11361/J XXV. GP

Eingelangt am 22.12.2016
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Dieter Brosz, Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde an den den Bundesminister für Justiz

betreffend Zurücklegung einer Anzeige gegen Facebook

BEGRÜNDUNG

 

Am 16. November 2016 hat der AbgzNR Dieter Brosz eine Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachts der Beihilfe zur Begehung von strafbaren Handlungen gemäß § 107c Absatz 1 und 2 StGB (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) iZm § 3 Abs 3 VbVG gegen die Facebook Inc. (Verband) und insbesondere gegen den Vorstandsvorsitzenden Mark Zuckerberg eingebracht.

 

Gegenstand der Sachverhaltsdarstellung war ein Video, das bis Sonntag den 13. November 2016 auf Facebook über zwei Millionen Mal angesehen wurde. In dem Video war zu sehen, wie einer Jugendlichen von mehreren Mädchen und einem Burschen wiederholt ins Gesicht geschlagen wird. Die Staatsanwaltschaft St. Pölten, die in diesem Zusammenhang bereits Ermittlungen wegen schwerer Körperverletzung eingeleitet hatte, forderte Facebook umgehend auf, das zutiefst verstörende Video zu löschen, doch Facebook dürfte dieser Aufforderung nicht nachgekommen sein. Bis Dienstag den 15. November 2016 wurde das Video bereits über 4,5 Millionen Mal aufgerufen. In einer Nachtragsanzeige vom 18. November 2016 hat der Anzeiger auf den Umstand hingewiesen, dass zumindest eine abgewandelte Version dieses Videos weiterhin auf Facebook abrufbar war. Auch diese Version des Videos wurde zum damaligen Zeitpunkt über 600.000 Mal abgerufen.

 

Die Anzeige wurde von der StA Wien an die StA Innsbruck abgetreten und dort in weiterer Folge zurückgelegt. Der Anzeiger wurde am 7. Dezember 2016 über die Zurücklegung schriftlich informiert. In der angefügten Begründung heißt es:

„Unter Berücksichtigung der von Lehre und Rechtsprechung entwickelten bzw. praktizierten Auslegung der nachfolgend angeführten Tatbestandsmerkmale ist das gegenständliche Video weder geeignet, das Prügelopfer (längere Zeit hindurch fortgesetzt) in seiner Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, noch es an der Ehre zu verletzen, und wurden durch dieses Videos auch keine Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches des Opfers (längere Zeit hindurch fortgesetzt) veröffentlicht.“

 

Die Begründung der Zurücklegung der Sachverhaltsdarstellung ist nicht nachvollziehbar. Die fortgesetzte Weigerung von Facebook, die Videos zu löschen, scheint objektiv geeignet, den Tatbestand der Beihilfe zur fortgesetzten Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems zu erfüllen. Von einer Ehrverletzung im Sine des § 107c Abs 1 StGB muss im konkreten Fall insofern ausgegangen werden, als vom veröffentlichten Video klar eine anprangernde und vorführende Wirkung für das Opfer ausgeht, welches vor laufender Kamera öffentlich misshandelt und gedemütigt wird. Gleichzeitig sind die Bildaufnahmen aufgrund der gezeigten Körperverletzung auch geeignet, den höchstpersönlichen Lebensbereich der betroffen Person im Sinne des § 107c Abs 2 StGB zu verletzen. Die körperliche Integrität (Verfügung über den eigenen Körper) ist vom Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens mitumfasst. Ein Video einer Körperverletzung ist daher auch eine Bildaufnahme des höchstpersönlichen Lebensbereiches (vgl. auch RIS RS0122148: Gesundheit gehört jedenfalls zum höchstpersönlichen Kernbereich).

 

§ 107c StGB lautet:

 

(1)  Wer im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems in einer Weise, die geeignet ist, eine Person in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt

 

1.         eine Person für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar an der Ehre verletzt oder

2.         Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches einer Person ohne deren Zustimmung für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar macht,

ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

 

(2)  Hat die Tat den Selbstmord oder einen Selbstmordversuch der im Sinn des Abs. 1 verletzten Person zu Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Hat die Staatsanwaltschaft Wien/Innsbruck die Oberstaatsanwaltschaft Wien/Innsbruck über den Anfall in der oben genannten Sache informiert?


2)    Wenn ja, wann und in welcher Form?

3)    Hat die Oberstaatsanwaltschaft Wien/Innsbruck das BMJ über den Anfall in dieser Sache informiert?

4)    Wenn ja, wann und in welcher Form?

5)    Wurde die Verständigung der Zurücklegung dem Behördenleiter im Vorfeld zur Kenntnis gebracht?

6)    Teilen Sie die Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft Innsbruck, dass das Video nicht geeignet sei, das Opfer an der Ehre zu verletzen?

7)    Wenn ja, aus welchen Gründen?

8)    Teilen Sie die Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft Innsbruck, dass durch dieses Video keine Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches des Opfers veröffentlicht worden wären?

9)    Wenn ja, aus welchen Gründen?

10) Laut Medienberichten forderte die StA St. Pölten Facebook auf, das Video unverzüglich zu löschen. Auf Basis welcher Einschätzungen und Überlegungen erachtete die StA St. Pölten die Veröffentlichung des Videos als rechtswidrig?

11) In der Tageszeitung Kurier vom 19.12.2016 wird der zuständige Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, zur Veröffentlichung des Videos folgendermaßen zitiert: "Wenn es dem Zweck dient, eine Straftat aufzuklären, ist das durchaus sinnvoll". Die StA Innsbruck legte das Verfahren schon vor der Prüfung des Vorsatzes (und damit der Frage, ob Zweck der Veröffentlichung die Demütigung des Opfers oder etwa die Aufklärung war) zurück. Dem Opfer dürften die Täter ohnedies persönlich bekannt gewesen sein. Vertritt das BMJ dennoch und generell die Auffassung, dass die Veröffentlichung von Straftaten im Internet sinnvoll und begrüßenswert ist?

12) Ist es rechtlich zulässig, wenn Videos, in denen der höchstpersönliche Lebensbereich von Menschen verletzt wird bzw. ein Mensch körperlich misshandelt wird, im Internet ohne die Zustimmung der betroffenen Person veröffentlicht werden, wenn dies dem Zweck dient, eine Straftat aufzuklären?

13) Wie viele Anzeigen wegen § 107c StGB (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) sind seit dem 1.1.2016 bei den Staatsanwaltschaften eingegangen?

14) Wie viele Anzeigen wegen § 107c StGB (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) wurden seit dem 1.1.2016 zurückgelegt?

15) Wie viele Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung von strafbaren Handlungen gemäß § 107c StGB (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) wurden seit dem 1.1.2016 eingestellt?

16) Wie viele Strafverfahren wegen des Verdachts der Begehung von strafbaren Handlungen gemäß § 107c StGB (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) wurden seit dem 1.1.2016 abgebrochen?

17) Wie viele Strafverfahren wegen des Verdachts der Begehung von strafbaren Handlungen gemäß § 107c StGB (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) wurden seit dem 1.1.2016 diversionell erledigt?

18) Wie viele Strafanträge wurden seit 1.1.2016 wegen des Verdachts der Begehung von strafbaren Handlungen gemäß § 107c StGB (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) erhoben?

19) Wie viele Verurteilungen wurden seit 1.1.2016 wegen des Verdachts der Begehung von strafbaren Handlungen gemäß § 107c StGB (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) ausgesprochen?

20) Wie viele Freisprüche wurden seit 1.1.2016 wegen des Verdachts der Begehung von strafbaren Handlungen gemäß § 107c StGB (Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems) ausgesprochen?

21) Erachten Sie die derzeitigen strafgesetzlichen Bestimmungen für ausreichend, um wirksam gegen Belästigungen und Beschimpfungen insbesondere im Internet vorzugehen?

22) Wenn nein, wo besteht Ihrer Ansicht nach legistischer Handlungsbedarf?

23) Sollen Facebook, Twitter und ähnliche Hostprovider in Zukunft verstärkt in die Pflicht genommen werden, damit rechtswidrige Inhalte (rascher) gelöscht werden?

24) Wenn ja, wie?

25) Wenn nein, warum nicht?

26) Insbesondere die Verantwortung für Hostprovider nach dem E-Commerce-Gesetz dürfte derzeit keine taugliche Grundlage darstellen, um wirksam gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen. So haben die Betroffenen im Vergleich zum Medienrecht mit deutlich längeren Verfahren und einem viel höheren Prozesskostenrisiko zu rechnen. Soll es hier in absehbarer Zeit zu Verbesserungen für die Betroffenen kommen?

27) Wenn ja, inwiefern?

28) Wenn nein, warum nicht?