erlass angeordnet?

33.         Welche allgemeinen Berichtspflichten wurden von der Oberstaatsanwaltschaft Graz gegenüber welchen Staatsanwaltschaften ihres Sprengels mit Erlass auferlegt?

34.         Wann wurden diese  Berichtspflichten jeweils mit Erlass auferlegt?

35.         Was ist der konkrete Inhalt der Berichtspflichten nach diesem Erlass?

36.         Zu welchen Delikten wurden Gruppenberichtspflichten mit diesem Erlass angeordnet?

37.         Welche allgemeinen Berichtspflichten wurden von der Oberstaatsanwaltschaft Linz gegenüber welchen Staatsanwaltschaften ihres Sprengels mit Erlass auferlegt?

38.         Wann wurden diese Berichtspflichten jeweils mit Erlass auferlegt?

39.         Was ist der konkrete Inhalt der Berichtspflichten nach diesem Erlass?

40.         Zu welchen Delikten wurden Gruppenberichtspflichten mit diesem Erlass angeordnet?

41.         Welche allgemeinen Berichtspflichten wurden von der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck gegenüber welchen Staatsanwaltschaften ihres Sprengels mit Erlass auferlegt?

42.         Wann wurden diese Berichtspflichten jeweils mit Erlass auferlegt?

43.         Was ist der konkrete Inhalt der Berichtspflichten nach diesem Erlass?

44.         Zu welchen Delikten wurden Gruppenberichtspflichten mit diesem Erlass angeordnet?


Konkreter Umgang mit Vorhabensberichten

45.         Wie viele Berichte wurden in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils sowie im Jahr 2016 bisher von den Oberstaatsanwaltschaften dem Bundesminister für Justiz vorgelegt?

46.         Wie viele dieser Berichte betrafen Verfahren gegen bekannte/unbekannte Täter?

47.         Wie viele dieser Berichte waren jeweils Vorhabensberichte?

48.         Wie viele dieser Vorhabensberichte betrafen Verfahren gegen bekannte/unbekannte Täter?

49.         Wie viele dieser Vorhabensberichte wurden jeweils im ersten Anlauf zur Kenntnis genommen?

50.         Wie viele dieser Vorhabensberichte wurden jeweils nicht zur Kenntnis genommen und zur Verbesserung zurückgestellt?

51.         Wie viele Vorhabensberichte wurden jeweils einfach so zur Verbesserung zurückgestellt, bzw. gab es eine einvernehmliche Rechtsauffassung dahingehend, dass das Vorhaben derzeit nicht zur Kenntnis genommen wird/werden kann?

52.         Wie viele Vorhabenberichte wurden jeweils mit einer Weisung beschieden?

53.         Wie viele Dienstbesprechungen gab es in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils sowie im Jahr 2016 bisher unter Einbindung des BMJ?

54.         Wie viele dieser Dienstbesprechungen standen jeweils im Zusammenhang mit Vorhabensberichten?

55.         Wie viele dieser Dienstbesprechungen endeten mit einer Weisung?

56.         Wie viele dieser Dienstbesprechungen endeten mit einer Kenntnisnahme des Vorhabens bzw in wie vielen Dienstbesprechungen wurde das Vorhaben genehmigt?

57.         Wie viele dieser Dienstbesprechungen endeten mit einem Auftrag zur Verbesserung?

58.         Was ist der Zweck einer Dienstbesprechung, wenn ohnehin klar ist, dass es einer Verbesserung aufgrund der gravierenden Mängel bedarf?