13034/J XXV. GP

Eingelangt am 03.05.2017
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Anfrage

 

der Abgeordneten Steinbichler

Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Familie und Jugend

betreffend Kindesabnahmen in Österreich

 

Das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 legt fest, unter welchen Bedingungen in Österreich Erziehungshilfen eingesetzt werden können. Im § 1 ist festgelegt:

 

(1)  Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Er-ziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

(2)  Die Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen ist in erster Linie die Pflicht und das Recht ihrer Eltern oder sonst mit Pflege und Erziehung betraute Personen.

(3)  Eltern und sonst mit Pflege und Erziehung betraute Personen sind bei der Ausübung von Pflege und Erziehung durch Information und Beratung zu unterstützen und das soziale Umfeld zu stärken.

(4)  Wird das Kindeswohl hinsichtlich Pflege und Erziehung von Eltern oder sonst mit Pflege und Erziehung betrauter Personen nicht gewährleistet, sind Erziehungshilfen zu gewähren.

(5)  In familiäre Rechte und Beziehungen darf nur insoweit eingegriffen werden, als dies zur Gewährleistung des Kindeswohls notwendig und im Bürgerlichen Recht vorgesehen ist.

(6)  Die Wahrnehmung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe erfolgt in Kooperation mit dem Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem.

 

Unter Erziehungshilfen zählt auch die „Volle Erziehung“ nach § 26 Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013:

 

(1)  Ist das Kindeswohl gefährdet und ist zu erwarten, dass die Gefährdung nur durch Betreuung außerhalb der Familie oder des sonstigen bisherigen Wohnumfeldes abgewendet werden kann, ist Kindern und Jugendlichen volle Erziehung zu gewähren, sofern der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Pflege und Erziehung zur Gänze betraut ist.

(2)  Volle Erziehung umfasst insbesondere die Betreuung bei nahen Angehörigen, bei Pflegepersonen und in sozialpädagogischen Einrichtungen.

 

Von den Betroffenen (Eltern und Kindern) wird wiederholt auf Missstände hingewiesen. So empfinden die Betroffenen oft, dass die Kinder- und Jugendhilfe auch dort eingreift, wo es nicht notwendig bzw. zum Nachteil ist.

 

Damit würde sie aber nicht im Sinne des Gesetzes handeln: „In familiäre Rechte und Beziehungen darf nur insoweit eingegriffen werden, als dies zur Gewährleistung des Kindeswohls notwendig und im Bürgerlichen Recht vorgesehen ist.“  Vor allem sollte man überprüfen, ob die „Volle Erziehung“ in allen angewandten Fällen notwendig ist. Laut Gesetz stehen der Kin-der- und Jugendhilfe auch andere Mittel (Erziehungshilfen) zur Verfügung.

 

Laut der auf der BMFJ-Homepage veröffentlichten Statistik „Bundesweite Kinder- und Jugendhilfestatistik für das Berichtsjahr 2015“ befanden sich in der „Vollen Erziehung“ im Jahr 2015 13.126 Kinder und Jugendliche.

 

 

„Im Bereich der Vollen Erziehung waren weniger als die Hälfte (46%) der Kinder und Jugendlichen 6 bis unter 14 Jahre alt (Unterstützung der Erziehung: 52%). Ein vergleichsweise hoher Anteil entfiel mit 39% auf die Gruppe der 14- bis unter 18-Jährigen (Unterstützung der Erziehung: 25%), während die jüngste Altersgruppe nur bei 16% lag (Unterstützung der Erziehung: 22%). Die 14- bis unter 18-Jährigen sind vor allem in den sozialpädagogischen Einrichtungen vertreten: Ihr Anteil lag österreichweit bei 50%, am höchsten war er in Salzburg (54%), der Steiermark und Wien (jeweils 52%). Mit 61% lebte der Großteil der voll betreuten Kinder und Jugendlichen in sozialpädagogischen Einrichtungen.“ [1]

 

Es gibt nur wenige Fälle, wo das Gericht eine Kindesabnahme und die Fremdunterbringung bewilligt hat. Außerdem wird von Betroffenen berichtet, dass ihre Kinder im Ausland untergebracht sind, was die spätere Zusammenführung der Familie erschwert.

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Familie und Jugend nachstehende

 

 

Anfrage:

 

1)    Die Anzahl der Kinder/Jugendlichen in „Voller Erziehung“ steigt jährlich - was sind die Gründe für die ständige Steigerung der Abnahmezahlen? (Bitte um Auflistung der letzten fünf Jahre.)

a)    Wer hat über die Abnahmen der Kinder/Jugendlichen entschieden? (Bitte um Auflistung nach Bundesländern für die letzten fünf Jahre.)

b)    In wie vielen Fällen wurden Kinder bzw. Jugendliche aus „ökonomischen Gründen ab-genommen“ (z.B. Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit bzw. prekäre Wohnsituation der Eltern, ...)?

c)    Welche Staatsbürgerschaften haben die Kinder/Jugendlichen, die sich derzeit in „Vol-ler Erziehung“ befinden?

2)    Gibt es bei den Jugendämtern offizielle und öffentlich zugängliche, erläuternde Leitlinien, Kriterien-Checklisten oder Dienstanweisungen mit Bedingungen, unter welchen ein Kind/Jugendlicher in die „Volle Erziehung“ überstellt wird?

3)    In wie vielen Fällen wurde die „Volle Erziehung“ vom Gericht bewilligt? (Bitte um Auflistung für die letzten fünf Jahre.)

4)    Aus welchen Gründen wurden die Kinder/Jugendlichen, die sich jetzt in der „Vollen Erziehung“ befinden, den Eltern abgenommen? (Bitte um Auflistung der Gründe nach Bundesländern für die letzten fünf Jahre.)

5)    Wie viele Abnahmen erfolgten wegen akuter „Gefahr in Verzug“ im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen oder aufgrund von externen Gefährdungsmeldungen? (Bitte um Auflis-tung für die letzten fünf Jahre.)

6)    Wie viele Abnahmen erfolgten trotz vorhergehender (schwächerer) Hilfs-, Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen durch die Jugendwohlfahrt?

7)    Bei wie vielen Abnahmen gab es Vereinbarungen mit den Eltern über die Rückführung und zu welchen Bedingungen? (Bitte um Auflistung für die letzten fünf Jahre.)

8)    Wie viele Kinder befinden sich in Amtsobsorge der Jugendämter? Welche Personen tragen dann letztlich für die Kinder die Verantwortung? (z.B. schadenersatzrechtlich)

9)    Gibt es Untersuchungen über die Erfolge und die Wirksamkeit der Fremdunterbringungen?

a)    Falls ja, welche und mit welchem Ergebnis?

b)    Wie lange bleiben die Kinder/Jugendlichen im Durchschnitt in der „Vollen Erziehung“?

c)    Wie oft wird durchschnittlich während der „Vollen Erziehung“ die Unterbringung gewechselt?

d)    Wie viele Kinder/Jugendliche wurden aus der „Vollen Erziehung“ bereits entlassen und dann wieder aufgenommen? (Bitte um Auflistung für die letzten fünf Jahre.)

10) Welche Qualifikationen bzw. Ausbildungen haben die Jugendlichen am Ende der Unterbringung in der „Vollen Erziehung“? (Bitte um Auflistung für die letzten fünf  Jahre  nach  Altersgruppen und nach Bundesländern.)

11) In wie vielen Fällen wurde die „Volle Erziehung“ nach dem 18. Lebensjahr weiter verlängert? (Bitte um Auflistung für die letzten fünf Jahre nach Bundesländern.)

12) In wie vielen Fällen wurden Personen nach der „Vollen Erziehung“ (bzw. ab der Volljährigkeit) besachwaltert?

13) Gibt es Evaluierungen zu Generationenfolgen?

a)    Gibt es Informationen zu Kindesabnahmen von Eltern, die selber schon den Eltern abgenommen wurden bzw. fremduntergebracht aufgewachsen sind?

b)    Gibt es Informationen zu Kindesabnahmen von Eltern, die selber als Heimopfer Misshandlungen erlitten haben und als Opfer anerkannt und entschädigt worden sind?

14) Gibt es Evaluierungen zu fremduntergebrachten Kindern/Jugendlichen betreffend deren früheren Lebensverhältnisse? (Falls ja, bitte geben Sie uns die Daten für die letzten fünf Jahre bekannt.)

a)    Straftaten – Anzeigen und Verurteilungen?

b)    Alkohol- oder Drogenmissbrauch?

c)    Sexueller Missbrauch?

d)    Frühschwangerschaften etc.?

e)    Psychiatrische Einweisungen?

f)     Suizide und Suizidversuche?

15) Gibt es Evaluierungen zu fremduntergebrachten Kinern/Jugendlichen betreffend ihres Verhaltens während der Fremdunterbringung? (Falls ja, bitte geben Sie uns die Daten für die letzten fünf Jahre bekannt.)

a)    Straftaten – Anzeigen und Verurteilungen?

b)    Alkohol- oder Drogenmissbrauch?

c)    Sexueller Missbrauch?

d)    Frühschwangerschaften etc.?

e)    Psychiatrische Einweisungen?

f)     Suizide und Suizidversuche?

16) Gibt es allgemeine Evaluierungen der Träger und der einzelnen Einrichtungen?

a)    Gibt es eine Evaluierung der Kosten-Nutzen-Effizienz bei diversen Unterbringungseinrichtungen?

b)    Gibt es eine Evaluierung der besonderen Betreuungs- und Therapieformen?

c)    Gibt es eine Berechnung der Kosten der Unterbringung („Maßnahmenwettbewerb“)?

d)    Gibt es regelmäßige Überprüfungen der gesamten Geschäftsgebarung und regelmä-ßige Verhandlungen der Tarife bzw. der Tagessätze?

17) Wie hoch ist die Anzahl und wie ist die Qualifikation der Betreuer in der „Vollen Erziehung“?

a)    Wie viele Betreuer sind in diesem Bereich tätig? (Bitte um Auflistung nach Bundesländern.)

b)    Wie viele Kinder/Jugendliche hat ein Betreuer zu beaufsichtigen? Wie hat sich diese Betreuungsrelation in den letzten fünf Jahren entwickelt?

c)    Nach welchen Kriterien werden Pflegefamilien ausgesucht, wie und wie oft werden  diese kontrolliert?

18) Gibt es Prognosezahlen der künftigen Entwicklung der Anzahl von Kindesabnahmen und Fremdunterbringungen (= Volle Erziehung nach § 26) und der damit verbundenen Kosten für die öffentliche Hand?

19) Welche Maßnahmen werden gesetzt, um eine weitere Steigerung der Kindesabnahmen (Volle Erziehung nach § 26) zu verhindern bzw. die Anzahl und die Kosten sogar zu senken?

20) Wie viele Kinder/Jugendliche sind derzeit im Ausland untergebracht?

a)    In welchen Ländern sind diese Kinder/Jugendlichen untergebracht (Bitte jeweils die Anzahl der Kinder/Jugendlichen)?

b)    Aus welchen Bundesländern stammen die im Ausland untergebrachten Kinder/Ju-gendlichen (Bitte Auflistung nach Bundesländern und Anteil an der Gesamtzahl der fremduntergebrachten Kinder/Jugendlichen im jeweiligen Bundesland)?

c)    Wie hat sich die Anzahl der im Ausland untergebrachten Kinder in den letzten fünf  Jahren entwickelt?

21) Entspricht das Vorgehen der Kinder- und Jugendhilfe in Österreich der UN-Kinderrechts-konvention?

22) Wie viel kostet durchschnittlich die Unterbringung in der „Vollen Erziehung“ pro Monat? (Bitte um Auflistung für die letzten fünf Jahre.)

a)    Gibt es Unterschiede nach Bundeländern? Falls ja, wie hoch sind die durchschnittlichen Kosten in den jeweiligen Bundesländern? (Bitte um Auflistung für die letzten fünf Jahre.)

 

 

 

 

 

 

 

 



[1] https://www.bmfj.gv.at/familie/kinder-jugendhilfe/statistik.html