10053/J XXV. GP

Eingelangt am 12.08.2016
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Anfrage

 

der Abgeordneten Georg Willi, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

betreffend weiterhin fragliche Rechtskonformität der Schienennetz-Nutzungsbedingungen (SNNB) der ÖBB

 

Die Vorgängeranfrage 6085/J XXV.GP hatte aus Sicht der AnfragestellerInnen und von Experten bestehende Gesetzes- und EU-Rechts-Widrigkeiten in den damals in Geltung stehenden Schienennetznutzungsbedingungen (SNNB) der ÖBB für 2015 sowie in den damals im Entwurf vorliegenden Schienennetz-Nutzungsbedingungen (SNNB) der ÖBB für 2016 thematisiert.

Leider scheinen auch die mittlerweile vorliegenden SNNB für 2017 in kritischen Punkten keine Fortschritte gebracht zu haben.

So hatte der VWGH bereits im Oktober 2014 einen Bescheid der Schienen-Control Kommission (SCK), der die Diskriminierung von gleisfreundlichen Triebfahrzeugen unterstützte, als rechtswidrig weil hinsichtlich der Gesetzeskonformität nicht ausreichend unterstützt erkannt. Dennoch blieb diese Diskriminierung 2015 und dann auch 2016 aufrecht und soll anscheinend auch 2017 fortgesetzt werden. Es wird dafür offenbar weiterhin die unzutreffende Argumentation der ÖBB Infrastruktur AG bemüht, der zufolge der VWGH weder eine Diskriminierung festgestellt habe noch das Bonus-Malus-System dem Grunde nach in Frage gestellt, sondern dieses - gemeint ist offenbar: in seiner detaillierten seinerzeitigen Ausformung - bestätigt habe. Der VWGH hatte jedoch klar eine Diskriminierung festgestellt! Er hatte nur deren Ausmaß nicht eigens bewertet, weil der Schienen-Control Kommission SCK dazu ohnedies bereits seit langem ein umfassendes technisches Gutachten (aus 2004) vorliegt.

Die SCK hatte das wettbewerbsaufsichtsbehördliche Verfahren dennoch im August 2013 eingestellt.

Das „Patt“ zwischen SCK-Beschluss und VWGH-Erkenntnis muss endlich aufgelöst werden. Denn das bisherige „Ergebnis“ steht in offensichtlichem Widerspruch zu § 59 EisbG, demzufolge die SNNB das (noch dazu EU-rechtlich vorgegebene) Instrument darstellen, mit dem den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) die diskriminierungsfreien Zugangsbedingungen vorzugeben sind.

Der Anfragebeantwortung 5908/AB XXV.GP zur Vorgängeranfrage zufolge wurde zum strittigen Thema der Prüfung der qualitativen Zu- und Abschläge für Triebfahrzeuge nach dem VWGH-Erkenntnis erneut ein Verfahren der SCK eingeleitet. Über Ergebnisse ist öffentlich nichts bekannt.

Ob die SCK zB infolge der Modalitäten im § 82 Eisenbahngesetz für ihre Besetzung dazu in der Lage ist, technische Fragen zielführend zu prüfen und entsprechende Bescheide binnen angemessener Frist zu erlassen, ist durch diese schleppenden Abläufe offensichtlich in Frage gestellt und könnte zu entsprechenden Nachschärfungen des Rahmens ihres Wirkens Anlass geben.

 

Nachdem wesentliche Bestimmungen der EU-Richtlinie 2012/34/EU, die spätestens per 16.6.2015 umzusetzen gewesen wäre, in den SNNB für 2016 nicht enthalten waren - hier geht es unter anderem um die Modalitäten für die Anlastung von Lärmkosten -, scheinen nunmehr auch in den SNNB für 2017 sowohl die nunmehr in der EU-Verordnung 2015/909 enthaltenen Anreize für „oberbaufreundliche Lauftechnik“ (Achslast, Horizontalkräfte, Längssteifigkeit des Rollmaterials) als auch die gemäß VO (EU) 2015/429 vorzusehenden Modalitäten für die Anlastung von Lärmkosten zu fehlen.

Letztere wurden bereits im oben erwähnten, der SCK vorliegenden technischen Gutachten von 2004 angesprochen; es handelt sich um ein im Schienenverkehr zunehmend brisantes Thema: Aufgrund der ausstehenden lärmtechnischen Sanierung des Güterwagen-Bestandes, der unverändert unterlassenen Aktivitäten der ÖBB Infrastruktur AG bei der möglichen Lärmmessung und des infolge einiger höchstgerichtlicher Entscheide rund um SchIV & Co insgesamt in Bewegung befindlichen Lärmschutz-Rechtsrahmens.

 

Die dazu in der Anfragebeantwortung 5908/AB XXV.GP zur Vorgängeranfrage vertretene Ansicht, dass „externe Kosten … nicht zu allgemeinen Entgeltsätzen aggregiert werden (können), da sie zu heterogen sind“, verwundert angesichts der Tatsache, dass eine entsprechende Aggregierung und Anlastung beim Verkehrsträger Straße sehr wohl möglich und bereits seit 2011 im Rahmen der Wegekostenrichtlinie EU-Rechtsbestand ist.

 

Weiters verweisen die SNNB 2017 der ÖBB unter der Überschrift „Umweltschutz“ darauf, dass bei der Nutzung der von der ÖBB-Infrastruktur AG betriebenen Eisenbahninfrastruktur die einschlägigen internationalen und österreichischen umweltrechtlichen Vorgaben einzuhalten seien, dazu wird „vor allem Lärm-, Emissions-, Abfallwirtschaftsgesetz“ angeführt.

Der österreichische Gesetzesbestand kennt jedoch weder ein „Lärmgesetz“ noch ein „Emissionsgesetz“.

 

Auf die Kritik betreffend Widersprüche der SNNB zu Vorgaben des Eisenbahngesetzes im Hinblick auf ausreichende (d.h. u.a. ausreichend pönalisierte und dann auch exekutierte) leistungsabhängigen Bestandteile, die „den Zugangsberechtigten und dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen Anreize zur Vermeidung von Betriebsstörungen und zur Erhöhung der Leistung der Infrastruktur bieten“ würden, sowie betreffend Mindestzeiträumen (statt Höchstzeiträumen plus Überschreitungspönalen) für Stationsaufenthalte und Wendezeiten wurde seither und in den SNNB 2017 nicht abschließend eingegangen.

Im Sinne der Vorgaben der EU und des erwähnten § des Eisenbahngesetzes müssten SNNB wirksam auf kürzest mögliche Aufenthalte im Sinne einer möglichst effizienten Nutzung der Infrastruktur hinwirken und nicht auf das Gegenteil.

Die Anfragebeantwortung 5908/AB XXV.GP zur Vorgängeranfrage versucht hier zu argumentieren, dass zwar die angeführte Gesetzesgrundlage Anreize zur Erhöhung der Leistung der Schieneninfrastruktur enthalten müssen, deshalb jedoch weder ein „Einsatz von besserem Rollmaterial zur Fahrzeitverkürzung im Nah- und Regionalverkehr“ noch eine „Erhöhung der Streckenkapazität“ zwingend sei. Unter anderem wird wenig nachvollziehbar behauptet, dass Fahrzeitverkürzung „nicht zwingend im Einklang mit einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Schieneninfrastruktur“ stünde. Insbesondere da die Fragesteller sich ausdrücklich auf Nah- und Regionalverkehr bezogen und nicht zB auf Hochgeschwindigkeitsverkehr, ist diese Darstellung nicht nachvollziehbar. Ebenso wenig ist der behauptete Unterschied zwischen „Erhöhung der Streckenkapazität“ und „Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Infrastruktur“ nachvollziehbar.

 

Auffällig bleibt weiterhin der auf der Semmeringstrecke für Züge in Rechnung gestellte Basispreis: Obwohl Verschleiß und Erhaltungsaufwand hier besonders hoch sind, ist der Preis für die Infrastrukturnutzung (IBE) für die EVUs hier besonders niedrig, der Abschlag vom „Normalpreis“ auf vergleichbaren Achsen beträgt 2017 stolze 1,1359 €/km (oder über 80 %) und ist damit fast doppelt so hoch wie der etwa 60 Cent/km betragende Anreiz zur Auslastungsoptimierung.

In der Anfragebeantwortung 5908/AB XXV.GP zur Vorgängeranfrage wurde hierzu ausgeführt, dass die Bruttotonnenkilometer-Komponente des IBE das Entgelt für die Erhaltung der Infrastruktur darstelle und auf allen Strecken gleich hoch sei und nur bei der Zugkilometer-Komponente der angesprochene Abschlag zur Anwendung komme. Damit bestätigt das BMVIT jedoch, dass sehr ungleicher Infrastruktur-Aufwand mit gleicher Bepreisung der entsprechenden Komponente beantwortet wird; der Abschlag bei der anderen Komponente ist dann nur mehr „das Tüpferl auf dem i“. Wie weit dies mit dem Eisenbahngesetz (insbes. § 69a) in Deckung zu bringen ist, ist fraglich.

 

Mit der Zulässigkeit unterjähriger Auflassung für zahlreiche Verschubstandorte von Arnoldstein über Gmünd NÖ und Knittelfeld bis Wels („bedarfsangepasste“ Entscheidung bis September 2016 und anschließende Veröffentlichung vorgesehen) sind die SNNB 2017 über den darin enthaltenen Produktkatalog schließlich auch für ein möglichst engmaschiges Güterverkehrsangebot auf der Schiene und damit für die Umsetzung der Modal-Split-Ziele der Bundesregierung („40% bis 2020“ bzw neuerdings „bis 2025“) für den Schienen-Güterverkehr ein klarer Rückschlag.

Die SNNB 2017 der ÖBB-Infrastruktur AG stehen in dieser Hinsicht im Widerspruch zur Programmatik der Bundesregierung und zu entsprechenden medienöffentlichen Ansagen der rasch aufeinander folgenden BundesministerInnen für Verkehr, Innovation und Technologie. Dies, obwohl das BMVIT Eigentümervertreter der Republik und prominent im Aufsichtsrat der ÖBB-Infrastruktur AG vertreten ist und eigentlich eine gewisse Abstimmung der Ziele bewerkstelligen sollte.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende


 

ANFRAGE

 

1)    Welche Fortschritte gibt es seit Beantwortung der Parl. Anfrage 6085/J XXV.GP vor einem Jahr bei der Klärung der von SCK, VWGH usw. behandelten Frage der Diskriminierung von gleisfreundlichen Triebfahrzeugen?

2)    Halten Sie angesichts dieser extrem langwierigen Causa, an deren unparteiischer Bearbeitung daher doch Zweifel aufgekommen sind, die derzeitige Vorgabe für die berufsständische Besetzung der SCK (§ 82 Eisenbahngesetz) weiterhin für geeignet, um die Klärung technische Fragen zielführend prüfen und entsprechende Bescheide binnen angemessener Frist in haltbarer Qualität erlassen zu können? Wenn ja, warum im Einzelnen?

3)    In welcher Weise im Einzelnen berücksichtigen die SNNB der ÖBB für 2017 die nunmehr in der EU-Verordnung 2015/909 enthaltenen Anreize für „oberbaufreundliche Lauftechnik“ (Achslast, Horizontalkräfte, Längssteifigkeit des Rollmaterials)?

4)    In welcher Weise im Einzelnen berücksichtigen die SNNB der ÖBB für 2017 die nunmehr gemäß VO (EU) 2015/429 vorzusehenden Modalitäten für die Anlastung von Lärmkosten?

5)    Falls letzteres nicht in den SNNB der ÖBB für 2017 berücksichtigt ist – wo sonst wurde bzw. wird es konkret berücksichtigt?

6)    Trägt der Einsatz von „besserem Rollmaterial zur Fahrzeitverkürzung im Nah- und Regionalverkehr“ – womit neben schnelleren oder schneller beschleunigenden Garnituren primär Garnituren, die durch entsprechende Tür-, Türraum- und Innenraumgestaltung einen spürbar schnelleren Fahrgastwechsel und damit Fahrzeitverkürzung durch kürzere Stationsaufenthalte zulassen, sowie Garnituren mit weniger Infrastrukturabnutzung adressiert sind - zur Erhöhung der Leistung der Schieneninfrastruktur bei? Wenn nein, warum konkret nicht? Wenn ja, warum wird dies in 5908/AB in Abrede gestellt?

7)    Ihr Amtsvorvorgänger berief sich in 5908/AB XXV.GP auf bestimmte Ziele bzw. „Nicht-Ziele“ der Entgeltbestandteile gemäß des damaligen § 67 Abs 7 Eisenbahngesetz. Halten Sie es für rechtlich haltbar, unter Verweis auf eine nur demonstrative Aufzählung von Maßnahmen-Beispielen zu den Zielen einer Regelung im Gesetz zu behaupten, dass alle weiteren zur Zielerreichung geeigneten oder sogar unentbehrlichen Maßnahmen als die drei demonstrativ aufgezählten nicht gerechtfertigt (5908/AB XXV.GP: „Weder … noch … ist ein Ziel ...“) seien?

8)    Für Eisenbahninfrastruktur besteht – wenn man den in der Infrastruktur-Ausbaurealität der letzten Jahre und Jahrzehnte, in der auch Hochgeschwindigkeits-Gleisabstände für Nicht-Hochgeschwindigkeitsstrecken oder für 250 km/h ausgelegte Tunnel-Teile, die mit nicht einmal der halben Geschwindigkeit befahren werden, genehmigt und umgesetzt wurden, nicht immer abgebildeten Ausführungen Ihres Amtsvorvorgängers in 5908/AB XXV.GP dennoch folgt – eine Notwendigkeit der Erhöhung der Streckenkapazität ausschließlich dann, wenn die Fahrwegkapazitäten knapp sind.

a) Besteht eine entsprechend strenge Vorgabe auch für den Bau von hochrangigen Straßen?

b) Wenn ja, welche, und wie und von wem wird diese vor der Aufnahme von hochrangigen Straßen in den Anhang des Bundesstraßengesetzes konkret zur Anwendung gebracht?

c) Wenn nein, warum nicht?

9)    Welche konkreten fachlichen oder rechtlichen Tatsachen sprechen dagegen, dass eine „Erhöhung der Streckenkapazität“ immer auch eine „Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Infrastruktur“ ist? Bitte geben Sie auch konkrete Beispiele an, wo Erhöhung der Streckenkapazität die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur nicht gesteigert oder gar reduziert hat.

10) Wie erklären Sie sachlich, dass am Anlassfall Semmering unvergleichlich höherer (also: sehr ungleicher) Infrastruktur-Aufwand dennoch auf gleiche Bepreisung der entsprechenden (Bruttotonnenkilometer-)Komponente im IBE wie überall trifft, also Ungleiches gleich bepreist wird? Müsste nicht eine Erhaltung und Betrieb viel aufwändigere Strecke bei dieser IBE-Komponente einen weit höheren Betrag je km zur Folge haben?

11) Inwiefern steht diese IBE-Regelung auf der Semmeringstrecke mit den einzelnen Vorgaben aus §69a Eisenbahngesetz für Wegeentgeltnachlässe (nur zeitlich begrenzt, nur bei sehr niedrigem Auslastungsgrad, usw.)?

12) Ist es zutreffend, dass für über ein Dutzend Verschubstandorte die unterjährige Auflassung ermöglicht wird?

13) Um welche Standorte handelt es sich konkret?

14) Wie zeitgemäß aus verkehrspolitisch-strategischer Sicht ist es, solche Maßnahmen ausschließlich aus dem derzeitigen - zB durch fehlende Kostenwahrheit auf über 97% des österreichischen Straßennetzes grob zum Nachteil der Schiene verzerrten - „tatsächlichen“ Bedarf zu definieren und nicht aus Entwicklungszielen?

15) Wie können diese Auflassungsabsichten insbesondere mit dem medienöffentlich und auch auf Ebene des „Gesamtverkehrsplans“ betonten Modal-Split-Ziel (40%, also ein Drittel mehr Anteil der Schiene am Güterverkehrsvolumen) in Einklang gebracht werden?

16) Was ist mit dem „Lärmgesetz“, auf das in den SNNB 2017 der ÖBB verwiesen wird, konkret gemeint?

17) Was ist mit dem „Emissionsgesetz“, auf das in den SNNB 2017 der ÖBB verwiesen wird, konkret gemeint?