64/KOMM XXV. GP

 

Kommuniqué

der Enquete-Kommission zum Thema „Stärkung der Demokratie in Österreich“

Die Enquete-Kommission zum Thema „Stärkung der Demokratie in Österreich“ hat in der konstituierenden Sitzung am 18. Dezember 2014 auf Vorschlag der Obfrau Doris Bures gemäß § 39 des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates einstimmig beschlossen, die auszugsweisen Darstellungen der öffentlichen Anhörungen als Kommuniqué zu veröffentlichen.

 

Am 18. Dezember 2014 fand die erste öffentliche Anhörung statt, deren auszugsweise Darstellung angeschlossen ist.

 

Wien, 2015 01 19

                           Mag. Wolfgang Gerstl                                                               Doris Bures

                                     Schriftführer                                                                              Obfrau


 

 

 

Parlament Österreich

 

 

Enquete-Kommission

 

„Stärkung der Demokratie in Österreich“

 

Bild des Parlamentsgebäudes

 

 

Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

 

1. Sitzung

Donnerstag, 18. Dezember 2014

10.02 Uhr – 13.46 Uhr

NR-Saal

 

 

 

In der 1. Sitzung am 18. Dezember 2014 erfolgt im Ausschusslokal V – in nichtöffentlicher Sitzung – die Konstituierung der Enquete-Kommission „Stärkung der Demokratie in Österreich“, ebenso werden Geschäftsordnungsfragen geklärt.

Nach einer Sitzungsunterbrechung wird die 1. Sitzung im NR-Saal öffentlich fortgesetzt.

 

Fortsetzung der 1. Sitzung: 18. Dezember 2014, 10 Uhr

 

Thema:

Weiterentwicklung der Direkten Demokratie, Bund – Recht – Politische Positionen

 

 


 

Beginn der Sitzung: 10.02 Uhr

Obfrau Präsidentin Doris Bures begrüßt die Anwesenden im Sitzungssaal des Nationalrates sowie die Zuseherinnen und Zuseher via Livestream und weist auf die Besonderheit hin, dass erstmalig acht Bürgerinnen und Bürger, die mittels Auslosung ausgewählt wurden, an dieser Enquete-Kommission teilnehmen. Dabei handle es sich in alphabetischer Reihenfolge um Heinz Emhofer, Günther Liegl, Michelle Missbauer, Felix Ofner, Marlen Ondrejka, Harald Petz, Mag. Barbara Ruhsmann und Helga Schattauer.

Eine weitere Neuerung im parlamentarischen Verfahren sei, dass es über eine an der rechten Hinterseite des Präsidiums montierte Leinwand sowie über das Internetportal des Parlaments möglich ist, aktuelle Tweets zur laufenden Sitzung mitzuverfolgen. Um eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit zu unterstützen, seien alle Bürgerinnen und Bürger eingeladen, unter dem Twitter-Hashtag „#EKDemokratie“ an dieser Debatte teilzunehmen.

Diese Enquete-Kommission sei von allen im österreichischen Nationalrat vertretenen politischen Parteien gemeinsam eingesetzt worden, um sich in einem intensiven und ernsthaften Prozess mit der Frage zu beschäftigen, wie die Demokratie in Österreich gestärkt werden könne. Es gehe nicht darum, Elemente der direkten Demokratie gegen den Parlamentarismus als tragende Säule der repräsentativen Demokratie auszuspielen, sondern vielmehr darum, wie diese beiden Instrumente gestärkt und auch sinnvoll miteinander kombiniert werden könnten – im Sinne des Satzes: „Wer die Demokratie stabil halten will, muss sie in Bewegung halten.“

Nach einem Hinweis auf die Redeordnung leitet die Obfrau zum Themenbereich

Bund – Recht – Politische Positionen

dieser ersten von insgesamt sieben vereinbarten Arbeitssitzungen über.

Einleitende Statements von VerfassungsrechtsexpertInnen

Dr. Susanne Fürst (Rechtsanwältin): Es muss was g’scheh‘n – so lautet die Überschrift eines kürzlich erschienen Artikels in der „Neuen Zürcher Zeitung“, in dem man sich über die österreichischen Bemühungen und den Ausbau der direkten Demokratie lustig macht. Es wird prophezeit, dass es nach vielen Diskussionen, Debatten und großem Tamtam schließlich heißen werde: Da kann man nichts machen; das ist zu kompliziert!

In diesem Fall soll es nicht so sein. Es sind sich alle einig: Es muss etwas geschehen! Was will man mit Diskussionen über den Ausbau der direkten Demokratie erreichen? – Man will vor allen Dingen die Abwendung der Menschen von der Politik, also die zunehmende Politikverdrossenheit, sinkende Wahlbeteiligungen und auch die oftmals bereits geäußerte deutliche Frustration über die Politik bekämpfen. Die Verstärkung der direktdemokratischen Elemente mit der einhergehenden besseren Einbindung der Menschen ist eine Idee, dies zu verwirklichen.

Ganz kurz zum Status quo: Der demokratische Gedanke ist unserer Bundesverfassung aus 1920/29 eine Erwähnung in Artikel 1 wert: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“

Anders als der Wortlaut auf den ersten Blick verspricht, entschied man sich damals für eine rein repräsentativ ausgestaltete Demokratie, wonach das Volk seine Repräsentanten im Parlament über die Parteien wählt, die in der Folge dann für die Bevölkerung politisch handeln und ausschließlich die Gesetze beschließen.

Die vorgesehenen direktdemokratischen Instrumente – Volksbegehren, Volksabstimmung und Volksbefragung  sind sehr schwach ausgeprägt. So ist es derzeit dem Nationalrat überlassen, ein Volksbegehren umzusetzen oder nicht. In den meisten Fällen hat er das in der Vergangenheit nicht getan. Sowohl die Abhaltung einer Volksabstimmung als auch einer Volksbefragung werden von Mehrheiten im Nationalrat beschlossen. Das Ergebnis der Volksbefragung ist rechtlich unverbindlich, dasjenige der Volksabstimmung zwar verbindlich, aber die Volksabstimmung muss ja zwingend vom Nationalrat nur bei einer Gesamtänderung der Bundesverfassung angesetzt werden – wenn also wirklich die Grundprinzipien angetastet werden –, und auch da wird schließlich über einen Gesetzentwurf des Parlaments abgestimmt.

Von der Möglichkeit einer freiwilligen Volksabstimmung, die bei jedem Gesetzesbeschluss möglich wäre, wurde in Österreich nur einmal Gebrauch gemacht: 1978 bei der Abstimmung über das AKW Zwentendorf. Insofern kann man das Instrument der freiwilligen Volksabstimmung fast als totes Recht ansehen.

Dieses Konzept ergibt nun das durchaus durchdachte, in sich widerspruchsfreie Bild einer rein repräsentativ ausgerichteten, mittelbaren Demokratie, wie sie halt zum damaligen Zeitpunkt offensichtlich als am geeignetsten für die Entwicklung und Beibehaltung von stabilen Verhältnissen erschien.

Das heißt, kurz zusammengefasst: Wir haben ein Gesetzesmonopol des Nationalrats; keine Volksgesetzgebung, auch nicht punktuell. Das einzige direktdemokratische Element, das auf einer Volksinitiative beruht, das Volksbegehren, ist letztlich völlig unverbindlich. Es muss vom Nationalrat nur behandelt werden, wenn es über 100 000 Unterstützungserklärungen gefunden hat. Das war es dann. Was er damit macht, ist dem Nationalrat vorbehalten.

Vielen erscheint nun dieses Konzept nicht mehr so rund und nicht mehr so passend. Es gab viele Überlegungen und Diskussionen, auch in diesem Haus. Nun liegt der Initiativantrag 2177/A in der Fassung eines Abänderungsantrages vor. Was steht drinnen?

Zwei Punkte sind eher unproblematisch, werden weitgehende Zustimmung finden: Das eine ist die aufgewertete Behandlung von Volksbegehren, welche die Hunderttausender-Grenze überschreiten, die nun, sozusagen privilegiert, in zwei eigenen Volksbegehren-Sitzungen behandelt werden, und dann gibt es die Möglichkeit der elektronischen Unterstützung von Volksbegehren. Selbst wenn auch da vielleicht noch weitere Missbrauchsvorschriften und so weiter diskutiert werden sollen, denke ich dennoch, dass diese zwei Punkte weitgehend unproblematisch sind.

Der Kern der Novelle besteht darin, dass bei einem Volksbegehren, dass eine große Anzahl von Unterstützern gefunden hat – ein sogenanntes qualifiziert unterstütztes Volksbegehren; das vorliegt, wenn das Volksbegehren von 10 Prozent der Stimmberechtigten unterstützt wurde, bei einer einfachen Bundesgesetzangelegenheit, oder 15 Prozent bei einer Bundesverfassungsangelegenheit –, dann die Bevölkerung automatisch, also ohne entsprechenden Beschluss des Nationalrates, aufgefordert wird, sich im Rahmen einer Volksbefragung mit einem Ja oder Nein zum vorgeschlagenen Gesetz zu äußern; sofern natürlich der Nationalrat nicht dem Volksbegehren ohnehin recht gibt und das vorher umsetzt.

Der Nationalrat hat dann auch noch die Möglichkeit, einen alternativen Gesetzesvorschlag zu entwickeln; dann wird über beide Vorschläge abgestimmt oder man kann auch beide Vorschläge ablehnen.

Das ist natürlich eine Neuerung, sicher ein wichtiger Schritt – aber trotz des vorgesehenen Automatismus der Volksbefragung bleibt man im bisherigen System, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass alle Macht beim Nationalrat bleibt, dass also das Parlament der alleinige Gesetzgeber ist. Das heißt, von der ursprünglich auch diskutierten Möglichkeit, einem stark unterstützen Volksbegehren ebenso zwingend eine Volksabstimmung folgen zu lassen und damit eben punktuell eine echte Volksgesetzgebung zuzulassen, welche die Parlamentsgesetzgebung ergänzt, bereichert oder stört – je nach Ansichtssache –, wurde nicht Gebrauch gemacht. Man hat sich für den „vorsichtigen“ Wurf entschieden, einerseits mit relativ hohen Hürden für das qualifiziert unterstützte Volksbegehren – nur wenige bisher durchgeführte Volksbegehren hätten ja diese Grenze von 10 Prozent beziehungsweise 15 Prozent erreicht –, und letztlich ohne Rechtsverbindlichkeit des Ausganges, wenn auch sicher dann mit gewissem Druck auf Umsetzung, wenn es eine bestätigende Volksbefragung gegeben hat.

Geschuldet ist dieses Erkenntnis sicher auch dem VfGH-Erkenntnis aus dem Jahr 2001 zum Vorarlberger Landesverfassungsgesetz, bei dem eigentlich genau so eine Bestimmung – qualifiziert unterstütztes Volksbegehren – vorgesehen ist, aber eben plus einer zwingenden Volksabstimmung. Da hat sich der VfGH eindeutig erklärt, er hat gesagt, das Gesetzgebungsmonopol des Nationalrats ist nicht nur einfach bundesverfassungsrechtlich abgesichert, sondern es ist Teil des demokratischen Baugesetzes selbst und jede Änderung und jedes Rütteln an diesem Monopol bedürfe daher einer zwingenden Volksabstimmung nach Art. 44 Abs. 3 B-VG.

Das ist der Standpunkt des VfGH aus dem Jahre 2001 – und ist seitdem nicht relativiert worden. Die vorliegende Variante mit der automatischen Volksbefragung dürfte im Hinblick auf diese Judikatur-Linie unbedenklich sein. Der VfGH hat sich dazu aber in seiner Begutachtung nicht geäußert.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist anzumerken, dass das VfGH-Erkenntnis einem größeren Demokratiepaket nicht entgegensteht, so man eines schnüren möchte. Man müsste, sofern man am Gesetzgebungs-Monopol des Nationalrats rüttelt, eine zwingende Volksabstimmung vornehmen – was sich ja bei dieser Thematik auch durchaus aufdrängt.

Zum Entwurf und den Stellungnahmen, die auch im Begutachtungsverfahren eingegangen sind: Es sind inhaltliche Beschränkungen für den Gegenstand einer Volksbefragung vorgesehen. Volksbefragungen über qualifiziert unterstützte Volksbegehren sind unzulässig, wenn der Gesetzesbeschluss einen offenkundigen Verstoß gegen EU-Recht oder einen Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen oder gegen Grund- und Menschenrechte realisiert.

Sie haben vielleicht bemerkt, es gibt da eine unterschiedliche Prüfdichte: einerseits Offenkundigkeit des Verstoßes gegen EU-Recht, andererseits Verstöße jeder Art gegen Völkerrecht und Grundrechte. Das wird vielleicht noch für Diskussionsstoff sorgen: Wie ist dieser Maßstab anzulegen? Ist die Offenkundigkeit eine Grobprüfung? – Der VfGH dürfte auch noch keine so große Freude damit haben, weil der Maßstab nicht ganz klar ist, an dem er prüfen soll oder muss.

Systematisch, aus verfassungsrechtlicher Sicht würde ich meinen, dass eine möglichst weitgehende Gleichstellung von Parlament und Bevölkerung anzustreben ist. Das heißt, der Volksbefragungsgegenstand soll sich eigentlich mit den Gesetzgebungsmöglichkeiten des Nationalrats decken, denn warum soll sich das Volk über weniger äußern können, als der Nationalrat als Vertreter der Bevölkerung dann Gesetze umsetzen kann. Zudem gibt es ja ohnehin auch die Ex-post-Kontrolle, die von diesen plebiszitären Elementen unberührt ist: durch die Gerichtshöfe, durch den VfGH, auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Zu diesem Thema Gleichstellung von Parlament und Bevölkerung gehört auch, dass Staatsverträge generell herausgenommen wurden. Eine Gesetzesinitiative und dann eine Volksbefragung – sofern sie ausreichend unterstützt ist –, die auf den Abschluss oder die Kündigung eines Staatsvertrages abzielt, soll kein zulässiger Gegenstand einer Volksbefragung sein. Das wird in der Begründung mit einem Satz festgestellt und ergibt sich durch einen Verweis. Da stellt sich die Frage der Systematik: Warum soll der Nationalrat abstimmen können, Staatsverträge genehmigen können, warum kann das nicht Gegenstand einer Volksbefragung sein – noch dazu, wo die Volksbefragung eigentlich verfassungsrechtlich für Fragen vorgesehen ist, die grundsätzliche und gesamtösterreichische Bedeutung haben; und das haben ja Staatsverträge sehr oft.

Eine Beschränkung, die etwas überraschend nicht vorgesehen ist, ist die Gesamtänderung der Bundesverfassung. Da könnte man sagen: Gut, Gleichstellung Parlament und Bevölkerung, die Bevölkerung soll auch über Gesamtänderungen abstimmen! Aber da ist vielleicht auch der Modus noch unklar: Gibt es zuerst ein Volksbegehren, dann gibt es die Volksbefragung, und muss dann auch der Nationalrat die zwingende Volksabstimmung durchführen, die eigentlich vorgesehen ist?

Auch die Abhaltung einer fakultativen Volksabstimmung, die der Nationalrat immer durchführen muss, ist noch eine ganz interessante Frage: zuerst ein Volksbegehren, dann eine bestätigende Volksbefragung? Passt dem Nationalrat das Ergebnis nicht so ganz, wäre es meiner Meinung nach möglich, dass er dann noch eine fakultative Volksabstimmung einführt.

Damit komme ich zum Schluss. Erreicht man mit dieser Novelle, was man will – die Politikverdrossenheit? – Vielleicht! Danke.

*****

Univ.-Prof. Dr. Anna Gamper (Universität Innsbruck): Die österreichische Bundesverfassung war von ihrem Beginn an im Jahre 1920 eine, die der repräsentativen Demokratie verpflichtet war; das wurde schon gesagt. Aber es gab auch schon im Jahre 1920 einige direktdemokratische Elemente in ihr: beispielsweise gewisse Arten von Volksabstimmungen, das Volksbegehren oder auch das Petitionsrecht.

Es geht schon aus den frühen Kommentierungen zur Bundesverfassung – etwa von Hans Kelsen – hervor, dass man sich bewusst für nicht mehr direkte Demokratie etwa nach dem Schweizer Vorbild entschieden hat. Damit steht die österreichische Bundesverfassung auch im Einklang mit den meisten Verfassungen der Welt. Die meisten Verfassungen sind, sofern sie überhaupt demokratisch sind, nach diesem Modell der repräsentativen Demokratie ausgerichtet: Die Verfassungen der Schweiz und Liechtensteins, die sehr viel direkte Demokratie beinhalten, sind da sicherlich eine Ausnahme.

Dennoch muss man sagen, dass in der Entwicklung der letzten Jahrzehnte ein vorsichtiger Ausbau der Elemente der direkten Demokratie vorgenommen wurde. Aus heutiger Sicht enthält die Bundesverfassung sicherlich mehr an direkter Demokratie als im Jahre 1920. Ich erwähne etwa die Einführung eines ganz neuen Plebiszits, nämlich der Volksbefragung, die Erleichterung der Hürden des Volksbegehrens, oder etwa auch die bundesverfassungsrechtliche Ermächtigung an den Landesgesetzgeber, direkte Demokratie auf Gemeindeebene vorzusehen.

Das alles ist eingebaut worden und auch das steht wieder im Einklang mit weltweiten Entwicklungen. Es gibt Studien, die belegen, dass in den letzten beiden Jahrzehnten in den Verfassungen weltweit insbesondere das Instrument des Referendums deutlich mehr verankert wurde als bisher, und wir sehen es auch im Jahr 2014 ganz dramatisch, welche Bedeutung Referenden in Europa gespielt haben.

Der Verfassungsgerichtshof – darauf wurde schon hingewiesen – versteht das demokratische Bauprinzip der Bundesverfassung als eines, das im Wesenskern repräsentativdemokratisch ist. Vielleicht könnte man hier noch hinzufügen, dass die erwähnte obligatorische Volksabstimmung bei Gesamtänderungen der Bundesverfassung wohl auch noch im Wesenskern dieses Bauprinzips sei, aber die anderen direktdemokratischen Elemente sind jedenfalls – das sagt auch der Verfassungsgerichtshof ganz klar – nur im Randbereich dieses Bauprinzips angesiedelt.

Das ist deshalb wichtig, weil sogenannte Gesamtänderungen der Bundesverfassung nur dann stattfinden, wenn Wesenselemente von Bauprinzipien gravierend geändert werden. Wir können aus dem ableiten, dass ein radikaler Paradigmenwechsel von der repräsentativen Demokratie hin zur direkten Demokratie jedenfalls eine Gesamtänderung der Bundesverfassung darstellen würde, und dafür braucht es paradoxerweise eine obligatorische Volksabstimmung.

Was wäre so ein radikaler Paradigmenwechsel: Das Instrument der Volksgesetzgebung, wie es die Vorarlberger Landesverfassung bis 2001 vorgesehen hat, ein Doppel-Plebiszit, ein sehr qualifiziert unterstütztes Volksbegehren, das vom Parlament nicht umgesetzt wird, mündet zwingend in eine Volksabstimmung, und dann muss das Parlament das Ergebnis dieser Volksabstimmung gesetzlich umsetzen. Für den Verfassungsgerichtshof ein Widerspruch zum repräsentativdemokratischen Bauprinzips; er hat diese Bestimmung der Landesverfassung daher aufgehoben. Man kann davon ausgehen – das wurde schon angesprochen –, dass auch eine Verankerung der Volksgesetzgebung in der Bundesverfassung selbst, jedenfalls dann, wenn es ein allgemeines, nicht nur ganz punktuell themenbezogen beschränktes Instrument würde, eine Gesamtänderung darstellen würde.

Für die Zukunft, glaube ich, dass es eigentlich drei Stufen gibt, wie man direkte Demokratie etwas stärken könnte. Die erste Stufe wäre, dass man bereits bestehende Instrumente nützt, die die Bundesverfassung jetzt schon vorsieht, beispielsweise gewisse fakultative Volksabstimmungen nach Artikel 43 und 44 Abs. 3 B-VG, die vom Parlament her zum Einsatz kommen müssten. Das heißt, das Parlament oder Teile des Parlaments müssten beschließen, dass diese Volksabstimmungen stattfinden; auch die Volksbefragung könnte häufiger zum Einsatz kommen. Da liegt es im Grunde am Parlament, speziell am Nationalrat, dafür Sorge zu tragen, dass das zur Anwendung gelangt.

Die zweite Stufe wäre, bestehende Instrumente der direkten Demokratie mit Erleichterungen zu versehen, für die Bürger großzügiger zu machen, etwa die Hürden für Volksbegehren herabzusetzen, etwa die Volksbefragung zulässig zu machen – nicht nur von Anliegen von grundsätzlicher gesamtösterreichischer Bedeutung. Es gibt verschiedene theoretische Möglichkeiten, die vorgesehen wären, zum Beispiel auch Anfechtungsbefugnisse im Zusammenhang von Plebisziten oder fehlenden Plebisziten vor dem Verfassungsgerichtshof, der das sehr restriktiv sieht, etwas auszubauen.

Die dritte Stufe wäre, wirklich neue Instrumente der direkten Demokratie vorzusehen. Da gibt es eine breite Palette von Instrumenten, die man gar nicht rechtlich besonders verankern muss, wie zum Beispiel die Vorarlberger Bürgerräte – bei denen es im Grunde um Kommunikation, Information der Bürger geht, wofür es keine besondere rechtliche Grundlage braucht; das verläuft im Rahmen von Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit – bis hin zu radikaleren Instrumenten, wie der erwähnten Volksgesetzgebung.

Kompromisshaft in der Mitte bewegt sich dann wohl das Demokratiepaket 2013, auf das auch bereits hingewiesen wurde. Da glaube ich, entgegen manchen Stellungnahmen, dass keine Gesamtänderung der Bundesverfassung notwendig wäre, wenn das umgesetzt würde. Es würde eine einfache Verfassungsänderung genügen, weil eben diese Volksbefragung, die dann zwingend unter gewissen Voraussetzungen abzuhalten wäre, im Ergebnis für das Parlament nicht verbindlich ist. Das ist da, glaube ich, der entscheidende Hinweis.

Was man schon berücksichtigen müsste, wäre, dass man in der legistischen Ausformulierung dieser neuen Möglichkeit noch einmal einige Formulierungen nachschärft, zum Beispiel bei den Ausschlussgründen, die vorgesehen sind, wann eine Volksbefragung unzulässig sein soll, ob man das, beispielsweise bei der Frage, ob dann ein Themenverbot besteht, wenn ein Grundrecht verletzt würde, nicht auch auf bloße Eingriffe in Grundrechte ausweiten sollte, die dadurch noch nicht verletzt werden müssen. Da gibt es eine gewisse Inkongruenz auch zwischen den Erläuterungen und dem, wie derzeit dieser Antrag legistisch ausformuliert ist.

Man könnte wohl auch bei den Bestimmungen über die Anfechtungsmöglichkeiten, die in diesem Zusammenhang vor dem Verfassungsgerichtshof bestehen, nachschärfen, weil da noch nicht ganz klar ist, welche Art von Beschluss man tatsächlich anfechten kann beziehungsweise welchen dann der Verfassungsgerichtshof wirklich aufheben soll. Das ließe sich, glaube ich, machen.

Die Befürchtung, dass da, auch wenn juristisch die Volksbefragung nicht verbindlich im Ergebnis wäre, trotzdem ein massiver politischer Druck aufgebaut werden könnte – was in manchen Stellungnahmen kritisiert wurde –, ist, glaube ich, nicht so viel anders als die Situation, die wir jetzt schon haben. Wenn Sie sich ein sehr gut unterstütztes Volksbegehren vorstellen oder eine Volksbefragung nach ganz normalem Modus, nach § 49b B-VG, überall könnte bei einer entsprechend starken Unterstützung auch politischer Druck aufgebaut werden, aber juristisch eben nicht verbindlich für den Nationalrat, für das Parlament. Und ich glaube, das ist in dem Fall eigentlich das wesentliche Element.

Ich denke, diese drei Stufen bestehen. Die Politik muss sich klar werden, ob man die erste, zweite, dritte oder überhaupt alle Stufen miteinander kombinieren will, wenn es darum geht, direkte Demokratie auszubauen.

Ich wünsche der Enquete-Kommission sehr viel Glück und Erfolg auf diesem Weg!

*****

Sektionschef Dr. Gerhard Hesse (Leiter des BKA-VD): Ich möchte mich aus verfassungsrechtlicher, aber auch verfassungssystematischer Sicht im Wesentlichen mit dem Antrag aus 2013 auseinandersetzen und vielleicht auch nochmal den Kern des Antrages – er ist schon unter verschiedenen Gesichtspunkten von meinen VorrednerInnen angesprochen worden – darstellen.

Auf das Wesentliche zusammengefasst sieht dieser Antrag eine notwendige Volksbefragung vor, und zwar unter zwei Voraussetzungen: Es muss ein ausreichend unterstütztes Volksbegehren da sein – 10 Prozent bei einfachen Gesetzen, 15 Prozent bei bundesverfassungsgesetzlichen Regelungen – und der Nationalrat darf kein diesem Begehren entsprechendes Bundesgesetz erlassen haben. Dann ist eine Volksbefragung durchzuführen, wobei bestimmte Inhalte nicht Gegenstand einer derartigen Volksbefragung sein können.

Es ist bereits zweimal angesprochen worden, aber es ist ein Grundprinzip der österreichischen Bundesverfassung, das durchaus noch ein paar Mal erwähnt werden kann, dass nämlich unsere verfassungsrechtliche Grundordnung, die auch der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis zur Vorarlberger Landesverfassung festgestellt hat, vom repräsentativ-demokratischen Gesetzgebungsverfahren ausgeht, der parlamentarischen Demokratie.

Und jetzt geht es, finde ich, wenn man den Ausbau direktdemokratischer Elemente an der verfassungsrechtlichen Grundordnung misst, nicht nur darum, ob man gleichrangig eine Volksgesetzgebung mit einem parlamentarischen Gesetzgebungsprozess verankert, sondern in den Worten des Verfassungsgerichtshofs darum – und das ist ja die entscheidende verfassungsrechtliche Grenze, an der eine Gesamtänderung im Sinne des Artikel 44 Abs. 3 B-VG erreicht ist –, dass nämlich eine Mehrheit der Stimmbürger ein Gesetz gegen eine Mehrheit von Abgeordneten in einem Nationalrat oder in einem Landtag verwirklichen kann. Nicht umsonst wird das Wort Veto-Referendum in diesem Zusammenhang verwendet.

Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst hat in seiner schriftlichen Stellungnahme – auf die wahrscheinlich vorhin auch angespielt wurde, und insofern teile ich die Ansichten meiner VorrednerInnen – ausgeführt, dass wir den Antrag und seine Verwirklichung nicht für eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung halten, das heißt, eine Beschlussfassung keiner obligatorischen Volksabstimmung bedürfte. Das ist insofern in der Tat eindeutig, als die von mir angesprochene Volksbefragung keinen verbindlichen Charakter für einen Beschluss durch den Nationalrat hat.

Allerdings würde ich – und das scheint mir nicht so leicht von der Hand zu weisen – bei einer materiellen Betrachtung wenig Unterschied sehen. Denn man muss sich schon vorstellen, bei einem ausreichend unterstützten Volksbegehren, das der Nationalrat nicht umsetzt – das muss schon das Volksbegehren in Form eines Gesetzesantrags sein, der Nationalrat übernimmt das nicht, es kommt zu einer Volksbefragung, die geht positiv aus und dann beschließt der Nationalrat etwas anderes –, scheint mir schon ein medialer, potenziell ökonomischer Druck möglich zu sein, um dem Nationalrat de facto einen Handlungsspielraum zu entziehen, der sehr nahe einer formellen Anordnung eines Veto-Referendums kommt.

Ich glaube, man muss sich auch die Unterstützungszahlen anschauen. Es wurde gesagt, es sind sehr hohe Hürden, 10 Prozent und 15 Prozent der Stimmberechtigten, und dann gibt es noch dazu keine Mindestteilnahme an einer Volksbefragung, die danach angeordnet wird. Das kann dazu führen, dass ein – gemessen an der Gesamtbevölkerung, die in einem allgemeinen Vertretungskörper wie dem Nationalrat oder dem Landtag vertreten ist – sehr kleiner Ausschnitt aus der Bevölkerung, sehr spezialisiert, sehr fokussiert auf ein Thema, die Gesetzgebung in der Republik Österreich bestimmen könnte.

Dieses Umstandes sollte man sich bewusst sein, und man sollte sich eines zweiten Umstandes bewusst sein: Wenn der Verfassungsgerichtshof ausgehend von den zurecht schon von den Gründern der österreichischen Bundesverfassung errichteten parlamentarischen Demokratie diese in den Vordergrund stellt – als Zentrum des demokratischen Prinzips oder als maßgeblichen Faktor des demokratischen Prinzips –, dann ist das nicht ein bloßes verfassungsrechtliches Konstrukt, eine bloße Verfassungsdogmatik, sondern es sind die Spielregeln unseres politischen Systems.

Das bedeutet, dass natürlich jede Schwächung des repräsentativ-demokratischen Systems eine Schwächung der repräsentativ-demokratischen Institutionen – und in einer befinden wir uns ja hier räumlich – bedeutet, und damit insgesamt eine Schwächung des politischen Systems, das derzeit durch die Bundesverfassung so vorgegeben ist. Dieses Umstandes sollte man sich schlicht bewusst sein, auch wenn es sich rechtlich nicht um eine Gesamtänderung handelt, kann das materiell sehr stark in diese Richtung gehen.

Ich möchte noch auf verfassungsrechtliche Themenstellungen, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag stellen, näher eingehen. Das eine ist die legistisch nicht ganz sauber umgesetzte Abfolge – aber dazu haben wir ausreichend geschrieben. Dieser Abfolge sind verschiedene Dinge geschuldet. Zuerst ein Volksbegehren, danach die parlamentarische Behandlung und am Ende potenziell eine Volksbefragung. Das wirft natürlich sofort verfassungsrechtliche Problemfelder auf, denn obgleich das Volksbegehren in Form eines Gesetzesantrages zu stellen ist und qualifiziert unterstützt sein muss, findet eine Volksbefragung ja nur dann statt, wenn der Nationalrat keinen entsprechenden Gesetzesbeschluss fasst. Und nach Absatz 3 dieses vorgeschlagenen Artikels 49c schaden unwesentliche Abweichungen nicht.

Jetzt stellt sich natürlich schon die Kernfrage, wie man das eigentlich im Einzelnen feststellt und wie man feststellt, ob ein Gesetzesantrag entspricht oder nicht. Geht es da um übereinstimmende Ziele? – Das wird wohl eher nicht der Fall sein. Geht es um eine Zahl von quantitativ bestimmbaren Abänderungsanträgen? Zählt man dann, wie viele Bestimmungen waren im ursprünglichen Antrag und wie stark weicht – rein quantitativ und in Bezug auf welche Norm – der Beschluss des Nationalrates ab?

Diese Frage ist nicht trivial, denn sie führt in den Kern der parlamentarischen Behandlung von Gesetzen. Ich halte es über weite Strecken für eine nicht-juristische Fragestellung, sondern für eine politische Fragestellung, ob Gesetzesanträge einander entsprechen oder nicht entsprechen.

Das führt auch gleich zur nächsten Problemstellung. Es ist mir naturgemäß nicht entgangen, dass im Artikel 141 Abs.2 B-VG vorgeschlagen wird, das durch den Verfassungsgerichtshof zu überprüfen. Aber genau da muss man sich auch wohl überlegen, ob man da dem Verfassungsgerichtshof in Wahrheit eine politische Entscheidung zumutet, und keine rechtliche. Anders als das Messen einer einfachgesetzlichen Bestimmung an der Bundesverfassung, ist die Entsprechung von zwei Gesetzesanträgen rechtlich wesentlich schwieriger und wesentlich weniger eindeutig. Da würde also noch zusätzlich zur intendierten Verlagerung aus einer repräsentativen Demokratie in direkte demokratische Formen, ein Verschieben politischer Entscheidungen in die Verfassungsgerichtsbarkeit als nächstes Problemfeld erfolgen.

Ebenso ist der Abfolge der Ausnahmenkatalog geschuldet – der heute auch schon angesprochen wurde –, wann man nicht so eine Volksbefragung durchführen kann. Es ist für mich schon ein bisschen unlogisch, warum man zwar ein Volksbegehren zu diesen Fragestellungen machen kann, aber unabhängig davon, wie hoch es unterstützt ist, darf dann nachher dazu keine Volksbefragung stattfinden! – Ich bin jetzt nicht jemand, der Volksbegehren zur Abschaffung von Grundrechten propagieren möchte, aber ich finde, das ist ein bisschen unsystematisch. Entweder kann man das dann gar nicht in diese Konzeption einbauen oder man müsste das differenzieren.

Ich möchte noch Folgendes sagen: Es ist auch der Katalog nicht ganz gelungen. Die offenkundige Unionsrechtswidrigkeit scheint mir fragwürdig, weil auch die einfache Unionsrechtswidrigkeit zur Verdrängung nationaler Normen führt, eine Verletzung von Grundrechten kann durch ein einfaches Gesetz nicht stattfinden, sondern bekanntermaßen nur durch eine bundesverfassungsgesetzliche Bestimmung. Das ist also auch legistisch unsauber formuliert; ausreichend finanzielle Bedeckungsvorschläge zu machen, ist auf der anderen Seite wahrscheinlich wieder ein bisschen unattraktiv.Zum Schluss kommend: Es ist möglich, im Rahmen unserer Verfassungsordnung diesen Antrag zu verwirklichen. Man sollte sehr gründlich überlegen, die Vor- und Nachteile abwägen, die Schwächung der repräsentativen Demokratie, die potenziell damit verbunden ist, die Verlagerung politischer Fragen auf die Verfassungsgerichtsbarkeit, die Inkongruenz, die im Augenblick noch vorliegt. Und ich glaube, dass diese Enquete-Kommission eine gute und profunde Möglichkeit ist, die mit dem Antrag begonnene Diskussion weiterzuführen. – Danke.

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Univ.-Prof. Dr. Franz Merli (Karl-Franzens-Universität Graz): Ich konzentriere mich auf den Entwurf und stimme mit meinen Vorrednern überein, dass die Kombination von Volksbegehren und Volksbefragung, so wie sie dort vorgesehen ist, grundsätzlich möglich ist. Man kann das einführen, auch ohne eine Gesamtänderung der Bundesverfassung zu bewirken.

Freilich wird das Volksbegehren, das ja bisher ganz schwach war, dadurch sehr viel stärker in der politischen Wirkung. Und ich glaube, dann brauchen wir auch Sicherungen gegen populistischen Missbrauch – das ist in den Stellungnahmen stark vorgekommen und das zeigt auch die Empirie, wenn man sich etwa das Minarett-Verbot in der Schweiz anschaut – von direktdemokratische Initiativen, um die Rechte von Leuten zu beschränken, die entweder kein Wahlrecht haben – also Ausländer –, oder von Leuten, die Minderheiten angehören, zum Beispiel eine andere sexuelle Ausrichtung haben, bestimmte Partnerschaften zu verbieten und dergleichen mehr. Das heißt also, es gibt Grund, Vorkehrungen gegen politischen Missbrauch vorzusehen.

Es wird jetzt regelmäßig eingewendet: Ja, aber die Volkssouveränität und die Weisheit des Volkes! – Wir haben davon schon ein bisschen gehört. Ich bin sicher, wir werden noch mehr davon hören, und ich glaube, das ist kein überzeugendes Argument.

Erster Punkt: Das Volk, auf das sich Artikel 1 unserer Verfassung beruft, ist ein anderes Volk als die Betreiber eines bestimmten Begehrens – das sind oft Parteien, das sind Medien, die das machen, oder sonstige Gruppen, aber sie sind nicht so quasi das Volk von vornherein.

Das Zweite ist: Wir kennen auch sonst Beschränkungen des Volkes. Auch im Wahlrecht ist es so, dass wir zum Beispiel keine nationalsozialistischen Parteien wählen können, und das finden wir auch richtig.

Der dritte Punkt ist: Auch sonst schützen wir uns vor uns selbst, wenn Sie zum Beispiel an die Pflicht denken, beim Autofahren Gurten anzulegen, bis hin zum Konsumentenschutz, durch den man etwas, was man halt so schnell gemacht hat, wieder rückgängig machen kann.

Alles das sind Vorkehrungen im Recht, um uns vor uns selbst zu schützen. Und das zeigt, dass das in vielen Situationen gemacht wird und auch sinnvoll ist. Auch die Rechtsvergleichung zeigt das. Es gibt relativ wenige Länder in Europa, die so ein Instrumentarium haben. Wenn sie eines haben, dann haben sie auch alle in ihrer Verfassung weniger oder stärker weitreichende Beschränkungen.

Wenn man sich jetzt den Entwurf anschaut, sieht man, es gibt eine Reihe von Beschränkungen. Das beginnt mit diesem Verbot bestimmter Gegenstände, es geht über die präventive Kontrolle, der also ein Volksbegehren unterliegt, die Quoren natürlich – die Mindestunterstützung, die Begutachtung, der Alternativentwurf, den das Parlament machen kann, die fehlende rechtliche Verbindlichkeit der Volksbefragung, die Möglichkeit, dass der Nationalrat trotz politischem Drucks das vielleicht nicht ganz eins zu eins, sondern nur selektiv oder abgeschwächt umsetzt, bis natürlich zur nachträglichen Kontrolle durch die Höchstgerichte – das wurde ja auch schon erwähnt –, insbesondere durch den Verfassungsgerichtshof.

Das heißt, die Grundelemente sind da. Ich glaube aber, dass der Entwurf verbesserungsbedürftig ist, und ich möchte zwei Elemente herausgreifen. Das erste Element ist die gegenständliche Beschränkung. Ich halte nichts von diesen finanziellen Bedeckungsvorschlägen, das ist ja sozusagen nur Rhetorik und eine Einladung, in das Volksbegehren dann noch irgendetwas Polemisches dazuzuschreiben. – Das funktioniert nicht, das würde ich streichen.

Was ich aber sehr wohl aufnehmen würde, ist, von vornherein auszuschließen – und das ist schon mehrfach erwähnt worden und in vielen Stellungnahmen vorgekommen –, B-VG-Gesamtänderungen auf diese Art und Weise zustande kommen zu lassen. Verfassungsrechtliche Änderungen, ja, aber keine Gesamtänderungen.

Was die Rechtmäßigkeitsanforderungen anlangt – Übereinstimmung mit der Verfassung, je nachdem, ob einfaches Gesetz, oder mit den Grundprinzipien, wenn es ein Verfassungsrechtsentwurf ist: Mit dem Europarecht leuchtet das grundsätzlich ein, aber was das Völkerrecht betrifft, kann ich mich da nicht so recht anfreunden, weil da eine Kategorie von Recht angesprochen ist, die von sehr erheblichen bis völlig belanglosen Details reicht, und da muss man unterscheiden. Wenn man da eine Begrenzung machen will, dann sollte man sich zum Beispiel auf ganz wichtige Verträge beschränken, die Österreich faktisch oder rechtlich nicht kündigen kann.

Ich glaube, dass über die Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus bestimmte Themen ausgeschlossen sein sollten, unabhängig davon, ob der Vorschlag rechtmäßig ist oder nicht. Das betrifft aber nicht die Einschränkung von Grundrechten, denn dann ist Schluss mit der direkten Demokratie: Wenn Sie mehr Umweltinformationen haben wollen, schränken Sie Grundrechte ein, oder wenn Sie mehr Sicherheit am Flughafen haben wollen, dann schränken Sie Grundrechte ein. – Das würde also nicht funktionieren.

Was ich stattdessen vorschlage, ist, dass man nicht als Gegenstand von Volksbegehren die Verschlechterung der Rechtsstellung von Minderheiten zulässt – Minderheiten ethnischer, sprachlicher, religiöser Art, der sexuellen Ausrichtung oder der Staatsbürgerschaft, also solche Menschen, die diese Eigenschaften nicht leicht ablegen können oder denen man das nicht zumuten kann. Diese sind besonders gefährdet, das zeigt die Empirie, wenn man international herumschaut, und als Minderheit haben sie eben wenig Chancen, sich in so einem direktdemokratischen Prozess durchzusetzen.

Sinnvoll wäre es auch noch, das einzuführen, was in der Schweiz als Einheit der Materie bezeichnet wird, das heißt, dass nur sachlich zusammenhängende Forderungen in einem Volksbegehren gestellt werden können. – Das zum Gegenstandsbereich.

Zum Thema Kontrolle. Richtig ist, dass man vorher kontrollieren muss, denn nachher ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, dann ist der politische Druck, den man vielleicht vermeiden will, wenn der Gegenstand falsch ist, schon entstanden. Da gibt es also allerlei technische Probleme, die lasse ich weg, aber zwei Punkte möchte ich ansprechen.

Der eine Punkt ist: Man kann, wenn man diese Kontrolle vorher macht, nicht eine „Vollkontrolle“ auf Rechtmäßigkeit durchführen. Man blickt da noch nicht durch und braucht erst das Gesetz, damit das angewendet wird und man alle Aspekte sieht. Es würde viel zu lange dauern; bei Europarechtswidrigkeiten müsste man dann sogar gelegentlich eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof machen. Das würde dem ganzen Volksbegehren sozusagen die Dynamik herausnehmen und stoppen.

Daher die Lösung: Grobkontrolle. Das heißt, umgekehrt: Verboten werden nur Volksbegehren, die Verfassungsrecht, Europarecht oder diesen ausgewählten völkerrechtlichen Verträgen offensichtlich widersprechen. Das erleichtert dem VfGH die Entscheidung und überlässt auch noch ein Feld für die nachträgliche Kontrolle, bei der man nachher dann gescheiter sein kann.

Zweiter Punkt: Auch die Zulassung eines Volksbegehrens kann ja rechtsmissbräuchlich sein. Daher sollte die Anfechtung dieser Zulassung auch nicht nur den Initiatoren des Volksbegehrens möglich sein, sondern auch Wählergruppen, die sich gegen eine solche Zulassung aussprechen, mit der Begründung, dass in rechtswidriger Weise zugelassen wurde.

Letztes Feld, ein paar systematische Aspekte: Es ist schon angesprochen worden, dass man irgendwie klären muss, wie sich dieses verstärkte Volksbegehren zum normalen Volksbegehren verhält. Ich finde es wenig befriedigend, dass man das einfach addiert. Ich bin eher der Meinung, man könnte das kombinieren und diese Beschränkungen, die ich hier vorschlage, auch schon für das normale Volksbegehren machen. Das tut niemandem weh, der guten Willens ist – und vereinfacht die Sache.

Das Zweite ist, wir müssen eine Abstimmung mit der normalen Volksbefragung finden. Dort haben wir ja andere Kriterien – gesamtösterreichische Bedeutung und keine Angelegenheiten, die individuell von Gerichten oder von Verwaltungsbehörden zu entscheiden sind. Ich meine, die gesamtösterreichische Bedeutung könnte man streichen, den Ausschluss von Angelegenheiten, die von Gerichten oder von Verwaltungsbehörden zu entscheiden sind, könnte man integrieren und auch beim Volksbegehren verbieten, denn der Sinn davon ist ja, dass individuelle rechtstaatliche Entscheidungen nicht durch demokratische Instrumente sozusagen verzerrt werden sollen.

Schließlich muss man noch klären, wie das Verhältnis dieses verstärkten Volksbegehren zu den direktdemokratischen Instrumenten ist, die nach der Beschlussfassung eines Gesetzes im Parlament möglich sind. Da muss man diskutieren, ob es sinnvoll ist, dass danach noch eine Volksabstimmung stattfinden kann – auf Antrag der Mehrheit bei normalen Gesetzen, auf Antrag eines Drittels bei Verfassungsänderungen. Das kann sinnvoll sein, sozusagen als zusätzliche Kontrolle, vielleicht auch, dass das Parlament einen Gegenentwurf machen kann und diesen dann selber direktdemokratisch legitimieren lassen. Aber wie das wirklich funktioniert und zusammenspielt, dazu braucht es noch ein bisschen Diskussion.

Ich fasse also zusammen: Man kann das machen. Ich glaube auch, dass es sinnvoll ist, dass man etwas zur Stärkung der direkten Demokratie tut, denn sehr gut funktioniert es jetzt nicht. Aber man muss das mit ausreichenden Beschränkungen tun und man muss bei solchen Reformen immer bedenken, dass es gute Leute gibt, die das guten Glaubens nützen, dass es aber andere gibt, die das als Instrument für ganz spezifische Ziele verwenden. Und da muss man vorausdenken: Verfassungsrecht muss auch für schlechte Zeiten gelten, so wie auch das Eherecht sozusagen nicht so wichtig ist, solange man noch Einvernehmen pflegt, aber wenn es dann zum Konflikt kommt, dann braucht man eben ein gutes Recht.

Das ist hier auch so, und deswegen bitte ich zu bedenken, dass diese Sicherungen gut ausgestattet werden. – Danke.

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Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger (Universität Wien): Nach all dem, was hier schon gesagt wurde, kann ich sofort in medias res gehen, das heißt zum Demokratiepaket, und auch hier zum Kern des Demokratiepaketes in seiner Fassung vom Juni vergangen Jahres, nämlich der Kombination von Volksbegehren und Volksbefragung.

Ich sehe in diesem Modell eine Reaktion auf eine der großen Schwächen des Instrumentariums der direkten Demokratie, das wir schon heute haben, nämlich die regelmäßige Folgenlosigkeit von Volksbegehren. Ich darf nur an das letzte gelungene Volksbegehren, das Bildungsvolksbegehren, erinnern: Da gibt es als Ergebnis den Bericht des Nationalrates von vier Seiten, auf zweieinhalb Seiten wird das Anliegen des Volksbegehrens – in dessen eigenen Worten, ohne jede Kommentierung – dargestellt, auf eineinhalb Seiten folgt eine Liste von Namen derer, die sich in den Beratungen, die offenbar sehr intensiv waren, zu Wort gemeldet haben – ohne dass gesagt wird, was in den einzelnen Wortmeldungen enthalten ist. Und das eigentlich auch so bezeichnete „Ergebnis“ beschränkt sich auf einen Satz, nämlich auf den Antrag: „Der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.“

Dass das für Initiatoren dieses Begehrens frustrierend war, liegt meines Erachtens auf der Hand.

Ich glaube, dass dieses Modell durchaus einen erheblichen Druck auf den Nationalrat ausüben wird, wenn die nötigen Unterstützungserklärungen da sind, sich mit dem Volksbegehren sehr intensiv auseinanderzusetzen. Kein Nationalrat wird mit leichter Hand über ein Volksbegehren hinweggehen, das mehr als 600 000 Unterstützungserklärungen hat, vor allem aber deshalb nicht, weil er dann ja damit rechnen muss, dass vielleicht auch die Volksbefragung eine Mehrheit für eine solche Initiative erreicht. Ich sehe in diesem Druck – und ich würde es durchaus als Druck bezeichnen – zu einer intensiven Auseinandersetzung den eigentlichen Sinn dieses Modells.

In dieser Perspektive hat aber das Demokratiepaket in seiner Ausformulierung vom Juni 2013 einen ganz großen Schwachpunkt, den ich darin sehe, dass es, wie es gesagt wurde, eine Art „Automatismus“ geben soll: Immer dann, wenn der Gesetzesbeschluss des Nationalrats nicht nur unwesentlich von dem Volksbegehren abweicht, soll die Volksbefragung stattfinden. – Das ist nur, wie wir schon richtig gehört haben, eine sehr unpräzise Regelung, über die man sicher lange streiten und sicher auch vor dem Verfassungsgerichtshof prozessieren wird. Aber mein Haupteinwand ist, dass es das eigentliche Anliegen dieses Modells verfehlt, und dieses Anliegen wird deutlich, wenn man einen Vergleich mit der Verfassungslage in den deutschen Bundesländern heranzieht, von denen ja dieses Modell inspiriert wurde.

Heute gibt es in allen deutschen Bundesländern dieses Drei-Stufen-Modell: Volksinitiative, Behandlung im Landtag, mögliche Volksabstimmung. Sie ist dort verbindlich.

In diesem Punkt würde ich das Modell schon deshalb nicht mit dem des Demokratiepakets messen wollen, weil natürlich die Themen in Landtagen – auch in Deutschland, wo die Landtage sicher viel mehr Kompetenzen haben als unsere Landtage – doch wesentlich beschränkt sind. Über einen EU-Austritt kann kein Landtag entscheiden, um es an einem Beispiel sehr drastisch auszudrücken. Aber ansonsten gleicht ja das Modell des Demokratiepaketes diesem Drei-Stufen-Modell. Es führt dieses Drei-Stufen-Modell in Deutschland keineswegs zu einer Flut von Volksabstimmungen. Es hat in den letzten Jahrzehnten in den 16 deutschen Bundesländern 20 oder 21 Volksabstimmungen gegeben, das heißt, nicht einmal zwei Volksabstimmungen pro Land.

Der Sinn dieser – gewissermaßen – Drohung: Dann machen wir eine Volksabstimmung!, oder nach unserem Modell eine Volksbefragung, ist eben der, dass sich der Landtag in Deutschland – hier der Nationalrat – intensiv mit dem Volksbegehren auseinandersetzt. In dieser Auseinandersetzung soll es aber durchaus möglich sein, auf Einwände einzugehen. Es ist in meinen Augen die Aufgabe des entsprechenden Ausschusses des Nationalrates, die Initiatoren auf Mängel ihres Begehrens aufmerksam zu machen, speziell auch auf rechtliche Mängel, etwa die Unvereinbarkeit mit EU-Recht, Verstöße gegen Völkerrecht, gravierende Bedenken in grundrechtlicher Hinsicht.

Es wird Aufgabe in diesem Diskurs – für den ich plädiere – zwischen Parlament und Initiatoren sein, den Initiatoren diese Problematik klarzumachen. Und dass das möglich ist, zeigt eines der wenigen Erfolgsbeispiele aus der Geschichte bisheriger Volksbegehren in Österreich, das Gentechnik-Volksbegehren. Im Gentechnik-Volksbegehren sind massive Abstriche gemacht worden, vor allem weil sie EU-rechtlich notwendig waren. – Das ist in Verhandlungen, die damals von der zuständigen Ministerin mit den Initiatoren geführt worden, soweit gelungen, dass letztlich ein Ergebnis herauskam, das offenbar doch für alle irgendwo akzeptabel war.

Warum soll das nicht auch im Parlament möglich sein. Es geht gerade darum, diesen Dialog mit dem Parlament zu aktivieren, und darin würde ich gerade eine Stärkung des Parlamentarismus sehen. Ich glaube also, wenn dieses Modell sinnvoll umgesetzt wird, führt es nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung des Parlamentarismus.

Das setzt natürlich einiges voraus: Das setzt einmal auch einen Ausbau der Ressourcen des Parlaments voraus. Das ist sicher unbestreitbar, aber dieser Ausbau muss jetzt nicht wieder in einer Parallelbürokratie zu den Ministerien bestehen. Ich plädiere vielmehr dafür, dass man den Ausschüssen des Nationalrates einen viel leichteren Zugang zum Know-how, zur Expertise der Ministerien ermöglicht. In einem parlamentarischen Regierungssystem ist die Regierung vom Konzept dieses Regierungssystems her ja so etwas wie ein „Erfüllungsgehilfe“ des Parlaments. Und da sind sicher noch Ausbaumöglichkeiten drinnen. Es setzt dies auch eine gewisse Offenheit der Beratungen, der Verhandlungen mit den Initiatoren des Volksbegehrens voraus. Wenn man diese Regeln – deren es aber sicher bedarf – sehr restriktiv fasst, mit Redezeitbeschränkungen, mit Beschränkungen der Anzahl von Wortmeldungen, auch mit Koalitionsabsprachen, die diesen Dialog restringieren, dann allerdings besteht die Gefahr, dass dieses Modell scheitern wird.

Noch ein letzter Punkt zu den thematischen Grenzen eines Volksbegehrens: Ich sehe es als einen Widerspruch zwischen der Idee der Demokratie, dass alles Recht vom Volk ausgeht – Artikel 1 B-VG –, und thematischen Beschränkungen des Rechtes des Volkes, ein bestimmtes Thema auf die Tagesordnung des Nationalrates zu setzen. Nichts anderes tut dieses Modell. Die letzte Verantwortung bleibt ja beim Nationalrat. Die Abgeordneten müssen, wie schon gesagt, eben versuchen, den Initiatoren mögliche Probleme in einer offenen Diskussion klarzumachen. Das geht; Beispiel Gentechnikgesetz.

Wenn das nicht gelingt, kommt es zu einer Volksbefragung. Aber auch da kann natürlich dann an die Bevölkerung appelliert werden, problematische Volksbefragungen nicht in einer bestimmten Weise zu beantworten. Wenn auch das fehlgeht, dann bleibt die Verantwortung für den Gesetzesbeschluss letztlich beim Parlament. Ich bin dagegen, dass das Parlament diese Verantwortung auf ein Gericht – etwa den Verfassungsgerichtshof oder, wie es das Demokratiepaket tut, gar auf die Bundeswahlbehörde – abschiebt.

Ich hätte auch Bedenken gegen eine bloße „Grobkontrolle“, weil eine Grobkontrolle der Logik richterlicher Prüfung widerspricht. Ein Verfassungsrichter findet irgendetwas bedenklich; er sagt dann nicht: Jetzt denke ich eine halbe Stunde nach; und wenn ich dann zu dem Schluss kommen, es könnte vielleicht doch gehen, sage ich ja!, oder: Ich denke zwei Tage nach und komme dann zu dem Schluss: Nein, so geht es nicht! – So reagieren Gerichte nicht. Gerichte, die ein Problem sehen, gehen diesem Problem automatisch auf den Grund. Daher könnte meines Erachtens auch eine Grobkontrolle nicht funktionieren.

Ich sehe, dass ich meine Redezeit schon überbeansprucht habe. – Danke Ihnen jedenfalls.

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Univ.-Prof. Dr. Johannes Pichler (Karl-Franzens-Universität Graz): Ich bin für eine Optimierung jeglicher Form von bürgergesteuerter Politik. Dazu hat mich meine jahrelange Arbeit über Bürgerbeteiligung einfach gebracht.

Ich wäre versucht, auf vieles zu antworten, was jetzt auf dem Tisch liegt. Aber ich verliere mich nicht in die Logik des vorliegenden Modells, sondern möchte als letzter Redner dieser Gruppe mit der Enquete-Kommission doch noch einmal über die Philosophie der Bürgerdemokratie reden, denn da scheint es mir irgendwie zu hapern.

Warum denn überhaupt Bürgerdemokratie? Salopp gesagt: Wer ist denn eigentlich der Hausherr in diesem Land? Oder gesellschaftsrechtlich verbrämt: Wer ist denn der Eigentümer? – Wenn, dann ist es die Bürgerschaft! Und die wünscht sich zu 80 Prozent mehr Volksabstimmung, zu 70 Prozent mehr Volksbegehren und zu 60 Prozent mehr Volksbefragung. Die Leute können sogar unterscheiden, was die Instrumente wiegen.

Daher sollten Sie sich, wie ich meine, überlegen, ob Sie dem nicht entsprechen wollen und das Paket daher noch einmal aufschnüren. Haben Sie keine solche Angst vor einer Verfassungsänderung!, würde ich Ihnen zuflüstern. Darf ich Sie noch an eine Ansage in diesem Land erinnern: „Dieses Land mit Demokratie durchfluten“ – das war Bruno Kreisky!

Ich bin für mehr Bürgerdemokratie aus politischem Pragmatismus. Was ist auf Bürgerabstimmungen hin wirklich je Fatales passiert? – Die Bürgerschaft im 21. Jahrhundert halte ich für viel reifer, als ihr zugestanden wird. Die Schweizer haben unlängst einen sehr sympathischen „Köder“ – eine Urlaubsverlängerung herbei referendieren zu können – nicht geschluckt. Wenn man die Bürger in redlicher und, zugegeben, möglicherweise mühsamer politischer Arbeit darüber aufklärt, dass sie sich jede Party dieser Welt wünschen dürfen, sie aber auch bezahlen müssen, dann, würde ich doch meinen, sind wir auf Schweizer Niveau, und wir würden so entscheiden, wie es vernünftig ist.

Wenn im doch durchaus biederen Bayern sogar über die Abschaffung der zweiten Kammer volksabgestimmt werden durfte, dann muss man sich schon fragen, warum wir das nicht auch zusammenbringen sollten; und das sage ich, obwohl ich das Ergebnis von damals für falsch halte! Aber ich würde bedingungslos dafür argumentieren, dass man es wiederholen dürfte.

Auch das Schweizer Minarett-Referendum, meine Damen und Herren, ist meiner Überzeugung nach kein Argument gegen Referenden an sich. Ich frage mich mehr: Was ist in der österreichischen Diskussion los? Ist das alles noch der „Zwentendorf-Effekt“? – Natürlich gibt es brillante Gründe zur politischen Wachsamkeit, das ist doch klar; aber in der repräsentativen Demokratie, glaube ich, genauso wie in der direktdemokratischen!

Wenn – wie in Nebraska, Oregon und in anderen Bundesstaaten geschehen – die Superreichen mit einer enormen initiativen Kampagnenfinanzierung eine Steuersenkung durchreferendieren konnten und dann in den Bildungs- und Sozialbudgets das Geld fehlte, dann ist man natürlich alarmiert. Aber das könnte in der repräsentativen Politik doch genauso passieren. Schauen Sie sich doch bitte einmal die Inhalte und Programme von Le Pen und Co. an! Deswegen gleich von „Pöbelherrschaft“ oder „democracy derailed“, „entgleister Demokratie“ zu zetern, ist meiner Ansicht nach total verfehlt.

Es kann nur heißen: Offenlegung der Kampagnenfinanzierung. Dort muss man einsetzen mit den Kautelen.

Meine Damen und Herren, der für mich dritte Grund für mehr Bürgerdemokratie ist purer Fatalismus, denn beide Systeme, die repräsentative wie die direkte Demokratie, oder auch die partizipatorische, können sowieso nicht mehr als supranationalere, das heißt durchgriffsfreie Höchstrichterschaften zulassen oder nicht zulassen.

Mit welchem Ziel gehe ich so heran? – Erstens einmal mit dem Ziel der Stärkung des Selbstvertrauens des Souveräns. Das ist ein intrinsischer Zweck: mehr Mut zum aufrechten Gang machen; Copyright Erhard Busek. Aber das wiederum ist es, meine Damen und Herren, was die innere Verfasstheit von einer Entwicklung einer vitalen Zivilgesellschaft braucht – Ziel zwei –: Rückholung der Bürgerschaft, jetzt polemisch gesagt, von „fun and action“ zum Politischen und zu einer neuen Akzeptanz für mitbestimmte politische Strukturen.

Das dient der Demokratie überlebensnotwendig: die Legitimitätssteigerung. Ich sehe den Legitimitätszuwachs von woanders herkommen als innersystemisch. Ich habe 1993 eine Rechtsakzeptanz-Studie gemacht, und damals sah alles schon alarmierend genug aus. Diese Haller-Studie aus Graz sieht alles noch weit katastrophaler: Nur mehr 19 Prozent aller Leute, so diese Erhebung, interessieren sich für Politik, aber nur mehr 10 Prozent der jungen Leute!

Ziel drei ist ein Wettbewerb der Systeme, meine Damen und Herren, denn eines ist für mich vollkommen klar: Wir werden die repräsentative Demokratie selbstverständlich weiter brauchen. Wir werden Sie alle hier weiterhin dringend brauchen! War das jetzt ein Widerruf? Schwächling? – Nein, das ist es nicht. Es haben nur außer mir noch acht Millionen keine Lust, selber jeden Tag Politik machen zu müssen.

Wie kommt man zu mehr Bürgerdemokratie? – Nun, erst einmal auf den Wegen, die schon begangen sind: selbstverständlich durch den Ausbau der direktdemokratischen Formen der traditionellen Art. Natürlich muss das Recht der Volksabstimmung und auch des Volksbegehrens dynamisiert werden. Aber Sie müssen nicht neue Kautelen erfinden, sondern Sie sollten Kautelen entlasten.

Ich würde meinen, wir sollten auch keine Angst vor der „referendum initiative“ haben, die nicht zu einer Volksbefragung, sondern zu einer Volksabstimmung führen könnte – und das nicht erst bei den österreichischen 10 Prozent. Die internationalen Standards liegen irgendwo zwischen 4 Prozent und 6 Prozent für einfachgesetzliche Begehren, und für konstitutionelle zwischen 6,5 Prozent und 7,5 Prozent. Dort ist ungefähr die Richtlinie.

Weg zwei: Dazu, und nicht anstelle – und ich gebe der Kollegin Gamper völlig recht. Und dafür bräuchte man ja nicht einmal den Gesetzgeber. Aber ich würde es in ein Demokratiepaket hineinverpacken, weil Politik für mich hauptsächlich Kommunikation ist, und da, würde ich meinen, sollten die partizipatorischen Formen stärker noch als die direktdemokratischen in den Vordergrund gerückt werden, weil diese es sind, die es wahrscheinlich sogar abfedern könnten, dass man dann ständig in direktdemokratische Elemente hinübergehen muss.

Ich bin für mehr zivile Dialoge, mehr Bürgerdialoge, Bürgerrechte auf allen Ebenen, „wisdom councils“. Ich bin für mehr Konsultationsverfahren, für mehr Crowdsourcing. Ich mache mich nicht lustig über „the wisdom of the crowd“. Da liefert die Union herzeigbare Vorbilder, nur kennt sie keiner – und die Unionsverantwortlichen übrigens beim Umsetzen auch nicht.

Weg drei: Endlich über E-democracy nicht nur herumreden, sondern sie tun!

Meine Damen und Herren, die sogenannte – es tut mir leid, aber das sind englische Terminologien – collaborative and cooperative democracy ist Bürgerdemokratie in einer neuen Form. Um mich jetzt nicht scheinbar selber wichtigzumachen, zitiere ich aus der brandneuen „multi-level governance charter“ des Ausschusses der Regionen. Sie stammt aus der Feder eines sehr lieben Freundes, der aber einer der Ihren ist: in Belgien Minister sozusagen für alles gewesen, Präsident des AdR, jetzt Vizepräsident, also Luc van den Brande. In dieser „multi-level governance charter“ steht ausdrücklich drin: Wir brauchen eine neue Kultur des politischen Miteinander.

Dafür gibt es Schlüsselhaltungen, die heißen „co-decision making“, „co-planning“, „co-creating“, „co-learning“; das heißt: mitgestaltend teilhaben. Nur so kommt man zu einer wachsameren Bürgergesellschaft.

Meine Damen und Herren, wir müssen von den Quasselforen, die überlaufen sind, zu gesellschaftsgestaltenden Governance-Foren finden. Wir sind nämlich wieder einmal in einem Biedermeier angelangt: Über belangloses Geschwätz wird enorm viel Beteiligungsenergie verpulvert. Wir sollten zumindest versuchen, diese gesellschaftlich nutzbar zu machen.

Meine zehnte und letzte Ansage: Eine Gesellschaft des 21. Jahrhunderts braucht mehr Schweiz. Ja, mehr Schweiz!

Aber ich glaube, im 21. Jahrhundert bräuchte es auch eine neue, von mir aus kühne Gesamtarchitektur einer Bürgerdemokratie.

Dazu würde ich Sie einladen, darüber nachzudenken. – Vielen, herzlichen Dank.

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Obfrau Präsidentin Doris Bures dankt für die Beiträge der Expertinnen und Experten, leitet über zum nächsten Punkt und erteilt als erstem Redner Klubobmann Schieder das Wort.

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Stellungnahmen der FraktionssprecherInnen

Abgeordneter Mag. Andreas Schieder (SPÖ): Der heutige Beginn der Enquete-Kommission zur Beratung der Fragen der Stärkung der Demokratie in Österreich ist insofern etwas Neues, als Bürgerinnen und Bürger aufgerufen gewesen, sich als TeilnehmerInnen zu melden, und aus dieser Gruppe der Gemeldeten sind Leute gelost worden, die heute hier teilnehmen. Ich möchte Sie besonders herzlich begrüßen und mich einerseits dafür bedanken, dass Sie sich dazu bereit erklärt haben, aber andererseits auch die Hoffnung ausdrücken, dass Sie uns in diesem Prozess so bereichern, dass am Schluss Ergebnisse herauskommen, die zu einer Verlebendigung, einer Verbesserung unserer Demokratie und demokratischen Institutionen führen.

Was auch eine Neuerung ist, ist nicht nur die Teilnahmemöglichkeit über Twitter – wobei man hier auch sagen muss, es ist natürlich immer nur ein Ausschnitt, der an solche Themen teilnimmt –, sondern auch die Möglichkeit nachträglicher Stellungnahmen. Das heißt, es ist in Summe auch ein Diskussionsprozess, der genau das ermöglichen soll, was öfters hier am Podium gesagt worden ist: dass man seine Vorschläge, seine Gedanken hier und auch danach einbringen kann, sodass wir am Schluss nicht nur „quasseln“, sondern vielleicht auch zu Ergebnissen kommen. Trotzdem werden Sie mir auch zustimmen, Herr Kollege Pichler (Dr. Pichler: Facebook anschauen!), dass es jedenfalls des Wortes bedarf – egal, ob es „gequasselt“ oder ausgesprochen ist, um zu Lösungen zu kommen.

Das heißt, wir stehen hier so breit und so offen wie noch nie und diskutieren die Attraktivierung des parlamentarischen Systems. Für mich steht im Vordergrund, erstens einmal darüber nachzudenken und dies zu evaluieren: Wo können wir bestehende Instrumente, ohne dass wir jetzt direkt etwas Neues komplett vom Boden auf erfinden müssen, so attraktivieren, dass sie vielleicht in der Idee und in der Nutzung stärker dem entsprechen, was ursprünglich der Gedanke war?

Das heißt, diese Fragen, die auch in dem Parlamentsantrag angesprochen sind – die Verbesserung in der Wählerevidenzhaltung; die Einbeziehung von AuslandsösterreicherInnen; die stärkere Ermöglichung von Mobilität, dass man nicht nur das Wahllokal im Bürgermeisteramt in seinem Dorf und seiner Gemeinschaft benutzen kann, sondern vielleicht auch das an seinem Arbeitsplatz; dass Klarheit besteht, dass sich dann auch ein eigener Ausschuss mit diesen Themen beschäftigen muss; als auch, dass es hier ein Rederecht für die Erstunterzeichner von Volksbegehren geben soll –, halte ich für richtige Gedanken, die wir auch im Zuge dieser Enquete-Kommission noch weiter verfeinern sollten.

Da gesagt wurde, die Volksabstimmung kam nur sehr selten zur Anwendung, muss man hier schon auch erwähnen. Die Volksabstimmung vom 12. Juni 1994 war nicht nur von der Beteiligung her, sondern meiner Meinung nach auch vom Ergebnis und von der Diskussion davor her eine sehr wertvolle.

Eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist, ist die Frage des Verhältnisses und des Umgang der Mehrheit gegenüber der Minderheit. Das ist auch eine klassische Frage des parlamentarischen Seins: Wie geht die Mehrheit mit der Minderheit um? Wie geht die Minderheit mit der Mehrheit um? Welche Recht gibt man? – Da sind wir ja auch in der parlamentarischen Geschäftsordnung gerade in letzter Zeit einige wesentliche Schritte weitergegangen.

Es geht aber auch – das ist gerade bei Volksbegehren eine schwierige Frage – um die Abwägung zwischen einzelnen Sachfragen, die dann sehr oft auch zugespitzt auf diese Sachfragen formuliert werden, und um gesamtstaatliche Interessen. Nicht nur die finanziellen Interessen, sondern auch andere Interessen, und nicht nur die Minderheitsinteressen, sondern auch die Einbettung in ein gesamtstaatliches System ist eine wichtige Frage, die in einer Abwägungsfrage zu beurteilen ist.

Herr Sektionschef Hesse hat auch darüber gesprochen, dass es hier einige Abwägungsfragen gibt. Ja, diese zwei sind welche – und natürlich auch die Frage: Wie weit wollen wir politische Fragestellungen den Gerichten aufoktroyieren oder dort hinüberschieben, und wie weit wollen wir nicht auch eine vernünftige Trennung notwendig machen?

Ebenfalls ein wichtiger Punkt ist die Frage nach dem Wert und der Wertschätzung von Demokratie und Ausübung von Demokratie, das heißt, vom Wahlrecht zu den Vertretungskörpern, aber natürlich auch die Ausnutzung des Wahlrechts in Form des Unterschreibens von Volksbegehren, Volksabstimmungen, Volksbefragungen und dergleichen.

Wert und Wertschätzung heißt auch, dass man überlegen muss, ob die Attraktivierung hin zu elektronischen Systemen in ihrer Absolutheit der richtige Weg ist. Im Hinblick auf Wertschätzung weiß ich nicht, ob ein Tweet, der auf 144 Zeichen eingeschränkt ist, oder ein Facebook-Eintrag, der manchmal auch sehr starke Emotionen mit sich trägt, um einfach Dinge zuzuspitzen, das Gleiche ist bei der Ausnützung des Wahlrechtes.

Daher würde ich hier auch sehr vorsichtig sein, denn wir müssen schon auch den Wert und die Wertschätzung der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Ursinne der Demokratie, nämlich die Teilnahme an der Demokratie, Wahlen, Unterschreiben und dergleichen, auch in dieser Wertschätzung meiner Meinung nach erhalten. Auch das ist so ein Widerspruch in der Abwägungsfrage, den wir hier in den nächsten Wochen und Monaten sehr intensiv diskutieren werden und auch diskutieren müssen.

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Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP): Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, die uns helfen, mehr Demokratie für Österreich zu finden, die uns helfen, dass die Demokratie auch in Zukunft gesichert wird! Es ist mein größtes Anliegen, dass wir um die Demokratie kämpfen, und da gibt es kein Mittel, das zu wenig oder zu viel sein kann. Da geht es darum, die Grundlagen für unser Zusammenleben in Zukunft zu sichern.

Unsere Bundesverfassung stammt aus dem Jahre 1920, und viele Grundlagen, die die repräsentative Demokratie und die direkte Demokratie in unserer Verfassung abbilden, sind jahrzehntealt. Unsere Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert.

Wenn wir so in die Zweite Republik hineinschauen: Mit dem ersten großen Volksbegehren, 1964 mit dem ORF-Volksbegehren, wurde ein erster großer Schritt getan. Bis: Ich würde sagen, das letzte große Element waren die Bürgerräte in der Vorarlberger Landesregierung, die für Vorarlberg installiert worden sind – ein komplett anderer Zugang, wo es nicht nur darum geht, dass man eine Entscheidung von der repräsentativen Demokratie abgibt in die direkte Demokratie, sondern dass man die Bürgerinnen und Bürger verstärkt mitnimmt im Entscheidungsprozess.

Ich glaube, dass wir über diese deliberative Form der Gesetzgebung noch viel, viel stärker reden müssen, nämlich einfach über das Mitnehmen und nicht so sehr nur über das Entscheidungsfinden und das Abgeben von Entscheidungen. Ich glaube nämlich, da gibt es einen großen Konsens und auch einen Wunsch der Bevölkerung, dass diejenigen Politiker, die sie gewählt hat, auch in Zukunft ihrer Verantwortung nachkommen. Aber umgekehrt wünschen wir Politiker uns auch, dass der Wähler/die Wählerin die Verantwortung nicht nur beim Politiker sieht, sondern dass er sie auch bei sich selbst sieht, wenn er wählt, wenn er entscheidet – egal, ob das in einer Volksabstimmung, in einer Volksbefragung oder bei einer Nationalratswahl, Gemeinderatswahl, Landtagswahl et cetera ist. Wir tragen als Gesellschaft alle gemeinsam Verantwortung.

Die vergangenen Jahren haben auch zwei Punkte stark gezeigt. Erstens: Es ist ein Vertrauensverlust bei den Wählerinnen und Wählern eingetreten, der mehrere Ursachen hat. Ich glaube, wir sollten sie auch ungeschminkt ansprechen. Bürgerinnen und Bürger kritisieren Klientelpolitik statt wertorientierter Politik. Sie haben ein Ohnmachtsgefühl entwickelt – und viele Personen wissen nicht mehr, ob sie noch zur nächsten Wahl gehen wollen oder ob sie sich nicht gleich dem politischen System verweigern sollen.

Wir haben gute wirtschaftliche Kennzahlen in unserem Lande. Österreich ist durch die repräsentative Demokratie auch eines der stärksten und besten Länder der Welt geworden; das wird sehr oft übersehen. Es gibt jedoch anstehende Probleme, die für die Bevölkerung zu wenig schnell gelöst werden. Ich denke da an Pensionen, Schule, Klimaschutz; ich denke daran, dass es nicht nur in Österreich, sondern auch in vielen Ländern der Welt Korruptionsfälle gibt, die das Vertrauen in die Politik erschüttern. Es gibt eine Finanzkrise in Europa, es gibt eine Staatsschuldenkrise in manchen Ländern Europas. Wir brauchen Bankenhilfe, wir brauchen Hilfe für Griechenland, und es gibt ein Hypo-Debakel, das das Vertrauen erschüttert.

Das führt auf der anderen Seite aber auch dazu, dass einzelne Volksbefragungen oder Volksbegehren dazu geführt haben, dass manche meiner Politikerkollegen dem Misstrauen, das in der Bevölkerung aufgekommen ist, ein gewisses Unverständnis entgegengebracht haben, denn jeder Politiker, der tätig ist, hat auch das Interesse, auf seiner Ebene das Bestmögliche für die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Ich kenne hier in diesem Saal jedenfalls keinen, der sich nicht darum bemüht, die besten Lösungen zu finden. Daher versteht er auch sehr oft nicht, warum er kritisiert wird.

Eine Studie der deutschen Bertelsmann Stiftung zeigt genau den Unterschied zwischen Politikverdrossenheit und Demokratieverdrossenheit. Obwohl auch die deutschen Bürger den Politikern auf überkommunaler Ebene nicht wirklich vertrauen, steht für sie dennoch außer Streit, dass die repräsentative Demokratie als vorrangiges politisches System unbestritten ist.

Es geht also nicht um eine Revolution, sondern es geht einfach um die Beziehung zwischen Volk und Volksvertretern. Und wie jede Beziehung braucht auch diese Beziehung gegenseitigen Respekt, Kommunikation auf Augenhöhe und Verständnis für die manchmal begrenzten Möglichkeiten des anderen.

Wir brauchen daher Wege aus der Krise, in der sich die Demokratie in vielen Ländern der Welt befindet. Wir müssen diese Kluft zwischen Bevölkerung und Politik verringern. Dazu gibt es viele Möglichkeiten. Die eine ist die der direkten Demokratie: mehr Volksbegehren, mehr Volksbefragungen, mehr Volksabstimmungen. Die andere ist eine verstärkte Personalisierung des Wahlrechts. Eine weitere ist vielleicht die Mitbestimmung bei Budgetfragen oder ein eigenständiges Schulfach Politische Bildung oder mehr Transparenz, wie wir das soeben mit dem Informationsfreiheitsgesetz vorschlagen, einem gläsernen Staat und der Abschaffung der Amtsverschwiegenheit.

Ich meine, dass sich die verschiedenen Formen der politischen Partizipation gegenseitig ergänzen, ja sie sind teilweise komplementär zueinander. Daher gilt nicht, das eine System ist besser als das andere, sondern ich glaube, alle Systeme miteinander führen zu einer stärkeren Demokratie – nicht zu einer Schwächung der Demokratie, sondern im Gegenteil zu dem, was wir uns wünschen, nämlich einer starken Demokratie in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit.

Meine Damen und Herren, wir von der ÖVP wünschen, Bürgerinnen und Bürger an den politischen Vorgängen mehr teilhaben zu lassen, und dass sie selbst ihr Leben mitbestimmen können. Wir wollen Betroffene zu Beteiligten machen. Wir bekennen uns zur repräsentativen Demokratie, sehen aber, dass diese repräsentative Demokratie auch eine Ergänzung durch direktdemokratische Elemente benötigt. So wie die ÖVP schon 1982 gefordert hat, dass nach einem erfolgreichen Volksbegehren eine Volksabstimmung stattzufinden hat, hat unsere Junge Volkspartei 2012 wieder ein umfassendes Demokratiekonzept erstellt.

Meine Damen und Herren! Die Erwartungen an diese Enquete-Kommission sind, dass wir offen diskutieren, dass wir alle Meinungen zulassen und dass wir heute, am Anfang der Diskussion, auch sicherstellen, dass nicht jetzt schon Pflöcke eingeschlagen werden, die danach vielleicht nicht mehr entfernt werden können.

Wichtig ist, ein gemeinsames Ergebnis zu erzielen, und zwar mit den Bürgerinnen und Bürgern, die uns sozusagen zugelost wurden. Darüber würde ich mich sehr freuen, und ich lade Sie alle dazu ein, hier für mehr Demokratie zu kämpfen. – Danke schön.

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Abgeordneter Mag. Harald Stefan (FPÖ): Uns Freiheitlichen ist es schon lange ein Anliegen, Bürger ehrlich an der politischen Entscheidungsfindung zu beteiligen. Daher haben wir hier schon einige Vorstöße gemacht. Dabei soll aber immer klargestellt sein, dass wir dabei nicht die repräsentative Demokratie abschaffen wollen. Das soll auch keine grundsätzliche Kritik am Parlamentarismus sein, sondern wir sind davon überzeugt, dass direkte Demokratie eine wichtige Ergänzung zur repräsentativen Demokratie ist.

Heute hat die Diskussion auf Basis eines vorliegenden Gesetzesvorschlages einmal begonnen. Da habe ich schon sehr viele Gründe und Einwände gehört, warum direkte Demokratie nicht stattfinden soll, nicht stattfinden darf. Wesentliches Argument ist immer der „Populismus“. Es ist interessant, dass das gerade bei der direkten Demokratie so in den Vordergrund gestellt wird, denn abgesehen davon, dass hier ja, wenn man es wörtlich nimmt, das Volk gemeint ist, das sich äußert, ist es doch so, dass auch in der repräsentativen Demokratie Populismus einen großen Stellenwert hat, dass auch da kampagnisiert werden kann und auch kampagnisiert wird. Daher verstehe ich nicht ganz, warum man im Zusammenhang mit der direkten Demokratie so eine besondere Angst davor hat.

Die Frage der Kampagnisierung wird hier immer angesprochen, „unmögliche“ Entscheidungen, die angeblich die Bevölkerung treffen würde, und „unmögliche“ Themen, die hier angesprochen werden würden. Wir haben in früheren Diskussionen immer wieder gehört, es würde dann möglicherweise der Antrag gestellt werden, dass die Todesstrafe wieder eingeführt wird, und wer weiß, was dabei herauskommt. Das ist vielleicht ein extremes Beispiel, aber es werden auch sonst immer wieder Beispiele gebracht, wo man den Eindruck hat: Welches Menschenbild steht dahinter, wenn ein Vertreter der repräsentativen Demokratie davon ausgeht, dass Bürger, wenn sie einmal die Möglichkeit hätten, in solche Richtungen überhaupt Initiativen setzen würden?!

Immerhin sind das ja jene Bürger, die als Wähler die Parteien wählen sollen. Aber die Vertreter der Parteien trauen dann den Bürgern nicht zu, dass sie auch so weit vernünftig sind, dass sie keine Forderungen stellen oder Entscheidungen treffen, die nachher sehr problematisch wären. Es ist heute ohnehin schon sehr gut angesprochen worden: Wenn man den Menschen auch in der Information klar sagt, letztendlich müsst ihr das immer bezahlen und mittragen, dann bin ich davon überzeugt, dass es sinnvolle Entscheidungen geben wird.

Nächstes Argument: die geringe Zahl entscheidet dann über eine Mehrheit! – Ja, das ist tatsächlich ein mögliches Problem in der Demokratie, auch in der repräsentativen Demokratie. Wir wissen ja, wie sich Wahlbeteiligungen in den letzten Jahren entwickelt haben und dass selbst eine Verfassungsmehrheit im Parlament möglicherweise nicht einmal mehr die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert. Das ist auch höchst problematisch, keine Frage.

Ich bin nur davon überzeugt, dass erstens einmal so ein Volksbegehren – oder wie immer jetzt diese Initiative von der Bevölkerung aus stattfinden sollte – einen dermaßen großen Aufwand hat, auch schon eine so lange Diskussion hinter sich hat und sehr viele Unterstützer braucht, dass dieses Argument schon ziemlich schwach wird. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass sich das einspielt. Wenn sich herausstellt, dass die Bevölkerung vielleicht zu lethargisch auf eine Initiative reagiert und es daher tatsächlich einmal dazu kommt, dass eine relativ kleine Zahl etwas bestimmen könnte, dann wird – davon bin ich überzeugt – als Reaktion darauf die Bevölkerung beim zweiten oder spätestens dritten Mal erkennen: Man muss hingehen/mittun, damit nicht möglicherweise eine Minderheit über mich entscheidet! Man sieht das auch an den Beispielen in anderen Staaten. Natürlich ist da die Schweiz immer ein besonders gutes Vorbild, um zu erkennen, dass sich das eben einspielt.

Wesentlich ist für uns, zu sagen: Was das Parlament darf, muss auch die Bevölkerung können. Wir müssen uns auch immer vor Augen halten: Was darf denn das Parlament alles? – Theoretisch können wir hier unglaubliche Entscheidungen treffen, die vielleicht unter Umständen sogar gegen Völkerrecht verstoßen, die unter Umständen – und das passiert ja immer wieder – vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden. Wir können allerdings auch Verfassungsgesetze beschließen, damit sie nicht mehr vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden können.

Das heißt, das Parlament hat in Wirklichkeit völlige Entscheidungsfreiheit. Wir können hier auch beschließen – ganz theoretisch –, dass wir uns von der Menschenrechtskonvention abwenden. Das können wir hier theoretisch beschließen und dann allenfalls auch aufkündigen; ganz theoretisch gesprochen. Das Parlament hat also unglaubliche Kompetenzen. Gleichzeitig soll hier aber eine totale Themeneinschränkung für die Bevölkerung beschlossen werden! Das halte ich für höchst problematisch!

Auch die Frage des EU-Rechtes: Natürlich, es ist mir schon klar, wir haben verbindliche Normen, die eingehalten werden müssen. Aber für die entscheidenden Fragen müsste die Bevölkerung die Möglichkeit haben, Initiativen zu setzen. Es stellte sich gerade in den letzten Jahren die Frage des Stabilitätsmechanismus, des Fiskalpaktes. Das sind Dinge, die bei uns in Österreich sehr massiv in unsere Souveränität eingreifen, und da müsste es Möglichkeiten geben. Deswegen sind wir davon überzeugt, dass es ein ganz wesentlicher Punkt ist, diese Themeneinschränkung möglichst gering zu halten und es tatsächlich so zu machen, wie es auch im Parlament der Fall ist: Es muss, abgesehen von einer formellen Prüfung und von einer Prüfung der Zulässigkeit an sich, dann zuerst einmal diese Initiative durchgesetzt werden können und im Nachhinein die Entscheidung getroffen werden.

Daher sind für uns drei Punkte entscheidend, wovon zwei ganz wesentlich sind. Es muss die Möglichkeit geben, dass die Bevölkerung von sich aus eine Initiative setzt, ein Gesetz zu beschließen – also eine echte Gesetzesinitiative. Das gibt es zurzeit nicht. Direkte Demokratie findet bei uns nur „von oben“ statt: Das Parlament beschließt, wann es direktdemokratische Elemente geben darf. Ob es ein Volksbegehren, eine Volksbefragung oder eine Volksabstimmung geben darf, das beschließt das Parlament – und sonst niemand! Das Volksbegehren wird hier mehr oder weniger schön zu Grabe getragen, wie heute schon gesagt wurde. Da gibt es eine große Frustration. Es muss also die Möglichkeit geben, da eine Initiative durch die Bevölkerung zu setzen.

Das Zweite ist, dass die Bevölkerung auch die Möglichkeit haben muss, bereits beschlossene Gesetze durch eine Veto-Volksabstimmung zu Fall zu bringen.

Ich bin davon überzeugt – und das ist der wesentliche Punkt –, dass dann, wenn es diese Möglichkeiten gibt, auch die repräsentative Demokratie und die Politiker im Parlament ganz anders gefordert sind. Wenn sie die Möglichkeit sehen, es könnte sein, dass aus der Bevölkerung heraus dann noch einmal etwas dagegen gemacht wird, oder wir werden gemessen an dem, was eine Initiative tatsächlich intendiert, dann würden auch Politiker sich verändern. Das ist das Entscheidende, weil es ja darum geht – das ist von allen angesprochen worden –, den Staat möglichst gut zu regieren und zu verwalten.

Es geht darum, den Staat weiterzuentwickeln, und wenn wir uns alle einig sind, dass direkte Demokratie dazu ein wesentlicher Beitrag ist, dann bin ich schon sehr froh. Dann bin ich auch davon überzeugt, dass diese Enquete-Kommission zumindest ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist. Ob es uns gelingt und ob sich die Vertreter der repräsentativen Demokratie auch wirklich trauen, dem Volk eine Initiativrecht einzuräumen, das wird man am Ende sehen.

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Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne): Mit vielen hier im Saal – seien es Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Parteien, also Abgeordnete, aber auch mit NGOs oder Initiativen, die seit Jahren an dem Thema dran sind – habe ich eigentlich schon alles besprochen, finde ich, und eigentlich hätten wir schon längst entscheiden können.

Darauf haben auch unsere Verhandlungen im Sommer 2013 abgezielt. Es kamen dann die Wahlen;  die Stellungnahmen sind in den Sommer hineingefallen. Die Zeit reichte nicht mehr, und so haben wir bis jetzt noch immer keine Stärkung der direkten Demokratie. Aber es ist uns gelungen, für diese Enquete-Kommission nicht wieder sozusagen im gleichen Kreis zu bleiben, sondern hier zumindest einmal eine Minimalvariante der BürgerInnenbeteiligung zu initiieren.

Ich hätte mir da mehr gewünscht, das möchte ich an dieser Stelle auch gleich sagen. Island hat es vorgemacht, dort wurde ein ganz breiter Prozess aufgesetzt. Aber ich bin damit zufrieden, dass Sie einmal da sind! Ich möchte Sie begrüßen und hoffe auch, dass die Hürden hier im Parlament nicht zu hoch sind, um sich zu beteiligen. Es gibt die Twitterwall, und es gibt Möglichkeiten, Stellungnahmen abzugeben. Vor diesem Hintergrund sage ich: Ja, es macht Sinn, weiterzureden, denn viele haben sich noch nicht wirklich entschieden. Die Mehrheiten im Haus für so ein Gesetz haben wir noch nicht, und deswegen muss eben weitergesprochen werden. Ich hoffe, dass die Bürgerinnen und Bürger, die jetzt ausgelost wurden, wesentliche Teile dazu einbringen können.

Da es vorhin schon ein Thema war, dass BürgerInnen mitmachen können sollen: Es ist ganz klar – das zeigen auch zahlreiche Studien und Rückmeldungen von Partizipationsprozessen –, dass es für die Bürgerinnen und Bürger, die mitmachen, wichtig ist, was ihre Rolle da drinnen ist und was sie am Schluss mitentscheiden oder nicht mitentscheiden können. Für diese parlamentarische Enquete-Kommission ist das klar abgesteckt: Sie können mitreden. Die Entscheidung wird das Parlament fällen müssen.

Aber das ist auch der Knackpunkt, über den wir hier im Parlament schon die ganze Zeit diskutieren: Soll es dann, wenn BürgerInnen etwas initiieren, am Schluss eine Möglichkeit geben, dass sie auch selbst in Form einer Volksabstimmung darüber entscheiden, oder soll es das nicht geben? – Die Grünen haben sich hier immer ganz klar für Ersteres ausgesprochen. Unser Modell ist eben sehr stark an das deutsche Modell, an diese dreistufige Volksgesetzgebung, angelehnt; sprich: Am Ende soll es eine Volksabstimmung geben. Aber dafür hat es hier im Haus bisher noch nicht die nötigen Mehrheiten gegeben. Kollege Gerstl lässt mich jedoch hoffen, wenn er sagt: offen; keine Pflöcke einschlagen. Dann gehe ich einmal davon aus, dass alle offen dafür sind, dass wir auch das diskutieren.

Vor dem Hintergrund ist im Juni der Kompromiss zustande gekommen, dass wir eben die Volksbefragung am Ende der Volksabstimmung vorgesehen haben. Ursprünglich war das meiner Erinnerung nach eine Idee von Professor Öhlinger in einem Hearing. Sie sehen also, auch die Auseinandersetzungen im Parlament führen dann zu einer Weiterentwicklung, und insofern ist das eine wichtige Sache.

Ich nehme auch alle Rückmeldungen ernst, die zu diesem Demokratiepaket kamen. Aber diese zeigen auch, wo genau noch die Schwierigkeit liegt und wo wir, wie wir auch unter den Oppositionsparteien diskutiert haben, wirklich noch genauer hinschauen müssen. Wir haben zum einen die Institution Parlament, die Gesetzgebung und die Institutionen, die drumherum sind, und auf der anderen Seite die BürgerInnen. Wenn wir jetzt eine Möglichkeit schaffen, dass eine Initiative gestartet wird, die dann auch zu einer Volksabstimmung führt, dann muss man sich genau anschauen, wo diese beiden Institutionen oder diese beiden Körper, wenn man so will, gut miteinander verschränkt in den Austausch geraten können, und dies auch rechtlich abgesichert, weil das sozusagen ein Teil der Frage war.

Da haben wir – wie ich jetzt die Stellungnahmen und Rückmeldungen verstehe – noch nicht sozusagen der Weisheit letzten Schluss gefunden, da gibt es noch Verbesserungsbedarf. Das Entscheidende ist: Wie schaffen wir es, dass der Parlamentarismus auf der einen Seite seiner Arbeit nachgehen kann und nicht geschwächt wird – und ich glaube auch nicht, dass irgendjemand den Parlamentarismus und das Parlament schwächen will, auf allen Ebenen, ob es jetzt Bund, Land oder Gemeinde ist –, aber hier gleichzeitig ein Initiativrecht der Bevölkerung eingeführt wird, das am Ende auch zu Entscheidungen führt?

Da gibt es sehr viele Fragen, die wir auch schon diskutiert haben. Mein Ziel ist es, dass wir am Ende dieser Enquete-Kommission die entsprechenden Antworten darauf haben und dann einen Vorschlag finden, der rechtlich hält und auch die entsprechenden Möglichkeiten bietet.

Ich halte die ganze Diskussion rund um Politikverdrossenheit für sekundär, und ich gehöre nicht zu jenen, die sagen: Wir brauchen direkte Demokratie, weil so viel Politikverdrossenheit herrscht! Ich glaube, direkte Demokratie ist für sich ein Wert. Da geht es um eine Grundhaltung: Verstehe ich mich hier als gewählte Volksvertreterin, die im Austausch bleiben will, aber nicht nur im Austausch bleiben will, sondern auch will, dass von den BürgerInnen mitentschieden wird, oder nicht?

Ich möchte das nicht als „Pflaster“ für die Bevölkerung, die gerade die Demokratie schmerzt, sehen, sondern das ist ein wichtiger Teil. Da gebe ich dem Vorredner von der FPÖ recht: Hier geht es auch um die Frage der Politikkultur. Auch ich bin davon überzeugt, dass sich die parlamentarische Politik massiv verändern und verbessern würde. Auch die Diskussion würde sich verändern, wenn wir hier nicht nur ParteipolitikerInnen sitzen haben, die hereingewählt wurden, sondern wenn es auch einen Austausch mit Initiativen geben muss.

Ich war sehr überrascht und irritiert über manche Stellungnahmen, die hereingekommen sind, teilweise von sehr wichtigen Institutionen in unserem Land. Darin wurde gesagt: Volksbefragung und Volksabstimmung sind dasselbe, denn die PolitikerInnen werden sich nicht trauen, anders zu stimmen, als das Ergebnis einer Volksbefragung ergibt.

Ich würde sagen: Dann kann man das freie Mandat abschaffen. Also ich sitze hier als Parlamentarierin und muss jede Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen treffen, und wenn ich ein Ergebnis einer Volksbefragung habe, das damit nicht vereinbar ist, dann muss ich meinen Job aufgeben, wenn ich der Meinung bin, ich kann hier nur zustimmen, weil das Volk es will. – Nein, wir sind hier hereingewählt mit allem, was wir können und was wir wissen, und vor diesem Hintergrund müssen wir auch entscheiden. Aber dies zeigt natürlich auch, wie stark das Parlament auch von anderen Institutionen gesehen wird.

Noch ein Letztes: Ich vermisse heute eine Person, und weil sie noch nicht erwähnt wurde, möchte ich sie erwähnen. Es ist Präsidentin Barbara Prammer, die hier wichtige Schritte gesetzt hat, damit es überhaupt zu dieser Enquete-Kommission kommt, damit das Thema in der Öffentlichkeit und im Parlament so ernsthaft behandelt wird. Barbara Prammer war eine wichtige Vorreiterin auch innerhalb der Sozialdemokratie, und ich denke, wir würden ihr eine große Freude bereiten, wenn wir diese Enquete-Kommission zu einem Ergebnis führen und nicht zu einer Schubladisierung erster Klasse, wie wir das von anderen Enqueten her vielleicht kennen. – Danke schön.

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Abgeordneter Rouven Ertlschweiger (Team Stronach): Vieles, was heute hier gesagt wurde, unterstreiche ich ganz dick und fett. Und vieles, was heute hier gesagt wurde, erinnert mich auch frappant an das, was ich gestern bei der Enquete zum Thema duale Ausbildung gehört habe. Auch da sind alle Experten darüber einig, wie es gehen kann; es sind die Politiker darüber einig, wie es gehen kann; es liegen die Lösungsvorschläge fixfertig in den Schubladen. Das Problem an dem Ganzen ist nur, dass das schleppend oder gar nicht umgesetzt wird – und da sind wir auch schon beim Kern der Sache.

Vorab möchte ich mich aber bei meinen Kollegen generell einmal für diesen Sechs-Parteien-Antrag und die Abhaltung dieser Enquete-Kommission zur Stärkung der direkten Demokratie in Österreich bedanken. Ich möchte mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Parlamentsdirektion und vor allem der Klubs bedanken, die diese Kommission vorbereitet und wesentliche Vorarbeit geleistet haben.

Mein spezieller Dank gilt auch den acht ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern für ihre Bereitschaft, an dieser Enquete-Kommission mitzuwirken. Das soll nicht als selbstverständlich erachtet werden, sondern vielmehr dem Wunsch der Bevölkerung nach einer politischen Mitsprache im politischen Alltag Ausdruck verleihen. Immer wieder taucht das Thema direkte Demokratie und Stärkung der direkten Demokratie auf, und immer wird mit demselben Argument argumentiert: Wir sind eine demokratische Republik, das Recht geht vom Volk aus, daher sollte auch das Volk bei den wichtigen Entscheidungen mit eingebunden werden.

Aber Repräsentation ist, wie Hans Kelsen, der Schöpfer unserer Bundesverfassung, betont hat, oft nur Fiktion. Die Meinung, dass die Beschlüsse der parlamentarischen Mehrheit immer dem aktuellen Willen des Volkes entsprechen, ist unhaltbar. Kollege Stefan hat das vorhin auch argumentiert. Wie kann man das Volk, den sogenannten und oft zitierten Souverän, in den direkten demokratischen Prozess miteinbeziehen? Wie kann das gelingen?

Um den Anschluss an die Lebenswelten der Bevölkerung nicht zu verlieren, ist es unumgänglich, da Lösungen zu finden und diese auch sukzessive umzusetzen. Daher erscheint mir gerade diese Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie so wichtig, weil hier ein Versuch gestartet wird, bei den Entscheidungsfindungen der Bevölkerung in Form der ausgelosten Bürgervertreter ebendiese mitgestalten zu lassen, die Bevölkerung mitgestalten zu lassen und sich hier aktiv einzubringen.

Wenn man von einem System der repräsentativen Demokratie ausgeht, aber jetzt ergänzend Elemente der direkten Demokratie heranzieht, dann scheint mir das der richtige Weg zu sein. Diesbezüglich kann ich mich auch der Meinung von Herrn Univ.-Prof. Dr. Adamovich anschließen, der gemeint hat, dass man allerdings nicht solche Konstruktionen braucht, wie sie jetzt im Raum stehen – also Volksabstimmung bei einem Volksbegehren ab einer bestimmten Beteiligungszahl –, sondern dass man bereits bestehende Institutionen intensiver nützen kann.

Die Bereitschaft des Nationalrates, solche Schritte und die dazugehörenden Aktionen zu setzen und auch umzusetzen, hält sich meiner Meinung nach leider sehr in Grenzen. Gerade das Team Stronach ist ja für eine entschiedene Einbindung der Bürger nicht nur bei Fragen, die die Regierung der Bevölkerung zur Abstimmung übergibt, sondern auch in der Gesetzgebungs- und in der Gesetzfindungsphase. Einer unserer zentralen Vorschläge ist die Einführung von Bürgerräten, welche direkt im Nationalrat sitzen und bei den Abstimmungen im Plenum auf Augenhöhe mit den Parlamentariern Gesetze beschließen.

Herr Univ.-Prof. Dr. Pichler hat es heute schon gesagt. Wer ist denn der Herr im Hause Österreich? – Der Bürger! Der Bürger ist der Herr im eigenen Haus. Man hat es ja gesehen: Gerade bei den Verhandlungen zu den, sage ich einmal, sehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Verhandlungen zu den transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und CETA hat man gesehen, welcher Informationsbedarf bei den Bürgern besteht. Die Zeit des Drüberfahrens, des Verhandelns im stillen Kämmerlein irgendwo hinter verschlossenen Türen, ist vorbei!

Der Bürger hat ein Recht darauf, zu erfahren, was hier verhandelt wird. Der Bürger hat ein Recht darauf, zu erfahren, mit welchen Gesetzen er in Zukunft leben muss, respektive wie diese Gesetze sein Leben beeinflussen. Diesem Wunsch muss die Politik endlich Rechnung tragen!

Ich glaube auch, dass den acht ausgelosten Bürgervertretern eine zentrale Rolle zukommen wird. Diese Bürgervertreter sollen der Enquete-Kommission nicht sozusagen als Aufputz dienen, dass man sagt: Okay, wir binden auch das Volk ein, wir binden die Bürger ein! – Nein, diese Bürgervertreter stellen für mich das Missing Link dar, die Verbindung von der Politik zu den Bürgern, zu den Menschen in diesem Land, denn ich glaube, dass viele Politiker den Zugang zum Volk teilweise verloren haben, nicht mehr richtig zuhören, was die Bürger eigentlich wollen, sagen wir so: kein offenes Ohr haben für die Anliegen, für die Wünsche, für die Sorgen, für die Ängste der Menschen.

Das Team Stronach setzt sich auch im Vorfeld für einen offenen Diskurs ein, für einen offenen Dialog, und will hier auch keine Pflöcke einschlagen, die nachher unverrückbar sind. Wir sprechen uns für eine Reduzierung der Zahl an Nationalratsabgeordneten aus: 183 sind zu viel, es reichen 150. 100 Nationalratsabgeordnete sollen von den Parteien kommen, 50 sollen als gewählte und unabhängige Bürgervertreter im Parlament sitzen.

Die Zugangshürden für direktdemokratische Instrumente – Volksbegehren, Volksbefragung, Volksabstimmung – sollen keine Hürden für die Bevölkerung darstellen, sondern müssen eine Motivation dazu sein, sich aktiv an der Demokratie zu beteiligen.

Ich spreche mich auch dafür aus, dass ein Pflichtfach Politische Bildung in der Schule etabliert wird. Wenn man ab 16 Jahren wählen darf, ist es, glaube ich, essenziell, dass wir unsere Kinder auch vorbereiten und mit der Politik konfrontieren.

Offene Ausschüsse, Livestream-Übertragungen sollten in Zeiten des Internet eine Selbstverständlichkeit sein. Ich freue mich auf die bevorstehende Generaldebatte und einen wirklich offenen Dialog.

Wenn ich kurz Abraham Lincoln zitieren darf, er hat gesagt: Demokratie, das ist die Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk.

Ich wünsche mir am Schluss dieser Enquete-Kommission einen Konsens im Sinne der Demokratie und der Menschen in unserem Lande – und nicht, dass wieder tradierte Parteiinteressen siegen und Klientelpolitik betrieben wird. – Danke sehr.

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Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak (NEOS): Die wesentliche Frage im Zusammenhang mit direktdemokratischen Mitteln ist doch, wie diese Mittel, wenn sie eingesetzt werden, ernst genommen werden und ob sie ernst genommen werden. Prof. Öhlinger hat schon erzählt, was mit dem Bildungs-Volksbegehren passiert ist; am Schluss war es de facto ein Satz: Der Nationalrat nimmt es zur Kenntnis.

Man kann natürlich sagen, in letzter Zeit haben gerade Volksbegehren immer weniger Unterschriften bekommen. Dann kann man auch sagen, wahrscheinlich haben sie deswegen weniger Unterschriften bekommen, weil die Leute, die früher ein Volksbegehren unterschrieben haben, sich überlegt haben: Wieso mache ich das eigentlich, wenn am Schluss ohnehin nicht das herauskommt, was dieses Volksbegehren eigentlich gewollt und intendiert hat?!

Wir haben andere direktdemokratische Mittel gehabt: Wir hatten Volksbefragungen in Wien; wir hatten eine Volksbefragung zur Frage der Wehrpflicht. Ich bin trotzdem der Meinung, dass es erstrebenswert ist, dass man bei solchen Volksbefragungen mehr Informationen einbringt. Die Schweiz lebt es sehr vorbildlich vor, indem man entsprechende Abstimmungsbüchlein mit den Pro- und Kontra-Argumenten hat. Das ist zum Beispiel etwas, was ich gerade bei der Volksbefragung betreffend Wehrpflicht sehr vermisst habe.

Jetzt diskutieren wir in dieser Enquete-Kommission unter anderem einen Antrag, der eine verpflichtende Volksbefragung bei entsprechenden Unterstützungserklärungen vorsieht. Sicherlich geht das in eine gute Richtung. Was ich mich aber frage und was die Experten vorhin auch angesprochen haben, ist: Wieso soll am Schluss als Ergebnis nur eine verpflichtende Volksbefragung und nicht die entsprechende Volksabstimmung stehen? – Das hat unter anderen auch Frau Kollegin Musiol schon angesprochen.

Jetzt kann man sagen – und das ist auch schon gekommen –: Ja, der politische Druck ist dann ohnehin so groß, dass sie das umsetzen müssen. Frau Kollegin Musiol hat richtig eingeworfen, das freie Mandat bindet sie nicht daran; das ist vollkommen richtig. Ich glaube aber, dass der politische Druck an sich nicht die einzige Garantie sein kann, auch wenn es möglicherweise so ist. Aber das kann nicht die Garantieerklärung dafür sein, dass wir sagen: Na ja, dann passt es ohnehin, und die Volksbefragung wird umgesetzt! Und umgekehrt: Wenn es ohnehin passt und die Volksbefragung umgesetzt wird, dann kann ich ja gleich eine Volksabstimmung machen!

Meiner Auffassung nach macht das daher so keinen Sinn. Wir NEOS haben immer gesagt, wir wollen eine verpflichtende Volksabstimmung, wenn die entsprechenden Unterstützungszahlen da sind, wenn die Politik dann dementsprechend gebunden ist und wenn man insbesondere auch keine Problematik mit dem freien Mandat hat.

Ein weiterer Punkt, der in diesem Antrag steht, ist die Erleichterung der Hürden, wie man entsprechende Unterstützungserklärungen einbringt. Das halte ich für ganz, ganz essenziell! Dass es kein zentrales Wählerregister gibt, ist für mich etwas, was im 21. Jahrhundert nicht nachvollziehbar ist. Es muss möglich sein, dass ich auch bei anderen Gemeindeämtern unterschreiben und die entsprechende Unterstützungserklärung abgeben werden kann.

Ich glaube sogar, dass es möglich sein muss, dass man das in irgendeiner Art und Weise online macht. Die Europäische Bürgerinitiative kann das; wir schaffen es bei Bürgerinitiativen und Petitionen im Parlament. Ich verstehe die Problematik, aber ich glaube, dass wir uns da ernsthaft Gedanken machen müssen, wieso es in einer Zeit, in der man mit einem Mausklick irgendetwas aus Übersee bestellen kann, nicht möglich ist, dass man seinen Willen, insbesondere diese Unterstützung für ein entsprechendes Volksbegehren, auch online kundtun kann.

Ich glaube, ein viel wesentlicherer Schritt in diesem ganzen Zusammenhang ist, dass es in ganz vielen Bereichen um Teilhabe an sich geht und Teilhabe nicht unbedingt nur diese klassischen Mittel wie Volksbegehren und Volksbefragung vorsehen muss. Es geht darum, dass wir das Parlament öffnen, dass wir die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern schaffen und dadurch den Parlamentarismus an sich lebendiger machen.

Wir haben im Zusammenhang mit der Reform des Untersuchungsausschusses schon etwas zustande gebracht, was den Parlamentarismus jedenfalls lebendiger gestaltet. Es geht aber in vielen Bereichen darum, dass wir noch mehr Transparenz hier ins Hohe Haus bringen und es noch mehr öffnen. Das sind ganz einfache Dinge, bei denen ich nicht nachvollziehen kann, wieso wir sie nicht schon längst haben. Wieso schaffen wir es in Österreich nicht, dass Ausschüsse öffentlich sind, dass man einen Livestream, wie wir auch heute diesen großartigen Livestream haben, auch aus Ausschüssen hat?

Wir hatten gestern eine Debatte im Gesundheitsausschuss zum Thema Fortpflanzungsmedizin. Auch da waren viele Experten da, ein Teil war öffentlich. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wieso die interessierte Öffentlichkeit nicht die Möglichkeit hat, den Ausschüssen beizuwohnen. Auch das ist etwas, was im Europäischen Parlament funktioniert.

Um Teilhabe und Beteiligung geht es auch bei Begutachtungsfristen bei Regierungsvorlagen. Auch da gibt es keine gesetzliche Frist, wie lang so eine Begutachtungsfrist sein muss; teilweise kommt gar keine. Das ist etwas, was für mich nicht nachvollziehbar ist und was nicht dazu führt, dass die Qualität der Gesetze besser wird.

Der wesentliche Punkt, den ich noch einmal betonen möchte, ist, dass wir Politik von Bürgern für Bürger machen müssen. Da geht es darum, dass Politik nie Selbstzweck sein kann und dass es immer um die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern geht, um die Einbindung in den politischen Entscheidungsprozess.

Ich finde diese Tweetwall sehr, sehr spannend und habe das gleich zum Anlass genommen für einen Tweet, der gekommen ist; den würde ich jetzt auch gern zitieren. Tamara Ehs, die hier bei einer anderen Sitzung auch als Expertin dabei sein wird, hat Folgendes getwittert: Nicht der Moment des Plebiszits steht im Vordergrund, sondern die Teilnahme am Prozess der Gesetzeswerdung.

Da kann man darüber diskutieren, was im Vordergrund steht, aber Faktum ist, dass das ein ganz wesentlicher Bestandteil ist: Wie schaffen wir es, die Akzeptanz von Gesetzen und von dem, was im Parlament entschieden wird, in der repräsentativen Demokratie zu erhöhen? – Das ist der Fall, wenn ich Bürgerinnen und Bürger immer mit einbinde, wenn ich Ihnen genauso die Möglichkeit gebe, wie wir es heute hier mit dieser Enquete-Kommission schaffen, was ich für ganz, ganz wichtig und für einen großartigen Schritt halte.

Es geht darum, Bürgerinnen und Bürger einzubinden, und ich bin der Meinung, dass die Politik in der Pflicht ist, die Möglichkeiten dafür zu schaffen, sodass man sich, wenn man will, immer am Gesetzwerdungsprozess beteiligen kann.

Frau Kollegin Musiol hat die Frage in den Raum gestellt, ob das jetzt Selbstzweck ist oder ob die direkte Demokratie irgendwie die Antwort auf Politikverdrossenheit ist. – Ich glaube auch nicht, dass es die Antwort darauf ist. Ich glaube, erstens einmal ist die Politikverdrossenheit gar nicht so groß, wie man glaubt. Es haben sich mehr als tausend Leute darum beworben, hier mitzumachen. Ich glaube, verdrossen werden sie erst dann, wenn wir Anliegen, die wir bekommen, wenn Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen äußern, ignorieren; dann kommt die Verdrossenheit.

Das heißt, man muss, wenn man diese Anliegen ernst nimmt, die Bürgerinnen und Bürger einbinden, um dadurch am Schluss die entsprechende Akzeptanz für Gesetze zu schaffen.

Ich glaube, es ist ein ganz, ganz wesentlicher Punkt, dass uns, wenn wir Beteiligung machen wollen und darüber diskutieren, auch bewusst ist, dass wir diese Beteiligung ernst nehmen müssen, weil sonst genau das Gegenteil passiert und dadurch Politikverdrossenheit entsteht. Wenn Hunderttausende Leute ein Volksbegehren unterschreiben, Petitionen unterschreiben – und dann nichts herauskommt, dann entsteht Verdrossenheit, und das führt auch dazu, dass die Beteiligung nach und nach abnimmt.

Ein wesentlicher Punkt, den wir, glaube ich, immer mitdenken müssen in diesem Zusammenhang, wenn es um direkte Demokratie geht, wenn es um BürgerInnenbeteiligung geht, ist das Ernstnehmen des entsprechenden Anliegens. – Danke sehr.

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Obfrau Präsidentin Doris Bures leitet sodann über zum Punkt Diskussion und lädt die Bürgerinnen und Bürger, die sich an dieser Enquete-Kommission beteiligen, ein, das Wort zu ergreifen.

Diskussion

Michelle Missbauer: Es ist für mich eine große Ehre, dass ich hier bei Ihnen stehen und zum ersten Mal in meinem Leben sozusagen ein Gespräch mit Ihnen führen darf. Ich war das letzte Mal in meiner Hauptschulzeit mit einer Führung im Parlament, als ich 16 Jahre alt war; jetzt bin ich 33, das ist schon eine Zeit lang her.

Ich möchte mich im Namen vieler, vieler BürgerInnen in ganz Österreich für Tierschutz und Tierrechte starkmachen. Mir sind die Vierbeiner ein sehr großes Anliegen; ich habe selber drei ganz entzückende Miezekatzen daheim und bin sehr stolz auf sie. Wenn ich bedenke, dass unsere Tiere auch Leben retten, Menschenleben retten – denken wir an unsere Lawinenhunde, an unsere Berghunde, an unsere Polizeihunde –, dann bin ich immer wieder sehr überrascht, wie schnell diese Hilfe vonstattengeht. Wenn ich bedenke, wie das Rote Kreuz nach dem schweren Erdbeben mit seinen Rettungshunden nach Haiti geflogen ist, ist das für mich eine sehr gute Chance, die Themen Tierrechte und Tierschutz im österreichischen Parlament zur Sprache zu bringen.

Ich habe auch mit Frau Maggie Entenfellner von der „Krone“-Tierecke Kontakt aufgenommen. Sie hat an unsere Nationalratspräsidentin Unterschriften von der Petition einer Bürgerinitiative übermittelt, welche die Frau Nationalratspräsidentin entgegengenommen hat. Vielleicht können wir auf diesen etwas aufbauen und die Rechte der Tiere und auch die Rechte der Menschen stärken, weil wir auch eine gute Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier haben, auf die ich sehr stolz bin. Ich persönlich kann mir ein Leben ohne Vierbeiner gar nicht mehr vorstellen. Sie werden auch in medizinischen Einrichtungen verwendet. Denken wir an die Tiere als Therapie, an Leute, die zum Beispiel in einem Pflegeheim leben, die vielleicht gar keinen Kontakt zu Vierbeinern beziehungsweise zu Tieren haben, die total froh sind, auch eine psychische Unterstützung zu haben. Das Thema Tiere hat in der Demokratie sicher viel Platz, weil sie einfach liebevolle Lebensbegleiter sind.

Ein zweites Thema, für das ich mich starkmachen möchte, ist die Gleichstellung von Lesben und Schwulen, von homosexuellen Menschen. Ich denke einmal, dass man da auch noch sehr viel machen, sehr viel erreichen kann. Ich habe auch mit Frau Musiol ein bisschen darüber gesprochen und möchte mich dafür bedanken.

Es ist im Gegensatz zu anderen Ländern natürlich schon sehr viel getan worden zum Thema Homosexualität. Ich bin selber Mitglied bei der HOSI Wien, mache dort ein paar Sachen, und so gehe ich auch zu dem Treffen. Ich würde mich freuen, wenn eventuell eine Volksabstimmung stattfinden könnte, in der die Bürger und Bürgerinnen entscheiden, ob die Institution Ehe für Lesben und Schwule geöffnet wird oder nicht. Das wäre zum Beispiel eine sehr gute Idee, sage ich einmal.

Dann möchte ich noch kurz etwas zu meiner Person sagen. Ich arbeite auch ehrenamtlich im Tierschutzhaus Vösendorf, versuche dort meine Freizeit zu verbringen und den Tieren ein bisschen zu helfen. Ich bin auch Aktivistin bei Vier Pfoten und unterstütze die Kampagne „Save Kimi“. Ich möchte jetzt nicht das Wort „grausam“ verwenden, aber es trifft meiner Meinung nach in dem Fall zu, wenn Tiere für Zwecke herhalten müssen, die im 21. Jahrhundert eigentlich keinen Platz mehr haben, weil wir sehr viele Alternativprodukte haben. Deswegen habe ich mich bei Vier Pfoten gemeldet und unterstütze die Forderungen, dass mehr Tierrechte in die Wege geleitet werden, sehr, weil ich weiß, dass die grüne Partei auch dem Tierschutz und dem Umweltschutz sehr zugetan ist. Vielleicht kann man da auch in Zusammenarbeit mit Frau Musiol etwas erreichen, was mich sehr freuen würde.

Ich möchte auch noch ganz kurz Frau Nationalratspräsidentin Barbara Prammer erwähnen. Meine Mutter und sie haben einander gekannt; sie haben sich im AKH im Aufzug getroffen und haben auch ein bisschen geredet. Ich möchte sagen, sie war eine wirklich tolle Frau. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Mag. Barbara Ruhsmann: Es ist ein merkwürdiges Gefühl, hier als „Nur-Bürgerin“ zu stehen, zufällig gelost, qualifiziert nur durch Interesse, Alter und Geschlecht. Als „Demokratieexperiment“ bezeichnete am Wochenende ein Journalist diese neuartige Zusammensetzung einer Enquete-Kommission; demnach wären wir zufällig Gelosten wohl so etwas wie „Versuchsbürger“. Ich habe einerseits ein wenig Angst, in diesem Experiment schnell unter die Räder des professionellen Politiksystems zu geraten; andererseits bin ich naturgemäß auch neugierig; sonst wäre ich nicht hier.

Ich möchte nun in meinem Redebeitrag auf zwei Dinge eingehen, zum einen auf dieses Nur-Bürger-Sein, zum anderen auf meine Sicht der notwendige Stärkung von direkter Demokratie in Österreich. Für den ersten Teil bitte ich Sie, sich kurz in unsere Lage zu versetzen: Stellen Sie sich vor, Sie wären hierher eingeladen, nicht wegen Ihrer Funktion, nicht wegen Ihrer Expertise, sondern einfach nur in Ihrer Eigenschaft als Bürgerin und Bürger dieses Landes!

Ich denke, wir sind das hier in Österreich nicht sehr gewohnt. Unser Selbstverständnis als mündige Staatsbürger ist auch nach vielen Jahrzehnten Demokratieerfahrung in zwei Republiken noch immer entwicklungsfähig. – Das ist das eine.

Und wenn diese Enquete-Kommission dazu beitragen könnte, selbst- und verantwortungsbewusstes Bürgerverhalten zu stärken, dann wäre aus meiner Sicht sicher schon viel gewonnen.

Vom Atmosphärischen zum Konkreten: Ich habe mich für die Teilnahme an dieser Enquete-Kommission angemeldet, weil ich es für dringend notwendig halte, das Procedere von Volksbegehren zu erleichtern. Es muss der Zivilgesellschaft einfacher gemacht werden, Volksbegehren zu starten. Hinter jedem Volksbegehren steckt, wenn es wirklich von der Zivilgesellschaft betrieben wird, ein enormer finanzieller und organisatorischer Aufwand.

Es ist symptomatisch, dass in der Geschichte der österreichischen Volksbegehren – 37 gab es seit Gründung der Zweiten Republik – vor allem diejenigen Volksbegehren erfolgreich waren, die von Abgeordneten beziehungsweise von Parteien unterstützt, wenn nicht sogar initiiert worden sind. Viele Volksbegehren der letzten Jahre, die allein von einer engagierten zivilgesellschaftlichen Initiative getragen worden sind, hatten es dagegen schwer, Öffentlichkeit und damit Unterstützung zu generieren. Kann das im Sinn direkter Demokratie sein? – Ich denke, absolut nicht! Da müssen eindeutig organisatorische und finanzielle Hürden gesenkt werden.

Es gäbe diese Enquete-Kommission nicht, wenn nicht vielen Verantwortungsträgern klar wäre, dass weder die Parteien noch die Interessenverbände heute noch das Gesamte der Gesellschaft abbilden. Die repräsentative Demokratie in ihrer bisherigen Form kriselt. Dazu kommt, dass traditionelle ideologische Grabenkämpfe mittlerweile oft für ein Wählerpublikum geführt werden, das in der von den Parteien imaginierten Form gar nicht mehr existiert.

Es fehlt gerade der Bundespolitik in den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger an Sachlichkeit, Lösungsorientiertheit und langfristig verantwortungsbewusstem politischen Handeln. Daher braucht das traditionelle politische System meiner Ansicht nach dringend Impulse von außen. Es sollte durchlässiger und offener werden für Inhalte, die von engagierten zivilgesellschaftlichen Initiativen erarbeitet werden. Vorneweg braucht es vor allem ein grundsätzliches Verständnis, dass politische Innovation und Auswege aus so manchem Reform-Dilemma oder auch aus ideologischen Pattstellungen über Instrumente der direkten Demokratie meiner Ansicht nach sehr gut erreicht werden können.

Es würde mich sehr freuen, wenn diese Enquete-Kommission dazu beiträgt, dass Volksbegehrerinnen und Volksbegehrern das Leben einerseits leichter gemacht wird, indem sie eben zukünftig in den Genuss finanzieller und organisatorischer Erleichterungen kommen. Wie das im Detail ausschaut, kann man sicher noch diskutieren. Andererseits sollten dann natürlich auch die von den Bürgerinnen und Bürgern in Volksbegehren erarbeiteten Inhalte von den Verantwortungsträgern ernsthafter diskutiert werden, als das bisher oft der Fall war. Das ist dann aber vielleicht schon Material für eine zweite Wortmeldung. – Einstweilen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Heinz Emhofer: Ich möchte hier in eigener Sache sprechen, und zwar darüber, warum ich hier bin. Am 25. Oktober 1955 hatte ich mein erstes politisches Erlebnis, das ich nie vergessen werde. An diesem Tag hatten wir in unserem Heimatort Perg in der russischen Besatzungszone Mühlviertel in Oberösterreich eine Festveranstaltung im Turnsaal der Hauptschule. Teilnehmer waren alle Schüler der Volks- und Hauptschule sowie der komplette Lehrkörper beider Schulen. Das Thema: Österreichische Unabhängigkeitsfeier. Durch eine Übertragung im Schulfunk – Fernsehen gab es bei uns noch nicht – hat uns der Landeshauptmann von Oberösterreich, Dr. Gleißner, aufgeklärt und informiert: Österreich ist frei, wir sind eine Demokratie, wir sind neutral, und – das hört sich jetzt komisch an – es gibt keinen Krieg mehr.

Anschließend wurden von Schülern Gedichte vorgetragen. Nach Absingen der Landes- und der Bundeshymne verließen wir mit stolzgeschwellter Brust die Schule. Seit dieser Zeit hat mich die Politik interessiert. Aus verschiedenen privaten und beruflichen Gründen konnte ich mich nicht politisch betätigen. Heute, nach 59 Jahren, bin ich noch immer stolzer Österreicher und Demokrat, und ich bin stolz darauf, hier im österreichischen Parlament an einer Enquete-Kommission mitarbeiten zu dürfen. Meine Meinungen zum Thema Demokratie werde ich in den nächsten Sitzungen und Gesprächen einbringen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Univ.-Doz. Dr. Paul Luif: Ich bin gebeten worden, hier als Experte des Teams Stronachs mitzutun. Ich habe das sehr gern gemacht und möchte hier zwei Punkte einbringen.

Erstens: Ich bin ein Illegaler. Warum bin ich ein Illegaler? – Weil ich mich mit dem burgenländischen Gemeindevolksrechtegesetz auseinandergesetzt habe, als in meiner kleinen Gemeinde in der Nähe von Eisenstadt, in Müllendorf, riesige Windkraftanlagen hätten gebaut werden sollen. Da hat der Gemeinderat in Müllendorf einen Beschluss gefasst, eben die Raumordnung zu verändern und diese Riesengebilde zuzulassen.

Nun gibt es im burgenländischen Gemeindevolksrechtegesetz die Bestimmung: Wenn 5 Prozent der Gemeindebürger Unterschriften leisten innerhalb von einer Woche, nachdem dieser Beschluss veröffentlicht wurde, tritt dieser Beschluss nicht in Kraft. Wenn dann innerhalb von zwei Monaten ein Minimum von 25 Prozent der Gemeindebevölkerung Unterschriften leistet, muss zwingend ein Referendum, eine Volksabstimmung kommen.

Wenn wir jetzt sehen, was der Verfassungsgerichtshof 2001 beschlossen hat, ist das alles illegal, denn das geht ja viel weiter als die repräsentative Demokratie in Österreich. Es ist uns also gelungen, diesen Zwang zu einem Referendum einzuführen. Es ist dann so gewesen, dass die Gemeindevertretung diesen Raumordnungsbeschluss zurückgenommen hat. Es ist zu keinem Referendum gekommen, aber letztendlich hat die Aktivität dieser Bürgerinitiative in Müllendorf dazu geführt, dass eben der Gemeinderat diesen Beschluss, den er zuerst gefasst hatte, nicht durchgeführt hat. Ich wäre also in dieser Sache, wenn ich nach dem Verfassungsgerichtshof gehe, ein Illegaler, da ich mit einer Bürgerinitiative ein Referendum quasi erzwungen habe.

Zweitens: Ich bin ein Komparatist. Was heißt das? – Ich bin Politikwissenschaftler und Jurist, und jeder österreichische Politikwissenschaftler ist natürlich ein Spezialist für Österreich. Ich will aber immer vergleichen: Wie geht das in anderen Ländern? Was können wir von Erfahrungen in anderen Staaten lernen? – Natürlich hat im Themenbereich direkte Demokratie die Schweiz eine gewisse Vorbildfunktion.

Interessanterweise war bei der ersten Verfassung in der Schweiz 1848 keine direkte Demokratie vorgesehen, nur ein Verfassungsreferendum, aber sonst nichts. Das heißt, die schweizerische direkte Demokratie hat sich langsam entwickelt, nicht von einem Tag auf den anderen. Insbesondere auf Druck der Sozialisten, von linker Seite, wurden dann sukzessive diese Elemente der direkten Demokratie eingeführt. Also nicht so sehr die konservativen Landsgemeinde-Kantone stehen dahinter, sondern interessanterweise die linke Seite. Wenn man das mit heute vergleicht, ist das überraschend. Die Schweiz nennt sich heute eine halbdirekte Demokratie: keine klare parlamentarische und auch keine direkte Demokratie, sondern eine halbdirekte Demokratie.

Nun eine Frage, die hier immer wieder aufgetaucht ist: Wenn Volksinitiativen gestartet werden, welche Themeneinschränkungen gibt es da? – Es gibt in der Schweiz ein neues Buch über die Abstimmungsforschung, und daraus möchte ich zitieren:

Nach der schweizerischen Bundesverfassung von 1999 kann die Bundesversammlung eine Volksinitiative gesamthaft oder teilweise als ungültig erklären, wenn diese die Einheit von Form und Materie oder zwingende Bestimmungen des Völkerrechtes, also Ius cogens, verletzt. – Zitatende.

Das sind die einzigen Beschränkungen für eine Volksinitiative in der Schweiz. Ich bitte, das auch hier zu berücksichtigen.

Die Schweiz hat dann quasi von Österreich gelernt und 2003 auch ein Volksbegehren eingeführt. Sie haben es Allgemeine Volksinitiative genannt, aber das hat nicht funktioniert. 2003 eingeführt, wurde es 2009 wieder abgeschafft.

Volksbegehren sind in der Schweiz – und das sieht man auch in Österreich – nicht wirklich relevant.

Keine Angst vor dem Souverän, vor den Bürgerinnen und Bürgern in Österreich! – Danke sehr. (Beifall.)

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Claudine Nierth (Bundesvorstandssprecherin von Mehr Demokratie Deutschland): Wir von Mehr Demokratie Deutschland gratulieren Ihnen zu dieser Kommission. Wir freuen uns, dass sie stattfindet. Ich denke, es ist sicher auch ein Vermächtnis von Barbara Prammer, die heute leider nicht mehr dabei sein kann. Aber ich hatte das Glück und die Ehre, im November 2011 im ORF mit ihr eine Stunde über das Für und Wider verbindlicher Volksabstimmungen zu diskutieren. Es gab einen ganz besonderen Moment in diesem Gespräch. Alle Ängste wurden natürlich geäußert, alle Befürchtungen kamen auf den Tisch; dann gab es eine Wendung, wo es um die Stärkung des Parlamentarismus ging und wie das bei uns in Deutschland aussieht.

Wir haben in allen Bundesländern Volksabstimmungen verbindlich geregelt. Was passiert, wenn wir in Deutschland ein Volksbegehren haben? – Dann hat das Parlament drei Möglichkeiten. Es kann entweder den Vorschlag von der Initiative annehmen; es kann auf die Initiative zugehen und einen Kompromiss aushandeln; dann kommt es in beiden Fällen zu keiner Volksabstimmung. Es kann aber auch beides ablehnen, dann kommt es automatisch zur Volksabstimmung.

Das Parlament hat aber das Recht, einen Alternativvorschlag mit auf den Tisch zu legen, und am Ende hat der Bürger die Möglichkeit, über beide Vorschläge zu entscheiden.

Das ist genau der Punkt, wo man in der Volksgesetzgebung auf Augenhöhe mit dem Parlament gerät, und das ist eine Stärkung des Parlaments. Natürlich haben wir in Deutschland die präventive Normenkontrolle, natürlich können verfassungswidrige Volksbegehren überhaupt nicht zur Abstimmung gelangen. Minarett-Abstimmungen wären in Deutschland nicht möglich. Wir haben eine starke Rechtstaatlichkeit.

Ich möchte die Mitglieder der Kommission dazu auffordern, darüber nachzudenken, ob das konsultative Referendum, die unverbindliche Volksbefragung, tatsächlich eine Stärkung des Parlamentarismus ist. Das mache ich an zwei Punkten deutlich.

Ich frage mich: Ist das nicht eher eine Schwächung? – Die Tatsache, dass Bürger zur Urne gebeten werden und letztendlich dann doch das Parlament entscheidet, erlebt die Bevölkerung, der Bürger und die Bürgerin, immer als eine Bevormundung. Eine Bevormundung durch wen? – Durch das Parlament! Eine Bevormundung warum? – Zum Schutze vor uns selbst! Wer hat das Recht, darüber zu entscheiden, dass ich vor mir selber geschützt werden muss? – Große Frage, großes Misstrauen ins Instrument. In Deutschland kennen wir diese konsultative Befragung nicht.

Zweiter Punkt: In welche Situation gerät ein Parlament, wenn wir eine Befragung haben, die 52 : 48 ausgeht, und Sie haben eine große Koalition, und beide Koalitionspartner vertreten unterschiedliche Positionen? – Sie zwingen das Parlament in eine Debatte, in eine Auseinandersetzung, dem nun nachzukommen oder nicht.

Warum nicht verbindliche Volksabstimmungen auf Augenhöhe mit dem Parlament vor dem Hintergrund, dass Sie ja selbstverständlich jederzeit dieses Abstimmungsergebnis auch wieder ändern können? – Jederzeit, das ist in Deutschland mehrmals passiert. Sie können es sogar missachten! Es geht aber darum, dass man in eine Kluft, in eine Brücke zwischen Parlament und Dialog mit den Bürgern kommt und Kompromisslösungswege findet für die Probleme, die anstehen.

Ich möchte die Mitglieder dieser Enquete-Kommission anregen, diese Chance zu nutzen, alle Befürchtungen in dieser Runde auf den Tisch zu bringen, denn je größer eine Reform ist, desto größer ist am Anfang die Befürchtung und die Angst. Stellen Sie sich vor, wir hätten darüber nachgedacht, bevor wir Laufen gelernt haben, was uns alles passieren könnte, wenn wir laufen lernen: blutige Knie, gebrochene Beine und so weiter.

Aber das ist völlig richtig! Auch ich habe am Anfang, vor 25 Jahren, in dieser Diskussion viele Dinge befürchtet. Wir haben es in Bayern erlebt. Günther Beckstein hat die Rechtstaatlichkeit gefährdet gesehen, hat gedacht, Bayern geht unter mit 10 Millionen Bürgern, wenn wir mehr Demokratie zulassen, hat gedacht, das Oktoberfest wird abgeschafft, der Parlamentarismus geschwächt.

Was ist geschehen? – Bayern ist das Land in Deutschland mit der stärksten direkten Demokratie, der stärksten Rechtstaatlichkeit, einem starken Parlament, niedrigen Staatsausgaben, gesunden Haushalten, und das vor dem Hintergrund eines Parlaments, das sehr gut seine Position vertreten kann, das von seinen Bürgern gewählt wird, wobei aber die Bürgerinnen und Bürger auch die Möglichkeit haben, zu einzelnen Punkten – das ist nicht einmal 1 Prozent von 100 Prozent dessen, was jeden Tag entschieden wird – zu sagen: Stopp, hier diskutieren wir einmal, hier reden wir einmal darüber, hier bringen wir uns ein!Das Initiativrecht ist das Wichtigste, denn ich glaube, vor dem Hintergrund der zukünftigen Herausforderungen können wir es uns gar nicht mehr leisten, die Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger nicht mit einzubeziehen. Sie sind in die Weichenstellungen der Zukunft mit einzubeziehen und haben die Fragen auch mitzuentscheiden.

Ich wünsche Ihnen viel Mut in der Debatte und freue mich auf die Arbeit hier in der Kommission. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

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Dr. Klaus Poier (Institut für Österreichisches, Europäisches und Vergleichendes Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verfassungslehre): Ich möchte zu Beginn der Beratungen dieser Enquete-Kommission die Gelegenheit nutzen, um den Blick auf eine grundsätzliche Frage zu richten. Wir haben ja hier die Aufgabe, über die Aufwertung der Instrumente der direkten Demokratie zu beraten, und meistens wird mehr direkte Demokratie gleichgesetzt mit mehr Partizipation und quasi einer Einschränkung der repräsentativen und der mittelbaren Demokratie.

Wenn man sich allerdings die Instrumente der direkten Demokratie im Vergleich ansieht und auch, welche Rolle sie so spielen, sieht man, dass es eine Reihe von Funktionen gibt, die direkte Demokratie übernehmen kann. Man muss direkte Demokratie in diesem Sinne als ein Element des Verfassungssystems ansehen, das je nach Ausgestaltung und je nach Einsatz in der Praxis völlig unterschiedliche Funktionen haben kann.

Nehmen wir nur das Beispiel unserer Gesamtänderung: Artikel 44 Abs. 3 B-VG. Dann hat das primär nicht die Funktion, dass mehr Partizipation erfolgen soll, denn das findet ja maximal alle paar Jahrzehnte einmal statt. Das hat eine ganz andere Funktion: Ganz wichtige Entscheidungen des politischen Systems sollen besonders legitimiert werden. Also neben der Entscheidung des Parlaments mit großer Mehrheit tritt die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger hinzu. Das hat gleichzeitig auch die Funktion, quasi den Status quo abzusichern. Eine so weitreichende Entscheidung soll besonders schwer gemacht werden. Das sind also völlig andere Funktionen, als wir sie herkömmlich mit direkter Demokratie diskutieren.

Wenn wir die fakultative Volksabstimmung ansehen – also das Parlament, der Nationalrat kann beschließen, über ein Gesetz, dass er schon beschlossen hat, eine Volksabstimmung durchzuführen –, so dient das ja in erster Linie auch nicht dazu, dass man wissen will, wie die Bevölkerung denkt, sondern in der Praxis ist das meistens ein Instrument, um Regierungspolitik zu legitimieren. Man hat eine Entscheidung im Parlament gefällt und möchte sie quasi, wenn es einen politischen Streit darum gibt, dadurch „immunisieren“, dass man hier auch noch die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger einholt.

Das kann auch dazu benutzt werden, um zu emotionalisieren und möglicherweise auch zu mobilisieren. Besonders oft treten solche Fälle – man kann das auch mit Volksbefragungen machen – vor Wahlkämpfen oder vor Wahlen auf. Natürlich kann das nicht nur vonseiten der Regierung sein. Auch Oppositionsparteien können direkte Demokratie nutzen, um zu emotionalisieren, um zu mobilisieren. In Österreich zeigt das besonders das Beispiel der Volksbegehren, die in mehreren Fällen so verwendet wurden.

Direkte Demokratie kann ganz anders auch die Funktion haben, dass man, wenn es in einer Frage keine Entscheidung im repräsentativen System gibt, eine Entscheidung der Bürger einholt. Etwa die Wehrpflichtbefragung ist ein solches Beispiel.

Direkte Demokratie kann im Extremfall – das wurde heute schon angesprochen – so weit gehen, dass das Volk, die Bürger gegen eine Mehrheit im Parlament eine Entscheidung erzwingen können, oder in der Form des Veto-Referendums, dass eine Entscheidung des Parlaments nachträglich durch das Volk aberkannt wird.

Wir haben dann natürlich die Funktion – sie wurde heute auch schon erwähnt –, dass direkte Demokratie das Mittel sein kann, um neue Ideen in den politischen Diskurs einzubringen, quasi eine Blutauffrischung. Möglicherweise können neue Bewegungen, neue Parteien diese Möglichkeit nutzen, um thematisch etwas Neues zu bringen. Damit verbunden wäre sozusagen die Funktion, dass es möglicherweise einen stärkeren Diskurs zwischen den Repräsentanten und den Repräsentierten geben kann.

Sie sehen, direkte Demokratie kann eine Fülle von Funktionen erfüllen. Unsere Aufgabe sollte es hier eigentlich sein, dass wir uns überlegen: Welche Funktion wollen wir dabei stärken? – Dafür müssten wir wahrscheinlich vorher nachdenken, was wir insgesamt erreichen wollen, wenn wir die Instrumente der direkten Demokratie weiterentwickeln wollen.

Zwei mögliche Ansätze wären, einerseits – darüber wurde schon gesprochen – die sogenannte Kluft zwischen Repräsentanten und Repräsentierten wieder zu schließen. Die zweite Möglichkeit, wenn man so die allgemeine Diskussion ansieht, wäre etwa auch, dass man die oft fehlenden Reformentscheidungen etwas verbessern könnte, dass es häufiger zu Reformen kommt. Da wäre im Übrigen etwa das Veto-Referendum etwas Schlechtes, weil es ja immer eine Weiterentwicklung und Reformen verhindert.

Ich denke, dass für diese Frage, wie man die Kluft wieder verbessern kann, der vorgelegte Vorschlag mit der Verknüpfung von Volksbegehren und Volksbefragung eine sehr gute Möglichkeit wäre im Sinne dessen, was Prof. Öhlinger schon ausgeführt hat: dass es zu einem institutionalisierten Dialog im Parlament zwischen Bürgerinnen und Bürgern und den Parlamentariern kommen kann. – Danke schön. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ): Als einer der drei, die diesen Antrag hier eingebracht haben – der Abgeordnete Kopf, die Abgeordnete Musiol –, möchte ich mich dazu insofern auch zu Wort melden, als ich sehr froh darüber bin, dass wir da jetzt in einem größeren Auditorium sind. Ich bin sehr, sehr glücklich darüber, dass eine BürgerInnen-Beteiligung und ‑Mitdiskussion stattfindet, was mit Sicherheit auch den Sichtkreis für uns alle hier erweitert und – was ich immer mit Betroffenheit feststelle – vielleicht auch hilft, diese Distanz oder diese Kluft abzubauen, die auch mein Vorredner angesprochen hat, die es in der Tat offensichtlich auch wirklich gibt.

Was die deutsche Beteiligung betrifft, möchte ich eine ganz kleine Anmerkung machen. Erstens einmal haben wir jetzt gerade ein Minderheitsrecht Untersuchungsausschuss beschlossen, das über die deutsche Regelung hinausgeht. Und wir diskutieren hier gerade eine Regelung – auch in diesem Antrag, den wir drei eingebracht haben –, was die Beeinflussung der Bundesgesetzgebung betrifft, was in Deutschland auch noch nicht der Fall ist. Ich weiß, es hat Anläufe gegeben, es ist aber gescheitert. So gesehen kann sich jetzt Deutschland einmal ein Vorbild an Österreich nehmen – es tut mir leid, aber es ist so –, und wir werden ehrgeizig daran arbeiten, dass das vielleicht auch in diese Richtung gehen kann.

Ich möchte mich auch bedanken für die Expertenmeinungen, die hier sehr klug und sehr präzise unsere Arbeit unterstützen werden. Nur, wenn wir jetzt konstatieren, dass es so etwas wie eine Kritik, Distanz, Kluft, Verdrossenheit gibt, dann müssen wir, glaube ich, die Frage der Erneuerung der Demokratie viel weiter fassen. Das wird der Ausbau der direkten Demokratie allein nicht lösen – wie das einer der Vorrednerinnen und Vorredner schon gesagt hat –, sondern es geht darum, dass wir auch die Glaubwürdigkeit und die Nähe der repräsentativ-demokratischen Einrichtungen verstärken.

Ich bin ja sozusagen ein Zwitter in einem gewissen Sinn, weil ich am Beginn meiner politischen Karriere direktdemokratisch in ein repräsentativ-demokratisches Organ gewählt worden bin, gegen den Willen der Partei. Ich sehe es auch als eine Art Lebensaufgabe von mir, hier mitzuwirken, dass es die Erneuerung sowohl der repräsentativen Demokratie als auch der direkten Demokratie gibt.

Aber ich könnte es noch weiter diskutieren. Reden Sie einmal mit Journalistinnen und Journalisten über Demokratie in den Medien, reden Sie einmal darüber! Diese hätten dort drinnen auch ganz gern mehr demokratische Elemente. Oder in der Arbeitswelt: Reden wir einmal über die Formen der Demokratie und Nicht-Demokratie in der Arbeitswelt selbst, wo oft über die Köpfe der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinweg bestimmt wird!

Das sind Dinge, die man jetzt nicht nur über die Diskussion des Ausbaus der direkten Demokratie in den Griff bekommt, sondern das ist die unmittelbare Betroffenheit dort vor Ort. Da hat Bruno Kreisky recht gehabt, als er sagte, wir müssen einfach die Gesellschaft mit mehr Demokratie durchfluten. – Aber das geht letztendlich weit über diesen Bereich hinaus.

Der Antrag, den wir da haben, ist, würde ich sagen, ein guter Antrag. Aber er hat natürlich ein paar Dinge drinnen, die man noch diskutieren muss. Ich stimme dem zu: Dem Verfassungsgerichtshof quasi eine politische Entscheidungskompetenz zuzuordnen, das muss man wirklich noch genauer diskutieren. Das ist etwas, das sehe ich auch so.

Dass der Rechtsanwalt Stefan das besonders gut findet, finde ich auch beeindruckend. Klar, wenn man Gesetzesvorschläge in diesen qualifizierten Volksbegehrensprozess einbringt, na, wo wird der Bürger hingehen? – Zum Rechtsanwalt! (Abg. Hofer – auf Abg. Stefan deutend –: Notar ist er!) Nicht unbedingt immer zum Rechtsanwalt Stefan, aber zu den Rechtsanwälten, die natürlich in der Kombination mit denen, die es finanzieren, plus dem Zugang zu den Medien, die es dann umsetzen, als eine bestimmte Gruppe hier einmal einen Vorteil haben.

Man muss darüber nachdenken, wie man mit diesem Vorteil bestimmter artikulationsfähiger Gruppen in einer Demokratie umgeht, denn es ist auch schon wieder ein wenig undemokratisch, dass Zugänge – seien es materielle oder persönliche oder sonst irgendwelche Zugänge – darüber entscheiden, ob man sich dann in einen demokratischen Prozess einbringen kann.

Ich plädiere also nur dafür, dass man mit dem Herzen zu Werke geht; mit dem Kopf sind wir sowieso dafür, weil wir einfach eine stabile und feste Demokratie wollen. Aber es ist auch die Handhabbarkeit, die Praktikabilität etwas ganz Entscheidendes, und daran werden wir arbeiten. Wir sind jetzt am Beginn dieses Prozesses, ich bin da sehr, sehr optimistisch. Ich glaube, dass wir eine gute Grundlage haben, ich glaube, dass wir jetzt aus diesem engen Kreis heraußen sind. Dieses Modell einmal breiter mit Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren, ist erweiterungsfähig und beispielhaft.

Es kann auch über dieses Thema hinausgehend vielleicht ein Modell sein, hier in dieser Aura, in diesem Plenarsaal einmal diesen Diskussionsprozess in Gang zu setzen. Jeder von uns ist auch in den Wahlkreisen tätig und hat auch dort den unmittelbaren Zugang, oder wo auch immer er auftritt. Aber ein bisschen spürt man diese Distanz, die da ist, und die muss abgebaut werden zur Festigung der Demokratie!

Der heutige Tag ist mit Sicherheit ein ganz großer Schritt in diese Richtung. (Beifall.)

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Abgeordneter Dieter Brosz, MSc (Grüne): Wir hatten bei uns im Ort heuer im Sommer eine Volksbefragung zum Thema Windräder – auch das ist etwas, was mittlerweile gang und gäbe ist –, und das zeigt, glaube ich, die Problemstellung relativ deutlich auf. Wir haben eine Gesetzgebung, die auf erneuerbare Energien setzt, es gibt ein staatliches Ziel. Wahrscheinlich würden wir auch bei direktdemokratischen Elementen eine klare Mehrheit dafür bekommen, dass mehr in Richtung erneuerbarer Energien passieren sollte, gerade in Österreich mit der Stellungnahme.

Die Schwierigkeit ist dann nur, dass beispielsweise Niederösterreich eine Gesetzeslage hat, wonach 10 Prozent der Wahlberechtigten über jeden dieser Standorte auch eine Volksbefragung durchsetzen können. Die ersten waren relativ positiv. Dann hat es eine Phase gegeben, wo fast alle verlorengegangen sind, weil sozusagen auch eine gewisse Form von Widerstand klargeworden ist.

Im Übrigen lernt man, wenn man sich das anschaut, auch viel daraus. Es gibt eine große Vernetzung der Gegner. Man findet die gleichen Bilder zum Projekt in verschiedenen Orten, man findet wunderbare Naturbilder, die gar nicht aus dem eigenen Ort stammen, sondern schon von anderen Dingen gekommen sind. Die Frage ist: Wie geht man dann damit um, und was tut man damit?

Was bei uns passiert ist – ich nehme das Ergebnis vorweg –, ist: Es gab eine 60-prozentige Beteiligung mit zwei Dritteln Pro in dem ersten Projekt, über das abgestimmt worden ist. Ich habe den Prozess sehr interessant gefunden. Was passiert ist, ist nämlich, dass relativ bald klar war, dass die Gemeindeführung – auch die, die es vorher unterstützt hatte – gesagt hat: Wir gehen aktiv darauf ein, es gibt die Befragung, das Ergebnis wird akzeptiert; wir versuchen aber auch, einen möglichst transparenten Prozess aufzusetzen.

In den Gemeinden, in denen es schiefgegangen ist, war es meistens so, dass die Gemeindeführung gesagt hat, nein, das wollen wir nicht, versuchen wir, es zu verhindern, und einmal der Druck gekommen ist, dass erst das Durchsetzen schon zum Thema geworden ist. Dann gab es Elemente wie: Man kann sich das Projekt anschauen, man kann mit den Bürgern hinfahren und sich sozusagen Vergleichsprojekte anschauen. Es wird genau ausgeschildert, wo diese Dinge hinkommen, in dem Fall neben die Autobahn. Das hat dann viele beruhigt, weil eine Autobahn grundsätzlich etwas ist, wo schon ein bisschen Lärm vorhanden ist.

Der Prozess war der, dass das eigentlich jahrelang gewabert ist und kaum Aufmerksamkeit gehabt hat. Es war immer ein Thema, aber dann kam die Bürgerinitiative. Zunächst gab es Aufregung, und in dem Prozess, als man sich das dann konkret vor Ort hat anschauen können, konnten relativ viele der Argumente relativ neutral angeschaut werden.

Das Ergebnis war, dass die Leute gesagt haben: Okay, kommt zur Autobahn, wir befürchten jetzt weniger drinnen. Dann gab es auch eine Zustimmung, da mitzureden. Man konnte ein Vergleichsprojekt fünf Kilometer entfernt anschauen und hat sich angeschaut: Hört man das? – Man konnte hinfahren und konnte zumindest etwas damit anfangen.

Das ist, glaube ich, die Kunst, wenn man das auf die größere Ebene nimmt: Wie gelingt es, den Prozess so zu machen, dass man die Leute wirklich auf einer Ebene hat, wo sie auf einer relativ guten Entscheidungsgrundlage die Entscheidung auch treffen können? – Wäre das dort nicht passiert, dann weiß ich nicht, was herausgekommen wäre. Man hätte nicht das Gefühl gehabt, dass man wirklich weiß, worüber man abstimmt.

Das ist die Kunst, es mit möglichst transparenter Information zu machen, mit möglichst objektiven Informationen, die beigelegt werden können, zu einer Entscheidung zu kommen, die auf einer Ebene stattfindet, wo die Leute wissen: Ich kann dort mit meinem Wissen eine Entscheidung mittragen, die ich mir auch zutraue.

Übrigens ist das gerade bei Jungen ein heftiges Thema. Wenn man mit Schulklassen diskutiert, ist es auch oft die Frage, ob sie sich mit 16 Jahren das Wählen zutrauen. Das Gefühl ist: Vielleicht sind wir noch nicht so weit. – Also auch dort immer: Wie ist man im Prozess drinnen?

Man hat gesehen, dass es auch geht, nicht nur, weil es positiv ausgegangen ist, sondern das Ergebnis war, dass die Unruhe nach der Abstimmung vorbei war. Das Ergebnis ist akzeptiert worden. Hätten wir die Volksbefragung nicht gehabt, wäre das Projekt auch gekommen, und die Gegner hätten immer gesagt: Wenn wir abgestimmt hätten, wäre immer eine Gegnerschaft in der Mehrheit gewesen! – Es war also ein sehr positives Projekt dazu.

Ein zweiter Aspekt, den ich nennen möchte, ist Europa. Ich glaube, dass direkte Demokratie notwendig ist, aber eine Veränderung in Richtung Reformen auch ermöglichen soll. Insofern glaube ich – da gibt es wahrscheinlich auch Unterschiede in Richtung FPÖ –, dass wir uns überlegen sollten, wie direktdemokratische Elemente auf Europaebene ausschauen, und zwar gesamteuropäisch.

Ich halte nichts davon, dass man Europapolitik so versteht, dass man sagt: Eines von 28, jedes Land kann eigens europäische Entwicklungen blockieren. Wir hatten die Situation ja mehr in der Richtung, sozusagen das Einstimmigkeitsprinzip zu verlassen, und dieses Prinzip gehört auch umgesetzt. Das heißt, wir brauchen das Instrument auch auf europäischer Ebene.

Vielleicht können die Experten auch noch diese Form der Zusammenarbeit zwischen nationaler direkter Demokratie und europäischer beleuchten. Es würde mich interessieren, wo sie da die Schwierigkeiten und die Elemente sehen. (Beifall.)

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Felix Ofner: Ich habe relativ lange darüber nachgedacht, was meine Rolle in diesem Plenum sein wird oder sein soll. Für mich ist meine Rolle die, dass ich irgendwo das Gefühl oder die Gedanken der Jungen hier hereinbringen möchte, und zwar das, was sich zumindest meiner Meinung nach die jungen Menschen in Österreich zur direkten Demokratie und zur Politik und Demokratie denken.

Eine Sache, von der man oft glaubt, dass sie ein Problem bei den Jungen ist, ist die Politikverdrossenheit. Da möchte ich einmal widersprechen, und zwar: Es ist nicht Politikverdrossenheit, sondern es ist Unwissen. Es ist Unwissen über Demokratie, es ist Unwissen über Politik und erst recht über direktdemokratische Mittel.

Herr Abgeordneter Cap hat vorhin gesagt, wir sind heute hier, um die Sichtkreise zu erweitern, um einen neuen Horizont einzubringen. Ich möchte Ihnen gern eine Frage mit auf den Weg geben: Wie viel Prozent der jungen Menschen in Österreich, glauben Sie, kann unterscheiden, was eine Volksbefragung ist, ein Volksbegehren und eine Volksabstimmung? – Vielleicht fassen wir die Frage noch ein bisschen weiter und fragen uns: Wie viele Österreicherinnen und Österreicher können diese drei Dinge wirklich unterscheiden?

Ich glaube, dass es irgendwo lächerlich ist, dass die Leute das nicht unterscheiden können. Aber es liegt an unserem eigenen System. Es liegt daran, dass wir zwar sehr viel Zeit und Energie investieren, um Demokratie zu stärken, Politik zu stärken und den Leuten mehr Mitsprache zu geben, sie mit 16 Jahren wählen zu lassen, aber wenig Zeit investieren, um ihnen das notwendige Wissen mitzugeben. Es ist so, wie wenn wir sie mit 16 Jahren Auto fahren lassen würden, ohne dass sie einen Führerschein haben. Wir schicken sie zur Wahl, ohne ihnen Bildung mitzugeben.

Ich glaube, der wichtigste erste Schritt zur Stärkung der Demokratie und der direkten Demokratie in Österreich wäre die Einführung eines Faches Politische Bildung in der Schule, in dem wir den Schülerinnen und Schülern wirklich einmal mitgeben, welche Mittel, welche Gremien es gibt, wie ein Gesetz in Österreich zustande kommt und wofür die Parteien eigentlich stehen. Durchfluten wir 1,1 Millionen Schülerinnen und Schüler mit Demokratie! Das sollte eine ganz große Prämisse sein, wenn es um Stärkung der Demokratie geht.

Ein weiterer Punkt, den ich gern ansprechen möchte: Ich hoffe, Sie verzeihen uns, dass wir als Bürger heute vielleicht noch nicht so direkt auf diese komplexen Themen, die wir ja eigentlich diskutieren, eingehen. Ich glaube, für einige von uns ist es noch relativ schwierig, sich in diesen Prozess hineinzufinden, der doch ein bisschen komplexere Themen und schon genauere Fragestellungen umfasst, mit denen sich einige von uns heute wahrscheinlich zum ersten Mal auseinandersetzen.

Ich glaube aber, dass wir uns im Laufe dieser Enquete-Kommission noch sehr gut hineinfinden werden und hoffentlich auch noch sehr viel werden beitragen können.

Am Ende hätte ich noch eine kleine Bitte, und zwar die, dass alle, die sich in diese Diskussion einbringen und nach vorne kommen, sich kurz vorstellen mögen, und zwar einerseits mit Namen, aber andererseits auch im Hinblick darauf, ob sie von der Experten-Seite kommen oder ob sie von einer Partei kommen, damit klar wird, in welcher Rolle sie hier vorne stehen. Ich glaube, das würde auch für uns Bürger die Diskussion nachvollziehbarer machen. – Danke schön. (Beifall.)

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Abgeordneter Karlheinz Kopf (ÖVP): Bedanken möchte ich mich zunächst bei all jenen, die sich bisher schon an dieser Diskussion beteiligt haben. Das sind zum einen jene, die ja im Parlament schon – Frau Kollegin Musiol federführend, Kollege Cap, Kollege Gerstl bei mir, ich selber – mitgewirkt haben, aber natürlich dahinter auch viele andere, auch Expertinnen und Experten der Parlamentsdirektion, der Klubs, damit es überhaupt zu diesem Gesetzentwurf, zu diesem Initiativantrag, der dann auch eine massive und umfassende Abänderung erfahren hat, kommen konnte, der auch wesentliche Grundlage dieser heutigen Diskussion und auch der folgenden Diskussionen sein wird, aber natürlich nicht ausschließliche Grundlage. Dank an Sie alle für Ihre Beiträge!

Ich möchte einen Satz von Herrn Prof. Pichler aufgreifen, der vorhin gesagt hat: Wir brauchen eine neue Kultur des politischen Miteinanders im Sinne einer mitgestaltenden Teilhabe auf allen Ebenen. – Ich möchte das unterstreichen. Ich denke, das sollte eigentlich das Ziel einer Ergänzung der parlamentarischen repräsentativen Demokratie durch direktdemokratische Elemente sein, keine Konkurrenzierung, also kein Entweder-oder, sondern eine wertvolle Ergänzung im Sinne dieser mitgestaltenden Teilhabe, im Sinne auch von Mitverantwortung und Mitwirkung. Aber, wie gesagt, nicht gegeneinander, sondern miteinander.

Frau Abgeordnete Musiol hat vorhin gesagt, mehr Direktdemokratie bedeute mehr Teilhabe, sei also kein Heftpflaster auf die Wunde der Parteien- oder Politikverdrossenheit, sondern ein Wert an sich. – Auch das möchte ich unterstreichen. Ich glaube, es wäre zu kurz gegriffen, wenn man darin nur ein Instrument sehen wollte, um eben das, was entweder tatsächlich vorhanden ist und/oder auch zum Teil herbeigeschrieben wird, jetzt einfach zukleben zu wollen, indem man etwas drüberpickt, um dann wieder weiterzumachen wie bisher.

Prof. Öhlinger hat auch etwas gesagt, was ich gerne mitnehme: dass ein sinnvoller Einsatz direktdemokratischer Instrumente zu einer Stärkung des Parlamentarismus führen könne.

Als Mitglied einer Regierungsfraktion muss man sich darüber im Klaren sein, dass es zu einer Stärkung des Parlamentarismus, aber möglicherweise auch zu einer Schwächung der parlamentarischen Regierungsmehrheit kommen kann. Das muss man dann unter Umständen in Kauf nehmen.

Das heißt, es ist durchaus auch ein Instrument der Opposition, der außerparlamentarischen ebenso wie der innerparlamentarischen. Da muss man allerdings auch vor Missbrauch warnen. Es ist kein Instrument der politischen Parteien, wird aber auch von diesen mit Sicherheit da oder dort benützt werden – no na! Damit muss man umgehen.

Es könnte auch ein Instrument der Auflösung von koalitionären Pattstellungen sein. Es ist allerdings für eine Koalition auch nicht ungefährlich, sage ich ganz offen, denn wenn sich beide Parteien dieses Instruments bedienen, intensiv und extensiv bedienen, weiß ich nicht, wie lange dann eine Koalition Bestand hat. Jedenfalls ist es letzten Endes eine große Herausforderung an die parlamentarische und demokratische Reife aller Handelnden.

Das heißt, ich bin jedenfalls dafür – sonst hätten wir ja das Paket nicht eingebracht –, das jetzt intensiv zu diskutieren, mit all den Einwänden oder Verbesserungsvorschlägen, die auch gekommen sind, mit all den Diskussionen über diese Verbesserungsvorschläge. Aber ich bin dafür, dass wir es zu einer Beschlussfassung bringen.

Ich bin aber auch dafür, dass die Kompetenz für die Gesetzesbeschlussfassung beim Parlament bleibt, denn es geht bei der Beschlussfassung von Gesetzen nicht nur um Beschlussfassungen, sondern es geht auch um eine vorbereitende Auseinandersetzung über Inhalte, die hier natürlich in sehr effizienter Form geführt werden kann, künftig unter Einbindung der Bevölkerung und der Meinung der Bevölkerung. Aber es geht um den Schutz von Minderheiten vor der Willkür der Mehrheit. Es geht natürlich um einen Ausgleich von Interessen. Das kann man hier in sehr effizienter Form tun; bei einer bloßen Befragung „Ja – Nein“ ist das schwer organisierbar.

Das heißt, ich denke es mir als dieses Zusammenwirken: Initiativrecht der Bevölkerung; letzte Beschlussfassung hier herinnen; Volksbefragung in jedem Fall, wenn nicht umgesetzt wird; Möglichkeit des Parlaments, einen Alternativvorschlag zu machen.

Ich denke, der Vorschlag ist schon recht ausgewogen, aber es geht bei dem Ganzen letzten Endes tatsächlich um die Entwicklung einer neuen Kultur des politischen Miteinanders und der mitgestaltenden Teilhabe. Dazu bekenne ich mich. – Danke. (Beifall.)

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Michelle Missbauer: Danke, dass ich ein zweites Mal zu Wort kommen darf.

Ich habe im medizinischen Bereich gearbeitet und auch mit schwerstkranken Menschen tun gehabt. Vielleicht wäre es einmal eine Idee, in Österreich darüber nachzudenken, den Menschen die Würde zu geben, selbst zu entscheiden, wenn sie schwerstkrank und dem Tod näher als dem Leben sind, die Sterbehilfe in Österreich zu legalisieren, so wie es in Belgien möglich ist, dass jeder Mensch das Recht hat, selber zu entscheiden, wenn ein Arzt sagt, es gibt auch in der heutigen, modernen Hightech-Medizin vielleicht keine Möglichkeit mehr. Bevor dieser Mensch unnötige Schmerzen und Qualen erleiden muss, hätte er das Recht – natürlich ohne dass es gesetzeswidrig ist –, zu sterben.

Die Tiere haben da einen kleinen Vorteil: Man darf ein Tier gesetzlich einschläfern. Einen Menschen darf man gesetzlich nicht einschläfern. Ich denke mir, da könnte man wieder eine Volksabstimmung machen und das Volk auch entscheiden lassen, ob in Österreich die aktive Sterbehilfe legalisiert wird oder eben nicht.

Ich habe im Zuge meiner Ausbildung zur diplomierten Gesundheits- und Krankenschwester auch auf einer Wachkoma-Station gearbeitet, und da habe ich sehr viele schwerstkranke Menschen betreut. Ich denke mir, das wäre sicher auch ein Thema, das die Bürger und Bürgerinnen in Österreich sehr interessiert.

Wenn ich noch kurz ein zweites Thema ansprechen darf: Das Thema Arbeitsmarktpolitik ist auch ein sehr wichtiges Thema für mich. Ich mache selber gerade eine Ausbildung. Ich habe jetzt zwar einen Jobzusage beim WWF bekommen, möchte aber in weiterer Folge noch eine Ausbildung im tiermedizinischen Bereich starten und bin bis dato beim AMS gemeldet.

Ich kann aus Erfahrung sagen, dass ich in sehr viele – jetzt einmal unter Anführungszeichen – „unnötige“ Kurse geschickt wurde. Vielleicht kann man da irgendwie etwas verbessern, dass die Kurse besser gestaltet werden, dass die Kurse für die Bürger und Bürgerinnen auch an das Berufsfeld, auf das sie sich vorbereiten und das sie machen wollen, angepasst werden. Ich denke mir, da könnte man sicher auch das Volk und uns Bürger in der Enquete-Kommission mit einbeziehen.

Wenn wir in den Kursen Sachen und Dinge hören, die wir ohnehin schon einmal gehört haben, dann ist das weniger zielführend als wenn wir in einen Kurs gehen, in dem wir besser vorbereitet werden. Vielleicht könnte man die Kurse auch ein bisschen reduzieren, dafür aber adäquater und besser gestalten.Ich bin nämlich vom AMS schon zweimal in denselben Kurs geschickt worden. Ich habe dort alle Module besucht, die es zu besuchen gibt – und das doppelt zu machen, ist vielleicht nicht gerade eine ultimativ gute Idee. Steuergelder, die da investiert werden, könnte man eventuell besser verwenden. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir da vielleicht auch den Blick in die Zukunft richten und dem positiv entgegengehen. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Obfrau Präsidentin Doris Bures verweist im Anschluss an diese Wortmeldung auf die Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“, bei der Fragen der Palliativmedizin, der Sterbebegleitung sowie der Hospize behandelt werden. Das soeben in die Diskussion Eingebrachte sei ein Thema, mit dem sich das österreichische Parlament sehr wohl befasse.

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Marlen Ondrejka: Über eine Tageszeitung habe ich von dieser Enquete-Kommission erfahren und habe mir gedacht: Ja, da bewirbst du dich, denn wann hast du schon einmal die Möglichkeit, Politik so nahe zu sein!

Es sind sicher einige Themen, die mir sehr am Herzen liegen. Was von Herrn Prof. Pichler schon erwähnt wurde – die Bürger in die Politik einzubeziehen, sie aktiv in die Politik einzubeziehen –, ist auch mir ein sehr großes Anliegen. Ich komme selber aus der Arbeitswelt, die ja auch schon angesprochen wurde. Ich habe auch beim Bund meine Lehre absolviert.

Wie gesagt, ich glaube, ich spreche da für alle, die sich bei dieser Enquete-Kommission beworben haben. Es geht darum, die Bürger aktiv in die Politik einzubeziehen, und zwar nicht nur dann, sage ich einmal, wenn, wie jetzt in Niederösterreich, die Gemeinderatswahlen anstehen. Nicht nur bei den Wahlen gilt es, auf die Bürger und Bürgerinnen zuzugehen, sondern das ganze Jahr, wenn es Anliegen gibt oder sonst irgendetwas, dass man diesen zuhört und sich dieser annimmt.

Mir ist natürlich auch klar, dass die Enquete-Kommission mit uns vielleicht nicht so einfach wird. Es ist die erste Kommission dieser Art, und wir haben vielleicht auch andere Meinungen beziehungsweise Anliegen an die Regierung oder an die Politik. Aber ich denke mir, das ist schon einmal ein großer Fortschritt, die Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen. Es wurde ja der Verlust des Vertrauens zu den Parteien, zu den Politikern schon angesprochen, der sich etwa auch zeigt, wenn man die Zeitungen aufschlägt.

Wie gesagt, es ist mir ein Anliegen, mich da aktiv einzubringen. Es wird sicher noch einige Themen geben, wo man länger diskutieren kann. Ich möchte mich jetzt nicht so lange damit aufhalten. Es folgen ja noch sechs Sitzungen, in denen ich in dieser Enquete-Kommission meine Meinung als Bürgerin einbringen darf. – Danke schön. (Beifall.)

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Harald Petz: Ich bin auch ein Verfechter der unbedingten Stärkung von Volksbegehren, weil das die einzige Abstimmungsform ist, die direkt vom Volk ausgeht. Das muss und soll erleichtert werden, dafür stehe ich.

Ein Vorredner hat die Bürgerfraktion im Parlament erwähnt. Auch dafür würde ich stehen, dass Bürger direkt, so wie wir es heute dürfen, hier eine eigene Fraktion bilden, mit abstimmen, mitreden, mitbestimmen können. Ich denke da an ständig wechselnde Personen, damit da nicht auch diese Politikverdrossenheit eintritt, die vielleicht bei vielen oder manchen altgedienten Politikern schon da ist oder gegeben ist durch dieses ständige Arbeiten.

Eine weitere Idee, die mir ein bisschen im Kopf herumschwirrt, ist ein politisches Volks- oder Bürgerbarometer; so habe ich es genannt. Auf elektronischem Weg, denke ich mir, könnten Bürger zu wichtigen Themen Abstimmungen zu Hause an ihren Computern oder auch, wenn sie in der Firma sind, vornehmen, denn hier finden die Abstimmungen statt, wenn wir „normalen Leute“ keine Zeit haben.

So könnten wir auch da mitbestimmen, mit Vetorecht ab einer bestimmten Beteiligung, habe ich mir gedacht. Jeder Wähler hat eine Art Zugangscode, ein Passwort, und kann sich, wie gesagt, direkt beteiligen. Dadurch werden auch Wege verkürzt, und man gibt, denke ich mir, auch weniger Geld für teure Meinungsforschungsinstitute aus, weil man immer direkt am Zahn der Zeit, am Bürger dran ist und immer auch weiß, was er sagt, was er denkt.

Das waren einige meiner Gedanken zu diesem Thema. Ich kann und werde meine Redezeit nicht ausnützen, wollte aber das unbedingt gesagt haben und bedanke mich dafür. (Beifall.)

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Claudine Nierth (Bundesvorstandssprecherin von Mehr Demokratie Deutschland): Ja, es regte mich an, mich noch einmal zu Wort zu melden. Ich danke für den Hinweis, dass Deutschland selbstverständlich noch die bundesweite Volksabstimmung fehlt. Das ist richtig. Nichtsdestoweniger ist es aber so, dass Deutschland auf dem Weg ist, auch diese Lücke zu schließen, denn inzwischen sind alle Parteien an dieser Frage tätig.

Die SPD hat seit zwei Jahren einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt, hat eine Demokratie-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen unter Heiko Maas, dem heutigen Justizminister. Es ist spannend, zu sehen, dass sich immer auch unterschiedliche Koalitionen zwischen allen Parteien bilden und dass momentan der härteste Kern immerhin noch bei der CDU liegt.

Wir haben schon mehrere Abstimmungen mit Mehrheit im Deutschen Bundestag gehabt. Aber es geht eben auch bei uns um eine Verfassungsänderung; das heißt, wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit, das ist völlig klar. Aber es ist auch klar, dass es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit ist, wann es kommen wird. Ich habe aber überhaupt nichts dagegen, wenn Österreich uns an diesem Punkt überholen wird.

Es wurde der Punkt der Reife angesprochen. Ich bin sehr dankbar für diesen Hinweis, der hier kam, denn das ist immer gleichzeitig die Frage nach der Mündigkeit in einer Abstimmung. Die Qualität einer Entscheidung hängt davon ab, wie der Prozess, der zur Entscheidung führt, qualitativ ausgestaltet ist.

Ich selber werde jedes Mal ein Mündiger in einer Sachfrage. Warum? – Weil ich mich der Frage stelle und mich mit ihr auseinandersetze. Je spannender ein demokratischer Prozess ist, desto deutlicher kann man erleben, dass oft vor einer Diskussion meine Position eine andere ist als nach einer Diskussion. Vielleicht ist das nach dieser Enquete-Kommissionszeit auch der Fall.

Das heißt, ich brauche Zeit. Ich brauche Raum, um Alternativen angucken zu können. Ich muss mir die Meinung von den Experten anhören. Ich muss aber auch die Medienmeinung hören, ich muss auch die Meinung meines besten Freundes hören. Und ich muss mit mir selber ins Gericht gehen, mir die Informationen holen, bis ich dann wirklich urteilsfähig bin und an einem Tag X auch eine Entscheidung fällen kann.

Unterschätzen wir nicht diesen Prozess, was es mit uns Bürgern macht, wenn wir gefragt werden! Das haben Sie selber hier in Österreich – ich habe es wunderbar miterlebt – bei der Volksbefragung zur Wehrpflicht gehabt. Da war ich überrascht, auf welch hohem Niveau diskutiert wurde, auch in den Medien. Letztendlich hat die Beteiligung gezeigt: Wir haben uns mit diesem Thema beschäftigt.

Ich würde mich freuen, wenn wir gerade mit der Empirie, die Deutschland tatsächlich liefern kann – Bayern mit 10 Millionen Bürgern ist da sozusagen nicht zu verachten –, wenn wir mit der Empirie, mit den Erfahrungswerten, die wir bereits haben, uns Stück für Stück an Vertrauen erwerben in die Ausgestaltung des Wie, wie es denn tatsächlich in Österreich Sinn macht, es haben zu wollen, denn natürlich muss jede Gemeinschaft ihre demokratischen Spielregeln selber bestimmen und selber aushandeln.

Ich freue mich, wenn Österreich vielleicht etwas erfindet, was wir in Deutschland noch nicht erfunden haben, und uns damit um eine Nasenlänge voraus ist. Aber in jedem Fall ist, wer heute die Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie fördert, bereits überzeugt von dem Mehrwert, von dem demokratischen Mehrwert, der entsteht, wenn man Bürger mitbeteiligt und an den Tisch holt. Der hat schon Erfahrungswerte des Vertrauens erlebt, hat gute und schlechte Erfahrungen gemacht.

Günther Beckstein sagte: Nach 20 Jahren direkter Demokratie in Bayern kann ich nur sagen, die Bürger entscheiden weder klüger noch dümmer als die Parlamentarier. Aber sie sind eben mit am Tisch. (Beifall.)

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Abgeordnete Mag. Andrea Kuntzl (SPÖ): In mir sperrt es sich ein bisschen, zu sagen: Sie sind die Bürger, und wir sind andere – denn wir sind ja auch Bürger! Wir sind Bürger, die gewählt worden sind, die durch Wahlen legitimiert worden sind. Sie haben das Privileg, in einer Diskussion wie der heutigen Ihre Einzelmeinung zu vertreten. Wir als gewählte BürgerInnen, Abgeordnete, wir haben natürlich die Verantwortung, den Willen und die Interessen einer Wählerschaft zu vertreten und einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Gruppeninteressen zu finden, was die Sache oft ein bisschen komplizierter und zäher macht, aber ein sehr, sehr wertvoller Teil des demokratischen Prozesses ist.

Was wir hier diskutieren müssen, ist, eine gute Abwägung in verschiedenen Fragestellungen zu finden. Ich glaube, dass der vorliegende Antrag eine gute Grundlage dafür ist, hier weiterzuarbeiten. Wir haben jetzt Expertenmeinungen gehört. Wir haben ein Begutachtungsverfahren gehabt, ein Begutachtungsverfahren, wo auch differenzierte Stellungnahmen da sind, wo auch Bedenken geäußert worden sind. Wir sollten im Diskussionsprozess, der vor uns liegt, unter anderem die Fragen abwägen, wo, auf welcher Ebene und bei welchen Fragen welches Instrument wirklich das richtige ist.

Wir müssen abwägen, dass wir einerseits tatsächlich mehr Einbeziehung schaffen, um unsere Demokratie zu stärken, dass aber wir gewählte Mandatare und Abgeordnete nicht Verantwortung abschieben oder den Eindruck erwecken, Verantwortung abschieben zu wollen. Da glaube ich übrigens auch, dass wir diese Frage, politische Entscheidungen quasi zum Verfassungsgerichtshof hinzuschieben, überdenken sollten.

Ein Punkt, der heute nicht oder viel zu wenig angesprochen worden ist, ist die Frage: Welche Rolle wird Geld, wird finanzielle Potenz spielen bei den Instrumenten, die wir schaffen? – Da sollten wir nicht in die Situation kommen, Instrumente zu schaffen, mit denen wir in Wirklichkeit die BürgerInnen, ich verwende das Wort „BürgerInnen“, stärken wollen, aber de facto den Mechanismus gestärkt haben: Geld regiert die Welt. Ich glaube, das wollen wir alle nicht. Wir wollen die Demokratie stärken, aber hier nicht Lobbyisten weiter stärken und sozusagen denen, die das Geld in der Hand haben, die Instrumente in die Hand zu geben.

In diesem Sinn sollten wir, glaube ich, die Diskussion sehr verantwortungsvoll und differenziert führen. Darauf freue ich mich schon. (Beifall.)

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Abgeordneter Asdin El Habbassi, BA (ÖVP): Wir vergessen in der Diskussion sehr oft, dass wir hier im Parlament Bürgervertreter, Volksvertreter sind. Die einen sind gewählt, manche sind in dem Fall jetzt ausgelost, manche sind als Zuhörer da oder bringen sich ja auch in die Prozesse ein. Ich glaube, das sollten wir dieser Veranstaltung auch irgendwie voranstellen, dass wir im Parlament sind und eine Stärkung des Parlaments immer auch eine Stärkung der Volksvertretung ist.

Wir haben mit der Jungen ÖVP auch unser Stückchen dazu beigetragen, diese Diskussion anzustoßen, weil wir eine Stärkung der Demokratie wollen. Stärkung der Demokratie heißt für uns einerseits die Stärkung der Bürgerbeteiligung, das Einbinden der Bürger in unsere Entscheidungsprozesse, heißt aber auch und vor allem eine Stärkung des Parlaments.

Es ist heute schon ein paar Mal die Aussage gefallen: Wir müssen die Diskussion mit Demokratie durchfluten, und wir sollten keine Angst vor dem Volk haben. Ich glaube, das sind ganz, ganz wichtige Voraussetzungen, die wir bei allen Entscheidungen und Überlegungen, die wir hier anstellen, bedenken sollten, weil es am Ende des Tages darum geht, eine möglichst gute Regelung für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zu machen, auch in deren Sinne zu handeln und nicht für irgendwelche anderen Interessen. – Das einmal vorweg.

Wir haben uns hier irgendwie darauf geeinigt, nicht jetzt schon Pflöcke einzuschlagen, nicht jetzt schon Dinge festzulegen. Jeder hat seine Ideen, jeder hat seine Vorschläge, ich habe auch genügend im Gepäck. Aber ich glaube, heute habe ich es einmal genossen, hier ein bisschen zuzuhören, zuzuschauen, auch zu verfolgen, wie die Diskussion funktioniert, was Sie als Vertreter sagen.

Danke auch hier einmal ganz explizit dafür, dass Sie sich die Zeit nehmen – das ist nicht selbstverständlich, Sie alle haben auch andere Dinge zu tun –, dass Sie heute hier sind und diese Möglichkeit wahrnehmen, als Bürger, die quasi nicht in ihrer täglichen Arbeit Bürgervertretung machen, hier Ihre Sichtweisen aus Ihren Erfahrungswelten und aus Ihrem Umfeld einzubringen.

Was mir noch wichtig ist, wenn wir da heute zuhören und aufmerksam die Debatte verfolgen, und was ich ganz spannend finde: Wir sprechen ständig über die Prozesse, wir sprechen über Vorstellungen, wie wir den Parlamentarismus ändern können, wie wir die Demokratie voranbringen können. Und die Leute, die von außerhalb diese Diskussion kommentieren und sich damit beschäftigen, haben Anliegen.

Frau Nierth hat vorhin festgestellt, wie es wäre, wenn wir vorher wüssten, was für Gefahren entstehen, wenn wir laufen lernen. Dazu kann ich Ihnen sagen, viele junge Menschen – es ist ja auch gesagt worden, nur 10 Prozent würden sich interessieren – interessieren sich für Politik! Auch der Rest der Bevölkerung interessiert sich für Politik. Aber oft interessieren sie sich nicht für die Art und Weise, wie diese Prozesse hier bei uns stattfinden. – Ich glaube, das ist der erste Punkt, warum es sich lohnt, darüber nachzudenken.

Der zweite Punkt ist: Ich glaube, viele, viele Bürgerinnen und Bürger, und vor allem die jungen, würden sich noch mehr für diese Demokratie begeistern, wenn sie nicht ständig erleben würden, wie manche aufstehen, wie manche anfangen, gehen zu lernen, und dann ständig gegen Wände laufen und wieder zurückfallen.

Ich glaube, unsere Aufgabe müsste es sein, die Möglichkeit zu schaffen, wenn es Ideen gibt, wenn es Anliegen gibt, diese einzubringen. Es wurde heute die Forderung nach einem Demokratiebüro erhoben. Ich frage mich, wofür wir Abgeordnete da sind, wenn es nicht unsere Aufgabe ist, dieses Demokratiebüro für die Menschen zu sein, den Kontakt zu den Bürgern zu suchen! Ich bin mehrmals die Woche unterwegs und alle meine Kolleginnen und Kollegen auch, sie treffen sich mit Interessenvertretern, treffen sich mit Bürgerinnen und Bürgern, um diese Anliegen hier einzubringen. Wenn wir diese Aufgabe ernst nehmen, dann können wir hoffentlich viele dieser Diskussionen sehr schnell erledigen.

Ich möchte noch ein Anliegen einbringen, das heute mehrmals zur Sprache gekommen ist. Wir reden nur über den Prozess, aber mit diesem Prozess hängen viele andere Dinge zusammen, ob das jetzt die politische Bildung ist, ob das die Möglichkeit ist, Anliegen einzubringen, ob das das Leben von Demokratie in Form von Schülerparlamenten ist. Das alles sind Dinge, die auch unmittelbar mit einer Stärkung der Demokratie einhergehen und über die wir uns vielleicht in einem anderen Forum, aber doch auch unbedingt Gedanken machen sollten.

Ich würde mir wünschen, dass wir diese nächsten Sitzungen vor allem unter dem Gesichtspunkt führen, uns nicht vor dem Volk, nicht vor dem Bürger zu fürchten, uns gemeinsam daran zu beteiligen, dass wir dieses Haus und auch dieses Land mit Demokratie durchfluten können und Wege suchen, das möglichst einfach zu machen, auch die neuen technischen Mittel zuzulassen und es den Bürgerinnen und Bürgern möglichst einfach zu machen, sich am politischen Prozess und an der Demokratie möglichst zahlreich und intensiv zu beteiligen. – Danke schön. (Beifall.)

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Heinz Emhofer: Ich wollte eigentlich heute nicht mehr das Wort ergreifen. Aber ich habe einiges gehört, was mich dazu bewegt, noch einmal zu sprechen.

Herr Dr. Pichler, Ihre Meinung hat mir sehr gut gefallen. Ich möchte sie vollinhaltlich bestätigen, aber auch etwas hinzufügen. Sie haben gesagt, das Interesse der Bevölkerung ist bei ungefähr 20 Prozent, bei Jugendlichen bei 10 Prozent. Ich frage mich, warum. Da kommt jetzt das Wort, das ein Vorredner schon ausgesprochen hat: Information fehlt. Es gibt kaum Information!

Ich komme vom Land. Bei uns zu Hause am Stammtisch sagen viele Leute zu mir: Heinz, du bist so gescheit, du weißt so viel, wenn wir dich über Politik fragen. – Ich habe aber das Privileg, als Pensionist oft acht oder zehn Stunden vor dem Fernseher zu sitzen und die Übertragungen aus dem Nationalrat zu hören. Das haben viele nicht!

Da geht es wieder darum: Was kommt heraus? – Die Information. Ich habe zum Beispiel die Information beim Volksbegehren oder bei der Volksbefragung – ich weiß jetzt nicht, was das Richtige ist – über das Atomkraftwerk Zwentendorf, woran ich schon teilgenommen habe, im Nachhinein bekrittelt, weil wir in einigen Punkten falsch informiert worden sind. Bei der letzten Volksbefragung über das Bundesheer hat, glaube ich, die Ehrlichkeit und die richtige Aufklärung gefehlt.

Jetzt zur Jugend: Ich habe vorgestern auf Facebook ein Posting von einem 13-jährigen Schüler namens Sebastian aus Oberösterreich gesehen, der hier bei der Enquete für Jugendrechte gesprochen hat. Wenn man sich seine Reden anhört, die Reden eines 13-jährigen Schülers, dann kann man nicht sagen, die Jugend wäre an Politik nicht interessiert.

Ich möchte auch eine Gegenstimme einbringen, zum Beispiel zu dem Vorschlag von Bürgern im Parlament. Wir haben heute oft ein Gesetz, das der Bund beschließt, neun Gesetze, die die Bundesländer beschließen, und x Gesetze, die dann die Gemeinden beschließen. Wenn wir jetzt – das ist meine persönliche Meinung – 50 Bürger haben, so wie mich, dann haben wir, sechs Parteien und 50, insgesamt 56 Meinungen. Das kann zu nichts führen! Und wer hat als Bürger Zeit, hier das ganze Jahr mitzuarbeiten? – Das ist das Zweite.

Ich glaube daher, es wäre vielleicht interessanter, die Wahl zum Nationalrat anders zu gestalten. Wenn man diesen teilen kann, wird zum Beispiel die Hälfte von den Parteien gemäß den Wahlergebnissen bestimmt. Die andere Hälfte soll sich den Bürgern stellen, in Wahlkreisen, in Bezirken, so ähnlich, wie es, soweit ich weiß, in Deutschland ist.

Bei uns kennt kaum einer irgendeinen Abgeordneten, wenn er nicht der Bürgermeister oder der Direktor einer Schule ist, wie es bei uns in Perg der Fall ist. Die kennt man, aber sonst kennt man kaum jemanden. Und dann wundert man sich, wenn die Leute sagen: Ja, es würde uns schon interessieren, aber es nützt ja nichts, denn die da oben tun, was sie wollen.

Vielleicht gibt es den Gedanken zur Demokratie, dass die Leute draußen auf dem Land am Stammtisch sehr viel über Politik sprechen. Aber man muss sich fragen: Warum gehen sie nicht zur Wahl? – Danke. (Beifall.)

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Obfrau Präsidentin Doris Bures stellt die Frage, ob weitere Wortmeldungen vorliegen. (Michelle Missbauer: Darf ich noch kurz etwas hinzufügen? 1 Minute!) – Bitte.

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Michelle Missbauer: Ich möchte dem abz*austria wirklich dafür danken, dass ich dort viel Zeit verbringen durfte. Das ist eine Serviceeinrichtung, die Sie weiterhin auf alle Fälle unterstützen sollten, Frau Bures, weil die Beraterinnen, die dort tätig sind, nämlich für die Frauen sind. Das ist ein Frauenberufszentrum. Ich bin dort Kundin gewesen und möchte wirklich ein herzliches Danke an das abz*austria richten! Ich hoffe, dass diese Einrichtung für Frauen weiterhin bestehen bleibt. – Vielen Dank.

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Stellungnahmen der Expertinnen und Experten

Univ.-Prof. Dr. Johannes Pichler (Karl-Franzens-Universität Graz): Wenn ich Ihre Gefühle, Herr Klubobmann Schieder, verletzt haben sollte mit dem Wort „Quasselforen“, dann möchte ich noch einmal sagen: Gehen Sie auf „witzig-fun.de“, dort sind zehnmal so viele Teilnehmer bei solchen Diskussionen. Man muss diese Leute wieder zurückholen ins Politische. Das war mein Plädoyer. (Abg. Schieder: Sie haben meine Gefühle eh nicht verletzt!) – Gut, dann bin ich ganz glücklich.

Herr Kollege, zu Ihnen, der Sie ein Forum verlangt haben: Erstens einmal setzt die deutsche Bundestags-Enquete auf Adhocracy und Liquid Democracy. Das sind genau solche Tools, wie ich vorhin meinte, dass man sie einführen sollte.

Zu Ihrer Idee, dass es eine generelle Beteiligungsplattform geben sollte: Ich habe so etwas gegründet, es heißt „myvote.eu“. Aber es funktioniert einfach nicht. Nicht einmal bei der Europäischen Bürgerinitiative können Sie von einem Pool heraus in die Initiative hinüber. Es ist kein Weg dorthin. Das wird noch ein weiterer Weg sein, so etwas haben zu wollen.

Zu meinen Kolleginnen und Kollegen noch schnell: Ich würde mich nicht davor scheuen, zu öffnen, wo es nur geht. Es kann sein, dass die gerichtliche Kontrolle vorab oder hinterdrein kommen muss. Wenn sie vorab kommt, muss sie wahrscheinlich nachher hinterdrein noch einmal kommen, das wird man sich nicht ersparen können. Aber wenn man etwas rechtsmittelfest macht, dann geht es ins Rechtsmittel, das ist ja wohl klar. Deswegen meinte ich, dass die weiteren Partizipationsformen doch optimal seien. Man sollte sie viel stärker bespielen.

Ein Letztes, Herr Klubobmann Kopf, noch einmal: Das Statement war nicht von mir, sondern von meinem Freund Luc Van den Brande, der die „multi-level governance charter“ gemacht hat. Diesen Geist sollte man hier hereinholen.

Das geht wieder mit Ihrer Frage zusammen: Wie ist denn das Verhältnis in der Kompetenz von EU, Nationalstaat und mehreren Ebenen? – Da gibt es eine Kompetenzverfassung, die im Unionsvertrag geklärt ist. Aber mit der sind ja auch nicht alle zufrieden. Daher die Empfehlung eines neuen Miteinanders: dass man nicht nur Länder, sondern auch Gemeinden in den unionspolitischen Willensbildungsprozess mit einbaut. Das ist Partizipation, ganz eindeutig!

Ein Letztes noch zum Unionsvertrag: Es gibt dort Partizipationsinstrumente, die ich Ihnen empfehle, sie in Ihre Arbeitsgruppen hereinzuholen. Das sind diese Dialoge, von denen ich gesprochen habe, die auch in der Union noch nicht wirklich leben. Aber man könnte sie jetzt schon antizipieren und kopieren und damit sozusagen neue politische Kommunikationskanäle schaffen.

Ich bleibe dabei: Politik ist Kommunikation – und fast nichts anderes! Entschuldigen Sie, ich will Ihre Tätigkeit nicht schmälern, aber im Wesentlichen geht es darum, Kommunikation zu machen. Da wären diese Partizipationsinstrumente wirklich geradezu ideal gewählt, wenn man es nicht so albern betreibt wie mit der Europäischen Bürgerinitiative, wo man zwar 0,25 Prozent initiativ werden lässt, aber auf der anderen Seite den Leuten nicht sagt, dass es ein Petitionsrecht ist, das dem Metternich auch schon nicht wehgetan hätte. Da muss man also Klarheit schaffen.

Die anderen Verfahren sind alle hochinteressant, und wenn Sie da in Ihrer Arbeit irgendwie Unterstützung brauchen, stehe ich Ihnen wirklich gerne zur Verfügung. (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger (Universität Wien): Es sind so viele Anregungen gekommen, dass es ganz unmöglich ist, hier auf alle auch nur annähernd einzugehen. Ich möchte nur Herrn Luif sagen, ich glaube nicht, dass er ein Illegaler ist. Ich würde das bestreiten, weil sich die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, auf die Sie sich bezogen haben, ja auf die Gesetzgebung im formellen Sinn bezogen hat und damit die Gemeinde von vornherein draußen ist.Nun weiß ich, dass man aus dieser Entscheidung auch für die Gemeinden ähnliche Restriktionen herauslesen kann. Ich würde mich dagegen wehren und habe mich auch öffentlich dagegen gewehrt, weil ich an sich diese Entscheidung für sehr problematisch halte, und zwar deshalb, weil sie sich auf die Landesebene bezieht, wenn ich das Hauptargument – und das war die Diskussion in der konstituierenden Nationalversammlung –, das Hauptargument dieser Entscheidung mir näher angesehen habe und offenbar nicht wirklich zu flüchtig war. Ich habe in dieser Diskussion in der konstituierenden Nationalversammlung kein Wort über direkte Demokratie auf der Landesebene gehört, daher ich halte diese Entscheidung für problematisch.

Ich halte sie deshalb für problematisch, weil direkte Demokratie – und das illustriert das Beispiel der Schweiz ja sehr schön – von unten wachsen muss. Jeder, der einmal ein bisschen näher in der Schweiz war, wird, glaube ich, davon beeindruckt sein, welches Verantwortungsgefühl Bürger tatsächlich für die Politik in ihrer Gemeinde haben. Das ist der Nährboden auch für die direkte Demokratie auf einer höheren Ebene.

Die Landesebene scheidet bei uns nach dieser Judikatur aus. Paradoxerweise wäre es noch viel schwieriger, auf Landesebene eine Volksabstimmung mit verbindlicher Wirkung einzuführen. Man müsste zuerst gesamtösterreichisch eine Bundesabstimmung darüber abhalten, ob ein Land das einführen darf. Dann müsste im Land wieder eine Volksabstimmung wahrscheinlich nach der Landesverfassung stattfinden. Ich halte das für leicht absurd und bedauere das, weil dieses Wachsen von unten in Österreich einfach nicht möglich ist. Deutschland zeigt, dass die Landesebene durchaus einen Motor bilden kann. Warum? – Weil es dort doch überschaubarere Probleme gibt, weil es vielleicht auch weniger international verflochtene Probleme gibt. Diese Ebene scheidet bei uns praktisch aus.

Insofern plädiere ich nach wie vor doch für eine gewisse, vorsichtige Weiterentwicklung und bin nach wie vor der Meinung, dass eine Volksbefragung in der österreichischen Tradition sinnvoller wäre als eine Volksabstimmung mit ihrem unvermeidlichen Ja oder Nein, gerade auch, wenn man die EU-rechtlichen Verflechtungen ansieht. Nicht immer ist die EU-Konformität, oder besser gesagt, die fehlende EU-Konformität einer innerstaatlich geplanten Regelung so klar wie derzeit im Fall der Maut, die man in Deutschland einführen will. Meistens sind die Probleme noch viel diffiziler. Da mit Volksabstimmungen Tatsachen zu schaffen, die dann vom EuGH mit jener leichten Hand, mit der er das auch sonst tut, wahrscheinlich gekippt oder als unionsrechtswidrig erklärt würden, das würde, glaube ich, schon Probleme auslösen, die irgendwo schwierig sind.

Wenn eine Volksbefragung gegen ein EU-rechtlich vorgegebenes Thema ausfällt, dann kann man das immer noch als Auftrag der österreichischen Politik ansehen, sich in Brüssel für eine solche Lösung eben auf EU-rechtlicher Ebene einzusetzen.

Ich würde gerne noch einen Punkt nennen, der in der Diskussion kaum angesprochen wurde. Wir haben über dieses Modell des Demokratiepakets gesprochen, das die Volksbefragung bei qualifizierten Volksbegehren vorsieht. Die Hürde für qualifizierte Volksbegehren ist nicht gerade gering: Welches Volksbegehren der letzten Jahrzehnte hätte die Schwelle von 640 000 überschritten? – Das wären nur ganz wenige gewesen; und noch weniger die der 960 000, ich glaube, da hätte es höchstens eines oder zwei gegeben. Man sollte schon auch Volksbegehren, die nicht diese hohe Zahl von Unterstützungen haben, glaube ich, mehr Aufmerksamkeit im parlamentarischen Prozess schenken. Da scheint mir das Demokratiepaket mit seinem sehr beschränkten Rederecht, 5 Minuten oder so etwas im Plenum, ein bisschen sehr bescheiden zu sein. Da könnte es schon mehr sein.

Wenn er es selber nicht gesagt hat, darf ich an den Vorschlag des Herrn Abgeordneten Cap erinnern, in einigen solcher Fälle eine parlamentarische Enquete abzuhalten, mit einer doch viel offeneren Diskussion, als es diese beschränkten Rederechte im Plenum mit sich brächten. Das wollte hier noch einmal in Erinnerung rufen. – Danke.

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Univ.-Prof. Dr. Franz Merli (Karl-Franzens-Universität Graz): Ich möchte nur zwei Fragen aufgreifen, die im Hinblick auf den Sinn von Beschränkungen aus meiner Sicht offengeblieben sind.

Die erste Frage ist: Was ist denn je passiert? – Die Antwort darauf ist: Es hat in der Schweiz dieses Verbot der Minarette gegeben. Es hat die direktdemokratisch Initiative zur Ausschaffung von Ausländern gegeben, also sofortige Ausweisung unter im Sinne des Familien- und Privatlebens, also aus grundrechtlicher Sicht sehr bedenklichen Umständen. Diese Initiative hat es aber gegeben, und sie ist dann abgelehnt worden, weil die gesagt haben, das widerspricht.

Das spricht für Grenzen! Ich sage nur, so etwas passiert. Das ist nicht etwas, was ich erfinde.

Es hat in vielen amerikanischen Bundesstaaten direktdemokratische Initiativen gegeben nach Defense of Marriage Acts; das sind Gesetze, die die traditionelle Ehe schützen sollen. So ist der offizielle Titel, aber ihre Wirkung besteht darin, dass sie für andere, insbesondere homosexuelle Partnerschaften eine Gleichstellung verhindern. Da ist eine ganze Welle von solchen Gesetzen über die Bundesstaaten gegangen. Es gibt aber auch in Slowenien, in Kroatien und jetzt in der Slowakei dieselbe Initiative.

In Lettland hat es eine direktdemokratische Initiative gegeben zur Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechtes, was gegen die Möglichkeit der russischsprachigen Bevölkerung, dort die Staatsbürgerschaft zu erlangen, gerichtet war. Es hat in Kärnten eine zwar irreguläre, aber doch direktdemokratische Befragung zur Ortstafelfrage gegeben. All diese Fälle haben gemeinsam, dass die Mehrheit sozusagen über geborene Minderheiten entscheiden soll.

Das ist einmal der erste Punkt: Ist diese Gefahr erfunden? – Glaube ich nicht!

Zweite Frage: Das kann ja alles auch in der repräsentativen Demokratie passieren, was ist denn da der Unterschied? Und wieso machen wir dann da keine Grenzen? – Da muss man darauf hinweisen, dass es ein paar Unterschiede gibt. Wenn ein normales Gesetz im Parlament beschlossen wird, gibt es dazu eine Diskussion, und zwar eine Diskussion, die zu Änderungen des Vorschlags führen kann und regelmäßig auch führt. – Das ist der erste Punkt.

Das heißt also, es wird nicht nur diskutiert, man ist dafür oder dagegen und drückt dann auf irgendetwas, sondern da wird auch die Möglichkeit von Kompromissen ausgelotet, und oft wird etwas verändert. Das kann man bei einem direktdemokratischen Vorschlag nicht mehr machen.

Nächster Punkt: Im Parlament ist das ein „Spiel“, das Sie jeden Tag spielen; Sie treffen einander wieder. Das heißt also, Sie werden jetzt nicht ohne Rücksicht auf Verluste, wenn Sie zufällig gerade die Mehrheit haben, Ihre Position durchsetzen, weil Sie wissen, Sie können nach der nächsten Wahl vielleicht in der Minderheitsposition sein. Das heißt, das führt dazu, dass Sie eher kompromissbereit sind und Interessen anderer Gruppen einbeziehen, auch Interessen von Minderheiten, die sich in dem Prozess natürlich auch viel besser äußern können.

Schließlich gibt es, wenn Sie im Parlament abstimmen, eine persönliche Zurechnung der Entscheidung. Im Großen und Ganzen ist es meistens klar, wer wie gestimmt hat. Das müssen Sie dann rechtfertigen, und wenn Sie wiedergewählt werden, müssen Sie auch gute Gründe dafür haben, dass Sie so gestimmt haben.

In der direkten Demokratie stimmen Sie unter dem Abstimmgeheimnis ab. Niemand weiß da, wie Sie stimmen. Sie müssen es niemand gegenüber rechtfertigen, und Sie müssen auch nicht an morgen denken, an die nächste Abstimmung. Das ist eine Entscheidung, die Sie jetzt einfach so treffen aus Ihrer Sicht heraus. Das kann natürlich sehr verantwortungsvoll passieren, aber es gibt keine Mechanismen, die das von vornherein sicherstellen.

Jetzt kann man daraus zwei Folgerungen ziehen. Die eine ist, man soll ein paar Begrenzungen einführen. Dazu möchte ich nur sagen: Wenn die Begrenzungen, die ich vorschlage, schon immer gegolten hätten, dann wären von all den Volksbegehren, die es im Bund gegeben hat, glaube ich, eines oder zwei an diesen Kriterien gescheitert. Das heißt, sie sind nicht schlimm! Niemand muss sich vor diesen Kriterien fürchten.

Aber das Zweite ist, man kann dann sozusagen, wenn man die direkte Demokratie stärken will, die Position beziehen: Dann mache ich diese Beschränkung, das erleichtert den anderen das Mitgehen, und man kann dann vor allem auf diesen dialogischen Prozess setzen, der, glaube ich, so wichtig für die Meinungsbildung ist.

Es geht ja nicht nur um die Entscheidung, sondern es geht um einen Dialog unter den Bürgern und zwischen Bürgern und Parlament. Da kann man diese Elemente stärken. Voraussetzung dafür ist, dass man die einmal sozusagen wegbekommt, die an so einem Dialog überhaupt nicht interessiert sind! Und da gibt es solche. – Danke schön.

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Sektionschef Dr. Gerhard Hesse (Leiter des BKA-VD): Ich habe der Diskussion aufmerksam zugehört, vor allem dem, was die Bürgerinnen und Bürger gesagt haben, und mir ist eigentlich nicht aufgefallen, dass das Bild, das der Verfassungsgerichtshof vor Augen hat, nämlich eine grundsätzliche repräsentative Demokratie, ergänzt und gestärkt um Elemente der direkten Demokratie, um eben genau einzelne Anliegen zu befördern, in Zweifel gezogen wurde. Ganz im Gegenteil!

Auch was Herr Abgeordneter El Habbassi aus meiner Sicht sehr zutreffend gesagt hat und was sich komplett deckt mit dem Befund, den man hier aus den Bürger-Beiträgen erkennen kann, ist: Es geht um die Inhalte, und es geht darum, wie mit Inhalten, die von außen in einen Gesetzgebungsprozess gebracht werden, umgegangen wird. Ich glaube, das heißt noch nicht, dass man Verfahrensweisen, die man jetzt hat, völlig über Bord werfen muss. Diesen Aspekt gilt es zu berücksichtigen.

Das Zweite würde ich eigentlich gern nur als Frage stellen für diejenigen, die sich in den Folgeveranstaltungen dieser Enquete-Kommission damit beschäftigen werden, wahrscheinlich einer anderen Profession als dem Verfassungsrecht zuzurechnen sind und das daher besser beantworten können, nämlich, wie man der jetzt von vielen konstatierten Politikverdrossenheit begegnet. Diese manifestiert sich – auch das wurde sehr oft gesagt – in Wählerabstinenz bei allgemeinen Wahlen, und dem begegnet man jetzt mit der Stärkung eines Instruments, bei dem deutlich weniger Menschen teilnehmen als bei allgemeinen Wahlen. Das scheint mir doch eine gewisse paradoxe Situation zu sein, die nicht leicht auflösbar ist.

In den vergangenen 40 Jahren war die durchschnittliche Partizipationsrate bei Schweizer Volksabstimmungen 42 Prozent. Das wollte ich nur sagen. – Danke schön.

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Univ.-Prof. Dr. Anna Gamper (Universität Innsbruck): Es wurde davon gesprochen, dass auch hier auf dem Podium zunächst darauf vergessen worden sei, auf die EU-Volksabstimmung hinzuweisen. Ich glaube, darauf wurde nicht vergessen. Es ist nur eine andere Art von Volksabstimmung als die, die wir hier, glaube ich, gemeint haben, nämlich eine obligatorische wegen Gesamtänderung der Bundesverfassung. Was sozusagen ungenützt bleibt – nahezu, wenn man jetzt von der zum AKW Zwentendorf absieht –, ist die fakultative Volksabstimmung nach 43 und 44 Abs. 3 B-VG, Letzterer zweiter Untertatbestand zur Teiländerung der Verfassung. Da hängt es also wirklich vom Nationalrat ab, ob diese Instrumente zum Einsatz kommen oder nicht.

Jetzt muss man aber, weil schon die EU-Volksabstimmung erwähnt wurde, sagen, genau das ist auch ein Problem, über das man hier im Parlament nachdenken könnte: die obligatorische Volksabstimmung bei Gesamtänderungen. Eine solche Volksabstimmung hat in der gesamten Geschichte, seit es die Bundesverfassung gibt, überhaupt erst einmal stattgefunden, nämlich eben in Zusammenhang mit dem EU-Beitritt. – Ein zweites Mal hat der Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung aufgehoben, die gesamtändernd war, ohne dass eine Volksabstimmung durchgeführt wurde.

Es gibt zumindest in der Wissenschaft eine reiche Diskussion zum Thema „schleichende Gesamtänderung der Bundesverfassung“. Da sehe ich wirklich auch ein Hauptproblem, dass man bei sehr vielen Teiländerungen der Bundesverfassung, die sukzessive vorgenommen werden, ohne für sich genommen so eine Gesamtänderung zu bewirken, im Grunde irgendwie aus der Verantwortung fast herauskommt, jemals eine Volksabstimmung abhalten zu müssen.

Der Verfassungsgerichtshof hat zwar auch einmal in einem Zusammenhang judiziert, dass das irgendwann vielleicht nicht mehr gehen könnte, aber wir sehen das laufend, bis hin jetzt zur Einführung der Verwaltungsgerichte. Das ist auch ein sehr langer Prozess, das ging spätestens mit dem EMRK-Beitritt los. Es wird nicht wirklich abgestimmt über das, weil man einfach sagen muss, man weiß nicht recht, wo der Beginn und der Endzeitpunkt einer solchen Gesamtänderung ist – und eine Volksabstimmung findet nicht statt!

Also auch das ist ein Thema, worüber man nachdenken könnte, auch vor dem Hintergrund, dass das B-VG allein – und das ist ja nur einer von mehreren hundert Bestandteilen der österreichischen Bundesverfassung insgesamt – seit der Wiederverlautbarung 1930 fast 120 Mal novelliert wurde. Es ist also nicht absurd, auch einmal über diese Gesamtänderungsfrage nachzudenken.

Prof. Poier hat die Möglichkeit eines Veto-Referendums erwähnt. Er hat gemeint – und da stimme ich ihm zu –, dass man da als Volk sozusagen weniger kreativ tätig sein kann, als das etwa bei einem Volksbegehren der Fall ist. Das stimmt sicherlich, die Fragestellung ist hier einfach eine auf Ja und Nein bezogene. Dennoch würde ich nicht glauben, dass das keine Form von Partizipation, von Teilhabe ist. Es ist doch eine sehr wesentliche Fragestellung, die die Bürger hier beantworten können, nämlich eben mit Ja oder auch Nein. Das ist eine sehr weite Entscheidungsmöglichkeit, auch wenn damit nicht diese originäre Kreativität verbunden ist, wie dies etwa beim Volksbegehren der Fall ist.

Letzten Endes führt das zu der Frage, die heute auch angeklungen ist: Welches Demokratiekonzept verfolgt die österreichische Bundesverfassung? – Da liegt sicherlich auch ein großer Unterschied zum deutschen Grundgesetz vor, denn dort gibt es ja eine Ewigkeitsklausel. Gewisse Prinzipien des deutschen Grundgesetzes dürfen einfach gar nicht abgeändert werden, also auch dann nicht, wenn eine Volksabstimmung stattfände.

Die österreichische Bundesverfassung ist anders, denn letzten Endes erlaubt sie die Gesamtänderung, wenn das Volk zustimmt. Das impliziert – zumindest nach dem Großteil der wissenschaftlichen Lehre zu dieser Frage – an sich jede Art von Verfassungsänderung. Ich finde es schon bedeutend, dass die Bundesverfassung für diese Letztentscheidung das Volk noch einmal definitiv und endgültig einsetzt, um die Frage zu entscheiden.

Noch ein Punkt zum Thema Grundrechte. Ich meine, dass die komplexere Diskussion natürlich im Parlament erfolgt. Andererseits würde gerade das Demokratiepaket 2013 ja nur eine Volksbefragung vorsehen, die dann ohnehin noch diskutiert werden kann.

Was Verbote anlangt, kann man darüber reden. Ich denke, es gibt schon auf der Landes- und Gemeindeebene einige solche Themenverbote, die vielleicht als Vorbild dienen könnten, auch in Bezug auf die Grundrechtsproblematik. Aber es soll auch darauf hingewiesen sein – da braucht man nur in die Statistiken des Verfassungsgerichtshofes hineinzusehen –, dass jedes Jahr etliche Gesetze, an deren Entstehung das Volk nicht unmittelbar beteiligt war, wegen Grundrechtsverletzungen aufgehoben werden. – Danke schön.

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Dr. Susanne Fürst (Rechtsanwältin): Ich möchte kurz zu den vielfältigen Vorwürfen gegen den Ausbau der direkten Demokratie – die in die Richtung gehen, die Bevölkerung habe mangelnden Sachverstand, antworte hier rein emotional, unterliege den Medienkampagnen und würde sich davon leiten lassen – Stellung nehmen mit einem Blick auf die beiden Volksabstimmungen, die in Österreich stattgefunden haben.

Der einzige freiwillige Fall, Zwentendorf: War da nicht die Bevölkerung geradezu weise und vorausblickend damit, dass man sich gegen die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf entschieden hat? – In den siebziger Jahren galt Atomstrom ja als die Lösung schlechthin. Es gab dann natürlich schon das Entstehen der Anti-Atomkraft-Bewegung. Trotzdem, im Gegensatz zur Politik, die sich eher noch sehr dafür ausgesprochen hat, bewies da die Bevölkerung zumindest ein sehr gutes Gefühl. Es mag rein emotional gewesen sein – richtig war es wahrscheinlich!

Das Zweite: EU-Beitritt, die einzige zwingende Volksabstimmung. Auch da hat natürlich nicht jeder großen Sachverstand gehabt. Ich möchte aber behaupten – ohne jemanden beleidigen zu wollen –, auch die Abgeordneten konnten vor 20 Jahren nicht absehen, wie sich die EU entwickelt. Hat man gewusst, es kommen Griechenland, Portugal, es kommt der Rettungsschirm? – Wahrscheinlich hat die Bevölkerung genauso oft recht und unrecht wie die Politiker. Insofern ist da vieles entkräftet.

Ein letzter Punkt wäre der Vorwurf, der immer erhoben wird: Da kommen sofort die Minderheiten unter die Räder. – Ich sehe es überhaupt nicht so und möchte mich hier auf den Beitrag der Bürgerin in der ersten Reihe beziehen. Mir hat es unglaublich gut gefallen, als sie gesagt: Warum keine Volksabstimmung über die Homosexuellen-Ehe?

Da kommt dann entweder Ja oder Nein heraus. Das ist zutiefst demokratisch, weil das heißt, Sie würden es auch akzeptieren, wenn ein Nein herauskommt, also sozusagen auch ein problematisches Ergebnis, ein unerwünschtes Ergebnis. Aber Sie würden sich damit abfinden, weil es die Mehrheit sagt. Das ist eine Meinung; die andere Meinung ist: Ja warum denn keine Gleichstellung in der Ehe!

Das war ja auch schon Gegenstand in Kalifornien zum Beispiel, ein Fall, der durch die Medien gegangen ist. War es denn so schlimm, dass sich die Bevölkerung da noch dagegen ausgesprochen hat? – Das Ergebnis des Referendums ist nachher wieder aufgehoben worden. Der Gerichtshof hat es nachher – es hat vorher schon das Gesetz gegeben, dann das Referendum – als verfassungswidrig, nehme ich an, wieder aufgehoben. Da hat es auch keinen Bürgerkrieg gegeben. Also auch die Bürger haben wiederum akzeptiert, dass es eben die Ex-post-Kontrolle gibt.

Da kann man sagen: Na gut, aber der ganze Aufwand kostet ja auch etwas, und das ist dann alles umsonst? – Nein, ich denke, es ist nicht umsonst, das Volk zu fragen! Nämlich gerade auch bei vielleicht unangenehmen Ergebnissen: Ist es nicht besser, das so positiv zu kanalisieren wie bei einer Volksbefragung, als wenn man sagt: Nein, da möchte ich das Ergebnis gar nicht wissen, da machen wir keine Befragung!

Dadurch verschwinden gesellschaftliche Probleme nicht. So wird es in einem geordneten Rahmen diskutiert, es steigt der Verstand, die Befassung mit dem Thema. Letztlich bleibt vielleicht eine positivere Demokratie übrig. – Danke. (Beifall.)

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Obfrau Präsidentin Doris Bures dankt den Expertinnen und Experten, den teilnehmenden Abgeordneten zum Nationalrat, den eingeladenen Bürgerinnen und Bürgern sowie all jenen, die über Livestream der Diskussion gefolgt sind und sich auch mit Tweets daran beteiligt haben, und leitet über zur Abstimmung der stimmberechtigten Mitglieder der Enquete-Kommission über den Vorschlag, die vom öffentlichen Teil der heutigen Sitzung angefertigte auszugsweise Darstellung gemäß § 39 Abs. 2 der Geschäftsordnung mittels Kommuniqué zu veröffentlichen. –Einstimmige Annahme.

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Die Obfrau gibt bekannt, dass die nächste Arbeitssitzung der Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in Österreich für 22. Jänner 2015, 10 Uhr, zur Themenstellung „Recht, Praxis, politische Positionen der Länder“ in Aussicht genommen sei und unter der Leitung von Obfrau-Stellvertreter Kopf stehen werde.

Mit den Wünschen für ein friedliches, frohes Weihnachtsfest sowie ein gutes, erfolgreiches neues Jahr erklärt die Obfrau die Sitzung für geschlossen.

 

Schluss der Sitzung: 13.46 Uhr