11638/J XXV. GP

Eingelangt am 01.02.2017
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Parlamentarische Materialien

DRINGLICHE ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Werner Kogler, Eva Glawischnig-Pieszcek, Freundinnen und Freunde

 

 

an den Bundeskanzler

 

 

betreffend Verhandlungslegitimation der Bundesregierung zu den Abkommen CETA, TTIP und TISA

 

 

BEGRÜNDUNG

 

Nach der Verabschiedung des Handelsabkommens der EU mit Kanada (CETA) auf europäischer Ebene im vergangenen Herbst und der Angelobung von Donald Trump als US-Präsidenten, der neuen Protektionismus verfolgt, ist es in der Öffentlichkeit etwas ruhiger um EU-Handelsabkommen geworden. Diese Ruhe trügt aber, da sowohl bei den Handelsabkommen CETA und TTIP sowie beim Dienstleistungsabkommen TISA noch hochrelevante Fragen zu klären sind.

 

Die berechtigten Bedenken wie die drohende Aushöhlung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit von der europäischen Ebene bis hin zu den Ländern und Gemeinden sowie das Absenken von Lebensmittelstandards, Umwelt-, VerbraucherInnen- und ArbeitnehmerInnenschutz haben 563.000 BürgerInnen in Österreich veranlasst, das Volksbegehren gegen TTIP, CETA und TISA zu unterschreiben. Dieser Erfolg ist eine wichtige Unterstützung für die kritischen Kräfte im österreichischen Parlament und darf von der Bundesregierung nicht übergangen werden.        

 

CETA: Ungereimtheiten bestehen weiterhin

 

Die inhaltlichen Bedenken an CETA bleiben nach wie vor bestehen. Es enthält nicht nur Sonderklagsrechte für ausländische Konzerne, sondern gefährdet hohe Standards in sensiblen Bereichen wie Gentechnikgesetzgebung, Lebensmittelsicherheit oder KonsumentInnenschutz und ist geeignet, demokratische Entscheidungsspielräume von der europäischen Ebene bis hin zu den Ländern und Gemeinden einzuschränken. So ist etwa das in der EU geltende Vorsorgeprinzip in CETA nicht verankert. Das bringt KonsumentInnenschutz, Gesundheitsvorsorge und Gentechnikfreiheit in Europa in Bedrängnis.

 

Bundeskanzler Kern begründete seine Zustimmung letzten Endes damit, dass jene Bereiche, die in nationalstaatliche Kompetenz fallen – wie die umstrittenen Schiedsgerichte – erst nach Ratifikation durch die nationalen Parlamente in Kraft treten werden und dass mit einer rechtsverbindlichen Zusatzerklärung zwischen EU und Kanada Verbesserungen am Vertrag erzielt worden wären. Außerdem müsse Österreich – vergleichbar den Forderungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts – die vorläufige Anwendung des Vertrags auch wieder beenden können. Dies habe Österreich – so wie Deutschland – in einer Protokollerklärung zu CETA festgehalten.

 

Darüber hinaus verlangte der Bundeskanzler weitere Klärungen bei den Schiedsgerichten im Zuge des Ratifizierungsprozesses, bis der Vertrag dem Nationalrat als Regierungsvorlage zur Beschlussfassung vorgelegt werden könne. Im noch auszuhandelnden Statut für die Schiedsgerichte solle u.a. die Unabhängigkeit der RichterInnen und der Entscheidungen sichergestellt werden sowie die Berechnung der Höhe von Schadenersatzforderungen festgelegt werden.

 

Dass die Ausgestaltung eines Statuts an der prinzipiellen Schieflage des Schiedsgerichtssystems nichts ändert, haben mehr als hundert ProfessorInnen der Rechtswissenschaften im Oktober 2016 in einer juristischen Stellungnahme klar gemacht. Sie lehnen das in CETA erstmals verankerte System genauso ab, wie das bisher bestehende ISDS-Regime. Das von der Kommission propagierte neue Schiedsgericht stattet die Investoren im Wesentlichen mit den gleichen Sonderrechten wie bisher aus und privilegiert daher ausländische Investoren gegenüber allen anderen Akteuren in einer Gesellschaft, ist in der Stellungnahme zu lesen.

 

Sowohl bei der Frage, ob die Zusatzvereinbarungen und Protokollerklärungen überhaupt rechtsverbindlich sind, als auch bei der geforderten einseitigen Beendigung der vorläufigen Anwendung des Vertrags durch Österreich scheiden sich die Geister. Im ersteren Fall stellen Rechtsgutachten – wie das zuletzt im profil vom 30.1.2017 zitierte Gutachten von Prof. Maurer von der Universität Innsbruck – die rechtliche Verbindlichkeit der CETA-Beipacktexte als „unklar“, „rein informativ“ und „nicht bindend“ in Frage.

 

Ob ein Mitgliedsland die vorläufige Anwendung von CETA beenden kann, beantworten die Europäische Kommission und das deutsche Bundesverfassungsgericht unterschiedlich. Wie das Onlineportal vieuws.eu berichtete, informierten Vertreter der Europäischen Kommission die EP-Abgeordneten im November 2016 darüber, dass ein einseitiger Ausstieg eines Mitgliedslands aus CETA nicht vorgesehen ist. Demgegenüber beharrt etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht in seinem CETA-Beschluss vom 7.12.2016, dass die Möglichkeit zur Beendigung der vorläufigen Anwendung gegeben sei. Je nachdem, wer gefragt wird, gibt es unterschiedliche Antworten. Rechtssicherheit sieht anders aus.


CETA – Bundesregierung übergeht Nationalrat

 

Unabhängig vom Beipacktext argumentierte Bundeskanzler Kern, der etwa seine Kritik an den in CETA vorgesehenen Investitionsschutzgerichten bis zuletzt aufrecht erhielt, seinen Schwenk und die damit verbundene Zustimmung zu CETA mit dem drohenden Verlust an Glaubwürdigkeit des europäischen Projekts (Parlamentskorrespondenz Nr. 932). Die Bundesregierung – im Zusammenspiel von Bundeskanzler Kern, Vizekanzler Mitterlehner und Außenminister Kurz – hat aber mit der Genehmigung von CETA im Rat der EU am 28. Oktober 2016  die verfassungsrechtlich verankerten Mitwirkungsrechte des Nationalrates (Art 23 e B-VG) gröblich übergangen.

 

Durch die einheitliche Stellungnahme der Bundesländer gemäß Art. 23 d Abs. 2 B-VG vom 11. Mai 2016 und der darauf bezugnehmenden Stellungnahme gemäß Art. 23 e B-VG des Nationalrates vom 22. Juni 2016 war die Bundesregierung daran gebunden, „dem Abschluss von CETA im Rat nicht zuzustimmen, solange die Forderungen dieser Beschlüsse nicht erfüllt sind“. Darin heißt es u.a.: „die Möglichkeit von Schiedsverfahren gegen Staaten (sog. ISDS-Klauseln) ist nicht vorzusehen; sich dafür einzusetzen, dass Harmonisierungen und wechselseitige Anerkennungen auf Basis des Vorsorgeprinzips erfolgen oder dass im Rat keine vorläufige Anwendung von CETA beschlossen wird.“

CETA enthält aber Sonderklagerechte für ausländische Konzerne, das Vorsorgeprinzip wird durchlöchert und überdies soll der Vertrag vorläufig angewendet werden.

 

Hat der Nationalrat – wie in diesem Fall – eine bindende Stellungnahme abgegeben, sieht Art 23e Abs 3 B-VG vor, dass der zuständige Bundesminister den Nationalrat vor und nach Beschlussfassung unverzüglich zu befassen hat. Ein solcher Bericht durch den zuständigen Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ist bis dato jedoch nicht erfolgt. Von der Einhaltung der verfassungsrechtlichen Verpflichtungen bei CETA durch die Bundesregierung kann daher keine Rede sein. Nicht nur, dass die Bedenken der Bevölkerung nicht ernst genommen werden, werden Beschlüsse des Nationalrats, der CETA letztlich ratifizieren muss, auch noch verletzt.

 

TTIP – Verhandlungsmandat wie eh und je

 

Noch fragwürdiger ist das Vorgehen der Bundesregierung bei TTIP. Bundeskanzler Kern hat nach der Erfahrung mit CETA behauptet, dass TTIP, das derzeit verhandelte Handelsabkommen der EU mit den USA, auf Basis des derzeitigen Verhandlungsmandats keine Zustimmung von Österreich mehr habe. Ungeachtet einer Protokollerklärung, die der Bundeskanzler beim Europäischen Rat im Oktober 2016 mit dem Ziel der Revision des TTIP-Verhandlungsmandats abgegeben hat, hält die Europäische Kommission nach wie vor an den Verhandlungen mit den USA fest. So präsentierten EU-Handelskommissarin Malmström und US-Handelsbeauftragter Froman Mitte Jänner 2017 den Letztstand der Verhandlungen. Auch wenn derzeit nicht klar ist, wie US-Präsident Donald Trump sich zu TTIP verhält, hat sich an den Vorgaben durch die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten für die Verhandlungsführung der Europäischen Kommission nichts geändert. Die sowohl durch Bundeskanzler Kern als auch Vizekanzler Mitterlehner in Aussicht gestellte Änderung des TTIP-Mandats bildet sich auf europäischer Ebene jedenfalls nicht ab. Die Europäische Kommission verfolgt den eingeschlagenen TTIP-Kurs unbeirrt von der österreichischen Positionierung weiter.

 

TISA – Noch intransparenter als CETA und TTIP

 

Von der Öffentlichkeit unbemerkt, starteten im April 2013 Verhandlungen zwischen 23 Staaten[1] über ein neues plurilaterales Abkommen über Dienstleistungen (TISA – Trade in Services Agreement). Für die EU-Mitgliedstaaten führt die Europäische Kommission die Verhandlungen. Am 18.3.2013 erhielt sie dafür vom Rat der EU (Landwirtschaft und Fischerei) – einstimmig ohne weitere Debatten – das Verhandlungsmandat. Die österreichische Bundesregierung hatte den Nationalrat mit dieser Materie wieder einmal nicht befasst. 

 

Nach Angaben der EU-VerhandlungsführerInnen steht TISA kurz vor dem Abschluss. Infolge des Präsidentschaftswechsels in den USA wird derzeit eine Verhandlungspause eingelegt. Zu TISA gibt es keine dezidierte Aussage von Donald Trump, weshalb auf EU-Ebene davon ausgegangen wird, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen werden sobald die neue US-Administration eingeführt ist. 

 

Im Zuge der Kritik an den TTIP-Verhandlungen veröffentlichte die EU ihr TISA-Verhandlungsmandat erst 2015, also zwei Jahre nach Erteilung. Dieses legt das Ziel weiterer Liberalisierungen sämtlicher Dienstleistungsbereiche fest. Von den EU-VerhandlungsführerInnen war vergangenes Jahr immer wieder zu hören, dass die TISA-Verhandlungen knapp vor dem Abschluss stehen. Weder Europaabgeordnete, nationale ParlamentarierInnen noch die Bevölkerung kennen aber den Inhalt bereits vereinbarter TISA-Texte. Diese Dokumente sind streng geheim.

 

TISA wird auch in anderen Bereichen noch dieselben kritischen Fragen aufwerfen wie TTIP und CETA. Beispielsweise geht Vizekanzler Mitterlehner in einer Information zu TISA an den Nationalrat vom Dezember 2016 davon aus, dass TISA ein gemischtes Abkommen sei, das auch von den nationalen Parlamenten zu ratifizieren sein werde. Demgegenüber vertritt EU-Handelskommissarin Malmström das Gegenteil. Auf eine Anfrage aus dem Europäischen Parlament im Herbst 2015 meinte sie, dass es sich bei TISA um ein „EU-only“ Abkommen handle, das nur von den europäischen Gesetzgebern Rat und Europäisches Parlament zu beschließen sein werde. Wie wir von CETA bereits wissen, sind europapolitische Konflikte vorprogrammiert, die schädlich sind und auch in diesem Fall von den inhaltlichen Bedenken ablenken könnten.

 

 

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende


DRINGLICHE  ANFRAGE

 

CETA

 

1)    Welche konkreten Anforderungen an den Investorenschutz müssen aus Ihrer Sicht auf europäischer Ebene erfüllt sein, damit Sie empfehlen, CETA als Regierungsvorlage dem Nationalrat zur Beschlussfassung zuzuleiten?

2)    Welche konkreten Schritte werden Sie hinsichtlich Investorenschutz auf europäischer Ebene setzen bzw. den zuständigen Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ersuchen, zu unternehmen?

3)    Werden Sie die Regierungsvorlage an den Nationalrat zur Zustimmung von CETA unterstützen, wenn ausländische Unternehmen gegenüber inländischen AkteurInnen privilegierten Zugang zum Schiedsgericht haben?

4)    Sehen Sie nach wie vor Möglichkeiten, CETA ohne Schiedsgerichte zu verabschieden?

a.    Wenn ja, welche?

b.    Wenn nein, warum nicht?

5)    Kennen Sie den Inhalt des im profil vom 30.1.2017 zitierten „CETA-Rechtsgutachten von Prof. Andreas Maurer“ und wie schätzen Sie dieses ein? Falls Ihnen diese Expertise vorliegt, werden Sie dafür sorgen, dass sie auch veröffentlicht bzw. an den Nationalrat übermittelt wird?

6)    Welche konkreten Schritte werden Sie setzen bzw. den zuständigen Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ersuchen, zu setzen, um die widersprüchliche Einschätzung zur Beendigung der vorläufigen Anwendung von CETA durch Österreich zu klären?

7)    Wodurch sehen Sie im Falle von CETA, bei dem der Nationalrat eine bindende Stellungnahme beschlossen hat, die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen der Bundesregierung gegenüber dem Nationalrat sowohl vor als auch nach Beschlussfassung auf europäischer Ebene gewährleistet?

 

TTIP

 

8)    Welche Aktivitäten wurden von Ihnen bzw. Ihren Regierungskolleginnen und –kollegen auf europäischer Ebene gesetzt, damit das TTIP-Verhandlungsmandat neu aufgesetzt wird? Wie erfolgreich waren diese Initiativen?

 

TISA

 

9)    Welche konkreten Schritte haben Sie bei TISA bisher unternommen,

 

a.    damit das an die Europäische Kommission 2013 auch mit Zustimmung der österreichischen Regierung erteilte Verhandlungsmandat neu aufgesetzt wird, um öffentliche Dienstleistungen auch in Zukunft eindeutig abzusichern und politischen Gestaltungsspielraum weiterhin zu erhalten,    

b.    damit bereits vorhandene TISA-Vertragstexte zugänglich gemacht werden, um eine breit angelegte öffentliche Debatte darüber führen zu können,

c.    um dafür zu sorgen, dass die TISA-Verhandlungen wenigstens zukünftig entsprechend transparent geführt werden, und

d.    um sicher zu stellen, dass auch bei TISA unumstritten ist, dass der Vertrag nur nach Beschlussfassung durch die nationalen Parlamente in Kraft treten kann?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung gemäß § 93 Abs. 2 GOG verlangt.



[1] EU, Australien, Kanada, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Hongkong, Island, Israel, Japan, Republik Korea, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Schweiz, Taiwan, Türkei und Vereinigte Staaten von Amerika.