66/KOMM XXV. GP

 

Kommuniqué

der Enquete-Kommission zum Thema „Würde am Ende des Lebens“

Die Enquete-Kommission zum Thema „Würde am Ende des Lebens" hat in ihrer Sitzung vom 17. September 2014 einstimmig beschlossen, die auszugsweisen Darstellungen der öffentlichen Anhörungen als Kommuniqué zu veröffentlichen.

 

Am 23. Jänner 2015 fand die vierte öffentliche Sitzung statt, deren auszugsweise Darstellung angeschlossen ist.

 

Wien, 2015 01 23

                     Ulrike Königsberger-Ludwig                                              Mag. Gertrude Aubauer

                                    Schriftführerin                                                                             Obfrau


 

Parlament Österreich


 

Enquete-Kommission

 

„Würde am Ende des Lebens

 

Bild des Parlamentsgebäudes

 

 

Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

 

9. Sitzung

Freitag, 23. Jänner 2015

10.06 Uhr – 16.18 Uhr

NR-Saal

In der 8. Sitzung (gleich im Anschluss an die 7. Sitzung) am 16. Dezember 2014 wurden Geschäftsordnungsfragen geklärt.

 

 

9. Sitzung: 23. Jänner 2015

Referate

ad I:

Sektionschef Hon.-Prof. Dr. Gerhard Aigner                                                  4

Dr. Michael Lunzer                                                                                            6

Dr. Gerald Bachinger                                                                                        8

Dr. Sigrid Pilz                                                                                                   10

Univ.-Prof. Dr. Ernst Berger                                                                           12

Dr. Gertrude Brinek                                                                                         13

Primarius Univ.-Prof. Dr. Johannes Meran, MA                                           15

Dr. Artur Wechselberger                                                                                 17

Dr. Maria Kletečka-Pulker                                                                               18

ad III vorgezogen:

Univ.-Prof. Dr. Gabriele Kucsko-Stadlmayer                                                 20

Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter                                                      22

ad II:

PhDr. Hildegard Menner, MAS                                                                        41

Regina Ertl                                                                                                        43

Dr. Erwin Buchinger                                                                                        44

Mag. Dr. Sigrid Beyer                                                                                      46

Dr. Susanne Zinell                                                                                           48

Dr. Gabriele Nußbaumer                                                                                 49

ad III:

em. Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk                                                      55

Univ.-Prof. DDr. Peter Lewisch                                                                       57

Univ.-Prof. Dr. Michael Mayrhofer                                                                  59

Univ.-Prof. Dr. Katharina Pabel                                                                      61

Univ.-Prof. Dr. Kurt Schmoller                                                                       62

Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin                                                                      64

 

 

 

 


 

Beginn der Sitzung: 10.06 Uhr

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer eröffnet die Sitzung der Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“, bei der es um die Themen Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht sowie die Prüfung der Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Verankerung eines würdevollen Lebensendes geht.

Die Obfrau begrüßt die Anwesenden im Sitzungssaal sowie die Zuseherinnen und Zuseher via Livestream und fasst anschließend kurz die bisherigen Ergebnisse der Enquete-Kommission zusammen. Es sei gelungen, das Tabuthema Lebensende, Sterben mitten ins Zentrum der Politik zu holen und eine breite Diskussion in Gang zu setzen: 674 Bürgerinnen und Bürger haben ihre Wünsche und Anliegen per Mail gesendet, mehr als hundert Expertinnen und Experten haben die Enquete-Kommission mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung unterstützt.

Es sei klar geworden, so Obfrau Mag. Aubauer, dass es an der Zeit sei, zu handeln, da sich erschreckende Lücken gezeigt haben. Mehr als 1 000 Kinder bräuchten Hospiz- und Palliativversorgung, im allgemeinen Bereich liege der Versorgungsgrad bei nur 50 Prozent. Zusätzliches Geld für ganz konkrete Schritte sei notwendig, es gehe darum, Rechtssicherheit zu gewährleisten und Palliativversorgung wesentlich zu stärken. Ganz klaren Handlungsbedarf gebe es auch hinsichtlich Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht; nur 4 Prozent der Österreicher haben registrierte Patientenverfügungen, nur 2 Prozent eine Vorsorgevollmacht.

Sie erinnert an die Worte von Nationalratspräsidentin Doris Bures in der 3. Sitzung der Enquete-Kommission: „Was ist selbstbestimmtes Leben, was ist selbstbestimmtes Sterben?“ Das seien „sehr sensible Fragen“, so die Präsidentin, die „verantwortungsbewusst diskutiert werden sollen. Und das erscheint mir, auch mit Blick zurück auf düstere Kapitel in unserer Vergangenheit, doch wesentlich.“

Sodann leitet die Obfrau zum ersten Themenblock über.

I. Patientenverfügung: Evaluierung; gegebenenfalls Maßnahmen zur Verbesserung

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer erteilt als erstem Referenten Herrn Sektionschef Hon.-Prof. Dr. Aigner das Wort.

Impulsreferate

Sektionschef Hon.-Prof. Dr. Gerhard Aigner (Bundesministerium für Gesundheit): Die einleitenden Worte der Vorsitzenden haben mir irgendwie schon die Richtung gewiesen, und ich hatte auch vor, das so in den Mittelpunkt zu rücken. Wir kennen das Patientenverfügungs-Gesetz seit ungefähr zehn Jahren. Es liegt seit einigen Wochen die zweite, von unserem Ministerium in Auftrag gegebene Evaluierungsstudie mit Ergebnissen vor, die einen gewissen Handlungsbedarf zeigen. Dass erst 4 Prozent der Bevölkerung eine Patientenverfügung errichtet haben, das würde ich ein bisschen höher ansetzen, weil die beachtliche Patientenverfügung da nicht erfasst ist. Diese ist ja an wesentlich weniger Formvorschriften geknüpft, und es gibt sehr wohl eine gewisse Zahl an Patientenverfügungen – die man aber höchstens vage schätzen kann –, die eben von diesen in Registern festgehaltenen Verfügungen nicht erfasst ist.

Zum Zweiten hat sich in der Studie auch gezeigt, dass der Wissensstand der Bevölkerung deutlich angewachsen ist. Es kann also auch durchaus der Fall sein – was sich möglicherweise mit der Mentalität der Menschen in Einklang bringen lässt –, dass man zwar davon weiß, aber in diesem Land üblicherweise die Gedanken an den Tod verdrängt. So könnte das Wissen über die Patientenverfügung mittlerweile durchaus verbreitet sein, aber es könnte auch der österreichischen Seele entsprechen, sich im nächsten Moment geistig wieder mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Nichtsdestotrotz will ich die paar Minuten, die mir eingeräumt sind, doch zu weiterführenden Gedanken verwenden, wie der Zugang erleichtert, die Verbreitung verbessert werden könnte.

Das sage ich jetzt als Leiter der Rechtssektion im Gesundheitsministerium, ohne einen Auftrag meines Ministeriums zu transportieren; es handelt sich hier um Gedanken von jemandem, der gemeinsam mit den Kollegen vom Justizministerium intensiv in den Gesetzwerdungsprozess eingebunden war. Ich meine, es könnte sich die Frage stellen, ob die Erneuerung der verbindlichen Patientenverfügung künftig an die gleichen Formkriterien juristischer Art gebunden sein muss.

Ich denke, dass sich jemand, der mit juristischer Aufklärung eine verbindliche Verfügung errichtet hat, nach fünf Jahren wohl noch daran erinnern wird, was ihm an juristischer Belehrung zugekommen ist, sodass es nicht unbedingt notwendig ist, sämtliche formalen juristischen Kriterien wieder zu durchlaufen. Und ändert sich der Zustand, dann gilt die verbindliche Verfügung ohnehin über diesen Zeitpunkt hinaus als verbindlich. Das würde Zeit und Kosten reduzieren und möglicherweise die verbindliche Verfügung doch attraktiver machen.

Ein weiterer Punkt, den man künftig diskutieren könnte, ist, den Kreis der Institutionen, der zur Errichtung verbindlicher Verfügungen infrage kommt, zu erweitern, das Spektrum über die Patientenanwaltschaften, Rechtsanwälte und Notare hinaus zu erweitern, um damit auch Kosten und Wartezeiten zu reduzieren. Ein weiterer Gedanke, der mir in Vorbereitung auf den heutigen Vormittag gekommen ist, ist, gegebenenfalls auch die Gültigkeit der verbindlichen Verfügung über die derzeit festgelegten fünf Jahre hinaus zu verlängern.

Eine Umfrage – ganz aktuell, von Mitte dieser Woche – hat das Ergebnis gebracht, dass sich mittlerweile alle Patientenanwaltschaften in diesem Land für die Errichtung von verbindlichen Patientenverfügungen zur Verfügung stellen, aber die Wartezeit aufgrund der Ressourcen außerordentlich unterschiedlich ist, zum Teil mehrere Monate beträgt. Es wäre daher schön, wenn es gelänge, den Patientenanwaltschaften die notwendigen Ressourcen zukommen zu lassen. Das bedarf entsprechenden Engagements auf Landesebene.

Die Frage, ob es klug ist, die Unterscheidung zwischen beachtlicher und verbindlicher Patientenverfügung zu verändern, sei auch in den Raum gestellt, weil das möglicherweise vor allem bei den angesprochenen Angehörigen der Gesundheitsberufe einigermaßen zu Verwirrung führt. Einerseits die verbindliche, andererseits die beachtliche Verfügung – was ist denn da der Unterschied? In diesem Zusammenhang wäre Engagement vonnöten, das Wissen deutlich zu erweitern, um diverse Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Es ist nicht oberste Pflicht des Arztes, den Sterbeprozess zu verlängern. Ganz im Gegenteil! Er hat das Wohl des Patienten zu wahren, und das besteht sicher nicht darin, den Sterbeprozess zu verlängern.

Meiner Meinung nach soll die Patientenverfügung weiterhin eine Bringschuld sein, man kann Spitäler und ihr Personal nicht überfordern. Sollte es allerdings Indizien geben, dass es eine Patientenverfügung geben könnte, dann würde ich mir doch eine gewisse Unterstützung wünschen, auch seitens der Mitarbeiter in Spitälern. Wenn Indizien dafür vorliegen, sollte es möglich sein, sich an besuchende Angehörige zu wenden, um das zu hinterfragen.

Ich komme zum Schluss zum Sozialversicherungsrecht. Hier wird bisweilen – erst jüngst, ich glaube gestern – die politische Forderung erhoben, die Patientenverfügung solle insgesamt eine Aufgabe und eine Finanzierungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Also aus meiner Position gewinne ich diesem Gedanken eigentlich nichts ab, denn der österreichischen gesetzlichen Krankenversicherung die Pflichtaufgabe zukommen zu lassen, letzten Endes lebenslimitierende Maßnahmen zu setzen, das würde mich schon von der Optik her ein wenig irritieren.

Was selbstverständlich, vielleicht aber nicht ausreichend bekannt ist, ist, dass die Aufklärung eines sterbenden Patienten durch den Arzt – wenn dieser mit ihm über die weiteren Phasen seiner todbringenden Krankheit spricht – eigentlich in die Kategorie ärztliches Gespräch fallen muss. Das heißt: Ärztliche Aufklärung bei einem ad mortem gehenden Patienten, die Schilderung der Möglichkeiten, was zu tun sei, was getan werden könnte und was vielleicht nicht mehr zu tun sei, wäre abgedeckt. Ob es weitergehende Maßnahmen für ein ärztliches Gespräch gibt, ob es da Zuschüsse geben soll, das wäre letztlich im ASVG klarzustellen. Zusammenhängend mit der Krankenbehandlung ist das aber gedeckt.

Zu den Möglichkeiten des Ministeriums ist zu sagen: Wir werden dafür sorgen, dass in der Fortbildung wirklich mehr getan wird, sowohl für Ärzte als auch für Angehörige anderer in Frage kommender Gesundheitsberufe. Ich selbst wurde eingeladen, im Februar in der Wiener Ärztekammer ziemlich ausführlich zu diesem Thema zu referieren. Unser Haus wird alles unternehmen, die Ärztekammern zu motivieren.

Schlussendlich kann man dieses Thema in den Aus- und Fortbildungsvorschriften diverser Gesundheitsberufe wahrscheinlich noch deutlicher positionieren, die wir ja auf Verordnungsebene regeln. – Ich danke für die Einladung und Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

*****

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer entschuldigt die Referentin Dr. Elisabeth Rech vom Österreichischen Rechtanwaltskammertag und erteilt Herrn Dr. Lunzer das Wort.

Dr. Michael Lunzer (Österreichische Notariatskammer): Ich danke Ihnen im Namen der Österreichischen Notariatskammer für die Möglichkeit, dass wir zum Thema dieser Enquete-Kommission Stellung nehmen konnten, und auch dafür, in diesem Rahmen heute hier sprechen zu dürfen.

Dieses Thema liegt den österreichischen Notarinnen und Notaren schon lange am Herzen, und zwar länger, als es gesetzliche Regelungen für Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten gibt. Wir haben schon vorher solche Urkunden errichtet, und begegnen seit jeher Menschen, die entweder selbst am Ende ihres Lebens stehen und Regelungen treffen wollen oder die vom Tod von Angehörigen betroffen sind. In der Begegnung mit diesen Menschen geht es natürlich oft um die Wahrung ihrer Würde, die ja durch vieles in Mitleidenschaft gezogen werden kann.

Ich darf daher behaupten, dass wir österreichische Notarinnen und Notare Experten in diesem Themenkomplex sind, und wir bringen diese Expertise gerne ein.

Der Gedanke der Patientenverfügung ist von dem Grundsatz getragen, dass der Wille der Patientinnen und Patienten und nicht der Wille der Behandelnden die Maxime der medizinischen Behandlung sein soll.

Freiheit und Autonomie sind stark zu schützende Grundrechte. Die Patientenverfügung trägt dem Gedanken der Wahrung der Autonomie Rechnung. Um, ganz allgemein gesprochen, autonom handeln zu können, muss man aber nicht nur die Voraussetzungen seines Handelns kennen, sondern auch dessen Konsequenzen. Aus diesem Grund sieht der Gesetzgeber bei der Errichtung einer Patientenverfügung intensive und verantwortungsbewusste medizinische und rechtliche Beratung vor. Ohne Kenntnis von Voraussetzungen und Folgen meiner Entscheidung kann ich nicht selbstbestimmt, frei und autonom handeln. Aus diesem Grund ist Beratung nicht Barriere, sondern die Wahrung eines Grundrechts, die Autonomie erst ermöglicht.

Wir Notarinnen und Notare als grundrechtswahrende Berater sitzen oft Menschen gegenüber, die Regelungen treffen wollen, weil sie voller Sorge über mögliches Leiden am Ende des Lebens sind, und sich wegen Patientenverfügungen an uns wenden. Die Patientenverfügung ermöglicht das Verbot bestimmter medizinischer Behandlungen für die Zukunft. Wenn diese Menschen nicht an klar verlaufenden schweren Krankheiten leiden oder aus religiöser Überzeugung bestimmte medizinische Behandlungen ablehnen, stellt es sich oft heraus, dass es schwierig ist, durch Verbote von Behandlungen für ungewisse zukünftige Situationen die Ängste dieser Menschen zu zerstreuen.

Wenn diese Menschen Zugang zu Personen haben, denen sie so sehr vertrauen, dass sie ihnen für diese ungewisse Zukunft die Vollmacht geben, sie zu vertreten und für sie Entscheidungen zu treffen, dann sind sie in der glücklichen Lage, den Weg einer Vorsorgevollmacht für medizinische und auch andere Angelegenheiten wählen zu können. Eine Vorsorgevollmacht ist auch für medizinische Maßnahmen, sei es Einwilligung oder Verweigerung, zulässig, und die Vertreter des kranken Menschen können nach eingehender Beratung mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzte in der konkreten Situation nach dem Willen des kranken Menschen entscheiden, wenn man ihn nicht mehr selbst fragen kann. – Dies zeigt, dass die Vorsorgevollmacht das flexiblere Instrument ist, um in schwierigen Situationen die Autonomie eines kranken Menschen, der nicht mehr selbst äußern kann, was er oder sie möchte, zu wahren.

Auch die Verfassung einer qualifizierten Vorsorgevollmacht bedarf der Beratung und der Erklärung der Voraussetzungen, der Umstände und der Konsequenzen. In Erklärung steckt „klar“, es soll also etwas klar sein beziehungsweise klargemacht werden. Und „klar“ hat auch etwas mit frei zu tun: Klarheit über Voraussetzungen, Umstände und Konsequenzen bilden die Grundvoraussetzung für eine frei überlegte Entscheidung. – So zeigt sich auch hier, dass verantwortungsvolle qualifizierte Erklärung Freiheit sichert, eine freie Entscheidung ermöglicht und so Grundrechtsschutz und nicht Barriere ist. Missbrauch von geschenktem Vertrauen ist leider immer wieder Thema. Aber auch davor kann qualifizierte Beratung und Errichtung von Vollmachten schützen.

Barrieren liegen viel eher in Unwissenheit und Schwellenangst. Die Unwissenheit liegt manchmal darin, dass jemand gar nicht weiß, dass es die Möglichkeit gibt, mit Vorsorgevollmachten oder Patientenverfügungen vorzusorgen, und manchmal auch darin, dass jemand nicht weiß, wie er oder sie zu solch einer Verfügung kommt oder wo Fragen zu diesen Instituten kompetent beantwortet werden. Manchen ist auch der Gedanke, zu einer Rechtsberatung zu gehen, bereits unheimlich. – Das zum Thema Schwellenangst.

Doch diese Barrieren können überwunden werden. Information ist möglich, und zwar auf breiter Basis und flächendeckend. Die Österreichische Notariatskammer ist dabei gerne bereit, seinen Teil zu breiter Information beizutragen.

Für die Vermehrung und Stärkung der Autonomie der Einzelnen, die dann auch zu einem besseren Schutz ihrer Würde führt, braucht es meiner Ansicht nach keine großen Gesetzesänderungen. Der Gesetzgeber des Sachwalterrechts-Änderungsgesetzes 2006 sowie des Patientenverfügungs-Gesetzes hat sich viel betreffend diese heiklen, komplexen Materien überlegt. Über weite Strecken wird es genügen, wenn wir den Geist, der im Jahr 2015 in diesen Gesetzen steckt, erkennen und nicht ausschließlich nach ihren Worten, sondern nach dem Geist, der nach heutigem Verständnis in diesen Gesetzen wohnt, handeln und ihnen so Kraft und Bedeutung verleihen. Dies wird das Streben nach Sicherung der Würde der Menschen am Ende des Lebens fördern. – Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir zugehört haben. (Beifall.)

*****

Dr. Gerald Bachinger (NÖ Patienten- und Pflegeanwalt): Ich werde heute in meiner Funktion als Sprecher der Patientenanwälte zu Ihnen zu sprechen und nicht aus einer regionalen Sicht als Patientenanwalt.

Die PatientenanwältInnen in Österreich sind mit den Patientenrechten laufend beschäftigt. Es ist das tägliche Brot der PatientenanwältInnen, dass sie Patienten beraten und auch bei Konflikten in dieser Hinsicht tätig sind.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt im Bereich des Selbstbestimmungsrechts und der Autonomie der Patienten, wobei ein besonderer Schwerpunkt beim Thema antizipierte Patientenverfügungen liegt.

Wir haben in den letzten Jahren seit Inkrafttreten des Patientenverfügungs-Gesetzes 5 752 verbindliche Patientenverfügungen rechtlich dokumentiert. Ich möchte Ihnen diese Gesamtzahl nennen, weil es auch sehr interessant ist, wenn man diese Gesamtzahl auf die einzelnen Patientenanwaltschaften in den Bundesländern umlegt. Dabei gibt es nämlich keine relative Übereinstimmung zwischen den Einwohnerzahlen und der Zahl der von den einzelnen Patientenanwaltschaften rechtlich beurkundeten Patientenverfügungen, sondern es bestehen da große Unterschiede.

Ich nenne als Beispiel drei Bundesländer, wo besonders wenige Patientenverfügungen gemacht werden: Im Jahr 2013 waren es in Kärnten drei, in der Steiermark vier und in Oberösterreich neun. Im Unterschied dazu finden wir sozusagen die andere Bandbreite bei den Patientenanwaltschaften in Niederösterreich mit 170, in Salzburg mit 248 und in Wien mit 381 Patientenverfügungen. – Betreffend die Frage, warum das so ist, schließe ich gleich an die Ausführungen von Sektionschef Aigner an. Näheres werde ich Ihnen dann noch als Punkt im Rahmen der Verbesserungspotenziale sagen.

Als Patientenanwälte sind wir grundsätzlich der Meinung – und wir hatten im Dezember eine Schwerpunkttagung zu diesem Thema –, dass dieses Mittel zur Vorsorge nach wie vor grundsätzlich eine sehr gute Kommunikationsbrücke für die Patienten und auch für die Angehörigen ist, damit in bestimmten Situationen, in welchen die Kommunikation eben nicht mehr funktionieren kann, der Informationsfluss trotzdem noch gewährleistet ist. Aus unserer Sicht haben sich die Patientenverfügungen und auch das Gesetz im Grunde genommen durchaus bewährt, wenn auch nicht quantitativ, denn auch ich bin der Meinung, dass wir viel zu wenige Patientenverfügungen haben, aber doch qualitativ, was die rechtliche Ausgestaltung betrifft. Es gibt – und wir hatten darüber, wie gesagt, eine sehr intensive Diskussion sowie einen einstimmigen Beschluss – aus unserer Sicht fünf Punkte, die wir als Verbesserungspotenziale in Hinblick auf die weitere rechtliche Diskussion geortet haben. – Bevor ich zu diesen fünf Punkten komme, möchte ich aber noch etwas anderes betonen: Wir unterstützen als Patientenanwälte auch Hospiz, Caritas, Diakonie, wenn es darum geht, dass diese Einrichtungen die notwendigen Ressourcen für Palliativversorung, Hospizversorgung und Ähnliches bekommen. Das möchte ich wirklich ganz an den Anfang rücken, weil auch das für uns eine wichtige flankierende Maßnahme für die Patientenverfügungen ist.

Nun zu folgenden fünf Punkten: Erstens: Nicht alle PatientenanwältInnen können, auch wenn sie das wollen, verbindliche Patientenverfügungen in entsprechendem Ausmaß beurkunden. In den drei Bundesländern, die ich Ihnen genannt habe, liegt der Grund nicht darin, dass die KollegInnen das nicht täten oder irgendeine Reservation dagegen hätten, sondern es geht schlicht um die ausreichenden Ressourcen. Das heißt, in diesen drei Bundesländern wird teilweise auch abgeklärt, ob soziale Bedürftigkeit besteht, und nur bei sozialer Bedürftigkeit können verbindliche Patientenverfügungen für Patienten rechtlich dokumentiert werden.

Daher richte ich von meiner Seite einen klaren Appell an die Länder, dass in allen Bundesländern auch ausreichende Ressourcen für die Beratung und auch für die rechtliche Dokumentation durch die PatientenanwältInnen vorhanden sind!

Zweiter Punkt: Im Zusammenhang mit finanziellen Hürden schließe ich an Sektionschef Aigner an: Für mich sind die Verfassung von Patientenverfügungen und auch Vorsorgevollmachten die Ausübung eines Menschenrechtes beziehungsweise eines ganz grundlegenden Rechtes für Menschen, und das sollte nicht von Einkommens- und Vermögensverhältnissen oder Ähnlichem abhängig sein. Im Hinblick darauf sind wir sehr dafür, dass die finanziellen Hürden, die vor allem im Bereich der ärztlichen Beratung bestehen, vollständig abgebaut werden.

Unser Vorschlag wäre aus rein pragmatischen Gründen, weil das die einfachste Lösung ist, dass die Sozialversicherungen das übernehmen. – Ich weiß natürlich, dass es eine Honorarposition „ärztliches Gespräch“ gibt, aber im Hinblick auf die Höhe dieser Honorarposition gibt es nur sehr, sehr wenige Ärzte, die wirklich eine tiefgehende ärztliche Beratung der Patienten durchführen.

Ich schließe aber auch meinen Dank an die Ärzte an, die von den Patienten gar nichts für ein solches Gespräch verlangen, weil sie meinen, dass sie zum Beispiel schon seit 20 Jahren der Hausarzt einer Person sind und das deshalb tun. Trotzdem glaube ich, dass man für alle Situationen zu einer gerechten finanziellen Lösung kommen sollte, und ich meine, wie gesagt, dass es die einfachste Lösung wäre, wenn das über die Sozialversicherung beziehungsweise die Krankenversicherungen läuft.

Dritter, sehr wichtiger Punkt: Evidenzhaltung von Patientenverfügungen. – Es ist sehr gut, dass es diesbezügliche Register der Rechtsanwälte und Notare gibt, keine Frage. Trotzdem ist das aus unserer Sicht nicht die beste Lösung. Die beste Lösung wäre es, wenn möglichst schnell das Thema ELGA mit der Applikation für die Patientenverfügungen umgesetzt wird, und in diesem Zusammenhang plädieren wir dafür, dass man von einer Bringschuld der Patienten zu einer Holschuld der Einrichtung übergeht, weil es ja über ELGA und die Applikation eigentlich keine Hürden mehr für die Krankenanstalt oder für andere Einrichtungen gibt, auf die Patientenverfügungen zuzugreifen.

Vierter Punkt: Es soll mehr Information für die Bürger geben, damit das Bewusstsein für Patientenverfügungen geschärft wird, sowie Ausbildung und Fortbildung für das Gesundheitspersonal. – Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt.

In meinem fünften Punkt möchte ich darauf aufmerksam machen, dass wir sehr dafür plädieren – weil wir es auch so sehen, dass Patientenverfügungen nur eine Methode beziehungsweise nur ein Instrument sind und Vorsorgevollmachten für bestimmte Situationen eine bessere Lösung als Patientenverfügungen sind –, dass auch Vorsorgevollmachten für medizinische Angelegenheiten durch die Patientenanwaltschaft gemacht werden können, weil eine Kombination dieser beiden Instrumente für viele Lebenssituationen die richtige Lösung darstellt.

Erlauben Sie mir nun noch eine letzte Bemerkung, weil ich dann leider aus medialen Gründen weggehen muss und beim dritten Themenblock unsere Stellungnahme nicht mehr abgeben kann: Wir haben als Patientenanwälte einen ganz eindeutigen und klaren Beschluss gefasst, der einstimmig war. Wir sind dezidiert dagegen, dass ein strafrechtliches Verbot der Tötung auf Verlangen von einfachgesetzlicher Ebene in den Verfassungsrang gehoben wird. Das wollte ich Ihnen sozusagen noch mitgeben. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

*****

Dr. Sigrid Pilz (Wiener Pflege- und Patientenanwältin): Ich habe nicht sehr viel Ergänzendes zu dem zu sagen, was mein Kollege Bachinger schon hinsichtlich unserer Position zur Patientenverfügung gesagt hat, teile aber auch die kritischen Anmerkungen des Herrn Sektionschefs Aigner hinsichtlich der Reichweite und Wirksamkeit von Patientenverfügungen.

In Deutschland ist die Situation ein bisschen anders, aber das, was in einer deutschen Studie festgestellt wurde, trifft in weiten Bereichen durchaus auch für Österreich zu: Patientenverfügungen sind wenig verbreitet. Sie sind häufig bei Bedarf nicht zur Hand, sie sind selten aussagekräftig und oft nicht verlässlich, und sie bleiben vom medizinischen Personal häufig unbeachtet.

Zum letzten Punkt kann ich Ihnen eine sehr eindrückliche Erfahrung selber schildern: Ich war, als ich meine Antrittsbesuche in den öffentlichen Spitälern gemacht habe, auch in einem sehr großen Haus und habe dort mit dem Ärztlichen Direktor unter anderem über Patientenverfügungen gesprochen. Darauf hat dieser gesagt: Kommen Sie mir nicht damit! Bei uns werden Patientenverfügungen – Originalton – ignoriert. – Ich habe dann kurz mit ihm gestritten und ihm mitgeteilt, dass ich meine, dass Gesetze auch vom Ärztlichen Direktor eines großen Hauses einzuhalten sind. In der Folge habe ich dem Träger des Hauses einen Brief geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen. Es gibt also in diesem Zusammenhang sehr wohl noch hinhaltenden Widerstand, über den wir reden müssten!

Sehr wenige Patienten haben eine Patientenverfügung errichtet, und es sind, aus der Praxis meiner Einrichtung gesehen, auch eher die Gebildeten, die das tun. Ich bitte Sie, dass Sie jetzt bei einer indiskreten Übung mitmachen, ich mache selbst auch mit, auch ich komme in diesem Zusammenhang sozusagen aus dem Gebüsch. Sie sind alle gebildet. Sie wissen, was eine Patientenverfügung ist. Wer von Ihnen bereits eine Patientenverfügung errichtet hat, möge die Hand heben. (Einige der Anwesenden heben ihre Hände.) – Na ja, wir kommen vielleicht doch über 4 Prozent, aber wir bleiben auf jeden Fall unter 30 Prozent. Ich habe die Hand nicht gehoben, ich habe auch keine Patientenverfügung.

Es erhebt sich also die Frage: Warum ist das so? – Ich halte die Patientenverfügung für ein richtiges und gutes Instrument. Aber wenn man noch gesund ist und der Tod und das Elend, das einen vielleicht erreichen könnte, noch fern sind, dann sind andere Dinge wichtiger. Das heißt, wir erreichen die Menschen nicht und wir können ihnen nicht vermitteln, welche sinnvollen Möglichkeiten es hier gibt.

Seit rund 20 Jahren wird daher, weil die diesbezügliche Situation weltweit ja nicht sehr unterschiedlich ist, an konzeptionellen Alternativen gearbeitet. Ich beziehe mich in dieser Hinsicht im Wesentlichen auf die USA, wo es „Advance Care Planning“ gibt, beziehungsweise auf Deutschland, wo das Projekt „beizeiten begleiten“ heißt: Dort wurden bereits Alternativen entwickelt, bei welchen die Patientenverfügung nicht als eine punktuelle Feststellung dessen, was jemand nicht will und auch künftig nicht will, definiert wird, sondern ein Prozess in Gang gesetzt wird, im Zuge dessen sich auch etwas ändern kann, in den auch die Pflege involviert ist und in dem darüber geredet wird und die Menschen ein Bild beziehungsweise eine Meinung darüber entwickeln können, was sie möglicherweise hinsichtlich einer Krisensituation betreffen kann.

Damit kommen wir weit weg von dem, was wir jetzt diskutieren, nämlich immer nur diese End-of-Life-Situation. Es kommen nämlich vermehrt auch Patientenverfügungen in die Patientenanwaltschaften, in welchen Menschen zum Beispiel festhalten, dass sie anorektisch sind und nicht ernährt werden wollen oder als psychiatrische PatientIn etwas dieses oder jenes Medikament nicht bekommen wollen. – Auch das ist eine Herausforderung für die Ärzteschaft.

Zum Schluss noch die Erfahrungen, die wir in der Patientenanwaltschaft machen: Good News! In Wien haben wir zurzeit genug Ressourcen. Man wartet höchstens 14 Tage. In ganz extremen Ausnahmefällen sind wir auch schon einmal in ein Krankenhaus gegangen, wenn jemand vor einer Operation in großer Not ist. In einer solchen Situation wollen wir die Menschen nicht im Stich lassen.

Wir stellen aber fest – und das ist auch gut –, dass die Ärzteschaft besser informiert ist und manche der Patientenverfügung neutral und einige auch schon sehr positiv gegenüberstehen. Sie stellen nicht nur aus Paternalismus in den Vordergrund, dass sie sozusagen sowieso alles besser wissen müssen. Nein! Diesbezüglich ist wirklich auch etwas angekommen: Respekt vor der Selbstbestimmung.

Wir sehen aber, dass dem ärztlichen Aufklärungsgespräch oft viel zu wenig Zeit gegeben wird. Das hat etwas mit Kosten zu tun, und insofern, Herr Sektionschef Aigner, wird gutes Zureden nichts nützen, sondern da werden wir Geld in die Hand nehmen müssen! Wir sehen aber auch, dass es immer wieder widersprüchliche Angaben in Patientenverfügungen gibt, oder dass zum Beispiel der zweite Teil der ärztlichen Bestätigung nicht ausgefüllt wurde, in dem steht, dass der Patient die Folgen richtig einschätzen kann. Es wäre gut, wenn es so wäre, dass man auch einen konkreten Bezug zu einer Grunderkrankung machen kann, wenn diese der Grund für eine Patientenverfügung ist.

Ich kritisiere, dass wesentliche Zielgruppen nicht erreicht werden, Migranten kaum bis nicht, dass wir demente Menschen für die Patientenverfügung sozusagen verloren haben – daher auch mein Appell für diesen Vorsorgedialog. Ich meine, dass wir klinische Ethikberatung etablieren sollten, in der alle interdisziplinär handelnden Gruppen dabei sind, wo man Angehörige einbeziehen kann, wo man auch darüber sprechen kann, wie die Patientenverfügung umzusetzen ist.

Allerletzte Anmerkung: Ich bin sehr für die Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten. Ich schließe mit folgendem Beispiel, weil es mich so sehr beschäftigt: Ein alter Herr, dement, über 80, stürzt, hat einen Oberschenkelhalsbruch. Seine Tochter bringt ihn ins Spital. Es ist ganz klar, er muss operiert werden. Beim Röntgen wehrt er sich, weil es ihm wehtut. Daraufhin – in Wien passiert – sagt das medizinische Personal, der Patient gibt keine Einwilligung in die Behandlung. Wir können ihn nicht operieren. Fragt die Tochter: Geht’s noch? Es gibt keine Alternative dazu. Das ist auch medizinisch außer Streit gestanden. Es war Freitag. Man hat ihn schmerzversorgt, hat bis Montag gewartet, um bei Gericht eine Sachwalterschaft anzuregen, die dann am Donnerstag erfolgt ist. Und der Sachwalter hat die Operation genehmigt.

Aus diesem Dilemma hilft keine Patientenverfügung. Dass man sagt: Behandeln Sie mich gut, wenn es nötig ist!, das ist ja das, was man vermutet. Insofern würde eine Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten helfen. – Danke schön. (Beifall.)

*****

Univ.-Prof. Dr. Ernst Berger (Facharzt für Psychiatrie und Neurologie): Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich habe in der Vorbereitung dieses Statements den Entschluss gefasst, hier keine einfachen Antworten zum Thema Patientenverfügung zu geben. Ich habe mich entschlossen, Zweifel und Problemfelder aufzuzeigen. Lassen Sie mich meinen Grundgedanken dabei vorwegnehmen! Für mich steht der Dialog zwischen Arzt und Patient in all diesen Situationen, auch am Ende des Lebens, im Zentrum. Ich denke, wir müssen versuchen, alles zu unternehmen, diesen Patienten-Arzt-Dialog zu stärken.

Meine Zweifel und Darstellung von Problemfeldern beruhen auf meiner jahrzehntelangen Arbeit im beruflichen Feld mit diesen Themen, aber lassen Sie mich noch ein mir auch wichtiges Thema vorwegnehmen. In dieser jahrzehntelangen Arbeit habe ich auch viel mit Menschen mit Beeinträchtigungen gearbeitet. Ich habe dort verstehen gelernt, dass Menschen mit Beeinträchtigungen im Rahmen dieser Diskussion auch Sorge vor einer Diskussion über eine „neue Euthanasie“ haben, wie das immer wieder genannt wird. Ich habe Verständnis für diese Sorge.

Meine multiplen beruflichen, aber auch privaten Konfrontationen mit dem Sterbethema – ich habe es schon gesagt – sind der Ursprung des Zweifels. Als Psychotherapeut habe ich immer wieder in der Sterbebegleitung gearbeitet. Ich bin dort eigentlich immer dem Wunsch nach Leben und dem Wunsch nach Lebensqualität begegnet.

Ich habe, zweitens, aus dem privaten Bereich die Erinnerung an meinen Vater vor Augen, der mir berichtet hat, dass er als Häftling in zwei nationalsozialistischen Konzentrationslagern nie einen Suizidwunsch hatte, hingegen Jahre später mir selber gesagt hat, wenn er einmal gelähmt wäre, dann würde er sich erschießen. Nun: Die Realität war eine ganz andere. Er hatte im Jahr 2001 einen schweren Schlaganfall, hätte in der Zeit danach in schweren Lebenskrisen mehrfach die Möglichkeit gehabt zu sterben. Er hat aber vier Jahre lang um sein Leben gekämpft.

Ganz ähnlich sind die wissenschaftlichen Studien, die wir zum Thema Patientenwillen immer wieder lesen können. Ich erwähne eine davon: Auf einer Intensivstation wurden Erhebungen über die Stabilität des Patientenwillens gemacht. Ungefähr 20 Prozent der Patienten haben einen Verzicht auf Wiederbelebung mindestens einmal ausgesprochen, meistens in den ersten Behandlungstagen. Die weitere Beobachtung des Verlaufs zeigt, dass 56 Prozent davon diesen Wunsch dann wieder geändert haben; in einem Fall sogar bis zu 16 Mal.

Ein Beispiel aus meinem unmittelbaren Tätigkeitsbereich in der kinderneurologischen Rehabilitation: Ich bin dort nur ein einziges Mal dem Wunsch der Eltern nach dem Sterbenlassen ihres schwerbehinderten Kindes begegnet. Hingegen bin ich natürlich oft als Psychiater und Psychotherapeut mit Sterbewünschen konfrontiert gewesen. Das waren Suizidversuche von psychisch kranken Menschen. Die sind aber, ich weiß, hier nicht unser Thema.

Aus all dem gibt es für mich einen sehr klaren Grundgedanken, nämlich jenen über die Grenzen der langfristigen Vorgabemöglichkeit. Meines Erachtens sind die Möglichkeiten, subjektive Vorstellungen über das Leben unter den Bedingungen von Beeinträchtigung im Voraus zu entwickeln, sehr beschränkt, und, wie wir aus diesen Beispielen auch gesehen haben, auch einem häufigen Wechsel unterworfen.

Meine Position lautet: Ich bin der Meinung, dass sowohl dem Bild der Patientenverfügung als auch der Vorsorgevollmacht ein grundsätzliches Problem zugrunde liegt, nämlich die fiktive Annahme, dass die terminale Lebenssituation eines Menschen von ihm selbst vorausschauend oder auch durch andere verlässlich einschätzbar ist. Das ist meines Erachtens nicht der Fall. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass solche Entscheidungen – und jetzt komme ich zu diesem zentralen Thema des Dialogs – immer nur in einem dialogischen Prozess in der jeweiligen Situation getroffen werden können.

Natürlich ist es so, dass die Akzeptanz eines Sterbewunsches gegeben sein muss. Die Aufgabe des Arztes ist es aber zweifellos – da stütze ich mich auf den großen Medizinethiker Hans Jonas –, zum Leben zu helfen. Hans Jonas formuliert: „Der Tod muss die unbeeinflussteste aller Wählbarkeiten sein. Das Leben darf seine Fürsprecher haben.“

Ich muss aber auch feststellen, dass ich in der schon erwähnten Arbeit als Psychotherapeut in der Sterbebegleitung selbst auch zweimal an die Grenzen der Situation und dabei zu Überlegungen der Beihilfe zum Selbstmord gekommen bin – eine schwierige Situation.

Lassen Sie mich, bevor ich zu meinen abschließenden Bemerkungen komme, noch ein Wort zu meinem jahrelangen Tätigkeitsfeld in der kinderneurologischen Rehabilitation sagen! Dort besteht Ausbaubedarf – Ausbaubedarf in der Rehabilitation im Krankenhaus, Ausbaubedarf in der nachstationären Begleitung bis hin zu palliativen und Hospizeinrichtungen. Das brauchen wir. Wir brauchen strukturell für die Kinder nichts anderes als für die Erwachsenen, aber das muss ausgebaut werden.

In den vielen Gesprächen mit Juristen in den letzten Wochen ist meine Überzeugung gewachsen, dass von einem Regelungsbedarf dieser Thematik in der Verfassung keine Rede sein kann. Ich glaube, es gibt einen solchen Verfassungsregelungsbedarf nicht. Das, worum es geht, ist: Diskussion und Publizität für die vorhandenen Rechtsnormen für die Patientenverfügung, auch wenn sie nicht meine Lösung ist, und für die Vorsorgevollmacht, die meiner Meinung die beste von den derzeitig vorhandenen Regelungen ist, um das dialogische Prinzip am Ende des Lebens zu stützen.

Möglicherweise – und da rede ich von der Situation, die ich gerade erwähnt habe – ist es sinnvoll, über Neuformulierungen im Strafgesetzbuch über den Begriff der Beihilfe zum Selbstmord nachzudenken, dort, wo es um das Lebensende geht. Ich glaube, das ist ein Punkt, über den zu reden sein wird. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Dr. Gertrude Brinek (Volksanwältin): Meine Damen und Herren! Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“! Ich bin mit den Beschwerden und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger direkt konfrontiert. In der Tat: In Summe sind in den letzten Jahren Tausende Beschwerden eingegangen, natürlich nicht alle dieses Thema betreffend. Es waren aber mehr als Dutzende, in die Hunderte in die Richtung gehende Beschwerden über die Probleme, über die wir heute gerade reden.

Wie kann man Dispositionen treffen, damit man dann, wenn man nicht mehr voll über sich entscheiden kann, auf der sicheren Seite ist und dass das geschieht, was man gerne haben will? Diese Probleme drehen sich um Sachwalterschaft, um Vorsorgevollmacht, um Patientenverfügung und um alles in dem Zusammenhang Stehende, was heute schon angesprochen wurde.

Die Beschwerden kommen direkt von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, sie kommen aber auch von Angehörigen, weil sie in Sorge sind, sie kommen aber auch von Repräsentanten von Einrichtungen – alle, die heute schon erwähnt wurden –, sie kommen von der Verwaltung, sie kommen zum Teil auch von Richterinnen und Richtern selbst, vor allem dann, wenn es um eine Sachwalterschaft und deren Weiterentwicklung geht.

Ein parlamentarisches Sprichwort heißt: Es muss nicht von allen alles gesagt werden! – Daher halte ich mich kurz. An der Spitze steht ein großes Informationsdefizit – ein Informationsdefizit bezüglich der Patientenverfügung, der Vorsorgevollmacht: Was ist das? Was bedeutet das in Bezug auf die Patientenverfügung? Was bedeutet das in Bezug auf die Frage der Widerrufbarkeit – wann und wie? Ist diese terminale Verfügung – wie das Professor Berger bereits angesprochen hat – bei ausreichender Beratung überhaupt möglich? Was kann ich antizipieren? Was wird gesundheitlich mit mir, mit der Wissenschaft überhaupt sein, dass ich jetzt schon festlegen kann, was einmal geschieht und was nicht zu geschehen hat? Welche Konsequenzen sind mit diesen Instrumenten verbunden? Dazu gibt es weniges bis nicht ausreichendes Wissen.

Ich beziehe mich kurz ein, denn als frühere Abgeordnete im Nationalrat habe ich am Sachwalterrechts-Änderungsgesetz, am Patientenverfügungs-Gesetz und am Vorsorgevollmachtsgesetz mitgewirkt. Es wurden damals große und intensive Hoffnungen in dieses Gesetz gelegt, dass es ein breitenwirksames und bekanntes Mittel werden wird. Jetzt muss dahin gehend evaluiert werden, wovor oder wo wir stehen. Die Zahl der Abschlüsse, 4 Prozent, ist nicht befriedigend, das ist bereits angesprochen worden.

Die Schwierigkeit dieses Themas, weil es mit dem tabubehafteten Lebensende und die Dispositionen darüber verbunden ist, ist auch bekannt. Ich denke, dass es einen gesellschaftlichen, einen philosophischen Diskurs, wenn Sie so wollen – über das, was Sterben, Schicksal, Nicht-mehr-verfügen-Können bedeutet –, auch in einer bestimmten Assekuranzgesellschaft und in einer Gesellschaft, wo man alles machen und klären und definieren kann, geben sollte.

Worin liegt die Herausforderung? Diese Frage haben männliche und weibliche Profis aus allen Feldern schon gestellt. Die Komplexität des Ansinnens ist ein Problem; nämlich, dass als gesunder Mensch auf Jahre voraus über Schwächen, geistige und seelische Einbrüche beziehungsweise Heilbehandlungen zu diesen Einbrüchen disponiert werden muss, dass über potenzielle Krankheiten und über hochspezialisierte Behandlungsmethoden entschieden werden muss und deren Auswirkungen abgeschätzt werden müssen, was natürlich niemals in der Zeit möglich ist.

Ich halte aber auch fest, dass wir Beschwerden von Personen vorliegen haben, die an Stellen waren, die grundsätzlich Patientenverfügungen machen können, es aber zurückweisend an Aufklärung vermissen ließen, wenn Patientinnen und Patienten, Klientinnen und Klienten, BeschwerdeführerInnen kamen, dass eben deren Wünsche nicht angenommen wurden, dass ein Arzt sagte: Für diese Dinge habe ich keine Zeit. – Das finde ich bedauerlich, und an diesen Dingen muss gearbeitet werden.

Was ist also notwendig, um in Würde bis zum Schluss leben zu können? – Das ist das, was sich die Menschen wünschen. Sie wünschen sich keine Apparatemedizin – wie man früher klassischerweise gesagt hat –, sondern eine vertraute, familiäre Atmosphäre. So, wie sie auch zu Hause gepflegt werden wollen, wollen sie in Wirklichkeit auch am liebsten zu Hause sterben. Sie wünschen sich Aufklärung, Vereinfachung, Kostenreduktion, und in manchen Bereichen – und da bin ich jetzt bei dem, was der Nationalrat weiterentwickeln kann – die Weiterentwicklung im Sinne von all dessen, was wir schon gehört haben: Zugangsmöglichkeit erleichtern, Kostenreduktion, Informationspaket, eine One-Stop-Shop-Möglichkeit, dass man an einer Stelle alles erfährt, was auch die anderen Dinge tangiert.

Für die Reform des Sachwalterrechts, das gerade im Bundesministerium für Justiz diskutiert wird, wünsche ich mir, dass geklärt wird: Was ist, wenn eine aufrechte, bindende Patientenverfügung widerrufbar ist und in der Zwischenzeit ein Sachwalter bestellt wird? Wer darf widerrufen, wer darf nicht verlängern und so weiter? – All diese Fragen müssen geklärt werden.

Lassen Sie mich zusammenfassen! Ich sage: Lebenshilfe statt Sterbenshilfe, Einbettung der Patientenverfügung in die Vorsorgevollmacht. Die Hymnen, die zum Teil auch schon von Professor Berger und anderen gesungen werden, kann ich unterstützen. Ich bin selbst gerade in einem Verfahren – mit einer nahen Bekannten –, so eine Vorsorgevollmacht zu übernehmen, weil dies das Vertrauen und die Möglichkeit schafft, dann, wenn es so weit ist, im Sinne des Betroffenen Entscheidungen treffen zu können.

Es soll keine Vorsorgevollmacht ohne Patientenverfügung und keine Patientenverfügung ohne Vorsorgevollmacht geben, sondern ein Gesamtpaket.

Wichtig ist ein Ausbau der Information, die ein prozesshaftes, ein dialogisches Unterfangen ist und nicht eine Punktgeschichte. Den One-Stop-Shop habe ich schon angesprochen. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit bestehende Instrumente zu einem selbstbestimmten Leben leistbar und unkompliziert angeboten und umgesetzt werden können. Information und Promotion über bestehende Instrumente sind, auch behördlicherseits, notwendig. Wie das gelöst wird, muss parlamentarisch entschieden werden.

Es muss Selbstbestimmung erfahrbar und erlebbar gemacht werden, damit, wie gesagt, Lebenshilfe statt Sterbenshilfe stattfinden kann. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall)

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Primarius Univ.-Prof. Dr. Johannes Meran, MA (Facharzt für Innere Medizin): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! Die moderne Medizin hat uns Möglichkeiten eröffnet, die bisher undenkbar waren, und dennoch bleiben Krankheit und Leid Realitäten, die uns als Ärzten und Pflegenden, aber besonders den Patienten als Aufgabe gestellt werden. Wir dürfen nie vergessen, dass menschliches Leben eine Zeitgestalt hat, so auch der Lebensbogen mit dem Sterben ein natürliches Ende findet. Dieses Leben unserer Patienten ist uns in seiner ganzen Zerbrechlichkeit anvertraut und es geht darum, diese Aufgaben mit höchster Verantwortung und Respekt wahrzunehmen.

Menschliches Leben – das wurde schon gesagt, und das ist uns allen klar – ist kostbar und Träger der Würde, die als absolut und unantastbar gilt. Viele Menschen haben Angst, dass diese Würde in der letzten Lebensphase beschädigt werden könnte, dass der Kampf gegen die Krankheit – eine therapeutische Aggression – den Menschen dahinter vergisst.

Viele fragen sich: Was geschieht, wenn ich selbst nicht mehr entscheiden kann? Patientenverfügungen sind eine Möglichkeit, Einfluss darauf zu nehmen. Sie sind eingeschränkte Kommunikationsbrücken in die Zukunft, die Zustände erreichen sollen, in denen eine direkte Kommunikation nicht mehr möglich ist. Damit wird versucht, das Selbstbestimmungsrecht auf Situationen auszudehnen, in denen zumindest ein wichtiges Element der Autonomie fehlt: die aktuelle persönliche Entscheidungsfähigkeit.

In der medizinischen Praxis ergeben sich oft unvorhersehbare Situationen. Es wurde schon angesprochen: Dynamische Entwicklungen und verbindliche Direktiven geben eine starre, nicht immer passende Antwort.

Was können die Verfügungen in der Praxis leisten? Jede Therapie hat zwei Grundvoraussetzungen: die medizinische Indikation und die Zustimmung des Patienten. Patientenverfügungen können die Zustimmung zur Behandlung entziehen und damit die Behandlung begrenzen. Es geht hier also um die Bewertung der Therapie in zukünftigen Situationen. Dabei sind Patientenverfügungen immer interpretationsbedürftig, sie verknüpfen Behandlungsbegrenzungen mit wertenden Aussagen. In fast jeder Verfügung steht so oder ähnlich: Wenn sinnvolles Leben nicht mehr möglich ist, sollen künstliche Mittel nicht angewandt werden; oder: Wenn keine Aussicht auf Wiederherstellung besteht, soll dieses oder jenes, außerordentliche Maßnahmen, Intensivtherapie, manchmal auch ganz konkret Beatmung, Organersatztherapie nicht mehr angewandt werden. All das erfordert Einschätzungen und Wertungen. Erlauben Sie mir, meine Beobachtungen aus der täglichen Praxis zu schildern! Wir erleben Patientenverfügungen meist als Vehikel, um über das tabuisierte Thema Sterben zu reden. Patientenverfügungen sind in den seltensten Fällen hilfreich in klinischen Entscheidungssituationen. Die Variabilität des Lebens lässt sich nicht so einfach abbilden, aber sie lässt sich im Sinne und im Interesse des geäußerten Willens beeinflussen. Es ist für viele Patienten einfach beruhigend zu wissen, dass sie deponiert haben, wie sie sich das Sterben vorstellen, und es geht den wenigsten dabei um Details.

Mein Appell als Kliniker und auch als Palliativmediziner: Ermuntern wir Patienten, beachtliche Patientenverfügungen zu verwenden und nicht so sehr verbindliche! Beachtlich heißt nicht unverbindlich, aber sie sind einfacher erstellbar, direkter und leichter einsetzbar.

In unserer elektronischen Krankengeschichte gibt es einen Button, der auf jedem Blatt aufscheint, und dort ist vermerkt, ob eine Patientenverfügung vorliegt oder nicht. Dort kann man sowohl ausführliche Dokumente ablesen und abrufen, als auch kurze und prägnante Willensäußerungen des Patienten, die er zum Beispiel bei der Visite getätigt hat, festhalten. Diese pragmatische Verwendung hat sich in vielen Diensten und Situationen bewährt.

Vergessen wir nicht: Es geht bei den Patientenverfügungen und deren Umsetzung um eine fragile und vulnerable Lebensphase und im Letzten um das Ziel eines würdigen Sterbens. Jede Behandlung, jede therapeutische Maßnahme muss sorgfältig geprüft werden. Und es stellt sich immer die Frage: Ist es im Sinne des Patienten?

Patienten wurden – nachdem sie eine Verfügung ausgefüllt hatten – gefragt, wie strikt sie eigentlich diese Verfügung meinen. Die erstaunliche Antwort war, dass zwei Drittel der Patienten dem Arzt einen Spielraum in der Interpretation einräumen wollten. Insgesamt darf im Zusammenhang mit der Frage nach der Verbindlichkeit und Beachtlichkeit nicht vergessen werden, dass es sich um ein Hilfsmittel in einer notwendigerweise defizitären Situation handelt. Gegenüber dem Leitbild der aktuellen Selbstbestimmung bleiben alle denkbaren Alternativen zwangsläufig zurück.

In der Praxis lösen Verfügungen nicht die schwierigen Probleme mit entscheidungsunfähigen Patienten, sie können aber eine sinnvolle Hilfe sein. Ihr Wert für die konkrete Entscheidungshilfe hängt davon ab, ob sie durchdacht, hinterfragt, im dialogischen Prozess erarbeitet und sorgfältig produziert wurden. Sie sollten immer in den Prozess der ärztlichen Aufklärung eingebunden sein.

Eine noch so gute Patientenverfügung wird wenig helfen, wenn wir nicht eine Kultur der Palliativmedizin fördern und weiterentwickeln – mit einem Menschenbild der Wertschätzung und auch Respekt vor einem fragilen und beeinträchtigten Leben. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Dr. Artur Wechselberger (Präsident der Österreichischen Ärztekammer): Ich bedanke mich recht herzlich für die Einladung, hier sprechen zu dürfen. Ich werde mir erlauben, meine Ausführungen auf meine Erfahrung als Arzt für Allgemeinmedizin, der in seiner Ordination an der Errichtung von Patientenverfügungen mithilft und die Aufklärung für verfügungswillige Patientinnen und Patienten durchführt, zu stützen.

Ich bin einer der Ärztinnen und Ärzte, die Sie zum Beispiel auf der Homepage der Ärztekammer für Tirol finden können, wenn Sie einen Arzt suchen, der in Tirol Patientenverfügungen errichtet. Ich mache das schon seit Inkrafttreten dieses Gesetzes, und ich ermuntere meine Patientinnen und Patienten, Patientenverfügungen zu errichten. Ich habe selbst eine Patientenverfügung kombiniert mit einer Vorsorgevollmacht.

Die Anfragen zu Patientenverfügungen in einer Arztpraxis sind vielleicht etwas anders als die Anfragen in Krankenanstalten. Bei mir fragen hauptsächlich Personen eine Patientenverfügung nach, die zirka 50 Jahre aufwärts und gesund sind – meistens nach einem einschlägigen Erlebnis. Es kommen Patientinnen und Patienten zu mir und sagen: Ein Freund von mir hat einen Schlaganfall erlitten, und der Folgezustand ist fürchterlich. Herr Doktor, so möchte ich nie leben und nie enden! – Etwa so lauten die Aussagen.

Es kommen aber auch sehr viele ältere Ehepaare, bei denen beide Partner gesund sind, und die einfach sagen: Ich möchte meinem Partner im Anlassfall eine Entscheidung abnehmen. Es kommen gesunde ältere Personen nach Partnerverlust und sagen: Ich bin jetzt alleine. Ich muss vorsorgen, was mit mir am Ende meines Lebens passiert. Es kommen Patienten um Patientenverfügungen, die das aus religiösen Gründen machen. Es kommen einige, die das vor bevorstehenden Operationen machen, bei denen eine schwere Krankheit aufgetreten ist, und auch chronisch Kranke, bei denen der Verlauf der Erkrankung vorhersehbar ist.

Die meisten fragen eine verbindliche Patientenverfügung nach, weil sie hinsichtlich der Einhaltung ihrer Verfügung unsicher sind, weil sie den Behandlern gegenüber misstrauisch sind, oft aber auch aus Unkenntnis der Möglichkeit einer beachtlichen Patientenverfügung und aus Unkenntnis anderer Möglichkeiten zur Durchsetzung des Willens.

Noch etwas ist mir aufgefallen in all den Jahren: Die Errichtung einer Patientenverfügung ist in den seltensten Fällen ein Akt, der in einer Konsultation erledigt ist. Sie ist in den meisten Fällen ein Prozess. In den meisten Fällen beginnt man das Gespräch mit dem Patienten, und der Patient geht nach Hause und überlegt. Er kommt wieder, und man spricht weiter. Und nach mehreren solchen Kontakten hat man sich dann entschieden, welche Form der Willenskundgebung für den Einzelnen die beste ist, um seine Autonomie bewahren zu können.

Sie sehen also, es gibt ganz unterschiedliche Personengruppen, unterschiedliche Anlässe und eine große Differenziertheit bei denen, die eine Patientenverfügung abschließen wollen. Es ist ganz wichtig, diese Differenziertheit in der Beratung einfließen zu lassen. Deshalb ist es dann oft so, dass die Patienten vom Wunsch einer verbindlichen Patientenverfügung abrücken – im Regelfall, weil sie die Konkretheit der Situation nicht antizipieren können, weil es bei einem gesunden 50-Jährigen fast nicht machbar ist, zu sagen: Was lehne ich denn letztlich konkret ab? Man muss dann mit ihm Alternativen suchen.

Dahin geht auch mein Appell: Es sind oft die Zugangshürden, es ist die Angst vor einem Verwaltungsakt, die Angst vor Kosten, es ist oft der Informationsmangel, die jemanden von der Errichtung einer Patientenverfügung abhalten. Es ist eben die Schwierigkeit, eine konkrete Situation zu antizipieren und diese festzuschreiben. Daraus abgeleitet ist es unbedingt notwendig, mehr Information, mehr Bewerbung, aber auch niederschwellige Angebote – niederschwellig im Sinne von wenig Formvorschriften –, die die Leute selbst machen können, anzubieten. Dazu gehört am niederschwelligsten das Benennen einer Vertrauensperson, die Vertretungsbefugnis durch nächste Angehörige respektive die Möglichkeit des Widerspruchs gegen eine Vertretungsbefugnis, dazu gehört die Vorsorgevollmacht und die beachtliche Patientenverfügung.

Wir haben es heute schon mehrmals gehört: Ich glaube, ideal für viele Patientinnen und Patienten zur Durchsetzung der Interessen ist die Kombination einer beachtlichen Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht. Die Patientenverfügung, auch wenn sie beachtlich ist, kann einen hohen Konkretisierungsgrad haben und wird umso konkreter und verbindlicher. Ganz besonders wichtig ist, dass man diese Vollmacht auch findet. Wir brauchen ein Register, und zwar nicht nur für verbindliche Patientenverfügungen, sondern selbstverständlich auch für beachtliche Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten. – Danke vielmals, dass Sie mir zugehört haben. (Beifall.)

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Dr. Maria Kletečka-Pulker (Geschäftsführerin des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin): Herzlichen Dank, dass ich in meiner Funktion als Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethik und Recht in der Medizin nochmals zu Ihnen sprechen darf. Wie schon angesprochen, haben wir vor Kurzem die zweite Evaluierungsstudie zum Patientenverfügungs-Gesetz abgeschlossen, aber auch eine zweite Studie zur Vorsorgevollmacht.

Sektionschef Aigner hat Ihnen schon einige Ergebnisse mitgeteilt. Ich möchte nur ergänzen, dass sich die 4 Prozent leider auch auf die beachtlichen Patientenverfügungen bezogen haben. Grund dafür ist meines Erachtens auch, dass viele Leute zwar eine beachtliche Patientenverfügung haben, dies aber nicht wissen, weil wir für die beachtliche Patientenverfügung kaum Formvorschriften haben. So gilt es sehr wohl auch als beachtliche Patientenverfügung, wenn ich etwas mündlich in einem Arzt-Setting formuliere und das in der Krankengeschichte dokumentiert wird.

Meines Erachtens bedarf es vor allem Änderungen in rechtlicher Hinsicht – da sehe ich ein paar ganz klare Punkte – und in struktureller Hinsicht, nicht zuletzt natürlich auch hinsichtlich der Information der Bürger und Bürgerinnen; dies wurde schon mehrfach angesprochen, sodass ich darauf jetzt nicht näher eingehen möchte.

Was sind die rechtlichen Punkte? Es muss Rechtssicherheit geschaffen werden – Rechtssicherheit für Patienten und Patientinnen, damit sie wissen, dass ihrer Selbstbestimmung Rechnung getragen wird, aber auch für die Angehörigen der Gesundheitsberufe, die oft Angst haben, dem Willen des Patienten zu entsprechen, und in Sorge sind, dass sie vielleicht rechtswidrig handeln und gegen strafrechtliche Normen verstoßen. Dazu auch mein Vorschlag, eine entsprechende Verankerung im Ärztegesetz aufzunehmen, um den Ärzten Mut zu machen, sich an die Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten zu halten.

Erwähnt wurde auch schon die Etablierung von Ethikberatung und Ethikkonsilen am Institut. Diese werden zunehmend bei schwierigen Situationen hinzugezogen – auch in der Neonatologie, nicht nur bei alten Menschen –, in denen im Spannungsverhältnis zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung oft nicht klar ist, wie ernst der Patient das tatsächlich gemeint hat; oder man weiß gar nicht, wie der mutmaßliche Wille zu ermitteln ist.

Ein zweiter wichtiger Punkt wäre – und darüber könnte man schon intensiver nachdenken, Sektionschef Aigner hat es kurz angesprochen –, den Unterschied zwischen verbindlicher und beachtlicher Patientenverfügung aufzuheben. Wir haben – leider gerade auch in der Judikatur – gesehen, dass die beachtliche Patientenverfügung zunehmend weniger beachtet wird und Ärzte und Ärztinnen unsicher sind, ob die beachtliche Patientenverfügung eine qualifiziert beachtliche Patientenverfügung ist oder nur eine Orientierungshilfe. Diesbezüglich wäre die Überlegung, dass man die Schwelle insgesamt niedriger setzt. Viele sagen dann oft, dass sich natürlich die Frage stellt, wieweit das wirklich selbstbestimmt war. Selbstbestimmung bedeutet auch ein gewisses Risiko mit gewissen Nachteilen. Aber ich glaube, das wäre sehr überlegenswert und würde meines Erachtens auch Rechtssicherheit schaffen.

Wir haben in der Studie auch gehört, dass viele Patienten mit einer verbindlichen oder beachtlichen Patientenverfügung die Sorge haben, dass dieser nicht Rechnung getragen wird.

Ein weiterer Aspekt sind nicht zuletzt die Kosten der Errichtung – darüber haben wir schon gesprochen – und auch der Zugang zur Errichtung. Nicht alle Patienten sind mobil und können in die Landeshauptstädte zu den Patientenanwaltschaften fahren. Natürlich gibt es auch Rechtsanwälte und Notare, aber dies ist oft eine große Hemmschwelle, sodass ich eine Verankerung im Sozialversicherungsrecht sehr begrüßenswert fände. Generell müsste es mehr Raum oder auch mehr Abgeltung für das ärztliche Aufklärungsgespräch geben, nicht zuletzt auch alle fünf Jahre eine Einladung zu einem Vorsorgegespräch zur Selbstbestimmung, um bewusst darauf aufmerksam zu machen. Auch das wäre eine Möglichkeit.

Ein weiterer Vorschlag wäre, die Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten herauszubrechen und auch deren Errichtung zu den Patientenanwaltschaften zu geben, mit einer Hinweispflicht, zum Notar oder Rechtsanwalt zu gehen, um eine Vorsorgevollmacht in Vermögensangelegenheiten zu machen. Auch das wäre letztendlich für die Rechtsanwälte und Notare gut, weil der erste Schritt schon geschafft wäre und man gleich auch auf dieses wichtige Instrument der Vermögensangelegenheiten aufmerksam gemacht wird.

Nicht zuletzt bedarf es struktureller Änderungen, und da sind vor allem die Führungen in den Krankenanstalten und in den Geriatriezentren aufgerufen. Das Thema Selbstbestimmung ist ein Teil der Patientensicherheit und Mitarbeitersicherheit, und es muss zur Routine werden. Es ist Führungsaufgabe, dass strukturell danach gefragt wird und dass es in ein Krankenhaus-Setting eingebettet wird.

Ein ganz wesentliches Instrument ist der Vorsorgedialog, den ich sehr begrüße, der später vorgestellt wird. Viele haben Sorge, wenn sie Patienten fragen: Was sollen wir tun, wenn Sie nicht mehr ansprechbar und kurz vor dem Sterben sind? – Sie verängstigen die Patienten nicht. Es ist die Frage, wie man mit den Patienten darüber spricht. Letztes Mal, als ich mit dem Flugzeug geflogen bin, fiel mir auf, dass wir, kaum steigen wir auf, darüber aufgeklärt werden, was passiert, wenn das Schlimmste passiert – wenn wir abstürzen. Aber ich glaube, noch kaum jemand ist ausgestiegen aus Sorge, dass dieser Worst Case tatsächlich eintritt. Das ist umso erstaunlicher, da die Anzahl der Flugzeugabstürze Gott sei Dank sehr, sehr gering ist im Vergleich zu der Tatsache, dass wir alle sterben werden. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer weist darauf hin, dass die Impulsreferate von Herrn Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter und Frau Univ.-Prof. Dr. Gabriele Kucsko-Stadlmayer, die thematisch dem dritten Themenblock zuzuordnen sind, aus Termingründen vorgezogen werden.

Vorgezogene Impulsreferate zum Themenblock III

Univ.-Prof. Dr. Gabriele Kucsko-Stadlmayer: Vielen Dank, dass ich schon jetzt zu Ihnen sprechen darf. Das zu prüfende verfassungsrechtliche Vorhaben bezweckt offenbar, den Lebensschutz in Alter und Krankheit besonders abzusichern. Die Grenzen normiert das Völkerrecht, an diesem kann auch Verfassungsrecht nichts ändern.

Maßgebliche Normen finden sich vor allem in der Europäischen Menschrechtskonvention, dem für Europa zentralen Menschenrechtsdokument. Einschlägig sind darin zwei Artikel: Artikel 2, das Recht auf Leben, und Artikel 8, das Recht auf Achtung des Privatlebens. Diese stehen in heiklem Spannungsverhältnis zueinander: Während das Recht auf Leben die Staaten zum Lebensschutz verpflichtet, enthält jenes auf Privatleben ein Recht auf Selbstbestimmung, das gerade am Lebensende eine große Rolle spielt. Es berechtigt auch zur Wahl von Art und Zeitpunkt des eigenen Todes, vor allem, wenn man sein Leiden unwürdig oder qualvoll findet – so explizit die Rechtsprechung.

Die Pflicht zum Lebensschutz findet ihre Grenze in der Autonomie des Menschen. Eine Pflicht zu leben gibt es nicht. Den Verlauf der Grenze normiert das Zivil- und Strafrecht. Zum Lebensschutz verpflichten strikt im Strafgesetzbuch § 77, Tötung auf Verlangen, und § 78, Mitwirkung am Selbstmord. Dagegen gibt § 110, Eigenmächtige Heilbehandlung, Raum für Selbstbestimmung. Dieser dienen etwa auch das Institut der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht. Bei Anwendung dieser Regeln stehen Ärzte freilich oft vor belastenden Entscheidungen, ob im Einzelfall die Pflicht zum Lebensschutz oder das Recht auf Selbstbestimmung vorgeht. Besonders schwierig ist es, wenn der Patient keinen Willen mehr äußern kann.

Danach ist zum möglichen Verfassungsrang von Strafnormen wie Tötung auf Verlangen auszuführen: Nach der Rechtsprechung gibt es keine Pflicht des Staates, sogenannte aktive Sterbehilfe zu erlauben oder gar Mittel zum Freitod bereitzustellen. Artikel 2 EMRK verpflichtet die Staaten sogar dazu, verwundbare Personen –„vulnerable persons“ – gegen Selbstgefährdung und übereilten Freitod zu schützen. Eine ärztliche Verschreibungspflicht für tödliche Medikamente wurde in der Schweiz als zulässige Hürde angesehen. Verbote wie § 77 und § 78 StGB sind also nach der Konvention zulässig, und es wäre prinzipiell möglich, sie mit Verfassungsrang auszustatten.

Gegen die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme gibt es aber Bedenken. Erstens schützt Artikel 2 EMRK das Recht auf Leben ohnehin schon auf Verfassungsstufe. Im gleichen Rang gilt aber auch Artikel 8, das Recht auf Selbstbestimmung. Zusätzlicher verfassungsrechtlicher Lebensschutz würde diese Gleichrangigkeit verzerren, ein Gleichgewicht stören. Andere Rechte wären plötzlich untergeordnet – das Recht, medizinische Behandlungen abzulehnen, die Patientenverfügung, das Recht der Vorsorgevollmacht. Dies müsste man als Wertentscheidung zugunsten des Lebensschutzes deuten, wohl aber auch als Abwertung des Prinzips persönlicher Autonomie.

Kaum vermeidbar wäre eine restriktive Auslegung der Regelungen, die diese Autonomie schützen. Ärzte könnten verleitet sein, Verantwortung durch unverhältnismäßige Verlängerung des Sterbevorgangs zu vermeiden. Dadurch könnten österreichische und europäische Rechtslage auseinanderdriften, jedenfalls neue Rechtsunsicherheiten entstehen.

Diese Rechtsunsicherheiten brächten auch neue richterstaatliche Elemente in die Verfassung. Die doppelte Betonung des Lebensschutzes wäre Richtschnur für die verfassungskonforme Auslegung und würde den Gerichten neue Spielräume eröffnen. Entwicklungen der Rechtsprechung, die dem Parlament unerwünscht wären, wären schwer zu korrigieren. Auch der Verfassungsgerichtshof erhielte mehr Entscheidungsspielraum, er hätte die genannten einfachen Gesetze an der neuen Wertentscheidung zu messen. Das Parlament würde dabei die Rechtsentwicklung in einem der gesellschaftlich wichtigsten Themen der Gegenwart aus der Hand geben.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Verfassungsrang der genannten Strafnormen neue Probleme brächte und kein altes lösen könnte. Zu empfehlen wäre daher, es im Strafgesetzbuch zu belassen und nicht mit Verfassungsrang auszustatten.

Ähnlich gelagert ist das Problem bei einem sozialen Grundrecht auf würdevolles Sterben. Auch hier fließen Lebensschutz und Recht auf Selbstbestimmung direkt ineinander. Würde ist nämlich ein offenes Konzept, in dem auch widersprüchliche Wertungen Platz haben. Je nach der moralischen Präferenz des Betroffenen kann es Lebensverlängerung um jeden Preis bedeuten, aber auch das Verbot aussichtsloser Apparatemedizin oder sogar ein Recht, kostenlose Mittel zum Freitod zu erhalten.

Das gilt übrigens auch für das Grundrecht auf Menschenwürde, wie es in Artikel 1 der Europäischen Grundrechtecharta verankert ist. Obwohl dieser die Menschenwürde für unantastbar erklärt, erschöpft er sich nicht einseitig im Lebensschutz. Anerkannt ist, dass die Würde auch eine innere Komponente hat, die sich in der Selbstbestimmung ausdrückt.

Im Fall Pretty hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch die Lebensqualität unter dem Aspekt der Würde für relevant erklärt. Im Fall Haas 2011 ließ er es sogar dahingestellt, ob Artikel 8 EMRK nicht eine staatliche Pflicht enthalte, Maßnahmen zur Erleichterung eines Selbstmords in Würde zu treffen. Damit wäre auch das neue Grundrecht wertungsoffen und böte viel Spielraum für die Auslegung.

Dies stellt nicht die Möglichkeit dieses neuen Grundrechts, aber seine Zweckmäßigkeit in Frage. Kombiniert mit den geplanten verfassungsrechtlichen Strafnormen wäre es erstens fast zwangsläufig, das Grundrecht als Pflicht zur möglichsten Verlängerung lebenserhaltender Maßnahmen zu verstehen. Dies würde der Dimension des äußeren Lebensschutzes Vorrang geben und die innere Komponente der Würde verfehlen. So hätte es alle Nachteile, die schon zum Verfassungsrang von §§ 77 und 78 Strafgesetzbuch genannt wurden, und die Entscheidung darüber, was Würde ist, wäre weithin dem Verfassungsgerichthof überlassen.

Zweitens: Als echte Leistungsgarantie könnte das Grundrecht nur wirken, wenn sein Inhalt schon beim Inkrafttreten zumindest einfachgesetzlich geregelt wäre, sonst wäre es ein leeres Versprechen, das widersprüchliche und falsche Erwartungen weckt. Gelängen konkrete Leistungsrechte für Sterbende per Gesetz, wie es sehr wünschenswert wäre, die flächendeckende Palliativversorgung – es wurde heute schon mehrfach davon gesprochen –, dann wäre aber das Grundrecht kaum mehr nötig. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter: Die Prüfung der Verankerung des Verbots der Sterbehilfe steht erst am Nachmittag auf der Tagesordnung. Ich darf mich, ebenso wie meine Vorrednerin, sehr herzlich bedanken, schon jetzt zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Angesichts der Vielzahl an Experten, die heute im Laufe des Tages noch zur Verfassungsfrage Stellung nehmen werden, möchte ich mich auf zwei Fragen beschränken, nämlich erstens auf einen Blick auf die Anfänge der Diskussion hier in diesem Haus im Rahmen des Österreich-Konvents und zweitens auf Gründe und Kriterien für die Verankerung bestimmter mitunter durchaus wertbeladener Inhalte im Verfassungsrang allgemein.

Zum Ersten, zu den Wurzeln der heutigen verfassungsrechtlichen, verfassungspolitischen Diskussion. Der Österreich-Konvent beschäftigte sich in den Jahren 2003 bis 2005 unter anderem mit der Ausarbeitung eines möglichst geschlossenen Grundrechtskataloges. Diese Aufgabe wurde einem eigenen Ausschuss, dem Ausschuss IV, zugewiesen, dem Politiker und Experten verschiedenster Richtungen angehörten. In seiner Sitzung am 27. April 2004 beschäftigte sich der Ausschuss ausdrücklich und eigens mit dem Recht auf Leben und hier wiederum mit dem Verbot der Sterbehilfe. Das Ergebnis der Diskussion war kein völliger, aber ein weitgehender Konsens über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg, dass das Verbot der Sterbehilfe im Zusammenhang mit dem Recht auf Leben im Verfassungsrang verankert werden solle.

Artikel 2 der EMRK, Schutz des Lebens, eben angesprochen, könnte und sollte um einen Satz ergänzt werden, der das gesetzliche Verbot der Tötung auf Verlangen vorsehen könnte.

Eine Anlage zum Protokoll dieser Sitzung verweist auf einen Entschließungsantrag des Gesundheitsausschusses des Nationalrates aus dem Jahr 2001, in dem die Beibehaltung der ablehnenden Haltung gegenüber der aktiven Sterbehilfe, der Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung sowie die Verwirklichung der Karenz zur Sterbebegleitung angesprochen waren. Dieser Antrag wurde am 13. Dezember 2001 mit den Stimmen aller vier im Parlament vertretenen Parteien angenommen.

Der Ausschuss IV des Konvents war ferner überwiegend der Auffassung, dass neben einem verfassungsrechtlichen Verbot der Tötung auf Verlangen auch das Recht auf Sicherstellung der Voraussetzungen für einen würdevollen Tod verankert werden solle. Dazu sollte gehören ein flächendeckender Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung, die einen leichten und leistbaren Zugang gewährt, die bestmögliche Schmerzbehandlung, ferner die Sicherstellung von mobiler und stationärer Hospizversorgung, die Ermöglichung der Betreuung naher Angehöriger, unabhängig vom Einkommen.

Dazu gab es auch verschiedene Textvorschläge, ein Satz zur Konkretisierung staatlicher Leistungspflichten im Zusammenhang mit dem Recht auf „in Würde zu sterben“ wurde als erforderlich angesehen und sollte in Abstimmung mit Garantien für den Gesundheitsschutz angefügt werden.

Als Diskussionsbeitrag wurde ein Text folgenden Wortlauts vorgeschlagen: „Dies schließt das Recht auf bestmögliche Schmerzbehandlung ein. Die Betreuung durch Angehörige ist unabhängig vom Einkommen zu gewährleisten.“

Damit erreiche ich auch schon den zweiten Teil meines Statements. Ob man Inhalte wie die heute diskutierten im Verfassungsrang verankert oder nicht, ist primär keine Frage der Verfassungsrechtsdogmatik, sondern eine rechtspolitische Frage, die Sie hier zu entscheiden haben. Die Tatsache, dass es bereits eine weitgehende einfachgesetzliche Rechtslage gibt, ist ein zwingendes Argument weder für noch gegen die verfassungsrechtliche Verankerung.

Als Experte ist man versucht, einen vergleichenden Blick auf das übrige österreichische, aber auch das ausländische oder europäische Verfassungsrecht zu werfen. Ist es üblich, so ist zu fragen, entspricht es der österreichischen Verfassungstradition, Inhalte wie die heute Nachmittag diskutierten in die Verfassung aufzunehmen?

Stellt man diese Frage in Bezug auf die Stammfassung des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920, so lautet die Antwort: seinerzeit tendenziell nein. Das B-VG in seiner Stammfassung kannte weder einen eigenen Grundrechtskatalog noch ausführlichere Zielbestimmungen oder gar wertgeladene Gesetzgebungsaufträge.

Richtet man den Blick auf die jüngere Vergangenheit, so ist der Befund differenzierter. Grundrechtskataloge in der Mitte des 20. Jahrhunderts kamen noch mit rund 15 Artikeln aus; ich verweise auf die Europäische Menschenrechtskonvention oder das Bonner Grundgesetz in Deutschland. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren es bei der Europäischen Grundrechtecharta bereits 54 Artikel.

Der österreichische Verfassungsgesetzgeber war in dieser Hinsicht ebenfalls aktiv, und zwar auch schon in Zeiten vor dem Konvent, und selbst dann, wenn die Regierung keine Zweidrittelmehrheit im Parlament hinter sich wusste. Denken Sie an so wichtige jüngere Grundrechte wie jenes im Bereich des Datenschutzes, des Verbots der rassischen Diskriminierung, der persönlichen Freiheit oder zuletzt die Rechte von Kindern.

Auch jenseits der Grundrechte wurde vieles an Schutzgütern in die Verfassung geschrieben, das für das Funktionieren der Staatsorgane nicht unbedingt notwendig ist. Man denke an den verfassungsrechtlich verankerten Schutz der Umwelt oder den Schutz vor den Gefahren der Atomenergie und der Atomwaffen, um nur einige Beispiele zu nennen. Keine zwei Jahre ist es her, da fanden in einem eigenen Verfassungsgesetz das Prinzip der Nachhaltigkeit bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen, bestmögliche Lebensqualität zukünftiger Generationen bis hin zur Versorgung mit hochqualitativen Lebensmitteln oder der Tierschutz den Weg in die Verfassung. Der Verfassungsgesetzgeber hatte wohl gute Gründe für diesen Schritt, übrigens ebenfalls aufbauend auf Vorarbeiten des Konvents. Meine Damen und Herren! Nicht immer geht es nur darum, Regelungsinhalte der Disposition durch die einfache Parlamentsmehrheit zu entziehen. Oft ist der Akt der Konstitutionalisierung auch auf den Zweck gerichtet, Grundwerte sichtbarer zu machen. Die Verankerung der Menschenwürde in diesem Zusammenhang – diese mag im europäischen Trend liegen – erscheint mir aber grundsätzlich nicht erforderlich, um das rechtspolitische Ziel zu erreichen. Die Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen, das ist im Kern eine rechtspolitische Frage, die Sie vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen, aber auch geänderter Bedingungen und Möglichkeiten in der Gesellschaft und der medizinischen Wissenschaft zu entscheiden haben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Diskussion

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer leitet zur Diskussion zum ersten Themenblock Patientenverfügung über und erteilt als erster Rednerin Frau Abgeordneter Mag. Schwentner das Wort.

Abgeordnete Mag. Judith Schwenter (Grüne): Werte Expertinnen und Experten, danke für Ihre Beiträge. Vielleicht vorweg: Ich empfinde das wirklich als Privileg, es ist auch für uns nicht selbstverständlich, hier im Nationalratssaal so tiefgehende und ernste gesellschaftspolitische und fast philosophische Fragen zu diskutieren. Wir waren gerade mit dem Beginn des Lebens konfrontiert, und das auf sehr intensive und ernste Art und Weise, und jetzt mit dem Ende.

Natürlich sind wir alle, wie Herr Dr. Wechselberger das auch gesagt hat, biographisch beeinflusst. Und diese biographische Beeinflussung hat mich zum Beispiel zum ersten Mal mit diesem Thema konfrontiert, also nicht meine politische Funktion, sondern meine Biographie: Wie kann eine PatientInnenverfügung aussehen? Mein Vater ist Jurist und hat mir genau das, was jetzt als Empfehlungen da war, vorgelegt beziehungsweise mich damit konfrontiert, nämlich mit der Mischform einer beachtlichen PatientInnenverfügung und einer Vorsorgevollmacht. Es war nicht leicht, das zu unterschreiben, muss ich sagen, wenn man als Tochter damit konfrontiert wird. Ich gehöre selber zu jenen – danke, Sigrid Pilz, für dieses Spiel am Anfang –, die das trotzdem noch nicht gemacht haben. Vielleicht auch aufgrund der Scheu, wie Herr Dr. Aigner das formuliert hat, mich damit auseinanderzusetzen, dass auch mein Leben irgendwann zu Ende geht. Ja, ich stehe gefühlsmäßig noch mittendrin, aber bin wahrscheinlich auch gefragt, das einmal zu tun.

Zumindest sind wir jetzt politisch gefragt, und ich nehme da heute einiges mit an Informationen. Die Fragen waren von Ihnen sehr gut aufgefächert, und ich hoffe, dass wir in der Ernsthaftigkeit, wie das Thema jetzt hier behandelt wird, gerade was die PatientInnenverfügung und die Vorsorgevollmacht anbelangt, die Fragen klären: Wer wird künftig, vielleicht ausgeweitet, dafür zuständig sein? Gibt es mehr Ressourcen für die PatientInnenanwaltschaften? Mich würde auch interessieren, Herr Dr. Aigner, was Sie mit der Erweiterung der Institutionen meinen, die das machen könnten. Es geht natürlich um die Kosten: Wer wird die übernehmen? Werden das die Sozialversicherungsträger sein?

Es geht um die heikle Frage – da sind wir wahrscheinlich nicht ganz einer Meinung; ich habe dazu auch die Meinung vom Seniorenbund gehört –: Wird das über die e-card und ELGA abgerufen werden können oder nicht? Das wird eine Diskussion sein, die wir ebenso führen müssen.

Aber wesentlich wird sein: Wie wird informiert, wie sehr wissen wir darüber Bescheid, und wie sehr sind wir in der Lage, diese vermeintlich komplexe Materie, die aber dann doch, wie sich herausstellt, mit uns allen zu tun hat, so zu vermitteln, dass das nicht nur bei den Betroffenen, bei uns selber ankommt, sondern auch bei jenen – danke, Sigrid Pilz, dass du darauf hinweist –, die im Spital arbeiten und als Ärzte und Ärztinnen und Krankenpersonal damit konfrontiert sind, damit sie in der Lage sind, auch entsprechend darauf zu reagieren? – Also diese vielen Fragen nehme ich einmal mit.

Ich bin natürlich dafür, dass wir das vereinfachen, dass wir das möglichst kostenfrei gestalten und in einer Art und Weise regeln – daher sollten wir auch diesen Hinweis auf das Ärztegesetz mitnehmen –, dass das möglichst bei vielen in unserer Bevölkerung ankommt und künftige Abstimmungen nicht so ausfallen wie diese hier. – Danke. (Beifall.)

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Abgeordnete Mag. Michaela Steinacker (ÖVP): Meine Damen und Herren hier im Saal, in großer Zahl! Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen zuzuhören! Und die geschätzten Bürgerinnen und Bürger, die unsere Übertragung sehen, seien besonders herzlich gegrüßt.

Ich zitiere Henning Mankell, der gesagt hat: „Wissen ist das richtige Verständnis von Informationen.“ Darum geht es ganz besonders bei dem Thema, bei dem rechtlichen Thema, das wir heute diskutieren. Er hat seine Krankheit öffentlich gemacht, und für ihn war das Wissen um Möglichkeiten aufgrund seiner Krebserkrankung ein wichtiger Punkt.

Wir diskutieren heute Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, aber natürlich auch die gesetzliche Vertretung naher Angehöriger insgesamt. Unser Ziel ist es, diese attraktiver und bekannter zu machen. Diese Berührungsängste und Sorgen im Zusammenhang mit all den Verfügungen, die man da treffen soll, berühren uns und machen das Ganze, ohne ausreichend Wissen und Information zu haben, grundsätzlich nicht einfach.

Meine Damen und Herren, diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich, wenn Themen mich berühren, nicht nur dabei zusehe oder irgendwo so darüber rede, sondern ich habe – und da bedanke ich mich ganz besonders bei unserer Vorsitzenden und bei all denen, die dazu beigetragen haben, dass wir hier so tiefgründige Gespräche führen – diese Enquete-Kommission zum Anlass genommen, ganz bewusst Partner zu suchen, die mit mir ein Projekt initiieren. Ich darf Ihnen heute das Projekt, unsere Informationsoffensive „Vorsorgeservice“ vorstellen.

Ich bedanke mich bei den Vertretern der Notariatskammer und der Rechtsanwaltskammer, die gemeinsam mit mir ein durchdachtes, ganzheitliches Informationsprojekt vorbereitet haben. Dieses Projekt wird bereits im April starten und hat zum Inhalt, dass Rechtsanwälte und Notare mit Partnerorganisationen kostenlos und österreichweit in allen Bezirkshauptstädten Informationstage oder Veranstaltungen zum Thema Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung im Rahmen von Informationstransfer und Beratung anbieten werden.

Herr Präsident Lunzer, Sie sind heute hier. Die Präsidenten Wolf und Bittner waren natürlich bei diesen Gesprächen auch dabei. Die Kammern tragen dieses Projekt, weil es ihnen wichtig ist, ihre Verantwortung da auch wahrzunehmen. Und mir ist wichtig, österreichweit diese Informationsinitiative setzen zu können, um aus Informationen Wissen der Beteiligten zu machen.

Selbstbestimmung und Autonomie der betroffenen Menschen ist für uns ein Gebot der Stunde. In Bezug auf die Vorsorgevollmacht wollen die Menschen selbstbestimmt entscheiden: Wo werde ich wohnen? Wer kümmert sich um meine Bankangelegenheiten? Wo werde ich gepflegt? Der besondere Vorteil der Vorsorgevollmacht ist nun einmal, dass ich mir eine Vertrauensperson auswählen kann. Und diese Vertrauensperson – auch ganz besonders wichtig – kann sehr flexibel anlassbezogen und im Einzelfall entscheiden.

Das Thema Patientenverfügung ist vielleicht das persönlich noch schwierigere Thema, geht es ja dabei auch immer um Krankheit, um Hürden und Hemmschwellen, sich damit zu beschäftigen und vorab schon diesbezügliche Festlegungen zu treffen. Eines kann man natürlich damit hintanhalten: Das ist der Druck, der auf Patienten oftmals ausgeübt wird, wenn sie dann in dieser Krankheitssituation sind.

Ich bedanke mich bei den Expertinnen und Experten. Ich habe vieles an Themen und Fragestellungen mitgenommen: Kann die Fristenverlängerung einfacher sein? Soll es für beachtliche Patientenverfügungen ein Register geben? Was passiert, wenn der Sachwalter anders entscheidet, als in der Patientenverfügung festgeschrieben ist? Wir werden diesen Diskurs im Parlament weiterführen.

Noch ein inhaltlicher Gedanke zum Thema Vorsorgevollmacht: Wir diskutieren auch, ob man die Vorsorgevollmacht in etwas kleinere Teilgebiete teilen soll, um die Komplexität zu reduzieren. Denjenigen, die mit mir die Initiative starten, ein herzliches Dankeschön. Auf die Partnerorganisationen werden wir zugehen. – Danke. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Marcus Franz (STRONACH): Wir wollen mit dieser Enquete-Kommission und speziell heute mit dem Thema der Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht die Rolle des Patienten stärken und seine Mündigkeit hervorheben. Das ist pro futuro, glaube ich, eine großes Anliegen.

Was wir aber aus meiner Sicht zu wenig diskutieren und was von den Experten vor allem Herr Professor Berger angesprochen hat, ist die ganz zentrale Rolle des Arztes. Ich möchte den Arzt nicht wieder als den Gott in Weiß oder den Entscheider über Leben und Tod darstellen, sondern ich möchte den Arzt als Partner für einen Patienten in Not am Ende des Lebens sehen. Das kommt ein bisschen zu kurz. Warum kommt das zu kurz? – Weil der wesentlichste Faktor zwischen Arzt und Patienten Zeit heißt, und diese Zeit wird den Ärzten in den Institutionen, in den Krankenhäusern, in den Ordinationen durch die Bürokratie, durch Dokumentationswahn, durch juristische Ängste und vor allem auch durch eine mangelnde Honorierung des Zeitfaktors genommen. Arzt und Patient sind Opfer von technologischen, technokratischen Entwicklungen, auch wenn sehr vieles in der Medizin sehr toll, progressiv und modern zu sein scheint.

Wir alle lehnen Apparatemedizin am Ende des Lebens ab. Darin sind wir uns einig. Trotzdem wird der Apparatemedizin und der technologischen Seite der Medizin viel Raum zugemessen und es bleibt zu wenig Zeit, die die Ärzte für die viel diskutierte Zuwendung und das Gespräch über diese heiklen Themen brauchen. Darüber müssen wir im Rahmen dieser Enquete-Kommission auch nachdenken. Wir müssen die Arztzeit wieder aufwerten und vor allem ausdehnen, weil nur dann ein sinnvoller Dialog zwischen den Patienten/Patientinnen und den Ärzten/Ärztinnen entstehen kann. Nur dann kann man auch den vielen Sterbewünschen, die aus depressiven Gründen, aus Angst et cetera da sind, wirklich begegnen.

Ich habe selbst schon sehr viele Patienten erlebt, die diese Wünsche nach einem ausgedehnten, intensiven, empathischen Gespräch wieder abgelegt haben. Wir sollten uns deswegen viel mehr der ärztlichen Zeit, der Zuwendung und dem emphatischen Teil der Medizin widmen. – Danke schön. (Beifall.)

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Abgeordnete Katharina Kucharowits (SPÖ): Ich glaube, über den leichteren Zugang zur Patientenverfügung sind wir uns alle einig. Wir haben eigentlich fast schon von der 1. Sitzung der Enquete-Kommission an darüber gesprochen, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass es diese Instrumente gibt. Das bestätigen auch die Studien deutlich.

Ich glaube, dass die Themen PatientInnenverfügung, Vorsorgevollmacht und vor allem Selbstbestimmung mittlerweile präsenter sind. Wahrscheinlich, weil wir alle in den letzten Monaten als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren unterwegs waren, weil man es entweder proaktiv zum Thema macht oder es jetzt auch medial einfach präsenter ist. Ich bin mit diesen Diskussionen und diesen Themen immer wieder konfrontiert. Dieser Stein wurde durch die Enquete-Kommission ins Rollen gebracht. Ich finde, wir haben damit schon einen sehr wesentlichen Beitrag geleistet, den wir fortsetzen sollten.

Was wir in den Vorgesprächen und in den Diskussionen davor auch festgestellt haben, ist, dass die Leute mit den Begriffen „verbindlich“ und „beachtlich“ eigentlich nichts anfangen können. Wir wissen natürlich, dass die Begrifflichkeiten im Gesetz auf die Ärztinnen und Ärzte abzielen, aber die Frage ist, wo der Fokus liegen soll. Also ich finde, dass wir auch darüber diskutieren sollten. In Vorgesprächen fielen auch die möglichen Definitionen „allgemein“ und „speziell“, weil diese für die Leute vielleicht leichter verständlich sind. Aber das sind Dinge, die wir heute nicht entscheiden müssen.

Der nächste Punkt ist die Aufklärung. Zum Teil machen das auch Hausärztinnen und Hausärzte, jetzt stellt sich die Frage, ob man sie verstärkt in die Pflicht nehmen muss. Wir sind auch dafür, dass Aufklärung in allen PatientInnenanwaltschaften möglich sein soll, was den Ausbau der Personalressourcen und der finanziellen Ressourcen in allen neun Bundesländern bedeuten würde. Diese Forderung unterstützen wir auch ganz klar.

Dann gibt es noch den Aspekt der Vorsorgevollmacht. Unsere Fraktion ist dafür, dass das in Kombination mit einer PatientInnenverfügung passieren soll. Frau Volksanwältin Brinek meinte vorhin, auch umgekehrt. Bei der PatientInnenverfügung in Kombination mit Vorsorgevollmacht bin ich persönlich ein bisschen skeptisch, weil viele vielleicht gar nicht so ein Naheverhältnis haben und nicht wissen, auf welche Personen sie das übertragen sollen. Also mit dieser Frage sollten wir uns auch noch beschäftigen.

Und ganz zum Schluss: Ich bin der Ansicht, dass wir mit dieser Enquete-Kommission das Thema Sterben aus der Tabuzone herausgebracht haben – nämlich auch für jene, die nicht tagtäglich mit sterbenden Menschen konfrontiert sind. Wir haben auch zum Thema gemacht, wie man seinen Lebensabend selbstbestimmt verbringen kann. Die Leute setzen sich jetzt auch damit auseinander. Ich finde, dass wir einen wesentlichen gesellschaftlichen Beitrag geleistet haben, und ich wünsche mir einfach, das fortzusetzen. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ): Ich kann mich den Ausführungen meiner Vorrednerin und auch der Kollegin Schwentner anschließen, weil ich es sehr gut und sehr wohltuend finde, dass wir hier im Hohen Haus einmal derart gesellschaftspolitische Diskussionen auf einem aus meiner Sicht sehr hohen, sachlichen Niveau führen und versuchen, ein Thema, das uns alle einmal beschäftigen wird, sehr sachlich und, ich möchte sagen, fast emotionslos diskutieren. Das freut mich wirklich sehr.

Ich habe in den letzten Wochen, seit ich Mitglied dieser Enquete-Kommission sein darf, für mich selbst sehr viel erfahren – heute speziell über den Bereich Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Ich war davor zum Teil nicht davon überzeugt, dass die PatientInnenverfügung und die Vorsorgevollmacht tatsächlich gute Instrumente sind, um dem Menschen seine Selbstbestimmung am Ende des Lebens tatsächlich zu gewähren. Ich habe heute mitgenommen, dass diese beiden Instrumente durchaus dazu geeignet sind, den selbstbestimmten Weg eines Menschen auch am Ende seines Lebens zu gehen.

Von allen Expertinnen und Experten wurde heute auch angesprochen, dass es sehr wohl Verbesserungspotenzial gibt, vor allem was den Zugang zur Patientenverfügung angeht, wenn ich da nur an die Kosten denke, die sie für viele Menschen nicht leistbar machen. Dr. Pilz hat angesprochen, dass man eine gewisse Schicht von Menschen überhaupt nicht erreichen kann, weil sie die finanziellen Mittel dazu einfach nicht haben. Ich denke, wenn wir möchten, dass alle Menschen selbstbestimmt ihr Leben bis zum Lebensende leben dürfen, dann muss man diese finanziellen Hürden einfach beseitigen. Das ist für mich ein Punkt, den wir uns ganz, ganz dringend anschauen müssen.

Natürlich geht es auch um Information für die Menschen. Mir hat auch diese Aussage gefallen, in der angesprochen worden ist, dass die Autonomie auch dazu anleitet, sich der Konsequenzen bewusst zu werden. Den Menschen muss natürlich gesagt werden, dass man sich, wenn man über sein Lebensende verfügt, wenn man eine Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht unterschreibt, auch der Konsequenzen bewusst sein muss.

Ein weiterer Bereich, der mir ganz besonders wichtig zu sein scheint und den wir im Parlament auch verbessern sollten, ist die Möglichkeit der Registrierung. Man soll, wenn man eine Patientenverfügung macht, auch die Sicherheit haben, dass sie im Ernstfall im Krankenhaus tatsächlich auch angewendet wird. Deswegen denke ich, dass wir diese Punkte, die heute angesprochen worden sind, sehr ernst nehmen sollten.

Ich möchte mich abschließend noch ganz herzlich bei Frau Kucsko-Stadlmayer bedanken. Sie hat etwas gesagt, das mir sehr wichtig ist, nämlich, dass die Würde ein offenes Konzept ist, in dem auch Widersprüche erlaubt sind. Ich denke, dass wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier das bei der folgenden Diskussion unbedingt in unsere Überlegungen mit aufnehmen müssen.

Im Großen und Ganzen halte ich diese Enquete-Kommission für eine wirkliche Bereicherung für den Parlamentarismus, und ich freue mich darauf, dass wir mit den Ergebnissen, die aus diesen vielen Sitzungen resultieren, auch tatsächlich gute neue Regelungen für die Selbstbestimmung des Menschen am Ende des Lebens finden werden. (Beifall.)

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Fragen von Bürgerinnen und Bürgern

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer: Es haben sich 674 Bürgerinnen und Bürger an uns gewandt und uns ihre Anliegen gesandt. Die größte Sorge beim Thema Patientenverfügung sind die enormen Kosten.

Erste Frage: Das Recht auf eine solche Verfügung sollte allen Menschen gegeben sein und nicht nur einer bestimmten sozialen Schicht. – Wie schaffen wir das?

Es gibt auch viele konkrete Verbesserungsvorschläge der Bürger. Da heißt es: Das Vorliegen einer Patientenverfügung muss unbedingt standardmäßig bei der Aufnahme im Spital abgefragt werden. – Was sagen die Experten dazu?

Ich würde diese Frage gerne an Herrn Professor Meran weitergeben.

Primarius Univ.-Prof. Dr. Johannes Meran, MA (Facharzt für Innere Medizin): Bei uns werden Patientenverfügungen routinemäßig abgefragt. Das Wiener Krankenanstaltengesetz regelt klar, dass man Patientenverfügungen zu den Akten nehmen muss. Es war damit nicht so klar, wie sehr man sie beachten muss. Das Patientenverfügungs-Gesetz hat diese Sache klargestellt. Ich glaube, das sollte eigentlich Standard sein.

Zur zweiten Frage bezüglich der Kosten: Ich möchte noch einmal auf meinen Vorschlag zurückkommen. Eine beachtliche Patientenverfügung hat diese massiven Kosten nicht, weil sie mit jedem Arzt auch im Krankenhaus während der Visite oder auch in einem Gespräch erstellt werden kann und sozusagen einmal die Richtung des Patienten festlegt. Die wirklich verbindliche Verfügung, mit der ich eine ganz präzise Maßnahme ausschließe, ist aus meiner Sicht dann erforderlich, wenn man einen ganz konkreten Wunsch hat und eine bestimmte Therapie nicht möchte. Das klassische Beispiel ist der Zeuge Jehovas, der keine Bluttransfusion will. Ansonsten gibt es eine solche Breite von Möglichkeiten, dass es extrem schwierig ist, hier wirklich pro futuro festzulegen, was man nicht möchte.

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Sektionschef Hon.-Prof. Dr. Gerhard Aigner (Bundesministerium für Gesundheit): Ich wollte nur auf etwas hinweisen, was die Abfragemöglichkeit betrifft. Das ELGA-Gesetz sieht mit 1. Jänner 2017 die Verknüpfung der verschiedenen existierenden Register vor, damit wird es nach meiner Einschätzung diese Möglichkeit geben. Bis dahin scheitert das wahrscheinlich an den technischen Rahmenbedingungen, weil die Systeme noch nicht kompatibel sind. Auf der anderen Seite steht es einem Spitalsträger wohl frei, das abzufragen. Ich weiß aus eigener Wahrnehmung, dass es, wenn man in ein Spital aufgenommen wird, regelmäßig irgendwelche Bögen auszufüllen gilt, die abfragen, wer in bestimmten Situationen als Angehöriger zu verständigen ist. In dem Zusammenhang sollte es rein administrativ ein Leichtes sein, diese Fragestellung anzufügen – freilich auf eine Art und Weise, dass jemand, der zu einer harmlosen Behandlung ins Spital kommt, durch diese Fragestellung nicht völlig verschreckt wird.

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer: Sehr viele Bürger beschäftigen sich mit dem Spitalsalltag und ganz konkret: Haben die Ärzte überhaupt genügend Zeit, im Gespräch den Willen der Betroffenen zu erforschen?

Wie schaut es mit der Zeit der Ärzte für derartige Gespräche aus, Herr Präsident Wechselberger?

Dr. Artur Wechselberger (Präsident der Österreichischen Ärztekammer): Ich glaube, dafür muss Zeit sein. Ich denke, jede Organisationseinheit muss so eingerichtet sein, dass sie für so entscheidende Kommunikation mit Patientinnen und Patienten Zeit schafft. Diese Zeit muss in der Ordination möglich sein, und diese Zeit muss in den Krankenhäusern möglich sein. Und es ist nur ein Appell an all jene, die für die Organisation verantwortlich sind, auch diese Aspekte ganz besonders einfließen zu lassen.

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Fortsetzung der Diskussion

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer setzt die Diskussion mit den Wortmeldungen aus dem Plenum fort und erteilt Herrn Dr. Peintinger das Wort.

Univ.-Lektor OA Dr. Michael Peintinger (Österreichische Gesellschaft für Anaesthesiologie, Reanimation und Intensivmedizin): Aufgrund der Prallheit des Themas spreche ich nur einige Worte zur Patientenverfügung und später zur Vorsorgevollmacht.

Wir haben etwa 50 Patientenverfügungen pro Jahr, die alle erfasst werden. Bei uns wird selbstverständlich auch abgefragt, ob Patientenverfügungen vorliegen. Sie werden elektronisch erfasst, von der Ethikberatung durchgesehen und gegebenenfalls auch in Gesprächen mit dem Patienten ergänzt. Ich darf Ihnen dazu sagen, dass ein extremes Increasement hinsichtlich beachtlicher Patientenverfügungen vorliegt. Nicht zuletzt deshalb, weil sehr viele verbindliche Patientenverfügungen, die nach 2006 errichtet wurden, anschließend ausgelaufen sind und von den Patienten bewusst nicht mehr als verbindliche angesehen wurden, sondern so belassen wurden.

Da bin ich auch bei einem Problem, das ich immer wieder anspreche, nämlich der schleichenden Inkongruenz einer verbindlichen Patientenverfügung. Wenn man so viel Geld für eine Patientenverfügung ausgegeben hat und anschließend daran etwas ändern möchte, dann müsste man denselben Prozess wieder durchlaufen. Ein ökonomisch denkender Mensch lässt das zusammenkommen – nach drei Jahren hat er vielleicht einen Unfall, die Patientenverfügung wird feierlich als verbindlich entgegengenommen und stimmt eigentlich mit dem aktuellen Willen nicht mehr überein.

Daher breche ich eine Lanze für die beachtliche Patientenverfügung. Der Jurist Peter Barth hat schon sehr früh versucht, zwischen verbindlicher und beachtlicher zumindest sprachlich die „qualifiziert beachtliche“ hineinzuschmuggeln. Die beachtliche kann jederzeit geändert werden. Sie ist ein Lebensinstrument, mit dem man arbeiten kann. Aber auch die beachtliche Patientenverfügung braucht unbedingt die ärztliche Aufklärung. Nicht nur wegen der Folgenabschätzung, der Irrtümlichkeit, sondern in besonderer Weise auch deshalb, weil dadurch das Problem bei der Interpretation wegfällt, wenn Kollegen sich fragen, ob der Patient überhaupt gewusst hat, worum es da geht – auch wenn die Verfügung juristisch unterfertigt ist. Die ärztliche Aufklärung kann als Garant dafür gesehen werden. Ich kann Präsidenten Wechselberger zustimmen, dass nie nur ein Gespräch, sondern immer mehrere Gespräche stattfinden.

Auch die verbindliche Patientenverfügung ist nur so gut, wie sie einfach zu interpretieren ist. Ich kenne aus dem Alltag ausreichend viele verbindliche Patientenverfügungen, die sich nahezu gar nicht interpretieren lassen.

Zum Schluss noch ein Wort. Ich habe schon letztes Mal das Projekt im Bereich der Schule angesprochen, was hoffentlich aufgenommen wurde. 2008 habe ich namens meiner Institution versucht, beim Bundesministerium für Unterricht anzuregen, dass sich die Erwachsenenbildung dieser Thematik annimmt, und ich stehe da im gleichen Aspekt wie Patientenanwältin Pilz – auch ich habe nie eine Antwort dazu bekommen. Ich würde glauben, dass das auch ein wesentlicher Aspekt ist, der unserer Gesellschaft ausgehend von dieser Enquete-Kommission ein besonderes Anliegen sein sollte. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

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DGKS Karin Böck (Pflegedienstleitung Caritas Hospiz Wien): Neben meiner Funktion als Pflegedienstleiterin arbeite ich in der Pflege in einem mobilen Palliativteam in Niederösterreich. Ich stelle fest, dass wenige Menschen, die ich frage, ob sie eine Patientenverfügung haben, tatsächlich eine haben, auch wenn sie sehr wohl heute schon wissen, was eine Patientenverfügung ist. Sie denken aber natürlich in dieser besonderen Lebenssituation sehr darüber nach, was sie sich wünschen und was sie gerne ablehnen möchten und vor allem was sie fürchten. Aber in dieser besonderen Lebenssituation verlangt es ganz besonderen Mut, den Arzt oder die Ärztin zu fragen, was denn aufgrund der Erkrankung zu erwarten ist, was für belastende Symptome vielleicht auf einen zukommen, um dann auch gezielt bestimmen zu können, was möchte man für sich selbst.

Aber ich habe den Eindruck, dass es nicht nur für Betroffene und Mitbetroffene schwierig ist, darüber zu sprechen, sondern auch für PflegerInnen, ÄrztInnen und andere Berufsgruppen, vor allem jene in der Grundversorgung.

Es sind viele Unsicherheiten vorhanden, mit Menschen über die letzte Lebenszeit ins Gespräch zu kommen beziehungsweise eine Patientenverfügung sehr konkret anzusprechen. Vielleicht ist das sogar noch ein bisschen schwieriger, als das Hospiz- und Palliativteam anzubieten, was auch nicht einfach ist, aber da kann man das wenigstens so ein Stück wegschieben.

Aufgabe des begleitenden Teams im Hospiz- und Palliativbereich ist es, das vorbereitende, vertrauensgebende Gespräch zu suchen, weil dadurch Ängste angesprochen werden können, denn die Angst vor Schmerzen, die Angst vor dem Ersticken oder die Angst vor der Fremdbestimmung plagt diese Menschen, und ich erlebe manchmal sogar ein Stück dieses Plötzlich-in-Ruhe-Aufschauen-Können, wenn ich es anspreche.

Zusammenfassend: Patientenverfügungen dienen als wichtige Kommunikationsbrücke zu den begleitenden und behandelnden Berufsgruppen, vor allem natürlich der Medizin und Pflege. Eine Patientenverfügung kann Menschen dieses Stück Kontrolle zurückgeben, sodass sie mitbestimmen können. Sie ermöglicht dadurch Angstreduktion und gibt Sicherheit. Es fehlt aber aus meiner Sicht vor allem an Bewusstheit, an Information und auch an mutiger Gesprächsbereitschaft bei vielen Berufsgruppen der Gesundheits- und Sozialberufe. – Danke. (Beifall.)

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Univ.-Prof Dr. Andreas Khol (Präsident des Österreichischen Seniorenbundes): Meine Damen und Herren! Der heutige Vormittag war außerordentlich ertragreich. Es war wichtig, von verschiedenen Seiten den Stellenwert der Patientenverfügung bestätigt zu erhalten. Keine/r der Expertinnen oder Experten hat grundsätzlich die Patientenverfügung in Frage gestellt. Im Gegenteil, sie wurde überwiegend positiv beurteilt.

Es wurden Verbesserungsvorschläge gemacht. Ich nenne Patientenanwalt Dr. Bachinger, seine fünf Vorschläge kann ich persönlich zu hundert Prozent unterstreichen. Auch den Evaluierungsbericht, den Frau Dr. Kletečka dargestellt hat, kann ich zu hundert Prozent unterstreichen – ich habe auch meine Bedenken hinsichtlich der Unterscheidung zwischen beachtlicher und verbindlicher Patientenverfügung.

Herr Sektionschef Aigner, Sie haben das Thema Sozialversicherung im Zusammenhang mit der Kostentragung in Frage gestellt – so habe ich Sie jedenfalls verstanden. Als Mitglied der Trägerkonferenz des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, wo ich ehrenamtlich tätig bin, werde ich mich dafür einsetzen, dass die Krankenversicherung das Beratungsgespräch als eigene Tarifpost, die man jederzeit in Anspruch nehmen kann, bei den Kassenärzten verankert. Ich rege an, dass die Sozialversicherung einen Rahmenvertrag mit Notaren und Rechtsanwälten abschließt, sodass die Kosten des formellen Errichtungsaktes vor Notaren und Rechtsanwälten auch von der sozialen Krankenversicherung übernommen werden.

Es ist richtig, dass in der elektronischen Gesundheitsakte ab 1. Jänner 2017 die Registrierung auf der Gesundheitskarte vorgesehen ist. Bis dahin sind es noch zwei Jahre, und die Erfahrungen bisher mit ELGA waren, dass die Dinge später kommen, als sie angekündigt sind. Daher glaube ich, dass der Weg, den Sie, Herr Sektionschef Aigner, angedeutet haben und der von meinem Vorredner, Michael Peintinger, bestätigt wurde, nämlich die Registrierung bei der Aufnahme, ein wichtiger Weg wäre. Ich bedanke mich, dass die Notare und Rechtsanwälte bereit sind – Frau Mag. Steinacker hat darauf hingewiesen –, Informationsveranstaltungen in den Bezirken durchzuführen. Wir werden das von den Seniorenorganisationen natürlich unterstützen und bedanken uns dafür.

Zur Frage, was mit der Verfassung geschehen sollte, lassen Sie mich in der verbleibenden Minute auch noch Folgendes sagen: Ich stimme hier Christoph Grabenwarter zu, dass es eine rein politische Entscheidung, eine rechtspolitische Entscheidung ist, was man mit Verfassungsrang versieht und was nicht, wenn man die höherrangigen Normen im europäischen Recht natürlich beachtet. Ich glaube, dass der Nationalrat den Weg geöffnet hat. Vor eineinhalb Jahren hat er ein umfassendes Verfassungsgesetz zum Schutz der Lebensqualität, der Umwelt, des Trinkwassers, der Lebensmittel, auch zum Tierschutz, beschlossen. Und ich glaube, aus einem Größenschluss heraus – wenn man schon diese Dinge im Verfassungsrang schützt –, dass man die Würde des Menschen, das Recht auf Hospiz und Palliativmedizin und den Zugang dazu im Verfassungsrang verbürgen kann. Das ist eine ausschließlich politische Entscheidung, eine Frage Ihres Willens. Die Formulierung des Konvents, die ja im breiten Konsens erfolgte, wäre ein wichtiger Punkt.

Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass diese Veranstaltung, diese Enquete-Kommission einmal mehr gezeigt hat, wie wichtig und wie ertragreich dieses Instrument im österreichischen Parlamentarismus ist. Ich wünsche den Parlamentariern jetzt bei der Schlussphase, wo es um die Formulierung von konkreten Dingen geht, noch eine gute Hand. – Danke. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ): Ich möchte aus meiner persönlichen Warte festhalten, dass diese extrem wertvolle Veranstaltung insgesamt und daher auch die heutige Veranstaltung in Fortsetzung sehr viel zur allgemeinen Aufklärung und damit auch zur Stärkung der Position der Menschen hier im Lande am Ende ihres Lebens beigetragen hat und noch beitragen wird.

Im Beitrag von Präsidenten Khol habe ich möglicherweise etwas missverstanden. Ich habe die Ausführungen des Sektionschefs Aigner eigentlich so aufgefasst, dass darüber nachgedacht werden soll – und ich glaube, das ist auch hier bis dato nie bestritten worden –, dass die Sozialversicherung eine eigene Kostenposition für dieses Gespräch schaffen soll. Insofern habe ich den Widerspruch nicht ganz verstanden, wo Sie, Herr Khol, meinen, dass das nicht Fall wäre. Ich bin jetzt nicht ex offo Verteidiger des Herrn Sektionschefs Aigner, aber ich glaube, Dinge, die einmal gesagt worden sind, sollte man quasi nicht overrulen, indem man so tut, als wären sie nicht gesagt worden. Das liegt mir sehr am Herzen.

Herr Präsident Khol, Sie haben auch zum Tagesordnungspunkt, der am Nachmittag kommt, die Frage der Verfassung, gesprochen. Ich möchte bei der Gelegenheit natürlich gleich unmittelbar replizieren, wir diskutieren das ja schon seit Langem.

Die Selbstbestimmtheit ist ein extrem hoher Wert, und die Selbstbestimmtheit haben wir uns eigentlich hier alle – ich glaube, fast ohne Ausnahmen – auf die Fahnen geheftet und versuchen, sie entsprechend umsetzen, sei es durch eine Verfügung, die man selbst treffen kann, natürlich in Kenntnis aller Umstände, sei es, indem man für den Fall des Nicht-mehr-verfügen-Könnens eine weitere Person bevollmächtigt. Aber sie ist jedenfalls ein ganz wesentlicher Bestandteil.

Genauso wichtig ist es allerdings, dass wir die unterschiedlichen Themenstellungen natürlich weiterhin offenhalten. Ich verstehe schon – ich kann es nicht Ihnen unterstellen, aber ich weiß, es gibt immer wieder diese Bewegung –, dass manche wesentliche Diskussionen geführt werden, und die sind heute hier auch angeschnitten worden. Was ist zum Beispiel, wenn ein Mensch, der im größten Leid liegt, den Wunsch äußert, sein Leben nicht in der Form fortzusetzen? Wir alle wollen das nicht und wir alle tragen dazu bei, dass bei niemandem dieser Wunsch entsteht. Aber es kann für einen unmittelbaren Angehörigen, für eine Person, die nahesteht, teilweise unerträglich sein, etwas zu sehen und einem Wunsch nicht Rechnung tragen zu können. Das ist derzeit allerdings strafrechtlich ein Thema. Das ist nicht möglich.

Ich glaube, dass wir darüber sprechen müssen. Ich halte es für völlig unverantwortlich zu sagen, es soll dem Parlament die Möglichkeit genommen werden, intern allfällige Änderungen in der gesellschaftlichen Gesamtstruktur zu verhandeln. Das würde entstehen, wenn wir diese Regelung in den Verfassungsrang heben.

Ich möchte das jetzt nur als politisches Signal anführen, die Expertinnen und Experten werden am Nachmittag aus ihrer Sicht noch etwas dazu sagen. Ich wollte es eigentlich nicht erwähnen, aber ich habe Ihre Ausführungen, Herr Khol, als Einladung dazu verstanden, und diese habe ich sehr gerne angenommen. – Danke schön. (Beifall.)

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Birgit Meinhard-Schiebel (Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger): Herzlichen Dank für die Möglichkeit, als Vertreterin der pflegenden Angehörigen in Österreich heute zu Ihnen zu sprechen. Sie wissen alle, dass gerade Menschen in dieser Situation, wenn sie entweder pflegende Angehörige sind oder werden beziehungsweise pflegebedürftig sind, sich mit einem Dschungel von Bürokratie konfrontiert sehen, in dem sie sich sehr, sehr mühselig überhaupt einmal zurechtfinden müssen.

Das Bedauern, dass diese beiden Instrumente zu wenig in Anspruch genommen werden, kommt mir ein bisschen scheinheilig vor. Es braucht zumindest zwei große Schritte, um möglichst vielen Menschen die Möglichkeit der Nutzung zu geben. Das ist auf der einen Seite eine breitflächige Kampagnisierung, in Zeiten, in denen wir so viele mediale Möglichkeiten zur Verfügung haben wie nie zuvor – ich sage dazu nur: Facebook, Twitter, TV, Radio, Screens im öffentlichen Raum; also es gibt Hunderttausende Möglichkeiten, das wirklich so zu kampagnisieren, dass Menschen wissen, dass es diese beiden Instrumente gibt. Das Zweite ist die Kostenfreiheit für die Errichtung auch außerhalb der Patientenanwaltschaften.

Letztendlich erspart genau das, nämlich die Kostenfreiheit, die gewaltigen Folgekosten, die entstehen, wenn es diese Instrumente nicht gibt und wenn diese nicht in Anspruch genommen werden.

Und bitte sagen Sie nicht, der Sozialstaat ist nicht für alles verantwortlich. Es ist seine Aufgabe, Menschen zu unterstützen und Menschen zu helfen, und sie dürfen nicht bestraft werden, wenn sie etwas nicht wissen. Wer an Bildung und an Bürgerinformation spart, der darf sich nicht wundern, wenn Menschen zu wenig wissen. – Danke. (Beifall.)

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Dr. Stephanie Merckens (Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt): Ich kann mich der Euphorie von Frau Abgeordneter Kucharowits nur anschließen. Das ist eine wirklich sehr tolle Veranstaltung und es ist auch sehr erfrischend, einmal so ein positives Echo aus diesem Haus zu hören. Man kann sich nur weitere solche Veranstaltungen zu wichtigen Themen wünschen.

Es wurde sehr viel gesprochen und ich kann mich sehr anlehnen an das, was Frau Dr. Pilz über Dialog, Dialog Patient-Arzt, gesagt hat. Hier komme ich als Juristin mit einem anderen Dialog – als Juristin, die sehr viel mit medizinethisch delikaten Themen zu tun hat. Es ist ein ganz anderer Dialog, der auch sehr wichtig ist, nämlich jener zwischen Juristen und Ärzten.

Ich bin sehr froh, dass hier die wichtigen Standesvertretungen anwesend sind, denn ich glaube, es ist eine Form der Prävention, wenn der Austausch in diesen Fragen zwischen Ärzten und Juristen sehr gefördert wird, damit in der Beratung am Patienten der andere weiß, was der eine sagt, A als A verstanden wird und nicht als B, ja vielleicht sogar so weit, dass man immer auch eine gemeinsame Sprache spricht, damit man nachher nicht so viel Interpretationsschwierigkeiten hat. – Danke. (Beifall.)

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Mag. Marianne Karner (Verein BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben): BIZEPS ist ein Behindertenberatungszentrum, das nach den Kriterien der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung arbeitet. Einleitend möchte ich sagen, ich bin sehr froh über das Statement von Herrn Professor Berger.

Zur Patientenverfügung: Wie ich es einschätze, wird es diese Möglichkeit verstärkt geben. Ich möchte kurze Anmerkungen dazu machen. Es soll vielleicht die Möglichkeit bestehen, aber es darf keine Pflicht zu einer Patientenverfügung geben, auch nicht für chronisch kranke oder behinderte Menschen. Die Patientenverfügung kann auch nicht nur mit der e-card verknüpft werden, wenn es zum Beispiel Bürger und Bürgerinnen gibt, die bei ELGA nicht mitmachen. Auch dann muss eine andere Form der Patientenverfügung, der Hinterlegung und der raschen Auffindung möglich sein.

Die Patientenverfügung kann auch keine Voraussetzung für, zum Beispiel, eine Aufnahme in ein Pflege- oder Altenheim sein, und auch die Beratung oder zumindest die alleinige Beratung durch das dortige Pflegepersonal kann nicht ausreichend sein, denn natürlich hat jede Einrichtung, jede Institution eigene Interessen, auch wirtschaftliche und finanzielle Interessen – das muss man so sagen.

Es ist von einer Patientenverfügung ohne Barriere gesprochen worden. Ich glaube, Menschen mit Behinderung ist vor allem ein barrierefreies, selbstbestimmtes Leben wichtig. Sie möchten „selbstbestimmt leben“ verwirklichen und möchten jetzt nicht unbedingt einen roten Teppich zu einer Patientenverfügung ausgelegt bekommen.

Patientenverfügung ist ein großes Kapitel, ich sage das Folgende deshalb nur schlagwortartig: Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Patientenverfügung im Rahmen von Sachwalterschaften sind sehr sensible Bereiche, wo man ganz genau hinschauen muss. Zur Patientenverfügung ist sicherlich eine eingehende ärztliche Beratung notwendig. Aber es geht hier um ethische, existenzielle Themen, und die Bevölkerung beziehungsweise Menschen müssen dazu befähigt werden, ethische Entscheidungen treffen zu können. Da wäre auf jeden Fall die Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts in der Schule von Anfang an, und zwar eines verpflichtenden inklusiven Ethikunterrichtes, der eben auch die Perspektivität miteinbezieht, wenn zum Beispiel behinderte oder chronisch kranke Kinder daran teilnehmen, unbedingt zu begrüßen.

Mit dem Beschluss zur Präimplantationsdiagnostik wurde bereits eine Tür geöffnet. Ich möchte nur kurz unser Statement abgeben, dass die Türe zu einer eventuellen ärztlichen Suizidbeihilfe oder zu einer Aufweichung der Strafbestimmungen zur Suizidbeihilfe auf jeden Fall geschlossen bleiben und nicht aufgetan werden sollte.

Am Schluss möchte ich Ihnen als ein im Rollstuhl sitzender Mensch sagen: Wir haben die Zahl gehört, nur 4 Prozent haben eine Patientenverfügung. Ich sage Ihnen, wenn man mit Menschen redet, die jetzt nicht eine Krankheit oder eine Behinderung haben, und sie fragt, dann können sich vielleicht maximal 4 Prozent vorstellen: Ja, warum, ich kann ja auch ein selbstbestimmtes Leben im Rollstuhl führen. Nur 4 Prozent sagen: Ja, so ein Leben kann ich mir vorstellen. Und viele sagen in einer Abwehrreaktion: Nein, ein „leidvolles“ – unter Anführungszeichen – Leben im Rollstuhl wäre nicht sinnvoll. Ich kann Ihnen aber sagen – aus Erfahrung und auch aus Gesprächen mit sehr vielen Menschen –: 96 Prozent, zumindest der große, überwiegende Anteil, sind dann, wenn sie in dieser Situation sind, froh, dass sie leben, und sind auch froh, und haben auch das Recht auf Leben und auf Lebensqualität. – Danke. (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner (Institut für Ethik und Recht in der Medizin): Ich möchte zu drei Punkten sprechen.

Der erste ist ein ganz kurzer. Es ist mehrmals schon der Evaluierungsbericht zur Umsetzung des Patientenverfügungs-Gesetzes angesprochen worden, den das Institut für Ethik und Recht in der Medizin vorgelegt hat. Darin ist vieles an Details erläutert, die hier jetzt auch noch einmal diskutiert werden, darum möchte ich Ihnen diesen sehr ans Herz legen. Dieser immerhin gut 160 Seiten lange Bericht ist entweder über die Website unseres Instituts IERM oder über die Website des Gesundheitsministeriums öffentlich abrufbar. Sie können dort alle Ergebnisse lesen und finden zu vielen Fragen, die jetzt hier diskutiert werden, sehr detaillierte Ausführungen.

Zu den anderen beiden Punkten, die ich kurz ansprechen möchte, noch eine kurze Vorbemerkung. Ich greife noch einmal die Voten auf, in denen von Dialog und Dialogkultur die Rede war. Ich selber gehöre zu denen, die von Anfang an das Instrument der Patientenverfügung, auch das der Vorsorgevollmacht und das Rechtsinstrument des Patientenverfügungs-Gesetzes nachhaltig unterstützt haben.

Wir müssen uns aber über eines klar werden: Das ist nur ein Teilelement einer umfassenden Kultur der Begleitung von Sterbenden. So wichtig es ist, hier über Verbesserungen in der Umsetzung von solchen Verfügungen zu sprechen, sollten wir dieses Instrument auch nicht überschätzen. Ich will damit sagen, wir sollten die Diskussion über eine qualitätvolle Begleitung von Menschen am Lebensende – dazu gehört nicht nur die Medizin, dazu gehört auch die Pflege, dazu gehört auch eine psychologische, spirituelle, religiöse Begleitung unter Umständen – nicht nur auf das Thema der Verfügungen fokussieren.

Nach dieser Vorbemerkung zu meinem zweiten und dritten Punkt, die miteinander zusammenhängen; es geht dabei um folgende Themen: Unterscheidung zwischen verbindlichen und beachtlichen Verfügungen und die Kostenfrage. Diese beiden Punkte stehen miteinander in Verbindung.

Man könnte ja sagen, die Kostenfrage lässt sich ganz leicht lösen, wenn wir die Unterscheidung zwischen verbindlichen und beachtlichen Verfügungen überhaupt aufheben, denn dann entstehen nicht unbedingt Kosten. Ich möchte aber doch sehr dafür plädieren, zwar einerseits den Zugang zu verbindlichen Verfügungen niederschwelliger zu gestalten – dazu ist einiges gesagt worden, was ich nicht wiederholen muss –, aber nicht die Unterscheidung zwischen verbindlichen und beachtlichen Verfügungen gänzlich aufzuheben.

Die Gefahr ist nämlich – schauen Sie sich etwa die Rechtsentwicklung in Deutschland an! –, es wird alles für verbindlich erklärt, was es dann de facto aber nicht ist. Da würden wir dann also eine große Verunsicherung herbeiführen. Es ist deshalb gut, wenn die Kosten hier insgesamt öffentlich getragen würden, auch für die Beratung bei beachtlichen Patientenverfügungen. Die Verbindlichkeit als solche sollte jedoch mit niederschwelligem Zugang festgehalten werden.

Letzte Bemerkung, im Vorgriff auf die Diskussion über den dritten Punkt heute Nachmittag: Würden wir die beachtlichen Patientenverfügungen aufwerten, was ich grundsätzlich für richtig halte, wäre es meines Erachtens eine große Gefahr, nun etwa das Verbot der Tötung auf Verlangen in den Verfassungsrang zu heben. Wenn wir nämlich in der Praxis verstärkt auf beachtliche Verfügungen setzen, wäre das Risiko unter Umständen noch größer, diese zu unterminieren.

Ich spreche mich deshalb an dieser Stelle dafür aus, diesen Weg nicht zu beschreiten, und, wie gesagt, an der Unterscheidung zwischen verbindlichen und beachtlichen Patientenverfügungen im Prinzip festzuhalten. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Mag. Patrik Heindl (Pflegeberater AKH Wien, Intensivbereich): Vieles wurde schon gesagt. Ich stehe heute in zwei ganz unterschiedlichen Rollen hier.

Meine erste Rolle ist die des privat Betroffenen. Das heißt: Wenn ich eine Patientenverfügung verfasst habe, muss ich mich damit auseinandersetzen. Die zweite Ebene dieser Rolle ist die Ebene des Angehörigen.

Ich sehe mich selbst als sehr autonom und habe mir selbst die Frage gestellt: Was möchte ich wann nicht haben? – So einfach ist diese Frage gar nicht zu beantworten, und schon gar nicht, wenn ich es irgendjemandem anderen erklären muss. Die Aussagen, ich möchte nicht an Maschinen hängen, ich möchte kein Pflegefall sein, sind zwar unscharf formuliert, was die medizinische Behandlung anlangt, aber dennoch zeigen diese Formulierungen einen persönlichen Wert. Es geht da um die Erfassung der Sterbequalität, analog zur Lebensqualität.

Als Angehöriger betrifft mich die Patientenverfügung natürlich genauso, das ist ein Punkt, der meiner Meinung nach ein bisschen vernachlässigt wird. Als Familienmitglied muss ich mich damit auseinandersetzen, wenn mein Partner, mein Vater oder wer auch immer eine Patientenverfügung verfasst. Das heißt, ich beschäftige mich inhaltlich damit und bringe das Dokument im Ernstfall auch ins Krankenhaus und übergebe es dem Pflegeteam beziehungsweise dem Behandlungsteam.

Die zweite Rolle ist die Darstellung der Berufsgruppe Pflege. Im klinischen Alltag hat die Pflege häufig mit schwerkranken und sterbenden Patienten zu tun, und aus der Sicht der Pflege möchte ich hier einige Punkte anführen.

Der Umgang mit einer Patientenverfügung im klinischem Alltag ist für die meisten Berufsgruppen nicht eindeutig. Es gibt deutliche Wissensdefizite einerseits und strukturelle Probleme in den verschiedenen Organisationen andererseits. Es gibt kein zentrales Register, ich weiß nicht, wo ich nachschauen soll, und wenn diese Behandlungsmaschinerie einmal angefangen hat zu wirken, ist es oft schwierig, das zu durchbrechen und zu stoppen. Die Sichtweise, was Sterben-Lassen bedeutet, und ob das eine aktive Handlung ist, ist im klinischen Alltag nicht immer ganz klar.

Ich finde, es ist ganz wichtig, dass jeder Mensch die Entscheidung bezüglich der Patientenverfügung selbst trifft. Wenn wir über die Wünsche und Ängste nicht sprechen, bleibt diese Selbstbestimmung zahnlos, und wenn wir nicht über die Autonomie sprechen, führt das zu Einschränkungen und im schlimmsten Fall zur Ausgrenzung. Ich meine, uns muss bewusst sein, dass Entscheidungen bei der Patientenverfügung von den Betroffenen selbst getroffen werden. Wir – Pfleger, Ärzte und Angehörige – sind das begleitende oder das ausführende Organ. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Dr. Trautgundis Kaiba (Hospiz Steiermark): Ich habe langjährige Erfahrung in der Beratung bezüglich der Patientenverfügung, schon lange vor der Gesetzgebung. In noch längerer Erfahrung als Ärztin habe ich bei der medizinischen Behandlung und Begleitung Schwerkranker und Sterbender die Nöte und Ängste dieser Menschen und ihre ganz persönlichen Wünsche für ein gutes Sterben kennengelernt.

Ich habe auch immer wieder beobachtet, welch außergewöhnliche Kräfte Sterbende entfalten, um den sozusagen „verordneten Sterbeprozess“ zu ihrem eigenen Sterben umzugestalten. Je länger ich mich mit dem Sterben beschäftige, umso bewusster wird mir: Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht können nur wichtige Mosaiksteine in der Gesamtplanung unseres Lebensendes sein. Der Vorsorgedialog ist eine Grundvoraussetzung dafür, aber für ein gutes Sterben braucht es mehr.

Die detaillierteste Patientenverfügung, ob verbindlich oder beachtlich, und die am besten formulierte Vorsorgevollmacht können ohne Menschen, die in medizinischer und ethischer Verantwortung diese Patientenverfügung und diese Vorsorgevollmacht ausführen, keine Garantie für ein menschenwürdiges Sterben sein. Ein nur nach dem Gesetzestext ausgeführtes und begleitetes Sterben ohne Liebe und medizinisch-ethische Fürsorge kann nie ein gutes Sterben möglich machen. Dieses bedarf jedoch einer intensiven Schulung aller Menschen, die Schwerkranke und Sterbende medizinisch behandeln, pflegen und begleiten. Die beachtliche Patientenverfügung, am besten unterstützt durch ein ausführliches Gespräch mit dem Arzt, vielleicht sogar mit dem Hausarzt, verbunden mit einer Vorsorgevollmacht auf der Grundlage eines Vorsorgedialogs, eingebettet in einen Lebensplan für das Lebensende und begleitet von ethisch geschulten Ärzten, Pflegepersonen und Hospizbegleiterinnen und Hospizbegleitern macht – meiner langjährigen Erfahrung nach – Würde am Ende des Lebens möglich. – Danke. (Beifall.)

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Mag. Eringard Kaufmann, MSc (Generalsekretärin der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation): Es hat mich sehr gefreut, dass im Zusammenhang mit der Diskussion um Patientenverfügung auch mehrmals auf Hürden- und Barrierefreiheit hingewiesen wurde.

Barrierefreiheit im Zugang zur Selbstbestimmung, auch bei der Errichtung von Patientenverfügungen, ist ein ganz zentrales Anliegen der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderungen. Das Thema Barrierefreiheit findet sich in der Diskussion über „Shared Decision Making“ und bei Diskussionen über Standards in der Begleitung der Hospiz- und Palliativversorgung.

Barrierefreiheit wird aber aktuell auch als unterstützte Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit der Diskussion um die Reform des Sachwalterrechtes eingefordert. Unterstützte Entscheidungsfindung geht darüber noch hinaus, indem persönliche Beeinträchtigungen, die die Menschen haben, durch Unterstützung abzubauen sind.

Im Zusammenhang mit der Würde am Ende des Lebens geht es vor allem um entscheidende kommunikative Einschränkungen. Die Möglichkeit zur Selbstbestimmung soll etwa trotz der beispielsweise fehlenden Möglichkeit, sich verbal zu äußern, noch intensiver genutzt werden.

Im Kontext der Barrierefreiheit am Ende des Lebens darf nicht vergessen werden, dass es nicht nur um Barrierefreiheit in Richtung des Ende des Lebens gehen kann, sondern auch in Richtung Barrierefreiheit zum Leben. Im Augenblick ist es so, dass ein ganz, ganz großes Problem für Menschen mit Behinderungen, Beeinträchtigungen, aber auch chronischen Erkrankungen in der wirtschaftlichen Absicherung ihrer Existenz besteht – das heißt, die Barrierefreiheit in Richtung zum Leben ist schwer gefährdet. – Danke vielmals für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Dr. Elisabeth Pittermann-Höcker (Primaria a.D.): Herr Präsident Khol, hier im Haus waren wir uns öfters uneinig. In der Vertretung der Alten sind wir uns jetzt zwar häufig einig, trotzdem muss ich Ihnen heute widersprechen: Natürlich kann man der Sozialversicherung Aufgaben geben, aber Sie wissen, wir haben eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik – das, was ich auf der einen Seite schaffe, fehlt auf der anderen.

Was das betrifft, bin ich noch immer so weit Ärztin, dass ich sage: Es ist mir lieber, die Patienten haben das, was medizinisch notwendig ist, und für alles andere muss man andere Wege finden. Ich stimme zu, diese Aufklärung sollte die Menschen nichts kosten, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das ausgeht, ohne dass anderswo gespart werden muss.

Ich selbst halte es wie Ernst Berger, mit dem mich eine fast lebenslange Freundschaft verbindet. Ich habe keine Patientenverfügung abgegeben, obwohl ich schon lange von dieser Möglichkeit weiß und schon als 12-Jährige mit dem Tod konfrontiert wurde. Zu dieser Zeit ist nämlich meine Mutter schwer an Krebs erkrankt, sie hat dann aber noch viele Jahre gelebt, weil sie um das Leben gekämpft hat, um mich begleiten zu können, bis ich auf eigenen Beinen stehe. Auch später in meinem Beruf als Hämatoonkologin war ich ständig damit konfrontiert – und die meisten Menschen wollten leben!

Ich weiß heute nicht, was der medizinische Fortschritt bringen wird und unter welchen Einschränkungen ich noch immer gerne leben möchte. Bereits jetzt ist nämlich mein Leben ein Abschiednehmen von vielen Dingen, die ich gerne gemacht habe oder von denen ich mir nicht hätte vorstellen können, sie einmal nicht mehr zu tun – und trotzdem ist das Leben lebenswert. Vielleicht will ich auch noch im Rollstuhl leben, wenn ich nur meine Kinder und Enkel noch gelegentlich sehen kann – wir wissen es nicht, daher auch bitte keine Verknüpfung.

Ich bin zu 100 Prozent für die Vorsorgevollmacht, die ist ganz wichtig. Dies jedoch aus dem Grund, weil ich in meinem Beruf sehr oft erfahren habe, wie schrecklich es zum Teil mit Sachwalterschaften ist. Wir haben als Mediziner auch mit der ganzen Verrechtlichung der Medizin zu tun. Hier im Parlament sind wir ja sehr oft auf fahrende Züge aufgesprungen, haben noch etwas beschlossen und noch etwas beschlossen.

Selbstbestimmung ist immer etwas sehr Gutes, aber wie selbstbestimmt ist man eigentlich sein ganzes Leben lang? Man kann sehr oft nicht selbstbestimmt leben, und das auch bis zum Tod nicht, weil wir eben nicht wissen, was uns erwartet. Das Schwierige sind nicht jene Patienten, die man lange hat, die man lange kennt und deren Wünsche man kennt, die schwierigen Patienten sind die, die als Akutfall bei der Tür hereingebracht werden, bei denen man rasch entscheiden muss und wo es dann so oder so ausgehen kann.

Weil immer von den „schrecklichen Schläuchen“ gesprochen wird: Bei den meisten intensivpflichtigen Patienten, die ich erlebt habe, waren die Angehörigen über die Behandlung auf der Intensivstation auf jeden Fall – und die meisten Patienten selbst auch ziemlich glücklich. Beide waren dann eher unglücklich, wenn die Kranken wieder auf die Normalstationen kamen, denn dort haben sie sich nicht so sicher und geborgen gefühlt.

Was wir bei den Verfügungen noch beachten müssen: Sie müssen sprachlich einfacher werden. Diese Sprache, sowohl bei der Patientenverfügung als auch bei der Vorsorgevollmacht, kann ein normaler Mensch nicht verstehen. Selbst ein mit mir befreundeter Jurist ist über manche Formulierungen gestolpert – das darf es nicht geben.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir diese Diskussion führen. Ich glaube, dass sich die Menschen viel mehr mit dem Tod beschäftigen, nur reden sie mit anderen nicht darüber, denn wir sind ein ganzes Leben von Kindheit an mit dem Tod konfrontiert und zerbrechen uns darüber den Kopf. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Dr. Georg Fraberger (Klinischer Psychologe, AKH Wien): Guten Tag! Ich bin Psychologe und darf mich damit auseinandersetzen, was denn den Menschen antreibt und was ihn dazu bringt, eine Entscheidung zu treffen. Es sind dabei immer zwei Aspekte: Da ist erstens die Logik und zweitens das Gefühl.

Ich meine, wir denken hier in diesem Plenum viel zu logisch über etwas nach, das eigentlich nicht logisch ist, nämlich das Leben. Wenn wir logisch über die Ehe nachdenken würden, dann wäre keiner hier verheiratet – und es gibt sogar Menschen, die sind es ein zweites Mal, dazu zähle auch ich. (Heiterkeit.) Das heißt also, die Logik ist das eine. Wofür entscheidet sich ein Mensch? Ein Mensch entscheidet sich immer für die Liebe, immer für das, was für wertvoll erachtet wird.

Was wir im AKH und eigentlich auch gesellschaftspolitisch erleben: Bei den Patienten wird gespart. Nicht nur arbeitslose Menschen fühlen sich wertlos, sondern auch Patienten. Patienten wird tatsächlich während des Spitalsaufenthaltes zu Hause das Krankenbett abgezogen, Rollstühle werden nicht bewilligt, eine Prothese muss länger getragen werden. Das heißt, es entsteht vermehrt das Gefühl der Wertlosigkeit.

Ich bin mir nicht sicher, ob man, wenn jemand dieses Gefühl hat, auch tatsächlich von einer freien Entscheidung – egal, ob es jetzt um eine Patientenverfügung, um Vorsorge oder gar um einen assistierten Suizid geht – sprechen kann.

Ich bin für eine Politik, die Mut zum Leben macht und damit auch Mut zur Liebe, Mut, krank zu sein, Mut, schwach zu sein! – Vielen Dank. (Beifall.)

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Dr. Christian Stelzer (Praktischer Arzt): Es wurde heute sehr viel über die Patientenverfügung gesagt, ich denke – und aus meiner Erfahrung sehe ich das –, dass diese ein wesentliches Instrument der Selbstbestimmung ist. Dies vor allem auch, weil sie den Patienten ein Mittel in die Hand gibt, um sich zu äußern und ihre Wünsche kundzutun.

Meine Erfahrungen mit den Patientenverfügungen zeigen jedoch: Erstens sind es nicht sehr viele Patienten, die eine solche haben. Zweitens ist es so, dass die Patientenverfügung bei all meinen Patienten, die ich bis jetzt begleiten durfte – bis auf eine Dame, die an einer sehr rapide voranschreitenden neurologischen Erkrankung litt –, in einem gesunden Zustand verfasst wurde. Bei den Patienten, die ich begleiten durfte, kam die Patientenverfügung nicht zum Tragen, entweder, weil sie dann relativ schnell verstorben sind, oder – und da denke ich im Besonderen an eine Patientin, die ich bis ins Spital begleitet habe –, weil sich ihre Sicht durch die Krankheit verändert hat. Diese Patientin, von der ich hier spreche, hat – man könnte sagen – eine innere Sicht auf ihr Leben, auf ihre Krankheit bekommen. Und als es dann wirklich kritisch geworden ist, hat sie gebeten, dass die Ärzte alles machen, um ihr Leben zu erhalten, und das hat mich sehr berührt. Sie hat zu mir gesagt: Ich sage Ihnen, ich will die Patientenverfügung jetzt nicht mehr!

Das heißt aber nicht, dass die Patientenverfügung keine Bedeutung hat, aber sie hat eine andere Bedeutung, und diese Bedeutung – das glaube ich, und das wurde mehrmals gesagt – ist der Dialog, ist der Wunsch: Ich möchte beim Arzt Gehör finden! Dieser dialogische Prozess begleitet uns und sollte uns Ärzte gemeinsam mit den Patienten bis zum natürlichen Ende des Lebens begleiten.

Wir wissen, dass viele Tumor-Patienten unter Depressionen leiden. Bei Patienten mit Gehirntumoren sind es bis zu 93 Prozent, die schwere Depressionen haben. Natürlich steht ein Patient, dessen Depression nicht ausreichend behandelt ist, anders zu seinem Leben als einer, bei dem die Medikamente wirken. Dazu kommt noch die Müdigkeit, ein Fatigue-Syndrom, es kommen Schmerzen.

Ich denke da an einen Patienten, den ich die letzten Jahre im Pflegeheim begleitet habe und der mich mindestens zwanzig Mal gebeten hat, dass ich ihm aktiv beim Sterben helfe. Er ist allein, hat keine Angehörigen. Er war schwer depressiv, und vor einem Jahr haben wir uns entschlossen, ihn in eine psychiatrische Abteilung zu überweisen. Er war dort drei Monate, und als er zurückkam, war er überglücklich über die Betreuung und über die Pflege. Seither hat er nie mehr den Wunsch geäußert, zu sterben. Ich war heute in der Früh um halb acht bei ihm, weil er einen kleinen Infekt hat, und er hat mich nicht gebeten, dass ich ihm zu sterben helfe. Und beim Hinausgehen habe ich ihn gefragt: Wie geht es Ihnen? Und er hat mir zur Antwort gegeben: Ich freue mich, wenn ich meiner Frau wieder begegnen darf! – die ihm im Tod vorausgegangen ist.

Was will ich sagen? – Ich bin als Arzt unglaublich froh, dass eine Tür geschlossen ist. Und diese Tür heißt, dass das Leben Vorrang hat und dass wir uns bemühen, Depressionen, Schmerzen, Befindlichkeitsstörungen des Patienten zu mindern und zu lindern, dass wir uns dabei anstrengen. Ich glaube, das ist auch ein Grund dafür, warum die Medizin in den letzten Jahrzehnten so unglaublich gewachsen ist: weil wir uns so anstrengen, die Leiden zu erkennen und die Leiden zu lindern, und ich wäre die letzten Jahre in eine unglaubliche Verlegenheit geraten, wenn diese Türe offen wäre.

Ich würde mir wünschen, dass das Leben so absolut gesehen wird, dass es im Verfassungsrang geschützt wird. Es würde von uns Ärzten viel Druck nehmen. – Danke. (Beifall.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer dankt allen Referenten und Referentinnen für ihre Ausführungen, die persönlichen Erfahrungen und die Expertisen sowie für das rege Interesse und unterbricht die Sitzung.

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(Die Sitzung wird um 12.43 Uhr unterbrochen und um 13.21 Uhr wieder aufgenommen.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer nimmt die unterbrochene Sitzung wieder auf und leitet zum zweiten Themenblock über.

II. Vorsorge; Diskussion über Vorsorgevollmacht

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer erteilt als erster Referentin Frau Dr. Menner das Wort.

Impulsreferate

PhDr. Hildegard Menner, MAS (ARGE Pflegedienstleitung Heime): In meinem Referat werde ich als Vertreterin der Bundes-ARGE Pflegedienstleitung der österreichischen Heime auf die Notwendigkeit der Beachtung des BewohnerInnenwillens in den Pflegeeinrichtungen eingehen.

Wie bereits im ersten Themenblock erörtert, nutzen nur 4 Prozent der Menschen in Österreich die Möglichkeit, mit einer Vorsorgevollmacht oder einer Patientenverfügung ihren Willen für den Fall, dass sie nicht mehr selbst entscheiden können, festzulegen. Meine Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass in den Pflegeeinrichtungen noch weniger Menschen zum Zeitpunkt des Einzugs ihren Willen kundtun. In meiner Einrichtung waren es im Jahr 2004 durchwegs 1 Prozent.

Das bedeutet aber nicht, dass die alten, kranken Menschen ihren Willen nicht kundtun wollen. Erfahrungen aus vielen Gesprächen mit betroffenen Menschen sowie Ergebnisse aus Befragungen zeigen, dass die Menschen ein sehr großes Bedürfnis haben, über die Zeit, wenn für sie das Sterben absehbar ist, zu reden und zu sagen, was sie wollen und was sie nicht wollen.

Besonders wichtig für die alten Menschen ist es, festzulegen, ob sie in der Sterbephase noch ins Krankenhaus überstellt werden wollen oder ob sie in der gewohnten Umgebung, im Heim, begleitet von den Angehörigen und von den ihnen vertrauten BetreuerInnen sterben wollen. Vielen ist es auch wichtig, festzuhalten, dass sie nicht reanimiert werden wollen. Und ganz wichtig ist es auch für viele, dass wir Betreuer sie dabei unterstützen, noch Offenes für sie zu erledigen.

In der Einrichtung, in der ich tätig bin, im Geriatriezentrum Klosterneuburg, haben wir bereits im Jahr 2004 mit Befragungen begonnen, und zwar haben wir die BewohnerInnen, die MitarbeiterInnen, aber auch die Angehörigen befragt. Zum Beispiel haben wir die Frage gestellt, wo die Menschen ihr Leben beenden wollen, wenn die Zeit des Abschiednehmens kommt. Geantwortet haben durchwegs 80 Prozent der Befragten, unabhängig vom Alter, dass sie in ihrer gewohnten Umgebung, zu Hause – wobei das zu Hause bei Nachfragen oft auch die Betreuungseinrichtung war – sterben wollen, und zwar begleitet von lieben Menschen, sei es jetzt natürlich in erster Linie von den Angehörigen, aber auch von den BetreuerInnen. Das ist ihnen ganz, ganz wichtig, und ich glaube, würden wir hier eine Befragung machen, würde sich auch herausstellen, dass das vielen von uns sehr wichtig ist.

Selbstverständlich finden in den Pflegeeinrichtungen BewohnerInnengespräche statt – mit den Pflegepersonen, mit den Ärzten, mit den Therapeuten, natürlich in unterschiedlicher Qualität. Die Wünsche und Bedürfnisse zum letzten Lebensabschnitt werden erhoben, aber oft geht man doch nicht so in die Tiefe. Im Zuge der Umsetzung des Projektes HPCPH, also palliative Betreuung in der Geriatrie, ist uns bewusst geworden, dass eine einheitliche Richtlinie für die Pflegeeinrichtungen sehr hilfreich wäre. Der Beirat des Dachverbandes Hospiz Österreich, in dem ich auch tätig bin, arbeitet zurzeit an einer Richtlinie, und zwar dem Vorsorgedialog.

Frau Dr. Beyer wird in ihrem Referat den Vorsorgedialog noch genau erörtern.

Wir möchten diesen Vorsorgedialog den geriatrischen Einrichtungen zur Verfügung stellen, denn es besteht damit die Möglichkeit, Menschen, die keine Patientenverfügung und keine Vorsorgevollmacht haben, intensiver zu unterstützen, sodass ihr Wille und ihre Bedürfnisse Beachtung finden.

Ganz wichtig ist mir auch, dass demenzkranke Menschen, deren Anteil in den geriatrischen Einrichtungen bei 60 bis 70 Prozent liegt, Beachtung finden. Es ist oft nicht mehr möglich, dass sie ihren Willen selbst äußern, aber mit dem Vorsorgedialog im multiprofessionellen Team – und es ist ganz, ganz wichtig, dass der Vorsorgedialog im multiprofessionellen Team stattfindet, also Pflege, Ärzte und Angehörige gemeinsam –kann der mutmaßliche Wille erfasst werden. Wenn zum Beispiel die Mutter im Laufe ihres Lebens immer wieder gesagt hat, dass sie zum Beispiel nicht so wie ihr Nachbar reanimiert werden möchte, ist das ein mutmaßlicher Wille. Aber auch aus immer wiederkehrenden Gesten von demenzkranken Menschen sind Rückschlüsse zu ziehen, zum Beispiel, wenn ein schwer demenzkranker Mensch sich laufend die Ernährungssonde entfernt. Die erhobenen Willensäußerungen sind eine wichtige Entscheidungshilfe für Pflegepersonen, Ärzte und auch Notärzte.

Ich möchte aber ganz klar betonen, dass die notwendigen zeitlichen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung stehen müssen, und auch eine entsprechende Rechtsgrundlage muss zur Sicherheit der Pflegepersonen und der Ärzte gegeben sein.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal zusammenfassen, dass wir mit dem Vorsorgedialog eine größere Möglichkeit haben, den Willen der Menschen im Sinne der Selbstbestimmung zu beachten. Die Menschen haben ein Recht auf Würde, darauf, in Würde zu leben bis zum Tod, und das bedeutet Lebensqualität. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Regina Ertl (Bundesverband der Alten- und Pflegeheime Österreichs – Lebenswelt Heim): Vielen Dank vorab für die Möglichkeit, dass wir hier noch einmal die Position des Bundesverbandes ein bisschen näher ausführen können. Ich möchte auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Bundesverbandes der Alten- und Pflegeheime Österreichs, der bundesweit immerhin 650 Heime vertritt, die schon gemachten Ausführungen, sowohl jene von Hilde Menner, als auch jene der anderen Vorredner, an sich nur mehr bekräftigen und in einzelnen Punkten ein bisschen ergänzen.

In den österreichischen Alten- und Pflegeheimen wird kaum jemand die Bedeutung und die Unverzichtbarkeit der Vorsorgevollmacht oder der Patientenverfügung anzweifeln. Ganz im Gegenteil! Alle werden durchwegs bestätigen, dass das zwei Instrumente sind, die essenziell sind, damit Therapeuten, Therapeutinnen, Ärzte, Ärztinnen und die Pflegepersonen Orientierung im Handeln haben, im Sinne der Menschen und vor dem Hintergrund des Willens der Menschen.

Aber nicht nur, wie Frau Menner schon gesagt hat, im Geriatriezentrum Klosterburg, sondern bundesweit können die Erfahrungen bestätigt werden, dass Menschen, die in die Pflegeheime einziehen, im seltensten Fall – in Wirklichkeit im Ausnahmefall – über eine oder sogar beide dieser Rechtsgrundlagen wie Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht verfügen.

Die Gründe dafür wurden heute schon mehrmals genannt. Es geht natürlich um die Kosten, es geht natürlich auch um die Erschwernisse der Wege. Man muss bedenken, die Menschen sind betagt, hochbetagt, multimorbid, und es ist nicht ganz so einfach, zu Notaren und Ärzten zu kommen. Und – auch das können wir nur unterstreichen – in der Regel sind sie schlichtweg uninformiert.

Es wurde am Vormittag schon gesagt: Wir verdrängen natürlich auch den Gedanken an das Ende des Lebens, keine Frage.

Fazit ist: Es gilt also, diese Lücke für jene Menschen, die keine Vorsorgevollmacht und keine Patientenverfügung haben, zu schließen. Wir denken – und jetzt verweise ich noch einmal einerseits auf Frau Menner, die das schon angekündigt hat, und andererseits auf Frau Dr. Sigrid Beyer, die den Vorsorgedialog dann näher beschreiben wird –, diese Lücke kann gut mit diesem Vorsorgedialog geschlossen werden.

Wir sind auch der Meinung, dass es nicht ausschließlich in der Verantwortung der Betroffenen liegen kann – betagt, hochbetagt, multimorbid, nicht zu vergessen –, dass sie in dieser Situation alle Kraft aufwenden, um ihre Anliegen und Wünsche einzufordern und ihren Willen durchzusetzen, und das in einer ohnedies so schwierigen Lebenssituation, ob Krise oder Sterben.

Deshalb sind wir der Auffassung, dass auch im Gesundheits- und Sozialsystem ein greifbarer, nachhaltiger Beitrag zu leisten ist, zusätzlich zu dieser Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht – oder als Alternative, wie auch immer –, um die Würde am Ende des Lebens zu gewährleisten.

Der Vorsorgedialog kann ein wesentlicher Beitrag dazu sein. Deshalb wäre es infolge all dieser Diskussionen wichtig, dass eine Rechtsgrundlage geschaffen wird, die es ermöglicht, diesen Vorsorgedialog als standardisiertes Instrument in den Regelbetrieb aller österreichischen Alten- und Pflegeheime einzuführen.

Dieses Ansinnen beziehungsweise diese Forderung einer fundierten Rechtsgrundlage für diesen Vorsorgedialog ist jetzt nicht unmittelbar in Verbindung zu setzen mit der Meinung, dass dann reflexartig die Schaffung einer neuen Kontrollbehörde erfolgen soll oder irgendwelche neuen Kontrollaufträge erteilt werden sollen, sondern primäres Anliegen einer solchen Rechtsgrundlage wäre wohl, einen Indikator für Lebensqualität am Ende des Lebens zu schaffen.

So ein Vorsorgedialog könnte Ärztinnen und Ärzten sowie den Pflegenden auch den expliziten Auftrag erteilen, aktiv den Dialog zu suchen, zu führen und danach zu handeln, und nicht zu warten, bis die Angehörigen oder die Betroffenen selber die Dialoginitiative ergreifen.

Wenn es gelingt, durch gestärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit – das würde ich gerne unterstreichen, da spielt die Pflege eine ganz, ganz wesentliche Rolle, denn die Menschen aus der Pflege sind es, die die meiste Zeit bei diesen Menschen verbringen –, einen gelingenden Kommunikationsprozess zu gestalten, dann kann so ein Vorsorgedialog zu einer Art Commitment des Vertrauens zwischen den Betreuenden und den behandelten Menschen werden, und wir wären der Realisierung von Würde, von der wir immer reden, ein wesentliches Stück näher gekommen.

Wenn wir die Diskussion um die Würde, die jetzt ja schon eine Weile anhält, ernst meinen und Würde als den zentralen Wert des Lebens, und zwar bis zum Lebensende, verstehen, dann dürfen wir es auch nicht zulassen, dass ein System die Menschen beherrscht, das gespickt mit Regeln ist, die eigentlich der Menschenwürde zuwiderlaufen. Wir müssen daran arbeiten, dass es ein System gibt, das den Menschen dienlich ist, und zwar auch dann, wenn sie es selbst nicht mehr beeinflussen oder beherrschen können.

Für uns alle vielleicht noch einmal: Seinen Willen respektiert zu wissen und Vertrauen und Sicherheit zu spüren, ist ein ganz besonderer Aspekt von Lebensqualität. Sterbequalität ist Lebensqualität, und diese ist umso wertvoller in Situationen, in denen wir in einem hohen Maß von anderen Menschen abhängig sind, oder zu einem Zeitpunkt, an dem wir vollständig von Menschen abhängig sind. (Beifall.)

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Dr. Erwin Buchinger (Behindertenanwalt des Bundes): Sehr geschätzte Frau Vorsitzende! Danke, dass Sie mir Gelegenheit gegeben haben, wieder kurz auf der Regierungsbank Platz zu nehmen. (Heiterkeit.) Herzlichen Dank für die Einladung, als Vertreter der Behindertenanwaltschaft zu behinderungsspezifischen Problemfeldern und Anregungen im Zusammenhang mit Vorsorgevollmacht und Würde am Ende des Lebens Stellung zu nehmen.

Die Behindertenanwaltschaft – viele von Ihnen wissen das – hat ja die Aufgabe, die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung zu unterstützen. Wir beraten und unterstützen Menschen mit Behinderung, gegen Diskriminierungserfahrungen in welchen Bereichen auch immer vorzugehen.

Bei den zirka 1 300 Beschwerden oder Unterstützungsbitten, die jährlich an die Behindertenanwaltschaft gerichtet werden, spielen Fragen der Vorsorgevollmacht kaum eine Rolle. Es sind jährlich eine, maximal zwei diesbezügliche Fragestellungen, die an uns herangetragen werden. Im letzten Jahr war es zum einen eine Frage der Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der Vorsorgevollmacht, die bei einem Menschen mit Lernschwierigkeiten infrage gestellt worden ist, und zum anderen war es eine Auseinandersetzung um die Unüblichkeit wegen des großen Umfanges eines Rechtsgeschäftes, das man so oder so hätte sehen können.

Es mag verwundern, dass die Anzahl der diesbezüglichen Beschwerdefälle an die Behindertenanwaltschaft so beschränkt ist, wo doch andererseits Beschwerden und Unterstützungsbitten im Zusammenhang mit der Besachwaltung behinderter Menschen einen doch erheblichen Anteil an unserer Arbeit ausmachen, wiewohl auch in diesem Bereich nur eine Beratung über die rechtliche Situation und allenfalls auch eine Begleitung des Klienten – etwa als Vertrauensperson – zum Pflegschaftsgericht möglich ist und ansonsten die Behindertenanwaltschaft auch im Bereich der Besachwaltung ganz, ganz wenige Möglichkeiten hat, weil es im Kern wenig um Diskriminierung geht, sondern um Fragen der Bewertung im Vorfeld.

Für Menschen mit Behinderung, insbesondere solche mit kognitiven Beeinträchtigungen oder mit Lernschwierigkeiten und Lernbehinderungen, wie sie es selber bezeichnen, ist ja generell das Thema der Besachwaltung, aber auch der Vorsorgevollmacht ein kritisches, weil in jedem Fall beide Instrumente solche der delegierten Entscheidungsfindung sind, wo der behinderte Mensch selber nicht für sich eine Entscheidung trifft, sondern jemand anderer für ihn, mit dem Unterschied, dass bei der Vorsorgevollmacht diese Person vom Menschen mit Behinderung selbst ausgesucht wird und – nicht unwesentlich – dass die Kontrolldichte da aus diesem Grund auch nicht gegeben ist.

Der Hauptwunsch von Menschen mit Behinderungen – auch von solchen mit Lernschwierigkeiten und Lernbehinderungen – ist nicht eine erleichterte Form der delegierten Entscheidungsfindung, sondern ein Ausbau der Möglichkeit der unterstützten Entscheidungsfindung.

In Bezug auf die Vorsorgevollmacht ist ja noch einmal zu differenzieren, dass – wie auch dieses eine Beispiel aus dem letzten Jahr mit der Anzweiflung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung der Vorsorgevollmacht gezeigt hat – hier zusätzlich dazukommt, dass es Hürden für diese Behinderungsgruppe gibt, überhaupt die Urteils- und Einsichtsfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung zugesprochen zu erhalten. Das ist der Unterschied zur Vorsorgevollmacht für Menschen ohne kognitive Beeinträchtigung, dass sie eben irgendwann nach einer vollen Geschäftsfähigkeit, in der Erwartung eines Verlustes der Geschäftsfähigkeit oder Urteilsfähigkeit, vorsorglich diese Vollmacht errichten, wohingegen bei Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung diese Frage der mangelnden Einsichts-/Urteilsfähigkeit ja von Anfang an im Raum steht.

Daher wäre eine zweite ganz konkrete Anregung der Behindertenanwaltschaft, im Rahmen der Vorsorgevollmacht das Instrument der unterstützten Kommunikation stärker zu beachten, also hier ernsthafter und sorgsamer einen möglichen Willen auch einer kognitiv beeinträchtigten Person zu erfassen und dann einer Vorsorgevollmacht zugrunde zu legen.

Damit sind wir bei den drei Anregungen aus Sicht der Behindertenanwaltschaft: Erstens sollte unterstützte Entscheidungsfindung das generelle Ziel sein, und dort, wo das nicht oder noch nicht erreichbar ist, der Ausbau Elemente der unterstützten Kommunikation für die Entwicklung zur Vorsorgevollmacht.

Zweitens sollte die Komplexität der Vorsorgevollmacht auch in Bezug auf die Sprache, die im Formular verwendet wird, so reduziert werden, dass sie auch für Menschen, die keinen akademischen Abschluss haben, keine Juristen oder Juristinnen beziehungsweise Ärzte oder Ärztinnen sind, verständlich ist. Es gibt zwar eine anerkennenswerte Broschüre des Justizministeriums in leichter Sprache zur gesamten Thematik, aber kein Leichter-Lesen-Formular für diese Vorsorgevollmacht selber. Das wäre die zweite Anregung, das hinzuzufügen. Die dritte Anregung wäre – das ist bereits im ersten Teil von Kollegin Kaufmann erwähnt worden –, dass Barrierefreiheit auch in Bezug auf die Kosten zu gewährleisten ist. Gerade behinderte Menschen verfügen auch laut Armutsbericht über geringere Budgets, und denen sind Kosten von 500, 600, 700 € für einen Vorsorgevollmacht sicherlich nicht zuzumuten.

Erlauben Sie mir, die letzte Minute meines Statements dafür zu nutzen, als Behindertenanwalt auch kurz auf die Würde am Beginn des Lebens einzugehen, Stichwort eugenische Indikation. Seit 30 Jahren bin ich Vater eines behinderten Kindes, seit fünf Jahren Behindertenanwalt, davor im Sozialbereich tätig. Ich habe nie verstanden, warum gerade fortschrittliche Menschen, vor allem frauenbewegte Menschen so wenig Bereitschaft dafür zeigen, die Bedenken behinderter Menschen nachzuvollziehen, dass die bestehende rechtliche Situation für die Fristenlösung vorsieht, nicht behindertes Leben bis zum dritten Monat straffrei abtreiben zu können und davon unterschieden bei ernster Gefahr einer Behinderung bis unmittelbar vor der natürlichen Geburt.

Aus Sicht der Behindertenbewegung stellt dies ein Werturteil dar, eine Unterscheidung zwischen lebenswertem nicht behinderten, schützenswerten Leben und nicht schützenswertem, nicht lebenswertem behinderten werdenden Leben, die nicht nachvollzogen werden kann. Ich verstehe Ängste und Befürchtungen, die es im Hinblick auf ein Aushebeln der Fristenlösung gibt. Ich wäre persönlich nicht dafür.

Mein Appell an die Mandatare und Mandatarinnen – das ist der letzte Satz an dieser Stelle –: Diese Differenzierung nach Behinderung oder Nicht-Behinderung kann doch nicht das Kriterium dafür sein, ob eine Abtreibung ab dem dritten Monat straffrei bleiben kann oder nicht. Es müsste doch eine Gleichbehandlung werdenden behinderten und werdenden nicht behinderten Lebens möglich sein. Mein Appell wäre, auch eine Enquete oder eine Plattform für einen breiten Dialog über diese Fragestellungen einzurichten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Mag. Dr. Sigrid Beyer (Dachverband Hospiz Österreich): Mein Input ist, wie schon angekündigt, dem Vorsorgedialog gewidmet, jenem Kommunikationsinstrument, das für den NotärztInnen-Kontakt im Pflegeheim in einer Krisensituation eine wichtige und zentrale Unterstützung, eine Entscheidungshilfe sein soll, wobei es darum geht, den Willen der Bewohnerin, des Bewohners zu erfüllen. Über 70 000 Menschen leben in den österreichischen Alten- und Pflegeheimen. Es gibt einen sehr hohen Frauenanteil, einen sehr hohen Anteil an Demenzerkrankungen. Multimorbidität ist gegeben.

In den Alten- und Pflegeheimen sind sehr viele Schwerkranke und viele sterbende Frauen und Männer. Es gibt viele Pflegeheime, in denen die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner pro Jahr verstirbt. Vor dem Hintergrund dieser Information können Sie sich vorstellen, dass es sehr oft zu Krisensituationen kommt. Da aber der Großteil der Alten- und Pflegeheime keine medizinische Versorgung rund um die Uhr hat, ist die diplomierte Pflegehelferin – 30 Prozent diplomiertes Personal in den Pflegeheimen – mit zum Beispiel 50, es können aber auch 70 Bewohnerinnen und Bewohner sein, in der Nacht alleine. In einem Notfall, wenn das Sterben einer Bewohnerin, eines Bewohners absehbar ist, wo sie/er ohne Lebenszeichen aufgefunden wird, muss die Pflegekraft die Notärztin, den Notarzt rufen. Sehr oft kommt es in diesen Fällen dann zur Überweisung ins Krankenhaus, auch wenn es um das Sterben geht. Die Bewohnerin verstirbt beim Transport oder in den ersten Stunden im Krankenhaus. In Österreich gibt es schon ausreichend wissenschaftliche Studien, um das entsprechend zu belegen.

Viele wollen aber in Ruhe, in Frieden, in Würde sterben und nicht in einer Maschinerie, die im Krankenhaus im Notfall anlaufen muss. Für sie ist das Pflegeheim ihr neues Zuhause geworden, und hier wollen sie sterben, schmerzfrei und, wenn möglich, begleitet von einem lieben Menschen. Diese Wünsche sind in der derzeitigen Situation in den Alten- und Pflegeheimen sehr oft nicht umsetzbar. Im Rahmen des Projekts Hospizkultur und Palliative Care in Alten- und Pflegeheimen ist diese Thematik in allen Bundesländern immer wieder aufgetaucht zusammen mit dem Wunsch, dass Vorsorge für die Krisensituation getroffen wird. Der Beirat Hospiz und Palliative Care in Alten- und Pflegeheimen, an dem auch das Gesundheitsministerium, das Sozialministerium, die Ärztekammer, der Bundesverband der Alten- und Pflegeheime und andere wichtige Entscheidungsträger beteiligt sind, hat gemeinsam mit Expertinnen und Experten einen Entwurf für den Vorsorgedialog entwickelt.

Wir haben schon gehört, in den Pflegeheimen gibt es nur von einem Prozent der Bewohner/innen Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten. Das ist also offenbar in diesem Fall nicht das richtige Instrument. Es braucht aber Unterstützung für die Krisensituation, und genau das ist es, was mit dem Vorsorgedialog angestrebt wird.

Was heißt Kommunikationsinstrument? – Das heißt, dass nach sechs bis acht Wochen nach dem Einzug ins Pflegeheim die Bewohnerin, der Bewohner und ihre/seine An- und Zugehörigen eingeladen werden, an einem solchen Gespräch mit Medizin und Pflege teilzunehmen. In diesem Gespräch geht es darum, die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohnerin, des Bewohners zu erheben für ein gutes Leben, aber auch für die Situation des Sterbens.

Was möchte die Bewohnerin, der Bewohner, wenn sie/er ohne Lebenszeichen aufgefunden wird, wenn das Sterben absehbar ist? Möchte er/sie dann noch reanimiert werden? Möchte er/sie dann ins Krankenhaus transferiert werden oder nicht? Das und alles, was die Bewohnerin, der Bewohner und die An- und Zugehörigen bewegt, wird besprochen, und diese Gespräche werden dokumentiert. Das muss von Medizin, Pflege und Bewohner/in unterschrieben werden. Diese Gespräche müssen halbjährlich wiederholt werden. Es gibt auch die Möglichkeit, in einem Krisenblatt die Reanimation, die Überweisung in ein Krankenhaus in dieser Situation des absehbaren Sterbens abzulehnen. Die Notärztin muss sich nicht daran halten, aber sie kann sich daran halten. Es geht darum, ob das Sterben zugelassen wird oder nicht.

Zu Recht werden Sie nun einwenden, dass in den Pflegeheimen der Anteil von Personen mit Demenzerkrankung sehr hoch ist. Es gibt viele BewohnerInnen, die nicht mehr oder nur mehr teilweise einsichts- und urteilsfähig sind. Was dann? In dem Fall wird und muss der mutmaßliche Wille erfasst werden, gemeinsam mit den An- und Zugehörigen, mit Medizin und Pflege.

Wenn Sie an Ihre eigenen Eltern denken, wie diese sich wünschen würden zu sterben, dann ist oft aus den Gesprächen, die stattfanden, als die Eltern noch voll einsichts- und urteilsfähig waren, sehr klar, was sich die Mutter oder der Vater gewünscht hätte. Es kann auch nahe dem Sterben um Reanimation gehen. Es geht darum, das umzusetzen, was der Wille der Bewohnerin, des Bewohners ist.

Um in allen Alten- und Pflegeheimen den Vorsorgedialog umsetzen zu können, braucht es das Zusammenwirken von Medizin beziehungsweise Palliativmedizin, Pflege, Bewohner/in und An- und Zugehörigen. Das kann jedoch nur mit einer entsprechenden Finanzierung gelingen. Ein Vorsorgedialog dauert zwischen 45 und 60 Minuten, halbjährlich braucht es eine Wiederholung. Derzeit werden palliativmedizinische Leistungen im Pflegeheim nicht abgegolten, es gibt keinen Leistungskatalog dafür, also auch nicht für den Vorsorgedialog. Da gibt es einen dringenden Nachholbedarf. Die Menschen werden ihrem Wunsch gemäß nicht ins Krankenhaus gebracht, und dort entstehen keine Kosten. Diese Gelder müssen entsprechend umgewidmet werden. Die Umsetzung des Willens der alten Menschen, auch wenn sie an Demenz erkrankt sind, muss stärker in den Mittelpunkt rücken. Unser Wunsch ist es, den Vorsorgedialog in die entscheidenden Papiere einzuarbeiten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Dr. Susanne Zinell (Palliativärztin, LKH Villach): Ich darf diese Diskussion mit den Wünschen, Bedürfnissen und Sorgen meiner Patienten und Patientinnen bereichern. Ich arbeite seit mittlerweile zehn Jahren als Palliativmedizinerin und Psychoonkologin in einem mobilen Palliativteam und versorge in dieser Funktion ganz Oberkärnten. Lassen Sie mich mit dem Zitat eines Patienten beginnen, den ich diese Woche visitiert habe: Frau Doktor! Vor dem Sterben habe ich keine Angst. Ich habe Angst vor dem Weg dorthin. – Damit spricht mein Patient sicher vielen anderen aus dem Herzen. Unsere Patienten beschäftigen sich zumeist nicht explizit mit ihrem Sterbeprozess, sondern mit dem Leben bis dorthin. Wenn ich mit ihnen in Kontakt komme, wenn ich versuche, daran zu arbeiten, was mein konkreter Arbeitsauftrag ist, wie dieser Mensch begleitet und unterstützt werden will, dann ist die Frage nicht: Wie wollen Sie sterben?, oder vor allem eigentlich: Wie wollen Sie nicht sterben? Die Frage, die zu stellen ist, ist stattdessen: Wie wollen Sie leben bis zu Ihrem Ende?

Was sind nun die Wünsche und Bedürfnisse eines Großteils meiner Patienten? – Ich durfte in den letzten zehn Jahren gemeinsam mit meinem Team weit über 4 000 Menschen begleiten. Die Wünsche, die sie äußern, konzentrieren sich im Endeffekt auf fünf Themen: Ich möchte zu Hause sein, solange es geht, soviel es geht. Ich möchte, dass meine Autonomie und meine Würde gewahrt bleiben. Ich möchte schmerzfrei sein. Ich möchte symptomkontrolliert sein, und zwar nicht nur körperlich, sondern auch seelisch, psychisch, spirituell und religiös. Die Patienten möchten Zeit haben, um die Dinge zu regeln, die ihnen wichtig sind, oder noch Dinge zu erleben, die sie gerne erleben möchten. Der Faktor Zeit ist überhaupt einer der wichtigsten.

Was können wir als Palliativmitarbeiter und -mitarbeiterinnen diesen Menschen anbieten? – Das Zuhausesein ist ein ganz vorrangiges Ziel, das es zu erreichen gilt. Eine häusliche Versorgung von schwerstkranken Menschen ist aus meiner Erfahrung heutzutage auch wirklich gut möglich. Wenn wir danach trachten, dass wir vor allem die mobile Palliativbetreuung flächendeckend in Österreich ausbauen und gewährleisten, dann können wir auch bis in die entlegensten Täler und Winkel unseres Landes hinein den Menschen dieses Angebot zur Verfügung stellen und ihnen diesen Wunsch erfüllen.

Autonomie ist etwas, das wir auch dadurch erzielen, dass wir als Palliativmediziner aufgefordert sind, die Planung unserer Therapien so zu gestalten, dass unsere Patienten zu Hause unabhängig und selbstständig zurechtkommen. Die wenigsten wollen dauernd Unterstützung, wollen bevormundet werden. Es geht um Autonomie im Sinne von Selbstbestimmtheit auch dann, wenn Selbstständigkeit nicht mehr im vollen Ausmaß gegeben ist. Das heißt, wir planen unsere Therapien ganz individuell und immer vorrangig mit dem Ziel, dass die Patienten und ihre Angehörigen damit selbstständig zu Hause zurechtkommen.

Schmerztherapie und Symptomkontrolle sind aus meiner Sicht etwas, das wir heutzutage wirklich anbieten können. Wir haben mittlerweile so viel Erfahrung, dass ich einem Großteil meiner Patienten zusichern kann, dass ich sie auch zu Hause gut schmerzfrei und symptomkontrolliert führen kann.

Ich darf alle Kolleginnen und Kollegen, die im stationären Kontext Palliativpatienten oder schwerstkranke Patienten betreuen, bitten, dass sie von unserem Angebot relativ frühzeitig Gebrauch machen, denn es braucht auch einen Beziehungsaufbau, einen Vertrauensaufbau. Wenn wir erst sehr spät hinzugezogen werden, dann reicht die Elastizität eines schwerkranken, sterbenden Menschen und seiner Angehörigen manchmal nicht mehr aus, sich noch auf weitere Betreuungspersonen einzustellen. Desto länger wir uns kennen, desto mehr an Beziehung aufgebaut wurde – Palliativmedizin ist für mich Beziehungsmedizin –, desto konkreter wissen wir um die Wünsche und Bedürfnisse unserer Patienten Bescheid. Wir wissen genau, was sie sich vorstellen und was sie von uns erwarten.

Das Thema Zeit ist mir ein besonderes Anliegen. Zeit, die unsere Patienten und Patientinnen benötigen, um die ihnen wirklich wichtigen Dinge zu einem Ende zu bringen, ihren Lebensbogen bis zum Ende zu spannen, eventuell Konflikte zu lösen, Dinge zu erledigen, die noch anstehen, den Kontakt zu Menschen aufzunehmen, die sie in letzter Zeit vernachlässigt haben oder wo noch Konflikte schwelen, vielleicht mit dem Enkelkind noch einmal ans Meer zu fahren. All diese Dinge sind ganz wichtig für unsere Patienten und Patientinnen.

Ein Appell aber auch an alle, die begleiten und betreuen: Wir müssen uns jederzeit der Begrenztheit und Kostbarkeit der Zeit für unsere Patienten bewusst sein. Wir dürfen ihnen ihre Lebenszeit nicht stehlen oder nehmen mit Therapien, die unter Umständen nicht mehr sinnvoll, maßvoll oder würdevoll sind, und wir dürfen nie eventuell mögliche Quantität über die Qualität des Lebens unserer Patienten stellen. – Danke. (Beifall.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer dankt im Namen aller Teilnehmer der Enquete für die großartige Arbeit im Dienste schwerstkranker, sterbender Menschen. (Beifall.)

Dr. Gabriele Nußbaumer (Präsidentin der Lebenshilfe Vorarlberg): Die letzte Phase des Lebens ist ähnlich wie die Geburt eine ganz außergewöhnliche Ausnahmesituation für den Sterbenden selbst, für sein gesamtes Umfeld und natürlich auch für das Pflegepersonal, die Ärztinnen und Ärzte.

Alles, was im Sterbeprozess geschieht, ob positiv oder negativ, ist endgültig. Daraus resultiert für uns alle eine sehr große Verantwortung. Als Vertreterin von Menschen mit kognitiven Einschränkungen und deren Angehörigen möchte ich auf die besondere Situation von jenen eingehen, die nicht selbst, sondern nur über ihre Bezugspersonen kommunizieren können. Solche Bezugspersonen können die Eltern, die Geschwister und natürlich auch Betreuerinnen oder Betreuer sein.

Dieser Gruppe von Menschen mit Behinderungen ist es verwehrt, eine Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht zu errichten. Sie sind ja nach dem Gesetz weder einsichts- noch urteilsfähig. Das heißt, sie sind völlig der Empathie anderer Menschen ausgeliefert, ihr ganzes Leben lang bis hin zum Tod.

Nun gibt es sicherlich viele Ärzte, die großes Einfühlungsvermögen zeigen und die Lebensumstände des betroffenen Patienten ganzheitlich betrachten, aber eben nicht alle. Ich selbst habe beim Sterben meines schwerbehinderten Sohnes vor zwei Jahren schlechte Erfahrungen gemacht. Vielleicht aus falsch verstandener Scheu, den Ernst der Erkrankung und das drohende Lebensende anzusprechen, wurde im hektischen Spitalsalltag in einer besonderen Form von Aktionismus untersucht, versucht und therapiert. Vielen Dank meiner Vorrednerin, die das auch angesprochen hat.

Es wurde alles Mögliche gemacht, nur nicht zugehört und nicht geredet. Ich hatte das Gefühl, ohnmächtig vor dem Apparat Spital zu stehen, der sein Programm heruntergespult hat ohne Rücksicht darauf, wie mein Sohn die letzten Tage in seinem Leben verbringt. Uns Angehörigen wurde dadurch über weite Strecken auch die Möglichkeit einer würdevollen Verabschiedung genommen. Erst die letzten Stunden auf der Intensivstation brachten die Wende, und dafür bin ich dankbar.

Diese persönliche Erfahrung hat mich aufgerüttelt. Es darf nicht sein, dass es dem Zufall überlassen bleibt, an welchen Arzt oder welche Ärztin man gerät. Ich bin der festen Überzeugung, dass alle verpflichtet sein müssten, den mutmaßlichen Willen aller Patienten zu eruieren, unabhängig davon, ob eine Patientenverfügung vorliegt oder nicht. In lebensbedrohlichen Situationen müsste sich jeder die Zeit nehmen, über die Bezugspersonen zum betroffenen Menschen eine Kommunikationsbrücke zu bauen.

Diesem Gedanken entspricht die deutsche Rechtslage sehr gut. Dort wurde nach langen, intensiven Debatten im Jahr 2009 das Patientenverfügungsgesetz von Grund auf verändert und neu im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert mit dem Erfolg, dass in Deutschland bereits ein Fünftel der Bevölkerung eine Patientenverfügung errichtet hat, Tendenz steigend. Die wesentlichen Änderungen waren: Es wurde auf die Unterscheidung zwischen beachtlicher und verbindlicher Patientenverfügung verzichtet und klargestellt, dass der mutmaßliche Wille jedes sterbenden Menschen berücksichtigt werden muss, also auch von Menschen mit schweren Behinderungen, auch von Demenzerkrankten, auch von schwer kranken Kindern.

Wenn sich der Betroffene nicht selbst äußern kann, dann müssen im Einzelfall in einer ganzheitlichen Betrachtung die bisherigen Lebensumstände, die Schwere der Erkrankung, die Behandlungsmöglichkeiten und einiges mehr mit dessen Bezugspersonen erörtert werden. Die Letztentscheidung trifft dennoch immer der Arzt, und das ist auch gut so, aber eben nicht isoliert aus medizinischer, sondern aus ganzheitlicher Sicht.

Ich halte sehr viel von einem Vorsorgedialog. Der Mensch ist nicht nur Körper, sondern auch Geist und Seele. Je offener und früher über die persönlichen Lebensumstände und -einstellungen gesprochen wird, umso besser. Wenn der Sterbeprozess bereits begonnen hat, dann ist es sehr oft schon zu spät. Die Frage nach dem Vorliegen einer Patientenverfügung müsste verpflichtend in die Anamnese bei einem Spitalsaufenthalt aufgenommen werden. Also bei uns in Vorarlberg ist es zum Beispiel nicht der Fall, dass man abfragt, ob eine Patientenverfügung vorliegt. In Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen sollte in einem vertrauenswürdigen Rahmen früh genug, möglichst unter Einbeziehung des Bewohners oder der Bewohnerin, jedenfalls auch mit den Angehörigen, über die Wünsche für den Fall des Falles gesprochen werden. Niemand weiß wirklich, was das Sterben und der Tod in einem Menschen auslösen. Man kann nur versuchen, sich mit großem Einfühlungsvermögen auf die sterbende Person einzulassen, aus Respekt vor allen Menschen.

Ich möchte mich zum Schluss auch noch bei Behindertenanwalt Dr. Buchinger bedanken und seine Idee, seinen Vorschlag zu 100 Prozent unterstützen. Die eugenische Indikation sollte wirklich – auch das hat Deutschland uns vorgezeigt – in Vergessenheit geraten. – Danke. (Beifall.)

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Diskussion

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer leitet zur Diskussion zum zweiten Themenblock „Vorsorgevollmacht“ über und erteilt als erster Rednerin Frau Bundesrätin Ledl-Rossmann das Wort.

Bundesrätin Sonja Ledl-Rossmann (ÖVP, Tirol): Ich glaube, es sind auch all jene, die dieses Thema wirklich beschäftigt und denen es am Herzen liegt, egal, in welcher Funktion sie hier sind, anwesend. Ich bin nicht nur Mitglied dieser Enquete-Kommission, ich war auch Krankenschwester und ehemalige Pflegedienst- und Heimleiterin. Ich glaube, das erklärt auch, dass mir gerade bei diesem Themenblock sehr viele Dinge, die schon angesprochen wurden, am Herzen liegen. Es wurden Szenarien dargestellt, die ich auch aus meinem Berufsalltag kenne, die ich nicht alle wiederholen will.

Aber mir ist es ein Anliegen, manche Punkte noch einmal zu bestärken und zu erwähnen. Wenn man mit Menschen redet, dann spürt man in Alltagsgesprächen immer wieder, dass das Thema Tod die Menschen oft verängstigt. Zwei Aussagen fallen eigentlich immer recht schnell: Ich will nicht leiden. Ich will niemandem zur Last fallen. Und gerade dieser zweite Teil ist mir wirklich unglaublich wichtig, denn es macht sich bei mir immer mehr das Gefühl breit, dass sich in der heutigen Gesellschaft die Menschen schwer tun, Hilfe und Unterstützung anzunehmen. Umso wichtiger ist es, hier ein Bewusstsein zu bilden. Wenn ein Mensch Hilfe und Unterstützung in Anspruch nimmt, dann verliert er nicht seine Würde.

Die Patientenverfügung und auch die Vorsorgevollmacht sind ganz wichtige Instrumente. Ich begrüße diese Informationskampagne. Es ist unglaublich wichtig, dass Menschen das wissen. Ich glaube auch, es nimmt einen gewissen Druck und diese Angst von den Menschen, wenn sie wissen, sie können diese Dinge im Vorhinein bestimmen, und sich überlegen, welchem Menschen sie vertrauen, und wer für sie eintritt.

Aber – und das wurde heute auch schon angesprochen – es können sich auch Einstellungen ändern, besonders wenn es um die Fragen geht: Wie stelle ich mir was vor? Was sind für mich wichtige Themen? Ich weiß nicht, wie viele es gesehen haben, aber mich hat der dieswöchige „Report“-Bericht beeindruckt. Er handelte von Karl Löbl, dem langjährigen Kulturchef des ORF. Seine Tochter hat gesagt, dass er und seine Gattin ganz genaue Vorstellungen darüber hatten, wie sie aus dem Leben scheiden wollen, wenn es ihnen einmal schlecht geht. Sie hat auch gesagt, es waren schon fast filmreife Szenen oder Vorstellungen dabei. Als er schon Witwer war und schwerkrank, hat sich die Lage geändert. Als sich sein Gesundheitszustand immer mehr verschlimmert hat, hat es immer öfter Entscheidungsmomente gegeben, und er hat immer Ja zum Leben gesagt.

Später ist es im Bericht um die palliativen Hospizstationen gegangen, und man hat gesehen, dass wir hier sicher einen richtigen Weg in Österreich haben. Auch dort haben Menschen sehr oft und sehr bewusst Entscheidungen abgelehnt, die zum sicheren Tod geführt hätten. Sie haben Ja zum Leben gesagt. Mir ist wichtig, dass diese Freiheit bleibt, dass man bis zum Schluss selber bestimmen kann. Ich glaube, ein selbstbestimmtes Ende des Lebens ist gerade durch die Hospizbegleitung möglich. Palliativbegleitung in Institutionen, zu Hause mit mobiler Unterstützung sollte bleiben.

Wenn wir – und das zum Abschluss – heute von Vorsorge sprechen, die die Menschen selber treffen können, dann möchte ich noch erwähnen, dass die Politik hier Vorsorge zu treffen hat, dass wir den eingeschlagenen Weg weitergehen, weiter daran arbeiten, ihn ausbauen, mit all jenen, die in diesen Bereichen tätig sind, die so wertvolle Inputs und Vorschläge geben können. Es ist sicher eines der größten Ziele der Menschen in Zukunft, dass sie gut begleitet, in Würde, im Kreise von lieben Menschen ihren letzten Lebensabschnitt so gestalten und leben können, wie sie es möchten. Das ist ein Auftrag an uns alle, es ist ein Auftrag, den auch ich persönlich als Mandatarin sehr gerne annehme. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Abgeordnete Mag. Michaela Steinacker (ÖVP): Sehr geehrte Damen und Herren! In aller gebotenen Kürze: Als Justizsprecherin der ÖVP ist es mir wichtig, das Thema Rechtssicherheit anzusprechen, und zwar besonders den Aspekt der Registrierung.

Wir sind jetzt bei der Vorsorgevollmacht. Wenn Frau Dr. Nußbaumer sagt, den Dialog könne niemand ersetzen, Kommunikationsbrücken zu den Betroffenen bauen sei ein Gebot jeder Betreuungshandlung, selbstverständlich, dann gebe ich ihr zu 100 Prozent recht. Wir haben die Möglichkeit, die Vorsorgevollmachten im Österreichischen Zentralen Vertretungsregister der Notariatskammer registrieren zu lassen. Das ist für alle Betroffenen ganz wichtig, um ganz schnell zum Ziel zu kommen, um zu wissen, ob es eine Vorsorgevollmacht gibt.

Im Gegensatz dazu hat die Patientenverfügung zwei Registrierungsmöglichkeiten, nämlich bei den Anwälten und bei den Notaren. Ich glaube, aus dieser Enquete-Kommission hat man herausgehört, was im Bereich der Betreuung geleistet wird, und dass man den Ärzten und den Pflegenden ganz einfache Zugänge zu diesen Patientenverfügungen ermöglichen muss. Daher lautet die Forderung, diese Register zusammenzuführen und die sinnvollste Lösung zur Verwaltungsvereinfachung zu suchen. – Danke. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Marcus Franz (STRONACH): Ich möchte dem ehemaligen Minister Buchinger meinen Dank und meine Unterstützung aussprechen. Wir dürfen nicht in wertes und unwertes Leben einteilen. (Beifall.)

In dieser Woche ist in diesem Haus eine denkwürdige, aber aus meiner Sicht ganz schlechte Entscheidung in diese Richtung gefallen. Ich möchte hier alle noch einmal daran erinnern, alle, die hier sitzen, alle, die als Experten geladen sind, alle, die in dieser Enquete-Kommission dabei sind: Wir können die Würde der Menschen nicht teilen. Wir müssen, wenn wir über die Würde am Ende des Lebens reden, auch über die Würde am Anfang des Lebens reden. Aus meiner Sicht ist es unabdingbar, dass aus dieser Enquete-Kommission eine zweite Enquete-Kommission hervorgeht, die sich mit dem Beginn des Lebens beschäftigt.

Wir können nicht beliebig Würde zuteilen oder wegnehmen. Meine Damen und Herren, das geht nicht! Das ist beliebig, und das können wir nicht zulassen, gerade in unserem Land nicht. – Danke schön. (Beifall.)

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Univ.-Lektor OA Dr. Michael Peintinger (Österreichische Gesellschaft für Anaesthesiologie, Reanimation und Intensivmedizin): Ganz kurz nur: Es ist heute schon mehrfach vorgeschlagen worden, Vorsorgevollmacht mit beachtlicher Patientenverfügung zu kombinieren.

Ich möchte von der Alltagserfahrung der Gegenseite berichten. Die, die Vorsorgevollmacht übernehmen, übernehmen das in einer relativ ruhigen Situation und spüren die Last erst, wenn sie tatsächlich dann in diese Entscheidungsverantwortung hineingezogen werden. Daher ist es für sie ganz wichtig, dass sie nicht nur für medizinische Belange zuständig sind, sondern auch gewissermaßen die Kommunikatoren eines bereits vorliegenden beachtlichen Patientenverfügungswillens sind. Wer die beachtliche Patientenverfügung geringschätzt, dem kann ich nur sagen, wir haben heute mehrfach vom mutmaßlichen Willen gesprochen, der ist immer noch auslegungsfähiger als diese.

In dem Sinne würde ich um eine sprachliche Vereinfachung bitten, wie sie auch schon angesprochen wurde, um damit einen niederschwelligen Zugang dazu zu schaffen. – Danke schön. (Beifall.)

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DGKS Gerda Schmidt (Caritas Socialis): 1961 hat John F. Kennedy gesagt: „Eine medizinische Revolution hat die Lebenserwartung unserer Alten verlängert, ohne ihnen die Würde und die Sicherheit zu geben, die sie in ihren letzten Jahren verdienen.“ Ich bin seit vielen Jahren Wohnbereichsleiterin und Palliativbeauftragte in der Caritas Socialis und arbeite für den Dachverband Hospiz Österreich auch als Multiplikatorin im HPCPH-Projekt. Ich möchte Ihnen ein kleines Fenster öffnen und die Praxis einer Vorsorge in der Caritas Socialis veranschaulichen, die vielleicht auch wegweisend für diesen HPCPH-Prozess und für den Vorsorgedialog sein kann.

Die von uns betreuten Menschen haben in der Regel keine Patientenverfügung, keine Vorsorgevollmacht. Aber bedeutet das automatisch, dass sie am Ende ihres Lebens nicht die Würde bekommen, die sie sich wünschen? Ist es nicht noch mehr Aufforderung, sich um die Eruierung ihrer Wünsche zu bemühen? Ein Bewohner von uns ist vor dem Haus auf der Krankentrage gestorben, weil seine Frau auf eine Krankenhauseinweisung bestanden hat. Wir haben vorher nicht darüber gesprochen, was zu tun ist. Heute ist es für uns selbstverständlich, mit den Bewohnern und Angehörigen sehr früh über ihre Wünsche zu sprechen.

Was konnten wir dadurch erreichen? – Sterben und Tod werden nicht tabuisiert, sondern wir sind im Dialog, Angehörige sind eingebunden. Sterben wird nicht ins Krankenhaus transferiert, sondern sterbende Menschen dürfen dort bleiben, wo sie es sich wünschen. Entscheidungen werden für Pflegende und Notärzte erleichtert. Kommunikation wird zum wesentlichen Instrument. Ich bin überzeugt, dass uns hier etwas Gutes gelungen ist, das die Würde der Sterbenden berücksichtigt. Ich wünsche mir das für uns alle. Jetzt haben wir die Chance, dass das möglich wird. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Mag. Werner Mühlböck, MBA (Tiroler Hospiz-Gemeinschaft): „Niemals schaden, ab und zu heilen, oftmals lindern, immer trösten.“ – Diese Worte sind 2 400 Jahre alt. Sie stammen von Hippokrates, demjenigen, der die wissenschaftlich betriebene Medizin begründet hat. Wenn man sich die Definition seiner Zunft, nämlich die der Ärzte, anschaut, dann kommt man schnell drauf, dass es darum geht, Einfühlungsvermögen zu zeigen, Gespräche zu haben, zuzuhören, Zeit zu haben und in den Dialog zu gehen.

Vorsorgedialog oder palliativer Behandlungsplan, vorausschauende Betreuungsplanung oder „Advance Care Planning“ – das sind alles Instrumente, die eigentlich dasselbe ausmacht. Es geht in erster Linie darum, in den Dialog mit den Betroffenen, mit den An- und Zugehörigen, mit dem Hausarzt, mit den Pflegenden zu treten, das ganze System zu betrachten. Auch die Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht haben darin eine zentrale Bedeutung.

Wir betreiben unser Palliativteam seit 2010 in der Region Innsbruck und verwenden diese Instrumente. Wir haben sehr, sehr gute Erfahrungen damit und wundern uns, dass wir im Bereich der Hausärzte oft auf Widerstand stoßen. Wir führen diesen Widerstand teilweise auf Unwissenheit zurück oder vielleicht auf die Einstellung, dass es diese Instrumente nur gibt, um wieder ein Formular ausfüllen zu müssen. Aber genau das ist es nicht. Deshalb plädieren wir dafür, dass Palliative Care und derartige Instrumente im Curriculum des Medizinstudiums und auch in der Facharztausbildung und -weiterbildung einen Platz finden müssen und sollen.

Palliative Betreuung braucht Menschen. Das geht nicht mit Instrumenten. Das kann man nicht mit Maschinen, mit Computern ersetzen. Menschen brauchen Zeit und es geht auch darum, diese Zeit zu finanzieren. Wir sehen eine Diskrepanz, dass die Finanzierung von technischen Geräten oft einfacher ist als das Finanzieren von menschlicher Zuwendung.

Abschließend plädiere ich noch einmal dafür, dass man diese Beziehungsmedizin an der Grenze des Lebens, die wir heute besprochen haben, vielleicht dazu nutzt, um mehr im Dialog zu stehen und eben niemals zu schaden, ab und zu zu heilen, oftmals zu lindern und immer zu trösten. – Danke. (Beifall.)

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Sonja Thalinger, MSc (Landesverband Hospiz NÖ): In der Rolle als Projektbegleiterin befinde ich mich jetzt im Umsetzungsprozess von Hospizkultur und Palliative Care in Niederösterreich und Wien. Ich möchte ganz kurz drei Punkte aus der Praxis einbringen.

In Niederösterreich haben wir seit 2009 mit der Integration von Hospizkultur und Palliative Care begonnen. Ich durfte seither 31 Pflegeheime in Niederösterreich und 13 Pflegeheime in Wien begleiten. In keinem einzigen Heim und bei keiner einzigen Mitarbeiterschulung war das Thema Unsicherheit in Krisensituationen etwas, das nicht vorgekommen wäre. Auch erfahrene und sehr engagierte Mitarbeiter sind immer wieder auf der Suche nach angemessenen Kommunikationsstrukturen, um zu einer guten und sehr tragfähigen Entscheidung zu kommen. In der Entwicklung des Vorsorgedialogs haben ja bereits mehrere Heime versucht, die Struktur modellhaft umzusetzen. Was uns besonders überrascht hat, war, dass nicht nur die Menschen, die neu aufgenommen worden sind, diesen Vorsorgedialog mit Ärzten geführt haben, sondern auch jene, die schon lange im Pflegeheim sind, haben mit ihren Angehörigen diesen Prozess sehr aktiv eingefordert.

Zum Schluss möchte ich noch eine Lanze für die Hausärztinnen und Hausärzte brechen, die sich bisher in diese Gespräche eingelassen haben, ohne dafür extra eine Honorierung zu bekommen. Ich denke, die Zahlen zeigen uns, dass wir durch den Vorsorgedialog ungewollte Krankenhauseinweisungen einsparen können, und damit werden vielleicht finanzielle Ressourcen frei, die dann im Sinne eines Ausgleichs an diese Ärzte weitergegeben werden sollten.

Was ganz wesentlich ist, ist diese Rechtssicherheit eines Vorsorgedialogs, die wir uns auch erwarten. – Danke schön. (Beifall.)

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Sektionschef Hon.-Prof. Dr. Gerhard Aigner (Bundesministerium für Gesundheit): Ich habe hier mehrmals die Sorge um eine mangelnde Rechtssicherheit für den Vorsorgedialog herausgehört. Also ich bin seit 1980 im Gesundheitsministerium und habe dort in der Legistik begonnen. Ich bin jetzt seit vielen Jahren mehr oder weniger Chef der gesamten Legistik.

Ich warne vor vorschnellen Rufen nach Gesetzen. Ich kenne keine einzige Bestimmung, die den Vorsorgedialog ausschließen würde. Es ist doch selbstverständlich, dass Menschen, Pflegende, Betreuende mit ihren Patientinnen und Patienten sprechen. Die Verrechtlichung der Medizin hat manchmal zu mehr Schwierigkeiten geführt als zum erwünschten Erfolg. –Tut es einfach! – Danke schön. (Beifall.)

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Mag. Eringard Kaufmann, MSc (Generalsekretärin der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation): Es ist in der Diskussion mehrmals erwähnt worden, dass Vorsorgevollmacht und eingeschränkte Geschäftsfähigkeit einander ausschließen.

Ich erinnere mich sehr gut an die Diskussionen zu Beginn des Inkrafttretens des Sachwalterrechts in den achtziger Jahren. Damals sind wir davon ausgegangen, dass eine Vollmachtsfähigkeit nicht die gleichen Anforderungen erfüllen muss wie die volle Geschäftsfähigkeit oder in dem Fall dann auch eine Sachwalterschaft ersetzen kann. Ich rege an, diese Diskussion auch im Justizministerium wieder aufzunehmen und zu schauen, eine möglichst große Barrierefreiheit für das Errichten einer Vorsorgevollmacht auch auf rechtlicher Ebene herzustellen. – Danke schön. (Beifall.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer bedankt sich für die Wortmeldungen und leitet zum dritten Themenblock über.

III. Prüfung der Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Verankerung strafrechtlicher Normen, insbesondere des Verbots der Tötung auf Verlangen und eines sozialen Grundrechts auf würdevolles Sterben

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer erteilt als erstem Referenten Herrn Univ.-Prof. Dr. Funk das Wort.

Impulsreferate

em. Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk: Das Thema führt in verfassungspolitische Fragen, ist in der Hauptsache ein verfassungspolitisches Thema. Es hat einerseits weltanschauliche, andererseits aber auch rechtsfunktionale Komponenten. Mit den letzteren möchte ich mich auseinandersetzen.

Ein Wort zum Verfassungskonvent, von dem heute die Rede war. Nach meiner Erinnerung war die Zustimmung zu dem Vorschlag einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen und dem, was damit verbunden war, nicht ganz so konsentiert, die Zustimmung war nicht ganz so hoch, wie das vielleicht hier als Eindruck entstehen konnte. Es hat durchaus eine Menge Vorbehalte und Einwände gegeben.

Zentraler strafrechtlicher Ansatzpunkt ist der § 77 Strafgesetzbuch, er betrifft die Tötung auf Verlangen: „Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet“, ist strafbar.

Darauf folgt der § 78 Strafgesetzbuch, Mitwirkung am Selbstmord: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet“, ist strafbar. Dabei ist zu beachten, dass das Beihilfeleisten auch durch Unterlassung geschehen kann. Beide Tatbestände sind für sich und in ihrer Verbindung alles andere als problemfrei.

Beginnen wir bei der Tötung auf Verlangen! Es kann Szenarien geben, bei denen wegen bestehender faktischer Unmöglichkeit der Selbsttötung das Verbot, und zwar das unbedingte, absolute, ausnahmslose Verbot fremder Hilfe und die damit verknüpfte unbedingte Strafbarkeit grundrechtswidrig sind. Die europäische Rechtsprechung hat diese Frage bisher offen gelassen. Es könnte also sein, dass eine verfassungsrechtliche Regelung, die dieses Verbot als unbedingtes Verbot verankert, letzten Endes richterrechtlich vom Europarecht her overruled wird.

Die Grenzen zwischen Tötung auf Verlangen und Mitwirkung am Selbstmord können jedenfalls im äußeren Tatbestand, im äußeren Geschehen fließend und daher strittig sein. Es gibt Erfahrungen, dass es da immer wieder zu Problemen kommt. Noch mehr aber sind es die Grenzen zwischen strafbarer Beihilfe, die auch durch Unterlassung begangen werden kann, einerseits und strafloser Palliativbehandlung andererseits.

Das Sterbenlassen in Befolgung einer Patientenverfügung ist nicht immer unstrittig abgrenzbar von einer strafbaren Beihilfe. Jedenfalls gibt es da immer wieder Auseinandersetzungen. Auch das Verbot zur Beihilfe kann in Grenzfällen verfassungswidrig sein. Denken wir etwa daran, dass eine Lebenspartnerin oder eine nahe Verwandte es unterlässt, ihre Partnerin oder ihren Partner von der Ausführung des Vorhabens abzuhalten oder auch eine partnerschaftliche Begleitung in Form bloßer Präsenz anbietet und durchführt. Auch da sind wir bereits in der Strafbarkeit und in diesem Punkt scheint mir eine Reform des § 78 erforderlich.

Ich frage mich Folgendes: Wenn man schon die Forderung nach einem Verbot der Tötung auf Verlangen ins Verfassungsrecht stellt, warum dann bitte nicht auch das Verbot der Mitwirkung am Selbstmord? – Das sind ja zwei eng miteinander verbundene Regelungen. In der Logik der Forderung läge beides gemeinsam. Nur das eine macht meiner Ansicht nach wenig Sinn.

Die verfassungsrechtliche Verankerung eines oder beider Verbote, wie immer man es macht, führt jedenfalls zu offenen Fragen und Problemen und bewirkt deren Import – mit all diesen Unsicherheiten – in das Verfassungsrecht. Es entstehen dadurch neue Fragen, die zusätzlich aufgeworfen werden, ohne dass die alten gelöst werden. Ich meine, dass die Antworten in Form von strafbewehrten Verboten dort bleiben sollten, wo sie jetzt sind, nämlich im Strafrecht. In der verfassungsrechtlichen Verankerung des Verbotes sehe ich keinen Mehrwert.

Sinngemäß das Gleiche gilt für grundrechtliche Lösungen. Es wäre ja nicht damit getan, jetzt ein Recht auf ein würdevolles Sterben in die Verfassung zu schreiben. Wenn, dann müsste man das differenzieren und die staatliche Garantenstellung und die Leistungspflicht des Staates umfassender und deutlicher modifizieren und darstellen. Es ginge also auch darum, dass man Sterbebegleitung, Therapie am Lebensende, aber auch die Beachtung autonomer Entscheidungen in die Verfassung hineinschreibt – mit der Rückwirkung, dass wir dann im Strafrecht die Probleme hätten, die ich vorhin angedeutet habe.

Wie könnten solche Grundrechte wirksam durchgesetzt werden und – das ist ein noch viel entscheidenderer Gesichtspunkt – mit welchen rechtlichen Mitteln eines Verfahrens könnten sie durchgesetzt werden? Nach dem bestehenden System unserer Rechtsordnung jedenfalls nicht als individuelle Ansprüche.

Solche Grundrechte blieben rechtlich unsanktioniert. Sie blieben Zielbestimmungen und Gesetzesaufträge, hätten einen gewissen Symbolwert, wären aber keinesfalls rechtlich griffige Mittel zur Zielerreichung. Darüber darf man sich keine Illusionen machen. Die Durchsetzung als Grundrechte in den Verfahrensweisen, wie wir das jetzt kennen, bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, beim Obersten Gerichtshof, beim Verfassungsgerichtshof, das würde hier nicht funktionieren.

Ich möchte abschließend betonen, dass ich sehr für die Nutzung aller Möglichkeiten bin, um das Ende des Lebens physisch und psychisch erträglich zu machen, um Leid zu vermeiden, zu minimieren, Angst zu nehmen und Würde zu wahren. Ich habe aber Zweifel, ob das Verfassungsrecht dazu einen nennenswerten Beitrag leisten kann. – Danke. (Beifall.)

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Univ.-Prof. DDr. Peter Lewisch: Verfassungsrechtliche Verankerung strafrechtlicher Normen ist also das Thema. Zu zwei Fragen möchte ich hier Stellung nehmen.

Erstens: Ist die bestehende strafrechtliche Rechtslage sachgerecht? Und zweitens: Bejahendenfalls, welche wären die Möglichkeiten, das Verbot jeder Tötung auf Verlangen verfassungsrechtlich abzusichern?

Zunächst also zur ersten Frage, zur Evaluierung der derzeitigen Rechtslage. Mein Befund lautet etwas anders als jener meines Vorredners: Die geltende Rechtslage ist sachgerecht, sie bedarf keiner Änderung.

Wie komme ich zu diesem Befund? – Ich komme zu diesem Befund auf Grundlage einer Gesamtschau dreier Rechtsbereiche: nämlich einerseits der Normen über den strafrechtlichen Lebensschutz als solchen; zweitens des Rechts des Einzelnen, Heilbehandlungen zuzulassen oder gegebenenfalls auch abzulehnen; und drittens aus spezifischen sanktionsrechtlichen Überlegungen.

Zunächst also zu den lebensschutzrechtlichen Einzelbestimmungen des StGB. Da gewährt das Strafgesetz dem Leben bis zum Ende umfassenden Schutz. Das Strafgesetz normiert nämlich das Verbot jeder vorsätzlichen Tötung eines anderen, auch jeglichen „mercy killing“ als Mord; es enthält das strafrechtliche Verbot jeder Fremdtötung auf Verlangen und, damit eng verwandt, das Verbot, auf Verlangen des Suizidenten, aber auch aus sonstigem Grund, diesem Hilfe zur Selbsttötung zu leisten oder gar hiezu zu veranlassen. Und drittens: Das geltende Recht sieht den Suizid grundsätzlich als Unglücksfall an, der zur Hilfeleistung verpflichtet.

Die Strafrechtsdoktrin hat die Abgrenzungsfragen, die sich bei diesen Straftatbeständen gestellt haben, recht gut in den Griff bekommen. Ich meine, anders als mein Vorredner, diese Abgrenzungsfragen sind geklärt. Das gilt auch für die Frage, wann ein strafbares Unterlassen vorliegt. Diese Frage ist nicht suizidspezifisch bei den §§ 77 und 78 geklärt, sondern in Form einer allgemeinen Regelung im § 2 des StGB. Auf die dazu vorgefundenen Grundsätze kann man sich getrost verlassen, man kann sie auch im Bereich der Selbsttötung getrost anwenden.

Zweitens: Das Strafrecht anerkennt umgekehrt das Recht jedes Einzelnen, Heilbehandlungen zuzulassen oder eben auch abzulehnen – und damit auch das Recht, sich einer Behandlung zu entziehen und gegebenenfalls nach Hause sterben zu gehen. § 110 StGB enthält eine strafbewehrte Absicherung dieses Verbots eigenmächtiger Heilbehandlung; und das ist, möchte ich betonen, auch gut so.

Drittens: Das geltende Recht erlaubt aber auch sachgerechte Reaktionen auf jeden Einzelfall, abhängig von dessen konkreten Umständen. Die diesbezüglichen Regeln braucht man nicht erst suizidspezifisch zu erfinden, es gibt sie schon, allerdings nicht tatbestandsbezogen, sondern wiederum vor die Klammer gezogen im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches. Unsere Strafrechtsordnung ist ausdifferenziert und erlaubt ein Eingehen auf alle Fälle, und zwar auf alle Einzelfälle, soweit sie dort spezifische Erfordernisse stellen. Wie schauen diese Regelungen aus? Grundsätzlicher Strafrahmen: 6 Monate bis 5 Jahre. Aber schon die allgemeinen Regeln erlauben erstens in der Strafzumessung ein Zumessen der Sanktion auf den Einzelfall. Es besteht die Möglichkeit – unter gewissen, nämlich den allgemeinen Voraussetzungen – einer bedingten Strafnachsicht, ja sogar bei Zumessung im untersten Bereich einer Geldstrafe.

Damit nicht genug, gibt es wiederum eine allgemeine Regelung über die außerordentliche Strafmilderung, wenn und soweit – das muss man betonen: wenn und soweit – ein beträchtliches „Überwiegen der Milderungsgründe“ vorliegt. Diesfalls kann die gesetzliche Mindeststrafe unterschritten werden und eine Freiheitsstrafe von gar nur einem einzigen Tag verhängt werden. Einen zusätzlichen Reduzierungsbedarf sehe ich da nicht.

Nun zur zweiten Frage, der Frage der verfassungsrechtlichen Absicherung dieser einfachgesetzlichen Rechtslage, nämlich – da stimme ich meinem Vorredner zu – §§ 77 und 78 StGB. Dabei geht es um den Bereich politischer Absichtserklärungen, um die Möglichkeit des Festschreibens eines Wertebekenntnisses und allenfalls auch einer Bestandssicherung der strafrechtlichen Normen.

Jede derartige Absicherung muss außerhalb des Bereichs des einfachen Gesetzes liegen, erfordert daher eine über-einfachgesetzliche, nämlich verfassungsgesetzliche Regelung. Tatsächlich bietet sich ein ganzes Spektrum an Möglichkeiten. Diese möchte ich mit ihren Vor- und Nachteilen im Nachfolgenden beschreiben. Ob und welche man wählt, entscheidet der Verfassungsgesetzgeber, also im Grunde Sie.

Die erste Möglichkeit besteht darin, tatsächlich bestehende Strafrechtsnormen in den Verfassungsrang zu heben, wenn man so will, tel quel. Sicher ungewöhnlich, sicher zu einer besonderen Rigidität der Strafrechtsnorm führend, aber – das muss man auch sagen – nicht unvorstellbar. Strafbestimmungen im Verfassungsrang gibt es ja in Österreich, nämlich im Verbotsgesetz.

Die zweite Möglichkeit bestünde in einer Bestandssicherung der Strafnorm, ohne die Strafnorm selbst in den Verfassungsrang zu heben. Man hätte dann eine verfassungsrechtliche Norm, die nur bei gewissen Quoren abgeändert werden könnte. Beispiel für diese Regelungstechnik ist das Bankgeheimnis. Auch das gibt es in Österreich.

Drittens kann man von einer derart konkreten Absicherung bestehender Einzelnormen Abstand nehmen und ein verfassungsrechtliches Commitment, eine verfassungsrechtliche Wertentscheidung festschreiben, nämlich als Artikulation eines Werts und eines Bekenntnisses hiezu. So ein Commitment, das ist schon was.

Man kann aber – und damit komme ich auch gleich zum Schluss – ein derartiges Wertebekenntnis in einer vierten Möglichkeit, also einer Zielbestimmung mit konkreten Einzelverbürgungen verbinden. Ich nenne das Commitment plus. Man kann also ein verfassungsrechtliches Bekenntnis zu diesem Grundwert zum Ausdruck bringen, und die Artikulation dieses Grundprinzips mit einem Bekenntnis zum Strafrechtsschutz auch in der letzten Lebensphase verbinden.

Wenn Professor Grabenwarter am Vormittag die Grundposition des Konvents vorgestellt hat, so würde ich meinen, dass diese Grundwertung des Konvents in der letztgenannten Position Commitment plus jedenfalls ausreichende Deckung findet. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Michael Mayrhofer: Der Tagesordnungspunkt, der jetzt zur Behandlung steht, umfasst sowohl die verfassungsrechtliche Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen als auch ein soziales Grundrecht auf ein, so würde ich es bezeichnen, würdevolles Leben bis zum Lebensende beziehungsweise Tod.

Das sind zwei unterschiedliche, aber doch inhaltlich zusammenhängende Fragen. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist allerdings eine jeweils eigenständige Auseinandersetzung mit diesen Fragen angezeigt.

Aufgrund der großen Zahl der Expertinnen und Experten, die eingeladen wurden, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen, aufgrund meines Fachgebiets und insbesondere auch aufgrund der zeitlichen Rahmenbedingungen beschränken sich meine Ausführungen auf die Frage der möglichen Verankerung eines sozialen Grundrechts.

Diese Frage ist eine zweifache. Sie ist zunächst eine verfassungspolitische Frage, ob ein soziales Grundrecht auf ein würdevolles Leben bis zum Tod in der Verfassung verankert werden soll, und diese Frage ist durch den Verfassungsgesetzgeber, also durch Sie zu entscheiden.

Aus Sicht des Verfassungsrechts spricht jedenfalls natürlich nichts dagegen, ein solches Grundrecht zu verankern. Das ist natürlich möglich. Neuland, darauf möchte ich hinweisen, würden Sie mit einem solchen Grundrecht nicht betreten. So wurden – darauf wurde ja heute schon hingewiesen – erst jüngst grundlegende Kinderrechte etwa im Verfassungsrang verankert; und wenn Sie sich etwa die Europäische Grundrechtecharta, einen modernen Grundrechtskatalog ansehen, so enthält diese Charta in ihrem vierten Kapitel eine ganze Reihe von sozialen Grundrechten.

Die andere Frage ist – und auf die möchte ich jetzt näher eingehen –, wie ein soziales Grundrecht auf ein würdevolles Leben bis zum Tod in der Verfassung verankert werden könnte. Im Wesentlichen sind da drei Varianten denkbar. Ich darf Ihnen zu diesen drei Varianten dann jeweils auch die Vor- und Nachteile nennen, wobei ich insgesamt grundsätzlich der Meinung bin, dass letztlich alle drei Varianten möglich wären und zu Ihrer Disposition stehen, natürlich abhängig von gewissen faktischen Voraussetzungen, die zu beurteilen nicht mir obliegt.

Erstens: Das Grundrecht könnte als justiziables Individualrecht, also als tatsächliches verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht in die Verfassung Eingang finden. Allerdings müsste es dazu für den Einzelnen durchsetzbare Leistungsansprüche tatsächlich umfassen. Das würde in rechtlicher Hinsicht eine sehr präzise Bestimmung dieser Leistungsansprüche notwendig machen und in faktischer Hinsicht voraussetzen, dass der Leistungsgegenstand sowohl vorhanden als auch für den Staat tatsächlich verfügbar ist.

Zumindest Letzteres ist wohl derzeit, um auf die einleitenden Worte der Frau Vorsitzenden zurückzukommen, noch zu bezweifeln, eine flächendeckende Versorgung mit Palliativ- und Hospizleistungen scheint es noch nicht zu geben. Gegen eine solche Verankerung kann man allerdings auch darüber hinaus einwenden, dass sie wohl nicht die gebotene Flexibilität aufweisen würde, die an eine solche Regelung zu stellen wäre. Umso präziser man es fasst, umso größer ist gerade bei diesem Thema, das gesellschaftlichen und medizinischen Entwicklungen unterworfen ist, wohl dann auch der Anpassungsbedarf.

Ein zweites Modell könnte diese Problematik der fehlenden Flexibilität vermeiden, nämlich ein Modell, bei dem ein soziales Grundrecht unter einem Ausgestaltungsvorbehalt zugunsten des einfachen Gesetzgebers verankert würde. Eine solche Regelung würde den verfassungsgesetzlichen Auftrag an den Gesetzgeber bedeuten, die prinzipiellen Vorgaben der Verfassung näher zu konkretisieren und dadurch mit Leben zu erfüllen.

Der einfache Gesetzgeber hätte bei einem solchen Modell einen gewissen Spielraum, der eben auch die notwendige Flexibilität einräumen würde, auf Entwicklungen in gesellschaftlicher und medizinischer Form zu reagieren. Als Vorbild für eine derartige legistische Vorgehensweise können einige der bereits angesprochenen sozialen Grundrechte des vierten Kapitels der Europäischen Grundrechtecharta dienen.

Man muss aber darauf hinweisen, dass die Problematik einer solchen Vorgehensweise in der möglichen fehlenden Effektivität eines solchen Grundrechts liegen könnte; nämlich dann, wenn der einfache Gesetzgeber hinter den Verheißungen des Verfassungsrechts zurückbliebe. Es wäre daher in diesem Fall jedenfalls zu empfehlen, zumal es im österreichischen Rechtsschutzsystem, von Ausnahmen abgesehen, keinen Rechtsschutz gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers gibt, hier zugleich auch einfachgesetzliche Regelungen mitzuüberlegen und mit auf den Weg zu schicken. Drittens: Ausgehend von der aktuellen faktischen Lage, einer wohl noch nicht flächendeckenden Hospiz- und Palliativversorgung, ist es wohl angezeigt, zunächst einmal eine umfangreiche Gewährleistung dieser Leistungen als Staatszielbestimmung anzudenken und als solche in die Verfassung aufzunehmen, wobei auch eine solche Staatszielbestimmung im Interesse ihrer Effektivität schon möglichst konkretisiert sein sollte. Das bedeutet also, ich würde nicht dazu raten, bloß von einem Recht auf ein würdevolles Leben bis zum Tod zu sprechen, sondern das jedenfalls schon konkreter zu machen. Eine derartige Formulierung würde auch die heute von einer Vorrednerin bereits angesprochenen Bedenken ausräumen, die eine zu allgemeine Formulierung wohl hervorrufen könnte.

Ohne rechtliche Bedeutung wäre eine solche Staatszielbestimmung nicht, sie wäre sowohl für die Prüfung einfacher Gesetze durch den Verfassungsgerichtshof von Relevanz als auch für die Auslegung von einfachen Gesetzen und Verordnungen als auch für Ermessens- und Abwägungsentscheidungen der Verwaltung und der Gerichte. Das heißt also, sie wäre keineswegs rechtlich bedeutungslos, und sie enthielte über einen bloßen Symbolwert hinaus natürlich auch den Auftrag, den verfassungsgesetzlichen Auftrag an Bund, Länder und Gemeinden, im Rahmen ihrer administrativen und legislativen Möglichkeiten zur Zielerreichung beizutragen. – Danke. (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Katharina Pabel: Die Frage, ob strafrechtliche Normen, wie insbesondere das Verbot der Tötung auf Verlangen und ein soziales Grundrecht auf würdevolles Sterben im Verfassungsrecht verankert werden sollen, ist in allererster Linie zunächst einmal weniger eine verfassungsrechtliche als eine verfassungspolitische Fragestellung. Es ist damit Sache des Gesetzgebers, also Ihre Sache, Ihre Gestaltungsfreiheit in Anspruch zu nehmen und zu entscheiden, auf welche Weise das, wie ich denke, gemeinsame und auch unbestrittene Ziel, nämlich die Würde des Menschen am Ende des Lebens zu sichern, am besten zu erreichen ist.

Rahmenbedingungen für die Ausübung dieser Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, und zwar auch des Verfassungsgesetzgebers, können sich allerdings aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ergeben. Auf diese möglichen Rahmenbedingungen möchte ich im Folgenden ein wenig näher eingehen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte sich, beginnend mit der schon genannten und sehr bekannt gewordenen Entscheidung im Fall Pretty aus dem Jahr 2002, beginnend mit dieser Rechtsprechung mehrfach mit Fragen auseinanderzusetzen, die in dem Zusammenhang mit dem Wunsch kranker oder betagter Menschen aufgetreten sind, ihrem Leben selbst oder mit Hilfe anderer ein Ende zu setzen. Konkret ging es dabei etwa um den Wunsch einer schwerkranken Frau, dass ihr Ehemann sie bei dem ihr körperlich unmöglich durchführbaren Selbstmord unterstützt, beziehungsweise um den Wunsch, ein tödlich wirkendes Medikament zu erhalten, um damit dann die Tötung vorzunehmen. Aus den Entscheidungen in diesen Fällen können der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte folgende Eckpunkte entnommen werden, die für die heutige Diskussion von Bedeutung sind.

Erstens sieht der EGMR die Entscheidung, auf welche Art und zu welchem Zeitpunkt eine Person ihr Leben beendet, von einem durch die Konvention geschützten Recht auf Selbstbestimmung erfasst, wenn die Person in der Lage ist, die Konsequenzen ihrer Entscheidung abzusehen, und die Entscheidung freiwillig trifft. Mit dieser Anerkennung der Rechtsposition ist aber keinesfalls gesagt, dass der Staat jede Entscheidung einer Person, ihrem Leben ein Ende zu setzen, akzeptieren muss. Und schon gar nicht folgt daraus, dass der Staat für eine – ich sage es in Anführungsstrichen – „erfolgreiche“ Umsetzung dieses Wunsches Sorge tragen muss. In keiner Entscheidung bislang hat der EGMR im Ergebnis ein Recht anerkannt, den Wunsch nach einer Beendigung des eigenen Lebens auch umsetzen zu können, sei es durch praktische Hilfe bei der Medikamenteneinnahme oder Zurverfügungstellung des Zugangs zu einem tödlich wirkenden Medikament.

Zweitens: Ein Recht darauf, dass der Staat die aktive Sterbehilfe straffrei stellt, gibt es nicht. Vielmehr gesteht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Vertragsstaaten der Konvention einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Frage zu, ob überhaupt, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen sie einen sogenannten assistierten Selbstmord, wie man ihn etwa aus dem Schweizer Recht kennt, straffrei stellen. Ein europäischer Konsens – und das ist explizit festgehalten – besteht daher in dieser Frage derzeit nicht.

Umgekehrt – und das ist mein dritter Punkt – folgt aus der Rechtsprechung, dass die Staaten jedenfalls verpflichtet sind, eine Person davor zu schützen, eine Selbsttötung vorzunehmen, wenn die Entscheidung nicht freiwillig und unter Kenntnis aller Umstände erfolgt.

Die Rechtsprechung des EGMR entwickelt sich fort, und wie stets sind zukünftige Positionen nur schwer vorhersehbar. Nach derzeitigem Stand kann für die heutige Diskussion festgehalten werden, dass die Festschreibung des Verbots der Tötung auf Verlangen im Verfassungsrang – ebenso wenig wie im Übrigen das jetzt schon bestehende einfachgesetzliche Verbot – mit der Rechtsprechung des EGMR im Widerspruch steht. Beides steht im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Die Frage der Gewichtung zwischen dem Recht auf Leben – nicht dem Recht auf Tod – und dem Recht auf Selbstbestimmung stellt sich aus der Perspektive der Europäischen Menschenrechtskonvention im Übrigen unabhängig davon, wo man das Verbot verankert: Verfassung oder einfachgesetzlich.

Meine letzte Bemerkung noch zur Frage der Verankerung eines sozialen Grundrechts auf würdevolles Sterben: Ich denke, auf das Ziel, jedem Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen, kann man sich schnell einigen. Die Frage ist, was durch eine mögliche, angedachte verfassungsrechtliche Verankerung gewonnen ist. Die bestehenden Unterschiede im Verständnis dessen, was denn Sterben in Würde heißt, werden durch die Festschreibung als Verfassungsrecht nicht von vornherein gelöst, sondern finden sich bei der Interpretation des Rechts wieder. Eine verfassungsrechtliche Bestimmung gewinnt rechtlich an Gewicht, je konkreter man sie fasst. Gelingt es, Ansprüche etwa auf eine angemessene Palliativversorgung oder auf Aufnahme in ein Hospiz zu verankern, dann sind diese Aspekte des Sterbens in Würde tatsächlich verfassungsrechtlich abgesichert. Ansonsten läuft der Verfassungsgesetzgeber Gefahr, zwar ein Ziel festzuschreiben, die Ansätze zur Erreichung des Ziels aber dann leider schuldig zu bleiben. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Kurt Schmoller: Auch ich habe zu dieser Frage im Grenzbereich zwischen Strafrecht und Verfassung Stellung zu nehmen. Als Strafrechtler beginnen ich mit dem Strafrecht.

Ich glaube, dass die Strafrechtslage in dem angesprochenen Themenbereich grundsätzlich ausgewogen ist und kein grundsätzlicher Handlungsbedarf besteht. Auf der einen Seite – das wurde vorhin schon betont – ist das Recht jedes Menschen, eine medizinische Behandlung abzulehnen, und zwar auch eine lebensnotwendige Behandlung abzulehnen, strafrechtlich abgesichert im Rahmen des § 110, der eigenmächtigen Heilbehandlung. Ein Arzt, der sich über eine aktuelle Behandlungsablehnung, über eine verbindliche Patientenverfügung oder über das Ergebnis der Ausübung von Vorsorgevollmacht hinwegsetzt, würde sich strafbar machen. Daran würde ich gerne festhalten.

Zweitens: Grundsätzlich ist es auch sachgerecht, die Tötung einer Person oder die Hilfe dabei, auch auf deren Wunsch hin, unter Strafe zu stellen. Würde man – wie das in der Öffentlichkeit manchmal verlangt wird – Tötung auf Verlangen oder Mitwirkung am Selbstmord straffrei stellen, müsste man bedenken, dass das keineswegs nur Auswirkungen im Bereich von Sterbehilfefällen, sondern weit darüber hinaus hätte, denn der Wunsch nach Beendigung des Lebens kann aus unterschiedlichen Gründen resultieren. Auch wenn jemand Liebeskummer hat, wenn ein Angehöriger gestorben ist, wenn Insolvenz eingetreten ist, wenn sonstige Schicksalsschläge eintreten, kann jemand den Wunsch verspüren, sein Leben zu beenden. Man sollte nicht so weit gehen, in derartigen Fällen eine Tötung oder eine Mitwirkung am Selbstmord zu erlauben, sondern sie strafbar belassen.

Die Frage könnte sein, ob in Krankheitsfällen etwas anderes gilt. Ich glaube, dass der rechtliche Schutz des Lebens auch in Krankheitsfällen und in der letzten Lebensphase grundsätzlich aufrechtbleiben sollte. Es wäre nicht einsichtig, warum gerade in Krankheitsfällen die Autonomie des Einzelnen so aufgewertet würde, dass sie den Lebensschutz überwiegt, in anderen Fällen des Wunsches, sein Leben zu beenden, hingegen nicht durchgehalten wird. Warum also gerade die Autonomie des Kranken mehr geschützt werden sollte als sonst die Autonomie des Gesunden, was einen Wunsch auf Lebensbeendigung betrifft, wäre, glaube ich, erst näher zu begründen oder ist nicht leicht zu begründen.

Für besondere Extremsituationen sieht das Strafrecht Flexibilität im Bereich des Sanktionenrechts vor, wie Kollege Lewisch schon gesagt hat. Es gibt grundsätzlich auch Entschuldigungsgründe. Allerdings muss man ehrlicherweise dazusagen, dass diese auch ihre Grenzen haben. Ich glaube, dass die allgemeinen Grenzen von Entschuldigungsgründen auch in dem angesprochenen Bereich beachtet werden müssten.

Ich komme zweitens zu einem verfassungsrechtlichen Ausblick. Ich glaube nicht, dass etwas damit gewonnen wäre, oder hielte es sogar für schädlich und einen Fremdkörper in der Verfassung, eine strafrechtliche Vorschrift in Verfassungsrang zu heben. Es wäre auch zu befürchten, wie am Vormittag Kollegin Kucsko-Stadlmayer gesagt hat, dass damit eine Verschiebung des bisher ausgewogenen Regelungsverhältnisses einträte. Würde man die Tötung auf Verlangen und/oder die Mitwirkung am Selbstmord in Verfassungsrang heben, dann wären andere Vorschriften daran zu messen, weil sie nicht verfassungswidrig sein dürften. Es wäre die Frage, ob sich dann das Recht, jede, auch eine lebensnotwendige, Heilbehandlung abzulehnen, nicht vor dem Hintergrund einer solchen Verfassungsvorschrift als bedenklich erweisen würde. Die Ausgewogenheit der derzeitigen Regelung würde ich nicht gerne gefährden.

Man könnte daran denken – wie es ja auch diskutiert wurde –, nur die Bestandskraft der strafrechtlichen Vorschrift abzusichern, etwa dahin, dass sie nur mit Zweidrittelmehrheit des Parlaments geändert werden könnte. Auch damit wäre, glaube ich, nichts gewonnen. Abgesehen davon, dass das in gewisser Weise eigentlich eine Umgehung der Verfassungsvorschrift darstellt, würde eine solche höhere Bestandskraft nichts daran ändern, dass in anderen Vorschriften, etwa einem Euthanasiegesetz, Ausnahmeregelungen getroffen werden könnten, weil da ja an dieser Vorschrift selbst nichts geändert wird. Die Wirkung wäre also auch begrenzt.

Am ehesten könnte man daran denken, die Menschenwürde in der Verfassung zu verankern, wobei es allerdings die Frage ist, was sich daraus ableiten lässt. Immerhin ist aber anzuerkennen, dass im Unterschied zu einigen anderen Verfassungsrechtsordnungen die Menschenwürde in der österreichischen Verfassung bisher nicht ausdrücklich verankert ist. Ich hielte es aber für einseitig, nur die Würde des Sterbenden in der Verfassung zu erwähnen, sondern wenn, dann müsste die Würde des Lebenden gleichermaßen mitverankert sein.

Vielleicht könnte das in der Form geschehen, dass eine Regelung lauten könnte – aber ich sage gleich dazu, ich befürworte es nicht, weil das, was man daraus ableitet, etwas ungewiss ist –, wenn man etwas in die Verfassung schreiben wollte, könnte man vielleicht schreiben: Jeder Mensch hat das Recht auf Achtung und Schutz seiner Würde. Dies gilt unter allen Lebensumständen, insbesondere auch im letzten Lebensabschnitt.

Man könnte vielleicht, im Hinblick auf die Diskussion zur Palliativmedizin, auch noch anfügen: Jeder Mensch hat das Recht auf notwendige Pflege und umfassende Schmerzbehandlung, insbesondere auch im letzten Lebensabschnitt.

Und wenn man will, dann könnte man vielleicht anfügen – aber das ist eine rechtspolitische Entscheidung –: Der rechtliche Schutz des Lebens bleibt auch im letzten Lebensabschnitt aufrecht. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin: Auf der Tagesordnung steht: die Möglichkeit der Verankerung strafrechtlicher Normen in der Verfassung. – Möglich ist das selbstverständlich; die Technik dazu gibt es auch. Es ist eine verfassungspolitische Entscheidung, die wir Experten Ihnen nicht abnehmen können oder wollen.

Was wir vielleicht machen können, ist, Ihnen ein bisschen zu helfen, was Sie sich dabei einhandeln. Sie sehen dann schon, die Hilfe ist eigentlich relativ beschränkt, weil wir auch nicht viel wissen. Was Sie auch sehen, ist, dass wir ein bisschen uneinig darüber sind, ob man das tun soll oder nicht, je nachdem, ob wir die Konsequenzen eher fürchten oder eher auf sie hoffen.

Es sind zwei Themen, da stellen sich jeweils zwei Fragen, sowohl beim Verbot der Tötung auf Verlangen als auch beim sozialen Grundrecht auf ein Sterben in Würde. Was heißt das? – Und das andere: Warum gerade da?

Bei Tötung auf Verlangen ist verboten ist eine Konsequenz, dass Sie künftig den § 77 mit einfachen Mehrheiten nicht mehr aufheben können. Sie können ihn aber wohl auch nicht mehr abändern, und da ist es dann schon schwer zu beurteilen: Was heißt das? – Sie dürfen den Paragraphen nicht angreifen. Sie dürfen wohl auch keine Spezialnorm im Besonderen Teil machen. Sie haben wohl Limitierungen im Allgemeinen Teil, Einwilligungslösungen zu machen, die dann weitergehen.

Darüber hinaus – da waren sich eigentlich alle bis jetzt einig – ist das Verbot mehr: Es ist eine Wertentscheidung, ein Commitment für das Leben. Die Konsequenzen sind dann auf der einen Seite, dass Hilfeleistung zum Selbstmord auch verfassungsfest ist und dass in die Verfassung gemeißelt wird, dass mit gerichtlicher Strafe zu belangen ist, wer Angehörige bei ihrem letzten Weg in die Schweiz begleitet. Da habe ich als Bürger, nicht als Experte, einfach ein ethisches Problem, und ich halte diese Regelung nicht für sachgerecht.

Darüber hinaus würde so ein Commitment, glaube ich, die bestehenden Regelungen über die Patientenverfügung unter Druck bringen. Das sind kommunizierende Gefäße. Die Strafbarkeit für Tötung auf Verlangen ist in Österreich wie in Deutschland zurückgegangen, seit es diese Instrumente gibt. Heißt das, dass diese Instrumente verfassungswidrig sind? – Höchstwahrscheinlich nicht. Heißt es, dass man sie nicht mehr ausdehnen kann? – Höchstwahrscheinlich schon. Dann können Sie sich sozusagen die Diskussion darüber sparen.

Ich denke, das wäre nicht sachgerecht. Das ist eine wichtige Debatte, die wir nicht abschneiden sollten. Eine Verankerung in der Verfassung wäre eine partielle Selbstentmachtung des Parlaments. Eine Verschiebung auf den VfGH läuft – überzeichnet kann man das sagen – ein wenig auf Sterbehilfe für die Demokratie hinaus.

Zweiter Punkt: soziales Recht auf Sterben in Würde. Was heißt das? – Sicher, so zumindest die Einigkeit, Recht auf palliativmedizinische Versorgung, Recht auf Hospizbetreuung. Wenn man das will, dann sollte man das konkret hineinschreiben. Es wird aber wohl mehr sein. Was das Mehr ist, wissen wir auch wieder nicht recht; das ist ein offener Korb, in den dann der Verfassungsgerichtshof hineinlegen kann, was er will. Es gibt kaum Durchsetzungsinstrumente. Von daher ist also die Chance oder die Gefahr, die da etwa resultiert, nicht allzu hoch.

Die zentrale Frage ist aber: Wer ist verpflichtet? – Sicher der Staat. Was heißt das? Muss er für flächendeckende Angebote sorgen, auch dort, wo die Privaten das jetzt schon gut machen? Bringt das sozusagen private Angebote unter Druck? – Hoffentlich nicht. Es wird wohl eher eine Verpflichtung sein, in die Bresche zu springen, wo die Privaten nicht weiterhelfen.

Der entscheidende Punkt ist aber: Wer zahlt das? Bund oder Länder? Steuerzahler oder Versicherungsgemeinschaft? Heißt dieses Recht Recht auf Kostenfreiheit auch dort, wo die Leute sehr wohl die Möglichkeit hätten, das zu bezahlen?

Wenn wir auf all diese Fragen Antworten haben, dann sollten wir, denke ich, nicht beim Grundrecht bleiben, sondern sollten die Lösungen eins zu eins im Gesetz anbieten. Auch hier gilt: Es gibt nichts Gutes, wenn man es nicht tut. Ein Grundrecht zu schaffen, ist allenfalls gut gemeint.

Ich komme zum Schluss und sage den letzten Satz wohl eher als Bürger denn als Experte. Liebe Abgeordnete! Sie haben eine wichtige Diskussion zu einem Thema angestoßen, das, wie anfangs gesagt worden ist, tabuisiert war. Ich habe den Wunsch, dass Sie diese Diskussion weiterführen zu einem guten Ende, zu einem Ende, das offen ist. Widerstehen Sie der Versuchung, die schwierigen Fragen, die sich darstellen, in die Verfassung zu schieben und sie damit letztlich an uns Verfassungsexperten abzuschieben, denn sinnvolle Antworten auf diese schwierigen Fragen bei diesem Thema zu geben, das können Sie wesentlich besser als wir! (Beifall.)

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Diskussion

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer dankt allen Referenten und Referentinnen für ihre Ausführungen, leitet zur Diskussion über und erteilt Frau Abgeordneter Mag. Musiol als erster Rednerin das Wort.

Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne): Ich versuche, mich zu beeilen, wiewohl ich mir trotzdem die Zeit nehmen möchte, Folgendes zu sagen: ein sehr spannender Tag, umso bedauerlicher, dass wir für diese wichtige Diskussion, die wir jetzt zum Schluss führen, so wenig Zeit haben! Vor diesem Hintergrund kann ich Ihrem Appell, Herr Professor Wiederin, nur zustimmen: Das muss weiter diskutiert werden! Uns ist ja auch schon öffentlich ausgerichtet worden – zu Recht –, dass wir uns um bestimmte Fragestellungen nicht drücken sollten. Ihre Aussage betreffend Abschieben an die Verfassungsexperten, das war aber nicht der Bürger, sondern der Verfassungsexperte, oder?

Seitens der Grünen gibt es ganz klar eine Absage an die Verankerung in der Verfassung, nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern auch aus anderen Gründen. Einen Grund, der schon von einigen Expertinnen und Experten genannt worden ist, möchte ich hier noch einmal betonen: Es werden damit mehr Probleme geschaffen, neue Probleme geschaffen, und die alten sind dann noch immer nicht gelöst. Etwas, das mich einfach beschäftigt, ist folgende Frage: Wie definieren wir eigentlich „Würde“, und wie würde sie von jenen, die das auslegen müssen, die dann höchstgerichtlich zu entscheiden haben, definiert werden?

Ein Wort auch noch zum Thema Suizid: Auch um diese Diskussion sollten wir uns nicht herumschummeln. Natürlich geht es da um Lebensschutz auf der einen Seite und Autonomie auf der anderen Seite. Ich glaube, da muss man gar nicht zwingend zwischen Menschen, die krank sind, und Menschen, die nicht krank sind, unterscheiden. Ich finde es ganz wichtig, dass man alles tut, um eine Person, die äußert, dass sie nicht mehr leben will, zu unterstützen, dass diese Person von ihrem Vorhaben abgebracht wird, dass sie wieder einen Sinn im Leben sieht, dass sie Lust hat, weiterzuleben. Die letzte Entscheidung liegt aber trotzdem bei dieser Person, und da erst trennt sich der Kranke vom Gesunden beziehungsweise trennen sich einige Kranke von den Gesunden, nämlich dort, wo sie aufgrund der Art der Erkrankung alleine vielleicht nicht mehr die Möglichkeit haben, einen Schritt zu setzen. Wir brauchen eine ernsthafte Diskussion, wie wir damit umgehen wollen.

Ich habe da eine sehr persönliche Präferenz, diese haben Sie wahrscheinlich schon durchgehört, aber das müssen wir diskutieren – mit all den Problemen, die das mit sich bringt, mit all den Abgrenzungsproblemen, die das mit sich bringt, auch mit all den Missbrauchsängsten, die da mitschwingen. Irgendwann einmal muss man hier eine Entscheidung treffen; im Moment schummeln wir uns darum herum.

In der letzten ExpertInnenrunde wurde auf etwas hingewiesen: zuhören und reden, um Abschied nehmen zu können – in diesem Fall war das Spital, die medizinische Versorgung gemeint. Auch in diesem Punkt geht es letztendlich darum, in einen Dialog zu treten, wenn jemand diesen Wunsch äußert, irgendwann einmal aber auch zu akzeptieren, dass dieser Wunsch geäußert wurde.

Ich kann Ihnen, falls Sie es noch nicht kennen, in diesem Zusammenhang das Argumentarium der Diakonie empfehlen, das ich in Vorbereitung dieser Sitzung gelesen habe. Ich denke, ich bin aufgrund meiner bisherigen politischen Äußerungen nicht verdächtig, Lobbyistin einer Religionsgemeinschaft zu sein. Dieses Argumentarium ist wunderbar, ist großartig, und ich möchte noch einen Satz daraus vorlesen:

„Es geht weniger darum, dass diese Kompromisse moralisch einwandfrei sind, als darum, der konkreten Situation möglichst gerecht zu werden und Verantwortung zu übernehmen – unter Umständen auch um den Preis, Schuld auf sich zu laden.“ – Danke schön. (Beifall.)

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Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Nach zwei öffentlichen Anhörungen, die von weitgehender Übereinstimmung getragen waren, kommen wir jetzt in ein Territorium, das einigermaßen umstritten ist, wie wir merken.

Ich darf vorausschicken, dass wir NEOS als Bürger- und Bürgerinnenbewegung Wert darauf legen, dass die Stellungnahmen – 670 waren es ungefähr –, die bei uns im Parlament eingegangen sind, die sich auf das Ende des Lebens beziehen, Eingang finden und dass alle Themen, die darin angesprochen worden sind, auch im Rahmen der Enquete-Kommission angesprochen werden. Und da fehlen mir noch einige Themen, zum Beispiel die Entwicklung der Alterssuizide; die Frage des assistierten Suizids ist heute am Nachmittag in der Schlussphase aufs Tapet gekommen.

Es gibt auch noch den nicht zu verleugnenden Sterbehilfetourismus in Nachbarländer, das muss man doch auch einmal offen ansprechen. Wir haben es bisher nicht getan, weil wir nicht mutig genug sind, ergebnisoffen darüber zu diskutieren, weil wir Angst vor Missbrauch haben. Das ist menschlich nachvollziehbar, aber das hält uns davon ab, die Würde von Menschen, die am Lebensende für sich selbst – und nur für sich selbst! – eine andere Form der Selbstbestimmung in Anspruch nehmen wollen, zu berücksichtigen. Die Geschichten dieser Menschen sind zum Teil bekannt, etwa der Fall des Herbert Fux, der extra in die Schweiz gereist ist. Seine Frau durfte ihn auf diese Reise nicht begleiten, sie hätte sich der Gefahr ausgesetzt, in Österreich verhaftet zu werden.

Was wir als Gesetzgeber vermeiden sollten, ist eine Festlegung der menschlichen Würde und des würdigen Sterbens für alle Bürgerinnen und Bürger, dieses gesetzgeberische Besserwissen, was für den Einzelnen das Richtige ist und was nicht. Die Enquete-Kommission ist deshalb ein erster Schritt und darf nicht das Ende dieses notwendigen gesellschaftlichen Diskurses über Sterben und Tod sein.

Daher mein Vorschlag: Sorgen wir in diesem ersten Schritt für den Ausbau des Hospiz- und Palliativangebots! Da besteht Einigkeit auf allen Seiten. Sorgen wir für die Festlegung einer Regelfinanzierung! Kommen wir in einer Folge-Enquete erneut zusammen, um das zu besprechen, was im Sinne der Betroffenen – und genau um die muss es ja gehen, und nicht um ideologische Prinzipien – rechtlich erforderlich ist, und zwar ergebnisoffen, in einer intensiven Diskussion über die wirklich heiklen Themen.

Ich darf nochmals wiederholen, was ich schon beim ersten Treffen gesagt habe: Die Wünsche am Lebensende sind so unterschiedlich und so vielfältig wie das Leben selbst. – Danke. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Marcus Franz (STRONACH): Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass die Würde durch die Tötung nie und nimmer zu erreichen ist. Das sollte Konsens sein, und das ist, so wie ich das jetzt empfinde, hier herinnen auch so. Es gibt aber durchaus Bestrebungen und Menschengruppen, Bürgergruppen in Österreich, die Tötung auf Verlangen, assistierten Selbstmord im Sinne einer liberalen Gesellschaft für möglich und unterstützenswert halten. Wir müssen uns wirklich ganz gut überlegen, wie wir diesen Bestrebungen und Wünschen begegnen. Wer soll denn dann die Tötungen durchführen? – Das wird im Falle des Falles an den Ärzten hängen bleiben. Wir stehen ja jetzt nicht am Ende einer Debatte, sondern in Wirklichkeit erst am Anfang.

Die Ärztekammer hat sich zum Glück einstimmig dagegen ausgesprochen, jemals an Tötungsprogrammen auf Verlangen teilzunehmen. Das halte ich für absolut richtig, und darüber braucht man nicht mehr zu diskutieren.

Es wurde der Sterbetourismus angesprochen: Natürlich, diesen gibt es, damit muss man sich auseinandersetzen. Und da haben gerade die Ärzte vielleicht Bedarf, sich in der Therapie zu verbessern, denn soweit ich das überblicke – und ich habe jahrelang auf der Onkologie gearbeitet, sehr viel mit Sterbenden und unheilbar Kranken zu tun gehabt –, liegt das fast immer an einer nicht richtig durchgeführten Behandlung mit Antidepressiva, Schmerzmitteln et cetera. Da ist sehr viel drinnen, da kann man den Patienten wirklich helfen.

Zum Wunsch nach Sterben in Würde et cetera, der meistens von gesunden, jungen Menschen geäußert wird: Wie wir heute schon von Menschen, die betreuen, Palliativmedizinern und anderen gehört haben, ändert sich das sehr rasch, wenn man wirklich in die Situation kommt.

Ich glaube – und das ist schon mein letzter Satz –, dass gerade in einer liberalen Gesellschaft wie der unseren der Lebensschutz über allem stehen sollte. Der Lebensschutz ist aus meiner Sicht eines der wenigen Dogmen, die absolut, immer und überall gelten sollten. – Danke schön. (Beifall.)

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Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP): Ich stehe hier als Verfassungssprecher meiner Partei, aber bevor ich auf die Verfassung zu sprechen komme, möchte ich gerne als Mensch zu Ihnen sprechen, weil es, wie ich glaube, wichtig ist, dass man das, wofür man einsteht, in Gesetzen abbildet und nicht umgekehrt. Die Gesetze sind nicht dazu da, dass sie uns die Wertvorstellungen vorgeben, sondern umgekehrt, wir sollen das sagen, wofür wir stehen.

Als ich vor einigen Jahren ans Sterbebett meiner Mutter kam, konnte ich ihr als Jurist nicht helfen, aber als ich ihre Hand genommen habe, konnte sie sich entspannen und in einen friedlichen Tod gehen. Ich nehme aus der Diskussion von heute Vormittag drei Aussagen mit, die zum Zeitpunkt des Sterbens wahrscheinlich ganz wesentlich sind: Liebe, Dialog und: niemals töten! Wir sollten meiner Meinung nach heute versuchen, aus diesen drei Aussagen eine gesetzliche Formulierung zu finden, beziehungsweise uns als Nationalrat darauf festlegen, wo wir hingehen wollen.

Die Juristen haben uns eine große Palette an verfassungsjuristischen Möglichkeiten geboten. Eines, was wir als Abgeordnete im Parlament noch machen können, wurde von ihnen noch nicht erwähnt, nämlich das, was wir schon 2001 getan haben: eine Entschließung an die Bundesregierung zu verabschieden. Das haben wir bereits 2001 getan, für einen verbesserten Zugang zu Palliativmedizin und Hospiz. Heute sitzen wir unter anderem deswegen hier, weil es uns zu wenig war. Daher stelle ich die Frage: Was ist das nächste Mittel, das wir als Gesetzgebungsorgan haben, um mehr Druck in Richtung Ausbau der Palliativ- und Hospizdienste zu machen?

Ich möchte vorschlagen – und da bitte ich jetzt noch um eine Minute Geduld, damit ich das ausführen kann –, dass wir eben nicht beim Kopf zu diskutieren anfangen, sondern dass wir ins Konkrete einsteigen. Daher wäre für mich eine solche Staatszielbestimmung, die als Verfassungsgesetz beschlossen wird – ein solches Verfassungsgesetz haben wir zum Beispiel vor eineinhalb Jahren für die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und für die Forschung beschlossen –, nichts Unübliches, nichts Besonderes. Das hat keine Änderung in der Rechtslage ergeben, sondern es war politischer Wille.

Die nächste Möglichkeit nach einer Entschließung ist eine solche Staatszielbestimmung, in der wir das Recht auf Zugang zur stationären und ambulanten Hospiz- und Palliativversorgung, zu Vorausverfügungen hinsichtlich der medizinischen Heilbehandlungen, zur menschenwürdigen Betreuung von allen pflegebedürftigen Personen und den dafür erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen festschreiben. Als Überbegriff müssen wir wahrscheinlich etwas finden, wo es um die Achtung der Würde und das Leben eines jeden Menschen bis zum Tod geht. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Johannes Jarolim (SPÖ): Herr Kollege Gerstl, was können wir als Gesetzgeber machen? – Gesetze beschließen! Es steht ja nirgendwo geschrieben, dass wir nicht ein Gesetz beschließen sollten, um das umzusetzen, wovon Sie hier gesprochen haben. Meine Damen und Herren, ich warne wirklich davor – das als Appell –, dass wir als Gesetzgeber sagen, es müsse irgendetwas in die Verfassung, damit dritte Personen etwas sicherstellen, was wir haben wollen. Da heute das Wort „Sterbebegleitung für die Demokratie“ gefallen ist: Das ist nicht ohne Weiteres nur als überschießende Bemerkung darzustellen.

Ich glaube, wir müssen uns bewusst sein, dass wir gewählt wurden und allen Wählern – aus welcher Gruppierung auch immer – Rede und Antwort stehen müssen, warum wir hier oder warum wir hier nicht Gesetze beschließen, noch dazu, wenn wir in einer seltenen Einhelligkeit Dinge für positiv und erstrebenswert erachten und diese auch umsetzen können. Es ist völlig grotesk, zu glauben, dass es etwas bringt, das in die Verfassung zu schreiben, und dass wir das dann vielleicht über die Verfassung wieder zurück in den Nationalrat bringen.

Ich bin überhaupt nicht bestrebt, diese wirklich tolle Stimmung, die wir haben, in irgendeiner Weise zu gefährden, aber es muss doch möglich sein, uns unserer eigentlichen Verantwortung bewusst zu werden und dann das zu machen, was hier an uns herangetragen wird: uns zusammenzusetzen, Diskussionen zu führen und die einzelnen Gesetze zu beschließen – und keine Verfassungsbestimmung.

Wir haben eine ähnliche Situation betreffend das Strafrecht: Jedes Mal, wenn wir eine Diskussion über Missstände führen, die wir abstellen wollen, gibt es Menschen, die hergehen und sagen: Wenn wir nur die Regelung ändern und die Strafe verdoppeln, ist etwas getan! – Damit ist es nicht getan! Wir müssen auf die Straße gehen, wir müssen schauen, was in den einzelnen Fällen passiert, und dort die gesetzlichen Regelungen entsprechend anpassen.

Ich denke, das ist das, was wir wollen. Sonst würden wir es von uns wegschieben, unsere Verantwortung nicht wahrnehmen und letztlich dem, was wir von Beginn an gesagt haben, nicht entsprechen: dass wir das gesetzliche Regelwerk – und wir sind der Gesetzgeber hier – so anpassen, dass die Menschen in Zukunft dort, wo es derzeit nicht so optimal ist, bessere Rahmenbedingungen vorfinden. Das ist unsere verdammte Aufgabe, und dieser müssen wir nachkommen. Das kann man sicherlich nicht delegieren. (Beifall.)

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Anneliese Kitzmüller (FPÖ): Sie sehen, wie „einig“ sich unsere Regierungsparteien bei diesem Punkt sind. Daraus können wir schließen, dass wir wahrscheinlich noch einige Zeit über dieses Thema diskutieren werden. Ich finde es wichtig und richtig, dass das der erste Schritt ist, um dieses Thema zu diskutieren.

Die Würde am Ende des Lebens – egal, wie alt man dann ist – ist ein wichtiges Thema, das keinen von uns kaltlässt, wie wir in der Diskussion gehört haben. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Nicht nur die Würde am Ende des Lebens ist wichtig, sondern auch die Würde am Beginn des Lebens. Ich denke, auch diesbezüglich haben wir noch eine Menge zu diskutieren.

Ich bedanke mich hier wie einer meiner Vorredner bei Herrn Dr. Buchinger für seinen Diskussionsbeitrag (Beifall), was die Behinderten, den Erhalt des Lebens dieser Personen, dieser entstehenden Menschen betrifft. Ich glaube, auch das ist ein sehr wichtiges Thema, das wir einmal im Rahmen einer Enquete besprechen müssen; auch dieses Leben ist zu schützen und in weiterer Folge lebenswert zu gestalten.

Ich freue mich auf eine Diskussion zu diesem Thema und wünsche uns allen hier viel Erfolg. – Danke schön. (Beifall.)

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Mag. Alexander Bodmann (Geschäftsführer der Caritas der Erzdiözese Wien): Ich bin dankbar dafür, dass es diese Hospiz-Enquete-Kommission gibt, ich bin dankbar dafür, dass die Diskussionen so geführt worden sind, wie sie geführt wurden, und jetzt hoffe ich auf Ergebnisse.

Die Hospiz- und Palliativversorgung ist weder im österreichischen Sozialsystem noch im Gesundheitswesen sicher gelandet. Vielmehr schwebt sie nach wie vor in der Luft – das hat man auch an diesen Diskussionen erkannt – und wartet auf eine Landeerlaubnis. Und jetzt sind Sie – es wurde schon öfter angesprochen – gefordert, möglichst allen Menschen ein Leben in Würde bis zuletzt zu ermöglichen, eine nachhaltige Palliativ- und Hospizversorgung sicherzustellen.

Am Ende des Lebens geht den Menschen die Zeit aus. Sie haben keine Zeit für lange Diskussionen, um die Finanzierung, um den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung sicherzustellen. Der flächendeckende Ausbau wurde hier von allen Parteien, von allen Beteiligten als logisch und klar und durchführbar festgehalten. Es muss nur getan werden.

Was ist dazu notwendig? Erstens: Es muss der Rechtsanspruch auf eine multiprofessionelle mobile und stationäre Versorgung gesichert sein. Das muss – etwa im ASVG – festgehalten werden.

Zweitens gibt es das Pflegefondsgesetz, in dem die Hospizversorgung vorkommt, bei dem aber sichergestellt werden muss, dass die Bundesländer die Gelder für Hospiz-und Palliativversorgung auch abholen.

Drittens braucht es eine Steuerung dieser Finanzierung und des Ausbaus. Dafür gibt es auch schon ein Instrument: die Zielsteuerungskommissionen im Rahmen der Gesundheitsreform. Dort ist dieses Thema nicht Thema. Das heißt, es müsste zum Thema gemacht werden, dass sich die Bundes-Zielsteuerungskommission und die Landes-Zielsteuerungskommissionen um Hospiz- und Palliativversorgung kümmern. Daher: Erledigen Sie bitte Ihre Aufgaben im Sinne der Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen! – Danke schön. (Beifall.)

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Dr. Günther Leiner (Abgeordneter zum Nationalrat a.D.): Zur Tötung auf Verlangen: Ich bin seit 45 Jahren Arzt, Internist, war zwölf Jahre an der Universitätsklinik in Innsbruck, und die übrige Zeit habe ich eine Dialysestation betreut, bis heute. Ich habe nie einen Patienten gehabt, der von mir verlangt hätte, dass ich ihn ins Jenseits befördere – nie! Das heißt nicht, dass es das nicht gibt, aber ich habe es nicht gehabt. Ganz interessant ist auch, was Dr. Buchinger gesagt hat, was mir wahnsinnig gut gefallen hat, du hast aus meiner Seele gesprochen: Da hat jemand anders entschieden, dass dieses Kind „herausgenommen“ wurde – ich will dieses Wort gar nicht nennen.

Die Tötung auf Verlangen: Wenn wir ein Gesetz oder einen gesetzlichen Spalt beim Schutz des Lebens aufmachen, dann bläst über kurz oder lang der stürmische Wind der Todesmaschinerie durch diese Tür, die wir da geöffnet haben, unter dem Vorwand der Barmherzigkeit, des Mitleids, aber auch der Gier und der Begierde. Wie gesagt, ich spreche aus Erfahrung, und diesen Spalt dürfen wir nicht aufmachen.

Wir Ärzte sollten nicht durch Gesetze in diese Todesmaschinerie eingebaut werden. Töten ist keine Lösung. In Prävention, in liebevoller Begleitung, im Ausbau der Palliativmedizin – da liegt die Zukunft, und da sollten wir investieren. Wir sollten – und das wäre ein Auftrag an die Abgeordneten – die nächsten Schritte zu einer nachhaltigen und adäquaten Absicherung der bewährten Gesetzeslage in Österreich machen. Wir sollten die Bestandssicherung dieser guten Gesetze vorantreiben. – Danke schön. (Beifall.)

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Dr. Stephanie Merckens (Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt): Ich kann mich meinem Vorredner nur anschließen und halte es recht kurz. Das ist ein Plädoyer für den österreichischen Weg; wir gehen einen sehr guten. Es ist ein Ja zur Patientenautonomie, ein Ja zur Palliativbetreuung, ein Ja zu Hospiz und ein Nein zur Tötung auf Verlangen und ein Nein zur Beihilfe zum Selbstmord, zur Selbsttötung.

Das ist für mich ein ganz wichtiger Weg, und ich sehe eigentlich keinen Grund dafür, warum man von diesem Weg abgehen sollte, gerade, wenn es darum geht, die Autonomie zu sichern. Ein selbstbestimmtes Lebensende braucht die Solidarität der Gesellschaft. Eine autonome Entscheidung kann ich nur fällen, wenn ich frei von Angst bin, frei von Sorge, frei von Schmerzen, jedenfalls frei von der Sorge, dass mich hier niemand mehr möchte. Dazu müssen wir uns als Gesellschaft bekennen. Ich fordere tatsächlich die Solidarität der Individualisten ein. Wir müssen an diesem österreichischen Weg festhalten. Er ist für mich ein Grundwert.

Das Strafrecht kann auf jeden Einzelfall eingehen, das haben uns Professor Lewisch und andere hier gezeigt. Es ist keine Pauschalverurteilung. Jeder Einzelfall kann geprüft werden. In Österreich gab es eine einzige Entscheidung, und die endete im Freispruch. Der österreichische Weg ist für mich ein Grundwert unserer Gesellschaft, und als Grundwert gehört er dorthin, wo Grundwerte sind, und das ist in der Verfassung. – Danke. (Beifall.)

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Dr. Christiane Druml (Vorsitzende der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt): Ich spreche jetzt nicht als Vorsitzende der Bioethikkommission. Wir sind noch nicht fertig mit unserem Dokument, insofern wäre das vermessen – ich rede aus meiner persönlichen Sicht.

Wir haben am Vormittag eine große Zeitspanne der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht gewidmet. Warum gibt es diese Instrumente? – Es gibt sie vor allem deshalb, weil die Menschen sich vor einer Überbehandlung fürchten, vor zu vielen medizinischen Interventionen. Das ist auch mit ein Grund, weshalb die Palliativmedizin so einen großen Zuspruch gefunden hat. Aber warum werden medizinische Interventionen in dieser Spanne am Lebensende übermäßig beansprucht oder durchgeführt? – Einer der Gründe ist der, dass es eine begründete oder eine unbegründete Angst vor strafrechtlicher Verfolgung gibt, wenn nicht alles Menschenmögliche getan wird, um einen Menschen am Leben zu erhalten, auch wenn der Sterbeprozess schon begonnen hat – dieser Aktionismus, wie Sie es vorhin genannt haben.

Aus diesem Grund und aufgrund der Aussagen von Gabriele Kucsko-Stadlmayer und anderen Rednern zuvor ist es abzulehnen, strafrechtliche Bestimmungen, die in dieser Richtung maßgeblich sind, in den Verfassungsrang zu heben.

Wichtig wäre es auch, die Terminologie, die die Bioethikkommission vor ein paar Jahren in Bezug auf Entscheidungen am Lebensende vorgeschlagen hat, in allen anderen Schriftstücken umzusetzen, damit einfach der Geist ein anderer wird; denn wenn verlangt wird – und das habe ich in einer der Zuschriften hier an das Parlament zu dieser Enquete-Kommission gelesen –, dass auch das Verbot der passiven Sterbehilfe in die Verfassung kommt, habe ich von vornherein die Patienteninformation vernichtet. – Danke sehr. (Beifall.)

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MMag. Christof Eisl (Geschäftsführer Hospiz-Bewegung Salzburg): So möchte ich nicht mehr leben. – Das ist das Signal, das wir immer wieder hören, wenn Leute zum ersten Mal ins Tageshospiz kommen. Auf dieses „so“ gilt es zu achten. Es heißt nicht: Ich möchte nicht mehr leben, sondern: So möchte ich nicht mehr leben. Wir haben da noch viel zu tun. Wir wissen zwar, dass es einige Fälle gibt, in denen trotz palliativmedizinischer und Hospizversorgung der Todeswunsch nicht verstummt und verschwindet, aber großteils verschwindet er.

Wenn wir unsere Erfahrungen ernst nehmen und sie mit anderen Erfahrungen verknüpfen, zum Beispiel im Bereich des Rückgangs bei der Zahl von Suiziden seit 1987 um über 40 Prozent, dann zeigt sich in der Studie zur Suizidentwicklung auch deutlich, dass es um drei Punkte geht. Es geht um entsprechende Unterstützungsangebote, es geht um sensible Berichterstattung, und es geht um einen erschwerten Zugang zu Tötungsmöglichkeiten. Wir merken – und darum ist diese Diskussion so wichtig –, dass wir uns nur auf halber Strecke befinden und dass die bestehenden Gesetze offensichtlich nicht stark genug sind. Die Artikel 15a-Vereinbarung genügt nicht für eine wirklich österreichweit flächendeckende Umsetzung.

Da muss noch einiges getan werden, und es geht nicht nur um Schmerzversorgung, denn, wie eine Studie aus Oregon zeigt, dort, wo assistierter Suizid erlaubt wird, sind nicht die Schmerzen und die belastenden Symptome der vorrangigste Grund, der hinter dem Wunsch steht, sondern der Verlust der Autonomie, die abnehmenden Fähigkeiten, an Aktivitäten teilzunehmen, und der Verlust an Würde. Wichtig erscheint mir, dass die mediale Berichterstattung und die Diskussionen, die in diesem Bereich stattfinden, sich nicht an Einzelfällen aufhängen, die reißerisch dargestellt werden und sehr tragisch sind. Darauf kann man keine entsprechende Gesetzgebung aufbauen.

Wir müssen bei den Gesetzen darauf achten, welche Folgen eine rechtliche Lösung für andere fürsorgebedürftige Menschen hat – jene mit demenzieller Erkrankung, Menschen mit Behinderung –, und ich spreche da besonders auch als Vater einer motorisch behinderten Tochter: Wir merken einfach, dass der gesellschaftliche Druck zunimmt, man wird nur als Kosten- und Belastungsfaktor wahrgenommen.

Ich glaube, es ist die Aufgabe, jetzt deutliche Zeichen zu setzen, dass es um die Umsetzung geht. Zu entscheiden, ob das im Verfassungsrang sein sollte, fühle ich mich nicht in der Lage, aber dazu gibt es genügend Rechtsmeinungen. – Danke. (Beifall.)

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Mag. Paula Glaser, MA (Hospizverein Steiermark): Ich möchte zu Ihnen über meine Erfahrungen als ehrenamtliche Hospizmitarbeiterin sprechen. In diesen vergangenen zehn Jahren hat kein einziger Schwerkranker um Hilfe zum Sterben gebeten. Ganz im Gegenteil! Schwerkranke wollen oft noch eine Hochzeit erleben, die Geburt eines Enkels, und sie können das auch, wenn sie medizinisch gut versorgt sind, wenn sie umfassend informiert werden, sich nicht hilflos ausgeliefert fühlen und wenn jemand für sie da ist.

Menschen haben auch Angst vor Übertherapie. Sie brauchen und wollen menschliche Zuwendung. Ängste können den Wunsch nach Tötung entstehen lassen. Helfen wir, diese Ängste zu vermindern, bauen wir nicht zusätzlich Druck auf Schwerkranke auf! Was geht in Pflegebedürftigen vor, die täglich mit Meldungen konfrontiert werden, wie hoch die Pflegeleistungen sind und wie sehr diese Kosten gestiegen sind? – Kranke und Pflegebedürftige, die mit solchen Aussagen konfrontiert werden, fühlen sich nur mehr als Kostenfaktor. Ja, sie fühlen sich verpflichtet, sich zu rechtfertigen, wenn sie weiterleben wollen und kein Angebot für einen rascheren Tod annehmen. Bedenken wir eines: Aus einem Recht zum Suizid kann eine Pflicht zum Suizid werden.

Was Kranke und die sie Umgebenden brauchen, das sind Gespräche und ein Eingebundensein in die Behandlung. Warum werden Angehörige noch immer mit der Mitteilung verunsichert: Der Angehörige braucht unbedingt eine Magensonde, wollen Sie, dass er verhungert? – Das sollte abgestellt werden. Wir brauchen mehr in Palliativmedizin ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner. Wir brauchen Pflegende, die nicht nur mit kurativen Behandlungen vertraut sind. Wir brauchen auch Ethikkomitees, und der Ausbau in Krankenhäusern und in Pflegeheimen ist zu forcieren.

Ich spreche mich gegen eine Änderung der derzeitigen Gesetzeslage aus. Tötung auf Verlangen und assistierter Suizid können einen Dammbruch auslösen. Es gibt ausreichend Beispiele dafür – in Belgien zum Beispiel, auch die Zahl nicht gewollter Todesfälle in den Niederlanden steigt.

Österreich hat positive Beispiele in Europa geliefert und 2003 die Familienhospizkarenz eingeführt, im Jänner 2014 die Pflegekarenz. Nur wissen leider noch immer viel zu wenige Menschen darüber Bescheid – da müsste man ansetzen. Gehen wir diesen Weg weiter, finden wir weitere Unterstützungsmöglichkeiten für Kranke und ihre Angehörigen! Sie brauchen all unsere Fürsorge. – Danke. (Beifall.)

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Mag. Josef Pumberger (Generalsekretär der Katholischen Aktion Österreich): Als Generalsekretär der Katholischen Aktion Österreich darf ich hier kurz zu Ihnen sprechen. Wir haben uns mehrfach für die verfassungsrechtliche Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen ausgesprochen, sowohl in der Eingabe an die Kommission als auch öffentlich.

Ich darf kurz zwei Aspekte nennen, warum. Der erste ist, dass wir – und das ist ein Aspekt, der bisher nicht zur Sprache kam – aus den Erfahrungen aus dem Ausland, wo aktive Sterbehilfe erlaubt ist, wissen, dass aus der Möglichkeit zur Inanspruchnahme schnell eine Pflicht wird, ein Druck, sie in Anspruch zu nehmen, und das Gleiche gilt für die Möglichkeit zum assistierten Suizid: Aus der Möglichkeit wird schnell die Pflicht. Deshalb haben wir dafür plädiert, diesen österreichischen Konsens, Tötung auf Verlangen nicht zuzulassen, abzusichern.

Gott sei Dank haben wir diesen Konsens in diesem Land, aber, wie Sie alle wissen, auch Konsense, auch Überzeugungen, die scheinbar unverrückbar sind, können schnell einmal zur Disposition gestellt werden, und ich appelliere an Sie als Abgeordnete: Machen Sie sich die Mühe, trotz aller rechtlichen Feinheiten und rechtlichen Fragen, die damit verbunden sind, diese Absicherung ernsthaft zu überprüfen! Sie würden diesem Land einen großen Dienst erweisen. – Danke. (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner (Institut für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie): Ich spreche hier jetzt ein zweites Mal, jetzt tatsächlich für ein anderes Institut, weil ich Ihnen allen dieses Argumentarium, das schon erwähnt wurde, noch einmal ans Herz legen möchte. Die Diakonie Österreich hat ein Institut für öffentliche Theologie und Ethik gegründet, das einen ausführlichen achtseitigen Text, verfasst von Frau Dr. Moser, die auch heute anwesend ist, präsentiert hat, in dem Sie noch einmal die Argumente auf Informationsbasis nachlesen können, die dazu führen, dass die Diakonie Österreich nach wie vor der Meinung ist, dass eine Verankerung des Euthanasieverbots im Verfassungsrang nicht zielführend ist.

Ich schließe mich darum auch noch einmal ausdrücklich all jenen an, die heute hier die Bedenken gegen einen solchen Weg geltend gemacht haben, und ich muss sagen, Herr Abgeordneter Gerstl, auch Ihrem Gesetzesvorschlag, den Sie heute hier eingebracht haben, kann ich so nichts abgewinnen. Ich spreche jetzt nicht als Experte, sondern als österreichischer Staatsbürger. Ich wünschte mir, dass wir die Zeit, die wir brauchen, weniger auf Debatten über – Entschuldigung! – Verfassungslyrik konzentrieren. Es zeichnet sich ab, dass Sie ein Verfassungsgesetz dieser Art ohnehin nicht durch den Nationalrat bringen werden. Viel wichtiger ist es zu schauen, dass im Rahmen des geltenden Rechts die Rechte von Patientinnen und Patienten ausgeschöpft werden und dass – genauso wichtig – für jene, die beruflich in diesem Bereich tätig sind, Handlungssicherheit geschaffen wird.

Die Regelungen im Gesetz mögen pro forma klar sein, Professor Funk hat vieles angesprochen, was deutlich macht: In der Alltagspraxis gibt es sehr viel Verunsicherung, da muss etwas getan werden. Das Gleiche gilt für die Ausbauten von Palliativpflege und Palliative Care. Es braucht einfach wirkliche Maßnahmen und nicht weitere Absichtserklärungen. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Mag. Leena Pelttari, MSc (Dachverband Hospiz Österreich): Als Geschäftsführerin des Dachverbandes Hospiz Österreich sage ich Danke. Danke, dass 13 Jahre nach der parlamentarischen Enquete „Solidarität mit unseren Sterbenden“ im Mai 2001 das Thema Lebensende wieder einen so umfassenden und breiten Raum gefunden hat.

Ich fasse noch einmal die wesentlichen Ergebnisse der letzten Tage, die zugleich Aufgaben für die Zukunft sind, zusammen. Wir brauchen in Österreich den Rechtsanspruch auf Betreuung durch Hospiz- und Palliativeinrichtungen für schwerkranke und sterbende Menschen, damit diese Betreuung für alle Menschen jeden Alters, die sie brauchen, erreichbar, zugänglich und leistbar ist.

Wir brauchen eine österreichweite Klärung der Zuständigkeiten für die Umsetzung und die Finanzierung der Hospiz- und Palliativeinrichtungen. Derzeit fehlen uns in Österreich im Erwachsenenbereich noch 129 Palliativbetten, 192 stationäre Hospizbetten, sechs Tageshospize, 81 Palliativkonsiliardienste, 18 mobile Palliativteams und 138 Hospizteams.

Im Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene brauchen wir noch viele mobile und stationäre Einrichtungen in allen Bundesländern, damit wir die Familien mit schwerkranken Kindern bestmöglich unterstützen können.

Wir brauchen eine österreichweit gesicherte Regelfinanzierung für alle stationären und mobilen Hospiz- und Palliativeinrichtungen. Nur so kann die geeignete Unterstützung in der letzten Lebensphase für Patienten und Patientinnen und ihre An- und Zugehörigen gewährleistet werden.

Hospizkultur und Palliative Care müssen umfassend in die Grundversorgung integriert werden, in die Senioren- und Pflegeeinrichtungen, Tageseinrichtungen, Hauskrankenpflege, Krankenhäuser, Einrichtungen für Kinder- und Jugendheilkunde und Versorgungseinrichtungen für Menschen mit Behinderung. Ein Ausdruck dafür könnte der heute vorgestellte Vorsorgedialog sein.

Wir brauchen einen verbindlichen Stufenplan für den flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung bis zum Jahr 2020. Dieser Plan muss alle Bundesländer miteinschließen, und über den Fortschritt in der Umsetzung soll einmal jährlich hier im Parlament berichtet werden.

Wir im Dachverband Hospiz Österreich haben bereits einen Vorschlag für die erste Ausbauetappe erarbeitet. Wir brauchen eine geeignete Aus- und Weiterbildung für die im Hospiz- und Palliative Care-Bereich tätigen Menschen. Ein multiprofessionelles Team mit hauptamtlichen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen braucht eine gute spezialisierte Ausbildung, damit sie Schwerkranke und Sterbende ganzheitlich und kompetent betreuen können.

Was kostet das alles? – Im Vollausbau sind die Gesamtkosten für die spezialisierten Hospiz- und Palliativeinrichtungen 210 Millionen € jährlich. Das ist weniger als 1 Prozent der aktuellen öffentlichen Gesundheitsausgaben. Das muss es uns als Gesellschaft wert sein. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

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Dr. Gudrun Kugler (Bürgerinitiative „An der Hand“): Ich bin von der Bürgerinitiative „An der Hand“, und die wird heute eigentlich das erste Mal auch dem Parlament vorgestellt. Der Petitionsausschuss hat in den nächsten Wochen die Gelegenheit, sich damit zu beschäftigen.

23 000 Bürgerinnen und Bürger haben diese parlamentarische Bürgerinitiative in wenigen Wochen unterzeichnet. Sie haben gemeinsam darum gebeten, dass in Österreich der Zugang zur Hospiz- und Palliativversorgung, aber auch die ausgezeichnete österreichische Rechtslage abgesichert wird.

Ich möchte Ihnen aufgrund der Kürze der Zeit nur zwei Gedanken ein bisschen näher ausführen.

Ich bin selber in einer Frauenorganisation tätig. Die Last der Pflege liegt immer bei den Frauen. Wir Frauen brauchen einen Ausbau, brauchen eine Sicherstellung der Versorgung. Meine Vorrednerin hat das auch sehr gut erklärt. Ja, Herr Professor Körtner, die Taten sind wichtiger als die Worte, aber auch die Worte sind wichtig, und wenn wir keine Bestimmung haben, die den Staat verpflichtet, dann kommt das wieder nicht. Die Debatte hatten wir schon. Ich bin für ein Commitment plus, wie Professor Lewisch gesagt hat, in irgendeiner Form, man wird eine Form suchen.

Der zweite Punkt: Der rechtliche Rahmen, die ausgezeichnete österreichische Rechtslage muss abgesichert werden. Wer sagt, das sei nicht nötig, der verweigert einen Blick auf die Realität. Grundwerte gehören in die Verfassung! Dort, wo Platz ist für Umweltschutz und Tierschutz, dort hat auch der Schutz des Menschen am Lebensende seinen Platz.

Ich höre hier, man will damit die Politik nicht mehr diskutieren lassen. Man tötet die Demokratie, so ist es gekommen. – Aber wieso denn? Nur weil eine qualifizierte Mehrheit notwendig ist? Im Gegenteil! Demokratie schützt Grundwerte, und Grundwerte brauchen diese Absicherung. Das Parlament kann genauso weiterdiskutieren, es ist nur nicht mehr möglich, dass momentane, kurzfristige Strömungen die gute österreichische Rechtslage und die österreichischen Grundwerte einfach so wegwischen können.

Wir hören aus Oregon – es ist heute auch schon zitiert worden – Beispiele, an denen man sieht, wie wichtig es ist, dass sich niemand rechtfertigen muss, weil er noch leben möchte.

Viktor Frankl hat gesagt: „Das Leben hört buchstäblich bis zu unserem letzten Augenblick, bis zum letzten Atemzug nicht auf, Sinn zu haben.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Erleben dieses Sinnes gilt es nun rechtlich abzusichern. – Danke. (Beifall.)

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Mag. Susanne Kummer (IMABE): Ich bin Geschäftsführerin eines Ethikinstitutes in Wien und möchte schon darauf hinweisen, ich denke, eine rein individuelle Perspektive ist bei diesem Thema zu wenig. Das Gesetz hat eine Schutzfunktion für uns alle. Wir haben uns zur Nachhaltigkeit in Österreich verpflichtet, das heißt, es muss eine Schutzfunktion über Generationen hinweg auch bei diesem Thema möglich sein.

Leider ist die Vizerektorin Druml von der Medizinischen Universität schon weg, der eine oder andere Arzt ist noch hier. Ich möchte Ihnen doch auch die Problematik, die heute schon sehr schön illustriert wurde von jenen, die in der Praxis tätig sind, anhand zweier Studien darstellen, dass die Hürde für das Gespräch über das Lebensende nicht nur ein Problem ist, das der Patient aus Angst vor dem Tod oder vielleicht jeder von uns hat, sondern es eine Hürde ist, die die Ärzte selber im Beruf haben.

Es ist im Juni 2014 eine Studie im „Cancer“ herausgekommen, das ist ein sehr bekanntes Krebs-Journal, eine Studie aus Deutschland mit 1 200 Ärzten. Ich denke, das ist auch ein Auftrag an die Politik, in der Frage der Ausbildung der Ärzte, der Ausbildung in der Pflege, der Weiterbildung der Ärzte tätig zu werden. Auf die Frage an 1 200 Ärzte, die in der Onkologie tätig sind: Fühlen Sie sich vorbereitet auf das Gespräch mit Sterbenden?, haben nur 6 Prozent mit Ja geantwortet. 94 Prozent haben gesagt: Nein, ich habe Angst vor diesen Gesprächen. Und da muss ich der Vorsitzenden der Bioethikkommission widersprechen: Die Begründung war nicht, ich habe Angst vor strafrechtlicher Verfolgung, sondern: Ich bin selber unsicher. Das Thema ist mir unangenehm. Und: Es gibt zu wenig Zeit.

Zeit hat eine ethische Dimension. Zeit ist kostbar, Zeit ist wertvoll, Zeit kostet und Zeit hilft Kosten sparen.

Wir wissen aus einer zweiten Studie, wenn die Patienten in der Terminalphase richtig aufgeklärt sind, dann wollen sie weniger aggressive Therapien, sind eher bereit, sich auf das Lebensende einzustellen, und haben eine höhere Lebensqualität. Wenn diese Gespräche nicht geführt werden, werden unnötig Gelder in Chemotherapien verpulvert, die eigentlich eh nichts mehr bringen, weil es sich in dem Fall um Terminalpatienten handelt, wo das Sterben bevorsteht.

Also nehmen wir diese Themen auch herein! Die Ausbildung der Ärzte, die Weiterbildung in der Pflege, das sind kostbare Güter, die bei diesem Thema mit hineingedacht werden müssen.

Ich darf mit einem Plädoyer schließen: Unsere Gesellschaft lebt von einer Kultur des Beistands. Und diese Kultur des Beistands sollte nachhaltig für alle Generationen gesichert werden. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Herbert Watzke (AKH Wien): Ich möchte Ihnen als Arzt, Lehrer und Forscher in Palliativmedizin einen einzigen Gedanken zur heutigen Debatte über die Gesetzeslage und das Strafrecht bringen.

Sie haben es vielleicht gehört, Karl Löbl ist heute hier schon angesprochen worden. Seine Tochter hat im „Report“ dieser Woche seine letzte Lebensphase dargelegt.

Er war immer dazu committet, sich umzubringen, wenn er eine unerträgliche Situation in seinem Leben vorfinden würde. Er hat dann eine schwierige Situation in seinem Leben vorgefunden, nämlich eine schwere Krebserkrankung, nach deren Diagnose und auch im Verlauf der weiteren Therapie er diesen Suizid nicht durchgeführt hat. Er ist schließlich auf die Palliativstation gekommen und hat dort gesagt, dass er eigentlich nur rasch sterben wolle, hat dann aber, als er sich einer schweren Infektion gegenübersah – das alles hat seine Tochter öffentlich gemacht –, die Möglichkeit, dass er rasch versterben könnte, indem er die antibiotische Therapie ablehnt, nicht wahrgenommen, sondern wollte weiterleben.

Das erscheint Ihnen ganz außergewöhnlich, aber es ist die Norm. Es ist die Norm und nicht etwas Außergewöhnliches, auch wenn man Hochachtung vor diesen Menschen haben muss.

Von 3 000 Patienten, die ich in meinem Leben sterben gesehen habe, haben nur zwei nicht diesen Weg gewählt. Für diese zwei war unsere Therapie der Versorgung, der Umsorgung, der Liebe nicht ausreichend, um sie am Leben zu erhalten. Ärztlich gesehen ist das ein Therapieversagen. Was machen wir Ärzte, wenn wir ein Therapieversagen vorfinden? Wir kümmern uns genau um diese Patienten, denen die Therapie nicht geholfen hat. Das ist die Reaktion, die wir als Forscher und Ärzte haben.

Ich glaube deshalb, wir sollten uns auch in unserer Gesellschaft um diese zwei von 3 000 Patienten besonders bemühen, wir sollten forschen, das ist mein Job, wir sollten sie sehr gut versorgen. Und ich halte eine Haltung, dass man mit einer Gesetzesänderung unter dem Hinweis auf die Autonomie der Menschen diese Menschen alleine sterben lässt, nicht für gerechtfertigt. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Dr. Elisabeth Doenicke-Wakonig (Landesverband Hospiz NÖ): Ich habe mich jetzt noch einmal kurz gemeldet, weil es um das Thema Suizid gegangen ist. Ich möchte Ihnen eine Information geben: In einem Buch der Sterbehilfe Deutschland ist zu lesen, es gab 2011/2012 48 Fälle der Suizidbegleitung, tödliche Erkrankungen bei 14 Betroffenen. In sieben Fällen lag keine Grunderkrankung vor, es war ein altersgemäßer Zustand. Diagnosen: Depressionen, neun Fälle, Osteoporose, Zustand nach Herzinfarkt, Schmerzen, Krebs und COPD. Grund für den Sterbewunsch waren Angst vor Pflegebedürftigkeit, 21 Fälle, Einsamkeit und Schmerzen. Keiner der Betroffenen wurde palliativmedizinisch betreut.

Ich lese Ihnen jetzt noch etwas vor: Frau M., über 70, Witwe, kinderlos, war im Jahr 2011 körperlich wie neurologisch in altersentsprechend tadelloser Verfassung, also kerngesund. Weil sie es ablehnte, irgendwann ins Heim zu ziehen, „dass da andere an mir herumtatschen“, wollte sie sich vorzeitig töten. Drei Monate später kam es zur Suizidbegleitung.

Ich glaube, Ziel unserer Gesellschaft sollte es sein, Menschen, die verzweifelt sind, wieder Zuversicht, Trost und das Aufzeigen weiterhin vorhandener eigener Ressourcen zu vermitteln. – Danke. (Beifall.)

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Waltraud Klasnic (Präsidentin Dachverband Hospiz Österreich): Im Grunde genommen ist es eine Wortmeldung, die mich innerlich bewegt und berührt, weil ich danke sagen möchte: dem Ausschuss des Nationalrats, der sich mit dem Thema ganz besonders beschäftigt, Ihnen, Frau Vorsitzende, den Referentinnen und Referenten bei diesen vier Sitzungen, weil man gespürt hat, das Thema ist ein Mittelpunkt in unserem Leben.

Aber selbstverständlich habe ich hier jetzt einige Wünsche, Anliegen, Bitten, wie immer Sie es formuliert sehen wollen. Es ist eine Mischung, und ich werde mich kurz halten.

Wir haben heute über Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht gesprochen. Ich würde bitten, dass Sie in Ihre Beratungen das Wort „Vorsorgedialog“ voll und ganz mitaufnehmen.

Zum Zweiten: Wir haben uns so aneinander gewöhnt. Es hat in einer der letzten Sitzungen den Wunsch gegeben – und ich formuliere ihn noch einmal –, dass es so etwas wie ein begleitendes Gespräch von Expertinnen und Experten gemeinsam mit den Parlamentariern in den nächsten Jahren geben kann, bis wir das Ziel 2020, nämlich den flächendeckenden Ausbau aller dieser Institutionen und Organisationen, die wir uns gewünscht haben, den Strukturen von ÖBIG entsprechend erreicht haben.

Ein weiterer Punkt ist die Finanzierung, auch das muss ich ansprechen. Jetzt wird bis zu einem bestimmten Teil finanziert. Das sind aber nicht nur öffentliche Mittel, sondern da sind wir auf Sponsoren und Spenden angewiesen und in großem Maße auch auf die Ehrenamtlichkeit. Bitte mitzuhelfen, dass auch die Finanzierung bis zum Gesamtausbau, bis zum Jahre 2020 abgeschlossen werden kann.

Wir werden uns – das möchte ich Ihnen für alle Organisationen, die sich in unserer gemeinsamen Stellungnahme dazu bekannt haben, versprechen – bemühen, die Ausbildung, die Begleitung, die Vorbereitung der Menschen, die diesen flächendeckenden Ausbau ja auch bewältigen müssen, sicherzustellen. Dafür werden wir sorgen. Das ist unser Auftrag – auch im Interesse der Generationen, der Kinder und der Erwachsenen.

Ich habe heute gespürt, dass hier im Parlament Stimmung ist, Stimmung zwischen den Abgeordneten, und das ist gut so. Trotzdem habe ich eine Bitte: Bitte versuchen Sie, zu einem Abschluss zu kommen, der ein Zeichen der Harmonie nach außen vermittelt, weil es für die Menschen, die die Abgeordneten wählen, ein Gefühl der Sicherheit, der Geborgenheit und der Verlässlichkeit auf dieses Land und seine Abgeordneten entstehen lässt, wenn sie merken, dass Sie gemeinsam gute Wege und gute Ziele suchen.

Zum Abschluss darf ich nur sagen: Wir – das haben die Organisationen so festgeschrieben; ich habe es auch am ersten Tag, am 7. November, gesagt – sprechen uns klar für die Beibehaltung der gegenwärtigen Gesetzeslage aus, was nicht heißt, dass nicht das eine oder andere verbessert oder verändert werden kann. Eine Legalisierung von Tötung auf Verlangen oder von Beihilfe zur Selbsttötung wird entschieden abgelehnt.

Heute gab es so einen schönen Satz, ich habe ihn ein wenig verändert: Das Leben und die Würde des Lebens bis zur letzten Stunde hat Befürworter, hat Fürsprecher. Sie gehören dazu, ich auch. – Alles Gute! (Beifall.)

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Schlussrunde der Fraktionen

Obfrau Mag. Gertrude Aubauer leitet zur Schlussrunde der Fraktionen über und erteilt als erster Rednerin Frau Abgeordneter Königsberger-Ludwig das Wort.

Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ): Ich möchte mich zuerst bei allen, die uns als Expertinnen und Experten zur Verfügung gestanden sind, herzlichst bedanken, in meinem Namen und auch im Namen der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion. Für uns waren sie wertvolle Ratgeber und wertvolle Menschen, die uns auf die Fragen, die wir zu beantworten haben, zumindest für mich, doch sehr deutliche Antworten gegeben haben. Ein herzliches Dankeschön von meiner Seite.

Für mich hat diese Enquete-Kommission sehr gut aufgezeigt, wo die Herausforderungen am Ende des Lebens, beim würdevollen Ende des Lebens sind. Und aus unserer Sicht, geschätzte Damen und Herren, würde keines der aufgezeigten Probleme durch eine Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen oder der Würde am Ende des Lebens in der Verfassung gelöst. Diese Fragen kann man nicht mit der Verfassung beantworten.

Ich möchte bei allem Respekt, Herr Kollege Gerstl, sagen: Ich finde es auch schön, wertvoll und wichtig, dass Menschen am Ende des Lebens liebevoll begleitet werden, aber leider kann man Liebe nicht gesetzlich verankern, weder einfachgesetzlich noch verfassungsrechtlich. Deswegen braucht es Menschen, die begleiten, und da haben wir heute von unseren ExpertInnen speziell aus dem Bereich der Pflege sehr gute Beispiele bekommen, wie es denn ablaufen kann, wenn vielleicht die Angehörigen diese Liebe am Ende des Lebens nicht geben können. Und dafür möchte ich auch meinen großen Respekt an alle Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, aussprechen.

Für uns als SPÖ-Fraktion ist klar, dass es drei Punkte für uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier in den nächsten Wochen zu bearbeiten gibt.

Zum einen ist ganz klar, dass die Palliativ- und Hospizversorgung ausgebaut werden muss. Dazu muss die Finanzierung klargestellt werden. Dazu muss es vor allem auch eine klare Kompetenzverteilung geben. Die Kompetenzen müssen ganz genau zugeordnet werden, wo sie denn liegen – Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungsträger, wo immer sie auch angesiedelt werden. Das muss auf jeden Fall klar geregelt werden.

Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig, dass das Know-how, das ja vorhanden ist – das haben wir heute auch gehört –, genützt wird, dass man auf dem Palliativplan, den es seit dem Jahr 2004 gibt, aufbaut und dass man sich speziell die Ausbildung ganz genau anschaut, von Ärztinnen und Ärzten, aber auch von Pflegerinnen und Pflegern, weil sie ja eigentlich jene Menschen sind, die am meisten mit den sterbenden Menschen arbeiten. Das ist ein Punkt, den man sich ganz besonders gut anschauen muss. Ich habe mir das Wort „Beziehungsmedizin“ aufgeschrieben – vielleicht sollte man in den nächsten Wochen auch „Beziehungspflege“ andenken.

Der zweite Punkt ist – für uns ganz klar –, dass man die Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht ausbauen muss. Es gibt gute Instrumente, um die Selbstbestimmung des Menschen auch am Ende des Lebens zu wahren. Für uns ist klar, dass es Rechtssicherheit geben muss zum einen für den betroffenen Menschen, sodass er oder sie am Ende des Lebens jenen Willen erhält, den er oder sie gerne haben möchte, und zum anderen für Ärztinnen und Ärzte sowie für Pflegerinnen und Pfleger.

Ich möchte zu diesem Punkt natürlich auch den Vorsorgedialog ansprechen. Das ist ein ganz wichtiges Instrument. Ich weiß von vielen Besuchen in Pflegeheimen, wie wichtig es ist, dass intensiv gesprochen wird.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch sagen, dass ich die Sorgen und die Bedenken von Menschen mit Behinderung sehr ernst nehme. Mir ist schon klar, dass es eine ganz spezielle Sensibilität verlangt, wenn man über Menschen mit Behinderung und die Würde am Ende des Lebens spricht. Bei all meinen Überlegungen schaue ich mir das immer sehr genau an – vor allem auch die Ängste, dass man vielleicht als „Last“ gesehen wird, sollten aufgegriffen werden. Niemand möchte, dass sich Menschen mit Behinderung irgendwie als Last für die Gesellschaft fühlen. Meiner Meinung nach sind wir alle gefordert, viele gesetzliche Änderungen zu machen, damit die Inklusion und damit die Rechte von Menschen mit Behinderung im Alltag umgesetzt werden.

Der letzte Punkt, den ich für die SPÖ-Fraktion noch ansprechen möchte, ist, dass wir ganz klar gegen eine Verankerung in der Verfassung sind – auch aus den vielen genannten Gründen, die wir heute gehört haben. Ich glaube, dass die Selbstbestimmung, dieser Widerspruch zwischen Lebensschutz und Schutz des privaten Lebens, einfach ein Punkt ist, den man in der Verfassung nicht wirklich gut regeln kann. Danach möchten auch Menschen mit Behinderung immer leben, und deswegen muss das auch am Ende des Lebens Gültigkeit haben.

Ich möchte mit einem Gedanken aus der ersten Expertenrunde schließen. Damals wurde vonseiten der Diakonie festgestellt, es gibt ein Recht auf Leben. – Gibt es auch die Pflicht auf Leben? (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Franz-Joseph Huainigg (ÖVP): Im Jahr 2001 wurde im Parlament bereits über die Würde am Lebensende diskutiert. Damals wurde ein Fahrplan festgelegt, der den Konsens aller Parteien darstellte, nämlich dass in Österreich Palliativmedizin und Hospiz als Antwort auf die europäische Sterbehilfedebatte auf den Weg gebracht werden. Die Debatte in der jetzigen Enquete-Kommission hat gezeigt – und auch bei allen Experten herrscht Konsens –, dass dieser Weg der richtige ist und fortgesetzt werden muss, denn am Lebensende haben die Menschen Angst vor Leid, Schmerzen und Einsamkeit. Sie haben auch Angst, die Herrschaft über ihr Leben zu verlieren. Die Antwort muss sein, dass man das Leid beseitigt statt den Leidenden. Die Antwort muss sein, dass man den Schmerz beseitigt, aber nicht den Menschen, der Schmerzen hat. Man muss dem Menschen, der einsam ist, die Hand halten, bei ihm sein, anstatt ihn alleine sterben zu lassen. Ich glaube, dass wir diesen Weg so weitergehen sollten.

Ein großes Thema war die Autonomie. Heute hat sich gezeigt, dass Patientenverfügungen und auch die Vorsorgevollmacht gute Instrumente sind, um die Autonomie, die Selbstbestimmung am Lebensende zu wahren. Wir müssen dieses Instrument schärfen. Dazu hat es auch sehr gute Vorschläge gegeben.

Vor Kurzem gab es in der Zeitung „Die Zeit“ ein Outing des ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering. Er hat gesagt, dass er zwei Mal in seinem Leben aktive Sterbehilfe geleistet hat, nämlich bei seiner Mutter und bei seiner Frau. Als sie im Sterben lagen, war er bei ihnen am Bett, hat ihnen die Hand gehalten, war da und hat sie getröstet. Ich glaube, das ist die richtige Art von Sterbehilfe.

Es gab bei dieser Enquete-Kommission rege Bürgerbeteiligung. Ich möchte den BürgerInnen, die ihre Stellungnahmen abgegeben haben, danken. Es gab über 600 Stellungnahmen, die über die Parlamentshomepage eingelangt sind. Über 23 000 Menschen haben sich an der Bürgerinitiative „An der Hand“ beteiligt, und diese Bürgerinitiative wird nächste Woche auch im Petitionsausschuss behandelt werden.

Wenn ich heute ein Resümee ziehen soll: Es gab sehr viele Vorschläge, die zu berücksichtigen sind. Mir hat die Beziehungsmedizin, die es zu wahren gilt, sehr gut gefallen. Ich fände es gut, wenn das Gespräch zur Patientenverfügung, der Dialog mit dem Arzt im Rahmen der Gesundheitsvorsorge zu führen wäre. Das wäre auch ein gangbarer Weg, damit Patienten und Arzt besser ins Gespräch kommen.

Ich möchte drei Punkte, die mir wichtig sind, hervorheben. Das erste ist die Finanzierung der Palliativmedizin und des Hospizwesens. Das wäre die größte Aufgabe, die die Politik in den kommenden zwei Jahren zu erfüllen hat. Es geht um 18 Millionen €, die sicherzustellen sind, und es muss ein Ergebnis dieser Enquete-Kommission sein, dass wir das wirklich ernst nehmen und auch das Geld sicherstellen.

Der zweite Punkt liegt in der nachhaltigen Absicherung der jetzigen Gesetzeslage. Ich begrüße den Vorschlag meines Parteikollegen Wolfgang Gerstl nach diesem Commitment plus – wie es heute bezeichnet worden ist –, dass wir nämlich das Recht auf Palliativmedizin und Hospiz als Staatszielbestimmung in die Verfassung schreiben, damit der Staat auch diesen Weg vorgibt und die Gesetzeslage nachhaltig sichert.

Und der dritte Punkt betrifft den Kompetenzdschungel – Bund, Länder, Gemeinden, Versicherungen. Es gab den Vorschlag, dass es einen Bundeshospiz-Koordinator geben soll, der für eine ordentliche Struktur und Umsetzung sorgt. Ich glaube, das wäre auch ein wichtiger Vorschlag, den es umzusetzen gilt. Ganz zuletzt möchte ich noch auf den Vorschlag des Behindertenanwalts Buchinger eingehen. Wenn wir über die Würde am Ende des Lebens diskutieren, müssen wir auch über die Würde am Beginn des Lebens und die eugenische Indikation diskutieren. Ich möchte den Vorschlag unterstützen und aufgreifen, dass wir eine Enquete darüber abhalten, Experten hören und Lösungen suchen. – Vielen Dank. (Beifall.)

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Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (FPÖ): Liebe Experten, ich möchte mich bei Ihnen bedanken, nicht nur bei Ihnen, die Sie heute hier sind, sondern bei allen Experten, die uns in den bisherigen Veranstaltungen begleitet und uns Aspekte aus ihrer Sicht und ihren Aufgabengebieten aufgezeigt haben. Es wird eine spannende Diskussion werden, und wir werden nicht darum herumkommen, Geld in die Hand zu nehmen und für die Angehörigen den notwendigen Zeitrahmen zu schaffen, damit sie die Sterbenden begleiten und deren Würde am Ende des Lebens wahren können.

Ich spreche als Mutter, die ein Kind, und als Tochter, die einen Vater in den Tod begleitet hat. Ich denke, es ist wichtig, den Angehörigen Zeit zu geben, sich zu verabschieden, und auch den Sterbenden die Zeit zu geben, so lange wie möglich bei ihren Angehörigen zu sein und ein würdevolles Ende zu finden. In diesem Sinne hoffe ich auf eine gute Diskussion und möchte mich bei Ihnen allen noch einmal ganz herzlich bedanken. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Marcus Franz (STRONACH): Reden wir am Ende dieses Tages noch einmal kurz über den Ausgangspunkt dieser Enquete-Kommission! Wir haben in Österreich die passive und indirekte Sterbehilfe erlaubt. Es ist in Österreich möglich, friedlich und ohne Apparatemedizin einzuschlafen, zu sterben. Es ist das möglich, was sich die allermeisten Bürger in diesem Lande für ihr Lebensende wünschen.

Wir haben das aber nicht überall im Angebot, wenn ich das so salopp formulieren darf, weil einerseits Ausbildungsmängel in der Ärzteschaft und andererseits sehr wohl auch Ängste vor forensischen medialen Folgen vorhanden sind. Das heißt, die Ärzteschaft steht unter einem gewissen Druck, mit allen möglichen Medikamenten und Apparaten, Interventionen Menschen am Leben zu erhalten, auch wenn man in dem einen oder anderen Fall weiß, dass es medizinisch prognostisch sinnlos ist. Es gibt Nachhol-, Aufholbedarf und es gibt Informationsnotwendigkeiten auch seitens der Institutionen, seitens der Universitäten, aber auch seitens der Ärztekammer. Ich glaube, darin sind wir uns auch alle einig.

Ich habe es heute Vormittag schon einmal angesprochen, und es wird auch immer wieder aufgegriffen: „Zeit“, „Zeit ist gleich Zuwendung“. Was Ärzte, Pfleger und andere, die in dem Umfeld einer Palliativstation, einer onkologischen Station, einer Intensivstation arbeiten, brauchen, ist Zeit. Es braucht keinen Dokumentationswahn und keinen Bürokratiewahn, es braucht Zeit für die Patienten, die einem zum Schutz anvertraut – anvertraut – sind. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen, eine empathische Nähe aufzubauen, beim Patienten zu sein, dann funktioniert das gut.

Das kann man aus eigener Erfahrung beobachten, das wissen wir alle, die wir mit Sterbenden zu tun gehabt haben oder zu tun haben, das wissen wir aus der täglichen Erfahrung. Wir brauchen die Zeit dazu. Daher sind wir als Systemschaffer gefordert, neue Wege zu finden, wie wir in einer übertechnisierten Zeit mit einem Überangebot an medizinischen Maßnahmen wieder zu uns und zum Patienten zurückfinden können. Das wird die große Herausforderung sein, nicht zuletzt auch dieser Enquete-Kommission.

Was ich heute Vormittag auch schon einmal gesagt habe und was ich jetzt noch einmal wiederholen will, aus innerem Drang her muss: Wir können nicht in eine werte und eine unwerte Einheit des Lebens unterteilen. Der Mensch ist eine Einheit von der Zeugung bis zum Tod. Dazu gibt es Judikatur, dazu hat auch Generalanwalt Villalón vom EuGH voriges Jahr gesagt, alles, was Mensch werden kann oder Mensch ist, ist lebenswert und zu schützen. – Damals ging es um die Patentierung von Eizellen und Parthenogenese et cetera, aber ich will dazu gar nicht ins Detail gehen. Es gibt eine ganz klare Stellungnahme eines der ranghöchsten Juristen des EuGH, und ich glaube, wir sollten schon darauf hören. Diese Woche haben wir eben nicht darauf gehört, als wir das unselige Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz mit all seinen dunklen Seiten beschlossen haben.

Meine Damen und Herren! Da sind Dinge im Gange, die genau diese Tür öffnen, durch die, wie wir heute schon gehört haben, ein scharfer Wind, nämlich der Wind des Todes und der Wind der Beliebigkeit, bläst. Wir müssen wirklich darauf achten, was wir tun, was wir den Menschen antun. Ich weiß, dass die Behinderten uns allen am Herzen liegen, aber ich muss sagen, dieses Signal war katastrophal. Wenn man das Verbot der PID lockert und die Eugenik wieder neu diskutiert, dann setzt man damit ein Zeichen. Man signalisiert den betroffenen Menschen: Ich will euch nicht, ich brauche euch nicht, ihr seid nicht so viel wert wie andere. Aus meiner Sicht als Arzt, aus meiner Sicht als Mensch ist das nicht tolerierbar. Wir sollten uns dazu durchringen, dieses Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz im Rahmen einer Enquete – die ich noch einmal einfordere – über die Würde am Anfang des Lebens zu novellieren. – Danke schön und alles Gute. (Beifall.)

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Obfrau Mag. Gertrude Aubauer hält abschließend fest, dass in dieser konstruktiven Enquete-Kommission wichtige grundlegende Fragen zur Würde am Ende des Lebens gemeinsam und intensiv besprochen worden sind, und bedankt sich dafür, dass wirklich alle für eine Hospizoffensive stehen und konkrete Schritte setzen wollen.

Sie erinnert an die Worte des SPÖ-Fraktionsführers Jarolim zu Beginn der ersten Sitzung der Enquete-Kommission: Wenn eine umfassende Erweiterung der Hospiz- und Palliativversorgung nicht gelingen sollte, dann sind wir politisch gescheitert, nicht nur die Parteien, sondern das Parlament insgesamt!, und verweist in diesem Zusammenhang auf den großen Konsens, der sich im Laufe der Diskussion gezeigt hat. Hospiz bedeute, für einen sozialen Frieden zu stehen, der nachhaltig im Sinne der guten Rechtslage keinen „Entsorgungsdruck“ für Schwache und Kranke in diesem Land zulässt.

Weiters dankt sie im Namen aller Mitglieder der Enquete-Kommission den ExpertInnen für deren wertvolle Unterstützung sowie all den vielen Bürgern und Bürgerinnen, die ihre Sorgen und Anliegen berührend, bewegend, aufrüttelnd offenbart haben. Diese Enquete-Kommission habe den Menschen in den Mittelpunkt geholt, ein Zukunftsmodell für die Politik sei erarbeitet worden.

Mit dem Hinweis auf eine in der ersten Märzwoche stattfindende Sitzung zur Beratung eines gemeinsamen Schlussberichts erklärt die Obfrau die 9. Sitzung der Enquete-Kommission für geschlossen.

16.18.16Schluss der Sitzung: 16.18 Uhr