11418/J XXV. GP

Eingelangt am 17.01.2017
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Anfrage

 

der Abgeordneten Bruno Rossmann, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Steuergerechtigkeit und kalte Progression

BEGRÜNDUNG

 

Bereits im Februar 2015 hat Finanzminister Schelling seine Vorstellungen zur Abschaffung der kalten Progression der Öffentlichkeit präsentiert. Die Einkommensteuer-Tarifstufen sollen automatisch an die durchschnittliche Inflation angepasst werden. Allerdings erst dann, wenn die kumulierten durchschnittlichen Inflationsraten einen Wert von fünf Prozent überschreiten. Bei niedrigen Inflationsraten - wie wir sie derzeit haben - kann dies mehrere Jahre dauern. Ein Körberlgeld für den Finanzminister bleibt also weiterhin bestehen. Laut Angaben des Finanzministers würde dies ab dem Zeitpunkt der Abgeltung zu einem Steuerausfall von jährlich 400 Mio Euro führen. Detaillierte Berechnungen auf Basis eines konkreten Modells hat das Finanzressort bislang nicht vorgelegt. Seit Februar 2015 hat der Finanzminister seine Vorschläge mehrmals wiederholt, zuletzt am 8.1.2017. Zur Gegenfinanzierung der dadurch verursachten Steuerausfälle hat sich der Finanzminister bis jetzt noch nicht geäußert. Eine Einigung zwischen SPÖ und ÖVP konnte bislang nicht erzielt werden. Die SPÖ spricht sich gegen einen Automatismus aus und für eine stärkere Berücksichtigung niedriger Einkommen.

Neben der Frage der Gegenfinanzierung blieb bei den Vorstellungen von Finanzminister Schelling ein weiterer zentraler Punkt in der Diskussion rund um die Abschaffung der kalten Progression ausgeblendet: Unterschiedliche Einkommensgruppen sind aufgrund einer unterschiedlichen Ausgabenstruktur mit unterschiedlichen Inflationsraten konfrontiert. Das bedeutet, dass vom Schelling-Vorschlag gewisse Einkommensgruppen besonders stark profitieren würden, während andere Gruppen leer ausgehen bzw. sogar Verluste erleiden müssten. Mit genau dieser entscheidenden Frage beschäftigt sich eine Studie der WU Wien[1]. Die unterschiedlichen Inflationsraten ergeben sich für die jeweiligen Einkommensgruppen aufgrund der unterschiedlichen Warenkörbe. Haushalte mit einem Einkommen am unteren Ende der Verteilung geben etwa mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel sowie Wohnen und Energie aus. Genau diese Warengruppen hatten in den letzten Jahren besonders hohe Preissteigerungen. Je höher das Einkommen ist, desto weniger gibt ein Haushalt anteilsmäßig für Nahrungsmittel, Wohnen oder Energie aus. Dafür geben diese Haushalte beispielsweise deutlich mehr für die Kategorien Freizeit/Kultur und Mobilität aus. In diesem Bereich gab es in den letzten Jahren unterdurchschnittliche Preissteigerungen. Dazu heißt es in der Studie der Wirtschaftsuniversität Wien:

„In Folge der unterschiedlichen Preisentwicklungen und der Gewichtung der Ausgaben über die Einkommensverteilung ergeben sich somit auch unterschiedliche Inflationsraten. Für niedrige Einkommen lagen die Inflationsraten zwischen 2009-2015 getrieben durch die laufenden Kosten des Wohnens über dem Durchschnitt, während die größere Bedeutung von Ausgaben für Freizeit und Mobilität die tatsächliche Inflation von höheren Einkommen unter den durchschnittlichen Wert gezogen haben. […] Im Jahr 2012 lag die durchschnittliche Inflationsrate bei 2,21%, die Inflationsraten von unterschiedlichen Haushalten variierten aber im Bereich zwischen 1,27% und 3,12%, je nach Ausgabenstruktur. Generell bekannt ist, dass diese Unterschiede in den Inflationsraten eng mit dem Einkommen und den damit verbundenen Konsum- und Sparneigungen korreliert sind (Statistik Austria, 2011). “

Da die Inflationsraten – je nach Einkommenshöhe - unter oder über der durchschnittlichen Inflationsrate liegen, erzeugt der Schelling-Vorschlag mit der Abgeltung der kalten Progression anhand der automatischen Anpassung der Tarifstufen an die durchschnittliche Inflationsrate VerlierInnen und GewinnerInnen. Während hohe Einkommensgruppen überkompensiert werden und damit zu den GewinnerInnen zählen, werden niedrige Einkommensgruppen unterkompensiert und zählen zu den VerliererInnen. Der Schelling-Vorschlag bewirkt daher eine (nicht gewünschte) automatische Umverteilung von unten nach oben.

Für die in der Studie durchgerechneten Szenarien ergibt sich, dass mit dem Schelling-Vorschlag die Dezile eins bis fünf der Einkommensverteilung – also die untere Hälfte der Einkommensverteilung – unterkompensiert werden würden und ab dem sechsten Dezil eine Überkompensation vorliegen würde (Tabelle 2[2]).

Besonders dramatisch ist dies vor dem Hintergrund, dass bereits die letzte Tarifreform in der Lohn- und Einkommensteuer verteilungspolitisch völlig verfehlt war. Die obere Hälfte der EinkommensbezieherInnen erhielt insgesamt 80 Prozent des Gesamtvolumens der Steuerentlastung von etwa 5 Mrd. Euro, während für die untere Hälfte lediglich 20 Prozent übrig blieben, wie u.a.die EU-Kommission kritisch feststellte[3]. Mit dem Schelling-Vorschlag soll nun zusätzlich automatisch von unten nach oben umverteilt werden.

Die Schere zwischen Arm und Reich geht bei den Einkommen immer weiter auseinander – wie der aktuelle Einkommensbericht vom Rechnungshof[4] eindrucksvoll aufzeigt. Im Zeitraum zwischen 1998 bis 2015 sind sowohl die inflationsbereinigten Brutto- als auch die Nettojahreseinkommen für die niedrigsten zehn Prozent der unselbstständig Erwerbstätigen um 35 bzw. um 37 Prozent gesunken. Die Einkommen der oberen zehn Prozent sind inflationsbereinigt zumindest noch moderat angestiegen (Brutto: rund vier Prozent; Netto: ein Prozent). Im Median sind die Einkommen real leicht gesunken (Brutto: vier Prozent, Netto: drei Prozent).

Die wachsende Ungleichheit von Einkommen (und Vermögen) ist eine der zentralen politischen Herausforderungen. Dass der Schelling-Vorschlag die reale Einkommensungleichheit automatisch verschärft, darf vor diesem Hintergrund nicht hingenommen werden.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Ist Ihnen die Studie „Zur kalten Progression und den Verteilungswirkungen ihrer Abgeltung“ der Wirtschaftsuniversität Wien bekannt?

2)    Teilen Sie die Analyse der Studie, dass Ihr Vorschlag zur Abgeltung der kalten Progression zu einer Überkompensation für die obere Hälfte der Einkommensverteilung und zu einer Unterkompensation der unteren Hälfte führt?

a.    Wenn ja, warum haben Sie bislang die Ergebnisse in Ihren Vorschlag nicht miteinbezogen?

b.    Wenn ja, werden Sie aufgrund der Ergebnisse Ihren Vorschlag überarbeiten?

c.    Wenn nein, bitte begründen Sie im Detail, wie Sie zu einer abweichenden Analyse kommen?

3)    Eine Möglichkeit die Abgeltung der kalten Progression tatsächlich neutral (ohne Über- bzw. Unterkompensation) vorzunehmen, wäre die Erstellung eines jährlichen Progressionsberichts, der zeigt, wie stark die jeweiligen Einkommensdezile unter Berücksichtigung einer heterogenen Inflationsrate von der kalten Progression betroffen sind. Dieser Bericht könnte etwa vom WIFO erstellt und anschließend als sachliche Entscheidungsgrundlage für den Nationalrat zur Anpassung der Tarifstufen herangezogen werden.


a.    Halten Sie diesen Vorschlag für sinnvoll?

b.    Wenn nein, warum?

4)    Mit welchen Daten, Annahmen und Methoden haben Sie Ihre Modellrechnungen zur kalten Progression durchführen lassen? (Bitte um Anhang der durchgeführten Modellrechnungen unter Angabe der Daten, Annahmen, Methoden und Ergebnisse.)

5)    Enthält Ihr Modell der Abgeltung der kalten Progression auch Vorschläge zu dessen Gegenfinanzierung?

6)    Für den Fall, dass sich diese auf die Einnahmen des Budgets beziehen, welche konkreten Einnahmensteigerungen bzw Streichungen von Steuerprivilegien/-befreiungen planen Sie?

7)    Für den Fall, dass sich diese auf die Ausgaben des Budgets beziehen, welche konkreten Ausgabenkürzungen  planen Sie?

 



[1] https://www.wu.ac.at/ineq/forschung/steuern-und-wohlfahrtsstaat/analysen-zur-kalten-progression/ (zugegriffen am 9.1.2017)

[2] https://www.wu.ac.at/fileadmin/wu/d/ri/ineq/INEQVerteilungKalteProgression.pdf#14 (zugegriffen am 10.1.2017)

[3] http://ec.europa.eu/europe2020/pdf/csr2016/cr2016_austria_de.pdf#71 (zugegriffen am 10.1.2017)

[4] http://www.rechnungshof.gv.at/aktuelles/ansicht/detail/rechnungshof-veroeffentlicht-einkommensbericht-20161.html