9457/J XXV. GP

Eingelangt am 08.06.2016
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Anfrage

 

der Abgeordneten Eva Mückstein, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Gesundheit

betreffend Psychotherapie: Allgemeines Sozialversicherungsgesetz nicht umgesetzt - Mangelversorgung und PatientInnen-Ungleichbehandlung

BEGRÜNDUNG

 

Psychotherapie ist seit 1992 eine Pflichtleistung der Krankenkassen. Laut ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) müsste es genauso wie bei den niedergelassenen ÄrztInnen einen Gesamtvertrag für psychotherapeutische Behandlung bei KassenpsychotherapeutInnen und WahlpsychotherapeutInnen geben. Bei WahlpsychotherapeutInnen müsste die Krankenkasse die Kosten erstatten. Das wären 80 % vom Kassentarif abzüglich 20 % Selbstbehalt.

Die Krankenkassen reden sich auf die im Jahr 1999 gescheiterten Vertragsverhandlungen mit der Berufsvertretung der PsychotherapeutInnen (Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie/ÖBVP) aus. Seit nunmehr 17 Jahren weigert sich die Sozialversicherung mit diesem Argument, neue Vertragsverhandlungen aufzunehmen.

Stattdessen wurde von der Sozialversicherung eine extreme Rationierung der kassenfinanzierten Psychotherapie-Behandlungen eingeführt. Es wurde ein rechts- und systemwidriges System von privatrechtlichen Verträgen mit den sogenannten „Versorgungsvereinen“ und mit psychosozialen Einrichtungen etabliert. Die Einrichtungen haben die Aufgabe, die restriktiv kontingentierten Behandlungsstunden zu verteilen bzw. Behandlungskontingente zu vergeben.  

Dieses System widerspricht dem Solidaritäts-Gedanken im österreichischen Gesundheitswesen diametral. Die Versicherungspflicht gilt für alle, aber nur wenige erhalten eine kassenfinanzierte Psychotherapie. Die Kriterien für den Erhalt von kassenfinanzierter Behandlung sind bundesländerspezifisch sehr unterschiedlich. In manchen Bundesländern gibt es diagnostische und soziale Kriterien – nach Schwere der Störung und/oder Einkommen – in anderen Bundesländern gibt es keine Kriterien und die Sachleistungskontingente werden nach dem Prinzip „wer zuerst kommt, malt zuerst“ vergeben.


Dieses System setzt zudem die Verhandlungs- und Vertragspartnerschaft mit der per Bescheid des BMG zur Gesamtvertragsfähigkeit legitimierten Berufsgruppe aus. Das gesamte System steht unter dem Diktat der Sozialversicherung und ist zudem nicht oder ungenügend demokratisch legitimiert.

 

Die Folgen für die Psychotherapie-Bedürftigen:

·        Beispielloses 2-Klassen-System! Krasse sowie system- und rechtswidrige Versicherten-Ungleichbehandlung: Alle zahlen, aber nur wenige bekommen kassenfinanzierte Psychotherapie.

·        Krasse Unterversorgung im EU-weiten Vergleich: In Österreich erhalten geschätzt rund 0,8 Prozent der Bevölkerung (69.700 Personen) eine kassenfinanzierte oder bezuschusste Psychotherapie, während sich in Deutschland und in der Schweiz etwa 3,0 Prozent der Bevölkerung in Behandlung befinden. Statistisch gesehen ist ein Versorgungsgrad von 5 Prozent anzustreben. Das sind jene Personen, die psychisch krank und zugleich motiviert sind, Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. In Österreich wären das 435.000 Personen.

·        Das Honorar für eine psychotherapeutische Behandlung muss zwischen EUR 80 und EUR 120 liegen, um wirtschaftlich sein zu können. Es gibt aber keine Kostenerstattung wie bei WahlärztInnen, sondern nur einen geringen Kostenzuschuss von Euro 21,80, der von den meisten Krankenkassen seit 1992 weder erhöht, noch wertangepasst wurde. (Ausnahmen: SVB: Erhöhung des Kostenzuschusses mit 01.01. 2016 auf Euro 50,00;
BVA: Erhöhung des Kostenzuschusses mit 01.11. 2014 auf Euro 40,00; VAEB: Erhöhung des Kostenzuschusses mit 01.01.2015 auf Euro 28,00

·        Zuweisungsprobleme ohne Ende: Die Mangelversorgung im Bereich der Psychotherapie reißt eine riesige Lücke im Versorgungsnetz für psychisch kranke Menschen. Stationäre Einrichtungen, zuweisende Institutionen und ÄrztInnen klagen über den Mangel an kassenfinanzierten Psychotherapieplätzen. 

·        Laut AK-Studie 2012 betragen die volkswirtschaftlichen Folgekosten von psychischen Erkrankungen 3,3 Milliarden Euro.

·        Schlechte Arbeitsbedingungen für PsychotherapeutInnen, die oftmals zu wirtschaftlich nicht vertretbaren Dumpingpreisen arbeiten und aus diesem Grund oft auch einen Zweitberuf ausüben müssen.

·        Die professionelle, vollberufliche psychotherapeutische Praxis konnte sich in Österreich unter diesen Systembedingungen verglichen mit der Schweiz und Deutschland nicht adäquat entwickeln. 

Laut den Daten der österreichischen Krankenkassen nehmen rund 900.000 Versicherte das Gesundheitssystem wegen psychischer Krankheitsdiagnosen in Anspruch, Tendenz steigend. „Es gibt viele internationale Studien, wonach etwa ein Drittel der Bevölkerung an einer psychischen Erkrankung leidet. Depressionen und Angststörungen allein haben in Österreich rund 1,7 Millionen Menschen“, sagt Stephan Doering, Leiter der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien. Man müsse davon ausgehen, dass die meisten der Betroffenen auch eine Psychotherapie benötigten (Die Presse).

 

Zieht man die zurzeit bekannten Zahlen heran, ist davon auszugehen, dass von allen Personen, die Psychotherapie brauchen und motiviert wären, diese Behandlung in Anspruch zu nehmen, derzeit nur jeder Sechste auch eine finanziell unterstützte oder kassenfinanzierte Psychotherapie erhält.

Die Krankenkassen und einschlägige Stellen behaupten, dass die psychotherapeutische Versorgung kontinuierlich ausgebaut wurde. Die Datenerfassung wurde aber im Jahr 2011 (Datenbasis 2009) eingestellt.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

Für alle nachfolgenden Fragen (1 bis 6): In den Jahren 2009 bis 2016, je Bundesland, getrennt nach Einzel-/Paar-/Familienpsychotherapie und Gruppenpsychotherapie (50 Minuten oder 90 Minuten-Psychotherapien):

1)    Wie viele Personen befinden sich in kassenfinanzierter Psychotherapie (Sachleistung)?

 

2)    Wie viele Personen befinden sich in Psychotherapie mit Kostenzuschuss?

 

3)    Wie viele Behandlungseinheiten sind kassenfinanziert?

 

4)    Für wie viele Behandlungseinheiten gibt es einen Kostenzuschuss?

 

5)    Wie viele freiberufliche PsychotherapeutInnen in Österreich können kassenfinanzierte Psychotherapie anbieten?

 

6)    Wie viele freiberufliche PsychotherapeutInnen in Österreich bieten Psychotherapie mit Kostenzuschuss an?

 

7)    Wie hoch sind die Tarife für die Vertragspsychotherapie pro Einheit – getrennt nach Krankenversicherungsträger und Bundesland? Wenn es Unterschiede gibt, bestehen diese aus Ihrer Sicht zu Recht?

 

8)    Bitte um eine aktuelle Auflistung der Vertragseinrichtungen, in denen Psychotherapie als Sachleistung angeboten wird, getrennt nach Bundesland:

a.    Name der Vertragseinrichtung

b.    Anzahl der PsychotherapeutInnen, die in dieser Einrichtung arbeiten

c.    Wie viele Einheiten Einzelpsychotherapie werden angeboten?

d.    Wie viele Einheiten Gruppenpsychotherapie werden angeboten?

e.    Wie viele Einheiten Familienpsychotherapie werden angeboten?

f.      Durchschnittliche Psychotherapiestunden pro PsychotherapeutIn und Jahr

g.    Anzahl behandelte PatientInnen pro Jahr

h.    Wie viele Einheiten pro PatientIn

 

9)    Welche Versorgungsvereine existieren, je Bundesland?

a.    Name des Versorgungsvereines

b.    Anzahl der PsychotherapeutInnen, die in diesem Versorgungsverein arbeiten

c.    Wie viele Einheiten Einzelpsychotherapie werden angeboten?

d.    Wie viele Einheiten Gruppenpsychotherapie werden angeboten?

e.    Wie viele Einheiten Familienpsychotherapie werden angeboten?

f.      Durchschnittliche Psychotherapiestunden pro PsychotherapeutIn und Jahr

g.    Anzahl behandelte PatientInnen pro Jahr

h.    Wie viele Einheiten pro PatientIn

 

10) Ausgaben der Krankenkassen für Psychotherapie gesamt und getrennt nach:

a.    Psychotherapie als Sachleistung in Versorgungsvereine bzw. Institutionen

b.    Psychotherapie als Sachleistung in kasseneigenen Einrichtungen

c.    Psychotherapeutische Sachleistung bei VertragsärztInnen

d.    Ausgaben für Kostenzuschuss bei freiberuflichen PsychotherapeutInnen

e.    Psychotherapeutische Leistungen bei WahlärztInnen

f.      Für Einzelpsychotherapie (50 Minuten/90 Minuten)

g.    Für Gruppenpsychotherapie

h.    Für psychotherapeutische Leistungen/Medizin (20 Minuten u. ä.)

 

11) Ausgaben der Krankenkassen für Psychotherapie als Sachleistung, je Bundesland, je Träger?

 

12) Ausgaben der Krankenkassen für Zuschuss-Psychotherapie, je Bundesland, je Träger?

 

13) Wie lange sind die durchschnittlichen Wartezeiten auf eine kassenfinanzierte Psychotherapie je Bundesland?