12770/J XXV. GP

Eingelangt am 20.04.2017
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ANFRAGE

des Abgeordneten Erwin Angerer

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend „U-Bahnausbauten Wien – unrechtmäßige Finanzierung aus Bundesmitteln?

 

 

 

Anfang 1968 wurde der Beschluss gefasst, in Wien eine Voll-U-Bahn zu bauen, um den wachsenden Verkehrsproblemen entgegenzuwirken und das Image der Stadt aufzuwerten. Schon 1969 wurde offiziell mit dem Bau begonnen; die „Versuchsstrecke“, die 1976 für den Personenverkehr geöffnet wurde, verlief zwischen Friedensbrücke und Heiligenstadt an der U4. Als erste Neubaustrecke wurde 1978 im Bereich der Linie U1 der Abschnitt Reumannplatz – Karlsplatz eröffnet, U2 und U4 folgten bis 1982 (vgl. http://homepage.univie.ac.at/horst.prillinger /ubahn/deutsch/u-bahn_bauphase_1.html).

U3 und U6 wurden im Zeitraum 1982 bis 2000 ausgebaut, eine 3. Phase begann im September 2006 mit der Inbetriebnahme der U1 bis Leopoldau und endete im Oktober 2010 mit der Öffnung der U2 bis Stadion und bis Aspernstraße. 2007 wurde ein weiteres Übereinkommen über eine 4. Ausbauphase im Umfang von 1,846 Mrd. EUR getroffen, in dem die Erweiterung der Linien U2 und U1 festgelegt wurde (vgl. RH-Bericht 2017/1. S. 17).

 

Abbildung 1: Ausbaupakete der Wiener U-Bahnlinien (Quelle: RH-Bericht 2017/1: S. 17)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als Basis für Finanzierung der einzelnen Ausbaupakete gilt eine Artikel 15a B-VG Vereinbarung des Landes Wiens und des Bundes. In diesem (LGBl. Nr. 21/1979, Inkrafttretensdatum: 19.12.1979) wurde geregelt, dass Investitionen für die U-Bahn-Strecken zu je 50% seitens des Bundes und des Landes Wiens zu tragen sind. Im Bundesgesetzblatt vom 15. Jänner 1980 (BGBl 18/1980) wurde diese Vereinbarung nochmals verlautbart und durch den Nationalrat genehmigt. Dieses Verkehrs-verbundprojekt zwischen dem Land Wien und dem Bund wurde ausschließlich für die geplanten Ausbauten der Linie U3 und der Linie U6 abgeschlossen. Das Kostentragungsmodell (50% Bund / 50% Land) für die Ausbauphasen der Folgejahre war demnach rechtlich nicht abgedeckt, wurde aber zwischen 1986 und 2000 aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen fortgesetzt. Dass diese Verträge sowie die Vereinbarungen, die zwischen Bund und Land Wien nach Beendigung der Ausbauphase der Linien U3 und U6 getroffen wurden (bswp. 1986. „Wiener Vertrag“, Übereinkommen vom 27. Juni 1990, Übereinkommen vom 22. Dezember 1992, Übereinkommen vom 11. Juni 1996, etc.), keine Rechtsgültigkeit haben, ist laut Rechnungshof auch mit Blick auf § 2F-VG sowie dem OGH-Urteil vom 18.03.1992 (1 Ob 526/92) bestätigt. Im OGH-Urteil von 1992 ist wie folgt zu lesen: „Im § 2 F-VG sei nämlich der Grundsatz verankert, dass der Aufwand, der sich aus der Besorgung staatlicher Aufgaben ergibt, von jener Gebietskörperschaft, bei der er unmittelbar anfällt, regelmäßig auch endgültig getragen werden soll. Von diesem Grundsatz abweichende Kostentragungsregelungen könne nur der zuständige Gesetzgeber bestimmen.“ Durch diese Vorgehensweise wurde die Zuständigkeit des Nationalrats umgangen, was laut OGH sämtliche Vereinbarungen „nichtig“ werden lässt: „Zivilrechtliche Kostentragungsverträge sind, falls sie einer gesetzlichen Ermächtigung entbehren, nichtig“ (OGH vom 21. Dezember 1995, 8 Ob 557/93). In seinem Bericht kritisierte auch der Rechnungshof diese Vorgehensweise und kam ebenso zum Schluss, dass „[d]ie Praxis, regelmäßige Finanzzuweisungen ohne gesetzliche Regelung vorzunehmen, eine Umgehung der Vorschriften der Finanzverfassung [darstellt]. Entsprechende Übereinkommen unterliefen die ausschließliche Zuständigkeit des Nationalrats [Anm.: Hervorhebung durch Autor], von den Kostentragungsregelungen des § 2 F-VG abzuweichen“ (RH-Berich 2017/1: S. 5).

 

Demnach finanzierten die Wiener Linien aus dem zur Hälfte von Bundesmitteln gespeisten Budget, dem jegliche rechtsgültige Grundlage fehlte, ab 1986 Neu- und Ausbauten der Wiener U-Bahn. Noch im Juli 2007 wurde seitens des Landes Wiens, des Bundesministeriums für Finanzen und des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie ein weiteres Übereinkommen unterzeichnet, indem festgelegt wurde, dass die Kosten für die 4. Ausbauphase in Höhe von 1,846 Mrd. EUR wiederum jeweils zur Hälfte von Wien und vom Bund übernommen werden sollten. Obwohl der Rechnungshof bereits in den Vorjahren auf die Notwendigkeit einer rechtlichen Grundlage im Sinne einer Art. 15a B-VG Vereinbarung hinwies, wurden durch das BMF bzw. BMVIT in den Jahren 2013 und 2015 weitere Vereinbarungen („Side Letter“) mit dem Land Wien hinsichtlich der U-Bahn-Ausbauprojekte getroffen.

 

Für seine Anteile an den Investitionen in den U-Bahn-Neubau in Wien stellte der Bund im Bundesvoranschlag für das BMVIT eine Jahresrate bereit, die er ab 2009 von 109,01 Mio. EUR auf 87,5 Mio. EUR reduzierte. Zur Deckelung der Jahresraten des Bundes und zum Ausgleich zu dem tatsächlich zu zahlenden 50%-Anteil des Bundes wurde bereits 1992 eine Vereinbarung zur Vorfinanzierung getroffen. Laut Rechnungshofbericht handelt es sich dabei um jenen „Differenzbetrag zwischen der im Bundesvoranschlag vorgesehenen jeweiligen Jahresrate und den tatsächlich anfallenden Kosten, von denen der Bund 50% zu tragen hat“ (RH-Bericht 2017/1: S. 30). Durch die Senkung der Jahresraten, die weit unter den tatsächlichen Investitionskosten lagen, erhöhte sich die erforderliche Vorfinanzierung für den
50%-igen Anteil des Bundes über die OeBFA. Dadurch stieg nicht nur der Vor-finanzierungsrahmen, sondern auch der Zinsaufwand, der bis zur Ausfinanzierung laut OeBFA rund 104,3 Mio. EUR betragen und vom Bund zu finanzieren sein wird.

 

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Finanzen nachstehende

 

 

Anfrage

 

1.     Auf welchen rechtsgültigen Grundlagen erfolgten die Finanzierungen des Bundes für die U-Bahn Ausbauten ab 1986?

2.     Sind diese Grundlagen 100%-ig mit der Finanzverfassung (insbesondere § 2F-VG) konform?

3.     Wurde die Zustimmung des Nationalrates ab 1986 für etwaige Zusatzverein-barungen zur Kostenteilung zwischen Bund und Land Wien unter Ausschluss des § 2F-VG für die U-Bahn Ausbauten eingeholt?

4.     Wenn nein, war eine Übergehung der Zuständigkeiten des Nationalrates in diesem Zusammenhang rechtskonform?

5.     In wessen Verantwortungsbereich (namentliche Nennung der Personen) fiel diese vom Rechnungshof festgestellte Umgehung der Finanzverfassung (im konkreten § 2F-VG) ab dem Jahr 1986?

6.     Besteht hinsichtlich der festgestellten Umgehung der Finanzverfassung ab 1986 (im konkreten § 2F-VG) Ihrer Meinung nach eine missbräuchliche Nutzung der Amtsgewalt?

7.     Wenn ja, sind in diesem Zusammenhang etwaige Konsequenzen für die jeweiligen Personen angedacht und wenn ja, welche?

8.     Wenn nein, warum nicht?

9.     Wurden mittlerweile entsprechende Art. 15a B-VG Vereinbarungen getroffen, um etwaigen weiteren U-Bahn-Ausbauten mit einer Kostenbeteiligung durch den Bund Rechtsgültigkeit zu verleihen?

10.  Wenn ja, inwiefern?

11.  Wenn nein, warum nicht?

12.  Warum wurde seitens Ihres Ministeriums der Empfehlung des Rechnungshofes aus dem Jahre 2012 zur Schaffung einer Rechtsgrundlage im Sinne einer Art. 15a B-VG Vereinbarung im Zuge der Übereinkommen von Jänner 2013 und Mai 2015 nicht entsprochen?

13.  Auf welchen Rechtsgrundlagen basieren die Übereinkommen von Jänner 2013 und Mai 2015?

14.  Mit welchen Beträgen bzw. in welcher Höhe hat sich der Bund seit 1979 jeweils an den einzelnen Ausbauphasen für die Wiener-U-Bahn beteiligt?

15.  Warum werden die im Budget veranschlagten Jahresraten derart niedrig angesetzt, obwohl Erfahrungswerte aus Vorjahren zeigen, dass die tatsächlichen Investitionskosten diese mehrfach überschreiten?

16.  Welche Auswirkungen auf den Zinsaufwand hätte eine Angleichung der Jahresraten an die tatsächlichen Abrufungen (Investitionskosten)?

17.  Warum nimmt der Bund durch die niedrige Veranschlagung der Jahresraten den erhöhten Zinsaufwand in Kauf?