10641/J XXV. GP

Eingelangt am 27.10.2016
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Anfrage

der Abgeordneten Gerald Loacker, Kollegin und Kollegen

an die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen
 

betreffend Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen



Der Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen dient in erster Linie dem finanziellen Ausgleich der zwischen den Krankenkassen vorherrschenden strukturellen Unterschiede. So sollen beispielsweise Krankenkassen mit durchschnittlich älteren Versicherten vom Ausgleichsfonds finanziell profitieren, um diesen Strukturnachteil auszugleichen. Nicht nur fließt der größte Teil dieses Ausgleichsfonds der Wiener Gebietskrankenkasse zu, welche einen verhältnismäßig großen Teil an jungen Versicherten hat. Auch fehlt jede Transparenz über die Zusammensetzung und Verwendung speziell des "Strukturausgleichs" zur besseren Liquidität von Krankenkassen.

All das wirft einige Fragen auf und lässt vermuten, dass der Ausgleichsfonds der österreichischen Gebietskrankenkassen weniger solidarisch funktioniert, als er eigentlich sollte, und dass damit im schlimmsten Fall Strukturen verfestigt werden. Konkret besteht es immer wieder der Verdacht, dass die beitragsschwächeren Bundesländer-Gebietskrankenkassen die beitragsstärkere Wiener Gebietskrankenkasse und somit die enorme ambulante Überversorgung Wiens (siehe: Ambulanter RSG Wien) finanzieren müssen.

Davon abgehen müssen sich die Nicht-Gebietskrankenkassen nicht am Ausgleichsfonds beteiligen, sondern erhalten etwaige Strukturunterschiede mittels Hebesätzen abgegolten. Da die Nicht-Gebietskrankenkassen bei Reinvermögenslage zunehmend den Gebietskrankenkassen davonziehen, stellt sich somit die Frage, ob der österreichische Kassen-Strukturausgleich zunehmend unsolidarischer wird und wie er verbessert werden könnte.

 

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehende

Anfrage:

 

1.    Wie hoch waren die Einnahmen aus dem Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen? (getrennt nach Krankenversicherungsträger und den Jahren 2010-2015)

a.    Müssen die aus dem Ausgleichsfonds eingenommenen Gelder zweckgebunden ausgegeben werden?

                                  i.    Wenn ja, wie wird dies kontrolliert?

                                ii.    Wenn nein, warum nicht?

2.    Wie hoch waren die Einzahlungen in den Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen? (getrennt nach Krankenversicherungsträger und den Jahren 2010-2015)

3.    Welche Behörde managt den Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen?

4.    Welche Infrastruktur (Personen und Sach-Infrastruktur) steht dem Fonds zur Verfügung?

5.    Welche Behörde verantwortet die Aufsicht über den Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen?

6.    Wie wird der Verteilungsschlüssel der einzuhebenden Beiträge an den Ausgleichsfonds im Einzelnen berechnet?

7.    Wie wird über den Verteilungsschlüssel, welcher in § 447a ASVG  festgeschrieben ist, entschieden und abgestimmt?

8.    Wird der Ausgleichsfonds auch dafür verwendet, die massiven Leistungsunterschiede der Krankenkassen auszugleichen?

a.    Wenn ja, inwiefern arbeitet das BMGF daran, Strukturunterschiede in den Leistungen der einzelnen Krankenkassen auszugleichen?

b.    Wenn nein, warum nicht?

9.    Laut §447a müssen aus diesem Fonds ebenfalls Gelder für Vorsorge(Gesunden)untersuchungen und Gesundheitsförderung nach § 447h bereitgestellt werden. Wie hoch waren die Einnahmen der Gebietskrankenkassen aus diesem Fonds für Vorsorge(Gesunden)untersuchungen und Gesundheitsförderung? (getrennt nach Krankenversicherungsträger und den Jahren 2010-2015)

a.    Müssen die aus dem Ausgleichsfonds eingenommenen Gelder zweckgebunden ausgegeben werden?

                                  i.    Wenn ja, wie wird dies kontrolliert?

                                ii.    Wenn nein, warum nicht?

10. Wie berechnet sich der Anteil der einzelnen Gebietskrankenkassen am „Liquiditätsausgleich“ (§447a (6) Ziffer 2)? (getrennt nach Krankenversicherungsträger und den Jahren 2010-2015)

a.    Wie stellt das BMGF sicher, dass die Sanierung der Wiener Gebietskrankenkasse mit Geldern anderer Gebietskrankenkassen nicht gegen das Prinzip der Solidarität in der Krankenversicherung verstößt?

b.    Wie kann das BMGF Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit garantieren, wenn die Wiener Gebietskrankenkasse sich auf einen verhältnismäßig großen Betrag an Geldern aus diesem Ausgleichsfonds verlassen kann?

c.    In anderen Kassensystemen sind „Liquiditätsausgleiche“ aufgrund von Ineffizienz-Anreizen verpönt (z.B.: Deutschland, Schweiz, Holland), auch der RH kritisiert diesen Umstand sowie außerdem die Tatsache, dass sein Anteil zu langsam reduziert wird. Mit welchen Maßnahmen wirkt das BMGF diesen Ineffizienz-Anreizen entgegen?

11. Der ambulante RSG Wien spricht von einer ärztlichen Überversorgung von knapp 300 Ärzten in Wien, trotz Berücksichtigung von Pendlerfaktoren und Großstadtfaktoren. Bedeutet dies, dass die Bundesländer-Gebietskrankenkassen trotz niedriger Beitragseinnahmen je Kopf und niedrigerer medizinischer Versorgung die festgestellte Wiener Überversorgung in Form des Liquiditätsausgleich mitfinanzieren müssen?

12. Der Rechnungshof hat den Ausgleichsfonds an mehreren Stellen kritisiert (z.B. zu wenig Strukturausgleich). Wird diese Kritik in die Entscheidung über den Verteilungsschlüssel sowie die Organisation des Ausgleichsfonds einbezogen?

a.    Wenn ja, wie wurde von Seiten des BMGF auf die Kritik reagiert?

b.    Wenn ja, in welcher Form wurde den Kritikpunkten begegnet?

c.    Wenn nein, warum nicht?

13. Der RH hat explizit kritisiert, dass der Strukturausgleichs-Anteil im Ausgleichsfonds zu gering ist. Unter anderem leidet der Strukturausgleich auch an der sinkenden Dotierung des Ausgleichsfonds.

a.    In welcher Form hat das BMGF auf diese Kritik des Rechnungshofes reagiert?

b.    Welche Parteien, Institutionen und rechtlichen Hindernisse stehen einer raschen Erhöhung des Strukturausgleichs-Anteils (und somit einer faireren Verteilung der Kassen-Finanzmittel) im Ausgleichsfonds entgegen?

14. Das BMGF berichtete in einer Presseaussendung vom 20.09.2016 vom Einfluss der Sozioökonomie auf die individuellen Gesundheitskosten.

a.    Welche sozioökonomischen Variablen werden im „Ausgleichsfonds der Gebietskrankenkassen“ und in den „Hebesätzen“ der restlichen Kassen berücksichtigt?

b.    Wie werden die sozioökonomischen Variablen anteilsmäßig im Ausgleichsfonds und in den Hebesätzen berücksichtigt?

15. Die BMGF-Betonung der Sozioökonomie lässt sich gut mit dem niederländischen Risikostrukturausgleich in Einklang bringen, da dieser für seine sozioökonomischen Variablen bekannt ist.

a.    Hat sich das BMGF bereits mit dem niederländischen Risikostrukturausgleich auseinandergesetzt?

b.    Gibt es bereits Vorschläge aus dem BMGF für neue Variablen im Ausgleichsfonds? Wenn ja, welche?

16. Wie stark fließt die unterschiedliche Versicherten-Morbidität der Gebietskrankenkassen in den Ausgleichsfonds ein und wie wird die Morbidität gemessen?

17. Der VfGH hob mit seinem Erkenntnis vom 13.03.2004 zu G279/02 („VfGH zu Krankenkassen-Finanzierung“) die Beteiligung der BVA am Ausgleichsfonds auf, unter anderem auch mit der Begründung, wonach ein Kassenfinanzausgleich zwischen bundesweiten Kassen (BVA) und regionalen Kassen (Gebietskrankenkassen) verfassungswidrig sei. Zudem sah es der VfGH als verfassungswidrig an, dass sich Kassen mit Selbstbehalten und Kassen ohne Selbstbehalten, oder sich Kassen mit unterschiedlichen Beitragsätzen an einem gemeinsamen Kassenfinanzausgleich beteiligen. Würde man dieses Urteil auf Deutschland umlegen, müsste der deutsche Risikostrukturausgleich aufgehoben werden. Dort beteiligen sich seit 1994 bundesweite Kassen und regionale Kassen (AOKn) an einem Kassenfinanzausgleich (RSA bzw. Morbi-RSA). Zudem sind dort unterschiedliche Beitragssätze und Selbstbehalt-Modelle möglich.

a.    Inwiefern ist demnach die aktuelle österreichische Rechtslage, die bundesweiten Kassen aus dem Ausgleichsfonds herauszuhalten, mit demBegriff der „Solidarität“ in der Krankenversicherung vereinbar?

b.    Mit welchen Maßnahmen sichert das BMGF die Einhaltung des Prinzips der Solidarität in der Krankenversicherung, wenn die BVA ähnlich viel Vermögen aufweist wie das fast zehnmal so große System der Gebietskrankenkassen?

c.    Gab es seit 2004 Versuche des BMGF, bundesweite Kassen wieder am Ausgleichsfonds zu beteiligen?

18. Vergleicht man die Vermögenslage der einzelnen Kassen, dann zeigt sich eine deutliche Ungleichverteilung, wobei die Gebietskrankenkassen eindeutig benachteiligt sind. Worauf führt das BMGF diesen Umstand zurück und wie wirkt das Ministerium dem entgegen?

19. Bei welchen Ausgabenpositionen (in der KV-Erfolgsrechnung) haben die einzelnen Nicht-Gebietskrankenkassen Vorteile gegenüber den einzelnen Gebietskrankenkassen? (Darstellung bitte je Anspruchsberechtigten, wenn möglich mit Alters- und Geschlechtsstandardisierung, für das letztverfügbare Jahr)

20. Wie sieht die Versichertenstruktur der einzelnen Krankenkassen aus? (in Anspruchsberechtigten-Köpfen)

a.    Nach Tätigkeitsgruppen (z.B.: Schwerarbeiter, Angestellter, Arbeitsloser, Familienmitversicherter, Invaliditäts-Pensionist, Pensionist, Asylwerber, …)

b.    Nach Alters- und Geschlechtsgruppen

21. Gibt es bereits Pläne, den Ausgleichsfonds an internationale Standards anzupassen, somit den Liquiditätsausgleich abzuschaffen, den Strukturausgleich aufwerten, vor dem Strukturausgleich einen vollkommenen Einkommensausgleich durchzuführen und ein Zusatzbeitragssystem zu etablieren, durch das etwaige Versorgungsunterschiede finanziert werden könnten?

a.    Hätte beispielsweise die Wiener Gebietskrankenkasse durch letzteres die Möglichkeit, das dichtere medizinische Versorgungsangebot Wiens direkt den Versicherten in Rechnung stellen, anstatt die Bundesländer-Gebietskrankenkassen via Liquiditätsausgleich zu beteiligen (siehe Schweiz oder Deutschland)?

22. Am 5. Oktober 2016 fand in Berlin das RAN-Symposium (Risk Adjustment Network) mit 300 Gästen statt. Dabei referierten Wissenschaftler aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und Belgien über die jeweiligen Kassenausgleichssysteme. Vertreter (Wissenschaftler, Politiker, Kassenvertreter) aus dem Nachbarland Österreich waren allerdings nicht dabei. Welche aktiven Schritte setzt das BMGF, sich über andere Kassenauslgleichssysteme in Europa zu informieren?

23. Sieht das BMGF einen Bedarf, den Kassenfinanzausgleich zwischen den österreichischen Krankenkassen zeitnah zu reformieren?

a.    Wenn nein, warum nicht?