50/KOMM XXV. GP

 

Kommuniqué

der Enquete-Kommission zum Thema „Würde am Ende des Lebens“

Die Enquete-Kommission zum Thema "Würde am Ende des Lebens" hat in ihrer Sitzung vom 17. September 2014 einstimmig beschlossen, die auszugsweisen Darstellungen der öffentlichen Anhörungen als Kommuniqué zu veröffentlichen.

 

Am 7. November 2014 fand die erste öffentliche Anhörung statt, deren auszugsweise Darstellung angeschlossen ist.

Wien, 2014 11 07

                     Ulrike Königsberger-Ludwig                                              Mag. Gertrude Aubauer

                                 Berichterstatterin                                                                           Obfrau

 


 

Parlament Österreich

 

Enquete-Kommission

 

„Würde am Ende des Lebens

 

Bild des Parlamentsgebäudes

 

 

Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

 

3. Sitzung

Freitag, 7. November 2014

10.04 Uhr – 13.23 Uhr

NR-Saal


 

In der 1. Sitzung der Enquete-Kommission am 2. Juli 2014 wurde die Konstituierung vorgenommen; in der 2. Sitzung am 17. September 2014 Geschäftsordnungsfragen geklärt.

 

3. Sitzung: 7. November 2014

 

Referate

 

MMag. DDr. Elisabeth Steiner                                                                          5

 

Em. Univ.-Prof. Dr. Günter Virt                                                                        8

 

Waltraud Klasnic                                                                                             11

 

Dr. Maria Kletečka-Pulker                                                                               15

 

Dr. Harald Retschitzegger, MSc                                                                     18

 

Mag. Gottfried Michalitsch                                                                              22

 

DDr. Michael Landau                                                                                       24

 

Mag. Michael Chalupka                                                                                   26

 

 


 

Beginn der Sitzung: 10.04 Uhr

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer eröffnet die Sitzung der Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“ und gibt bekannt, dass Lukas Schöffel, ein junger Student der Wiener Filmakademie, seine Botschaft nicht schriftlich, wie viele andere, sondern als Kurzfilm eingesendet hat. Man wolle die Betroffenen hören, ihnen zuhören und diese Eindrücke an den Beginn der politischen Arbeit stellen. Die ergreifenden, stillen und berührenden Bilder führen, so die Obfrau, in die Palliativstation des Krankenhauses „Göttlicher Heiland“ in Wien.

*****

(In den folgenden 10 Minuten wird der Kurzfilm „Abseits“ gezeigt.)

*****

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer begrüßt nun offiziell die Anwesenden im Sitzungssaal sowie die Zuseherinnen und Zuseher an den Fernsehgeräten sowie im Internet und führt aus:

„Würde am Ende des Lebens“ ist ein wichtiges Thema: Wie wollen wir unsere letzten Tage verbringen?Das Thema geht uns alle an, sei es als Freund, sei es als Angehöriger. Ich habe selbst mit meinen Eltern erlebt, wie schwer es ist, von geliebten Menschen loszulassen.

Mehr als 600 Bürgerinnen und Bürger haben uns ihre Wünsche, ihre Sorgen, ihre Anliegen per Mail gesendet. – Herzlichen Dank! Ich darf Ihnen versichern, Ihre Anregungen werden in die politische Arbeit einfließen.

Unser Ziel ist es, Ängste und Sorgen zu nehmen. Niemand soll am Ende des Lebens alleingelassen werden. Da gibt es viel zu tun. Etwa 1 000 schwerst- und sterbenskranke Kinder brauchen spezialisierte Hospiz- und Palliativversorgung. Dieses Problem brennt unter den Nägeln. Diese Kinder können nicht warten! Ein wichtiger Auftrag an diese Enquete-Kommission also.

Wie schaffen wir einen würdevollen Umgang mit unseren Mitbürgern in der letzten Lebensphase? Das ist eine Grundfrage für uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier.

Es besteht seit 2001 ein Allparteien-Konsens, wonach Hospiz- und Palliativversorgung für alle leistbar und erreichbar sein soll. Vieles ist seither schon gelungen. Jetzt gilt es, diesen erfolgreichen Weg weiterzugehen, und zwar gemeinsam.

Wir freuen uns, denn mehr als 100 Expertinnen und Experten, Ärzte, Pflegekräfte, ehrenamtliche Helfer, die vielleicht tagtäglich an einem Hospizbett stehen, wollen uns unterstützen. – Herzlichen Dank!

Das Thema Lebensende wird sehr oft verdrängt, an den Rand der Gesellschaft geschoben. Wir wollen es in die Mitte holen, ins Zentrum der Politik, hier herein ins Parlament. Alle sechs Parteien, die hier im Parlament vertreten sind, haben schon vor dem Sommer ein gemeinsames Ziel beschlossen, nämlich ein würdevolles Lebensende zu ermöglichen und zu sichern.

Damit ist die Sitzung der Enquete-Kommission eröffnet. Ich wünsche uns allen konstruktive, erfolgreiche, sachliche Arbeit. Vielen Dank! (Beifall.)

Ich darf nun Frau Nationalratspräsidentin Doris Bures um einleitende Worte ersuchen. – Bitte, Frau Präsidentin.

*****

Präsidentin des Nationalrates Doris Bures: Ich freue mich sehr, dass wir heute zur ersten öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission zusammentreffen. „Würde am Ende des Lebens“, damit sprechen wir ein sensibles und gesellschaftspolitisch höchst bedeutsames Thema an. Der Tod ist die einzige wirkliche Gewissheit in unserem Leben. Leben und Sterben sind untrennbar miteinander verbunden. Daher betrifft uns dieses Thema auch, jeden Einzelnen/jede Einzelne von uns, und zwar zutiefst. Und dennoch: Der Tod gehört zu den letzten großen Tabus in unserer Gesellschaft. Wir sprechen nicht gerne über den Tod, nicht gerne über den eigenen Tod, über das eigene Sterben – noch über das unserer Angehörigen.

Ich denke, dass es daher umso wichtiger ist, dieses Thema im Parlament breit zu behandeln, denn es gibt eine Reihe von Fragen das Ende des Lebens betreffend, die diskutiert werden sollen und die, wie ich meine, auch einer Klärung bedürfen: Wie wollen wir sicherstellen, dass Menschen ihren individuellen Bedürfnissen und Wünschen gemäß den Lebensabend auch in Würde verbringen können? Was ist darunter überhaupt zu verstehen? Lässt sich Würde in diesem Zusammenhang auch allgemein verbindlich definieren? Welchen Beitrag kann die Hospiz- und Palliativmedizin leisten? Haben wir die richtigen Instrumente? Haben wir mit der Patientenverfügung, der Vorsorgevollmacht die bestmögliche Regelung gefunden – oder gibt es Nachbesserungsbedarf? Und nicht zuletzt auch die Frage: Was ist selbstbestimmtes Leben, was ist selbstbestimmtes Sterben?

All das sind wirklich wichtige Themen, aber es sind vor allem sehr sensible Fragen, die in den nächsten Wochen und Monaten unter Einbindung von Expertinnen und Experten aus allen Bereichen – aus dem Bereich der Palliativmedizin, der Hospiz, aus Ethik, Recht, Kirche, Bund, Länder, Gemeinden, Organisationen – verantwortungsbewusst diskutiert werden sollen. Und das erscheint mir, auch mit Blick zurück auf düstere Kapitel in unserer Vergangenheit, doch wesentlich. Es sind Fragen, die nur in einer gefestigten Demokratie mit einer ausgeprägten Rechtsstaatlichkeit diskutiert werden können und diskutiert werden sollen. Und Österreich ist ein solches Land.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Frau Vorsitzende hat es angesprochen: Es gibt großes Interesse an dieser Diskussion. Ein einziger Aufruf auf der Homepage des Parlaments hat dazu geführt, dass 600 Meinungen, Stellungnahmen, Positionen zu diesem Thema eingelangt sind und sich unzählige Organisationen und Verbände schon im Vorfeld an dieser Diskussion beteiligt haben.

Daher freut es mich wirklich, dass die heutigen Beratungen hier im Plenarsitzungssaal des Nationalrates stattfinden und dass die Beratungen dieser Enquete-Kommission nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden, sondern in einer öffentlichen Anhörung. So nützen wir nämlich auch die Chance, den politischen Diskussionsprozess einem möglichst breiten und auch großen Publikum über das Fernsehen, über Live-Stream näherzubringen, weil es auch darum geht, dass wir wieder mehr Menschen für demokratische Partizipation, demokratische Prozesse und Politik begeistern wollen.

Folgendes gilt über alle Themen und über alle Zeiten hinweg: Wer nicht mitentscheidet, muss die Folgen der Entscheidungen hinnehmen, die andere eben für ihn treffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem Sinne wünsche ich Ihnen erkenntnisreiche und konstruktive Debatten und Gespräche in dieser Enquete-Kommission. Alles Gute und viel Erfolg. (Beifall.)

*****

Impulsreferate

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer leitet nun über zu den Impulsreferaten und erteilt als erster Referentin Dr. Elisabeth Steiner das Wort.

MMag. DDr. Elisabeth Steiner (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte): Ich habe Ihnen gedanklich ein Buch mitgebracht, das die meisten von Ihnen kennen werden: Antoine de Saint-Exupérys „Kleiner Prinz“ ist die Geschichte des Verlassens und Gehen-Lassens. Es ist für den heutigen Anlass passend, weil es in seiner Selbstverständlichkeit ein so komplexes Thema zu einer einfachen Geschichte macht, an deren Ende die Erkenntnis steht: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“

In diesem Sinne schauen wir also hin.

Was kann ich als Juristin zum Thema „Würde am Ende des Lebens“ mitgeben?, habe ich mich gefragt, noch dazu in 10 Minuten. Was kann unser aller Blick schärfen für Schicksale und die Situation der Begleitenden? Denn damit haben wir es – bei aller legistischer Regulative und Institutionalisierung – immer und in erster Linie zu tun.

Prof. Peter Wippermann hat in den neunziger Jahren und bis heute hochaktuell einen Begriff geprägt, der für diese unsere Diskussion und die Anforderungen, die an uns alle gestellt sind, vielleicht am besten passt: Simplexity. Eine Wortschöpfung aus den sich widersprechenden Begriffen „Einfachheit“ und „Komplexität“. Dieser Begriff beschreibt die Problemsituation, mit der wir auch hier konfrontiert sind: Es gilt, die Balance zwischen wachsender Alltagskomplexität und persönlicher Zufriedenheit zu finden – nicht mehr nur im alltäglichen Leben, sondern auch im Sterben. Denn obwohl Einfachheit – auch für Gesetze – propagiert wird, gerät die Vielzahl der Optionen zum Paradoxon. Auch damit haben wir es zu tun.

Fest steht, wir alle müssen, können, werden sterben. Die Frage ist: Wann und wie müssen beziehungsweise dürfen wir das? Und: Dürfen wir es aktiv betreiben, um unsere Würde zu wahren?

Sterben ist für uns ungeheuerlicher als der Tod, weil wir es erleben. Der Tod ist ein statisches, ein zu akzeptierendes Faktum. Sterben hingegen eine sich dynamisch entwickelnde Perspektive. Wir alle müssen Sterben erleben – egal, ob wir es passiv erfahren oder aktiv betreiben, ob wir es alleine mit uns ausmachen oder uns begleiten beziehungsweise helfen lassen.

In Würde zu sterben, bedeutet also für uns, in Würde das Leben zu beenden. Das macht Angst. Angst, weil wir niemanden fragen können, wie er das Sterben eigentlich erlebt hat, weil es kein Feedback gibt, woraus wir als Gesellschaft, als Juristen, als Begleitende oder einmal Betroffene lernen könnten. Angst vor Verantwortung, wenn es um andere geht, und Angst vor Leid und Schmerzen, vor dem Verlust der Autonomie und damit der Würde, wenn es sich um uns selbst oder um uns anvertraute oder geliebte Personen handelt.

Aber muss Sterben, so wie Thomas Bernhard meinte, „die größte Demütigung des Menschen“ sein, weil es den Totalverlust der Autonomie bedeutet? Warum beschäftigt uns dieses Thema jetzt so aktuell? Warum wurde Sterbehilfe nicht schon vor hundert Jahren gesetzlich thematisiert? Der Begriff „unantastbare Menschenwürde“, der Grundstein aller Freiheitsrechte ist, gehört erst seit 1945 zum Begriffsbestand unserer Rechtsordnungen. Und bis heute besteht keine hundertprozentige allgemeine Übereinstimmung über den Bedeutungsgehalt dieses Begriffes. In der Menschenrechtskonvention kommt der Begriff „Menschenwürde“ nicht explizit vor; dennoch ist er die Basis der gesamten Konvention.

In den Jahren seines Bestehens hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte immer wieder mit der Grundsatzfrage befassen müssen, ob Menschenrechte, also das Recht, in Würde zu leben, auch das Recht auf ein ebensolches Sterben garantieren sollen und in welchem gesetzlichen Rahmen dies vor sich gehen soll.

Jedes einzelne dieser Schicksale war berührend, in seiner Bitte auf Lebensbeendigung bedrückend und in der Verantwortung einer Entscheidung erdrückend.

Dass das Recht auf ein Leben in Würde, so schwer es manchmal erkämpft ist, Hoffnung auf eine bessere Zukunft bedeutet, ist bei aller Komplexität tröstlich. – Der Kampf um das Recht auf ein Sterben in Würde ist nur traurig.

Wenn wir über Sterbehilfe sprechen, meinen wir, zusammengefasst, all jene Handlungen, mittels deren einem Menschen ein „guter Tod“ ermöglicht wird, nämlich sorgfältige Pflege, Schmerzminderung und -linderung, seelische und religiöse Betreuung, so gewünscht, und soziale Absicherung. Wir diskutieren damit aber auch Handlungen, die im Interesse des Sterbenden und seinem Wunsch gemäß der Beschleunigung des Sterbens unter Wahrung seiner Würde dienen.

Aus dem Gesichtspunkt der Menschenwürde gibt es kein Argument gegen den Suizid. Die Fähigkeit zur Selbstbestimmtheit schließt das Vermögen ein, die eigene Existenz zu bewerten, in Frage zu stellen und ihr aufgrund einer entsprechenden freien Willensentscheidung selbst ein Ende zu setzen. Ein Mensch, der sich selbst tötet, macht von seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung radikalen, aber legalen Gebrauch und kann in bestimmten Fällen dadurch seine Würde wahren.

Wer den Tod und ein damit verbundenes Siechtum unmittelbar vor Augen hat und dem durch die Selbsttötung zuvorkommen will, handelt nicht so, weil er seine Lebenschancen falsch einschätzt. Er handelt wie Diane Pretty oder Brittany Maynard so, weil er objektiv keine Chance mehr auf ein Leben hat, das ihm lebenswert erscheint. Der Wunsch, sich zu töten, müsste in einem solchen Fall gerade aus dem Gesichtspunkt der Menschenwürde geachtet werden.

Auch mit diesen Überlegungen hat sich der Europäische Gerichtshof in den letzten zehn Jahren immer wieder beschäftigt und ist zu folgenden Schlüssen gekommen:

Aus Artikel 2 der Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Leben schützt, ergibt sich kein Recht des Einzelnen, das den Staat oder Dritte verpflichten könnte, Handlungen zu setzen, die den eigenen Tod ermöglichen würden.

Auch aus dem Artikel 3 der Menschenrechtskonvention, der unter anderem unmenschliche und erniedrigende Behandlung verbietet, haben wir in keiner Entscheidung abgeleitet, dass der Staat zu irgendeinem Zeitpunkt verpflichtet wäre, Handlungen zu gestatten, die es erlauben würden, den Tod herbeizuführen. Das bedeutet, dass kein Anspruch an den Staat auf Sterbehilfe besteht.

Vorausgegangen ist dieser Entscheidung ein tragischer Fall in England. Frau Pretty, eine todkranke 43-jährige Beschwerdeführerin, litt an einer unheilbaren Muskelschwäche, war verheiratet und lebte mit Kind, Mann und Enkelkind gemeinsam in einem Haushalt. Zum Zeitpunkt, als sie vor unserem Gericht auf einer Bahre erschien, war sie bereits vom Kopf abwärts gelähmt. Sie war aber geistig völlig klar und fest entschlossen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, bevor sie im weiteren Krankheitsverlauf qualvoll ersticken würde. Da sie aber aufgrund ihrer Lähmung selbst nicht mehr zur Ausführung eines Selbstmordes in der Lage war, beantragte sie für ihren Mann Straffreiheit, damit ihr dieser bei der Selbsttötung aktiv helfen könne.

Erst in den letzten Jahren haben wir aus Artikel 8, der unter anderem das Recht auf Privatleben jedes Einzelnen regelt, abgeleitet, dass jeder Mensch das Recht hat, so er in der Lage ist, frei zu wählen und entsprechend selbst zu handeln, selbst zu entscheiden, wann sein Leben enden soll.

Unmissverständlich hat der Gerichtshof aber auch zum Ausdruck gebracht, dass der Staat verpflichtet und berechtigt ist, das Leben und die Gesundheit der Menschen zu schützen, auch mit den Mitteln des Strafrechts, und dass, so wie in Österreich vorgesehen, ein strafrechtliches Verbot der Sterbehilfe menschenrechtskonform ist.

So ist die derzeitige österreichische Regelung der §§ 77 StGB, Verbot der Tötung auf Verlangen, und 78 StGB, Verbot der Mitwirkung am Selbstmord, die aktive Sterbehilfe ausschließt, im Einklang mit der Menschenrechtskonvention und mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Dies begründet sich dadurch, dass zwar mit Artikel 8, das Recht auf Achtung des Privatlebens, in das Leben jedes Einzelnen eingegriffen wird, aber dieser Eingriff verhältnismäßig ist und im Gestaltungsspielraum der Staaten liegt.

Aus Sicht der Menschenrechtskonvention, die in Österreich im Verfassungsrang steht, ist diese Regelung ausreichend und klar. Wieso sind wir denn dann alle heute hier?

Ja, wir haben ein schwerpunktmäßig auf Krankenhäuser ausgerichtetes Angebot an palliativmedizinischen und schmerztherapeutischen Angeboten, aber leider ist der Beschluss der letzten Parlamentsenquete aus dem Jahre 2001 betreffend flächendeckende Hospizversorgung noch immer nicht umgesetzt. Auch haben wir die leider viel zu wenig genützte Möglichkeit von Patientenverfügungen.

Was aber ist mit jenen Betroffenen, die diese Institutionalisierung nicht erfasst? Mit chronisch Kranken, dem Tode geweihten Menschen, die aus der hospitalen Versorgung herausfallen, wie eben Diane Pretty? Was ist mit jenen, die nicht warten wollen, bis der Tod kommt, sondern ihm würdevoll und zeitlich selbstbestimmt entgegengehen möchten, aber dabei Unterstützung brauchen und wünschen?

Unser ganzes demokratisches System basiert auf Vertrauen – im Bewusstsein, dass es missbraucht werden kann. In einer Sache allerdings – so stellt sich mir die Diskussion manchmal dar – scheuen und misstrauen wir diesem Grundsatz: in der persönlichen Entscheidung, wann, wie und wo mein Leben beendet werden soll. In jener Entscheidung, die wir als allerletzte und mit der Konsequenz, sie nicht revidieren zu können, zu treffen haben. Und das gerade deshalb, weil wir Rechtsstaatlichkeit, soziale Verantwortung und Menschenrechte unserem gesellschaftlichen, sozialen und staatlichen Leben vorangestellt haben.

Stehen wir uns also selbst im Wege? Geht also der Kern der Debatte in erster Linie darum, dass neben der individuellen persönlichen Beurteilung, dass mein Leben nicht mehr lebenswert ist, mit Blick auf unsere nähere Geschichte, sich Dritte dieses Recht anmaßen können? Können wir das verhindern – und wie?

Deshalb müssen wir uns mit dem Knackpunkt rund um die Sterbehilfe intensiv beschäftigen: Macht die aktive Abschaffung des Leidens die Türe auf zur Abschaffung der Leidenden? Ich meine, nicht mehr oder nicht weniger als bisher. Die Achtung vor sterbewilligen Menschen gebietet, diese Diskussion unter dem Blickpunkt der Selbstbestimmung – natürlich freie Willensbestimmung vorausgesetzt – zu führen.

Der Anspruch auf einen menschenwürdigen Tod ist legitim. Er leitet sich aus dem Recht des Menschen ab, über sein Leben eigenverantwortlich und im Rahmen seiner einzigartigen Biographie zu entscheiden. Das individuelle Sterben – so möchte ich es als Juristin nennen – ist nicht nur Ausdruck der Einzigartigkeit, sondern vor allem Bestandteil des Lebens selbst.

Eine individuelle Unverfügbarkeit über das menschliche Leben kann dabei nicht auf christlich-religiöse Glaubenssätze gestützt werden, weil sich die Verfassungsrechtsordnung in Österreich zu Neutralität gegenüber verschiedenen Bekenntnissen verpflichtet sieht. Missbrauchsgefahr ist selbstverständlich zu begegnen. Sie kann aber nicht Grund sein, dass das aus der Menschenwürde abgeleitete Recht auf einen würdigen eigenen Tod, in dem der jeweilige individuelle Achtungsanspruch zum Ausdruck kommt, nicht gewährleistet wird.

Es ist erfreulich, dass wir immer älter werden. Weniger erfreulich ist, dass unser Sterben einen hohen Grad der Hospitalisierung erreicht hat, denn damit sind mehr Menschen in das Sterben eines Einzelnen involviert denn je. Sterben wollen und dürfen, so erscheint es mir auch in vielen Diskussionen im Europäischen Gerichtshof, ist in einzelnen, ganz besonders tragischen Fällen von der intimsten Privatsache längst zum öffentlichen Interesse geworden.

Die Frage, ob ein soziales Grundrecht auf würdevolles Sterben in die Bundesverfassung aufgenommen werden soll, ist politischer Natur, wird sich in einer eventuellen konkreten Ausgestaltung aber an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes orientieren müssen. Eine Einwilligung in die eigene gezielte Tötung ist verfassungsrechtlich wie strafrechtlich selbstverständlich irrelevant. Aus Sicht des Europäischen Gerichtshofes scheint die österreichische einfachgesetzliche strafbare Regelung vollständig ausreichend.

Ein entsprechendes flächendeckendes Angebot, ein würdevolles Sterben für alle Menschen in diesem Land möglich und erreichbar zu machen, ist – so meine ganz persönliche Meinung – eine soziale gesamtgesellschaftliche Verpflichtung. Als Juristin, aber auch als Angehörige und letztlich als irgendwann Betroffene kann ich nur eines gesichert sagen: Wirklich gut werden wir alle letztlich nur mit dem Herzen sehen können. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

*****

Em. Univ.-Prof. Dr. Günter Virt (Mitglied der European Group on Ethics in Science and New Technologies): Diese Enquete befasst sich mit einer Aufgabe, die noch vor einem jeden von uns liegt: mit dem Sterben. Unser Sterben gehört zum Leben, und die Bewältigung dieser Aufgabe wird unsere letzte Lebensaufgabe sein. Statistisch gesehen bin ich mit meinen bald 75 Jahren vermutlich einer in diesem Kreis, der als Nächster diese Aufgabe zu bestehen haben wird.

Worin besteht diese Aufgabe? – Jede Lebensphase – und viele haben wir schon hinter uns – hat ihre besonderen Aufgaben, wie uns gerade Identität, Lebenszyklus, tiefenpsychologische Aspekte zeigen, und wie bei jeder Lebensaufgabe bedarf der Mensch der Hilfe anderer.

In der letzten Lebensphase gilt es, das Leben, das nun erstmals als Ganzes vor oder hinter uns liegt, mit all seinen Höhen und Tiefen anzunehmen – und Angenommenes auch loszulassen, denn wirklich loslassen können wir nur das, was wir vorher angenommen haben. Darin liegt vermutlich einer der Gründe dafür, dass viele Menschen so schwer sterben können, dass sie nicht loslassen können und so oft ohne Hoffnung sind.

Damit sind drei wichtige Aspekte der Hilfe angegeben: helfen beim Annehmen angesichts oft ungelöster Probleme, helfen beim Loslassen und helfen bei der Freilegung der Hoffnung, die ein Leben bisher getragen hat. Und das braucht Zeit.

Wie es gelingen kann, den sterbenden Menschen in dieser seiner letzten Lebensaufgabe zu würdigen und ihm zu helfen, hat Kardinal König in ein ebenso einfaches wie humanes Wort gefasst: Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen und nicht durch die Hand eines anderes Menschen sterben.

Bereits im Juni 1999 ist auf Initiative der österreichischen Abgeordneten und Vizepräsidentin des Europarates, Frau Edeltraud Gatterer – die ich sehr herzlich begrüße – ein wegweisendes Dokument über den Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde Sterbender in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit sehr großer Mehrheit beschlossen worden.

Schon im Jahre 1998 wurde ich vom Generalsekretariat des Europarates in Straßburg beauftragt, einen entsprechenden Text zu verfassen, den ich mit einem multidisziplinären Team ausgearbeitet habe. Dass diese Empfehlung vom Ministerrat willkommen geheißen und auch in der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes bestätigt wurde, haben wir gehört.

Diese Empfehlung analysiert zunächst die am häufigsten geäußerten Ängste vor dem Sterben und gibt dann in drei Schritten die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Menschenwürde und Menschenrechte Sterbender vor.

Erstens: die rechtliche Sicherung des Zugangs zur palliativen Behandlung auf hohem qualitativem Niveau. Dabei geht es vor allem um die Ausbildung und Organisation von Palliativstationen und stationären und mobilen Hospizdiensten. Unbestritten kann die Palliative Care, Palliativ-Pflege im umfassenden Sinne, heute auf hohem Niveau, physische, psychische, soziale und spirituelle Leiden – wie die Weltgesundheitsorganisation sagt – multiprofessionell lindern.

Palliativmedizin ist sicher nicht die teuerste, aber wohl eine der menschlichsten Errungenschaften der Medizin.

Der zweite Punkt: die Stärkung der Selbstbestimmung Sterbender in dem Sinn, dass niemand gegen seinen Willen medizinisch behandelt oder weiterbehandelt wird und somit ein Sterbeprozess künstlich in die Länge gezogen wird. Die gesetzliche Verankerung von Patientenverfügungen und -vorsorgevollmachten für den Fall, dass der Mensch nicht mehr selbst entscheidungsfähig ist, haben wir in dieser Empfehlung für alle derzeit 47 Mitgliedstaaten angeregt. Österreich ist dieser Empfehlung gefolgt, und ich freue mich schon auf das Referat von Frau Kletečka-Pulker in diesem Zusammenhang.

Der dritte Punkt dieser Empfehlung: die Sicherstellung, dass Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in dem es heißt, dass niemand absichtlich seines Lebens beraubt werden soll, auch für Sterbende und terminal kranke Menschen gilt. Das Verlangen eines Kranken kann, so der letzte Satz dieser Recommendation, daher niemals die Rechtfertigung dafür sein, durch die Hand eines anderen Menschen zu sterben.

Es lohnt sich, auch die Erläuternden Bemerkungen zu dieser Empfehlung zu lesen. Ich hoffe, sowohl die Recommendation als auch die Erläuternden Bemerkungen liegen in den Couloirs für jeden einsichtig auf.

In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf das Arbeitsprogramm der amtierenden österreichischen Bundesregierung, die sich vorgenommen hat, dafür zu sorgen, dass alle Menschen in unserem Land den gleichen und rechtlich abgesicherten Zugang zu Hospiz und Palliativversorgung bekommen. „Zugleich“ – ich zitiere wörtlich – „soll ein nachhaltiges Bekenntnis zum Verbot der Tötung auf Verlangen abgegeben werden.“ – Zitatende.

Wie ein solches nachhaltiges Bekenntnis aussehen könnte, dazu hat der Österreichische Verfassungs-Konvent bereits im Jahre 2004 Vorschläge eingebracht.

Worin können und sollen die nächsten Schritte zur nachhaltigen Absicherung bestehen? Wo könnte und müsste eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation herbeigeführt werden? – Im Bereich der Palliativversorgung und Hospizdienste geht es um einen wirklich flächendeckenden Ausbau, sodass der gleiche Zugang für wirklich alle Bürger gewährleistet ist. Es geht um eine nachhaltige Finanzierung dieser Dienste. Frau Klasnic wird dazu ausführlich Stellung nehmen.

Es geht weiters um die Sicherstellung, dass bürokratische Hindernisse eine effiziente Schmerztherapie nicht gefährden dürfen. Das gilt vor allem im Hinblick auf praktische Ärzte, die Schmerzpatienten und terminal kranke Menschen daheim begleiten.

Es geht um die Schaffung und Weiterentwicklung von interdisziplinären Ausbildungen nach dem Beispiel des Universitätslehrganges Palliative Care des Dachverbandes Hospiz Österreich mit einem Masterabschluss.

Im Rechtsbereich geht es um eine nach dem Regierungsprogramm wirklich adäquate nachhaltige Absicherung der in Österreich bewährten gegenwärtigen Gesetzeslage. Eine Absicherung dieser Gesetzeslage angesichts einzelner Entwicklungen in Europa halte ich für besonders dringlich, da Gesetze etwa in den BENELUX-Staaten zunächst die Tötung auf Verlangen im terminalen Stadium zuließen, dann auch bei psychisch Kranken, jetzt auch bei Kindern und auch bei Strafgefangenen. Unter – wie es heißt – „gewissen Sorgfaltsbedingungen“ darf dort getötet werden. Ähnliche Trends zeigen sich auch schon in anderen einzelnen Staaten.

Es geht aber auch um unsere Verantwortung der nachhaltigen Absicherung unserer Gesetzeslage gegenüber künftigen Generationen, denn der Grat zwischen einem Recht, zu sterben, wenn man es sich wünscht, und der „Pflicht“ zu sterben ist, wie die Erfahrung in den Staaten, die die Tötung auf Verlangen billigen, mehr als gefährlich schmal.

Meine Damen und Herren, wir leben in einer Zeit, in der Autonomie des Menschen zu einer alles überragenden und oft isolierten Priorität geworden ist. Die sich daraus ergebenden Entwicklungen schlagen sich auch in der Forderung nach einem autonomen selbstbestimmten Sterben nieder. Dazu möchte ich nach vielen Diskussionserfahrungen im europäischen Kontext sagen: Jede überzogene Autonomie, die die Tötung auf Verlangen einschließt, liefert den Kranken, die Angehörigen und auch Ärzte unweigerlich einem subtilen und niemals genau überprüfbaren Druck aus. So kann gerade die konkrete Autonomie unter dem Vorwand einer abstrakten Autonomie ausgehöhlt werden.

Neue Publikationen etwa aus den Niederlanden zeigen, dass die staatliche Billigung einer Tötung auf Verlangung der konkreten Selbstbestimmung des Kranken mehr schadet als nutzt. Es wäre ein gefährliches Signal, wenn in einer Gesellschaft die Antwort auf Not und Leid sterbender Mensch im Hinweis darauf bestünde, dass man sich den Tod ja wünschen kann und dieser Wunsch erfüllt wird – anstatt die Motivationskräfte zur Solidarität mit den Leidenden zu mobilisieren.

Es geht um eine Richtungsentscheidung. Die Würde des Menschen ist mit seinem Menschsein gegeben. Sie ist nicht von bestimmten Fähigkeiten und Umständen abhängig, sie muss nicht erst erworben oder erleistet werden, sie muss nicht von außen zugeschrieben werden – und sie kann auch nicht verloren gehen, auch nicht in Situationen der Schwäche und Abhängigkeit. Die Würde kann aber verletzt werden: sowohl durch ein Tun als auch durch ein Unterlassen, wie uns die leidvolle Geschichte und die Gegenwart zeigen.

Deshalb gilt es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Mensch auch in leidvollen Situationen körperlicher und geistiger Beeinträchtigung als Person gewürdigt wird. Auch die Erfahrung von Abhängigkeit und Hilfe und Passivität gehören zum Menschsein in seiner unveräußerlichen Würde. Ganz grundlegende Erfahrungen unseres Menschseins, dass wir geboren werden, dass wir geliebt werden, sind Erfahrungen, die wir passiv annehmen.

Ich fasse zusammen: Aus dem Recht auf Leben lässt sich zwar keine Pflicht des Einzelnen zum Leben ableiten, wohl aber die Pflicht der Rechtsgemeinschaft zum Schutz des Menschenlebens. Den leidenden und sterbenden Menschen in ihrem Leid verbunden zu sein, heißt, ihre Leiden lindern zu helfen und ihnen mit allem, was dieser Linderung dient, zur Seite zu stehen; das ist unsere Aufgabe. Nur so kann das Wort „Sterbehilfe“ wieder seinen ursprünglichen und nicht wie weithin heute verfälscht gebrauchten Sinn bekommen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Waltraud Klasnic (Präsidentin Dachverband Hospiz Österreich): Über dieses Thema zu sprechen, lässt keinen von uns kalt, es sind immer Emotionen damit verbunden, aber es ist ein Auftrag. Und wenn ich „Auftrag“ sage, dann meine ich zum einen die Politik – und bedanke mich auch gleich dafür, dass wir heute mit dieser Enquete starten können –, denn die Politik hat eine umfassende Verantwortung, zum anderen aber nicht nur die Politik, sondern auch den einzelnen Menschen.

Sie, die Sie heute hier sind, und viele, die uns zuhören, sind jene, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Nächsten in einer vielleicht oft ganz schwierigen und schweren Zeit. Es bedarf der Hospiz- und Palliativbewegung in Österreich, es bedarf der Angehörigen, die man begleiten, in ihrer Trauer, in ihrer Aufgabe schützen muss, und es bedarf auch der Aufgabe, über unser eigenes Leben nachzudenken.

Ich selbst bin im Jahre 1977 in diesem Haus angelobt worden und habe mich mit der Hospizaufgabe lange Jahre in der Steiermark und nun seit nahezu acht Jahren als Nachfolgerin von Schwester Hildegard Teuschl im Dachverband Hospiz einbringen können. Der Dachverband ist eine Organisation, in der neun Landesorganisationen und überregionale Organisationen wie die Caritas, das Rote Kreuz, die Vincenz Gruppe, die OPG, und, und, und zusammenarbeiten. Dass wir das wollen und können, haben wir auch klar aufgezeigt.

Am 1. April dieses Jahres fand eine Enquete statt. Gemeinsam mit Herrn Professor Watzke von der OPG – damals war er noch Präsident, heute ist es Herr Harald Retschitzegger – haben wir mit dieser Enquete ein Licht entfacht. Die Menschen wurden angeregt, nachzudenken, und sie haben gesagt: Wir müssen darüber reden, wir dürfen nicht schweigen!

Und das hat die Politik angenommen und ist mitgegangen. Ich bedanke mich auch bei den Mandatarinnen und Mandataren, die dort anwesend waren.

Für den Dachverband muss ich aber noch etwas sagen. Bei uns geht es nicht darum, von welcher Glaubensgemeinschaft jemand kommt, von welcher Partei, sondern es geht immer um den einzelnen Menschen, vor allem bei Schwerkranken und Sterbenden.

Dass wir zusammenarbeiten können und wollen, haben wir gezeigt, indem wir eine gemeinsame Stellungnahme zum Thema „Würde am Ende des Lebens“ eingebracht haben. Wir haben sie auch verteilt, ich habe auch ersucht, sie an die Mandatare und im ganzen Land auszuschicken. Hospiz, Caritas, Rotes Kreuz, Vincenz Gruppe, OPG – wir treten dafür ein, dass Hospiz- und Palliativversorgung bundesweit bedarfsgerecht, flächendeckend umgesetzt wird und für alle Menschen jedes Alters, die sie brauchen, erreichbar, zugänglich und leistbar wird.

Damit kommen wir zum Thema: erreichbar, zugänglich und leistbar. – Wenn ich die Medienberichterstattung in den letzten Wochen so betrachte und verfolge, dann muss ich sagen, so viel wie in diesen letzten Monaten ist über Hospiz, palliativ, Sterben in Würde, Leben noch nie geschrieben worden, und das heißt, wir sind auf einem richtigen und wichtigen Weg.

Dieses gemeinsame Papier ist eine gute Grundlage und ergänzt auch die Kapitel 4 und 7 der Regierungserklärung, worauf ich noch zurückkommen werde.

In der österreichischen Hospiz- und Palliativversorgung ist vieles noch nicht ausreichend. Wesentliche Voraussetzungen dafür sind, dass der Bedarf und die Bedürfnisse selbstverständlich sein müssen, aber leider, wie gesagt, fehlt sehr vieles. Ich bringe nun einige Beispiele.

Zunächst zu einem Dankesbrief, ein Dankesbrief an Caritas Socialis in Wien. Man muss vorausschicken, dass im Text immer von „Hospiz“ gesprochen wird, dass die Palliativstation aber auch dort ist, wo man aufgrund von Spenden wirklich vielen Menschen Herberge bis zum Sterben geben kann.

In diesem Brief heißt es:

Ich möchte mich noch einmal an dich wenden. Mein Vater ist am 16.7. verstorben, und ich konnte zusammen mit meinem Sohn bei ihm sein. – Dieser Brief ging an die Palliativbegleiterin. – Meiner Familie und mir ist es ein großes Anliegen, mich bei dir sowie beim Team des mobilen Hospizes und beim Team Oberzellergasse herzlichst zu bedanken. Ihr habt es uns ermöglicht, unseren Vater bis zuletzt, so wie es sein Wunsch war, zuhause zu behalten. Aufgrund der starken gesundheitlichen Verschlechterung ging es nicht mehr. Er hat einen Platz im Hospiz bekommen, und damit war die perfekte Begleitung bis zu seinem Lebensende geschenkt. Wir waren beeindruckt von der Professionalität, von der menschlichen Wärme, von der Unkompliziertheit, und vieles könnte man noch aufzählen. Danke für die Hilfe an meinen Vater in diesen schweren Stunden.

Jetzt lese ich Ihnen noch zwei Briefe vor.

Hospiz Salzburg. – Im Sommer kommen zwei junge Studenten zu mir ins Hospiz. Ihre Mutter ist an einem Hirntumor erkrankt, die Diagnose haben sie erst vor einigen Wochen bekommen, und sie möchten gerne ihre Mutter zu uns ins Hospiz geben, sodass sie in Frieden ihren Wünschen entsprechend sterben kann. Als ich ihnen mitteile, dass ein Tag im Hospiz 170 € kostet, schauen sie mich entgeistert an und erklären mir, dass sie sich das nicht leisten können. Es ist zur Aufnahme der Mutter nicht gekommen.

Zweiter Brief: Eine Patientin kommt zu uns. Sie leidet an einer weit vorgeschrittenen Karzinomerkrankung und möchte ihre letzten Lebenstage bei uns im Hospiz verbringen. Sie erklärt mir, dass sie eine gewisse Summe zur Deckung der Hospizkosten zur Verfügung hat, und sie hofft, dass sie in diesem Zeitraum sterben wird. Immer wieder bei der Visite hat sie nachgefragt, ob sich das mit dem Geld wohl ausgehen wird. – Welch unnötiger Druck am Ende des Lebens!

Meine Damen und Herren, mit diesem Beispiel möchte ich Ihnen zeigen, dass es in Österreich heute noch abhängig davon ist, wo der Wohnort ist, wie das Spendenaufkommen der Hospiz- und Palliativeinrichtungen ausschaut, wie die persönlichen finanziellen Verhältnisse sind, ob man dann am Ende des Lebens eine gute Betreuung erwarten und erhalten kann. Und woran liegt das?

Was wir brauchen, ist eine kreative, bereichsübergreifende Lösung für die Finanzierung und die Zuständigkeit. Hospiz- und Palliativversorgung betrifft die Bereiche Gesundheit und Soziales, die Sozialversicherungen, das Verhältnis Bund und Länder.

Deshalb haben wir in dieser gemeinsamen Forderung, die ich angesprochen habe, auch die Forderung auf ein Recht auf Hospiz- und Palliativförderung eingebracht – in der Hoffnung, dass es zu dieser geregelten Finanzierung, zu einer flächendeckenden und bedarfsgerechten Umsetzung kommen kann. Es ist hoch an der Zeit, dass es für Menschen jedes Alters bundesweit flächendeckend erreichbar, zugänglich und leistbar ist, wenn Hospiz- und Palliativversorgung gebraucht werden.

Wir haben dazu in Österreich sehr gute Vorarbeiten. Wir haben – ich betrachte das als Geschenk – ein Konzept zur spezialisierten Hospiz- und Palliativversorgung und verfügen über Bedarfsrichtwerte. Vom ÖBIG wurde gemeinsam mit den Expertinnen und Experten des Dachverbandes Hospiz in Österreich ein Papier entwickelt. Dieses wurde auch von der Politik akzeptiert und fand seinen Weg in den Österreichischen Strukturplan Gesundheit.

Gehen wir doch gemeinsam diesen Weg und machen wir es nicht so, wie Michael Häupl vor kurzer Zeit gesagt hat: Artikel-15a-Vereinbarungen stehen nur auf dem Papier, eingehalten werden sie nicht.

Die Grundlage der Zahlen in diesem Papier ist die Bevölkerungszahl laut Statistik Austria vom 31.12.2013, und diese Bedarfsberechnungen gemäß ÖBIG sind genau und laufen immer mit der Datenerhebung des Dachverbandes Hospiz synchron.

Einige Beispiele: Die Anzahl der Palliativbetten ist österreichweit gesehen zu 90 Prozent erreicht. Das kann sich in einzelnen Regionen und Bundesländern anders darstellen, aber diesen hohen Wert von 90 Prozent verdanken wir der Regelfinanzierung gemäß LKF.

Anders ist die Situation bei den Hospizbetten. Stationäre Hospize sind Herbergen bis zuletzt und bieten Platz, wenn die Situation zu Hause oder in einem Heim nicht mehr tragbar ist und nicht mehr nur die Pflege im Vordergrund steht. 87 Betten gibt es in Österreich, sie verteilen sich auf drei Bundesländer und neun Standorte. Freudige Nachricht: Ein Bundesland kommt dazu. Vorarlberg wird ein Hospiz errichten.

Tageshospize machen in Ballungsräumen Sinn und sind für alle Landeshauptstädte vorgesehen. Sie bieten fachgerechte Betreuung untertags und entlasten Angehörige. Derzeit haben wir ein Tageshospiz in Wien, in Graz, in Salzburg und in St. Pölten. Mangels Finanzierung können diese aber auch nur wenige Tage in der Woche geöffnet sein.

Palliativkonsiliardienste sind für alle Krankenhäuser vorgesehen. Sie unterstützen palliativmedizinische und palliativpflegerische Aufgaben an den Stationen. Unsere Statistik sagt, dass es in den Krankenhäusern ab 100 Betten natürlich etwas braucht und wir dort einen Aufholbedarf haben. Die Zahl momentan in Österreich lautet: 34 Prozent sind erreicht. Da gibt es Nachholbedarf.

Um auch eine Versorgung zu Hause und damit auch ein Sterben zu Hause zu ermöglichen, wurden mobile Palliativteams eingerichtet. Mobile Palliativteams sind zu 74 Prozent erreicht. Das heißt, dass interdisziplinär gearbeitet werden kann, aber es gibt Wartezeiten, denn der Bedarf ist sehr groß.

Wer überall hinkommt – das möchte ich in dieser Stunde ganz besonders erwähnen –, sind die Ehrenamtlichen, die Hospizbegleiterinnen und –begleiter, die dann im Alltag beim Schwerkranken und Sterbenden sind. Ihr besonderes Geschenk ist das Da-Sein.

Wir haben in Österreich zirka 3 300 Ehrenamtliche, und es gibt auch ein österreichweites Curriculum, damit die Ausbildung und die Qualität – die Ausbildung ist etwas Besonderes – so gehalten wird.

Was wir versuchen: Hospiz-Palliativ-Care in den Altenheimen – eine Organisationsentwicklung; 83 Heime arbeiten daran. Wir versuchen mit dieser Organisationsentwicklung jenen Menschen, die arbeiten, auch die notwendige Unterstützung und Hilfe zu geben. Man braucht es aber auch für die mobilen Einrichtungen, ebenso wie für die Krankenhäuser.

Ich habe gesagt, hinsichtlich des Palliativbereichs haben wir im Finanziellen eine Klarstellung zu erreichen, und ich nehme die Regierungserklärung zur Hand und wünsche mir so etwas wie eine kreative Finanzierung. Ich habe gestern einen guten Ratschlag bekommen, den möchte ich natürlich sofort aussprechen: Es gibt in der Kinderrehabilitation ein Programm und ein Modell, und ich ersuche die Damen und Herren des Parlaments und der Regierung, einen Weg zu finden, eine kreative Finanzierung anzudenken, einen guten Weg zu gehen, Beschlüsse zu fassen, damit wir das Ziel, das wir gemeinsam haben, bis zum Jahre 2020 auch gemeinsam erreichen. – Das ist meine Bitte in dieser Stunde.

Ein Satz noch zum Thema „Sterbehilfe“. Ich betrachte dieses Wort als Unwort der Zeit und als Unwort des Jahres. Wo ist die Grenze? Wo fängt es an und wo hört es auf? Ich denke etwa an demenz- und psychisch Kranke in Holland, und es stellt sich die Frage: Wer entscheidet?, oder an die Kinder in Belgien: Wer entscheidet?, oder an „Tod auf Bestellung“ in der Schweiz. Und wer wird bei uns entscheiden, bei jenen Menschen, die unter Umständen auch Demenz oder Alzheimer haben? Wie sind die Voraussetzungen, wie sind die Motive, und warum kommt man zu solchen Ergebnissen?

Es gibt sehr klare Aussagen, dass Menschen, die vielleicht vorher ein ganzes Leben lang gemeint haben, sie wollen selbst bestimmen, am Ende des Lebens dann sagen: bitte nein! Das Buch des Theologen Hans Küng ist angesprochen worden, und der Rhetorikprofessor Walter Jens – Professor Beck hat das in der „Presse“ gut beschrieben – hat zum Schluss gesagt: Nicht totmachen, bitte nicht totmachen!

Wir haben nicht das Recht, das Leben zu verlängern, wir haben aber auch nicht das Recht, das Leben zu verkürzen.

In diesem Falle wünschen wir uns ein würdevolles Sterben in guter Begleitung, in guter Sicherheit, und ich nehme Anleihe bei einem deutschen Politiker, bei Herrn Müntefering, der sehr deutlich gesagt hat, am Geld darf es nicht scheitern.

Jede Lebensstrecke hat ihre eigene Qualität, auch das Sterben. Menschen, die Sterbende dabei begleiten, schenken ihnen eine große Erleichterung. Ich möchte mich bei allen bedanken, die tagtäglich unterwegs sind und sich einsetzen. (Beifall.)

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Dr. Maria Kletečka-Pulker (Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt): Ich freue mich sehr, dass ich heute zu Ihnen sprechen darf – als Expertin, als Juristin, die sich sehr mit diesem Thema in der Forschung beschäftigt hat, aber auch tagtäglich werden wir zunehmend in Ethikkomitees und Ethikkonsils dazu gerufen, wo wir gemeinsam im Team zu entscheiden versuchen: Wie hätte sich dieser Mensch, der nicht mehr für sich selbst entscheiden kann, ein Sterben in Würde vorgestellt?

Was mich persönlich sehr verwundert, ist, dass derzeit neue rechtliche Regelungen gefordert werden, wo wir doch sehr, sehr gute rechtliche Instrumente haben, für deren Schaffung wirklich gute Arbeit geleistet wurde, die aber noch viel zu wenig genutzt werden. Wir haben sehr umfangreiche rechtliche Instrumente, die es ermöglichen, auch möglichst lang selbstbestimmt, autonom zu entscheiden. Ich möchte Ihnen diese im Einzelnen kurz vorstellen und vielleicht auf das eine oder andere, das man verbessern könnte, aufmerksam machen.

Vielleicht zunächst eine in meinen Vorträgen ganz typische Frage. Wenn man hier in diesem Saal fragen würde: Wer von Ihnen hat denn schon rechtlich vorgesorgt, wer von Ihnen hat eine Patientenverfügung?, dann gäbe es vielleicht den einen oder anderen. Würde man fragen: Wer von Ihnen hat eine Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten?, da wären es vielleicht höchstens eine Handvoll, schätze ich. Das bedeutet, dass für uns alle, wenn wir nicht noch rechtlich Vorsorge treffen für den Zeitpunkt, wo wir nicht mehr einsichts- und urteilsfähig sind, ein Sachwalter bestellt werden muss, wer auch immer das dann ist: ein naher Angehöriger – hoffentlich jener nahe Angehörige, der mir wirklich nahesteht und mich kennt – oder eine Person, die ich gar nicht kenne, ein berufsmäßiger Sachwalter oder ein Rechtsanwalt oder Notar.

Das heißt, im zweiteren Fall würde für uns jemand entscheiden, der uns gar nicht kennt, der unsere Wünsche, unsere Vorstellungen nicht kennt. Schwierig genug ist es schon, für sich selbst zu überlegen: Was bedeutet für mich Sterben in Würde?, aber auch: Was bedeutet Sterben in Würde für meine Angehörigen?

Ich habe in meinem Angehörigenkreis versucht, auf dieses Thema aufmerksam zu machen, sodass jetzt meine Eltern auch eine Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten gemacht haben. Ich kenne meine Eltern sehr gut und wir haben viel darüber gesprochen, aber für mich war es doch sehr erstaunlich, zu sehen, wie unterschiedlich sie das Sterben in Würde sehen. Mein Vater zum Beispiel stellt sich ein Sterben in Würde auf der Intensivstation vor, mit grellem Licht, mit vielen Computern, vielen Maschinen, vielen Schläuchen. Er sagt: Schau mich an! Ich wäre nicht so alt geworden und es ginge mir nicht so gut, gäbe es die Medizin nicht! Und ich möchte jede Minute, die ich noch leben kann, nutzen. Also bitte schau, dass es diese Möglichkeit gibt! – Diese Vorstellung verbinden viele eigentlich nicht mit einem Sterben in Würde.

Meine Mutter hingen sagt: Spätestens wenn es um eine künstliche Ernährung geht, darfst du mir mit so etwas ja nicht kommen!

Das hat mir klargemacht, wie unterschiedlich die Vorstellungen sind und dass wir Menschen auch nicht drängen dürfen hinsichtlich der Frage, wie sie in Würde sterben sollen. Wenn es jemand vorzieht, im Spital auf der Intensivstation zu sterben, dann ist das Selbstbestimmung.

Kürzlich, letzte Woche: ein Kind mit Trisomie 18, frisch geboren, wahrscheinlich nur wenige Tage oder Wochen Lebenserwartung. Wie stellt sich dieses Kind das Sterben in Würde vor? – Auch da stehen wir gemeinsam im Team mit den Ärzten, den Pflegenden und den Angehörigen und versuchen, zu entscheiden: Wie würde sich dieses Kind denn das Sterben in Würde vorstellen?

Deswegen mein Appell: Nutzen wir doch die rechtlichen Instrumente, die wir haben – verbessern wir vielleicht das eine oder andere –, denn ich glaube, dass die Rechtsordnung jetzt auch schon sehr viele Möglichkeiten gibt, selbstbestimmt bis zum Schluss zu entscheiden.

Was mich auch noch erstaunt, ist, dass doch viele Menschen oft ein Testament gemacht haben, wo vermögensrechtliche Dinge geregelt werden, und meine Frage ist: Ist es denn wichtiger, vermögenrechtliche Dinge zu regeln, als Regelungen zu treffen für wahrscheinlich einen der wichtigsten Momente in unserem Leben, das Sterben? Ich glaube, das wird einer der emotionalsten, wichtigsten Momente sein. Der Grund ist wahrscheinlich, dass wir nicht gerne darüber nachdenken, dass wir das verdrängen, dass wir glauben, wir sind quasi unsterblich, und dass wir uns diesen Themen nicht widmen wollen.

Wir führen derzeit im Auftrag des Gesundheitsministeriums eine Evaluierungsstudie durch. Diese wird gerade ausgewertet, und die Ergebnisse werden, glaube ich, Anfang nächsten Jahres bekannt gegeben. Auch da zeigt sich schon eine Tendenz, nämlich dass diese Instrumente von der Bevölkerung immer noch relativ wenig genutzt werden, obwohl die Politik und die zuständigen Ministerien viele Informationen zur Verfügung stellen und es viele gute Unterstützungsmaterialien gibt. Ich glaube, der Grund ist, dass man sich nicht gerne mit diesem Thema auseinandersetzt, wobei es sich immer wieder zeigt, dass gerade zu Zeiten wie um Allerheiligen oder um Weihnachten die Anzahl der Patientenverfügungen ansteigt – aus welchem Grund, weiß ich nicht; entweder weil man die Feiertage so gerne mit der Familie verbringt, oder vielleicht sind es auch andere Gründe.

Die Frage ist nun: Welche rechtlichen Möglichkeiten haben wir? – Die eine ganz wichtige ist das aktuelle Selbstbestimmungsrecht. Ich kann aktuell Maßnahmen ablehnen oder ihnen zustimmen, solange sie medizinisch indiziert sind. Und das ist ganz wichtig: Ich brauche für rechtmäßige Behandlung zwei Voraussetzungen: die medizinische Indikation und die Einwilligung des Patienten. Ob die medizinische Indikation vorliegt oder nicht, ist oft auch gar nicht so einfach herauszufinden. Dazu gibt es oft viele beratende Besprechungen. Es gibt Ethikkonsils, Ethikgremien, die auch unterstützend versuchen, gemeinsam herauszufinden, ob eine medizinische Indikation vorliegt oder nicht. – Aber darauf möchte ich eigentlich heute nicht näher eingehen, sondern auf die Frage der Selbstbestimmung.

Wichtig ist aber auch: Selbst wenn die medizinische Indikation nicht gegeben ist, hat der Patient trotzdem das Recht auf palliativmedizinische Maßnahmen. Wir haben in der ersten Studie schon gesehen, dass einer der Hauptgründe, warum Menschen Patientenverfügungen errichtet haben, die Angst vor Schmerzen war, die Angst, dass sie nicht die entsprechende Schmerzbehandlung bekommen.

Das heißt, wenn eine medizinische Indikation vorliegt, habe ich die Möglichkeit, dieser Maßnahme zuzustimmen oder nicht zuzustimmen. Und im Gegensatz zu dem positiven Wunschrecht – ich kann mir nur Maßnahmen „wünschen“, unter Anführungszeichen, die medizinisch indiziert sind –, habe ich die Möglichkeit, jede, auch nur lebensrettende, Maßnahme abzulehnen. Wir nennen das das Recht auf Unvernunft, denn es fällt vor allem dann immer auf, dass Menschen Maßnahmen ablehnen, wenn es sich um Maßnahmen handelt, wo viele meinen würden: Warum lässt sich der denn jetzt nicht behandeln? Das wäre doch so einfach möglich! Warum nimmt er diese Behandlung jetzt nicht in Anspruch?

Dieses Recht auf Unvernunft ist uneingeschränkt. Wie gesagt, ich kann jede Maßnahme ablehnen. Wir haben in unseren Studien Menschen erlebt, die ein Leben lang Schulmedizin abgelehnt haben oder ein Antibiotikum oder bestimmte andere Maßnahmen. Aber wir haben zum Beispiel auch Personen – sie sind heute schon genannt worden, die sogenannten ALS-Patienten –, die an einer Muskelschwäche leiden, die wählen ganz genau den Zeitpunkt ihres Todes. Sie sagen: An dem Tag, an dem ich künstlich beatmet werden würde, möchte ich nicht beamtet werden. – Sie sagen also ein ganz klares Nein zu einer weiteren Beatmung, wobei es andererseits aber auch viele gibt, die sagen, ich möchte weiter künstlich beatmet werden.

Es ist mir ganz wichtig, die Menschen in ihrer Selbstbestimmung wahrzunehmen, auch wenn es für uns in manchen Dingen oft nicht nachvollziehbar ist.

In der Praxis hat sich auch immer wieder gezeigt, dass es für manche Menschen oft schwierig ist, ihren Willen durchzusetzen, dass sie es, obwohl sie eine verbindliche Patientenverfügung haben, obwohl sie ihren Willen vielleicht ganz aktuell und auch klar formuliert haben und die Patientenverfügung noch gar nicht zum Tragen gekommen wäre, trotzdem nicht geschafft haben, dass ihrem Willen entsprochen wurde, weil sie den allgemeinen Wertvorstellungen nicht entsprechen. Wir haben in Österreich schon ganz genaue Vorstellungen, woran man sterben darf und wie es, sozusagen, schön ist, in Würde zu sterben.

Das heißt, es ist ganz wichtig, den Patienten auch mit seinem Recht auf Unvernunft ernst zu nehmen. – Ich spreche da natürlich nur von dem einsichts- und urteilsfähigen Patienten, dem die Trageweite seiner Entscheidung bewusst ist. Ich spreche nicht von Kindern, die vielleicht nicht einsichts- und urteilsfähig sind.

Ganz wichtig ist bei diesem Recht auf Unvernunft auch: Es macht rechtlich keinen Unterschied, ob ich von vornherein sage, ich möchte diese Maßnahme nicht, ich möchte keine künstliche Ernährung oder keine künstliche Beatmung, oder ob ich dann aktuell sage: So, jetzt widerrufe ich meine Einwilligung, jetzt möchte ich nicht mehr, dass ihr mich weiter behandelt!, was in der Praxis bedeutet, dass diese Maßnahme eingestellt werden muss. Juristisch ist es ein Unterlassen. Und das, glaube ich, wissen viele nicht. Es ist oft natürlich auch für das behandelnde Team schwierig, weil sie da aktiv eine Maschine abdrehen, aber juristisch entsprechen sie der Selbstbestimmung.

Das heißt, es macht keinen Unterschied, ob ich vorher schon der Maßnahme nicht zugestimmt habe oder dann meine Einwilligung widerrufe. Dass es persönlich schwieriger ist für das beteiligte Team, keine Frage, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Aber auch da ist es oft schon schwierig, dass dem Willen der Patienten und Patientinnen entsprochen wird.

Jetzt sehen wir, wie schwierig es in vielen Bereichen schon aktuell ist, dass unserem Willen entsprochen wird. In vielen Fällen können wir aber gar nicht so lange selbstbestimmt entscheiden oder sind nicht so lange einsichts- und urteilsfähig. Was gibt es da für Möglichkeiten?

Die bekanntere ist die Patientenverfügung. Das ist eine Verfügung, mit der ich für den Fall, dass ich nicht mehr einsichts- und urteilsfähig bin, bestimmte medizinische Maßnahmen ablehnen kann. – Ich persönlich oute mich sozusagen: Ich habe keine Patientenverfügung. Ich bin derzeit Gott sei Dank nicht chronisch krank. Ich kann mir mein Sterbeszenario nicht vorstellen. Ich wüsste nicht konkret, was ich da ablehnen sollte, sodass das für mich persönlich eigentlich kein Instrument ist, das ich – derzeit – in Anspruch nehmen muss oder möchte. Ich habe hingegen eine Vorsorgevollmacht.

Wir haben auch gesehen, die Patientenverfügung ist sehr gut geeignet für Personen, die schon in einem gewissen Krankheitssetting sind, wo man vorhersehen kann, wie der Verlauf ihrer Erkrankung sein wird, was als Nächstes passieren wird. Kommt vielleicht eine Gehirnblutung? Wird die Atmung nicht mehr funktionieren? Was ist der nächste Schritt, und möchte der Patient das oder nicht?

Wir waren bei vielen Errichtungen dabei, fast 70 Errichtungen von Patientenverfügungen, und ich werde nie die drei Damen mit Hut vergessen, die vom Altersheim gekommen sind und gesagt haben: Wo ist denn das Formular zum Ankreuzen für das schöne Sterben? Und man hat ihnen gesagt: So einfach ist das nicht; Sie müssen bestimmte Maßnahmen ablehnen! – Eine hat gesagt: keine Schläuche, nie und nimmer! – Dann hat man sie aufgeklärt: Möchten Sie auch keine schmerzlindernden Maßnahmen? – Na, das natürlich schon!

Am Ende dieses Gesprächs sind alle drei Damen wieder gegangen, und das hat uns sehr klar gezeigt, wie schwierig es ist, vor allem für die Gruppe der sozusagen alten Menschen, eine Patientenverfügung zu machen und ihre Vorstellungen oder ihren Wunsch, in Würde zu sterben, in negative Anweisungen oder Ablehnungen umzusetzen. Ein Problem ist da natürlich das zentrale Register. Und eine Frage, die man auch diskutieren könnte, ist die Fünfjahresfrist. Auch da könnte man überlegen: Macht man da vielleicht einen niederschwelligeren Zugang?

Zum Schluss das Instrument, das meines Erachtens noch zu wenig genutzt wird, noch zu wenig erkannt wurde: die Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten, mit der ich jemanden damit beauftrage, dass er für mich entscheidet. Anders als der Sachwalter hat diese Person auch das Recht auf Unvernunft. Das heißt, sie kann für mich entscheiden und muss natürlich meinen Willen kennen. Natürlich vertraue ich mich da einer Person an, aber wir haben schon gehört, die Möglichkeit eines Missbrauchs darf einen nicht abschrecken vor so einer Regelung. Vor allem: Habe ich einen Sachwalter, der mich gar nicht kennt, ist das natürlich auch schwierig.

Was all das zusammenfassend zeigt: Wichtig ist die Kommunikation, also rechtzeitig zu kommunizieren, was die Wünsche und Vorstellungen sind, vielleicht standardisiert schon im medizinischen Setting darüber zu kommunizieren. Es gibt ja das neue Tool des Vorsorgedialogs, der nächste Woche von Hospiz Österreich vorgestellt wird und eine wirklich tolle Initiative ist. Und was mir ganz wichtig war: Das hat gezeigt, dass diese Instrumente für viele Österreicherinnen und Österreicher nicht leicht zugänglich sind, weil sie doch mit Kosten verbunden ist. Man muss zu einem Rechtsanwalt, Notar oder Patientenanwalt gehen. Das heißt, die Frage diesbezüglich wäre, ob man für dieses Instrument einen niederschwelligeren Zugang schaffen könnte, damit wirklich alle Österreicherinnen und Österreicher die Möglichkeit haben, dass ihrem Willen bestmöglich entsprochen wird. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer dankt für die Hinweise betreffend Patientenverfügung und merkt an, dass sich alle Parteien schon im Vorfeld vorgenommen hätten, sich in der Jänner-Sitzung mit den Themen Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu befassen – und erteilt sodann Dr. Retschitzegger das Wort.

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Dr. Harald Retschitzegger, MSc (Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft): Ich möchte mit Ihnen über das Leben reden – das Leben, das uns alle betrifft, denn uns alle, die wir hier sitzen, verbindet etwas, nämlich dass wir alle sterben werden. Die Kunst des Sterbens ist mit der Kunst des Lebens untrennbar verbunden, und von niemandem möchten wir uns gerne nachsagen lassen, dass wir diese ars vivendi nicht ausreichend gut verstehen. Also kümmern wir uns bitte auch wirksam um die ars moriendi.

Und es ist Ihnen auch sicherlich bewusst: Wir reden und planen hier nicht für irgendjemanden, sondern wir planen für uns. Was Sie jetzt in dieser entscheidenden Phase beschließen und endlich auch wirklich umsetzen, wird das sein, was wir in unserer eigenen Krankheit, im hohen Alter, demenzkrank vielleicht, nutzen können/brauchen können. Spätestens da sollte uns klar sein, dass wir endlich Dinge umsetzen müssen – und nicht länger nur davon reden.

Betonen möchte ich: Wir reden bei Palliative Care oder Palliativbetreuung nicht nur von den letzten Lebenstagen, sondern oft von vielen Wochen, von vielen, vielen Monaten. Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit diesem Thema. Ich habe viel erlebt, und es hat sich auch viel verändert. Wenn man zurücksieht, ist es schön, was sich verändert hat; wenn man nach vorne blickt, ist es oft erschreckend und enttäuschend, wie viel von alledem, wovon seit vielen Jahren gesprochen wird, immer noch nicht umgesetzt ist.

Die Zeit ist also reif, dass wir endlich umsetzen.

Wir von der Österreichischen Palliativgesellschaft glauben daran, dass nun mit dieser Parlamentarischen Enquete-Kommission ein Meilenstein erreicht werden kann. Wir können Geschichte schreiben. Unser Tun verändert Wirklichkeit, wenn wir es wollen und wenn wir es auch wirklich tun.

Ich möchte meine Ausführungen in vier Bereiche gliedern.

Lassen Sie mich als Erstes etwas von PatientInnen erzählen, denn um die Menschen geht es ja. In den mehr als zwölf Jahren, in denen ich eine Palliativstation leitete, kam ich in direkten Kontakt mit ungefähr 2 500 schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen. Und ich erinnere mich an viele einzelne Menschen, an ihre Gesichter und an die Blicke ihrer Augen.

Stellen Sie sich jetzt bitte vor, ein schwerkranker Mensch liegt vor Ihnen, und Sie sollen ihm jetzt sagen, dass sich seine Befunde verschlechtert haben, dass sich seine Lebensperspektive nochmals verkürzt hat. Was, glauben Sie, sagt so ein Mensch am Tag darauf zu Ihnen? Womit rechnen Sie? – Ich erinnere mich an diesen Patienten, als ich am Tag darauf zu ihm kam. Ich war gespannt, wie er mit seiner neuen Wirklichkeit zurechtkam. Und als ich zu ihm kam, sah er mir tief in die Augen und sagte: Herr Doktor, ich danke Ihnen, dass Sie gestern so ehrlich mit mir gesprochen haben. Ich habe danach gleich mit meiner Frau gesprochen. Wir haben über alles geredet, und ich bin jetzt ganz beruhigt, weil alles geklärt ist.

Warum erzähle ich Ihnen das? – Weil Menschen nicht nur leiden und klagen am Lebensende, sie sind sehr oft unendlich dankbar, wenn sie merken, dass es Menschen und Betreuende gibt, die sie ernst nehmen, die mit ihnen auch über das Schwere, oft das scheinbar Unmögliche, das Unfassbare reden. Und diese Dankbarkeit drücken Menschen auch aus.

Oder eine andere Situation: Stellen Sie sich ein Krankenzimmer vor, in dem ziemlich eisiges Schweigen herrscht. Sie merken, es hängt so eine Unaussprechlichkeit in der Luft. Da wird nicht geredet, da wird gewartet. Jeder passt auf den anderen auf, damit niemand etwas Falsches sagt, niemand den anderen überfordert.

Was brauchen Menschen in so einer Situation? – Sie brauchen kompetente BetreuerInnen, die sich einer solchen Situation stellen, die einen Weg der Begegnung suchen, die mit Einverständnis des Patienten einen Gesprächsprozess in der Familie in Gang bringen, wo die beteiligten Menschen plötzlich miteinander zu reden beginnen, wo das Schwere zur Sprache kommen darf.

Und was glauben Sie, wie schön es ist, wenn Sie tags darauf in dieses Zimmer kommen und Sie merken, da ist etwas passiert. Die Menschen sitzen in anderer Konstellation zueinander, das Schweigen ist einer vertrauteren Nähe gewichen, da lebt etwas in dieser Familie. Auch wenn es von großer Trauer geprägt ist, spüren Sie Leben. Auch im Abschiednehmen ist Leben.

Was wir auf der Palliativstation wirklich nie vermisst haben, war die Möglichkeit der Freigabe von Tötung auf Verlangen. Es geht immer um gute Schmerztherapie und um die wirksame Linderung sonstiger Krankheitssymptome – und es geht um Teamarbeit. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Pflegepersonen, ÄrztInnen, Sozialarbeit, Psychologie und allen anderen Professionen ist eine wesentliche Voraussetzung, dass Hospiz- und Palliativbetreuung gelingen kann.

Wenn wir unsere Medizin betrachten, dann sehen wir, das Leben verlängern können wir schon recht gut – denken wir nur an die Erfolge der Notfall- und Intensivmedizin –, und es gibt diese Initiativen, die das Verkürzen des Lebens fordern: Tötung auf Verlangen, Beihilfe zum Suizid.

Das heißt, an den beiden Enden, den beiden Polen, sind wir recht gut, womit wir uns am schwersten tun, ist das normale Maß, das Sterben in möglichst normalem Verlauf. Und in diesen Prozessen sind immer wieder Entscheidungen zu treffen über das Ausmaß der medizinischen Interventionen.

Ich bin damit beim zweiten wichtigen Thema, bei der Kommunikation. Um diese Entscheidungen gut treffen zu können, brauchen wir eine durch und durch kommunikative Medizin – und ich meine damit nicht, dass wir ÄrztInnen unbedingt mehr reden müssen, sondern dass wir allesamt mehr zuhören müssen. Menschen sehen oft keine Option, keinen Ausweg, weil sie annehmen, wenn es einen gäbe, dann hätte ihnen der Arzt ja diesen Ausweg gesagt. Das glauben die Leute, aber viele Ärzte sagen es ihnen nicht, weil sie vielleicht nicht ausreichend Bescheid wissen, die Erfahrung oder Ausbildung fehlt. Sie wissen nicht, dass es besser ginge. Und das ist ein Teil des Problems.

Wir müssen mit den Menschen reden, damit wir wissen, was sie brauchen, und wir müssen den Menschen immer wieder zusagen, dass wir uns an dem orientieren, was sie selbst möchten.

Kommunikation ist: zuhören, hören, was Menschen sagen wollen, worüber sie reden wollen. Wenn jemand sehr leidet, dann sollen wir uns die Zeit nehmen und ihm zuhören, ihm ganz genau zuhören. Das ist etwas Großes und etwas sehr Wichtiges.

Ich komme damit zum dritten Punkt, der ethischen Dimension. Wann immer wir über hohes Alter, vorgeschrittene Erkrankungen, Demenz oder das Lebensende reden, sind wir mit ethischen Fragestellungen konfrontiert. Und immer dann kommt logischerweise das Thema Autonomie ins Spiel, und das ist auch gut so.

Ich möchte Ihnen folgende Fragen stellen: Warum beschäftigt uns gerade am Lebensende das Thema Autonomie so stark? Wann hören wir in den anderen Lebensphasen so viel von Autonomie wie jetzt, bei der Beschäftigung mit dem Lebensende? Warum, glauben Sie, ist das so? – Ich glaube, das ist die Angst, die Angst, dass wir einem System ausgeliefert sind, in dem Dinge passieren, die wir nicht ausreichend kontrollieren und steuern können. Und ja, diese Angst ist oft gar nicht so unbegründet, und ja, es gibt eine ökonomisch motivierte Übertherapie.

Auf der Palliativstation habe ich von Menschen immer wieder den Satz gehört: Herr Doktor, können Sie mir nicht die Spritze geben? – Und wir haben dann immer gesagt: Nein, das können, dürfen und wollen wir nicht, aber wir können Ihnen zusichern, dass wir absolut nichts tun, keine einzige medizinische Maßnahme setzen werden, welche Sie nicht möchten. – Und dann sagten die PatientInnen eigentlich immer: Dann ist es ja gut. Das war nämlich meine größte Angst. – Das heißt, wir brauchen eine Medizin, die den Menschen zuhört, die hört, welche Ängste die Menschen haben.

Immanuel Kant hat die Ethik der Autonomie begründet, dass die Autonomie das höchste Gut ist. Wenn wir uns aber den Lebensverlauf von Menschen ansehen, dann wird uns schnell klar, dass mit fortschreitendem Alter oder fortschreitender Pflegebedürftigkeit das Angewiesen-Sein auf andere Mensch zunimmt. Wäre es nicht besser, wenn wir dieser uneingeschränkten Ethik der Autonomie eine Ethik der Achtsamkeit gegenüberstellen? – Ein Bestandteil davon ist achtsame Zuwendung, und achtsame Zuwendung brauchen Menschen, damit sie sich nicht einsam und allein fühlen.

Es gibt ein grundlegendes Angewiesen-Sein der Menschen aufeinander, und das beginnt mit der Geburt. Die Ethik der Autonomie verlangt letztendlich, dass Menschen sich distanzieren; die Ethik der Achtsamkeit will Begegnung.

Ich komme zu meinem vierten und letzten Punkt, zu den Forderungen an die Politik. Ich möchte an Sie appellieren: Stellen Sie die Weichen dafür, dass die Hospiz- und Palliativlandschaft in Österreich so gestaltet und ausgebaut wird, dass Sie als irgendwann Betroffene damit zufrieden sind!

Und bedenken Sie bitte auch endlich die Finanzierung des gesamten Systems! Wir haben den Plan der abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung. Einiges von diesem Plan wurde umgesetzt, aber der Großteil dieses Planes ist nach wie vor nicht finanziert. Das Streiten von Bund und Ländern und Krankenversicherungen und Ministerien um Zuständigkeiten ist, gelinde gesagt, ärgerlich, während Tausende Menschen unter Bedingungen versterben, die dem achtreichsten Land der Erde unwürdig sind.

Neben der Finanzierung brauchen wir noch etwas ganz dringend: Wir brauchen Kompetenz. – Wir haben Kompetenz, aber wir brauchen Bedingungen, die diese Kompetenz wachsen lässt. Bei vielen Berufsgruppen ist die palliative Ausbildung schon exzellent. Wie sieht es auf der ärztlichen Ebene aus? – Niemand stellt infrage, dass er von einem bestens ausgebildeten Chirurgen operiert werden möchte, wenn es nötig ist, aber in der Palliativmedizin haben wir in Österreich das Problem, dass es immer noch keine einschlägige Facharztausbildung und Anerkennung für Palliativmedizin gibt.

In Großbritannien gibt es seit 1987 FachärztInnen für Palliativmedizin; in vielen anderen europäischen Ländern ebenso.

Es wäre doch wohl an der Zeit, jetzt – 27 Jahre später – das auch in Österreich nachzuholen.

Wir brauchen hohe Kompetenz, wir brauchen mehr Lehre an den Universitäten, sodass zukünftige MedizinerInnen nicht mehr so am Bett eines schwerkranken oder sterbenden Menschen stehen, sich ungenügend ausgebildet fühlen, an der persönlichen Niederlage leidend – anstatt zu erkennen, dass der Tod kein Versagen der Medizin ist.

Alle ÄrztInnen brauchen eine Grundkompetenz in Palliative Care, aber darüber hinaus bitte ich Sie um Folgendes: Wir brauchen auch in Österreich FachärztInnen für Palliativmedizin, um langfristig die Qualität in der palliativmedizinischen Versorgung zu ermöglichen und zu sichern. Und wir brauchen auch PalliativmedizinerInnen zum Beispiel im Obersten Sanitätsrat oder in der Bioethikkommission und eine Nationale Strategie Palliative Care, welche wir aber nicht nur festschreiben, sondern auch umsetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren, zum Schluss kommend. Die Kunst des Lebens ist mit der Kunst zu sterben verknüpft. Wir alle möchten gut leben, und ich wünsche Ihnen und uns allen ein gelingendes Leben. Vielleicht können wir ja zufriedener und glücklicher leben, wenn wir wissen, wir haben in Österreich Bedingungen geschaffen, die uns bis zuletzt gut leben lassen: dass wir keine unnötigen Schmerzen haben, dass es genug Ärztinnen und Ärzte gibt, die genau mit den Herausforderungen am Lebensende bestmöglich umgehen können, weil sie in der Facharztausbildung all das gelernt haben, was sie brauchen, und dass die Strukturen, die wir benötigen, zugänglich und leistbar sind, weil die Finanzierung gewährleistet ist.

Wir haben eine große Chance, nämlich die bahnbrechende Gestaltung einer österreichweit funktionierenden Hospiz- und Palliativkultur. Als ich im Jahre 2001 bei einer parlamentarischen Enquete zu diesem Thema sprechen durfte, verwendete ich am Ende ein Zitat von Johann Wolfgang von Goethe. Und ich möchte es Ihnen auch heute zum Abschluss mit auf den Weg geben – aber nur mehr dieses eine Mal. Goethe schreibt in „Wilhelm Meisters Wanderjahren“ Folgendes:

„Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“

Also lassen Sie uns bitte endlich gemeinsam das richtige tun. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer dankt den Referentinnen und Referenten und unterbricht die Sitzung.

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(Die Sitzung wird um 11.35 Uhr unterbrochen und um 12.06 Uhr wieder aufgenommen.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer nimmt die unterbrochene Sitzung wieder auf und teilt mit, dass der zweite Teil der Sitzung von ORF III in voller Länge übertragen wird und diese auch im Live-Stream des Internets zugänglich ist.

Sodann ersucht die Obfrau Mag. Gottfried Michalitsch, den Leiter des Nationalratsdienstes, über die im Intranet der Parlamentsdirektion eingelangten Stellungnahmen der Bürgerinnen und Bürger zu berichten.

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Mag. Gottfried Michalitsch (Parlamentsdirektion): Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Enquete-Kommission setzt neue Maßstäbe hinsichtlich parlamentarischer Verhandlungen. Erstmals wurde die österreichische Zivilgesellschaft zur Abgabe einer Stellungnahme eingeladen. Der Beschluss dazu ist am 2. Juli 2014 erfolgt. Die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben, war ursprünglich befristet. Mit der Abwicklung der Umsetzungsmaßnahmen wurde die Parlamentsdirektion beauftragt.

Ich darf ganz kurz die Vorgänge, die dazu notwendig waren, schildern.

Wir haben die E-Mail-Adresse „wuerdevoll.leben@parlament.gv.at“ eingerichtet und das Kommuniqué der Enquete-Kommission im Internet veröffentlicht. Begleitend dazu wurden auch Maßnahmen über die Presseabteilung getroffen. Und es ist die Bevölkerung über die Website umgehend informiert worden.

Sehr schnell langten die ersten Stellungnahmen ein. Wir haben diese gesichtet, mit den Bürgerinnen und Bürgern Kontakt aufgenommen und diese gefragt, ob sie damit einverstanden sind, dass ihre Stellungnahmen im Internet veröffentlicht werden. Ein Großteil hat dem Ansinnen zugestimmt. – Anonyme Stellungnahmen beziehungsweise von Dritten zugeleitete Stellungnahmen haben wir nicht weitergeleitet.

Insgesamt sind 628 Stellungnahmen eingelangt. Doppelseitig ausgedruckt ergibt das (ein dickes Konvolut von Schriftstücken in die Höhe haltend) diesen Stapel. Diese Stellungnahmen sind für alle Abgeordneten im Intranet einsehbar; das meiste auch für die Bevölkerung.

Tatsache ist, dass die Zahl der eingelangten Stellungnahmen unsere internen Erwartungen weit übertroffen hat. Das Instrument Internet hat sich da einfach als taugliches Mittel erwiesen. Wir haben nur ganz wenige Stellungnahmen per Post zugesandt bekommen. Diese haben wir eingescannt und ebenfalls ins Intranet gestellt.

Die Stellungnahmen sind wie folgt aufgegliedert: 10 Stellungnahmen sind von öffentlichen Institutionen eingelangt. Von NGOs, Interessenvertretungen und kirchlichen Organisationen kamen 49 Stellungnahmen und von Privatpersonen 569.

Wer sind diese Privatpersonen? – Es sind Ärzte, Personen aus dem Pflegebereich, aus dem Hospizbereich und sehr viele Menschen mit einem persönlichen Erfahrungshintergrund.

Wie gliedert sich das zwischen Männern und Frauen? – 265 Frauen haben eine Stellungnahme abgegeben, 281 Männer. Bei 23 Stellungnahmen handelt es sich um Paare beziehungsweise ließen sich diese, da nur der Familienname angegeben wurde, nicht zuordnen.

Vom Alter her ist zu sagen: Tendenziell sind es natürlich Menschen mit höherer Lebenserwartung, die Stellungnahmen abgegeben haben, aber auch ganz viele Junge, die Erfahrungen im Zivildienst, als Rettungsfahrer et cetera gesammelt haben.

Zeitlich gesehen sind die Stellungnahmen sozusagen laufend getröpfelt. Mit Ende der ursprünglich gesetzten Frist ist aber dann ein ganzer Schwall von Stellungnahmen eingelangt.

Was den Grundtenor der Stellungnahmen anlangt, ist zu sagen, dass großes Interesse an der Themenstellung herrscht und man wirklich erfreut ist, dass sich das Parlament mit diesem Thema befasst. Die Möglichkeit, eine Stellungnahme zu diesem sensiblen Thema abzugeben, ist wirklich sehr begrüßt worden.

Und wie schaut es inhaltlich aus? – Ich bitte um Verzeihung, dass ich jetzt nicht alle Stellungnahmen vorlesen kann, aber grundsätzlich muss man sagen, dass sich fast alle Stellungnahmen mit Sterbehilfe und dem Recht auf Selbstbestimmung befassen, erst am Schluss kommen Fragen wie Palliativversorgung und Patientenverfügung. Frau Dr. Kletečka-Pulker hat es ja schon angesprochen, da scheint ein besonders hoher Informationsbedarf da zu sein.

Was ist die Conclusio seitens der Parlamentsdirektion? – Die gewählte Form der Einbindung der Zivilgesellschaft erwies sich als geeignet, denn die Bürgerinnen und Bürger haben einen unmittelbaren, wirklich unkomplizierten Zugang zu den Entscheidungsträgern unseres Landes. Und die Politik hat den Vorteil, Informationen von Experten und Expertinnen zu bekommen, zu denen sie bisher keinen Zugang hatte.

Die Parlamentsdirektion steht selbstverständlich, wann auch immer gewünscht, für die Fortführung dieses neuen Instrumentes der Bürgerbeteiligung zur Verfügung.

Liebe Bürgerinnen und Bürger! Liebe Fernsehzuschauer und Fernsehzuschauerinnen! Sie können sich an dieser Debatte unter der Internetadresse wuerdevoll.leben@parlament.gv.at beteiligen. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer dankt Mag. Gottfried Michalitsch für seinen Bericht, ebenso allen Bürgerinnen und Bürgern, die „eine Stellungnahme geschickt und wertvolle Anregungen geliefert haben“. (Beifall.)

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DDr. Michael Landau (Direktor der Caritas Österreich): Es ist mehr als ein Jahrzehnt her, und doch sind meine Erinnerungen so lebendig, als wäre es gestern gewesen. Meine Mutter lag im Sterben. Universitätsprofessor Dr. Watzke war damals ihr behandelnder Arzt, und er hat mir gesagt, dass meine Mutter in absehbarer Zeit sterben wird. Und er hat hinzugefügt, dass sie keine Schmerzen haben und nach menschlichem Ermessen auch nicht leiden wird. Mir war das als Sohn sehr wichtig, und es war mir wichtig, nach Möglichkeit bei ihr zu sein, denn auch wenn ein Mensch nichts mehr sagt, kann ich mit ihm sprechen, ihn berühren und ihm oder ihr dadurch Nähe, Gemeinschaft und Liebe zeigen.

Die Frage lässt sich stellen: Haben wir das Sterben, haben wir den Tod nicht zu sehr „enthäuslicht“, verdrängt, zum Leid der Sterbenden, aber auch zum Leid der Gesellschaft insgesamt, und ist die aktuelle Debatte nicht auch eine Gelegenheit, über Themen zu reden, die Mauern der Sprachlosigkeit in unserer Gesellschaft zu durchbrechen, die Gebrechlichkeit, Pflegebedürftigkeit und den Tod nach wie vor umgeben?

Im Dezember 2001 hat der Nationalrat über alle Parteigrenzen hinweg einen Entschließungsantrag betreffend Hospiz- und Palliativbetreuung einstimmig verabschiedet, und zwar nach einer parlamentarischen Enquete im Frühjahr 2001, die Kardinal König und ich in einem gemeinsamen Brief an die Klubobleute angeregt haben.

Das gemeinsame Ziel damals wie heute: Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen.

Österreich ist dabei in verantwortungsvollem Miteinander einen guten Weg gegangen, auf den wir stolz sein können. Vieles ist geschehen und vieles ist noch zu tun.

Mein Appell und meine Bitte an die politisch Verantwortlichen dieses Landes: Halten Sie das Thema Hospiz und Palliativversorgung auch weiterhin aus dem politischen Tagesstreit heraus! Das Thema ist zu wichtig. Bemühen Sie sich um Lösungen im Interesse der Menschen!, denn jeder Sterbende ist ein Lebender, und zwar bis zuletzt.

Vor 25 Jahren hat das Mobile Caritas Hospiz in Wien seinen Dienst aufgenommen, damals ein Pionierdienst und heute ein großes multiprofessisonelles Team. Mehr als 2 000 Menschen begleiten wir heute auf diese Weise pro Jahr, 22 000 in den vergangenen 25 Jahren. Im Vorjahr haben wir gemeinsam mit der Caritas Socialis und dem Verein MUKI das mobile Kinderhospiz MOMO gegründet, weil auch Kinder, Jugendliche und ihre Familien diese Unterstützung, Begleitung und Hilfe dringend benötigen.

Wir sehen, die Finanzierung der Hospiz- und Palliativangebote ist stark segmentiert, ganz unterschiedlich und in keiner Weise abgesichert. Der Spendenanteil ist vielfach sehr hoch. Das Thema wird wie eine heiße Kartoffel zwischen den finanzierenden Körperschaften hin- und hergeschoben. Dies führt nicht nur zu einer Fehlallokation von Mitteln, sondern auch zu vermeidbarem Leid.

Sehr geehrte Damen und Herren! Keiner würde auf die Idee kommen, für die medizinische Behandlung eines Beinbruchs Spenden zu sammeln. Jeder, der ein intensivmedizinisches Bett benötigt, erhält ein solches Bett.

Bei den Hospiz- und Palliativangeboten hingegen – mobil, teilstationär und stationär – ist das bei Weitem nicht gesichert. Aus den Erfahrungen der Praxis lautet unsere Forderung, jede Bürgerin/jeder Bürger soll einen sicheren, einklagbaren Rechtsanspruch auf Betreuung durch Hospiz- und Palliativdienste und ‑einrichtungen haben, und zwar in all ihren Formen.

Es geht um die Betreuung zu Hause ebenso wie um eine bestmögliche Versorgung in Spitälern und Pflegeheimen, aber auch um zusätzliche Tageshospize – und dies nicht nur in Wien, in Graz oder Salzburg, sondern flächendeckend in ganz Österreich. Es darf nicht am Geld oder am Wohnort scheitern, dass Menschen am Ende ihres Lebens jene Betreuung und Begleitung erhalten, die sie brauchen. Dafür ist ein abgestimmtes Zusammenwirken aller Beteiligten unerlässlich. Das heißt, Bund, Länder, Gemeinden und Krankenversicherungen müssen ein Sterben in Würde durch eine sinnvolle Planung und auch durch eine gemeinsame Finanzierung sicherstellen.

Ein Dreh- und Angelpunkt dafür ist, dass die Bundeszielsteuerungskommission sowie die Landeszielsteuerungskommissionen die Hospiz- und Palliativversorgung in all ihren Formen in die Zielkataloge aufnehmen. Und es erscheint sinnvoll, Palliative Care auch ausdrücklich im ASVG-Leistungskatalog abzubilden oder in anderer Weise sicherzustellen, sodass es keine finanziellen Hürden oder Unklarheiten hinsichtlich der tatsächlichen Finanzierung gibt. Gesundheit und Soziales gehören hier untrennbar zusammen.

Wir sind erst dann am Ziel angelangt, wenn Hospiz und Palliative Care in die gesamte medizinische, pflegerische und psychosoziale Grundversorgung sowie auch in die entsprechenden Ausbildungssysteme integriert worden sind.

Hospiz ist ja weit mehr als Schmerzbekämpfung. Auf eine Zielgruppe zusätzlich zu den Kindern und Jugendlichen möchte ich besonders hinweisen, nämlich auf hochbetagte, mulitimorbide und demente Menschen. Da haben wir größten Handlungsbedarf. Die Vernetzung der Bereiche der Hospiz- und Palliativbetreuung, der Geriatrie und der Langzeitpflege halte ich für ein Gebot der Stunde. Das darf nicht an Zuständigkeiten scheitern. Sehr geehrte Abgeordnete des Nationalrates! Werte Gäste und ExpertInnen! In der Debatte, die wir rund um das Sterben und den Tod führen, nehmen Fragen der Autonomie und Selbstbestimmung zu Recht eine gewichtige Rolle ein.

In unserer gemeinsamen Stellungnahme, unter anderem mit dem Dachverband Hospiz, der Österreichischen Palliativgesellschaft und dem Roten Kreuz, haben wir darauf hingewiesen, dass der österreichische Rechtsrahmen ein brauchbares und hilfreiches Regelwerk zur Wahrung des eigenen Willens bis zuletzt bietet; denn schon heute darf in Österreich niemand gegen ihren/seinen Willen behandelt werden. Wird eine Behandlung oder eine lebenserhaltende Therapie verweigert, ist das zu respektieren. Die freie Willensentscheidung der Patientinnen und Patienten ist in Österreich strafrechtlich geschützt.

Für den Fall, dass man seinen eigenen Willen nicht mehr rechtskräftig ausdrücken kann, stehen mit der Patientenverfügung und der qualifizierten Vorsorgevollmacht gute gesetzlich verankerte Instrumente zur Verfügung. Sie sind noch relativ neu und müssen noch einfacher im Zugang werden; ebenso auch bekannter in der österreichischen Bevölkerung. – Dies in aller Kürze, da ich weiß, dass für Rechtsfragen und Instrumente noch eine eigene Zusammenkunft vorgesehen ist.

Ich darf auch auf die Stellungnahme von Caritas, Rotem Kreuz und anderen verweisen, wenn es um die Beibehaltung dieser Gesetzeslage geht: Jeder Mensch hat das Recht, Behandlungen abzulehnen. Ein Recht auf „Tötung auf Verlangen“ oder auf Beihilfe zum Suizid lehnen wir auf Basis unserer Praxiserfahrungen aber ab.

Von den vielen Stellungnahmen im Parlament hat mich eine besonders berührt. Frau Dr. Elisabeth Pittermann, eine erfahrene Ärztin und herausragende Persönlichkeit, weist darauf hin, dass das Sterben der letzte Abschnitt des Lebens ist und es gilt, die Würde auch in diesem letzten Lebensabschnitt zu wahren: durch medizinisch-pflegerische, psychosoziale und spirituelle Unterstützung, sodass der Patient dieses Leben annimmt und friedlich und getröstet Abschied nehmen kann und nicht getötet wird.

Anders gesagt: Es geht darum, das Leben zu bejahen und das Sterben dennoch zuzulassen, einen – im umfassenden Sinn – Raum zu schaffen, um jedem Menschen die Möglichkeit zu geben, seinen eigenen Tod zu sterben, wie es die berühmte englische Ärztin und Hospizgründerin Cicely Saunders formuliert hat.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die parlamentarische Enquete-Kommission, die jetzt eingerichtet wurde, hat die Chance, einen substantiellen Beitrag zur Verbesserung einer Kultur des Sterbens zu leisten. Hospiz, das ist in Österreich durchaus eine Erfolgsgeschichte. Das Wissen und die Erfahrungen sind da.

Was jetzt entscheidend sein wird, ist der Mut, zu handeln.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn Sie Rechtsfragen erörtern und feststellen sollten, dass all das Zeit und längere Diskurse braucht, dann denken Sie bitte daran: Manche Menschen haben diese Zeit nicht mehr! Um der Betroffenen willen bitte ich Sie um eine rasche Verbesserung der Situation! Es darf nicht am Geld, an Strukturen und Zuständigkeiten scheitern, dass Menschen am Ende ihres Lebens die Begleitung und Betreuung erhalten, die sie brauchen!

Mein Appell an die politisch Verantwortlichen ist: Nützen Sie diese Chance! Gehen Sie mutig, entschlossen und zielstrebig den Weg weiter: im Einsatz für eine Kultur des Lebens, denn es geht um Menschen, und zwar bis zuletzt! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Mag. Michael Chalupka (Direktor der Diakonie Österreich): Wenn es um das heutige Thema geht, dann ist viel die Rede vom „Recht auf“. Ich möchte in meiner Stellungnahme dieser rhetorischen Figur nachgehen und sie näher betrachten. Ich beginne mit dem, auch nach allen Reden heute, unstrittigen Punkt.

Menschen haben ein Recht, in ihrer letzten Lebensphase so gut und qualitätsvoll wie möglich zu leben. Menschen haben ein Recht auf Hospiz und Palliativversorgung.

Damit dieses Recht aber nicht rhetorisch bleibt, braucht es einen im Sozialversicherungssystem verankerten Rechtsanspruch auf Hospiz und Palliativversorgung, der auch einklagbar ist.

Es braucht eine Finanzierung, und zwar eine koordinierte Finanzierung durch die öffentliche Hand, einen flächendeckenden Ausbau – und das nicht nur durch mehr Betten in Hospizen, sondern auch durch mobile Hospizteams, die die Menschen zu Hause betreuen, einen endgültigen Ausbau der Palliativstationen und der Einrichtungen der Langzeitpflege.

All das haben Vorredner, insbesondere Präsidentin Klasnic und Michael Landau, ja schon betont.

Ein kleines Beispiel aus der Arbeit der Diakonie Österreich, das zeigt, dass auch verhältnismäßig kleine Interventionen große Wirkung haben – auch das hat Frau Präsidentin Klasnic schon erwähnt –: Bei uns wurden und werden in nächster Zeit in unseren Alten- und Pflegeheimen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von der Köchin bis zum Gärtner und bis zur Pflegedienstleitung, zum Thema Hospiz geschult. Wünsche zu erkennen, schwierige Themen anzusprechen und Verständnis zu entwickeln, dabei helfen diese Schulungen.

Es gibt auch ein Ergebnis: Es gibt signifikant weniger nicht notwendige und der Angst geschuldete Überstellungen in Krankenhäuser. Ein Sterben in gewohnter Umgebung, ein Sterben zu Hause – und das Pflegeheim, die Hausgemeinschaft kann für viele Menschen das letzte Zuhause sein – wird möglich. Doch wir haben auch gehört, dass erst 83 Heime diesen Weg in Österreich gegangen sind. Es gibt aber rund 800 Alten- und Pflegeheime.

Daher sehen Sie, was da zu tun ist. Doch um diese Schulungen flächendeckend durchzuführen, fehlt es oft an der Finanzierung, und so manches Bundesland kümmert sich mehr darum, als es andere tun.

Ich will aber heute keine Klage führen über den unterschiedlichen Ausbau der Palliativversorgung und die Systemunterschiede in den einzelnen Bundesländern, sondern ich möchte dazu aufrufen, diese Unterschiede zu nutzen. Die verschiedenen Best Practices können dazu beitragen, österreichweit ein zufriedenstellendes System der Palliativversorgung zu entwickeln; denn bislang fehlt es – neben der Orientierung an den besten Beispielen – an der flächendeckenden Umsetzung und der einheitlichen Finanzierung.

Menschen haben ein Recht, in ihrer letzten Lebensphase so gut und qualitätsvoll wie nur irgend möglich zu leben. Das heißt aber auch, dass sie das Recht haben, lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen, die sie nur quälen würden, abzulehnen oder abzubrechen.

Dieses Recht hat im Patientenverfügungs-Gesetz Gestalt angenommen, allerdings gibt es Probleme bei der Umsetzung. Die Patientenverfügung muss bei den Menschen noch bekannter werden und Ärzte und Ärztinnen müssen in Akutsituationen rascheren Zugriff auf die Patientenverfügungen oder Vorsorgevollmachten erhalten. Da wären auch technische Lösungen zu überlegen; dazu hat Frau Dr. Kletečka-Pulker ja schon viel gesagt.

Soweit so gut, so konsensfähig, ja unstrittig.

Wo der Konsens jedoch zu bröckeln beginnt, ist, ob der Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung eine Alternative zur Debatte um andere Formen der Sterbehilfe ist. In den Diskussionen der vergangenen Jahre und Monate war vielfach die Rede von Palliativversorgung statt aktiver Sterbehilfe. Der Ausbau der Palliativversorgung und der Diskurs darüber, was unter würdigem Sterben verstanden wird, sind aber keine Alternativen. Ein rascher Ausbau der Palliativversorgung ist völlig unabhängig von Rechtsdiskussionen zu sehen, und wie Michael Landau das ja gesagt hat: Diese Menschen haben keine Zeit!

Aber warum muss dieser Diskurs geführt werden? – Hinter der Position Palliativversorgung statt aktiver Sterbehilfe steht ein bestimmtes Verständnis vom Recht auf menschenwürdiges Sterben.

Menschenwürdiges Sterben, ein Recht darauf, meint ein Recht auf Leben, das geschützt werden will. – Dieser Position steht eine andere Position gegenüber, die das Recht auf menschenwürdiges Sterben als „right to die“, als Recht auf einen selbstbestimmten Tod versteht.

Wir haben es also mit verschiedenen moralischen Positionen und mit einem gesellschaftlichen Konflikt zu tun, genauer mit einem normativen Konflikt. Und den gilt es, in einer Demokratie auszuhalten und auszutragen. Die Frage ist, ob das Recht beziehungsweise Gesetze alleine als Mittel taugen, um gesellschaftlich umstrittene moralische Fragen zu lösen beziehungsweise nicht geteilte Moralvorstellungen durchzusetzen.

Die Diakonie Österreich meint: Wir müssen die Debatte über diese schwierigen Fragen der Gestaltung des Lebensendes führen, und dem Gewissen des Einzelnen/der Einzelnen muss in diesen Fragen genügend Spielraum gelassen werden! – Doch dazu gleich mehr.

Vorher noch kurz zur Frage, was genau gemeint ist, wenn wir vom „Recht auf“ reden. Diese Formulierung wird ja oft bemüht, doch es bleibt ebenso oft unklar, worauf sich denn ein solcher Rechtsanspruch bezieht. Wenn vom „Recht auf Leben“ gesprochen wird, impliziert das dann auch eine moralische Pflicht, zu leben? Soll der Lebensschutz durch rechtliche Verbote aus dem Recht auf Leben de facto eine Pflicht zu leben machen? Oder lässt sich umgekehrt aus der Ablehnung einer moralischen und/oder rechtlichen Weiterlebensverpflichtung ein positives Recht auf Suizidhilfe oder gar Tötung auf Verlangen ableiten?

Die Position der Diakonie Österreich ist dazu klar, doch eine Vorbemerkung vorweg: Wir sind zurückhaltend gegenüber dem Trend zur Verrechtlichung der Sterbehilfe. Recht und Moral sind nicht deckungsgleich; sie stehen in einem dynamischen Verhältnis zueinander. Je enger der rechtliche Rahmen, desto kleiner der Spielraum für das Gewissen. Je weiter der rechtliche Rahmen, desto größer der Spielraum für das Gewissen. Damit wird die Freiheit des Einzelnen größer, aber auch seine/ihre Verantwortung, gut und richtig zu entscheiden.

Aus evangelischer Perspektive – und der sind wir als Diakonie auch verpflichtet – sind Freiheit und Verantwortung zentrale ethische Prinzipien. Wir meinen, dem Gewissen muss bei ethischen Fragen am Lebensende mehr zugestanden werden. Und ich freue mich, dass das auch der Europäische Gerichtshof so sieht, eben mit dieser Zurückhaltung gegenüber dem Trend zu einer weiteren Verrechtlichung.

Gleichwohl steht aus unserer Sicht fest: Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid sollen verboten bleiben! Sterbewünsche entwickeln sich nämlich nicht im luftleeren Raum, sondern unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, in einem bestimmten gesellschaftlichen Klima. Es darf eben nicht normal werden, sich den Tod mithilfe eines anderen oder gar durch einen anderen geben zu lassen, weil man krank, abhängig oder hilfsbedürftig ist. Da geht es in der Tat um den Schutz der Freiheit, die letzte Lebensphase, das Sterben, ohne Druck von außen zu erleben und zu gestalten.

Worüber wir allerdings nachdenken wollen, das ist ein größerer Spielraum für Gewissensentscheidungen, wenn es um die Frage der Beihilfe zum Suizid geht. Und die Formulierung „größerer Spielraum für Gewissensentscheidungen bei der Beihilfe zum Suizid“ ist sehr bewusst gewählt. Sie impliziert zum einen, dass Beihilfe zum Suizid kein Rechtsanspruch sein kann, der sich an den Staat oder gar an Dritte richtet. Wären Dritte zur Suizidhilfe verpflichtet, hätten sie ja keinen Spielraum für ihre Gewissensentscheidung.

Ein Rechtsanspruch an den Staat, Zugang zur Suizidhilfe zu ermöglichen, würde einer staatlichen Legitimierung von assistiertem Suizid gleichkommen, und das lehnen wir ab – nicht zuletzt deshalb, weil das wiederum die Verantwortungsübernahme durch das Gewissen marginalisieren würde. Zum anderen impliziert die Formulierung „größerer Spielraum für Gewissensentscheidungen bei Beihilfe zum Suizid“, dass wir als evangelische Christinnen und Christen zurückhaltend sind gegenüber kategorischen Urteilen bei existenziellen Konfliktsituationen.

Ich denke an den schweren Konflikt, in dem sich ein Sterbewilliger befindet, der sich fragt: Kann ich mit meiner Familie oder mit meinen Freundinnen und Freunden über meine Pläne sprechen? Kann ich gar jemanden bitten, bei mir zu sein, wenn ich mein Leben beenden will? Oder bleibt mir nur der einsame Suizid – oft mit schrecklichen Mitteln?

Ich denke auch an den Konflikt, in dem sich Angehörige oder Ärzte angesichts des schweren Leides und des eindringlichen Bittens eines Sterbewilligen befinden können. Solch ein Gewissenskonflikt kann schier unerträglich sein. Und ich sehe es als gesellschaftspolitisches Problem an, wenn sich Menschen, die anderen in extremen Leidsituationen beistehen wollen, kriminalisiert fühlen.

Barmherzigkeit ist gefragt, und deswegen plädieren wir dafür, nach juristischen Wegen zu suchen, wie in einzelnen, extremen Fällen der Barmherzigkeit Genüge getan werden kann.

Wir schließen uns der Position der Evangelischen Kirchen in Europa an, die formulieren:

„Dem Umstand, dass moralische Tragödien vorkommen können, ... könnte eher durch den rechtlichen Ausweg entsprochen werden, (…) seltene und extreme Fälle strafrechtlich nicht zu verfolgen und daher die fälligen Rechtswege nicht zu befolgen.“

Oder wie unser Bischof Michael Bünker das formuliert hat:

„Wenn etwas ethisch zweifelhaft ist, bedeutet das nicht, es strafrechtlich verfolgen lassen zu müssen.“

Sehr geehrte Damen und Herren, ich denke, wir brauchen eine neue Diskussionskultur über das Sterben: auf gesellschaftlicher Ebene, aber auch auf persönlicher Ebene. Das Gewissen ist gefragt, und dem Gewissen zu folgen, heißt nicht, zu tun, was mir gerade so einfällt. Das Gewissen muss gebildet werden. Darum schließt sich der Kreis, und deshalb gehört zum flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung auch der Auf- und Ausbau von Ethikberatung in Alten- und Pflegeeinrichtungen.

Es geht darum, Menschen in der letzten Phase ihres Lebens beizustehen – und nicht darum, ihnen mit absoluten Antworten, was für sie richtig und falsch ist, zu begegnen und ihr Gewissen zu beschweren. – Danke. (Beifall.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer dankt allen Referentinnen und Referenten für ihre Ausführungen und leitet zum nächsten Punkt über.

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Statements der im Nationalrat vertretenen politischen Fraktionen

Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ): Ich möchte eingangs herzlich all jenen danken, die dazu beigetragen haben, dass wir diese Enquete durchführen. Das ist heute der erste Tag, wir haben ja noch eine Reihe von Tagen vor uns, aber alleine die großartigen Referate am heutigen Tag haben uns gezeigt, wie breit dieses Spektrum ist, wie groß diese Verantwortung ist und was von der Politik natürlich zu Recht gefordert wird, nämlich entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, um mit diesen Problemen umzugehen. Nun ist die Politik nicht nur die Politik, sondern wir alle sind Bestandteil der Gesellschaft, und es ist natürlich auch unsere persönliche Betroffenheit, wie man mit diesen Dingen umgeht. Es geht hier sicherlich nicht nur um rechtliche Rahmenbedingungen, sondern auch darum – und das ist ja auch der Vorteil dieser öffentlich ausgetragenen und vorgetragenen Enquete-Veranstaltung hier –, Bewusstsein in der Gesellschaft, bei uns zu bilden.

Es ist so, dass wir im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformen – die vielleicht nicht in Europa, sondern etwa in Südamerika gegeben sind – zu der Frage, wie man mit dem Ende des Lebens umgeht, ein nicht so offenes, nicht so selbstverständliches Verhältnis haben, sondern dass die Wahrscheinlichkeit, da ein wenig wegzuschauen und zu hoffen, dass ohnedies alles seine Richtigkeit hat, es den Spitälern oder sonstigen Einrichtungen zu überlassen, gewissermaßen vielfach im Vordergrund steht.

Was hier heute stattfindet und was die Enquete-Kommission sicherlich bewerkstelligen wird, ist, dass wir sagen, wir wollen dieses Problem bewusst angehen. Es gehört ganz einfach zu unserem Alltag in unseren Familien, in unserem Bekanntenkreis, insgesamt zu diesem Thema eine neue Einstellung zu bekommen.

Wenn heute hier die Reaktion eines Todkranken angesprochen worden ist, ihn auf seine Krankheit anzusprechen und mit ihm darüber zu reden, wie die letzten Tage und Stunden gestaltet werden sollen, dass das Dankbarkeit, eine Erlösung, eine Erleichterung mit sich bringt, dann sieht man ja auch, wie sehr dies notwendig ist, diese menschliche Dimension, sich nicht mit Sorge davor zu fürchten und das nicht anzusprechen, sondern da wirklich aktiv zu werden.

Es ist daher notwendig, dass wir darüber sprechen, wie wir das bewerkstelligen können.

Es ist mehrfach das Thema Finanzierung angesprochen worden, und ich bedauere es außerordentlich, dass die Landeshauptleutekonferenz entgegen der ursprünglichen Zusage heute niemanden hergeschickt hat. Aber ich darf Ihnen eines versichern: Wenn diese Enquete-Kommission abgeschlossen ist und es nicht gelingen sollte, den größten Teil dieser Themen, die wir heute anschneiden, wirklich so zu lösen, dass es eine umfassende Erweiterung der Hospiz- und Palliativmedizin gibt – und das ist ein ganz, ganz wesentlicher Punkt –, dann sind wir politisch gescheitert: nicht nur die Parteien, sondern das Parlament insgesamt. Allein mit dieser Feststellung möchte ich zum Ausdruck bringen, dass es unser oberstes Ziel ist, Verbesserungen zustande zu bringen.

Nun ist es so, dass wir bei der Frage, wie mit dem Ende des Lebens umzugehen ist, in der politischen Diskussion natürlich auch den Menschen und seine Position zu beurteilen haben. Das Menschenbild ist daher im Vordergrund. Es ist so, dass es in einer aufgeklärten und säkularen Welt selbstverständlich sein muss, dass die Selbstbestimmung jedes Einzelnen es auch ermöglichen muss, zu sagen: Ich kann und will in dieser Situation nicht mehr leben, und ich möchte mein Leben auf würdevolle Art und Weise beenden!

Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass diese Überlegung nicht aus Gründen wie Angst, Not oder sonst irgendetwas erfolgt, sondern dass dem Menschen durch palliativmedizinische Unterstützung bis zuletzt jener Rahmen geboten wird, wo er gerne lebt, wo man Medizin verabreicht, wo man Schmerz mildert, wo man seelische Bedürfnisse bei den Menschen erkennt und ihnen Unterstützung gibt, wo man sie sozusagen auffängt und gemeinsam mit ihnen diesen Weg geht.

Aber wenn ich mir etwa die Situation von Diane Pretty anschaue, von der Dame, die eine langsame Lähmung, die den ganzen Körper umfasst, erleben muss, die sich dann nicht mehr rühren kann und die absehen kann, wie diese Erkrankung weitergeht, dann ist es so, dass das nicht körperliche Qualen sind – die kann man sedieren –, sondern das sind seelische Qualen! Ich persönlich tue mir etwas schwer, damit so umzugehen, dass gesagt wird: Es ist eben das menschliche Schicksal, das zu ertragen, und wir helfen zwar bis zur letzten Stunde, aber wir können nicht den Willen und den Wunsch, eine Erlösung herbeizuführen, unterstützen.

Ich anerkenne auch, dass es in Holland eine Entwicklung gibt, die wir nicht haben wollen, aber ich finde, gerade das vorangegangene Referat zeigt auf, dass wir uns auch mit diesem Thema auseinandersetzen sollen, um auf verantwortungsvolle Art und Weise auch auf diese wenigen Fragen dort, wo es tatsächlich Unterstützung nicht mehr gibt, die wir bieten können, eine Antwort zu finden.

Wir werden ansonsten auch selbstverständlich über die notwendigen rechtlichen Rahmenbestimmungen in Bezug auf Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht zu reden haben. Das muss niederschwelliger sein, es muss für jeden möglich sein – sonst ist es keine Selbstbestimmung –, zu wählen, wie am Ende der Tage vorgegangen werden soll.

Ich bin zuversichtlich und glaube, dass wir das tatsächlich umsetzen können werden. – Danke schön. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Franz-Joseph Huainigg (ÖVP): Ich höre oft die Aussage: Wenn ich ein Leben an einem Schlauch führen müsste, dann wollte ich dieses Leben nicht mehr weiterführen, dann wäre ich lieber tot!

Meine Damen und Herren, ich führe ein Leben an einem Schlauch, an einem Beatmungsschlauch, ich bekomme durch diesen Schlauch 24 Stunden Luft – und es ist ein gutes Leben, das ich führe! Ein Leben, das vor Kurzem auch von einem zweiten Schlauch abhängig war, von einer Magensonde, über die ich ernährt wurde.

Wenn es diese Schläuche nicht gäbe, wäre ich heute nicht mehr am Leben. Es war meine freie Entscheidung, ein Leben mit Schläuchen zu führen. Aber es war keine einfache Entscheidung, und ich muss gestehen, dass ich mir vor zehn Jahren nur sehr schwer ein Leben mit Schläuchen hätte vorstellen können.

Als ich 2006 bei einer großen Gesundheitskrise ins Krankenhaus kam, nahmen die Ärzte meine Frau auf die Seite und fragten sie: Will der überhaupt noch leben?

Sie hatten einen Menschen vor sich, der sehr mager war, denn durch die Schluckbeschwerden hatte ich Probleme, zu essen. Arme und Beine waren gelähmt, und ich bekam kaum mehr Luft.

Aber ich habe in einer Patientenverfügung festgelegt, was mein Wille ist, dass ich weiterleben möchte und dass alle medizinischen Möglichkeiten dafür genutzt werden sollten. Ich habe diese Möglichkeiten wirklich gut kennengelernt. – Sie sehen die Möglichkeit auch hier, autonom und selbstbestimmt zu agieren.

Aber natürlich hat die sogenannte Apparatemedizin auch eine negative Seite. Vor allem in Krankenhäusern werden Patienten oft gegen ihren Willen am Leben erhalten. Dieses Recht des Willens des Patienten, diese Patientenrechte müssen wesentlich unterstützt werden.

Da braucht es Bewusstsein, einerseits bei den Ärzten, andererseits aber auch bei der Bevölkerung, was eine Patientenverfügung beziehungsweise eine Vorsorgevollmacht ist; ebenso Informationen darüber, dass man jederzeit eine Therapie auch ablehnen kann.

Vor Kurzem war in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ ein niederländischer Journalist zu Gast, der sich kritisch über die niederländische Euthanasiegesetzgebung äußerte. Er schilderte die Situation seines Freundes, der MS hat. Dieser Freund bekommt immer wieder zu hören: Jammere nicht, denn du hast ohnehin die Möglichkeit, zu sterben!

Meine Damen und Herren! Jegliche Euthanasiegesetzgebung übt Druck auf behinderte Menschen und ältere Menschen aus! Man muss sich dann dafür rechtfertigen, überhaupt am Leben zu sein, Pflege in Anspruch zu nehmen oder den anderen noch weiter zur Last zu fallen! Das ist in den Niederlanden der Hauptgrund: dass man den anderen nicht zur Last fallen möchte.

Tötung ist keine Antwort auf Not und Verzweiflung, auf Ängste und Sorgen. Der Sterbewunsch, der entsteht, ist in Wirklichkeit ein Hilferuf, auf den wir anders reagieren müssten: mit Zuneigung, mit Trost, mit Nächstenliebe. Es braucht eine Kultur des Beistandes, und es braucht eine Kultur der Trauer.

Kardinal König hat im Jahre 2001 hier in diesem Hohen Haus Stellung dazu bezogen und gesagt, dass man nicht durch die Hand des anderen sterben sollte. Er hat danach einen Brief an den Nationalrat verfasst, den ich kurz zitieren möchte.

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(Verlesung des Zitates durch die parlamentarische Mitarbeiterin)

Ich „appelliere an Sie“ als Abgeordnete, „in der Bundesverfassung auch ein Verbot der Tötung auf Verlangen zu verankern. Ich halte einen klaren und verbindlichen Rahmen für unverzichtbar, der sicherstellt, dass es auch künftig in unserem Land keinen Raum für aktive Sterbehilfe, für die Tötung auf Verlangen, für Euthanasie geben soll ... ‚Sterbehilfe‘, also Euthanasie, soll in Österreich künftig auch verfassungsrechtlich untersagt werden – als Wegweiser und Bekenntnis zu einer ‚Kultur des Lebens‘ und als Signal für Europa, also über die Grenzen unseres Landes hinaus.“

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Diesen Weg wollen wir weitergehen, und ich bin gespannt auf die Anregungen und Vorschläge der Enquete-Kommission, wie die Situation in Österreich zu verbessern ist.

Ohne die Ergebnisse vorwegnehmen zu wollen, glaube ich, dass es einen Rechtsanspruch für Hospiz- und Palliativmedizin braucht.

Meine Damen und Herren! Künstler bringen die Dinge oft auf den Punkt. Lotte Ingrisch hat vor Kurzem dem „Standard“ gegenüber gesagt: Wenn es in Österreich die Möglichkeit der Sterbehilfe gibt, hätte ich mich schon längst bei der Müllabfuhr angemeldet.

Meine Damen und Herren! Menschen durch die Müllabfuhr zu entsorgen, ist nicht das, was wir uns unter einem humanitären Sterben vorstellen. Die Menschenwürde ist unantastbar, und sie wohnt jedem von uns inne. Daher sollte auch die Menschenwürde in der Verfassung verankert werden. Es geht um die Menschenwürde nicht nur am Lebensende, sondern auch für das Leben, für ein Leben bis zuletzt.

Über das Thema Sterben zu reden, ist schwierig, und ich muss gestehen, dass auch ich Angst habe, zu sterben. Diese Auseinandersetzung ist immer verbunden mit schmerzhaften Fragen von Abschied und Trauer, mit Lebenssinnfragen. Aber wenn es schon für den Einzelnen schwierig ist, sich damit auseinanderzusetzen: Wie schwierig ist es dann erst für die Politik, darüber ins Gespräch zu kommen!

Inge Baldinger hat in den „Salzburger Nachrichten“ geschrieben: Es ist der Politik „hoch anzurechnen“, dass sie das Schweigen über das Lebensende durchbricht. Deshalb möchte ich mich auch bedanken und es begrüßen, dass diese Enquete-Kommission, die ich gefordert habe, jetzt stattfindet und mit Leben erfüllt wird. – Danke. (Beifall.)

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Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein (FPÖ): Ich glaube, es ist etwas Großes damit gelungen, dass sich dieses Hohe Haus mit einem Thema befasst, das man normalerweise am liebsten wegschieben möchte, nämlich mit dem Thema Tod.

Die Würde am Ende des Lebens umfasst ja vieles, wir haben es heute gehört: Wir haben unterschiedlichste Statements von sieben Experten gehört. Jedes ging in eine andere Richtung; jedes war richtig. Es geht um Hospiz, es geht um Palliativversorgung, es geht um Sterbehilfe – und so unterschiedlich die Themen sein mögen, sie hängen letztlich alle zusammen.

Ein Punkt ist mir heute ein bisschen zu kurz gekommen. Man hat nämlich ein wenig den Eindruck, das Ende des Lebens wäre nach, sage ich jetzt einmal, 80 Jahren – das ist falsch! Wir haben ein ganz großes Problem auch im Bereich der Versorgung von Menschen, die nach wenigen Wochen, nach wenigen Jahren oder Jahrzehnten sterben. Dieser Personengruppe wird meines Erachtens noch viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Das sind Menschen, die meistens schwere Krankheiten haben, wenn sie in eine Situation kommen, in der sie Versorgung brauchen.

Ich glaube, man muss das auch noch mit aufnehmen: Es ist auch wesentlich, zu erkennen, dass es jeden treffen kann. Jeder von uns kann schon morgen in einer Situation sein, in der er es braucht – und zwar morgen, nicht erst in vielen Jahren.

Daher ist es, denke ich, ein wichtiges Thema, das wir auch in die Köpfe der Menschen bringen müssen, in die Köpfe der Österreicherinnen und Österreicher, denn es ist nicht die Aufgabe der Politik allein, da etwas vorzugeben und zu sagen: Das ist richtig!; das ist falsch!

Ganz im Gegenteil: Ich denke, Aufgabe der Politik kann es ja nur sein, entsprechende Rahmenbedingungen, entsprechende Moralvorgaben zu geben, in einem gewissen Rahmen, in dem sich dann jeder Einzelne das für sich herausholt, was für ihn richtig ist. Es ist heute schon viel über die Patientenverfügung gesprochen worden. Ich habe nicht ganz verstanden, als die Vorsitzende der Ethik-Kommission gesagt hat, für sie ist das kein Thema, weil sie nicht chronisch krank ist.

Ich glaube, das sollte für alle Menschen ein Thema sein, denn wir alle können sehr schnell in Situationen kommen, wo wir eine solche Verfügung brauchen. Es kann auch ein Unfall passieren, und dann brauchen wir möglicherweise eine Patientenverfügung. Daher sehe ich das ein bisschen anders. – Ich begrüße jedenfalls die Initiativen, die hier von allen Parteien ausgehen, und wir werden das ja auch noch in weiteren Runden besprechen.

Dass man das niederschwellig macht, ist, glaube ich, ein Schlüssel zur Selbstverantwortung, die wir jedem einzelnen Menschen in die Hand geben wollen. Ich glaube, gerade Selbstverantwortung haben Menschen oftmals verlernt.

Wenn man an den Fall der Brittany Maynard aus Amerika denkt, die sich am 1. November 2014 selbst getötet hat, muss man sich fragen: Was ist denn die Motivation von Patienten? Warum gehen sie diesen Schritt? Vielfach ist es doch die Angst der Patienten, die Angst vor Schmerzen, die Angst davor, abhängig zu sein, aber auch die Angst vor ökonomischem Druck, der oftmals aufgebaut wird, die Angst, nicht zu wissen, wie die Versorgung überhaupt finanziert werden kann.

Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Angst ist immer ein ganz schlechter Berater. Es darf in Österreich nicht sein, dass irgendjemand Angst davor haben muss, sich vielleicht die Pflege-, die Hospiz- oder die Palliativversorgung nicht leisten zu können. – Das ist der eine Grund.

Der zweite Grund ist natürlich auch, dass man vielfach nicht weiß: Begibt man sich in die Hände eine Arztes oder Pflegers, der mit den ganz persönlichen Sorgen und Ängsten, die bei jedem Menschen ganz individuell sind, umgehen kann? Ist der entsprechend ausgebildet? Hat der auch die Möglichkeit einer Selbstreflexion, einer weiteren Diskussion mit dem Patienten? All das sind oftmals die Motivationsgründe dafür, dass Menschen lieber den Weg in Richtung Selbsttötung gehen wollen, als sich sozusagen in eine Verantwortung zu begeben. – Ich glaube, da müssen wir ansetzen.

Wir sind es gewohnt, dass durch den medizinischen Fortschritt eigentlich alles möglich ist. Patienten erhoffen und erwarten sich, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Wir wollen den „schönen“, den „würdevollen“ Tod. Trotzdem sind auch der Medizin und der Versorgung Grenzen gesetzt, und ich glaube, wir müssen das den Menschen auch wirklich so vermitteln, dass sie es verstehen, dass sie sich rechtzeitig selbst damit auseinandersetzen.

Ich habe erst vor wenigen Tagen mit jemandem gesprochen, dessen Kinder ganz verzweifelt waren – ein neunjähriges Mädchen hat die tote Oma gefunden, die in der Nacht im gemeinsamen Haushalt verstorben ist. Da kommt dann das große Jammern, weil man sich mit dem Thema Tod nie beschäftigt hat. Das neunjährige Kind hat das erste Mal etwas vom Thema Tod gehört; die Eltern waren völlig überfordert mit dieser Thematik.

Ich denke, das zeigt: Wir alle wollen uns mit dem Thema Tod nicht auseinandersetzen, weil es traurig ist, weil wir alle nicht wissen, was da auf uns zukommt. Wir alle werden eines Tages sterben, aber wir alle haben keine Erfahrung, wie es ist mit dem Sterben. Ich denke, genau diese Unsicherheit ist es, die die Menschen da ein bisschen leitet.

Aufgabe der Politik muss es auch sein, den Menschen Sicherheit zu geben. Daher halte ich die Forderung nach einem Facharzt für Palliativmedizin für eine ganz wesentliche und gute Forderung, weil sie garantiert, dass man sich darauf verlassen kann, an jemanden zu kommen, der darin ausgebildet ist, der alle Facetten dieses Problems kennt.

Zum Thema Finanzierung und Finanzierungsgarantie: Was bei all diesen Diskussionen nicht sein darf, ist einerseits, dass ein ökonomischer Gedanke im Vordergrund steht, dass man an irgendwelche Hospizbetreiber denkt oder irgendeinen Regionallobbyismus betreibt, damit in irgendeiner Region ein Hospiz eröffnet wird, um dort die Wirtschaft zu beleben. Ich denke, das ist der falsche Zugang.

Hospizeinrichtungen sind für die Patienten, für die schwerstkranken Menschen da. Das muss der Zugang sein.

Ich möchte an die Ausführungen des Kollegen Jarolim anschließen. Wenn wir es hier im Parlament nicht schaffen werden, da Änderungen zustande zu bringen, ja, dann sind wir gescheitert, dann hat diese Enquete-Kommission ihr Ziel verfehlt. – Daher hoffe ich wirklich auf ein gedeihliches Miteinander auch bei den nächsten Terminen. (Beifall.)

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Abgeordnete Dr. Eva Mückstein (Grüne): Wir setzen uns in dieser Enquete-Kommission damit auseinander, wie wir mit Menschen umgehen sollen, die schwer leiden, die schwer krank oder sehr stark beeinträchtigt sind, die sterbend sind oder aus dem Leben scheiden wollen, weil für sie das Leben unerträglich wurde.

Wie können wir diese Menschen begleiten? Wie können wir ihnen am besten helfen, damit Würde am Ende des Lebens gesichert ist? Und was bedeutet Würde in diesem Zusammenhang? – Das Recht auf Selbstbestimmung und Autonomie, das Gebot, die Einzigartigkeit, die Besonderheit, die Individualität jedes Menschen zu betonen, das Recht auf Erfüllung individueller Bedürfnisse und Selbstentfaltung und auf ein beziehungsvolles soziales Leben auch im Leiden und im Sterben, und das Sterben zuzulassen, wenn das Sterben sich einstellt.

Das ist mein persönlicher Zugang. Das ist eine Sichtweise, um den Begriff Würde zu interpretieren.

Unter Würde verstehen andere aber in erster Linie das Gebot des absoluten Lebensschutzes und den Respekt vor dem Leben nicht nur, aber auch im religiösen Sinn. Diese Antinomie gilt es, zu überwinden. Zwischen diesen beiden Polen suchen wir nach einer Verortung; und ich denke, diese Enquete-Kommission könnte einen Beitrag dazu leisten, dass wir uns zwischen diesen beiden Polen in unseren Sichtweisen und Werthaltungen weiterentwickeln.

Ein gesellschaftlicher Konsens über diese unterschiedlichen Betrachtungsweisen existiert in Österreich derzeit nicht. Das ist einer der hauptsächlichen Gründe dafür, dass wir Grüne nicht für eine neue Verfassungsbestimmung sind. Das betrifft sowohl das Sterbehilfeverbot als auch ein soziales Grundrecht auf Würde am Ende des Lebens.

Das Leiden und das Sterben werden nach wie vor tabuisiert und sind der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend entzogen – oder viel zu sehr entzogen. Ich persönlich bin auch der Meinung, dass die derzeitige Pflegeheimstruktur für die würdevolle Betreuung alter Menschen kein zukunftsfähiges Modell ist.

Wir wissen, dass 60 Prozent der Menschen letztlich im Krankenhaus sterben, oft einsam und ohne Rücksicht auf ihre individuellen Bedürfnisse im Sterbeprozess. Das ist eigentlich ein unhaltbarer Zustand, der ganz dringend einer Weiterentwicklung bedarf.

Wir brauchen eine neue Sterbekultur,  und wir brauchen den Diskurs darüber. Wir brauchen eine Sterbekultur, mit der die Würde am Ende des Lebens tatsächlich gesichert ist. Dafür ist jedenfalls eine flächendeckende Hospiz- und Palliativversorgung zu fordern und zu sichern, die für alle Menschen jeden Alters zugänglich und leistbar ist und in die Regelversorgung übernommen wird.

Ein großes Anliegen ist uns auch eine Verbesserung in Bezug auf Schmerztherapie. Ambulante und stationäre schmerztherapeutische Einrichtungen müssen ausgebaut werden. ÄrztInnen und Gesundheitsberufe müssen für die Schmerzbehandlung und das Sterben-Zulassen entsprechend ausgebildet sein.

Die Information über PatientInnenverfügungen und Vorsorgevollmachten muss verbessert werden. Bürokratische und finanzielle Hürden müssen in diesem Bereich fallen, damit alle, die es wollen, dieses Instrument der Selbstbestimmung nützen können.

In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere konstruktive und, ich denke, doch auch erhellende Auseinandersetzung. Seitens der Grünen werde ich mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzen, dass den Worten dann auch konkrete Taten folgen. – Danke schön. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Marcus Franz (Team STRONACH): Als Arzt halte ich diese Debatte für extrem wichtig. Sie ist längst überfällig. Worüber wir allerdings nicht debattieren müssen, sind neue Formen der Sterbehilfe. Wir haben in Österreich die indirekte und passive Sterbehilfe seit vielen Jahren im Gesetz verankert. Sie wird nur nicht immer richtig eingesetzt.

Das liegt an verschiedenen Dingen, die wir heute zum Teil schon gehört haben, nämlich an der noch viel zu dürftigen Verbreitung von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten und vor allem am mangelnden Bewusstsein in der Bevölkerung, dass es so etwas gibt.

Ulrike Weiser, Journalistin bei der „Presse“, hat heute einen sehr interessanten Artikel in ihrer Zeitung veröffentlicht, in dem sie sich mit dem Paradoxon der Selbstbestimmung beschäftigt. Wir alle reden von Selbstbestimmung. Meistens sind das sehr junge, sehr gesunde, sehr aktive Leute, die über die Selbstbestimmung und darüber, wie sie eingesetzt werden soll, befinden. Aber wenn man dann nachschaut, was aus dieser Selbstbestimmung wird, dann kommt man drauf: Sie wird eigentlich nicht ausgenützt in den wirklich essenziellen Bereichen des Lebens – und das Sterben ist eben einer davon.

Das heißt, es ist Aufgabe der Politik, sich da noch viel mehr einzusetzen in dem guten Bestehenden, nämlich im Bereich der indirekten und passiven Sterbehilfe, die wir leben und bis zum Tode erleben dürfen in Österreich; es funktioniert, wenn man es richtig tut.

Es ist Aufgabe der Politik, darauf aufmerksam zu machen, Unterstützung zu geben, die Institutionen, die das schon machen, in weiterer Folge noch mehr aufzumunitionieren – ich sage das jetzt absichtlich so martialisch –, und zwar mit Finanz und Willen, das umzusetzen.

Ich finde es genauso schade wie Kollege Jarolim, dass niemand von der Landeshauptleutekonferenz heute da ist, um sich das anzuhören und einmal darüber nachzudenken, was man da tun könnte für die, die keine oder nur mehr ganz wenig Stimme haben, nämlich die, die am Ende ihres Lebens angelangt sind.

Ich hoffe, dass wir es in dieser Enquete-Kommission noch mehrfach thematisieren werden, dass gerade Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung ganz wichtige Punkte sind, durch den wir viel Druck aus der Diskussion herausnehmen können.

Es ist mir auch ganz wichtig – weil ich es selbst erlebt habe über viele Jahrzehnte des Arztseins –, dass man den Druck von den Ärzten wegnimmt. Wir stehen vor allem in den Spitälern unter einem unglaublichen medialen und juristischen Druck.

Die allermeisten Ärzte glauben, sie müssen alle Formen der Medizin bis hin zur seligmachenden oder auch nicht seligmachenden Apparatemedizin ausüben und alles benützen, was zur Verfügung steht, das ganze Armamentarium, das wir haben, auf den Patienten loslassen, um den Betreffenden am Leben zu erhalten. – Das stimmt nicht, und das wissen auch die meisten Ärzte, nur: Die Angst vor juristischer Verfolgung, die Angst vor einer medialen Hetze ist so groß, dass man sich leider Gottes im Spital gezwungen fühlt, Leben um jeden Preis zu erhalten.

Daher auch hier ein ganz wichtiger Appell: Wir brauchen mehr wissen von Patienten, von Angehörigen, wir brauchen mehr Vollmachten. Wir müssen wissen von der Patientenseite und von der Angehörigenseite her, was der Betreffende/die Betreffende gewollt hätte, wie sich der Patient seinen Tod, sein Sterben vorgestellt hat.

Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den man nicht oft genug wiederholen kann. Da sind wir alle aufgerufen, mit den Leuten zu reden, dieses Thema anzusprechen in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, überall. Das Sterben gehört zum Leben, und es sollte wieder so wie früher einmal sein, dass das kein Tabu mehr ist.

Es soll nicht so sein, dass man die Leute abschiebt, irgendwo auf Stationen oder ins „Sterbekammerl“ – was noch immer ein Faktum ist, in manchen Spitälern gibt das noch –, sondern es sollte klar sein, dass das ein Teil des Lebens ist und dass das grundsätzlich mit Würde verbunden ist.

Stichwort Würde: Wenn wir über die Würde am Ende des Lebens reden, dann müssen wir auch über die Würde am Anfang des Lebens reden. Ansonsten kommen wir nicht weiter. Wir können nicht segmental einen Würde-Begriff kreieren, der für Sterbende gilt, aber für die Ungeborenen und für die Gezeugten nicht.

Wir alle kennen das Problem der Fortpflanzungsmedizin. Wir wissen, dass in der Gentechnik Dinge passieren, von denen wir noch gar nicht wissen, wo sie uns hinführen. Darüber breiten wir den Mantel des Schweigens, das interessiert uns jetzt nicht so sehr. Wir reden jetzt einmal über die, die ihr Leben schon gelebt haben. Wir reden aber nicht über die, die ihr Leben noch vor sich hätten. Ich sage mit Absicht: hätten.

Da ist ein ganz großer Diskussions- und Debattenbedarf noch vor uns, und ich glaube, wir sollten diese Enquete zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, in der weiteren Folge eine Enquete-Kommission zur Fortpflanzungsmedizin, zur Frage des pränatalen Umgangs mit Menschen zu organisieren, uns zusammenzusetzen und uns darüber Gedanken machen. – Danke schön. (Beifall.)

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Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): In unserer heutigen Zeit gibt es nur noch wenige Tabus. Eines davon ist jedenfalls der Tod, ist das Sterben. Man schiebt den Tod weg, und doch betrifft kein Thema uns alle so sehr wie dieses.

Ich halte es daher für einen besonders positiven Schritt, dass sich das Parlament zu dieser Enquete-Kommission entschlossen hat. Die Frage, wie die Würde am Ende des Lebens aussehen soll und welche Rolle der Staat dabei spielen darf und spielen soll, ist eine, der wir uns als Gesellschaft stellen müssen.

Für uns von NEOS bedeutet Würde auch und vor allem Selbstbestimmung. Wir möchten selbstbestimmt leben können. Wir möchten sicher sein, dass auch am Ende unseres Lebens keine Einschränkung dieser Selbstbestimmung stattfindet. Dafür braucht es aber entsprechende Voraussetzungen, einen Rahmen, und diesen Rahmen soll die Politik abstecken.

Zum einen geht es hier um die Frage, wie wir eine Sterbebegleitung sicherstellen, die den Bedürfnissen der Betroffenen und ihres Umfelds gerecht wird – und dies in einem Umfang, der garantiert, dass ein würdevolles Sterben nicht zum Glücksfall wird. – Von dieser Vision sind wir aber leider noch weit entfernt.

Derzeit besteht zwar Konsens darüber, dass Hospiz- und Palliativversorgung bundesweit flächendeckend umzusetzen ist und für alle, die sie brauchen, leistbar und erreichbar sein muss, in der Praxis ist aber dieses Bekenntnis noch nicht vollständig angekommen.

Im Arbeitsprogramm der Österreichischen Bundesregierung ist festgelegt, dass die „gesicherte Verfügbarkeit von mobiler und stationärer Hospizbetreuung, auch für Kinder“ ein Ziel ist. Das unterschreiben wir natürlich sofort.

Wir setzen darauf, dass diese Enquete-Kommission nicht nur einen Diskurs ermöglichen, sondern mit konkreten Ergebnissen in diesem Bereich einhergehen wird. Dazu braucht es eine Kraftanstrengung von allen Fraktionen, allen Akteuren, und zwar auf Bundes- als auch auf Landesebene.

Wenn ein entsprechendes Angebot im Palliativ- und Hospizbereich besteht, das man auch wahrnehmen kann, das auch verfügbar ist, dann kehrt, wie Expertinnen und Experten bestätigen, mitunter auch der Lebenswille von Menschen zurück. Gerade deshalb braucht es dieses Angebot.

Zum anderen hat die Forderung nach Selbstbestimmung aber auch Auswirkungen auf die Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens, in dem wir uns bewegen. Die Fortschritte in der Medizin eröffnen Entscheidungsfragen, die es früher so nicht gab. Die Frage, ob es zulässig sein soll, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen, den man für gut und würdig hält, um aus dem Leben zu gehen, erhitzt dabei am stärksten die Gemüter.

Diese Frage wird aktuell in unserem Nachbarland Deutschland geführt, und mit dieser Debatte sind viele Ängste verbunden, natürlich auch durch das „Mahnmal“ jüngere Geschichte, denn das Grauen „Euthanasie“ darf sich nicht wiederholen.

Die Frage der Selbstbestimmung am Ende des Lebens dürfen wir, wenn wir einen offenen und aufrichtigen Diskurs wollen, trotz dieser historischen Last aber nicht einfach ausklammern, denn Würde am Ende des Lebens bedeutet: Es soll niemand anderer als ich selbst entscheiden dürfen. Die Wünsche und Ängste am Lebensende sind so unterschiedlich wie das Leben selbst.

Zugleich müssen die Betroffenen in einer modernen Patientenverfügung in ihrer Autonomie gestärkt werden. Patientenverfügungen dürfen schließlich nicht an Barrieren wie zu hohen Kosten scheitern, sondern müssen so konzipiert sein, dass sie im medizinischen Bedarfsfall auch sinnvoll genutzt werden können.  Da gibt es also Problemstellungen, die wir im Zuge unserer Diskussionen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger lösen müssen. Wichtig ist, dass diese Debatten ergebnisoffen und ohne ideologische Scheuklappen geführt werden und stets unter Einbindung der interessierten Öffentlichkeit.

Es freut mich daher sehr, dass es zu allen Anhörungen einen Live-Stream geben wird und dass die Möglichkeit zur Einbringung schriftlicher Stellungnahmen verlängert wurde. Bislang haben uns auf diesem Weg über 600 Stellungnahmen von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von Institutionen erreicht – ein inhaltlich sehr buntes Konvolut an Anmerkungen, Positionen und Vorschlägen, von denen wir, wenn wir gut beraten sein wollen, keine außer Acht lassen sollten.

Ich wünsche mir, dass diese Enquete-Kommission eine Behandlung dieses wichtigen Themas aus ebenso vielen Perspektiven ermöglichen wird, und zwar ohne erhobenen Zeigefinger und ohne das Schüren von Ängsten. Das sind wir dem Thema, aber auch den Menschen, die sich dazu eingebracht haben – und hoffentlich weiter einbringen werden –, wirklich schuldig. (Beifall.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer begrüßt die geäußerte Absicht aller Fraktionen, zu guten Ergebnissen zu kommen; man werde daher gemeinsam und ergebnisorientiert an Verbesserungen arbeiten. Gemeinsames Anliegen sei es, ein würdevolles Lebensende zu ermöglichen und zu sichern.

Die Obfrau dankt abschließend allen Teilnehmenden für ihr Interesse und ihre Mitarbeit sowie den Referentinnen und Referenten für ihre Ausführungen, gibt den 25. November als nächsten Sitzungstermin bekannt, bei dem man sich vor allem mit dem Thema Hospiz befassen werde – und erklärt die Sitzung für geschlossen.

 

Schluss der Sitzung: 13.23 Uhr