9609/J XXV. GP

Eingelangt am 17.06.2016
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Michael Pock, Kollegin und Kollegen

an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

betreffend Einhaltung der europäischen Brandschutznorm EN 45545 insbesondere in Schienenfahrzeugen der ÖBB

 

Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) ist zuständig für die Zulassung von Schienenfahrzeugen zum öffentlichen Verkehr und Aufsichtsbehörde für die Sicherheit im Eisenbahnwesen. Gleichzeitig werden die Eigentümerrechte – unter anderem – bei den ÖBB, einem Eisenbahn-Betreiber, wahrgenommen.

 

Das BMVIT als Behörde im eisenbahnrechtlichen Verfahren zur Genehmigung von Schienenfahrzeugen für den Einsatz im öffentlichen Verkehr hat auch die Einhaltung der Brandschutzanforderungen der neuen europäischen Brandschutznorm EN 45545 zu überprüfen, die diesbezüglich den „Stand der Technik“ formuliert, wie er im Eisenbahngesetz als Untergrenze für die Sicherheit der Schienenfahrzeuge gefordert ist. Dies gilt für alle Straßen-  und U-Bahnen, ebenso für alle Regionalzüge. Darüber hinaus gilt für alle grenzüberschreitend eingesetzten Züge in Österreich seit 1.1.2015 die Verordnung Nr. 1302/2014 der Europäischen Kommission vom 18. November 2014 (TSI Loc&Pas – „Technische Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „Fahrzeuge – Lokomotiven und Personenwagen““). An sich wäre hier die Inanspruchnahme einer Übergangsfrist bis 1.1.2018 möglich gewesen, sie wurde aber von der Republik Österreich unterlassen, indem man laut ERA hierzulande darauf verzichtet hat, bis 30.6.2015 die einschlägigen Vorschriften zu notifizieren. Diese TSI Loc&Pas gilt daher sowohl in Deutschland als auch in Österreich bereits seit 1.1.2015 in vollem Umfang und schreibt ausdrücklich die Brandschutzanforderungen der EN 45545 vor.

Diesem neuen Brandschutz gingen langjährige Verhandlungen über europaweit einheitliche Bahn-Brandschutzbestimmungen voraus, nicht zuletzt als Folge der Katastrophe von Kaprun. Erstmals müssen somit nun auch in Deutschland und Österreich Drehgestelle brandgeschützt ausgeführt sein, ansonsten dürfte das Fahrzeug nicht zugelassen werden. Damit allein fallen schon rund 130 kg Naturkautschuk pro Drehgestell als Brandquelle weg, die bisher bei einem Brandgeschehen als Brandbeschleuniger wirkten.

 

Zusammenfassend gelten also für den gesamten öffentlichen Personenverkehr auf der Schiene aktuell und uneingeschränkt die Brandschutzvorschriften der EN 45545. Es ist daher dem BMVIT gesetzlich untersagt, Schienenfahrzeuge zum öffentlichen Verkehr zuzulassen, die nicht auch brandgeschützte Drehgestelle aufweisen, weder bei neuen Fahrzeugen, noch bei generalüberholten. Dies scheint jedoch nicht eingehalten zu werden.

 

Erfreulich ist, dass bei dieser europaweiten Brandschutz-Thematik ein mittelständischer österreichischer Hersteller von Schwingungskomponenten für Drehgestelle weltweit technologisch führend ist, die BATEGU Gummitechnologie GmbH & Co KG in Wien, was auch durch erteilte Patente bestätigt ist. Obwohl deren EN 45545-konforme Brandschutz-Lösung nachweislich bereits im Jahr 2011 der gesamten Branche der Schienenfahrzeughersteller vorgestellt wurde, wird bis heute auf den Einbau von EN-konformem Brandschutz weitgehend verzichtet, jedenfalls im Drehgestell. Nur die Wiener Linien verwenden seit Jahren EN 45545-konforme Schwingungskomponenten, nicht so aber z.B.  die ÖBB, die sich für dieses Thema offenbar auch gar nicht zuständig fühlen. Dort wird erklärt, dass für die ÖBB die behördlichen Fahrzeugzulassungen gelten und im Schadensfall die Schienenfahrzeughersteller sich vertraglich zur Übernahme der Haftung verpflichtet haben. Maßstab des Handelns scheint also das behördliche Zulassungsverfahren zu sein, und die Verantwortung einseitig den Herstellern zugeschrieben zu werden. Weil aber keine Schadenersatzzahlung der Welt je imstande sein wird, Tote wieder zum Leben zu erwecken, ist diese Haltung nicht nur in sich kritikwürdig, sie ist im konkreten Fall auch eindeutig rechtlich verfehlt (siehe unten).

 

Es besteht also der begründete Verdacht, dass seit einigen Jahren Schienenfahrzeuge zur Personenbeförderung im Einsatz sind, die die gesetzlich geforderten Brandschutzbestimmungen nicht einhalten. Diese Fahrzeuge kamen offenbar mittels inhaltlich unrichtiger Gefälligkeitsbestätigungen durch die Zulassung, indem man so zu einer Freizeichnung gemäß Punkt 4.7 der EN 45545-2 gelangte. Diese betreffend die Sicherheit im Bahnwesen fahrlässige Praxis wurde dem BMVIT bereits mit Schreiben vom 19.4.2014 zur Kenntnis gebracht, ebenso die dazu eingeholten Rechtsgutachten der Universitäten Graz, Wien und Bremen. Die darin veranschaulichten zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen sprechen für sich. Wiewohl sich der damalige konkrete Anlass für eine umfassende rechtliche Untersuchung dessen in Deutschland zugetragen hat, ist daraus auch für die österreichischen Zulassungsverfahren zu entnehmen, dass scheinbar die gesamte Schienenfahrzeugbranche mithilfe von Ausnahmeregelungen die Einhaltung der EU-Norm zu umgehen versucht und die Fahrzeuge daher eigentlich nicht zum öffentlichen Verkehr zugelassen werden dürften. Bei solcher Verdachtslage wären auch alle in Deutschland im fraglichen Zeitraum zugelassenen, aber in Österreich eingesetzten Züge, welche vom BMVIT zugelassen wurden, auf den gesetzlich vorgeschriebenen Brandschutz zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Gleiches gilt für das Thema der baugleichen Fahrzeuge. Nur so kann die gesetzlich vorgeschriebene Sicherheit der Fahrgäste und des Zugpersonals im Inland sichergestellt werden.

 

Trotzdem scheint es behördliche Zulassungen für nicht EN 45545-konforme Fahrzeuge zu geben, die dann auf österreichischen Schienen unterwegs sind. Ist dem tatsächlich so, sind Fahrgäste und Zugpersonal akut gefährdet.

Im Zusammenhang mit der Eigentümerschaft bei den ÖBB scheint vor allem im Hinblick auf die aktuellen Bestellungen von Schienenfahrzeugen im Milliardenwert höchst relevant, dass bei den ÖBB im Zuge der Fahrzeugübernahme nach deren eigenen Angaben keine detaillierte technische Überprüfung erfolgt, mit der erkannt werden könnte, ob z.B. die Drehgestelle gesetzeskonform brandgeschützt sind. Diese fehlende Kontrolle stellt aber bei einem Formkaufmann wie den ÖBB eine Verletzung der kaufmännischen Rügepflicht nach dem UGB dar, was den Lieferanten gänzlich von seiner diesbezüglichen Gewährleistung entbindet. Es ist also die Meinung der ÖBB-Techniker, man verfüge ja ohnehin über die vertragliche Haftung des Fahrzeugherstellers, rechtlich nicht haltbar.

 

Im Schadensfall haften die ÖBB als Betreiber als erste in der Kette, und dies sowohl nach Produkthaftungsrecht als auch nach Eisenbahnrecht. Beides fordert prinzipiell den Einsatz der jeweils sichersten Technik. Strafrechtlich bedeutet dies in Bezug auf höherwertige Technologien:


ihr Einsatz ist ... fahrlässigkeitsstrafrechtlich geboten, soweit – wie sachlich naheliegt – im Lichte dieser nunmehr verfügbaren neuen Technologie der fortgesetzte Einbau der gefährlicheren Alttechnologie eine nicht mehr akzeptable (und daher sozial inadäquate) Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben begründet.“ (Zerbes/Lewisch, Uni Bremen und Wien)

 

Die Kontrolle der Erfüllung und Einhaltung des gesetzlich geforderten Brandschutzes nach der EN 45545 obliegt dem BMVIT als Zulassungsbehörde und Eisenbahnaufsicht. Spätestens seit August 2014 weiß man dort vom begründeten Verdacht, dass rechtswidrig „brandgefährliche“ Fahrzeuge auf der Schiene im Einsatz sind. Über daraus gezogene Konsequenzen ist nichts bekannt. Untätigkeit des BMVIT in diesem Zusammenhang würde einerseits Menschen gefährden und andererseits die Gefahr der Amtshaftung in sich bergen.

 

Daher richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister folgende

 

Anfrage

 

  1. Was wurde seit August 2014 seitens des BMVIT hinsichtlich der damals angezeigten Verdachtslage veranlasst?

  2. Erfüllen inzwischen die Schienenfahrzeuge jener Betreiber, die gesetzlich der Aufsicht des BMVIT unterliegen, in allen Belangen den gesetzlichen Brandschutzanforderungen der EN 45545?

    1. Wenn nein, wann ist mit deren flächendeckender Umsetzung zu rechnen? (Quartals und Jahreszahl)
    2. Wenn nein, mit welchem finanziellen Aufwand rechnet das BMVIT um den Brandschutzanforderungen der EN 45545 auf Österreichs Schienenverkehr sicherzustellen?

  1. Wie wird bei behördlichen Neuzulassungen von Schienenfahrzeugen die Einhaltung der Brandschutzanforderungen der EN 45545 seitens des BMVIT de facto kontrolliert und sichergestellt?

  2. Was gedenkt das BMVIT zur Abwendung jener Gefahr für Leib und Leben der Fahrgäste und des Zug-Personals zu tun, die entstanden ist und fortbesteht durch die trotz mangelnden vorgeschriebenen Brandschutzes bereits zugelassenen Fahrzeuge?
    (Dabei möge zwischen jenen Fahrzeugen unterschieden werden, die im Inland zugelassen wurden und jenen, die im europäischen Ausland zugelassen, aber im Inland genutzt werden.)