10275/J XXV. GP

Eingelangt am 16.09.2016
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Peter Wurm

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

betreffend Lücken in der Bedarfsorientierten Mindestsicherung – wer fällt durch den Rost?

 

Nachstehend werden zwei Beispiele genannt, um nur einige Lücken der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) zu veranschaulichen:

 

Beilspiel 1) In der Ausgabe vom 18. August 2016 berichtete die „Tiroler Tageszeitung“ über einen schrecklichen Vorfall, der sich im Februar 2016 in der Nähe von Innsbruck ereignete:

 

Jede Vergewaltigung ist für das Opfer schrecklich und wirkt meist ein Leben lang traumatisierend. Am 22. Februar ereignete sich auf einer Wiese bei den Innsbrucker Sillhöfen jedoch eine besonders brutale Vergewaltigung. Das Martyrium dauerte für eine zierliche 52-jährige Innsbruckerin über eine Stunde. Am Landesgericht wird heute dafür einem 18-jährigen Afghanen wegen Vergewaltigung und versuchten Raubes der Prozess gemacht. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft-es gilt die Unschuldsvermutung. Um den Übergriff für sich weiter aufzuarbeiten, schildert das Verbrechensopfer das bei und nach der Tat Erlebte. Anderen potenziellen Opfern möchte sie dadurch die Augen öffnen und auch mehr Zivilcourage einfordern.

 

Der zweifachen Mutter geht es wie vielen Opfern: "Ich hatte mir nie gedacht, dass mir so etwas Entsetzliches passieren könnte. Ich hatte nie Vorurteile gegen Menschen und eine wirklich positive Einstellung zum Leben."

 

Doch der gefühlte Todeskampf mit ihrem mutmaßlichen Vergewaltiger veränderte das Leben der Frau schlagartig: "Ich wehrte mich und kämpfte da draußen im Dunkeln um mein Leben. Seither ist die Angst mein ständiger Begleiter. Das Leid, das dieser Mensch, der doch eigentlich Asyl in unserem Land sucht, mir und meiner Familie angetan hat, ist nicht in Worte zu fassen-er hat mir das Leben genommen!", äußert die noch immer schwer Traumatisierte ein halbes Jahr nach dem Vorfall. Nicht nur in psychischer Hinsicht, sondern auch in existenzieller Hinsicht steht die Frau noch vor großen Herausforderungen. So leidet sie seither unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die mit Panikattacken und Angstzuständen einhergeht. An ihre frühere Arbeit, die auch mit Nachtdiensten verbunden war, ist da gar nicht mehr zu denken.

 

Mit einem Krankenstandsgeld von 900 Euro heißt es seither über die Runden kommen. Der Betrag soll dabei 265 Euro Miete, den Strom, den Erhalt zweier Kinder (16,18) und das eigene Leben finanzieren. Eine Mindestsicherung war abgelehnt worden, da sich der Sohn im ersten Lehrjahr befindet. Bitter in so einer finanziellen Situation, dass die 52-Jährige sogar die Kosten ihrer Traumatherapie mit 87 Euro pro Stunde erst selbst vorfinanzieren muss.

 

Bitter auch, dass es offenbar für Teile des Umfelds der Frau schwierig ist, mit ihrem Schicksal umzugehen: "Manche haben sich nie mehr gemeldet. Von manchen habe ich sogar Vorhaltungen gehört. Menschen sollten nicht über eine Situation urteilen, in der sie selbst nicht waren!"

 

Auch an die Zivilcourage der Mitbürger appelliert die Frau: "Als es passierte, gingen im Haus Lichter an. Wenn da einer auf die Schreie genauer hingehört hätte, hätte man wohl etwas wahrnehmen müssen."

 

Bedanken will sich die Gepeinigte hingegen beim Verein "Frauen gegen Vergewaltigung". Ihr Rechtsvertreter RA Markus Abwerzger wird heute für seine Mandantin ein Teilschmerzensgeld von 20.000 Euro einfordern. "Nur schade, dass der Zuspruch gegenüber dem mittellosen Angeklagten das Papier nicht wert ist, auf dem er steht. Für Opfer in so einer Situation bedürfte es einer Novelle des Verbrechensopfergesetzes, um aus anderen Mitteln zu einer Entschädigung zu kommen."

 

Beispiel 2) E-Mail von Iris Jenewein aus Götzens/Tirol 23 Jahre - Selbsterhalterin - 385,30 € Lehrlingsentschädigung – Antrag auf Mindestsicherung abgelehnt:

 

Im Sommer 2013 schloss ich die HTL für Bau & Design – Zweig: Kunst und Grafik – mit Matura ab.

Danach arbeitete ich ca. 2 1/2 Jahre als Grafikerin und verdiente auch angemessen.

Doch dieser berufliche Weg war nicht „Alles“ für mich und ich entschied mich dazu eine zusätzliche Lehre als Buchbinderin zu absolvieren. Seit 2015 bin ich Lehrling in einem renommierten Tiroler Unternehmen und erlerne, recht erfolgreich, das Handwerk des Buchbinders (ausgezeichnete Lernerfolge in der Berufsschule, sowie die Note „Sehr Gut“ im Internationalen Lehrlingswettbewerb von Deutschland, Österreich und der Schweiz).

Weiterbildung bedeutet aber auch eine finanzielle Veränderung – zuerst ist es meist leider eine „Minderung“ des gewohnten Standards. Eine Lehre, wie in meinem Fall, wird natürlich auch als solche entschädigt. Als bereits selbsterhaltende Person ist mein Lebensunterhalt eigentlich nicht zu bestreiten.

 

Nach etwa einem halben Jahr in Ausbildung wurde ich darauf aufmerksam gemacht, ich könne für die Dauer meiner Ausbildung die Differenz auf die Mindestsicherung beziehen (= ca. 350,-), da mein Haushaltseinkommen unter den Mindeststandards liegt und mein „Lebensbedarf“ nicht durch eigene Mittel gedeckt werden kann.

(Auszug aus: https://www.arbeiterkammer.at/beratung/arbeitundrecht/arbeitslosigkeit/Mindestsicherung_Wer_bekommt_wie_viel.html)

 

Nach mehreren Besuchen bei der BH Innsbruck bzgl. etlichen Nachreichungen von diversen Dokumenten (z.B. Betriebskostenabrechnung, Gasabrechnung, Miet- bzw. Lehrvertrag, usw.) bekam ich spät aber doch meinen Bescheid bzgl. meines Antrag auf die Mindestsicherung: Abgewiesen

 

Begründung:

1. „ … da sie zu Beginn ihrer Lehre bereits volljährig waren, zählen sie nicht zu den anspruchsberechtigten Personenkreis …“

 

2. „Frau J. ist verpflichtet sich um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen, aus der sie ihren Lebensunterhalt zumindest überwiegend selbst bestreiten kann bzw. ist es auch nicht unzumutbar eine Erwerbstätigkeit anzunehmen, mit der sich eine sofortige Einkommensquelle zur Bestreitung des Lebensunterhaltes bietet.“

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz folgende

 

ANFRAGE

 

1.    Beispiel 1) Ist es richtig, dass dieser Frau, die aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit auf Sozialhilfe angewiesen ist, keine Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) zusteht, da sich ihr Sohn in einer Lehre befindet?

2.    Falls ja, inwiefern rechtfertigen Sie diese Tatsache?

3.    Sehen Sie in solchen Härtefällen einen gesetzlichen Handlungsbedarf bei der BMS?

4.    Wenn nein, warum nicht?

5.    Beispiel 2) Ist es richtig, dass Frau Jenewein, mit der dualen Ausbildung (Matura und Lehre) keinen Anspruch auf die BMS hat, obwohl sie mit der Lehrlingsentschädigung ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten kann?

6.    Ist die Begründung 2, wonach sich „Frau Jenewein, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten kann um eine Erwerbstätigkeit bemühen soll die nicht ihrer Ausbildung entspricht“, eine in diesem Fall angemessene seitens der BH Innsbruck?

7.    Sehen Sie in solchen Fällen einen gesetzlichen Handlungsbedarf bei der BMS?

8.    Wenn nein, warum nicht?

9.    Wie viele Menschen beziehen derzeit in Tirol die BMS (bitte aufgeschlüsselt nach Alterskategorien, Herkunft und Staatsbürgerschaft)?

10. Wie hoch sind die Kosten derzeit in Tirol (bitte aufgeschlüsselt nach Bund-, Land- und Gemeindekosten)?