11467/J XXV. GP

Eingelangt am 24.01.2017
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Anfrage

 

der Abgeordneten Georg Willi, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

betreffend Abgasskandal: Abgas-Manipulation bei LKW

 

Noch ist der Diesel-Abgasskandal bei weitem nicht bewältigt. Auch bald 16 Monate nach dem Auffliegen der illegalen Manipulationen des VW-Konzerns dominiert europaweit und auch in Österreich Regierungs-Unterstützung für die Kfz-Branche. Es wird von Regierungs- und Ministeriumskreisen bei vollständiger Transparenz, rascher Aufklärung und wirksamer Kontrolle der Hersteller gebremst. Vor allem aber wird auch gegen das Angehen umliegender „Baustellen“, von den in Sachen Abgaskontrolle sachlich völlig unzureichenden Pickerl-Abgasprüfungen bis zum Wildwuchs bei Chiptuning und dergleichen gemauert. So haben die Regierungsfraktionen mit Unterstützung von FPÖ und Team Stronach erst im Dezember 2016 einen Antrag der Grünen zu Chiptuning, AdBlue-Betrug & Co im Nationalrat abgelehnt und vom Tisch gewischt – trotz eindringlicher gleichlautender Forderungen der Landes-UmweltreferentInnenkonferenz von 2015 und 2016.

Obwohl sichtlich mehrere Hersteller die Abgaswerte ihrer Produkte zum Schaden der Gesundheit und der Umwelt manipuliert haben, zeigt die Regierung auch deutliches (vgl. zB Anfragebeantwortung 10187/AB XXV.GP an die Anfragesteller) Desinteresse an mittlerweile vorliegenden Erkenntnissen zu anderen PKW-Herstellern, insbesondere aus dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags oder aus anderen Staaten.

Schließlich blieben auch die wiederholten Hinweise, dass für Traktoren Manipulationstechnik ebenfalls niederschwellig verfügbar ist und daher wohl auch eingesetzt wird – vgl. dazu zB das Angebot eines Unternehmens in Ihrem Heimatbundesland Steiermark unter http://allcartuning.com/traktor-tuning/adblue-dpf-agr-abschaltungen-traktor.html - bislang ohne Reaktion des Landwirtschafts- oder des Verkehrsministers.

 

Nun ist die nächste Ausweitung des Abgasskandals aber nicht mehr zu verbergen. Insider aus der deutschen LKW-Branche hatten bereits im 1. Quartal 2016 offengelegt, dass bis zu 20 Prozent der LKW im deutschen Autobahnnetz mit manipulierter oder ausgeschalteter SCR-Abgasnachbehandlung („selektive katalytische Reduktion“) unterwegs sein dürften. Aus Ländern wie Rumänien wurde von bis zu 70 Prozent berichtet (vgl. SAT1-Berichterstattung am 2.2.2016).

 

Diese Einschätzungen wurden nun im Zuge vertiefender Recherchen, über die das ZDF am 18.1.2017 abends berichtete, vollumfänglich bestätigt. Unter dem Titel „Die Lüge vom sauberen LKW. Abgas-Betrüger und ihre Dreckschleudern“ führte der ZDF dazu aus:

 

ZDFzoom und Frontal 21 liegen exklusiv Messdaten und Unterlagen vor, die das ganze Ausmaß belegen. Mautbetrug in vielfacher Millionenhöhe und Umweltverschmutzung, verursacht durch kleine Elektronikbauteile, sogenannte Emulatoren oder „AdBlue-Killer“.

AdBlue ist ein Zusatzstoff, den moderne Dieselmotoren zur Abgasreinigung in die Auspuffanlage einspritzen. „Eine absolut saubere Technologie, die LKW besser dastehen lässt als viele moderne Diesel-PKW“, sagt Prof. Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie. Doch Adblue kostet Geld und das wollen kriminelle Speditionen und Fahrer offenbar sparen. Im Internet verkaufen Anbieter Geräte, die dem LKW vorgaukeln, mit AdBlue zu fahren. Tatsächlich aber wird die Anlage schlicht lahmgelegt und sogar die Bordelektronik ausgetrickst, so dass bei oberflächlichen Kontrollen nichts Auffälliges zu sehen ist.

In einer Studie der Universität Heidelberg im Auftrag des ZDF und des Verbandes für die Transportbranche „Camion Pro“ fand Prof. Denis Pöhler heraus: Gut 20% aller osteuropäischen LKW fahren mit extrem auffälligen Abgaswerten. Durch die Manipulation wird die Umwelt mit bis zu 14.000 Tonnen Stickoxiden jährlich mehr belastet. Das Ausmaß ist gewaltig: Etwa 1,6 Milliarden Kilometer fahren manipulierte LKW jährlich durch Deutschland. Dadurch, dass die manipulierten LKW in einer falschen Maut-Klasse fahren, entgehen dem Staat Einnahmen in Höhe von bis zu 110 Millionen Euro jährlich, so eine Berechnung des Maut-Experten Prof. Kay Mitusch.

ZDFzoom und Frontal 21 folgen den Spuren der Adblue-Betrüger nach Rumänien, wo ein Spediteur stolz demonstriert, wie einfach ein LKW zu manipulieren ist und erklärt, „...dass man in Deutschland keine Angst haben muss, die Polizei kennt das nicht.“

Die gerade zuletzt in Österreich wieder gern erzählte Geschichte vom sauberen Euro-6-LKW, bei dem Papier- und Realwerte zum Schadstoffausstoß anders als beim PKW übereinstimmen würden, wird damit in ansehnlichem Umfang als Märchen enttarnt.

 

Der SCR-Katalysator wird in Euro5/6 LKW und Bussen, aber auch in einigen PKW-Modellen vornehmlich der Ober- und Luxusklasse sowie in Traktoren zur Stickoxid-Reduktion im Abgas eingesetzt, um die entsprechenden Abgasgrenzwerte einhalten zu können. Er benötigt ein Harnstoff-Additiv („AdBlue“), das in den Abgasstrom eingespritzt wird. Dieses Additiv muss aber in einen Extra-Tank nachgefüllt werden. Der Verbrauch liegt bei etwa 5% des Treibstoffverbrauchs, bei LKW also ca 1,5 Liter auf 100 Kilometer. Der Literpreis liegt etwa bei der Hälfte des Dieselpreises. Dem steht eine geringfügige Diesel-Verbrauchsänderung bei AdBlue-Verwendung gegenüber.

Statt der „eigentlich“ geltenden Emissionsnorm Euro 5 oder 6 erfüllen LKW bei unwirksamer NOx-Reduktion im Fahrbetrieb aber höchstens die Anforderungen von Euro 3. Das heißt diejenigen, die von 2000 bis 2005 für die Abgas-Performance neuer LKW galten!

Zudem wird bei AdBlue-„Verzicht“ auf verschiedenen Ebenen Staat und Allgemeinheit betrogen, schließlich gelten für Euro-6-LKW niedrigere Mautsätze und andere Vorteile, die mit der angeblichen „Sauberkeit“ dieser LKW gerechtfertigt werden. Unterm Strich spart es LKW-Flottenbetreiber somit bares Geld, den Verbrauch des Additivs stark zu reduzieren oder gänzlich zu unterbinden. Dies reicht – siehe ZDF-Recherchen - offenbar für etwa jeden fünften international tätigen Transporteur, um derartige Schritte zu setzen.

Entsprechende Manipulations-Hard- und Software ist unter Stichworten wie AdBlue-Killer oder AdBlue-Emulator problemlos und für wenig Geld (ca 50 Euro) auch aus EU-Staaten übers Internet zu beziehen, samt Anleitungen für unauffälligen Einbau.

 

Bereits seit längerem wird auch in Österreich hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, dass der AdBlue-Absatz deutlich hinter den Größenordnungen zurückbleibt, die angesichts des Euro-6-Lkw-Anteils in der Flotte und der getankten Treibstoffmenge zu erwarten wäre. Auch bei PKW mit SCR-Abgasbehandlung gibt es bereits – Stichwort Opel – sehr deutliche Hinweise, dass Soll und Ist beim Additiv-Verbrauch nicht zusammenpassen.

 

Das Enttarnen dieses mutmaßlichen Abgasbetrugs im großen Maßstab sollte daher für die Verantwortlichen nicht schwierig sein.

Von Erhebungen dazu zB bei Tankstellenbetreibern, Frächtern oder Werkstätten ist aber ebenso wenig bekannt wie von Initiativen zu gezielten Kontrollen zB über die vom BMVIT koordinierte LKW-Kontrollplattform (jetzt „Plattform LKW-Sicherheit“), obwohl Indizien wie oben angeführt seit zumindest einem Jahr medienöffentlich bekannt sind, intern wohl bereits weit länger.

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Welche Informationen liegen Ihnen zum Verbrauch von Harnstofflösungs-Additiv AdBlue/AUS32/Arla32 in Österreich aus welchen Quellen vor?

2)    Welche Informationen liegen Ihnen zur Diskrepanz zwischen dem aufgrund der Flottenzusammensetzung erwartbaren und dem realen Absatz und Verbrauch von Harnstofflösungs-Additiv (AdBlue/AUS32/Arla32) für a) LKW, b) Busse, c) Traktoren und d) PKW aus welchen Quellen vor?

3)    Falls Ihnen zu Frage 1 und/oder 2 keine Informationen vorliegen sollten: Warum nicht?

4)    Welche Informationen liegen Ihnen aus der österreichischen Kontrollpraxis zum Thema Abgas-Betrug mit sog. „AdBlue-Blockern/AdBlue-Emulatoren“ bei mit SCR ausgestatteten a) LKW, b) Bussen, c) Traktoren und d) PKW im Einzelnen und seit wann vor?

5)    Welche Informationen liegen Ihnen darüber hinaus aus dem Bereich Ihres Ressorts bzw nachgeordneter Dienststellen wie der BAV zum Thema Abgas-Betrug mit AdBlue-Blockern/-Emulatoren bei mit SCR ausgestatteten a) LKW, b) Bussen, c) Traktoren und d) PKW im Einzelnen und seit wann vor?

6)    Welche Informationen liegen Ihnen aus sonstigen innerstaatlichen Quellen zum Thema Abgas-Betrug mit AdBlue-Blockern/-Emulatoren bei mit SCR ausgestatteten a) LKW, b) Bussen, c) Traktoren und d) PKW im Einzelnen und seit wann vor?

7)    Falls Ihnen trotz der bereits seit Februar 2016 erfolgten Berichte in deutschen Medien keine Informationen zur österreichischen Situation im Sinne von Frage 4 bis 6 vorliegen sollten: Warum nicht?

8)    Welche Schritte gegen den laut deutschen Recherchen offenbar im LKW-Transitverkehr weit verbreiteten Abgas-Betrug mit AdBlue-Blockern/-Emulatoren haben Sie seit den ersten medienöffentlichen Berichten zu diesem Thema im Februar 2016 konkret wann unternommen bzw. veranlasst?

9)    Falls Sie keine Schritte gesetzt haben sollten: Warum nicht?

10) Falls jemand anderer aus dem Kreis der Bundesregierung für die entsprechenden Erhebungen oder Kontrollen - zB bei Transportunternehmen, Tankstellenbetreibern, einschlägig mit Produkten oder Dienstleistungen werbenden Kfz-Werkstätten oder Handelsunternehmen - zuständig wäre: Wer wäre dies jeweils für a) LKW, b) Busse, c) landwirtschaftliche Zugmaschinen/Traktoren, d) mit SCR-Kat ausgestattete PKW?

11) Welche Strafdrohung aus welchem Titel besteht wem gegenüber beim Einsatz von AdBlue-Emulatoren u.dgl. in LKW auf österreichischem Staatsgebiet?

12) Informationen über derartige offenbar verbreitete Missbrauchs-Praktiken müssten „postwendend“ in entsprechende deutliche Korrekturen des Handbuchs für Emissionsfaktoren (HBEFA) eingehen, dessen Angaben unter anderem in Genehmigungsverfahren von Straßenbauprojekten für die Einschätzung dieser Projekte als „umweltverträglich“ oder „nicht umweltverträglich“ mit entscheidend sind. In welcher Weise, wann und mit Geltung ab welchem Datum sind die seit längerem kolportierten und seit mindestens Februar 2016 medienöffentlich bekannten Schätzungen zum Umfang des AdBlue-Betrugs bei LKW konkret durch welche Korrekturfaktoren im HBEFA berücksichtigt worden?

13) Falls gar keine oder erst eine verspätete Korrektur erfolgte: In welcher Weise wurden die seit längerem kolportierten und seit mindestens Februar 2016 medienöffentlich bekannten Schätzungen zum Umfang des AdBlue-Betrugs bei LKW konkret in der Zwischenzeit bis zu einer entsprechenden Handbuch-Korrektur bei der Genehmigung von Straßenbauprojekten berücksichtigt?