12455/J XXV. GP

Eingelangt am 14.03.2017
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

des Abgeordneten Mag. Harald Stefan

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Justiz

betreffend gemeinschaftliches Zusammenwirken von Staatsanwalt und Richterin bei der Urteilserstellung vor Durchführung der Hauptverhandlung

 

Mit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Staatsanwaltes als „Organ der (ordentlichen) Gerichtsbarkeit“ durch die B-VG-Nov BGBl I 2008/2 wurde ein neues Organ der Gerichtsbarkeit geschaffen. Der von Art 90 Abs 2 B-VG verfassungsgesetzlich vorgegebene und einfachgesetzlich in § 4 StPO normierte Anklagegrundsatz soll jedoch weiterhin die Trennung von Richter und Ankläger sichern. Daneben bestehen weitere Grundsätze, von denen das Strafverfahren geleitet wird, sowie daraus resultierende Pflichten, wie etwa jene von Staatsanwaltschaft und Gericht, mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln die Wahrheit zu erforschen sowie belastende und entlastende Umstände mit gleicher Sorgfalt zu ermitteln.

 

Im Verfahren zum AZ 15 HV 6/16d des Landesgerichts für Strafsachen Wien scheinen diese Grundsätze, welche letztlich ein ordnungsgemäßes und rechtsstaatliches Verfahren gewährleisten sollen, nicht mit gebührender Aufmerksamkeit beachtet worden zu sein. Uns erteilte Informationen legen den Schluss nahe, dass die Vorsitzende des Schöffensenats vor Urteilsfällung und Schluss der Verhandlung mit dem im gegenständlichen Verfahren zuständigen Staatsanwalt zumindest auf elektronischem Wege schriftlich Rücksprache über den noch auszusprechenden Urteilsspruch hielt. Nicht nur wurde zwischen der Richterin und dem Staatsanwalt generell über die rechtliche Beurteilung des gegenständlichen Sachverhalts Rücksprache gehalten, sondern wurden von diesem auch konkrete Formulierungen übermittelt, welche schließlich von der Richterin übernommen und schriftlich im Urteil ausgeführt wurden!

 

Diese Form der Urteilsfindung erscheint nicht nur im Lichte des Art 6 EMRK befremdlich und mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen zu sein. Die Aufgabenverteilung zwischen den beiden selbständigen sowie voneinander getrennten Organen Richter und Staatsanwalt ist gesetzlich klar festgelegt. Das Verfassen (auch nur eines Teiles) eines Urteils zählt nicht zu den Aufgaben der Staatsanwaltschaft. Keinesfalls sollen Ankläger und Richter in Personalunion in Form eines Inquisitionsprozesses bestehen. Weiters verletzt eine derartige Mitwirkung eines Staatsanwaltes den Angeklagten in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG). Gemäß § 257 StPO hat sich das Schöffengericht nach Schluss der Verhandlung zur Urteilsfällung in das Beratungszimmer zurückzuziehen und legt ein bereits vor Schluss der Verhandlung vom Vorsitzenden eines Senats verfasster Urteilsspruch die Vermutung nahe, dass durch diesen den Schöffen die Möglichkeit entzogen wurde, sich vollkommen unvoreingenommen zu beraten.

 

Einer Presseaussendung vom 13. Februar 2017 war zu entnehmen, dass die Korruptionsstaatsanwaltschaft eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung an die zuständige Staatsanwaltschaft übermittelt hat.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Justiz folgende

 

Anfrage

 

1.    Wurden aufgrund des dargestellten Sachverhalts Disziplinarverfahren gegen die Vorsitzende des Schöffensenats und den Staatsanwalt eingeleitet?

2.    Wenn ja, wann und zu welchem Ergebnis führten sie?

3.    Wenn ja, werden Sie Maßnahmen ergreifen, um deren ordnungsgemäße und transparente Durchführung zu gewährleisten?

4.    Wenn nein, warum nicht?

5.    Hat die Staatsanwaltschaft aufgrund des dargestellten Sachverhalts Ermittlungen aufgenommen?

6.    Wenn ja, welche Staatsanwaltschaft führt das Ermittlungsverfahren?

7.    Wenn ja, wird wegen der Begehung des Verbrechens des Amtsmissbrauchs § 302 StGB ermittelt bzw. wegen der Begehung welchen Delikts wird hauptsächlich ermittelt?

8.    Wenn nein, warum nicht?

9.    Haben Sie aufgrund des gegenständlichen Falls eine Dienstanweisung erlassen, mit welcher Staatsanwälte daran erinnert werden, dass ihnen das Verfassen (auch nur eines Teiles) eines Urteils untersagt ist?

10. Wenn ja, wie lautet der wortwörtliche Inhalt der Dienstanweisung?

11. Wenn nein, warum nicht?

12. Welche dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahmen haben Sie aufgrund des oben angeführten Sachverhalts ergriffen?

13. Welche Schritte werden Sie setzen, um sicherzustellen, dass die österreichische Justiz – wie in einem Rechtsstaat notwendig – den ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit (verfassungs-)gesetzlich vorgegebenen Rahmen nicht verlässt?

14. Welche Fortbildungskurse, in denen auf die strikte Einhaltung der verfassungsrechtlich und prozessrechtlich vorgegebenen Grundsätze hingewiesen wird, bieten Sie derzeit für Richter und Staatsanwälte an?

15. Werden Sie verstärkt Fortbildungskurse für das (selbständige und) korrekte Verfassen von Urteilen anbieten?

16. Werden Sie den konkreten Fall zum Anlass nehmen, um Verbesserungen bei der Ausbildung zum Richteramt vorzunehmen?

17. Wurden Richter und Staatsanwälte in den Jahren 2011 bis einschließlich 2016 wegen der Begehung einer im 22. Abschnitt des Strafgesetzbuches („Strafbare Verletzungen der Amtspflicht, Korruption und verwandte strafbare Handlungen“) angeführten Straftat angeklagt?

18. Wenn ja, wie viele davon wurden – aufgeschlüsselt nach Jahren und Berufsgruppe – verurteilt?

19. Wenn ja, wie viele davon wurden – aufgeschlüsselt nach Jahren und Berufsgruppe – freigesprochen?