72/KOMM XXV. GP

 

Kommuniqué

der Enquete-Kommission zum Thema „Stärkung der Demokratie in Österreich“

Die Enquete-Kommission zum Thema „Stärkung der Demokratie in Österreich“ hat in der konstituierenden Sitzung am 18. Dezember 2014 auf Vorschlag der Obfrau Doris Bures gemäß § 39 des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates einstimmig beschlossen, die auszugsweisen Darstellungen der öffentlichen Anhörungen als Kommuniqué zu veröffentlichen.

 

Am 18. Februar 2015 fand die dritte öffentliche Anhörung statt, deren auszugsweise Darstellung angeschlossen ist.

 

Wien, 2015 02 18

                           Mag. Wolfgang Gerstl                                                               Doris Bures

                                     Schriftführer                                                                              Obfrau


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Enquete-Kommission

 

„Stärkung der Demokratie in Österreich“

 

 

 

 

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Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

3. Sitzung

Mittwoch, 18. Februar 2015

10.02 Uhr – 14.14 Uhr

NR-Saal


 

Referate

A. Einleitende Referate

 

Prof. Dr. Frank Decker

5

Prof. em. Dr. Theo Schiller

10

Dr. Nadja Braun Binder, MBA

14

Prof. Dr. Florian Grotz

18

Dr. Stefan Vospernik

22

Andreas Gross lic.es.sc.pol.

26

B. Diskussion

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beginn der Sitzung: 10.02 Uhr

Obfrau Präsidentin Doris Bures eröffnet die 3. Sitzung der Enquete-Kommission betreffend „Stärkung der Demokratie in Österreich“ und begrüßt die Mitglieder der Enquete-Kommission, die Bürgerinnen und Bürger, die anwesende Expertin und die Experten sowie die Zuseherinnen und Zuseher, alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie alle Interessierten vor den Bildschirmen.

Die Obfrau weist darauf hin, dass es sie freue, dass der Sammelband „Direkte Demokratie und Parlamentarismus“ von Universitätsprofessor Theo Öhlinger und Assistenzprofessor Klaus Poier begleitend zur Enquete-Kommission erschienen sei, welcher 24 Beiträge von namhaften Expertinnen und Experten zu dem Thema Reform, Zukunft und Stärkung der Demokratie in Österreich beinhalte und wertvolle Denkanstöße liefern könne, weshalb er allen Mitgliedern der Enquete-Kommission zur Verfügung gestellt worden sei.

Im Anschluss an die Schwerpunkte der letzten beiden Sitzungen, die sich mit der Weiterentwicklung der direkten Demokratie in Österreich auf Bundesebene und auf Landesebene befasst haben, gehe es heute um das Thema Direkte Demokratie in anderen Staaten – Recht – Praxis.

Folgende Detailfragen hinsichtlich direktdemokratischer Instrumente in anderen Staaten sollten in der heutigen Sitzung behandelt werden:

Art der Unterschriftensammlung, Schwellen,

Ausschluss von Themen bei Volksabstimmungen (Volksbefragungen),

inhaltliche Überprüfung von Volksinitiativen,

Dialogcharakter der Instrumente (Initiative und Parlament),

Förderung einer sachlichen Debatte und Entscheidung sowie

finanzielle Rahmenbedingungen für Initiativen.

Obfrau Bures ruft in Erinnerung, dass alle Österreicherinnen und Österreicher, NGOs und Institutionen ausdrücklich eingeladen seien, Stellungnahmen zum Themenbereich dieser Enquete-Kommission abzugeben beziehungsweise via Twitter unter dem Hashtag #EKDemokratie an den Debatten teilzunehmen.

Weiters weist die Obfrau darauf hin, dass die Sitzungen beziehungsweise alle Anhörungen von Expertinnen und Experten dieser Enquete-Kommission jedenfalls öffentlich abgehalten werden und die heutige Sitzung live in voller in Länge in ORF III sowie über Livestream übertragen werde. Nach einem Hinweis auf die Redeordnung leitet die Obfrau zu den Referaten der ExpertInnen über.

A. Einleitende Referate

Obfrau Präsidentin Doris Bures erteilt als erstem Referenten Prof. Dr. Decker das Wort.

„Direkte Demokratie in Deutschland“

Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn): Ich darf mich ganz herzlich für diese ehrenvolle Einladung nach Wien bedanken, der ich gerne gefolgt bin.

In allen 16 deutschen Bundesländern ist die sogenannte Volksgesetzgebung heute in den Verfassungen verankert. Die Verfassungsgeber haben sich damit für das potenziell weitreichendste oder fortschrittlichste Modell der direkten Demokratie entschieden.

Das gilt in zweierlei Hinsicht:

Zum einen geht der plebiszitäre Impuls bei der Volksgesetzgebung von den Bürgern selbst, also von unten, aus – im Unterschied zu einem obligatorischen Referendum, das von der Verfassung vorgeschrieben ist, oder einem von den Regierenden nach eigenem Ermessen anzuberaumenden einfachen Referendum oder einer wirkungsähnlichen Volksbefragung.

Zum anderen eröffnet die Volksgesetzgebung den Bürgern die Chance, sich als Gesetzgeber anstelle der parlamentarischen Institutionen zu setzen. Das Volk legt also die inhaltlichen Gegenstände selber fest, über die am Ende gegebenenfalls abgestimmt wird. Hier liegt der Unterschied zur sogenannten Vetoinitiative, die unter dem Begriff fakultatives Referendum vor allem aus der Schweiz geläufig ist. Diese gibt den Bürgern lediglich die Möglichkeit, gegen ein bereits verabschiedetes Gesetz nochmals vorzugehen, indem dieses einem plebiszitären Nachentscheid unterworfen wird.

Es ist bemerkenswert, dass mit der Entscheidung für das Volksgesetzgebungsmodell in der deutschen Landesverfassung ein weitgehender Verzicht auf die anderen plebiszitären Verfahren einhergeht. Obligatorische Verfassungsreferenden sind nur in zwei Bundesländern, einfache Referenden in drei Ländern vorgesehen; und die Vetoinitiative ist wiederum in nur drei Ländern vorgesehen, und auch das nur in eingeschränkter Form.

Auch die Diskussion um eine mögliche Einführung von Plebisziten auf Bundesebene kapriziert sich in Deutschland ganz auf die Volksgesetzgebung. Diese ist als direktdemokratisches Modell in der Bundesrepublik sozusagen gesetzt und wird auch im Lichte möglicher Alternativen nicht weiter hinterfragt. Wie problematisch das ist, dass man zum Beispiel auf ein einfaches Referendum verzichtet, zeigt sich jetzt in Hamburg. Hamburg bewirbt sich ja um die Olympischen Spiele, und dort hat man gesagt, die Bürger sollen eigentlich darüber abstimmen können, ob man eine Olympiabewerbung abgibt. Das einfache Referendum ist aber in Hamburg nicht vorgesehen. Das heißt, wenn man das jetzt den Bürgern verspricht, muss man diese gesetzliche Grundlage dafür erst einmal schaffen.

In der Fixierung auf das potenziell weitreichendste direktdemokratische Verfahren liegt aus meiner Sicht der Hauptgrund dafür, warum wir in Deutschland der Einführung der Plebiszite auf Bundesebene keinen Schritt nähergekommen sind. Die Volksgesetzgebung wirft nämlich grundsätzliche Vereinbarkeitsprobleme mit dem System der repräsentativen und parlamentarischen Parteiendemokratie auf, die sich im nationalen Rahmen viel gravierender auswirken als in den Ländern, und zwar wegen der bedeutsameren Gesetzesmaterien und der in den Ländern entfallenden Einbeziehung der zweiten Kammer, des Bundesrates, was sicherlich in Österreich ein weniger gravierendes Problem darstellt als in Deutschland.

Mit Blick auf die Systemverträglichkeit sind zwei Aspekte hervorzuheben. Zum einen stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, dem Volk ein Gesetzgebungsrecht einzuräumen, es also unmittelbar an der Ausübung der Regierungsgeschäfte zu beteiligen. Zweifel daran könnte etwa die fehlende Expertise wecken, da sich Expertise im arbeitsteiligen Beratungsprozess der parlamentarischen Institutionen besser entfalten lässt, oder die potenzielle Radikalität und Selektivität der Initiativen im Unterschied zu den stärker integrierenden und auf Kompromissfindung angelegten parlamentarischen Verfahren.

Beide Bedenken sollten nicht überbewertet werden. Der Sinn eines plebiszitären Gesetzgebungsrechts besteht ja nicht darin, dass das Volk anstelle des Parlaments regiert, entscheidend sind vielmehr die Vorabwirkungen, die von diesem Recht ausgehen. Wenn die Regierenden wissen, dass das Volk eine bestimmte Materie notfalls selber an sich ziehen kann, werden sie wahrscheinlich genau dies zu verhindern suchen. Die plebiszitären Elemente führen insoweit bereits durch ihre schiere Existenz, ohne dass man sie anwenden muss, zu einer stärkeren Interessenberücksichtigung und Kompromissfindung.

Auch in den Verfahren selbst kann der Integrationsfunktion Rechnung getragen werden, indem man die plebiszitäre und die parlamentarische Gesetzgebung miteinander verschränkt. So lässt sich zum Beispiel ein Volksentscheid abwenden, wenn das Parlament ein Volksbegehren ganz oder in Teilen übernimmt. Die präventive Funktion wird dort am unmittelbarsten greifbar, wo die Plebiszite als Vetorecht des Volkes ausgestaltet sind wie in der Schweiz. Dass die Wirkungsweise eines positiven Gesetzgebungsrechts des Volkes ähnlich ist, lässt sich aber daran ablesen, dass sich die vom Volk begehrten Gesetze häufig mehr oder weniger direkt auf geplante oder bereits verabschiedete Gesetzesvorhaben der Regierenden beziehen.

Nach meinen eigenen Auswertungen übernehmen Volksinitiativen und -begehren in den deutschen Ländern in etwa zwei Dritteln der Fälle den Part der in den Verfassungen nicht vorgesehenen Vetoinitiativen. Die Bürger werden dort nicht innovativ tätig, sondern sie bringen mit der Volksgesetzgebung vorhandene Gesetze oder geplante Gesetze zu Fall. Prominentestes Beispiel aus der letzten Zeit war das Kippen der Schulreform des damaligen schwarz-grünen Senats in der Freien und Hansestadt Hamburg.

Damit komme ich zu dem zweiten Problem der Systemverträglichkeit, das im Vergleich zu der behaupteten Unvereinbarkeit mit dem allgemein repräsentativen Prinzip sehr viel schwerer wiegt. Ein Gesetzgebungsrecht des Volkes, das zu Oppositionszwecken eingesetzt werden kann, widerstrebt der Logik des parlamentarischen Regierungssystems.

Zwischen regierender Mehrheit und Opposition besteht bekanntlich eine klar festgelegte Aufgabenteilung. Der Regierung gebührt das Monopol der politischen Gestaltung, während die Opposition als parlamentarische Minderheit ganz auf ihre Kontroll- und Alternativfunktion zurückgeworfen bleibt, die sie mit dem Ziel wahrnimmt, die Regierung nach der kommenden Wahl abzulösen.

Ein plebiszitäres Vetorecht würde dieses Prinzip unterlaufen, mit seiner Hilfe könnte die Opposition von der Regierungsmehrheit beschlossene Gesetze schon im Vorfeld einer Wahl zu Fall bringen. Es entstünde also eine Konkurrenz von parlamentarischem Mehrheitswillen und Volkswillen, die das Gestaltungsmonopol der Regierungsmehrheit aufhebt.

Von daher lässt sich gut nachvollziehen, warum die Initiative in den gewaltentrennenden präsidentiellen Systemen, zu denen auch die Schweiz gehört, öfter anzutreffen ist als in den gewaltenfusionierenden parlamentarischen Systemen. Sieht man von einigen mittel- und osteuropäischen Ländern ab, die das Instrument nach dem Umbruch offenbar in demokratischem Übereifer eingeführt haben, ist die direkte Demokratie von unten in der Form der Vetoinitiative unter den alten Demokratien auf der nationalen Ebene allein in Italien präsent. In der positiven Form gibt es die Volksgesetzgebung dagegen nicht einmal in der Schweiz.

Die potenzielle Unverträglichkeit der parlamentarischen Regierungsform mit einem plebiszitären Gesetzgebungsrecht wird durch dessen Ausgestaltung bestätigt. Die Entscheidung für das weitreichende Modell der Volksgesetzgebung und die Restriktionen, die dieses Modell in der verfassungsrechtlichen Umsetzung erfährt, stellen Seiten derselben Medaille dar. Da der Verfassungsgeber die Anwendungsmöglichkeiten der Direktdemokratie vorsorglich beschneidet, scheint er also gerade jene Konflikte zwischen dem parlamentarischen und dem Volksgesetzgeber zu befürchten, die die behauptete Unverträglichkeit des plebiszitären Instruments ausmachen.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Befürworter der direkten Demokratie versuchen, die Anwendungsbedingungen der Verfahren durch eine Beseitigung der vorhandenen Restriktionen zu verbessern. Zu den Ironien der Verfassungsgebung gehört, dass sie dies auch mithilfe der direktdemokratischen Verfahren tun können, die damit gewissermaßen auf sich selbst angewendet werden.

Drei Bereiche geraten vor allem ins Visier:

die großzügig bemessenen Themenausschlüsse, die in Verbindung mit den ohnehin begrenzten Länderkompetenzen im deutschen Föderalismus dazu führen, dass dem Volksgesetzgeber nur wenige Materien offenstehen, die in den verschiedenen Stadien des Verfahrens eingerichteten, oftmals sehr hohen Quoren und die mangelnde Verbindlichkeit der volksbeschlossenen Gesetze. Darüber hinaus gibt es weitere Verfahrensvorschriften, die häufig wie unbedeutende Details anmuten, in der Praxis aber eine große Wirkung entfalten.

Aus normativer Sicht ist die Kritik an den Restriktionen berechtigt. Wenn der Verfassungsgeber den Bürgern mit der Volksgesetzgebung ein weitreichendes Demokratieversprechen macht, dann muss er dieses Versprechen auch einlösen. Dies setzt eine Ausgestaltung voraus, mit der die plebiszitären Verfahren ihre direkten und indirekten Wirkungen in der Praxis tatsächlich entfalten können. Diese Anforderung wird offenkundig dort verfehlt, wo in einem längeren Zeitraum Volksbegehren entweder gar nicht stattgefunden haben oder sämtlich gescheitert sind. Gemessen daran haben die meisten Bundesländer ihr plebiszitäres Soll bis heute nicht erreicht.

Betrachtet man die Verfassungsentwicklung im letzten Jahrzehnt und die Faktoren, die in den übrigen Ländern zu Verfahrenserleichterungen beigetragen haben, erfordert es allerdings keine große Prognosekunst, anzunehmen, dass jene Länder, wo dies nicht bereits erfolgt ist, unter starken Druck kommen werden, solche Erleichterungen vorzunehmen.

Doch wie weit soll und kann man bei der Erleichterung der Anwendungsbedingungen sinnvollerweise gehen? – Die Antwort darauf hängt von der Bewertung der systemischen Wirkungen ab, die von den Plebisziten vermutlich ausgehen. Wer sich von ihnen lediglich symbolischen Nutzen oder punktuelle Korrekturen im Sinne einer besseren Missbrauchskontrolle der Regierenden erhofft, dürfte eher einer gemäßigten Erleichterung der Verfahren das Wort reden. Wer dagegen eine konsensuelle Transformation des Regierungsprozesses nach Schweizer Vorbild anstrebt, die das Gegenüber von Regierung und Opposition langfristig aufhebt, muss für noch weiter gehende Erleichterungen eintreten.

Ich will mich bei der grundsätzlichen Bewertung nicht auf die eine oder andere Seite stellen, sondern stattdessen versuchen, für die Beantwortung der Frage nach dem optimalen Design der direkten Demokratie eine mittlere Linie einzuschlagen. Die plebiszitären Elemente sollten danach so ausgestaltet sein, dass sie den politischen Prozess in den Bundesländern beeinflussen, aber nicht gänzlich überschatten.

Bei den Verfahren selbst könnte man über die zusätzliche Einführung einer Vetoinitiative nachdenken, um die Volksgesetzgebung funktional zu entlasten. Auch vermag ich nicht einzusehen, warum man nicht auch stärker obligatorische und einfache Referenden in die Verfassungen einführen könnte.

Was bedeutet nun die mittlere Linie für die konkrete Ausgestaltung der Volksrechte? – Betrachten wir als Erstes die Quoren. Nach überwiegender politikwissenschaftlicher Lesart gibt es hier einen gewissen Trade-off, also eine Wechselbeziehung zwischen Quoren in der Eingangsphase und Quoren beim abschließenden Volksentscheid. Entweder man verbindet gemäß dem sogenannten „Kieler Modell“ niedrige Beteiligungshürden und großzügig bemessene Eintragungsfristen in der Eingangsphase, also bei Initiative und Begehren, mit einem vergleichsweise hohen Zustimmungsquorum beim abschließenden Entscheid, oder man geht genau umgekehrt vor: hohe Beteiligungshürden und kürzere Fristen bei Initiative und Begehren, dafür aber ein niedrigeres Zustimmungsquorum oder überhaupt kein Zustimmungsquorum beim Entscheid.

Von beiden Modellen zu unterscheiden sind die Extremlösungen, die niedrige oder hohe Quoren in jeweils beiden Phasen kombinieren. Das erste Modell – relativ niedrige Quoren in der Eingangsphase und beim Entscheid – haben wir in Deutschland auf Länderebene nur in Hamburg. Wenn man dieser mittleren Linie folgt, dann sind die Kombinationen den extremen Lösungen vorzuziehen. Ob die Quoren dabei eher in der Eingangsphase oder beim abschließenden Entscheid niedrig gehalten werden sollten, bleibt allerdings strittig. Aus demokratietheoretischer Sicht lassen sich für beide Positionen gute Argumente beibringen. Für niedrige Hürden in der Eingangsphase spricht die nützliche Agenda-Setting-Funktion der Initiativen, die zu Innovation beiträgt. Ihre Kehrseite liegt in der Missbrauchsgefahr, weil damit auch offensichtlich unsinnige Vorschläge in den politischen Prozess eingebracht werden können.

Zustimmungs- oder Beteiligungsquoren beim abschließenden Entscheid sollen sicherstellen, dass sich hinter dem Ergebnis nicht nur eine kleine Minderheit der Stimmberechtigten versammelt. Wirken sie insoweit legitimationsfördernd, haben die Quoren andererseits den Nachteil, dass sie die Gegner einer Vorlage anhalten, der Abstimmung fernzubleiben. In Italien sagt man da immer: Fahrt ans Meer!, also man fordert im Grunde zur Nichtpartizipation auf, und das kann aus demokratiepolitischer Sicht eigentlich nicht wünschenswert sein.

Wenn man jetzt Vor- und Nachteile gegeneinander abwägt, spricht meines Erachtens unter dem Strich mehr dafür, die Quoren beim Entscheid und nicht in der Eingangsphase abzusenken.

Ich muss jetzt etwas abkürzen und werde zum zweiten Bereich kommen, nämlich zur Frage der Ausschlussgegenstände. Die mittlere Linie muss sich auch auf die Tabubereiche der Volksgesetzgebung erstrecken, denn diese unterminieren das Versprechen der direkten Demokratie gleichfalls.

Finanzwirksame Vorlagen dürfen nicht mehr, wie heute in den meisten deutschen Bundesländern, strikt ausgeschlossen werden, da dies den aufgrund der spärlichen Länderkompetenzen im deutschen Föderalismus ohnehin eingegrenzten Anwendungsbereich der direkten Demokratie zu sehr einengt. Damit der Haushaltsvorbehalt nicht völlig ausgehebelt wird, müssen die Initianten bei Vorhaben mit wesentlichen finanziellen Auswirkungen entsprechende Deckungsvorschläge in ihre Vorlagen mit aufnehmen.

Solange es Ausschlussgegenstände gibt, kommt man nicht umhin, die rechtliche Zulässigkeit der Volksinitiativen vorab zu prüfen. In den deutschen Ländern sind dafür die Innenbehörden zuständig. Darin liegt mit Blick auf die behauptete Unverträglichkeit von parlamentarischer und Volksgesetzgebung natürlich ein Problem. Damit die Regierung missliebige Initiativen nicht einfach aushebelt, muss die Zulässigkeit verfassungsgerichtlich nachprüfbar sein.

Bei den Volksbegehren wäre sogar zu überlegen, ob man sie nicht automatisch einer Vorabkontrolle durch das Verfassungsgericht unterzieht, um die theoretisch mögliche nachträgliche Aufhebung eines volksbeschlossenen Gesetzes, die unter Legitimationsgesichtspunkten problematisch wäre, zu vermeiden.

Die Erörterung der zwei weiteren Aspekte – der Frage der Verbindlichkeit und der Frage des Abstimmungstermins – können wir vielleicht auf die Diskussion verschieben.

Zwei ganz kurze Abschlussbemerkungen: Grundsätzlicher könnte man natürlich überlegen, ob man das Vereinbarkeitsproblem nicht auch von der anderen Seite her angeht, nämlich durch einen Wechsel der Regierungsform in den Ländern. Wenn – wie von mir behauptet – das präsidentielle System der Gewaltentrennung mit der direkten Demokratie als Volksgesetzgebung besser harmoniert als das parlamentarische System, warum führt man dann in den Ländern nicht das präsidentielle System ein?

Da ist Österreich insoweit interessant, als es in Österreich auf Länderebene abweichende Regierungsmodelle gibt, nämlich das System der Proporzregierung. Und gegen Proporzregierungen bieten sich plebiszitäre Korrektive in der Tat eher an als in einem System, das auf dem Wechselspiel von Regierung und Opposition basiert.

Zweiter und abschließender Hinweis: Für die Bundesebene kann das parlamentarische System ja nicht zur Disposition stehen, deshalb ist die Volksgesetzgebung aus meiner Sicht für die Bundesebene völlig ungeeignet. Deshalb ist sie auch in keiner der alten Demokratien verwirklicht. Die Probleme wären da noch sehr viel gravierender als auf Länderebene. Man müsste in der Tendenz eher höhere Quoren und noch mehr Ausschlussgegenstände einrichten, und damit würde das Instrument erst recht entwertet.

Wir haben allerdings in Deutschland das eingangs beschriebene Problem, dass sich „direkte Demokratie“ bei uns auf „Volksgesetzgebung“ reimt. Wir müssten uns also erst aus dieser Fixierung auf das Volksgesetzgebungsmodell befreien, um auch auf Bundesebene zu vernünftigen Alternativen zu kommen. Solche Alternativen bestehen aus meiner Sicht in einer nicht verbindlichen konsultativen Volksinitiative, mit der das Parlament aufgefordert wird, sich mit einer bestimmten Angelegenheit zu beschäftigen. Auch über obligatorische und einfache Referenden sollte man nachdenken. (Beifall.)

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„Direkte Demokratie in Deutschland“

Prof. em. Dr. Theo Schiller (Philipps-Universität Marburg): Auch ich freue mich, bei dieser Gelegenheit hier sein zu können und Ihnen einige Informationen zur direkten Demokratie in Deutschland zu bieten. Ich glaube, wir ergänzen uns ein wenig, auch mit etwas unterschiedlichen Akzenten in der normativen Dimension. Ich möchte zur allgemeinen demokratietheoretischen Dimension nur die Eingangsbemerkung machen, dass ich davon ausgehe, dass direkte Demokratie das Prinzip der Volkssouveränität konkretisiert, ergänzt und dem grunddemokratischen Restvorbehalt gegenüber der repräsentativen Demokratie gewisse Initiativ- und Kontrollrechte entgegenhält. – Mehr möchte ich an dieser Stelle dazu nicht sagen.

Ich habe Ihnen bereits in meinem schriftlichen Papier eine Menge faktische Informationen gegeben. Ich gehe das durch und werde nur an einigen Stellen etwas zur Vertiefung sagen, um in meiner verfügbaren Zeit zu bleiben.

Als Erstes einige ganz allgemeine Bemerkungen: Auf Bundesebene haben wir in Deutschland die direkte Demokratie nicht – mit einer Ausnahme: obligatorischer Volksentscheid bei einer Neugliederung der Bundesländer. Das ist ja auch in zwei Fällen geschehen, in Baden-Württemberg erfolgreich, in Berlin-Brandenburg nicht erfolgreich. Und dann gab es noch eine Reihe von kleineren Regionalentscheidungen.

Im Übrigen gibt es Entwürfe für die Einführung von Volksbegehren/Volksentscheiden durch eine Änderung des Grundgesetzes – was ja in jedem Fall notwendig wäre –, aus dem Jahr 2002 von der damaligen Mehrheit von SPD und Grünen, aber es war damals – und ist auch heute – keine Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung vorhanden.

Wir haben die direkte Demokratie auch auf kommunaler Ebene. Das ist hier nicht unser Thema. Deshalb sage ich dazu keine Einzelheiten, sondern konzentriere mich auch auf die Länderebene.

Historisch nur folgende Bemerkung: Vor 1990 gab es die direkte Demokratie nur in Bremen, Nordrhein-Westfalen und ab Hessen südwärts, damals in all diesen Ländern mit einem Unterschriftenquorum von 20 Prozent der Wahlberechtigten – mit dem Ergebnis, dass daraus, mit einer Ausnahme, keinerlei Praxis resultierte. Die Ausnahme ist Bayern mit einem Unterschriftenquorum von 10 Prozent und mit einer gewissen Praxis auch schon vor 1990.

Ab 1990 wurden dann Volksbegehren/Volksentscheide in allen Ländern, einschließlich der ostdeutschen Länder, eingeführt. Die Verfahrenshürden, die seitdem zum Teil auch noch einmal verändert wurden, liegen inzwischen deutlich niedriger, sodass es doch in einer Reihe von Ländern – nicht allzu vielen – zu einer merklichen Praxis kam, vor allem wiederum in Bayern, Hamburg und Berlin. Wir werden dann an anderer Stelle noch kurz sehen, wo noch.

Zum zweiten Punkt Verfahrensmodelle und Terminologie: Man muss hier zur Terminologie etwas sagen, weil wir ja unterschiedliche Begriffe in den drei deutschsprachigen Ländern haben. In Deutschland heißt Volksbegehren, dass diese Initiative bei einer Ablehnung durch das Parlament zu einem Volksentscheid führt. Das ist ein begrifflicher Unterschied zu Österreich, der in jedem Fall festzuhalten ist.

Weiters gibt es bei uns seit 1990 in einigen Ländern auch die Institution der Volksinitiative. Das entspricht dem, was Sie als Volksbegehren bezeichnen, nämlich: Eine Initiative von Bürgern setzt ein Thema auf die Tagesordnung des Parlaments, und das Parlament entscheidet weiter darüber. – Das ist also die Volksinitiative bei uns. Das entspricht wiederum nicht dem Begriff der Volksinitiative in der Schweiz, was in der deutschen Terminologie ein Volksbegehren zur Verfassungsänderung wäre. Das wird ja noch erläutert.

Die Volksinitiative gibt es in Deutschland nicht überall. Es gibt sie überhaupt erst seit 1990. Es gibt sie nicht in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Saarland; im Saarland wird das gerade geändert. Aber es gibt die Volksinitiative, und zwar sogar obligatorisch als erste Verfahrensstufe vor dem Volksbegehren, in Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Schleswig-Holstein. Hier haben wir also einen starken Kontrast. In den anderen Ländern kann das dann flexibel eingesetzt werden, ist aber nicht obligatorisch.

Unverbindliche Volksbefragungen von oben gibt es in Deutschland im Prinzip nicht. Jetzt läuft gerade in Bayern eine Diskussion in diese Richtung. Ich glaube, es ist im Landtag jetzt sogar beschlossen worden, steht aber noch der verfassungsgerichtlichen Überprüfung anheim.

Weiters gibt es obligatorische Verfassungsreferenden für Verfassungsänderungen in zwei Ländern, nämlich in Bayern und in Hessen, die natürlich auch öfters – aber nicht allzu oft, weil man bei Verfassungsänderungen vorsichtig war – zur Anwendung kamen.

Herr Decker hat schon darauf hingewiesen, dass es die Vetoinitiative, also das fakultative Gesetzesreferendum, nicht gibt. Das wäre aus meiner Sicht in jedem Fall eine sinnvolle Ergänzung des Gesamtinstrumentariums. Zum Teil wird das bisherige Volksbegehren auch in diese Richtung eingesetzt. Es wäre sinnvoller, das explizit auch institutionell zu formulieren.

Zu den Verfahrensregeln in den Ländern: Eine Volksinitiative kann in der Regel durch ein Unterschriftenquorum von etwa 1 Prozent der Wahlberechtigten ausgelöst werden. Das schwankt ein bisschen hin und her, aber es ist diese Größenordnung.

Bei Volksbegehren ist die Ausgestaltung des Unterschriftenquorums sehr viel breiter. Da gibt es Länder mit 4 oder 5 Prozent – Brandenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein. Sehr hoch war es bisher in Baden-Württemberg und Hessen – in Hessen, meinem eigenen Bundesland, sind es 20 Prozent; dort ist es noch nie zu einem gültigen Volksbegehren und Volksentscheid gekommen. Und dazwischen liegen noch mehrere Länder.

Ein weiterer Aspekt ist die Frage der Sammlungsform. Hier sind die Länder geteilt. Die Hälfte der Länder verlangt Amtseintragung – man muss also in ein kommunales Amt gehen, um sich dort einzutragen –, in der anderen Hälfte der Länder kann freie Sammlung durchgeführt werden. Dann müssen natürlich anschließend die Unterschriften überprüft werden. Da gibt es aber routinierte Verfahren, das ist eigentlich kein Problem. Ein Land, Thüringen, bietet es alternativ an: Wenn man Amtseintragung als Initiative wählt, dann braucht man nicht so viele Unterschriften wie wenn man frei sammelt.

Interessant ist auch die Frage der Fristen. Es gibt eine Frist von 14 Tagen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, ansonsten von zwei bis acht Monaten, und überhaupt keine Frist in Mecklenburg-Vorpommern. Da gibt es also eine große Bandbreite.

Wenn man jetzt alle diese drei wichtigen Verfahrensregeln zusammennimmt, dann kann man sagen, eine praktische Nutzung ist eigentlich nur bei einem relativ niedrigen Quorum möglich. In Bayern hat die politische Kultur diese Hürde inzwischen herabgesetzt. Die 10 Prozent gibt es immer noch, aber es wird trotzdem praktiziert. In den anderen Ländern kommt man eigentlich nur mit etwa 5 Prozent, 7 Prozent weiter – wie in Hamburg oder Berlin.

Wenn man also zu einem nutzbaren Verfahren kommen möchte, dann müsste man ein relativ niedriges Unterschriftenquorum und eine Sammlungsfrist, die wenigsten zwei bis drei Monate Zeit lässt, kombinieren. Für die Unterschriftensammlung, Amtseintragung und freie Sammlung gibt es auch unterschiedliche Argumente.

Ein hohes Zustimmungsquorum besteht für den Entscheid in der Mehrheit der Länder, 25 Prozent oder mehr, macht aber dann den Erfolg im Volksentscheid kaum erreichbar. Bayern hat kein solches Quorum, in Bayern entscheidet die Mehrheit, und das ist wahrscheinlich einer der Faktoren, die trotz der 10 Prozent Eingangsschwelle zu einem günstigeren Praxisergebnis führen.

Der vierte Punkt betrifft den Ausschluss von Themen bei Volksentscheiden. Es ist schon auf die Volksgesetzgebung als zentrales Stichwort hingewiesen worden. Hier wird meist ein Gesetzentwurf verlangt. Einige Länder haben aber auch die Möglichkeit vorgesehen, dass sogenannte sonstige Gegenstände der politischen Willensbildung zum Gegenstand insbesondere einer Volksinitiative gemacht werden können. Das wäre sicherlich eine Lösung für eines der Probleme, die Herr Decker angesprochen hat. Da kann es auch um Einzelprojekte gehen. Ich glaube sogar, Hamburg hat diese Regelungen, könnte also seinen Olympia-Entscheid in dieser Form durchführen.

Beim Themenausschluss findet man in der Regel die Formulierung, dass Abgabengesetze, Besoldungsgesetze, Tarife öffentlicher Unternehmen – das ist natürlich ein Spezialproblem von Stadtstaaten – und Personalentscheidungen ausgeschlossen sind. Diese Ausschlüsse sind letztlich plausibel. Bei den Abgabengesetzen könnte man grundsätzlich Zweifel haben, ob es besonders sinnvoll ist, das herauszunehmen. Es gibt aber für Deutschland ein Argument, dass es doch plausibel macht, denn die Steuereinnahmen werden in Deutschland im Wesentlichen in einem Verbundsteuersystem erhoben, also Mehrwertsteuer, Einkommensteuer und so weiter laufen in einem System der Gemeinschaftssteuern zwischen Bund und Ländern. In diesem System hat man eigentlich gar keine wesentlichen Kompetenzen auf Landesebene, um Abgabengesetze zu machen, und dann wirft es auch keine großen Probleme auf, wenn das aus der direkten Demokratie ausgeschlossen ist.

Ein erhebliches Problem ist natürlich die Finanzwirksamkeit. Hier finden sich unterschiedliche Formulierungen: Staatshaushalt, Staatshaushaltsgesetz, Haushaltsplan, Haushaltsgesetz. Soweit der Haushalt im Ganzen betroffen ist, ist das sicherlich auch nachvollziehbar. Einige Länder schließen aber auch einzelne ausgabenwirksame Entscheidungen weitgehend aus, und das ist ein großer Streitpunkt und führt dann auch zu vielen rechtlichen Problemen. Von daher müsste Klarheit darüber geschaffen werden, dass ausgabenwirksame Entscheidungen beziehungsweise finanzwirksame Entscheidungen, die aber nicht den gesamten Haushalt betreffen, möglich sein müssen. Bei Volksinitiativen sind Beschränkungen in der Regel geringer.

Der fünfte Punkt betrifft die inhaltliche Überprüfung von Volksinitiativen/Volksbegehren. Alle Volksinitiativen und Volksbegehren werden auf deren Zulässigkeit geprüft, dabei auch auf die Verfassungsmäßigkeit. Es gibt zwei oder drei Länder, wo das direkt zum Verfassungsgericht geht. In Thüringen erfolgt das über den Landtagspräsidenten, ansonsten macht das die Regierung. Aber das ist verfassungsgerichtlich überprüfbar.

Zum sechsten Punkt, Dialogcharakter der Instrumente: Der Dialog zwischen Initiatoren und Parlament gelingt am besten bei Volksinitiativen, als Forderung aus der Bürgerschaft für die Tagesordnung des Parlaments. Die Initiativen können dann in der Regel das Anliegen beim Landtagsausschuss erläutern.

Volksinitiativen als obligatorische Stufe vor dem Volksbegehren unterstützen diesen Dialog besonders, weil man hier bereits in einen engen Dialog kommt. Es zeigt sich, dass hiermit auch Kompromisse ohne Volksentscheid besser vorbereitet und ermöglicht werden, als es sonst der Fall ist. Volksbegehren – auch jene ohne Volksinitiative – müssen immer zunächst vom Parlament behandelt werden. Das ist ebenfalls nützlich für den Dialog. Die Anhörung wird oft praktiziert, sollte jedoch zwingend vorgeschrieben werden.

Alternativvorlagen der Parlamente können meistens mit zur Abstimmung gestellt werden. Das fördert ebenfalls den Dialog. Wo das nicht der Fall ist, sollte man das unbedingt einführen. Auch die Kompromissbildung kann auf diese Weise, also durch Alternativvorlage der Parlamente, transportiert werden. Dazu gibt es gute Beispiele aus Bayern.

Zum siebten Punkt, der Förderung sachlicher Debatten und Entscheidungen: Die meisten Länder bestimmen in der Verfassung und/oder im Volksabstimmungsgesetz, dass zu einem Volksentscheid von Amts wegen über Text und Inhalt des Antrags informiert werden muss, auch über die Begründungen der Antragsteller und gegebenenfalls die Auffassung oder Alternative der Regierung oder des Landtages. Verlangt wird – in der Regel in der Verfassung –, dass mehr oder weniger in gleichem Umfang informiert werden soll. Angaben zu Art und Umfang schwanken zwischen „bündig und sachlich“ und „jeweils bis zu acht Seiten“, etwa in Hamburg. Parlamentsfraktionen können sich außerdem noch nach ihrem Stärkeverhältnis äußern. In Thüringen – das ist interessant – muss der Landtagspräsident allen Haushalten eine Abstimmungsbroschüre mit den wesentlichen Informationen übermitteln.

Wichtig wäre für diesen gesamten Teil stets auch die Verständlichkeit der Texte und der Argumente. Als Vorbild hierzu können das „Abstimmungsbüchlein“ der Schweiz und das „Ballot Pamphlet“ in Kalifornien oder das „Voters’ Pamphlet“ in anderen US-Bundesstaaten dienen. Diese Qualität wird wohl in Deutschland sehr häufig noch nicht erreicht.

Für eine intensive sachliche Debatte in der breiten Öffentlichkeit sind Informationsqualität und Fairness in den Medien entscheidend. Neben der Qualitätspresse, deren Verbreitung natürlich unterschiedlich ist, ist zumindest vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine informative und relativ neutrale Rolle ähnlich wie in Wahlkämpfen zu erwarten. Förmliche Verpflichtungen in den Rundfunk- und Fernsehgesetzen bestehen meist noch nicht explizit, doch praktisch gibt es die Tendenz zur Ausgewogenheit. In jedem Fall soll die bezahlte Fernsehwerbung ausgeschlossen werden.

Zum achten Punkt, den finanziellen Rahmenbedingungen für Initiativen: Maßstab hierfür müssten Grundrechte und das Demokratieprinzip der politischen Chancengleichheit sein – analog zur deutschen Regelung der Parteienfinanzierung. In Deutschland, in einem Land, wo es explizite und ausgearbeitete Regeln zur Parteienfinanzierung mit Transparenzgebot und öffentlichen Finanzierungsbeiträgen gibt, muss Chancengleichheit auch in diesem Lichte gesehen werden.

Ein allgemeines Transparenzgebot zur Finanzierung von Volksbegehren/Volksentscheiden besteht in der Mehrheit der deutschen Länder nicht, auch keine allgemeinen Regeln für Finanzzuschüsse. Aber einige Länder – Berlin, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – verpflichten Initiatoren beziehungsweise Vertrauensleute, Spenden ab 5 000 € auf einem Sonderkonto zu verwalten und dem Innenminister anzumelden. Das ist analog zur Parteienfinanzierung geregelt.

Einige Länder gewähren eine geringe Kostenerstattung für Aufwendungen, teils für eingetragene Unterschriften beim Volksbegehren, teils für erreichte Ja-Stimmen im Volksentscheid. Da ist also eine gewisse Willkür und Offenheit der Fall. Aus Kostenerstattungen leiten sich dann natürlich auch Rechenschaftspflichten ab. Daraus resultiert jedoch in der Praxis noch kein allgemeines Transparenzgebot für sonstige angeworbene und verwendete Finanzmittel.

Spenden für eine Initiative seitens öffentlicher Träger wie Parlamentsfraktionen oder Unternehmen mit öffentlichen Beteiligungen von über 25 Prozent sind in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen explizit unzulässig – analog zu Parteien. Die anderen Länder müssen sich diese Regelung noch überlegen.

Man könnte jetzt noch über Häufigkeit und Ergebnisse von Volksbegehren und Volksentscheiden reden, auch über die Frage, ob hier initiativ fungiert wurde oder eher vetomäßig. Das will ich im Einzelnen jetzt nicht tun. Ich kann das gerne nachher nachholen.

Nur: Generell kann ich die Auswertung des Kollegen Decker, dass hier überwiegend die Vetofunktion entscheidend war, nicht teilen. Wie meine Auswertung aussieht, müssen wir dann bei einer anderen Gelegenheit besprechen. Mir scheint die Initiativfunktion wesentlich stärker zu sein, sowohl für das Agenda Setting als auch für politische Ergebnisse. (Beifall.)

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„Direkte Demokratie in der Schweiz“

Dr. Nadja Braun Binder, MBA (Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer): Ich freue mich, Ihnen zu Fragen und Diskussionen zum Thema „Direkte Demokratie in der Schweiz“ zur Verfügung zu stehen. Ich habe die sechs Punkte erhalten, die Sie besonders interessieren. Ich werde meinen Vortrag an diesen sechs Punkten ausrichten und nur einleitend kurz etwas zur Terminologie sagen, wie meine Vorredner das schon trefflich getan haben. In der Schweiz gibt es verschiedene Instrumente, wie Sie sicher wissen. Man unterscheidet zwischen obligatorischen Referenden und fakultativen Referenden. Obligatorisch ist eine Volksabstimmung immer dann, wenn die Verfassung dies vorschreibt, in der Regel für Verfassungsrevisionen – Total- wie Partialrevisionen. Fakultativ ist ein Referendum immer dann, wenn die Stimmberechtigten es verlangen, binnen einer gegebenen Frist Unterschriften sammeln und die Volksabstimmung über eine vom Parlament bereits verabschiedete, aber noch nicht in Kraft getretene Vorlage einfordern.

Auf Bundesebene handelt es sich beispielsweise um Bundesgesetze, die dem fakultativen Referendum unterstehen, aber auch um andere Bundesbeschlüsse, die rechtsetzende Bestimmungen enthalten, und – was mir besonders erwähnenswert erscheint – auch um Staatsverträge, wenn sie rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn sie unkündbar sind. Auch diese können dem fakultativen Referendum unterstehen.

Drittes Instrument – das wurde auch schon verschiedentlich genannt – ist die Volksinitiative. In der Schweizer Terminologie ist damit auf Bundesebene die Verfassungsinitiative gemeint, auf kantonaler oder kommunaler Ebene auch eine Gesetzesinitiative. Gemeint ist immer ein verbindliches Mitwirkungsinstrument. Wenn man Unterschriften für eine Volksinitiative sammelt, dann wird, sofern die Initiative nicht vorher zurückgezogen wird, darüber abgestimmt. Also eine reine Konsultativfunktion hat so eine Volksinitiative in der Schweiz nicht.

In der Schweiz sind die Initiativ- und Referendumsrechte, wie schon erwähnt, auf allen drei politischen Ebenen stark. Generell kann man sagen: Auf kommunaler und kantonaler Ebene sind sie breiter als auf Bundesebene. Auf allen drei Ebenen gibt es, wie gesagt, die obligatorischen und die fakultativen Referenden. Die Verfassungsinitiative, die Gesetzesinitiative und dann auch ein Referendum, das weitergeht als auf Bundesebene, gibt es in den Kantonen und Kommunen. Insbesondere ist hier das Verwaltungsreferendum, die Möglichkeit, über bestimmte Einzelakte auch ein Referendum zu ergreifen, zu erwähnen.

Zentraler Punkt im Schweizer Verständnis von direkter Demokratie ist die bereits erwähnte Verbindlichkeit der Verfahren. Und ein weiterer zentraler Punkt in der Schweizer direkten Demokratie ist, dass die Verfahren von unten ausgehen. Ich würde auch die obligatorischen Referenden zu den Verfahren von unten zählen, denn diese stehen in der Verfassung, und über die Verfassung wurde abgestimmt. Letztlich kommen also auch obligatorische Referenden von unten zustande.

Was im Schweizer Verfassungsrecht nicht grundsätzlich vorgesehen ist, sind Volksabstimmungen, die aufgrund eines Parlamentsmehrheitsentscheids durchgeführt werden.

Damit komme ich zu den sechs Punkten, die Sie besonders interessieren.

Erster Punkt: Art der Unterschriftensammlung beziehungsweise Schwellen

Ich beginne mit den Schwellen. Das Unterschriftenquorum auf Bundesebene für eine Volksinitiative beträgt derzeit 100 000 Unterschriften von Stimmberechtigten, die binnen 18 Monaten gesammelt werden müssen. 100 000 Unterschriften entsprechen heute ungefähr 1,9 Prozent der Stimmberechtigten. Als man ursprünglich, im Jahre 1977, die 100 000 Unterschriften in der Verfassung festgesetzt hatte, war die Prozentzahl entsprechend höher, aber das war kein ausschlaggebendes Argument.

Die Quoren für Volksinitiativen, aber auch für fakultative Referenden hat man nie danach definiert, welchen Prozentsatz der Stimmberechtigten man abbilden möchte. Man hat immer argumentiert – das können Sie in den Protokollen über die Parlamentsdebatten genau nachlesen –, die Hürde muss so tief sein, dass auch kleine Gruppierungen das Instrument der Volksinitiative nutzen können. Man hatte in der Schweiz Angst, dass ein Initiativinstrument nur von großen Organisationen genutzt wird, dass nur Verbände mit vielen Mitgliedern es nutzen können, und hat deshalb in den Diskussionen immer betont: Die Hürde muss relativ niedrig sein, um eben auch kleinen Interessengemeinschaften die Nutzung dieses Instrument zu ermöglichen!

Nach unten sollte es dann aber doch begrenzt sein. Also eine Mindestanzahl an Unterschriften war schon notwendig. Das hat sich aber daraus ergeben, dass man gesagt hat: Wenn wir 20 Initiativen pro Tag erhalten, dann können wir als Staat nicht mehr funktionieren! Das heißt eigentlich: Funktionsfähigkeit des Staatsapparates als Untergrenze der Quoren.

Bei den fakultativen Referenden ist es heute auf Bundesebene so, dass man 50 000 Unterschriften innerhalb von 100 Tagen sammeln muss. Quoren und Sammelfristen sind in der Bundesverfassung verankert, was es auch relativ schwierig macht, die Quoren und Sammelfristen heute noch zu verändern, weil darüber natürlich eine obligatorische Volksabstimmung stattfinden müsste.

Wie werden die Unterschriften gesammelt? – In der Schweiz werden die Unterschriften frei gesammelt, also es erfolgt keine Amtseintragung, sondern es gibt eine freie Unterschriftensammlung. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten etwas verändert. Früher wurde oft vor Abstimmungslokalen gesammelt. Die Stimmberechtigten gingen zur Urne, haben ihre Stimme abgegeben, kamen aus dem Abstimmungslokal wieder heraus und konnten gleich die nächste Initiative unterschreiben.

So einfach ist es seit der breiten Nutzung der brieflichen Stimmabgabe, die in der Schweiz voraussetzungslos genutzt werden kann, nicht mehr. Heute sind Initiativkomitees darauf angewiesen, dass sie Sammelaktionen auf belebten Straßen und Plätzen durchführen. Große Organisationen mit vielen Mitgliedern nutzen sehr häufig Direktanschreiben. Die Unterschriftenlisten werden per Briefpost an die eingetragenen Mitglieder versandt, und dann wird darauf gehofft, dass möglichst viele Unterschriftenlisten auch wieder zurückkommen.

Stichwort „Vote électronique“: E-Voting ist in der Schweiz bereits ein Thema. Seit mehreren Jahren testet man in Volksabstimmungen und Wahlen den Einsatz von E-Voting. Die elektronische Unterschriftensammlung ist nach elektronischer Abstimmung und elektronischen Wahlen als dritter Schritt geplant, ist aber noch nicht näher konkretisiert. Es gibt einzelne akademische Überlegungen in diesem Feld, aber politisch wurde dieses Thema bislang noch nicht aufgegriffen.

Zu den Punkten zwei und drei, Ausschluss von Themen bei Volksabstimmungen und inhaltliche Überprüfung von Volksinitiativen: Eine eidgenössische Volksinitiative kann über jedes beliebige Thema gestartet werden – kein Themenausschluss! Es gibt auch keine inhaltliche Vorprüfung einer Volksinitiative. Die einzige Prüfungsinstanz ist, nachdem eine Initiative erfolgreich eingereicht worden ist, das Parlament. Das Parlament muss die Initiative prüfen. Es darf sie aber nur auf drei Aspekte hin überprüfen. Wenn einer dieser drei Aspekte verletzt wird, dann muss das Parlament die Initiative für ungültig erklären.

Die drei Aspekte sind: Einheit der Form, Einheit der Materie und zwingende Bestimmungen des Völkerrechts.

Einheit der Form meint: Eine Initiative muss entweder ausformuliert oder eine allgemeine Anregung sein, die später vom Parlament weiter konkretisiert wird.

Einheit der Materie meint, dass man mit einer Volksinitiative nicht zwei oder mehrere unterschiedliche Themen abdecken darf. Das erklärt sich auch relativ einfach: Am Schluss muss der Stimmbürger zum Ausdruck bringen können, was er will.

Wenn zum Beispiel durch eine Volksinitiative zum einen die Steuern erhöht, zum anderen irgendetwas am Bildungssystem verändert werden soll, so kann es sein, dass Stimmberechtigte das eine gut, das andere nicht gut finden. Also wenn das in einer Volksinitiative gekoppelt wird, kann der wirkliche Wille nicht mehr zum Ausdruck gebracht werden.

Bei fakultativen Referenden gibt es im Prinzip auch keine inhaltliche Beschränkung, aber dadurch, dass ein fakultatives Referendum als Vetorecht an die Verabschiedung einer Vorlage im Parlament gekoppelt ist, kann es sich natürlich eben nur auf diese Vorlage beziehen.

Auf Bundesebene unterstehen dem fakultativen Referendum, wie bereits erwähnt, die Gesetze, rechtsetzende Bestimmungen in Bundesbeschlüssen beziehungsweise Staatsverträge unter gewissen Voraussetzungen. Was auf Bundesebene nicht dem fakultativen Referendum untersteht, sind sogenannte einfache Bundesbeschlüsse, beispielsweise Planungsbeschlüsse oder Finanzierungsbeschlüsse.

Es gibt Ausnahmen einfachgesetzlicher Natur, zum Beispiel Rahmenbewilligungen für den Bau und Betrieb von Kernanlagen. Diese sind einfachgesetzlich dem fakultativen Referendum unterstellt. Ansonsten ist auf Bundesebene, gerade mit Blick auf Finanzierungsbeschlüsse, kein fakultatives Referendum möglich.

Ganz anders sieht es auf der kantonalen oder kommunalen Ebene aus. Dort sind, wie schon erwähnt, dem Referendum auch Einzelakte, Verwaltungsakte zugänglich. Besonders wichtig und zentral dabei ist das sogenannte Finanzreferendum, das obligatorisch oder fakultativ ausgestaltet sein kann. Es knüpft an Ausgabenbeschlüsse des Parlaments über neue einmalige oder wiederkehrende Aufgaben innerhalb eines Jahres an. Das hat eine sehr wichtige Funktion – die auch rege genutzt wird –, um den Stimmberechtigten die Möglichkeit zu geben, in Finanzangelegenheiten mitzudiskutieren. Das betrifft sowohl die Einnahmenseite – es gibt auch ein sogenanntes Steuerfuss-Referendum – als auch die Ausgabenseite, wenn es um konkrete Ausgaben geht.

Ich komme zum vierten Punkt: Dialogcharakter. In diesem Zusammenhang möchte ich drei Beispiele von Verfahren auf Bundesebene nennen, die meiner Ansicht nach sehr dazu beigetragen haben, im Laufe der Zeit diese Instrumente dialogfähig zu machen.

Erstes Beispiel – es wurde bereits erwähnt, ich halte das ebenfalls für sehr zentral –: die Möglichkeit eines Gegenvorschlags. Das Parlament kann, wenn es die Initiative nicht komplett umsetzen möchte oder ihr nicht ganz zustimmt, das Anliegen aber doch für berechtigt hält, einen Gegenvorschlag erarbeiten. In der Regel geht dieser Gegenvorschlag weniger weit als die ursprüngliche Initiative.

Zweitens: Gegenstück zu diesem Gegenvorschlag, der andere Part des Dialogs für die Initianten, ist die sogenannte Rückzugsmöglichkeit bis zu dem Moment, zu dem der Bundesrat die Volksabstimmung ansetzt. Also ungefähr drei Monate vor der Volksabstimmung können die Initianten die Initiative noch zurückziehen. Das gibt ihnen die Möglichkeit, im parlamentarischen Verfahren rege mitzuwirken und insbesondere darauf hinzuwirken, dass ein in ihrem Sinne möglichst guter Gegenvorschlag verabschiedet wird, um dann – wenn sie zum Schluss gelangen, der Gegenvorschlag sei konsensfähig, gehe zwar vielleicht ein bisschen weniger weit als das Anliegen selbst, sei aber sinnvoll, und ihn mit vereinten Kräften unterstützen – die Initiative noch zurückzuziehen.

In den letzten Jahren hat sich dieses Dialogsystem, wenn Sie so wollen, immer weiter ausdifferenziert, sodass das Parlament nicht nur einen direkten Gegenvorschlag entwerfen kann, der auf gleicher Rechtsetzungsstufe angesiedelt ist – also auf Bundesebene auf Verfassungsstufe –, sondern auch einen einfachgesetzlichen Gegenvorschlag verabschieden oder in Aussicht stellen kann. Auf der Seite der Initianten hat dies dazu geführt, dass man neu zwischen zwei verschiedenen Rückzugsmöglichkeiten unterscheiden kann.

Ein unbedingter Rückzug bei einem direkten Gegenvorschlag ist möglich, wenn das Parlament eine Verfassungsänderung verabschiedet, die dann auch obligatorisch zur Volksabstimmung gelangt. Ein bedingter Rückzug ist immer dann möglich, wenn das Parlament keinen direkten Gegenvorschlag, sondern einen Gegenvorschlag auf einfachgesetzlicher Stufe verabschiedet. Dieser gelangt nämlich nicht gleichzeitig wie die Initiative potenziell zur Volksabstimmung, sondern käme erst – vielleicht – zur Volksabstimmung, würde ein Referendum ergriffen werden. In diesem Fall können die Initianten bedingt zurückziehen. Die Bedingung ist dann erfüllt, wenn das Gesetz in Kraft tritt, wenn kein Referendum ergriffen wird. Wenn das in Aussicht gestellte Gesetz nicht zustande kommt, dann lebt quasi die Initiative wieder auf – ein, wie Sie sehen können, sehr ausgeklügeltes, ausgefeiltes Dialogsystem.

Drittes Beispiel: das Vernehmlassungsverfahren als dialogförderndes Element. Das führt wieder zur Vorwirkung des fakultativen Referendums. Vernehmlassung bedeutet Einbeziehung von Stellungnahmen aller interessierten und betroffenen Kreise im Vorfeld eines Gesetzentwurfes, um möglichst tragfähige Vorlagen verabschieden zu können. Die Vetomöglichkeit am Schluss soll sicherstellen, dass eben möglichst konsensfähige Vorlagen verabschiedet werden. Man spricht auch von referendumssicheren Vorlagen.

Zum fünften Punkt, Förderung einer sachlichen Debatte und Entscheidung: Ich denke, hiezu insbesondere erwähnenswert sind die Abstimmungsinformationen. Eine sachliche Entscheidung und Debatte kann nur basierend auf sachlichen Informationen stattfinden. Zum anderen möchte ich auch die Transparenz- und Offenlegungsbestimmungen erwähnen. Beides, sowohl diese Informationen als auch die Transparenz- und Offenlegungsbestimmungen, lässt sich letztlich auf die bekannten allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze zurückführen. Der Stimmberechtigte oder die Stimmberechtigte muss in der Lage sein, sich einen unverfälschten Willen zu verschaffen und diesen dann auch in der Abstimmung zum Ausdruck zu bringen.

Ich komme zum sechsten Punkt, der relativ schnell abgehandelt ist: In der Schweiz haben wir keine Vorschriften zur Parteienfinanzierung. Dementsprechend dünn gesät sind auch die Vorschriften zur Abstimmungskampagnenfinanzierung. Auf Bundesebene gibt es keine Transparenzvorgaben; es gibt inzwischen drei Kantone, Genf, Tessin und Neuenburg, wo es ansatzweise Vorgaben gibt.

Es gibt keine Zuschüsse, keine staatliche Finanzierung von Parteien, und analog dazu sind auch staatliche Zuschüsse und die Finanzierung von Initiativen derzeit kein Thema in der Schweiz. Mangels Transparenzvorschriften kann ich Ihnen leider auch keine näheren Informationen darüber geben, wie viel es denn kostet, eine Initiative zu lancieren. (Beifall.)

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„Direkte Demokratie in Osteuropa“

Prof. Dr. Florian Grotz (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg): Auch meinerseits herzlichen Dank für die Einladung. Es ist eine große Freude und Ehre, hier vor Ihnen sprechen zu dürfen. Wer seine demokratischen Institutionen stärken will, ist gut beraten, auf andere Länder zu schauen, um von den dortigen Erfahrungen zu profitieren. Bei Diskussionen um direkte Demokratie wandert der Blick eigentlich immer erst in die Schweiz, wo die sachunmittelbare Mitwirkung des Volkes schon lange integraler Bestandteil der Staats- und Verfassungsordnung ist und wo weltweit bis heute auch am meisten abgestimmt wird.

Mittel- und Osteuropa wird in diesem Zusammenhang häufig übersehen. Dabei ist das jene Region, in der sich direktdemokratische Institutionen in den vergangenen 25 Jahren wohl am weltweit stärksten fortentwickelt haben. Nach 1989 wurden dort nämlich direktdemokratische Institutionen gleichsam flächendeckend eingeführt, auch und gerade in jenen Ländern, die jetzt in der EU sind und als funktionsfähige Demokratien gelten, also Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Auf diese neuen EU-Staaten möchte ich mich mit ein paar ganz kurzen Bemerkungen in meinem Beitrag zu Osteuropa konzentrieren. Das heißt, alle anderen Staaten im postsowjetischen Raum und auf dem Balkan bleiben unberücksichtigt.

Sehen wir uns zunächst die institutionellen Formen und die politische Praxis der direkten Demokratie in der Region im Überblick an!

Was die Formen direktdemokratischer Beteiligung anlangt, so kennen alle elf ostmitteleuropäischen EU-Staaten nicht nur regierungsseitig initiierte Volksabstimmungen, die gemeinhin auch als Plebiszite bezeichnet werden. Mit Ausnahme Estlands findet sich in all diesen Ländern auch das Recht, eine Abstimmung über ein bereits vom Parlament verabschiedetes Gesetz herbeizuführen – also ein fakultatives Referendum –, und noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass mit Ausnahme von Estland, Kroatien und Tschechien die übrigen acht Staaten wie auch immer geartete Volksinitiativen auf nationaler Ebene vorsehen. Lediglich obligatorische Referenden sind etwas weniger verbreitet; diese finden sich nur in Estland, Lettland, Litauen, Rumänien und der Slowakei. Auf den ersten Blick scheint es also eine gleichmäßige Präferenz für direktdemokratische Institutionen in den neuen EU-Staaten zu geben, und man wäre zunächst tatsächlich geneigt, zu vermuten, dass dies mit dem demokratiepolitischen Überschwang zu tun hat, den Herr Kollege Decker schon erwähnt hat, der nach dem Ende des Kommunismus gleichsam greifbar zu spüren war. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Entstehungsumstände der direkten demokratischen Institutionen in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich waren.

In Lettland wurde im Zuge der Unabhängigkeitswerdung einfach die Vorkriegsverfassung von 1922 identisch wieder in Kraft gesetzt, und diese Verfassung enthielt eben auch direkte Volksrechte nach dem Weimarer Modell. In Slowenien dagegen bestand der ganz ausdrückliche Konsens unter den parteipolitischen Eliten, dass man direktdemokratische Verfahren einführen will, um die Machtfülle der parlamentarischen Regierung zu beschränken. In Tschechien und der Slowakei wiederum waren die nationalen Regelungen zur direkten Demokratie gleichsam das Produkt des föderalstaatlichen Trennungsprozesses – allerdings mit völlig unterschiedlichen Resultaten. Während die Slowakei direktdemokratische Institutionen sowohl verfassungsrechtlich als auch einfachgesetzlich reguliert hat, fehlt in Tschechien bis heute ein Ausführungsgesetz für die in der Verfassung verankerten Volksrechte. Die bislang einzige Volksabstimmung in Tschechien zum EU-Beitritt 2003 fand dann eben auch auf Basis eines Ad-hoc-Gesetzes statt und nicht aufgrund eines allgemeinen Referendumsgesetzes.

Was nun die Nutzungshäufigkeit anlangt, kann man grob drei Ländergruppen unterscheiden. In der ersten Gruppe – fünf Länder – fanden in den letzten 25 Jahren jeweils zehn bis über zwanzig Abstimmungen statt – also eine relativ intensive Praxis –, nämlich in Litauen, Slowenien, der Slowakei, Ungarn und Lettland. In der zweiten – gegenteiligen – Gruppe, in Bulgarien und Tschechien, fand seit 1989 nur jeweils ein einziger direktdemokratischer Urnengang statt. Die dritte Gruppe, Estland, Kroatien, Polen und Rumänien, findet sich mit vier bis sieben Abstimmungen irgendwo dazwischen wieder.

Meine Damen und Herren! Allein dieser kurze Überblick zeigt, dass in Ostmitteleuropa sehr unterschiedliche Erfahrungen mit direkter Demokratie existieren, die sich kaum zu einem einheitlichen Bild verdichten lassen. Daher möchte ich Ihnen jetzt im zweiten Teil meines Beitrages nur einige wenige länderspezifische Befunde zur Ausgestaltung der direktdemokratischen Instrumente vorstellen, die auf die vorab übermittelten Detailfragen der Enquete-Kommission Bezug nehmen. Ich konzentriere mich dabei – aus guten Gründen, denke ich – auf jene Länder, in denen relativ viele Abstimmungen stattgefunden haben, also insbesondere auf Litauen, Slowenien, Ungarn und Lettland. Und um die Zeitvorgabe einzuhalten und zugleich ein bisschen Stoff für die Diskussion zu geben, präsentiere ich meine Überlegung in Form von drei zugespitzten Thesen.

Die erste These lautet: Institutionelle Detailregelungen beeinflussen die direktdemokratische Praxis. – Generell gilt, und das ist relativ plausibel: Je geringer die Verfahrenshürden für direktdemokratische Beteiligungsformen, desto häufiger kommen sie zur Anwendung und desto größer sind ihre politischen Erfolgschancen, auch im Sinne der Initiatoren.

Dieser Zusammenhang zwischen institutionellem Design und direktdemokratischer Praxis wurde in diversen Studien zur Schweiz und zu anderen westlichen Ländern empirisch bestätigt und trifft auch auf Ostmitteleuropa grundsätzlich zu. Dazu zwei illustrative Länderbeispiele:

In Slowenien sind die Hürden für direktdemokratische Verfahren ausgesprochen gering. Ein Beispiel, das immer wieder zur Anwendung kommt, das wichtigste Instrument gleichsam: Ein fakultatives Referendum kann dort durch eine Vielzahl unterschiedlicher Initiatoren ausgelöst werden: durch den Staatsrat, also die zweite Kammer, das Oberhaus, die Mehrheit im Parlament, 30 Abgeordnete des Parlaments oder 40 000 Wähler. Zudem gibt es so gut wie keine Ausschlussgegenstände, die die Verfassung vorsehen würde. Und drittens besteht auch kein gesondertes Beteiligungs- oder Gültigkeitsquorum. Für ein erfolgreiches Abstimmungsergebnis reicht die einfache Mehrheit der Abstimmenden.

Angesichts dieser großen institutionellen Offenheit verwundert es nicht, dass Slowenien auch international zu den Ländern mit den meisten nationalen Volksabstimmungen gehört. Sie sind in der Zwischenzeit dicht an der Schweiz dran. Die Referenden endeten auch meist erfolgreich im Sinne der Initiatoren. Das heißt, in der Regel votierte eine klare Wählermehrheit gegen das zur Abstimmung stehende Gesetz, allerdings bei relativ geringer Wahlbeteiligung.

In Litauen dagegen – das zweite Gegenbeispiel gewissermaßen – kann eine Referendumsinitiative entweder von einem Viertel der Abgeordneten oder von 300 000 Wählern, also von ungefähr 12 Prozent des gesamten Elektorats, ausgelöst werden. Die erste Hürde ist relativ leicht, die zweite ist extrem schwierig zu erfüllen, und deswegen wundert es auch nicht, dass im Prinzip fast alle Referendumsinitiativen aus dem Volk heraus gescheitert sind, während die parlamentarischen Initiativen so peu à peu zunahmen, zumal das Quorum auch Mitte der 2000er-Jahre gesenkt wurde. Das Gültigkeitsquorum für Abstimmungen liegt in Litauen wieder relativ hoch, nämlich bei 50 Prozent der Stimmberechtigten, weswegen auch die Erfolgsquote relativ gering ist. – So viel zur ersten These.

Die zweite These lautet: Die „rechtliche Einhegung“ direktdemokratischer Praxis kann nicht dauerhaft perfektioniert werden. – Zweifellos sind präzise Verfahrensregelungen hilfreich, ja unabdingbar, wenn man direktdemokratische Beteiligungsformen in ein bestehendes Regierungssystem einbauen will. Allerdings sollte man sich immer vergegenwärtigen, dass die Verfahrensregelungen später immer auch Gegenstand der politischen Auseinandersetzungen sind und sein können und deswegen auch verändert werden können. In diesem Zusammenhang nimmt natürlich das Verfassungsgericht als Kontrolleur in der Regel eine besondere Stellung ein.

In diesem Zusammenhang gibt es auch ein schönes Beispiel aus Ostmitteleuropa, nämlich Ungarn, wo es zumindest bis vor Kurzem eines der stärksten Verfassungsgerichte in der Region gab. Unmittelbar nach dem Systemwechsel hat das ungarische Verfassungsgericht den ursprünglich nicht näher definierten Anwendungsbereich von Volksabstimmungen erst einmal deutlich eingeschränkt. Dies veranlasste dann die Parlamentsparteien, als 1997 dann ein echtes Referendumsgesetz ausgearbeitet wurde, eine fast lückenlose Aufstellung von Ausnahmetatbeständen vorzusehen. Das wiederum ging dem Gericht offensichtlich zu weit, weswegen es 2008 die Abhaltung eines Referendums über bestimmte staatliche Gebühren genehmigte, die eigentlich aus Sicht der Ausnahmetatbestände, also Budgetvorbehalt, gar nicht hätten genehmigt werden dürfen. Vor diesem Hintergrund war diese Verfassungsgerichtsentscheidung – um es ganz vorsichtig zu sagen – aus juristischer Sicht, denke ich, überraschend.

Entscheidend ist also nicht nur, welche Ausnahmetatbestände am Anfang eingeführt werden, sondern auch, ob sie sich in der verfassungspolitischen Auseinandersetzung bewähren.

Ein anderer Mechanismus – darauf hat Kollege Decker auch schon im deutschen Fall hingewiesen – ist die sogenannte Selbstanwendung der direkten Demokratie. Das heißt, Volksbegehren und Volksentscheide können auch über direktdemokratische Rechte abgehalten werden, und das führt in der Regel zur Ausdehnung der direkten Demokratie, weil die Bürger natürlich generell befürworten, dass die eigenen Mitentscheidungsrechte ausgebaut werden. Ein Beispiel dafür ist Lettland. Dort wurde 2008 im Gefolge eines Korruptionsskandals vom zentralen Gewerkschaftsverband eine verfassungsändernde Volksinitiative lanciert, die die Möglichkeit einer Parlamentsauflösung per Volksentscheid einführen sollte. Trotz des geschlossenen Widerstands der etablierten Parteien scheiterte diese Initiative nur knapp. Das Parlament beschloss daraufhin, die Möglichkeit einer plebiszitären Parlamentsauflösung in die Verfassung aufzunehmen, um so künftigen Initiativen mit ähnlicher Ausrichtung den Wind aus den Segeln zu nehmen, allerdings dann gewissermaßen mit höheren Auflagen, was die Quoren anbelangt.

Kommen wir abschließend zur dritten These: Die Auswirkungen direkter Demokratie hängen erheblich vom politischen Kontext ab. Die Enquete-Kommission hat im Vorfeld auch die Frage gestellt, ob durch direktdemokratische Verfahren der Dialogcharakter zwischen Initiatoren und Parlament gestärkt und eine sachliche Debatte und Entscheidung gefördert werden. Ich denke, dahinter steckt bei einigen von Ihnen die mögliche Skepsis, die Frage auch umgekehrt zu formulieren: Werden Volksinitiativen und Volksabstimmungen eigentlich nicht doch eher von den Initiatoren für ihre jeweiligen Eigeninteressen missbraucht, ob es nun die Regierung ist, die parlamentarische Opposition oder ob es eben gut organisierte Sonderinteressengruppen aus der Gesellschaft sind?

Die empirisch vergleichende Forschung zu westlichen Ländern kommt da insgesamt zu ambivalenten Befunden. Und ich denke, ein ähnlich facettenreiches Bild finden wir auch in Ostmitteleuropa.

In Lettland – man kann sagen, als positives Beispiel – war der ethnonationale Konflikt zwischen lettischer und russischsprachiger Bevölkerung häufiger Gegenstand der direktdemokratischen Praxis. Und da hätte man jetzt erwarten können, dass sich dabei die Eigeninteressen der lettischen Bevölkerungsmehrheit durchsetzen und es so zu einer Majorisierung der russischen Minderheit kommt. Das ist aber – um das abzukürzen – so nicht der Fall gewesen.

In Slowenien dagegen – negatives Beispiel –, wo zahlreiche fakultative Gesetzesreferenden abgehalten werden, konnte man eher beobachten, dass in der jüngeren Vergangenheit Oppositionsparteien und Gewerkschaften dieses Instrument vor allem dazu benutzt haben, um erfolgreich verabschiedete oder parlamentarisch verabschiedete Reformpolitiken rückgängig zu machen. Seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich dies noch verstärkt. Insgesamt wirkt die slowenische Referendumspraxis weniger konsensfördernd, sondern beeinträchtigt vielmehr die Regierbarkeit des parlamentarischen Systems.

Damit komme ich zum Fazit: Wer direktdemokratische Elemente einführen oder erweitern will, sollte sich über den Grad der erwünschten institutionellen Offenheit klar werden und diesen über verfahrensrechtliche Stellschrauben zu definieren versuchen. Das ist die eine Lehre, die man daraus ziehen kann.

Allerdings – und das ist die zweite Lehre, die nicht minder wichtig ist – sollte man nicht meinen, dass man direktdemokratische Instrumente durch bestimmte Verfahrensbegrenzungen ein für alle Mal unter Kontrolle gebracht hat. Direktdemokratische Verfahren und ihre politischen Konsequenzen lassen sich niemals durch rechtliche Regelungen vollständig einhegen. Das birgt zweifellos Chancen für die Demokratie, aber auch gehörige Risiken. (Beifall.)

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„Direkte Demokratie in den EU-Staaten im Spannungsfeld von Regierung und Opposition“

Dr. Stefan Vospernik (Politikwissenschaftler, Wien): Es ist mir auch eine große Freude und Ehre, hier meine Erkenntnisse mit Ihnen teilen zu dürfen. Nachdem hier einige Länder vorgestellt worden sind, möchte ich einen etwas allgemeineren Blickwinkel wählen und mir sozusagen in 15 Minuten die gesamte Europäische Union vornehmen. Schauen wir, ob mir das gelingt!

Wer kann gegen die direkte Demokratie sein? – Niemand, der sie nicht kennt. Und so sind wir heute hier, um aus den europäischen Erfahrungen mit der direkten Demokratie etwas für die angestrebte Aufwertung der direkten Demokratie in Österreich abzuleiten.

In den Mittelpunkt meiner Ausführungen möchte ich dabei den das politische Leben dominierenden Gegensatz von Regierung und Opposition stellen. Nüchtern betrachtet ist direkte Demokratie nämlich nichts anderes als ein weiterer Schauplatz, auf dem Regierungs- und Oppositionsakteure einander begegnen.

In Europa befindet sich die direkte Demokratie seit Anfang der 1990er Jahre in einem ungebrochenen Aufschwungsprozess. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben in den heutigen EU-Mitgliedstaaten 286 Referenden stattgefunden, davon allein 206 im letzten Vierteljahrhundert. Der Grund dafür ist einerseits der Fall des Eisernen Vorhangs, im Zuge dessen viele neu entstandene Staaten oder Demokratien direktdemokratische Instrumente institutionalisiert haben. Andererseits ist natürlich auch der zusätzliche Legitimationsbedarf für den europäischen Einigungsprozess nicht zu vergessen, der in den alten europäischen Demokratien entstanden ist.

Mittlerweile gibt es nur noch einen weißen Fleck auf der EU-Landkarte der direkten Demokratie, und das ist Deutschland. Dort hat seit dem Zweiten Weltkrieg kein einziges gesamtstaatliches Referendum stattgefunden. Betrachtet man den Zeitraum seit 1990, gesellt sich nur noch Griechenland hinzu. Das heißt im Umkehrschluss: In 26 der 28 EU-Staaten hat in den letzten zwei Jahrzehnten mindestens ein Referendum stattgefunden. Das bedeutet, direkte Demokratie ist mittlerweile zu einem Grundbestandteil der politischen Systeme in Europa geworden, wenngleich natürlich die meisten Staaten hinter den Spitzenreitern Italien, Irland, Slowenien, Litauen und Dänemark zurückbleiben. (Obfrau-Stellvertreter Präsident Kopf übernimmt den Vorsitz.)

Die Vielfalt der direktdemokratischen Verfahren ist kaum zu überblicken. Sie reicht vom unverbindlichen Volksbegehren wie in Österreich bis hin zur obligatorischen Volksabstimmung. Präsident, Regierung, Parlamentsmehrheit, eine bestimmte Anzahl von Stimmbürgern, die zweite Parlamentskammer, ja sogar regionale Körperschaften wie in Italien zählen zu den Initiatoren. In manchen Ländern ist sogar das Zusammenwirken von mehreren Institutionen erforderlich, zum Beispiel der zweiten Parlamentskammer und des Präsidenten, damit es zu einem Referendum kommt.

Was dabei nicht übersehen werden darf, ist, dass der Kontext des politischen Systems immer entscheidend dafür ist, wie ein Instrument der direkten Demokratie wirkt. Als Beispiel möchte ich das parlamentarische Minderheitsreferendum erwähnen, das es in Dänemark und in Slowenien gibt. Das heißt, in beiden Ländern kann ein Drittel der Parlamentsabgeordneten ein Referendum über ein beschlossenes Gesetz fordern und erzwingen. Während dieses Instrument in Dänemark schon seit fünf Jahrzehnten totes Recht ist, wurde es in Slowenien so exzessiv angewandt, dass es – und da möchte ich die Ausführungen des Kollegen Grotz ein bisschen korrigieren – im Jahr 2013 abgeschafft worden ist. Das heißt, mittlerweile haben nur noch die Bürger das Recht, ein Referendum zu verlangen.

Will man jetzt die politischen Wirkungen von direktdemokratischen Verfahren ergründen, ist eine Unterscheidung zwischen – wie ich es nenne – gouvernementalen – das heißt von der Regierung getragenen – und oppositionellen Verfahren am sinnvollsten. Den gouvernementalen Extrempunkt bilden dabei die von der Regierung oder vom Staatspräsidenten angesetzten oder anberaumten Referenden, den oppositionellen das Volksbegehren. Dazwischen findet sich das obligatorische Referendum, das beim Beschluss eines bestimmten Rechtsaktes vorgeschrieben ist. Indem solche obligatorischen Referenden die Macht der Regierenden einschränken, wirken sie auch tendenziell eher oppositionell.

In den meisten EU-Staaten – das sind 16 von 28 Staaten – wird die direkte Demokratie immer noch von Regierungsakteuren wie dem Präsidenten, der Regierung oder der Parlamentsmehrheit kontrolliert. Das Volk beziehungsweise die parlamentarische Opposition hat derzeit in zehn Staaten die Möglichkeit, Referenden zu erzwingen.

Etwas weiter verbreitet sind obligatorische Referenden, und zwar in 15 Staaten. Drei Staaten davon sehen für jede Verfassungsänderung ein Referendum vor, die restlichen Staaten für bestimmte Materien.

Bemerkenswerterweise sind Quoren und der Ausschluss bestimmter Themen oder Fragen vom Referendum vor allem in jenen Staaten verbreitet, in denen das Volk das Referendum beantragen kann. Von den genannten zehn Staaten mit Referenden von unten lassen nur zwei – das sind Litauen und Kroatien – Abstimmungen über Finanzgesetze zu. Und Kroatien ist das einzige Land, in dem es kein Quorum gibt. Das heißt, in allen anderen Ländern, in denen von unten, vom Volk eine Volksabstimmung beantragt werden kann, ist ein Quorum vorgeschrieben. Die geplante Aufwertung von Volksbegehren in Österreich würde die Republik Österreich in die Gruppe der Staaten mit oppositionellen Volksrechten wechseln lassen. Damit würde der konsensdemokratische Charakter des österreichischen politischen Systems gestärkt.

Ein Vergleich der direktdemokratischen Praxis in 15 EU-Staaten zeigt nämlich, dass Konsensdemokratien mit dem oppositionellen Modell der direkten Demokratie einhergehen. Ein interessanter Teilaspekt ist dabei, dass die direkte Demokratie entgegen einer weit verbreiteten Annahme ganz und gar nicht mit dem Parlamentarismus auf Kriegsfuß steht, es ist im Gegenteil so, dass jene Staaten, in denen es oppositionelle Volksrechte gibt, auch jene Staaten sind, die über mächtige Parlamente verfügen.

Im Rahmen der erwähnten Untersuchung von 15 EU-Staaten wurden 183 Referenden im Zeitraum 1990 bis 2012 analysiert. Dabei zeigte sich zunächst einmal, dass die Stimmbeteiligung an Referenden mit 46,5 Prozent im Durchschnitt um die Hälfte unter jener an den vorangegangenen Parlamentswahlen lag. Das Interessante dabei ist aber, dass die Referendumsergebnisse trotzdem im Großen und Ganzen die parteipolitischen Kräfteverhältnisse abbilden, wenngleich mit einigen bedeutenden Ausnahmen. Vor allem europapolitische Volksabstimmungen wie zum Beispiel in Irland oder in Dänemark gingen immer wieder deutlich gegen die Papierform aus. Es zeigt sich, dass der Einfluss der Parteien oder der repräsentativdemokratischen Akteure auf das Stimmverhalten umso geringer ist, je fester die Meinung der Stimmbürger in einer bestimmten Frage ausformuliert ist.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle bei Volksabstimmungen spielen Quoren. Von den 183 Referenden, die ich untersucht habe, unterstanden zwei Drittel einem Quorum. Und in dieser Gruppe war es wiederum so, dass in 60 Prozent der Fälle dieses Quorum verfehlt wurde.

Viele Staaten in Europa setzen auf ein starres Beteiligungsquorum von 50 Prozent, das in der Literatur sehr kritisch beleuchtet wird. Warum? – Es ist deswegen sehr problematisch, weil es die Gegner der jeweiligen Vorlage privilegiert. Sie können nämlich zum Boykott aufrufen und haben sich dann sozusagen jene Stimmen oder jenen Prozentsatz der Leute, die ohnehin nie zu Wahlen gehen, schon gesichert. Und selbst in Ländern, die eine hohe Wahlbeteiligung haben, liegt dieses Residuum an Bürgern, die sich für Wahlprozesse nicht interessieren, bei 20 Prozent oder auch höher. Und damit kommt es zu der Situation, dass selbst die stärksten direktdemokratischen Instrumente zu einem zahnlosen Tiger werden, wenn es ein Quorum gibt.

Das eklatanteste Beispiel dafür ist die Slowakei. Dort hat vor Kurzem ein Referendum stattgefunden, und das ist schon wieder gescheitert. 17 von 18 Referenden, die in den letzten 20 Jahren in der Slowakei durchgeführt worden sind, sind am Beteiligungsquorum gescheitert. Das Mittel der Wahl sollten somit entweder flexible Quoren sein, die sich an der Wahlbeteiligung orientieren, um da auch Waffengleichheit zu schaffen, oder Zustimmungs- oder Ablehnungsquoren.

Interessant ist auch, dass es eine sehr große Selbstbezogenheit des politischen Systems gibt, wenn man sich die Abstimmungsmaterien anschaut. Die meisten Referenden, die ich analysiert habe, behandelten Fragen des politischen Systems wie etwa das Wahlrecht oder zum Beispiel die Regelung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder Verfassungsänderungen. Dagegen beschäftigten sich nur sechs der 183 Referenden mit Umweltfragen, von denen man annehmen könnte, dass das eigentlich alle Leute sehr interessiert. Das zeigt, dass die direkte Demokratie in Europa beziehungsweise in der Europäischen Union, denn die Schweiz möchte ich da herausnehmen, sehr stark vom politischen Establishment dominiert ist. Neben den Parteien sind nämlich nur wenige Akteure in der Lage, die erforderlichen Unterschriften für ein Referendum oder für ein Volksbegehren zu sammeln. Das sind insbesondere auch Gewerkschaftsverbände oder in vielen Ländern auch kirchennahe Organisationen.

Auch wenn es stimmt, dass jedes Referendum seine eigene Geschichte und seine eigenen Konsequenzen hat, so lassen sich doch bestimmte Mechanismen und Muster in der Wirkungsweise der direkten Demokratie in der Europäischen Union feststellen.

Beginnen wir zunächst einmal mit dem obligatorischen Referendum. Dieses ist ein eindeutiges Konsensinstrument. In Irland, wo jede Verfassungsänderung einer Volksabstimmung unterzogen werden muss, hat noch keine Regierung eine solche allein, sozusagen auf eigene Faust ohne Unterstützung durch die Opposition, durch eine Volksabstimmung gebracht. Sieben Mal wurde es versucht, sieben Mal ist es in die Hose gegangen.

Alle anderen Verfassungsänderungen wurden jeweils von der größten Oppositionspartei mitgetragen, für die – nebenbei – diese temporäre Allianz mit der Regierung ein zweischneidiges Schwert war, weil sie natürlich die Gegnerschaft der Vorlage kleineren Oppositionsparteien überlassen musste, die sich dann profilieren konnten und bei den nächsten Wahlen auch mitunter besser abgeschnitten haben, wie zum Beispiel die Referenden über verschiedene EU-Verträge in Irland gezeigt haben.

Für Regierungsakteure steht bei Referenden meist mehr auf dem Spiel als für Oppositionsakteure. Regierungsparteien haben es tendenziell schwerer, ihre Anhänger bei Volksabstimmungen zu mobilisieren. Im Durchschnitt schneidet das Regierungslager bei einem Referendum um knapp 7 Prozentpunkte unter seiner Papierform ab. Um den gleichen Prozentsatz schneidet das Oppositionslager besser ab. Und vor allem Ein-Parteien-Regierungen haben mit Referenden schlechte Karten, weil sie sich einer besonders starken Opposition gegenübersehen. Je breiter eine Regierungsmehrheit ist, umso weniger wahrscheinlich ist es auch, dass eine Referendumsniederlage zum Sturz der Regierung führt.

Doch auch für Oppositionsparteien ist nicht alles Gold, was glänzt, denn es kommt immer darauf an, wer zuletzt lacht. Auch wenn wir noch nicht ganz Europa auf unseren Anti-AKW-Kurs gebracht haben, muss ich doch sagen, den Zwentendorf-Effekt gibt es bereits europaweit. Das bedeutet, dass Regierungsparteien auf ein besseres Wahlergebnis hoffen, je schlechter sie bei einem vorangegangenen Referendum abgeschnitten haben, also so wie Bruno Kreisky nach dem Zwentendorf-Referendum im Jahr 1978.

In Slowenien hat etwa die konservative Opposition gleich zweimal die Regierung mit Volksabstimmungen zu Fall gebracht. Die Folge waren vorgezogene Neuwahlen. Und bei den vorgezogenen Neuwahlen hat sich dann wieder die regierende Linke durchgesetzt.

Es ist aber natürlich durchaus mit Risiken verbunden, das Referendum für die Wählermobilisierung zu nutzen. In Rumänien konnte sich der damalige Staatspräsident Traian Băsescu im Jahr 2009 eine zweite Amtszeit sichern, weil er die Präsidentenwahl mit einem Referendum über die Verkleinerung des Parlaments zusammenlegte. In Litauen gelang es der linksgerichteten Regierung im Jahr 1996 nicht, die Wähler mit einem Referendum über die vermeintlich ebenso populäre Frage eines höheren Sozialbudgets zu ködern. Das Referendum scheiterte, und auch die Regierung wurde abgelehnt.

Ein Tipp für Regierungsparteien: Wenn schon ein Referendum, dann so früh wie möglich, denn je länger eine Regierung im Amt ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Volksabstimmung verliert. Auch dafür gibt es ein Anschauungsbeispiel: Dänemark. Dort fanden in den letzten 23 Jahren vier europapolitische Volksabstimmungen statt. Zwei davon waren erfolgreich, zwei gingen verloren. Und die beiden erfolgreichen fanden beide innerhalb von 130 Tagen nach dem Amtsantritt der Regierung statt, die beiden anderen 600 beziehungsweise 900 Tage nach dem Beginn der Regierungsamtszeit.

Sie werden sich vielleicht wundern, warum in diesem Referat nur von repräsentativdemokratischen Akteuren wie Parteien, Regierung, Opposition oder dem Staatspräsidenten die Rede ist. Wenn man die direktdemokratische Praxis in Europa untersucht, dann ist nicht viel vom Volk zu sehen. Das Volk als aktiver Akteur existiert nicht, und direktdemokratische Initiativen gehen sehr oft an den Interessen des Volkes vorbei. Man könnte meinen, dass mehr Partizipation nicht schlecht ist. Doch interessanterweise schätzen die Bürger ihre Beteiligungschancen ausgerechnet in jenen Staaten besonders schlecht ein, die eine hohe Referendumsintensität haben.

Als Allheilmittel für Politikverdrossenheit taugt mehr direkte Demokratie somit eher nicht. Doch das Zusammenfallen von politischer Unzufriedenheit und direkter Demokratie zeigt uns eines: dass direkte Demokratie ein Krisenindikator ist. Der Ruf nach mehr direkter Demokratie erschallt nämlich immer dann oder wird immer dann lauter, wenn in einem politischen System etwas unrund läuft. (Beifall.)

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„Direkte Demokratie in Amerika im Vergleich unter besonderer Berücksichtigung Kaliforniens“

Andreas Gross, lic.es.sc.pol. (Leiter des Ateliers Direkte Demokratie St-Ursanne, CH): Es wurde von direkter Demokratie in Amerika gesprochen. Ich habe gedacht, Sie meinen die USA. Aber für den Fall, dass Sie doch Amerika gemeint hätten, habe ich Ihnen auf dem Handout ein wunderbares Buch von Herrn Altmann genannt, der Amerika im Vergleich darstellt und vor allem auf Uruguay eingeht. Und wenn Sie Amerika im kontinentalen Sinne meinen, Süden und Norden, dann würde ich Ihnen das wirklich empfehlen. Ich beschränke mich hier aber auf die USA und im Vergleich vor allem auf Kalifornien.

Ich habe Ihnen ein Blatt mit den wichtigsten Informationen und Zusammenhängen ausgeteilt; das zu referieren würde die 15 Minuten stark übersteigen. Sie finden es deshalb bereits auf meiner Homepage und können dort nachlesen, was ich in diesen 15 Minuten nicht erwähnen kann.

Es ist wichtig, zu wissen, dass die beiden Orte mit der intensivsten direkten Demokratie, auch sozusagen systembildend, jene sind, in denen die Bürgerinnen und Bürger sich diese Rechte erkämpft haben – durch Nutzung von eigenen Verfassungsrevisions-, Verfassungsänderungsmöglichkeiten oder durch Bewegungen, die Kandidaten wie ein neuer Gouverneur sich zu eigen gemacht und dann – ins Amt gewählt – auch eingesetzt haben. Das betrifft vor allem die USA.

In den USA gibt es nur in 27 der 50 Bundesstaaten die direkte Demokratie. Aber 70 Prozent der Amerikaner leben in diesen 27 Bundesstaaten wie auch in den 15 der 20 größten Städte mit direktdemokratischen Elementen. Also wenn man das Land mit der größten Anzahl an Menschen sucht, die am meisten Erfahrung damit haben, dann muss man nicht in die Schweiz, sondern eben in die USA. Deshalb ist es sehr sinnvoll, dass Sie sich mit Amerika auseinandersetzen.

Zweitens – und das ist ganz wichtig –: In beiden dieser Orte, der Schweiz und den USA, wird die direkte Demokratie nicht als Alternative zur repräsentativen oder zur indirekten Demokratie gesehen, sondern als Ergänzung, als Erweiterung.

Die Schnittstelle zwischen beiden, die Ausgestaltung der Schnittstelle zwischen direkt und indirekt ist für mich absolut entscheidend für die Qualität. Das heißt also, wer sie einführen möchte, muss auf die Ausgestaltung dieser Schnittstellen achten. Das ist vielleicht etwas, was auch in der bisherigen Diskussion noch nicht ganz ausreichend gewichtet worden ist – wie auch, und das möchte ich hinzufügen, die Schnittstelle zum Verfassungsschutz. Das ist deshalb auch wichtig, weil gleichzeitig die direkte Demokratie die Möglichkeit zur Verfassungsänderung vorsieht, und trotzdem muss man aber die Verfassung schützen, nämlich dort, wo sie nicht geändert werden darf. Das ist eine der großen Schwächen in der Schweiz, in den USA ist das aber sehr gut ausgestaltet, wie auch in Deutschland auf Bundesebene.

Drittens – das ist eine der ganz wenigen inhaltlichen Erwähnungen –: Oregon ist der zweite Staat neben Kalifornien, wo am meisten direkte Demokratie herrscht. In den USA sind etwa zehn Staaten besonders bemerkenswert, am dichtesten Oregon und Kalifornien; das sind die beiden Staaten an der Westküste, am Pazifik. In Oregon wurde das Frauenstimmrecht dank der direkten Demokratie schon 1914 erkämpft. Und ein österreichischer Kollege hat mich daran erinnert, dass das Gleiche in Colorado schon Ende des 19. Jahrhunderts auch dank der direkten Demokratie eingeführt worden ist. Das ist so ein klassisches Argument wie jenes, dass in Oregon die Todesstrafe mit der direkten Demokratie 1914 abgeschafft worden ist.

Das sind so klassische Argumente, die einen darauf hinweisen: Die direkte Demokratie wirkt wie ein Spiegel der Gesellschaft. Und der Spiegel kann nichts für das Gesicht, das Sie jeden Morgen sehen. Sie können den Spiegel abmontieren, das Gesicht aber bleibt das Gleiche.

Jetzt zu den Fragen, die in Bezug auf die Unterschriftensammlung und die Höhen genannt worden sind: Beide, Kalifornien und Oregon, gehören im weltweiten Vergleich zu jenen mit eher unterdurchschnittlichen Hürden. Ich habe Ihnen die Zahlen hier genannt, plus/minus 5 bis 8 Prozent. In Kalifornien selbst wird das als hoch empfunden, und aus Schweizer Sicht ist es tatsächlich hoch. Im Vergleich gehört es aber zum mittleren Durchschnitt.

Wichtig ist, dass es in Kalifornien spezifische, einzigartige Regelungen gibt, weil das Verhältnis oder die Schnittstelle zwischen Parlament und engagierter Bevölkerung sehr schlecht beziehungsweise nicht ausgestaltet ist. Das hat mit der Entstehungsgeschichte zu tun. Die Entstehungsgeschichte in Kalifornien war die Folge eines hoch korrupten Systems, wirklich hoch korrupt. Es war in der Schweiz auch korrupt, aber nicht so korrupt, in dem Sinne, dass die Eisenbahngesellschaften Geldscheine verteilt haben an Parlamentarier oder an Parteitagen im Hinblick auf die Wahlen. Diese enorme Korruptheit hat vonseiten der Opposition und dann später der Regierung Verfassungsbestimmungen ausgelöst, welche Initiativen völlig am Parlament vorbei zum Ziel hatten. Man hat sozusagen das Parlament völlig außen vor gelassen.

Anfänglich gab es durchaus zwei verschiedene Formen von Volksbegehren, auch in Kalifornien: eine, die mit dem Parlament zusammenspielt, wie das in der Schweiz selbstverständlich ist, und eine eben am Parlament vorbei. Die Erste ist aber in Kalifornien so gar nicht benutzt worden, sodass sie 1966 auch aus der Verfassung als Möglichkeit ausgeschlossen worden ist. Und obwohl in den ersten 60 Jahren in Kalifornien dieser Antagonismus zwar existierte, aber nicht total ausgespielt wurde – in dem Sinne, dass zum Beispiel in den dreißiger Jahren die Krise durchaus auch parlamentarisch hat bewältigt werden können und nicht behindert wurde durch die direkte Demokratie –, haben sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre aufgrund von Fehlern der Parlamentarier, Unterlassungen der Parlamentarier, durch Volksinitiativen Regelungen der Einflussnahme auf das parlamentarische System ergeben.

Diese haben bis heute dazu geführt, dass das Parlament enorm behindert wird, zum Beispiel dadurch, dass ein vom Volk beschlossenes Gesetz oder eine vom Volk beschlossene Verfassung vom Gesetzgeber, vom Parlament nicht mehr berührt werden kann. Das kann nur vom Volk selbst wieder geändert werden, das gilt auch für ein parlamentarisches Gesetz. Dass – wie früher – das Budget, der Haushalt nur von zwei Dritteln der Parlamentarier verabschiedet werden darf, das ist vor vier Jahren wieder abgeschafft worden, aber immer noch gilt, dass Ausgabenbeschlüsse oder Steuererhöhungen einer Zweidrittelmehrheit bedürfen. Das führt dazu, dass die parlamentarische Minderheit sozusagen aufgrund der Volksgesetzgebung eine Bedeutung hat, die ihr sonst nicht zukommt, welche die parlamentarische Tätigkeit behindert. Das ist extrem kalifornisch. Es ist sozusagen der Geschichte dieses Staates geschuldet, darf aber nicht generell als Argument gegen die direkte Demokratie eingesetzt werden.

Der zweite Punkt – und das ist das, was man vom Beispiel Kalifornien lernen kann –: In Kalifornien geht alles sehr schnell. Schnelligkeit ist aber in der direkten Demokratie eine Sekundärtugend, denn je schneller man einen Prozess organisiert, umso weniger kann man Menschen miteinbeziehen. Das ist ganz wichtig für die Dialogkultur. Wenn man eine Bürgerentscheidung möchte, in die möglichst viele miteinbezogen werden, braucht man Zeit. Im Design der Verfahren muss diese Zeit gewährt werden. Das ist das, was in der Schweiz eher beispielhaft wirkt und in Kalifornien aufgrund der Geschichte eher als negatives Beispiel gezeigt werden kann. Das heißt – das ist zu Punkt eins der letzte Punkt –, man kann sagen: Es ist möglich, dass man im Februar ein Volksbegehren lanciert, es in 150 Tagen beisammen hat und es im November bereits zur Entscheidung, zum Volksentscheid kommt.

In der Schweiz dauert dieser Prozess, der in Kalifornien unter Umständen nur ein Jahr braucht, unter Umständen drei bis vier Jahre. Sowohl die Regierung als auch die Verwaltung haben Zeit, man denke an das schon genannte Vernehmlassungsverfahren. Die Bürgerinnen und Bürger haben Zeit. Auch die Unterschriftensammlung dauert viel länger. Und das führt dazu, dass die Diskussionsintensität höher ist, die Diskussionsvielfalt größer und dass die „Abfallprodukte“, die möglichen indirekten Effekte größer sind. Und je schneller man diesen Prozess designet, umso geringer ist die Möglichkeit für Kompromisse, für diskursive „Abfallprodukte“.

Die Dialogpotenziale sind auch deshalb eingeschränkt – und das ist ein zweites Spezifikum des amerikanischen Systems –, da sich die Menschen, weil sie dort keine – aus europäischer Sicht üblichen – Stimmregister haben, immer für die Wahl oder für eine Abstimmung registrieren lassen. Deshalb finden die Volksabstimmungen über Gesetzesänderungen, Verfassungsänderungen immer gleichzeitig mit Wahlen statt. Das hat aber eine totale Überfrachtung zur Folge, weil gleichzeitig zur Senatorenwahl oder zur Präsidentenwahl manchmal 20 bis 30 Abstimmungen anstehen. Und das übersteigt, wie man es einfach ausdrücken könnte, das Schluckvermögen der Öffentlichkeit. Sie können nicht innerhalb von vier, fünf Monaten 20 bis 30 Vorlagen intensiv diskutieren.

Man muss aufpassen, dass man da eine Massierung verhindert, denn wenn die Massierung so groß ist wie in Kalifornien, reduziert sie sozusagen die Legitimation durch Diskussion, und die Diskussion verkümmert, wird vereinfacht und versimplifiziert. Und wir haben ja auch schon die Diskussion sozusagen als Seele einer direkten Demokratie bezeichnet.

Ein dritter Punkt, der auch wichtig ist in Bezug auf das Dialogpotenzial, ist folgender: Im Unterschied zu den USA – Herr Schiller hat das auch betont – ist in der Schweiz die elektronische politische Werbung, die politische Fernsehwerbung verboten. Sinnigerweise reduziert sich in den USA, vor allem in Kalifornien, aber die öffentliche Diskussion auf die Fernsehwerbung. Es gibt natürlich gute Zeitungen, und in diesen guten Zeitungen wird vor der Abstimmung sehr pluralistisch und dialogisch diskutiert, es wird die Vorlage präsentiert, aber der Anteil jener, die diese Zeitungen überhaupt noch zur Kenntnis nehmen, ist kleiner. Es dominiert das Fernsehen. Und im Fernsehen beschäftigt sich aber nur der Werbeteil mit der Politik. Das hat eine enorme Erhöhung der Kosten zur Folge, und das hat eine enorme Erhöhung der Bedeutung des Geldes zur Folge. Und da muss man, wenn man dieses System einrichtet, aufpassen.

Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, das zu verhindern, umzubauen; eine möchte ich nennen, die ich im Papier nicht genannt habe. Es gab in den siebziger, achtziger Jahren einen Moment, in dem die Leute in Kalifornien dieses Manko selbst erkannt haben, und zwar die Fernsehleute selbst. Und dann haben sie ein freiwilliges Abkommen gehabt, dass die Fernsehanstalt, wenn jemand zum Beispiel für 1 Million Dollar Zeit für eine Position kaufte, freiwillig 10 Prozent dieser Summe der anderen Seite zur Verfügung stellte. Das hat aber dazu geführt, dass die Versicherungen, die einmal etwa 100 Millionen in eine Abstimmungsvorlage investiert haben – 1988, wenn ich mich richtig erinnere –, geklagt und gesagt haben: Wir wollen nicht, dass von unserem Geld 10 Prozent für die andere Seite ausgegeben werden! Und weil die Gerichte Free Speech eben auch für Organisationen zulassen, nicht nur für Menschen – 2010 kam nochmals ein solcher Entscheid –, hat das Gericht dieser demokratieförderlichen Praxis des Fernsehens ein Ende gesetzt und das verhindert.

Wenn Sie sich überlegen, wie Sie in einem Land, das von zwei Zeitungen dominiert wird und in dem auch eine Zeitung schon dieses Recht gebraucht hat, verhindern können, dass diese so dominieren, dann können Sie sich von diesen Erfahrungen inspirieren lassen.

Wie überall, wo die Bürgerinnen und Bürger das System erkämpft haben, gibt es auch in Kalifornien, in den USA keine Quoren und keine Themenausschlüsse. Es gibt aber – im Unterscheid zur Schweiz, das ist ganz wichtig; wie auch in Deutschland, dort vor der Abstimmung – nach der Abstimmung immer die Möglichkeit, vor dem staatlichen Verfassungsgericht zu klagen. Und das hat zur Folge, dass zum Schutz von Minderheiten zum Beispiel in Kalifornien etwa die Hälfte der – auch der angenommenen – Volksbegehren für teilweise oder ganz ungültig erklärt worden sind, weil sie eben durch die Bundesverfassung gegebene Minderheitenrechte nicht berücksichtigt haben.

Das ist das ganz große Manko in der Schweiz, denn das fehlt dort aus verschiedenen Gründen. Aber es ist interessant, dass man unter dem Strich, wenn man in der Schweiz die Gegenvorschläge, die indirekten Effekte von Volksbegehren zusammenzählt, genau zur gleichen Zahl kommt wie in den USA, in Oregon und Kalifornien, nämlich dass etwa 50 Prozent der Volksbegehren etwas in ihrem Sinne auslösen, auch wenn es nie ganz genau das ist, was die Initianten möchten. – (Beifall.)

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B. Diskussion

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf leitet zur Diskussion über und erteilt Frau Mag.  Ruhsmann das Wort.

Mag. Barbara Ruhsmann: Ich bin eine Bürgervertreterin, das sage ich nur zur Information für die Experten dazu. Ich möchte heute gerne über meine bisherigen Eindrücke in der Enquete-Kommission sprechen und ein paar Fragen an Sie stellen.

Das Ziel der Enquete-Kommission ist eigentlich sehr allgemein – die „Stärkung der Demokratie in Österreich“ – definiert worden, also nicht allein die Aufwertung direktdemokratischer Instrumente durch entsprechende Gesetzesänderungen. Es scheint Konsens darüber zu geben, dass es notwendig ist, die Demokratie in Österreich zu stärken.

In den Redebeiträgen der ersten beiden Sitzungen wurde immer wieder von Politikverdrossenheit, Bürgerferne der Politik, bröckelnder Legitimation der Demokratie durch sinkende Wahlbeteiligung und so weiter gesprochen.

Es scheint Konsens darüber zu geben, dass politikmüde Bürger vielleicht aktiviert werden könnten, wenn man sie mehr mitbestimmen lässt, dass Beteiligung und Partizipation zu einer lebendigeren Demokratie in Österreich führen könnten, dass es schlicht wieder mehr Austausch zwischen den BürgerInnen und ihren Repräsentanten auf der politischen Bühne geben soll.

Zu diesem Austausch gehören unter anderem Information und die viel beschworene Transparenz. Gerade die Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie sollte in dieser Hinsicht, denke ich, beispielhaft vorangehen, daher nun zu meinen Fragen.

Wie treffen Sie eigentlich bei den hier zu verhandelnden Gegenständen Ihre Entscheidungen? Wie und wo gelangen Sie zu einem Ergebnis? Hinter den Kulissen? Hier vor Ort? Öffentlich? Wann informieren Sie wen darüber?

Ich muss Ihnen sagen, dass mich das Setting der Enquete-Kommission doch überrascht hat. Ich bin eine einfache Bürgerin und darf naiv sein. Als ich das erste Mal von der Enquete hörte, sah ich vor meinem inneren Auge runde Tische, an denen – gut durchmischt – Abgeordnete, ExpertInnen, BürgerInnen unter professioneller Moderation beieinandersitzen. Ich dachte an offene Gespräche, Dialoge, einen guten Mix aus Arbeit in geschützteren Foren und öffentlichen Präsentationen von Ergebnissen.

Ich sah vor meinem inneren Auge eigentlich nicht diesen Plenarsaal, wo nach einer Reihe von Informationsvorträgen, dichtesten Frontalvorträgen jede und jeder Einzelne Wortspenden abgibt, die selten in Bezug zueinander stehen. Hier wird nichts verhandelt, sich nicht wirklich miteinander auseinandergesetzt. Es ist sozusagen eine Präsentationsarena. Wo also verhandeln Sie ernsthaft die Gegenstände, um die es in dieser Enquete-Kommission geht? Und welche Rolle haben wir BürgerInnen hier tatsächlich für Sie? Welche Relevanz können unsere 5-Minuten-Statements in Ihrem Entscheidungsprozess überhaupt haben?

Ich möchte wirklich niemanden angreifen, schon gar nicht irgendjemanden persönlich; ich bin grundsätzlich froh, dass es diese Enquete-Kommission gibt. Sie signalisieren damit, dass Sie sich dessen bewusst sind, dass in Sachen Demokratieentwicklung hierzulande etwas geschehen muss. Ich bin aber der Überzeugung, dass am Setting gearbeitet werden müsste, wenn Sie die Sache wirklich ernst nehmen.

Demokratie drückt sich zum Beispiel auch in Sitzungsarchitekturen, in baulichen Strukturen aus – oder eben nicht. Hier in diesem Plenarsaal hat man in schlechter österreichischer Tradition immer – entschuldigen Sie – die Autorität im G’nack, wenn man am Rednerpult steht. Sie als Abgeordnete haben in Ihrem Alltag die Regierung erhöht hinter sich, wir haben heute hier die Experten als Instanz, die räumlich über uns, hinter uns sitzt. Die meiste Zeit verbringen wir aber sitzend, auf immer demselben Stuhl, der passenderweise festgeschraubt ist, weder Vor- noch Zurückrücken erlaubt, und so ist es schwer, verschiedene Perspektiven einzunehmen, die Welt auch einmal aus dem Blickwinkel der anderen zu sehen. Daher wieder eine Frage: Ist diese Sitzungsarchitektur, dieser formale Ablauf der Enquete-Sitzungen für Sie optimal, würden Sie auch gern einmal andere Settings ausprobieren?

Mich erstaunt diese Sitzungsarchitektur, wie ich sie nenne, insofern, als ich durch meine beruflichen Erfahrungen so gänzlich andere und nach meinem Dafürhalten auch sehr produktive Zugänge kennenlernen durfte, um gemischte, inhomogene Gruppen oder auch verschiedene Stakeholder eines Systems durch innovative Moderation schnell und effizient in gemeinsame fruchtbare Arbeit finden zu lassen.

Nachdem wir hier nun lange gesessen sind, unglaublich viel gehört haben, nur einen Bruchteil der Informationen verarbeiten konnten und kurz selbst etwas gesagt haben, gehen wir BürgerInnen wieder nach Hause und bleiben bis zur nächsten Sitzung bestenfalls untereinander in Kontakt, mit Repräsentanten verschiedener NGOs oder mit Journalisten, die hie und da anrufen.

Was machen Sie in der Zwischenzeit? Sind Sie zufrieden mit dem bisherigen Verlauf? Haben sich die Ziele, welche Sie sich für diese Enquete-Kommission gesetzt haben, seit Beginn durch irgendwelche Inputs aus den Sitzungen verändert? Sind Sie beweglich, oder war und ist für Sie von Anfang an klar, was herauskommen soll? Ich würde es gerne wissen und bitte Sie um spontane Antworten.

Postskriptum: Es wäre schön, wenn wir mehr Schweiz werden könnten. Danke für dieses wunderbare Referat und die eindrucksvolle Schilderung der demokratischen Instrumente in der Schweiz! (Beifall.)

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Claudine Nierth (Fraktionsexpertin): Natürlich weisen Sie mich berechtigterweise darauf hin, dass wir in Deutschland weder eine Enquete-Kommission noch irgendeine Regelung auf Bundesebene haben. Ich freue mich über diesen kompetenten Background hinter mir, der den Saal doch sehr bereichert hat, doch lassen Sie uns nicht das Trennende anschauen, sondern das Verbindende!

Auch in Deutschland führen wir seit Jahren die Debatte um die Einführung direkter Demokratie. 83 Prozent der Bürger sind konstant für die Einführung von direkter Demokratie auf Bundesebene, zehn Bundesverfassungsrichter, ehemalige Präsidenten haben sich inzwischen in diese Richtung geäußert, darunter Voßkuhle, Huber, Papier, Mahrenholz – die Liste ist lang.

Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, dass wir seit 1990 14 Gesetzentwürfe im Bundestag hatten, die die Einführung der direkten Demokratie auf Bundesebene zum Gegenstand hatten, zehn davon sahen das Initiativrecht von unten vor. Alle Entwürfe sahen die verbindliche Entscheidung am Ende vor. Von diesen 14 Vorschlägen hat einer – ein rot-grüner Vorschlag – 2002 tatsächlich die einfache Mehrheit geschafft, aber die Zweidrittelmehrheit verfehlt. Alle Gesetzentwürfe kamen von der FDP – zahlreich –, von den Grünen, von den Linken, von der SPD.

Der weitreichendste Gesetzentwurf wurde von Heiko Maas in einer Arbeitsgruppe, unter anderem auch unter Mitwirkung von „Mehr Demokratie“, erarbeitet und vor anderthalb Jahren vorgelegt. Auch dieser sieht die dreistufige Volksgesetzgebung vor und am Ende einen verbindlichen Entscheid. Genauso hatten wir ein kleines Zeitfenster in den letzten Koalitionsverhandlungen. Da hatten Thomas Oppermann und der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich die Chance genutzt, doch Referenden und obligatorische Referenden bei weitreichenden Entscheidungen, die die EU betreffen, zu fordern. – Das war ein kleines Zeitfenster, die Autobahnmaut war etwas stärker.

Sie sollten auch wissen, dass im Bundesrat erst kürzlich zwei Entschließungsanträge eingebracht wurden: Ende 2012 ein Entschließungsantrag von Bayern, zu weitreichenden grundsätzlichen Fragen über politische und finanzielle Grundlagen der europäischen Ausgestaltung; dieser Entschließungsantrag wurde abgelehnt. Es liegt aber noch ein weiterer Entschließungsantrag im Bundesrat, der durch eine Volksinitiative über Schleswig-Holstein hineingekommen ist, der den Bundestag auffordern möchte, ein Gesetz zu Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid sowie Referenden auszuarbeiten. Dieser Entschließungsantrag liegt noch im Bundesrat. Er ist von einem rot-grün regierten Land eingebracht worden, und wie Sie wissen, hat momentan der Bundesrat in Deutschland eine Zweidrittelmehrheit, was rot-grüne Regierungen angeht; das heißt, da ist eine Musik, die durchaus demnächst noch etwas lauter gespielt wird.

Doch ich spreche hier nicht als Vertreterin von Deutschland. Ich bin ständiges Mitglied dieser Kommission, und ich bin es deshalb, weil ich eine Vertreterin einer NGO bin, die extrem viel für die direkte Demokratie in Deutschland erreicht hat und verdammt viel Praxiserfahrung hat. Wir haben mit „Mehr Demokratie in Deutschland“ über 19 Volksbegehren initiiert, und zwar zum Thema Ausgestaltung der direkten Demokratie.

Wir haben in zig Landesparlamenten die Verfassung dahin gehend beeinflusst und vorangebracht, dass direkte Demokratie in allen 16 Bundesländern so dasteht, wie sie dasteht. Wir sind noch lange nicht am Ende der Fahnenstange. „Mehr Demokratie“ hat selber einen Gesetzentwurf erarbeitet, der dem SPD-Gesetzentwurf sehr ähnlich ist.

Liebe Mitglieder der Enquete-Kommission, lassen Sie uns demnächst möglichst konkret werden!

Ich danke der Vorrednerin für ihren Bericht, auch ich habe ähnliche Gefühle. Ich habe heute den Präsidenten gefragt, ob es eine Möglichkeit gibt, dass wir uns einmal zusammensetzen können, dass wir uns austauschen und kucken können, wo momentan die Schnittmenge ist. Ist der Antrag von SPÖ, ÖVP und Grünen, zweistufige konsultative Volksbefragungen einzuführen, Konsens, ist da noch Luft nach oben? Wo ist die gemeinsame Schnittmenge? Lasst uns über die Quoren reden, lasst uns über das Design reden!

Damit komme ich auch zum Konkreten – ich habe sicher noch mal 5 Minuten –: Ich habe für jeden hier eine Synopse über die Gesetzentwürfe von SPD, Grünen, Linken und „Mehr Demokratie“ mitgebracht; da können Sie auf einen Blick sehen, wie das Design ist; dasselbe betreffend die Landesregelungen habe ich hinten drangeheftet und auch genügend davon kopiert. Sie können da auf einen Blick sehen, wie die Landesregelungen bei uns in Deutschland ausgestaltet sind. (Beifall.)

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Univ.-Doz. Dr. Paul Luif (Fraktionsexperte): Ich bin gestern im anderen großen Sitzungssaal, dem historischen Sitzungssaal, gesessen, dem Saal, in dem die Parlamentarier der österreichisch-ungarischen Monarchie zusammensaßen, und ich habe gesagt, dass die Sitze im Reichsratssitzungssaal bequemer sind als jene hier im Nationalrat. Die Architekten des Saales haben also schon gewusst, dass man hier sehr viel sitzen muss, und die Sitze sehr bequem gemacht.

Ich habe mir die Präsidentin als Vorbild genommen, die gestern bei der Begrüßung aus einem Buch von Mark Twain über den österreichischen Parlamentarismus Ende des 19. Jahrhunderts zitiert hat. Ich kann nicht Mark Twain zitieren, aber weil Herr Professor Decker als Referent hier ist, habe ich mich entschlossen, wieder ein bisschen über Populismus nachzulesen. Ich habe also dieses Buch von Yves Mény und Yves Surel, „Par le peuple, pour le peuple“, das ich vor langer, langer Zeit gelesen habe und das wahrscheinlich das beste Buch über Populismus ist, wieder angeschaut, und da gibt es am Schluss einen ganz interessanten Hinweis auf Österreich.

Da wird in Bezug auf die damalige Diskussion um Haider und die FPÖ gesagt, dass es falsch sei, wenn man die Probleme der österreichischen Demokratie nur auf die FPÖ beziehe; in Österreich werde seit einem halben Jahrhundert durch einen Konsens – durch einen dumpfen Konsens heißt es hier auf Französisch; ich habe das übersetzt, weil meine französische Aussprache nicht so gut ist – das System, das formell eigentlich ein Zweiparteiensystem ist, quasi so organisiert, dass eine Einheitspartei regiert. – Ich glaube, das ist ein wichtiger Grund, warum wir hier zusammensitzen: Um die Demokratie zu verlebendigen und über die direkte Demokratie sprechen.

Ich begrüße auch den sozialdemokratischen Abgeordneten des Schweizer Nationalrates, der uns interessanterweise über Kalifornien berichtet hat. Es wäre natürlich interessant, auch über die Praxis der schweizerischen direkten Demokratie von einem Praktiker zu hören.

Ich als Wissenschaftler habe geschaut, ob es dazu neuere Literatur gibt, und da habe ich das „Handbuch der Abstimmungsforschung“ aus der Schweiz gefunden, in dem drei Autoren – Milic, Rousselot und Vatter – die Erfahrungen der schweizerischen Demokratie mit den direktdemokratischen Instrumenten sehr schön darstellen, die empirischen Untersuchungen analysieren und zusammenfassen.

Ich glaube, es ist ganz gut, wenn wir uns hier sozusagen ein Fazit der schweizerischen direkten Demokratie, deren Instrumente uns vorgestellt wurden, aber nicht die Erfahrungen damit und die empirischen Ergebnisse, in Erinnerung rufen.

Ich möchte da nur eines erwähnen: In meinem Beitrag bei der ersten Sitzung habe ich gesagt, die schweizerische direkte Demokratie habe sich sukzessive seit 1848 entwickelt. In einer Zusammenfassung wurde ich dann zitiert, dort steht 1948. In diesem Jahr bin ich zwar geboren, aber das ist nicht das richtige Datum; jemand hat das falsch zitiert.

Nun zum Fazit der schweizerischen direkten Demokratie: Bestehende Studien bekräftigen grundsätzlich den vorteilhaften Effekt direkter Volksrechte auf das zivilgesellschaftliche Engagement, die politische Informiertheit, das politische Vertrauen und sogar auf die Zufriedenheit der Bürger – vielleicht im Gegensatz zu anderen Staaten. Darüber hinaus werden in der Schweiz die Akzeptanz und die Legitimität der politischen Entscheidungen und das Schweizer System stabilisiert.

Zweites Fazit: Beteiligungs- und Zustimmungsquoren sind wenig zielführende Maßnahmen zur Erhöhung der demokratischen Qualität von Volksentscheiden, sondern bewirken sogar das Gegenteil. – Also bitte keine einschränkenden Vorschriften – das ist schlecht, die Praxis zeigt das – und nicht von vornherein einschränkende Maßnahmen! Eine Tyrannei der teilnehmenden Minderheit gegenüber den der Abstimmung Ferngebliebenen ist in der Schweizer Abstimmungsdemokratie sicherlich nicht gegeben.

Deswegen mein Schlusswort – wie schon das letzte Mal –: Keine Angst vor dem Souverän! (Beifall.)

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Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf antwortet auf die von Frau Nierth gestellte Frage nach Möglichkeiten des Austauschs und führt aus:

In der letzten Runde am 2. Juni ist vorgesehen, dass alle Teilnehmer aus den ersten fünf Sitzungen politische Schlussfolgerungen ziehen, allerdings – an Frau Ruhsmann gerichtet – wird das wieder in diesem Setting stattfinden. Erst danach werden die politischen Verhandlungen der Parteien, wie denn die Erkenntnisse aus dieser Enquete-Kommission tatsächlich in Gesetzesform umgesetzt werden sollen, beginnen beziehungsweise weitergeführt werden. Wie die Parteien diese Diskussionen gestalten werden – allenfalls unter Einbeziehung von Teilnehmern der Enquete-Kommission –, das wurde noch nicht definitiv fixiert.

Anschließend erteilt der Obfrau-Stellvertreter als nächster Rednerin Frau Dr. Reiter das Wort.

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Ich komme aus Salzburg, ich bin Bundesrätin der Grünen. Die Grünen sind in Salzburg aus einer Bürgerliste entstanden, die in den siebziger Jahren aus den Vereinigten Bürgerinitiativen hervorgegangen ist und mit Johannes Voggenhuber dann – erstmalig in Österreich – ein Mitglied der Stadtregierung gestellt hat. Das heißt, der Kampf um mehr Mitbestimmung, um Partizipation, um direkte Demokratie begleitet mich mittlerweile mein ganzes politisches Leben – und wie zu sehen ist, ist das schon relativ lang.

2010 haben sich in Salzburg erneut Initiativen, NGOs und engagierte EinzelkämpferInnen, darunter Richard Hörl, ein Mitkämpfer der ersten Stunde, Herbert Fux – die Älteren hier im Saal werden sich vielleicht an ihn erinnern können – und Voggenhuber, zusammengetan, um ein Modell der direkten Demokratie für die Stadt Salzburg, das auch eine verbindliche Volksabstimmung beinhaltet, durchzusetzen. Es folgten jahrelange zähe, aber im Endeffekt sehr konstruktive Verhandlungen, die zu einem ausgewogenen Vorschlag führten: mit Konsens, sehr vielen Verhandlungsstufen, meiner Meinung nach sehr gut überlegten Quoren. Mir fehlt hier die Zeit, das genauer auszuführen, das ist aber im Internet nachzulesen. Für dieses Modell gibt es und gab es auch schon breites Interesse seitens anderer Kommunen.

Die Umsetzung dieses Modells war Teil des Regierungsprogramms des Landes Salzburg nach der letzten Wahl, es wurde dann legistisch ausgearbeitet und im Ausschuss des Landes im Dezember letzten Jahres auch beschlossen – und in der Folge, zwischen Ausschuss- und Landtagssitzung, vom SPÖ-Bürgermeister der Stadt Salzburg gemeinsam mit der immer sehr kritisch eingestellten Stadt-ÖVP gekippt, versenkt – die Arbeit von Jahren, das Lebenswerk eines Richard Hörl und so weiter.

Was war geschehen? – Ich glaube, die Antwort ist relativ einfach: In Salzburg überwog im letzten Augenblick die Angst der Politik, die Angst der Regierung vor den Bürgern und Bürgerinnen.

Die Politik weiß natürlich, dass es notwendig ist, Vertrauen wiederzugewinnen beziehungsweise das Vertrauen zu stärken. Die Politik weiß, dass sie Bürger mehr einbinden muss, und sie weiß natürlich auch, dass die öffentliche Meinung nicht immer bestens fundiert ist. Das ist ein Dilemma, aber, meine Damen und Herren, darüber ist genug theoretisiert worden. Es hat genügend Kommissionen et cetera gegeben, um dieses Dilemma aufzuarbeiten, zu beleuchten – und es ist eben leider auch mehr als genug getan worden, um engagierte, informierte BürgerInnen zu frustrieren, zum Schweigen zu bringen und zu vertreiben.

Ich bin weit davon entfernt, direkte Demokratie für ein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit zu halten, aber ich bin davon überzeugt, dass die Politik damit aufhören muss – und ich schließe mich da durchaus ein, verzeihen Sie die harten Worte –, die Leute zu „verarschen“, indem immer neue Kommissionen gegründet werden, Scheinverhandlungen, Scheinpartizipation betrieben wird.

Ich bin auch überzeugt, dass direkte Demokratie gelernt werden muss, und sie ist so unterschiedlich und vielfältig – das wurde heute eindrucksvoll präsentiert – wie der kulturelle Hintergrund und die politischen Systeme. Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass Fehler passieren, aber beginnen wir doch endlich mit dem Üben und Lernen in Österreich, und zwar auf kommunaler Ebene! Nehmen wir die Menschen ernst, geben wir Verantwortung, Gestaltungsspielraum wieder zurück. Nur so werden wir die Probleme der Zukunft lösen können, wenn es gelingt, die Potenziale, die es in unserem Land in überreichem Maß gibt, zu heben. Diese Potenziale bündeln sich nicht ausschließlich in Parteien und in Kammern. Lassen Sie uns beginnen, Politik mit den Menschen zu machen, nicht paternalistisch für sie! (Obfrau Präsidentin Bures übernimmt wieder den Vorsitz.)

Organisiert werden muss das aber von oben – und das ist das Problem. Da gilt es, von oben her Anreizsysteme zu schaffen für die Umsetzung direktdemokratischer Instrumente weiter unten. Das wird nur funktionieren, wenn die etablierte Politik aufhört, sich vor den Untertanen zu fürchten, und echte Beteiligung jenseits von Parteipolitik und Kammern auf die Agenda setzt. Know-how gibt es jede Menge, aber es gibt eben auch diese Angst. Was wirklich fehlt, ist der klare politische Wille zu mehr direkter Demokratie.

Ich denke, wir bräuchten längst ein Demokratieziel – so wie ein Klimaschutzziel –, dem man sich verschreibt, in dem man den politischen Willen klar zum Ausdruck bringt und das wir erreichen müssten, bald erreichen sollten. (Beifall.)

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Michelle Missbauer: Ich bin auch dafür, dass die direkte Demokratie in Österreich ausgebaut wird. Ich denke mir, man sollte einmal Themen aufgreifen und den Leuten präsentieren: Wo kann ich denn eigentlich eine Volksabstimmung, eine Volksbefragung machen? – Da habe ich mir ein bisschen etwas durch den Kopf gehen lassen.

Wie Sie alle wissen, bin ich auch sehr für die Tierrechte, setze ich mich gerne dafür ein. Warum können die Bürger und Bürgerinnen nicht einen Volksentscheid zum Beispiel darüber machen, dass wir die Tierversuche in der EU abschaffen? – Wir könnten auch das EU-Parlament zu Hilfe nehmen.

Oder: Ich habe unlängst mit einem obdachlosen Herrn gesprochen, der mir gesagt hat, dass in der „Gruft“ keine Hunde willkommen sind. Das finde ich auch ein bisschen skurril, denn diese Menschen haben als einzigen sozialen Kontakt teilweise nur mehr ihre Tiere. Da könnte man auch das Volk befragen: Dürfen gewisse Sachen und gewisse Anliegen umgesetzt werden?

Ich bin zum Beispiel auch für einen Volksentscheid über das Rauchverbot in der Gastronomie. Ich finde diesen Vorschlag von Frau Gesundheitsministerin Oberhauser wirklich gut, aber man könnte das Volk miteinbeziehen, ob das jetzt durchgesetzt wird oder nicht. Das wäre ein sehr guter Weg.

Was ich mir auch wieder als Vorbild nehme, ist die Schweiz. Das begleitet uns durch alle unsere Sitzungen. Die Schweiz ist ein prickelndes, präsentes Land, obwohl sie nicht in der EU ist. Aber die Schweiz ist unser Vorbild, und wir bauen ziemlich viel darauf auf. Wir können auch darauf aufbauen, denn die Schweiz hat sehr viele Volksabstimmungen und bezieht das Volk auch ein. Ich denke mir, das ist ein sehr guter Weg auch für uns Österreicherinnen und Österreicher, dass wir wirklich das Volk aktiv in die direkte Demokratie einbeziehen.

Wovor haben wir Angst? – Sie als PolitikerInnen, wir als BürgerInnen sollten keine Angst haben, aber alle Menschen da draußen würden sicher zu Volksbefragungen, zu Volksabstimmungen gehen, wenn sie eingeladen werden. Sie sind auch nur Menschen, die ein Herz haben wie wir, und sind sicher gerne bereit, ihre Meinung zu den politischen Angelegenheiten einzubringen.

Ein sehr interessanter Aspekt, auch was die Bildung anbelangt, betrifft das AMS – beispielsweise für Leute, die sich weiterbilden wollen, so wie es bei mir der Fall ist. Ich bin jetzt an der Abendschule in der Brünner Straße, mache meine Matura nach und möchte anschließend ein Zoologiestudium anhängen, eben wegen meines Interesses für Tiere. Man könnte auch dazu das Volk befragen: Soll das AMS auch studierende Menschen auf ihrem Weg begleiten?

Ich bin derzeit beim AMS gemeldet, und ich möchte mithilfe des AMS auch meine beruflichen Wege und Ziele verwirklichen können. Aber da gibt es immer wieder Kriterien, die einen ein bisschen bremsen. Dazu als Anmerkung: Es steht auch in den 23 Artikeln der Menschenrechte drin, dass Weiterbildung ein Grundrecht des Menschen ist. Warum kann man also nicht alle Bildungsmöglichkeiten ausnützen, die einem Menschen eigentlich zustehen sollten?

Was ich auch sehr skurril finde, ist: Ich werde im April 34 Jahre alt und bekomme von den Wiener Linien leider Gottes keine Unterstützung, was den Tarif anbelangt, weil ich den Studententarif, den Hochschülertarif nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Da wurde mir gesagt, dass das von der Stadt ausgeht. Da könnte man auch wieder das Volk miteinbeziehen: Wie kann man das Einkommen und die Tarife miteinander verbinden?

Ich denke mir, das Volk kann zu so vielen, wirklich so vielen Themen Stellung beziehen und seine Meinung kundtun, angefangen bei Tieren, angefangen bei Menschen, bei Bildung, bei Miete. Da gibt es unzählige Sachen, die man dem Volk, uns Bürgern in Österreich, näherbringen kann. Wir sollten das auch tun!

Ich bin schon gespannt, wann ich in diesem Jahr das erste Mal in ein Wahllokal gehe, weil es eine Volksabstimmung gibt, zu der in Österreich aufgerufen wird. Sie wissen ja, die erste große Volksabstimmung, die ich befürworte, ist die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule in Österreich. Ich denke, über dieses Thema sollte das Volk wirklich mitentscheiden können, ob das jetzt in Österreich ermöglicht wird oder eben nicht.

Ich denke, wenn wir da alle an einem Strang ziehen, dann haben wir in der Demokratie sicher viel erreicht. Angst brauchen wir vor uns nicht zu haben, wir sind alle Menschen, wir sind sozusagen alle gleich. Da sage ich nur eines dazu: Equality for all animals and for all humans! Gleichberechtigung für alle Lebewesen: Equality for all creatures! (Beifall.)

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Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne): Ich möchte vorweg auf Ihren Beitrag, Frau Mag. Ruhsmann, eingehen und diesen nicht unbeantwortet oder unkommentiert lassen. Sie haben mir natürlich auch aus der Seele gesprochen. Irgendwer hat vorhin getwittert: Sie haben uns einen Spiegel vorgehalten. Das stimmt, den kann man auch nicht so leicht abnehmen.

Es hat mich auch – das soll jetzt nicht irgendwie altbäuerisch klingen – an Situationen erinnert, als ich das erste Mal an einer Gemeinderatssitzung oder an einer Nationalratssitzung teilgenommen habe. Ich weiß gar nicht, ob das so viel mit Naivität zu tun hatte, ich bin da auch gesessen und habe mir gedacht: Ist das jetzt wirklich eine Diskussion? Oder worum geht es hier?

In meinem anderen Berufsleben habe ich auch mit vielen Diskussionsformaten und -methoden zu tun, die sozusagen durchaus auch Kreativität fördern. Ich glaube, das ist genau diese Schnittstelle, die auch Herr Gross heute schon angesprochen hat. Es ist ja nicht nur für die Initiativen die Frage, wie man die Schnittstelle zwischen Parlamentarismus und einer Initiative zusammenfügen kann, sondern wir erleben es auch hier. Wie kann man an der Schnittstelle von sehr klar gesetzlich vorgegebenen Formaten, wie zum Beispiel dieser parlamentarischen Enquete-Kommission, die im Hauptausschuss beschlossen werden muss, wo der Rahmen schon sehr eng vorgegeben ist und dann natürlich auch der bauliche Rahmen eng vorgegeben ist, das verwirklichen, dass hier jetzt eine breite Gruppe an ExpertInnen – und da zähle ich Sie alle dazu, ob es BürgerInnen sind oder ob man Expertise aufgrund eines Jobs hat – etwas einbringen könnte? Und wie Sie ganz richtig gesagt haben: Wie kommen wir da jetzt zusammen?

Bei dieser Form habe ich jetzt auch ein Problem – und zwar nicht, weil Sie mir da im Genick sitzen, sondern weil es einfach unhöflich ist –: Wenn ich Ihnen nachher Fragen stelle, dann drehe ich mich zu Ihnen um, aber dann hören Sie mich schon viel schlechter. Das ist natürlich verbesserungswürdig. Insofern kann ich jetzt nur in Aussicht stellen und versprechen, dass ich und meine Kollegin Meyer, die auch in den Vorbereitungen einen wesentlichen Beitrag leistet, darauf schauen werden, dass wir zumindest für die Sitzung der Schlussfolgerungen Vorschläge einbringen werden. Vielleicht können wir auch vorher noch einmal alle miteinander darüber reden, wie es ausschauen könnte, dass man diese Sitzung möglicherweise noch einmal anders gestaltet.

Darüber hinaus liegt es natürlich an uns, ob wir diesen Platz hier nutzen, um uns selbst darzustellen und zum 20. Mal die jeweiligen Positionen zu direkter Demokratie kundzutun – die, glaube ich, ohnedies hinlänglich bekannt sind, in meinem Fall: dass ich eine dreistufige Volksgesetzgebung haben möchte –, oder ob wir in den Debatten aufeinander eingehen oder auch die Anwesenheit von ExpertInnen nutzen, um Fragen zu stellen. Das wird auch viel zu selten gemacht, finde ich, deswegen möchte ich es jetzt tun.

Vorweg möchte ich dafür danken, dass Sie hier sind, möchte ich dafür danken, dass Sie uns Ihre Expertise zur Verfügung gestellt haben, und Ihnen auch für die spannenden Ausführungen danken. An diesem Punkt möchte ich vielleicht auch noch etwas Organisatorisches sagen: Weil es so spannende Ausführungen sind, in jeder Sitzung bislang, finde ich es sehr schade, dass das eigentlich nur Personen, die jetzt aktuell vor einem Videostream sitzen, mitverfolgen können, aber die Redebeiträge, die ganze Sitzung nicht nachher noch sozusagen als gespeichertes Video irgendwo zur Verfügung steht. Auch da bitte ich die Frau Präsidentin und die Parlamentsdirektion, dass wir wirklich daran arbeiten, nach Möglichkeit auch Personen, die jetzt gerade nicht die Zeit haben, zuzuschauen, die Gelegenheit zu geben, das nachzulesen und sich dann vielleicht auch in Form von Stellungnahmen, Mails oder eben Twitter-Beiträgen einzubringen.

Aber jetzt zu den konkreten Fragen: Es sind im Prinzip drei Themen, die mich hier beschäftigen. Das eine ist, es ist sehr viel über die Frage der Volksgesetzgebung im internationalen Vergleich gesprochen worden. Wir haben ja – ich weiß nicht, wie weit das bekannt ist – vonseiten der SPÖ, der ÖVP und der Grünen letzten Sommer einen Kompromissvorschlag erarbeitet. Ein Kompromiss ist es deshalb, weil wir, wie ich schon gesagt habe, eigentlich auch die Volksgesetzgebung wollen. Das war aber hier im Haus nicht mehrheitsfähig, deswegen haben wir die Variante Volksbefragung am Ende einer Initiative formuliert.

Da lautet meine Frage, vor allem auch an Sie: Wäre das so ein Mittelweg, wie Sie ihn skizziert haben? Was spricht dafür oder dagegen? – Dass Volksbefragungen nicht verbindlich sind, hat natürlich seine Nachteile.

Das Zweite ist die Frage der öffentlichen Debatte, der Sachlichkeit der öffentlichen Debatte. Da lautet meine Frage an alle, die sich dazu berufen fühlen: Wie kann man diese gewährleisten? Welche Maßnahmen braucht es da? – Von einer Fairnessregel ist immer wieder die Rede, auch von der Frage: Wie kann man auch in Mediengesetzen Maßnahmen schaffen, die zu einer sachlichen, breiten Form der Information, aber dann auch der Auseinandersetzung beitragen? – Auch das haben wir im Rahmen unserer Verhandlungen diskutiert.

Ein Drittes ist die Frage an Frau Professor Braun Binder nach der Möglichkeit der InitiatorInnen, zurückzuziehen. Auch das haben wir bei unserem Kompromiss diskutiert, und da ist die Frage aufgetaucht: Wer ist dann eigentlich legitimiert, wenn Hunderttausende Unterschriften gesammelt wurden? – In Österreich sind das ein Bevollmächtigter und vier StellvertreterInnen, das war dann unsere Lösung. Aber wie können diese Hunderttausenden, die unterschrieben haben, dann auch legitimieren, dass die Initiative, ob jetzt bedingt oder unbedingt, zurückgezogen wird?

Wie ist das in der Schweiz geregelt? Beziehungsweise: Gibt es dort eine Diskussion? – Das ist auch immer wieder ein Thema in Bezug auf die Schweiz, diese Themeneinschränkung, die ja bei Ihnen nicht existiert, aber die Frage der Grund- und Menschenrechte: Fällt das bei Ihnen unter zwingendes Völkerrecht? Auch diese ganze Minarett-Diskussion, ich höre immer wieder, dass es da in der Schweiz eine Debatte gibt. Wie ist da gerade der Stand? (Beifall.)

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Obfrau Präsidentin Doris Bures bringt Abgeordneter Musiol zur Kenntnis, dass von der Enquete-Kommission Wortprotokolle erstellt werden. Die Beifügung „auszugsweise“ beziehe sich nur auf die Beschlüsse, es seien in den vom Stenographenbüro verfassten Auszugsweisen Darstellungen jedoch sämtliche Beiträge der Expertinnen und Experten sowie auch alle Debattenbeiträge vollständig dokumentiert und nachlesbar. (Abg. Musiol: Es geht ums Video!)

Überdies werde die laufende Veranstaltung vom Fernsehsender „ORF III“ übertragen, und in der Folge lasse sich die Aufzeichnung auch aus der Videothek abrufen. Obfrau Bures fügt hinzu, sie werde Anregungen, die einem derart wichtigen Thema zu noch mehr Öffentlichkeit verhelfen, voll und ganz unterstützen.

Sodann erteilt sie Bundesrat Mag. Zelina das Wort.

Bundesrat Mag. Gerald Zelina (Team Stronach, Niederösterreich): Wichtig bei Volksbegehren wäre, dass diese bei einer bestimmten Unterstützung, bei einem bestimmten Quorum, im Parlament behandelt werden und der Initiator auch ein Rederecht bekommt.

Die Kernfrage jeder Führung lautet: Wer hat die Legitimation, Entscheidungen für die ganze Gemeinschaft und deren zukünftiges Schicksal zu treffen? – Der Priester bei göttlicher Legitimation, angesehene Familien, die schon immer die Führung innehatten, bei erblicher Legitimation, der Stärkste im Dorf, der Älteste, der Erfahrenste, ein Weisenrat oder eine Volks-Generalversammlung.

Auf der einen Seite haben wir die hoffentlich kompetente Regierung mit kompetenten Beratern und sachlichen Fachexperten an ihrer Seite. Auf der anderen Seite haben wir das – unter Anführungszeichen – „laienhafte“ Volk, das aufgrund mangelnder Fachkenntnis, mangelnden Wissens und mangels vollständiger Information oft emotional und ängstlich entscheidet.

Wen würden Sie über eine lebensgefährliche Operation entscheiden lassen: den Facharzt mit Medizinstudium und viel Praxiserfahrung oder eine Meinungsumfrage bei Laien aus Ihrem Bekanntenkreis? – In Summe macht es daher Sinn, das Volk auf höheren Verwaltungsebenen von kompetenten Regierungen und delegierten Abgeordneten vertreten zu lassen. Das Volk soll und kann vorwiegend dort mitreden, wo es selbst Kompetenzen und Fachwissen hat, also besonders auf Gemeindeebene: beim Bau von Windrädern, bei Umfahrungsstraßen, Dorf-Infrastruktur et cetera.

Eine entscheidende Frage lautet aber auch: Sind unsere Regierungen tatsächlich so kompetent, und verfolgen sie das Wohl der Bürger? Oder sind sie vorwiegend Freunderlwirtschafts-Besetzungen, Marionetten und loyale Parteisoldaten einer Schattenregierung im Hintergrund, die primär andere Interessen als das Wohl der Bürger verfolgt?

Vertreten die vom Volk gewählten Abgeordneten im Parlament tatsächlich die Interessen und das Wohl des Volkes? Oder vertreten sie andere Interessen, eigene Interessen, persönliche Vorteile? Interessen finanzstarker Lobbys, von Banken, Hochfinanz und Großkonzernen? Interessen ausländischer Institutionen: USA, NATO, vom Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank? Oder Interessen der Besitzer von Staatsanleihen in ausländischer Hand? Oder Interessen von sich am Steuergeld selbst bedienenden politischen Institutionen: unseren Kammern, Gewerkschaften, Länderverwaltungen, Sozialversicherungen?

Steuergelder landen zu selten beim Bürger, beim Patienten, beim Schüler, sondern versickern in der aufgeblähten Verwaltung, bei Luxuspensionen, bei Versorgungsposten, bei Privilegien und Luxusgehältern. Die Beeinflussung unserer Abgeordneten durch Interessengruppen, die nicht primär dem Wohl der Bürger dienen, ist allgegenwärtig: lukrative Aufsichtsratsposten, Beraterverträge, Parteispenden, Anstellungen vor, nach und während des Mandats ohne Arbeitsleistung.

Wenn Regenten weder die moralischen noch die intellektuellen Qualitäten besitzen, dem eigentlichen Zweck des Staates zu dienen, ist der Staat dem Untergang geweiht. Im Parlament, hier in diesem Saal, dem Nationalrat, sitzen keine Volksvertreter, sondern Interessenvertreter, daher ist die außerparlamentarische, direkte Demokratie umso wichtiger. Die Bürger sollen bei wesentlichen gesellschaftlichen Entscheidungen mit einbezogen werden, mitsprechen, mitbestimmen und mitentscheiden können.

Volksabstimmungen wären besonders sinnvoll zum Beispiel bei ESM-Gemeinschaftshaftungsentscheidungen, wo wir unglaubliche Risiken übernehmen, jeder einzelne Bürger, bei wesentlichen Änderungen des EU-Vertrages, bei Kreditgewährungen an marode EU-Staaten aus österreichischen Steuergeldern, zum Beispiel an Griechenland – wir hängen hier schon wieder mit 8 Milliarden im Exposure –, bei EZB-Entscheidungen betreffend Weichwährungen und auch bei Russland-Sanktionen.

Wir brauchen im Parlament mehr echte parteiunabhängige Bürgervertreter und weniger parteipolitische Berufsvertreter. Eine Gesetzgebung von einzelnen mächtigen Interessengruppen für einzelne mächtige Interessengruppen ohne die Berücksichtigung des Volkes führt zur Vermögens- und Einkommensumverteilung weg von der Masse der fleißigen Bürger, führt zu einer unerwünschten Machtkonzentration (Obfrau Präsidentin Bures gibt das Glockenzeichen) – ich komme gleich zum Schluss – in wenigen Händen und legt die Saat zukünftiger sozialer Unruhen und potenzieller Revolutionen.

Wir vom Team Stronach präferieren als Beitrag zu mehr Demokratie ein echtes Bürgerparlament mit zumindest einem Drittel parteiunabhängiger Bürgervertreter und einer Gesetzgebung von Bürgern für Bürger statt einer Gesetzgebung von Lobbys für Lobbys. (Beifall.)

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Harald Petz: Ich bin nicht sehr glücklich damit, was diese Enquete-Kommission laut Agenda erreichen soll – oder soll ich sagen: erreichen darf? Es gibt einige bereits im Vorfeld diskutierte Zugeständnisse und kleine Änderungen, wie zum Beispiel, dass etwas weniger Stimmen für Volksbegehren und Bürgerinitiativen nötig sind, sowie eine elektronische Stimmabgabe bei Volksbegehren.

Sie wissen, ich bin ein großer Befürworter einer elektronischen Wahlmöglichkeit, aber nicht nur bei Volksbegehren, sondern auch bei Wahlen im Allgemeinen sowie bei ausgesuchten Abstimmungen im Nationalrat. Sie würde sowohl die Wahlbeteiligung steigern als auch die Anonymität fördern. Stellen Sie sich eine Abstimmung im Nationalrat vor, meine Damen und Herren, bei der nicht nur die anwesenden Abgeordneten, sondern interaktiv ganz Österreich mitstimmt. Die elektronische Stimmabgabe wird früher oder später Standard sein, da bin ich ganz sicher, auch wenn es noch einige ewige Altgebliebene gibt, die sich dagegen wehren. Hätten wir immer auf diese Leute gehört, gäbe es wahrscheinlich noch immer kein Internet.

Die großen und wichtigen Verbesserungen zur Stärkung der direkten Demokratie in Österreich sehe ich leider nicht. Viele Abgeordnete im Hohen Haus – und ich hoffe nicht in dieser Enquete-Kommission – halten Änderungen im bestehenden System für unnötig. Sie befürchten Macht- und Prestigeverlust, fürchten um ihr Ansehen in Österreich und in der Welt: Kommen Sie heraus aus Ihren selbstgebauten Elfenbeintürmen und sprechen Sie mit uns, befragen Sie uns und lassen Sie uns mitbestimmen!

Man nennt das Volks- oder Bürgernähe – eine nicht nur berufsbedingt notwendige, sondern auch sympathische, fast liebenswerte Eigenschaft für jeden Politiker. Ihr Ansehen wird darunter nicht leiden, sondern ganz im Gegenteil um ein Vielfaches steigen. Es braucht niemand für uns zu bestimmen, was wir zu wollen haben. Wir brauchen keine Bestimmer, Vorschreiber oder Einteiler, wir brauchen Umsetzer, Umsetzer guter Ideen, egal, von wem. Kluge Köpfe gibt es in jeder Fraktion. Wir brauchen engagierte Politiker, die gute Ideen mit dem Volk abgestimmt umsetzen.

Ich bin soweit Realist, um zu wissen, dass direkte Demokratie allein nicht funktionieren wird. Aber eine gesunde Mischung aus repräsentativer Demokratie und direkter Demokratie kann und wird funktionieren. Lassen Sie es uns versuchen, lassen Sie uns nach den begonnenen kleinen Schritten auch größere wagen!

Bezug nehmend auf die Einwände zur Datensicherheit bei elektronischer Stimmabgabe in der letzten Sitzung hoffe ich nur, dass keiner der Kritiker ein Befürworter von ELGA, der Elektronischen Gesundheitsakte, ist, wo wirklich heikle, sensible, ja lebenswichtige Daten gespeichert werden müssen, wenn Sie unseren heimischen EDV-Sicherheitsexperten nicht einmal zutrauen, zu verschlüsseln, wo ich mein Kreuzerl hingemalt habe – was in kleineren Gemeinden sowieso ein offenes Geheimnis ist. Oder sollte mögliche Beeinflussung ihr Kritikgrund sein? So wollen wir doch davon ausgehen, dass in Österreich freie Meinungsäußerung und damit auch die Wahl daheim unbeeinflusst möglich ist. Ich denke, es kann beides, sowohl ELGA als auch die elektronische Wahl, funktionieren. (Beifall.)

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LAbg. Gudrun Mosler-Törnström, BSc (Zweite Präsidentin des Salzburger Landtags): Ja, wir haben es heute gehört: Die Vielfalt an Instrumenten ist unüberschaubar, das Know-how ist vorhanden. Wo ist der Haken? – Warum machen wir es nicht? Der Haken ist, dass jede Situation, jede Kultur, jedes Land mit anderen gesetzlichen Regelungen andere Lösungen braucht, und hier können wir nicht einen europäischen Maßanzug drüberziehen, der allen passt.

Diese Enquete-Kommission ist für mich schon so etwas wie ein Wissensaufbau, ein Erfahrungsaustausch, um zu sehen, wo wir auch mit unseren gesetzlichen Rahmenbedingungen Gestaltungsspielräume haben, wo man à la longue in Zukunft etwas ändern kann und wie man überwindbare Hürden teilweise abbaut und auch die Quoren senkt – diese aber so senkt, dass sie, wenn man ein Volksbegehren, eine Bürgerinitiative startet, nicht nur von jenen Institutionen zu bewältigen sind, die bereits im System drinnen oder von Sozialpartnerschaften vertreten sind, sondern für alle erreichbar sind. Das sehe ich als die Aufgabe dieser Enquete-Kommission, und das sehe ich auch bei diesen vielfältigen Informationen, die wir aus unterschiedlichen Blickwinkeln bekommen. Das ist wichtig. Erst dann, wenn wir das haben, sollen wir zu einer Diskussion kommen, zu der wir uns auch hier im Parlament treffen können.

Da ich auch aus Salzburg komme, möchte ich zu den Ausführungen von Heidi Reiter noch etwas sagen: Das Salzburger Modell für direkte Demokratie ist in der vorigen Sitzung sehr ausführlich besprochen worden, wir hatten zwei Vertreter hier. Ich möchte nur sagen, dass in der Zwischenzeit dieses Salzburger Bürgermodell nicht total versenkt worden ist, sondern dass es Widerstand gab, dass mittels Bürgerabstimmung in Unternehmen eingegriffen werden kann, an denen die Stadt Teilbeteiligungen hält. – Darum ist es gegangen, und der Bürgermeister hat auch signalisiert, dass wir sehr wohl weiterdiskutieren können. Diese Frage ist nicht geklärt, aber das ist heute nicht das Thema.

Ich möchte jetzt auf Dr. Vospernik eingehen, denn bevor er sein Referat gehalten hat, ist auch mir durch den Kopf gegangen, dass der Wunsch nach einem stärkeren partizipatorischen Modell durch die verschiedenen Krisen in Europa an die Oberfläche gekommen ist. Die Wirtschafts- und Finanzkrise bedroht unseren sozialen Zusammenhalt und damit auch die Grundlage des europäischen Demokratiemodells. Die Krisen haben eigentlich die Grenzen des bestehenden Demokratiesystems aufgezeigt und haben, wie wir wissen, auch zu starkem Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Demokratie und ihren politischen Repräsentanten geführt.

Wie meine ich das? – Ich denke, es ist nicht damit getan, dass wir direkte Demokratie wirklich mit Leben erfüllen, indem wir neue gesetzliche Regelungen einführen. Diese direkte Demokratie zu leben verlangt nach vielschichtigen Instrumenten, natürlich auch nach Rahmenbedingungen, aber es bedarf noch viel mehr. Wir müssen uns schon auch Gedanken über Zuwanderung, über die globale Welt machen, die auch die Realisierung dieses Modells schwieriger werden lassen.

Ein weiteres Paradoxon in unserer modernen Demokratie ist, dass noch nie so viele Menschen in demokratischen Systemen gelebt haben, gleichzeitig aber noch nie so viele von ihnen von der Qualität der Demokratie, in der sie leben und die sie täglich erleben, enttäuscht sind. Warum ist das so? – Wenn man „Demokratie“ hört, dann verspricht man sich Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich, faire Verteilung der Lebenschancen und Möglichkeiten für alle. Allerdings kann die Demokratie, wie sie sich heute darstellt, in dieser Art und Weise diesen Bedürfnissen der Menschen nicht mehr nachkommen und kann die Erwartungen nicht erfüllen. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum sich Menschen dann nationalistischen, extremen Bewegungen und Initiativen zuwenden, sich von der Politik abwenden und nicht mehr zur Wahl gehen. Genau das ist es, was wir in Angriff nehmen müssen.

Wir müssen auf viele Dinge achten: Wir müssen schauen, wie wir die neuen Medien forcieren können. Es geht darum, die Beteiligung als ständigen Prozess mitlaufen zu lassen – nicht etwas nur einmal zu machen, sondern es ständig mitlaufen zu lassen. Es braucht mehr Transparenz – viele Beispiele sind heute gebracht worden –, und wir müssen uns auch überlegen, inwieweit wir Migrantinnen und Migranten in unser demokratisches System miteinbauen. Was geschieht, wenn wir das nicht tun, erleben wir heute hautnah in Europa. Auch das ist ein wichtiges Instrument, das in der direkten Demokratie mitüberlegt werden muss. (Beifall.)

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Feri Thierry (Fraktionsexperte): Frau Ruhsmann, herzlichen Dank auch für Ihr Statement, das ich für sehr wichtig halte und das, glaube ich, eine ganz zentrale Frage anspricht. Ich erlaube mir, Ihnen auch von meiner Seite eine Antwort darauf zu geben:

Ich bin mit dem Format auch nicht glücklich und glaube, Ihr Statement zeigt auf, worum es eigentlich tatsächlich geht. Es geht um die durchaus wesentliche und notwendige Frage, unter welchen Bedingungen direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an politischen Prozessen möglich ist, indem man darüber spricht, ab welchen Mengen sozusagen Volksabstimmungen möglich sein sollen, verpflichtend sein sollen, Volksbegehren möglich sein sollen. Ich glaube aber, dass es tatsächlich um wesentlich mehr geht, und zwar um die Form und Art, wie wir Politik machen. Und das ist ein Beispiel dafür, wie es in Wirklichkeit nicht sein sollte, und das zeigt, wo wir hinmüssen.

NEOS ist vor drei Jahren als politische Bewegung gestartet, nicht nur, weil wir bei wichtigen Zukunftsthemen einen großen Reformbedarf gesehen haben – in der Bildungspolitik, in Teilen der Wirtschaft, wo es um ein unternehmerisches Österreich geht, bei den Sozialsystemen –, sondern auch, weil wir ganz bewusst Politik anders machen wollen, weil wir glauben, dass es neue Formen der Politik und ein Mehr an Partizipation braucht.

Voraussetzung für diese Partizipation ist ein echter politischer Wille – der Wille und auch die Bereitschaft, Menschen diese Entscheidungen zuzutrauen, zuzumuten. Dafür braucht es auch eine entsprechende Vorbereitung, nämlich Information und Transparenz. Als Bürgerin, als Bürger kann ich nur über etwas entscheiden, worüber ich auch Bescheid weiß.

Da gibt es einige erfolgreiche Beispiele. Ich möchte die Idee des Bürgerhaushalts, Bürgerinnenhaushalts herausgreifen, bei dem man Menschen frühzeitig in die Erstellung eines Budgets für eine einzelne Gemeinde einbindet. Das müssen nicht nur kleine Gemeinden sein, es gibt auch sehr große Bezirke in Paris, die das bereits praktizieren und ausprobieren, wo man Menschen bereits frühzeitig in die Entwicklung einbindet: Was sind denn die Themen in der Gemeinde, was sind mögliche Vorschläge, was könnte man in einer Gemeinde tun? Und dann werden sie auch in die Entscheidung eingebunden: Wie wollen wir konkret unser Budget verteilen, wofür soll Geld in unserer Gemeinde ausgegeben werden? Soll es die Sanierung oder der Neubau des Kindergartens sein, die Sanierung des Gemeindeamts oder die Südumfahrung der Gemeinde?

Das sind alles Dinge, bei denen ich überzeugt bin, dass die Menschen entscheiden können, weil sie unmittelbar betroffen sind. Ich halte es für wichtig in der Demokratie und in der Partizipation, dass wir Menschen die Kompetenz geben, über die Dinge, die sie unmittelbar betreffen, zu entscheiden.

Was wir in Österreich leider immer wieder erleben, ist Demokratie, die von oben kommt, sozusagen Herrschaftsdemokratie. Das merken wir, wenn wir Volksabstimmungen oder Volksbefragungen haben, die von Suggestivfragen oder No-na-Fragestellungen geprägt sind – da erkenne ich nicht viel Ernsthaftigkeit und nicht viel tatsächliche Bereitschaft zur Mitbestimmung.

Ein internationales Beispiel, das ich besonders skandalös finde – weil wir heute ja auch über internationale Beispiele gesprochen haben –, ist der Verfassungsprozess in Island. Dieser war ein Vorzeigebeispiel, wie man Menschen beteiligen kann, 2011 unter einer linksliberalen Regierung gestartet. Der Verfassungsprozess wurde zunächst mit einer Nationalversammlung von 1 000 gewählten Bürgerinnen und Bürgern angestoßen, die die Grundsätze und Prinzipien entwickelt haben, und dann von einer kleineren Gruppe – wiederum gewählte Bürgerinnen und Bürger, 25 an der Zahl – fortgesetzt, die dann tatsächlich auch die Details der Verfassung erarbeitet hat. Dann gab es eine Volksabstimmung, an der sich rund die Hälfte der Isländerinnen und Isländer beteiligt haben, bei der zwei Drittel diesem Verfassungsentwurf zustimmten. Und was hat die nächste Regierung gemacht? – Sie hat diesen Prozess begraben.

Ich finde es ausgesprochen unerhört, wie eine neue Regierung nach einem drei-, vierjährigen Prozess einfach sagen kann: Es interessiert uns nicht, was die Bürgerinnen und Bürger über Jahre erarbeitet haben. Das ist der größte Schaden für Demokratie und Partizipation, den man sich überhaupt vorstellen kann, weil man dann als Bürgerin, als Bürger sieht, es ist eigentlich völlig egal, ob ich dorthin gehe oder nicht, es ist völlig egal, ob ich dort mitwirke oder nicht, weil es eh nicht ernst genommen, eh nicht umgesetzt wird.

Diese Ernsthaftigkeit brauchen wir. Wir brauchen die Gewissheit, dass man als Bürgerin und als Bürger auch tatsächlich mitreden kann, etwas mitentscheiden kann, und dass man, wenn es dann im Endeffekt keine Mehrheit gibt, zumindest versteht, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist, und auch akzeptieren kann, dass man in diesem Fall zum Beispiel unterlegen ist.

Diese Ernsthaftigkeit halte ich für ganz wichtig. Da schließe ich an die Ausführungen von Herrn Dr. Luif an: Trauen wir den Menschen zu, darüber zu entscheiden, was sie selber betrifft! (Beifall.)

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Felix Ofner: Ich möchte mich drei Punkten widmen, und zwar erstens der Art der Unterschriftensammlung, zweitens dem Ausschluss von Themen und drittens den finanziellen Rahmenbedingungen.

Zur Art der Unterschriftensammlung: E-Voting, Online-Unterschriftensammlungen – es wurde schon oft angesprochen –, 2015 ist es mittlerweile an der Zeit, sich auch dem zu öffnen. Österreich ist ein Staat und hat die Möglichkeiten zu gewährleisten, dass auch das ohne Missbrauch möglich ist. Deshalb mein Aufruf an Sie: Bringen Sie es auf die politische Agenda, treffen Sie die politische Entscheidung, dann wird alles Weitere auch möglich sein!

Was den Ausschluss von Themen betrifft: Wir sollten versuchen, bei der direkten Demokratie möglichst wenige Themen auszuschließen und möglichst allem eine Bühne zu bieten. Direkte Demokratie kann sich nur dann voll entfalten, wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern zutrauen, selbst zu entscheiden und mitzubestimmen, und zwar in jedem Themenbereich; denn wovor sollten wir uns fürchten? Im Endeffekt bekommt das Volk so und so nur das, was es verdient und sich sozusagen selbst einbrockt.

Was die finanziellen Rahmenbedingungen betrifft: Ich würde sehr davon abraten, ein System wie in der Schweiz einzuführen, in dem das sehr intransparent ist, weil ich glaube, dass es eine sehr große Gefahr für die direkte Demokratie ist, wenn nicht klar ist, wer hinter einem Volksbegehren, einer Volksbefragung oder einer Bürgerinitiative steht und welche Motive in jedem einzelnen Fall hinter der direkten Demokratie stehen.

Abschließend möchte ich mich noch Frau Ruhsmann anschließen. Ich glaube, das Setting bei dieser Enquete-Kommission hat auf jeden Fall Verbesserungspotenzial. Gleichzeitig möchte ich mich aber auch dafür bedanken, dass wir in diesem Setting diskutieren dürfen und dass wir als Bürgerinnen und Bürger das erste Mal in dieser Form mitdiskutieren dürfen. Ich glaube, dass das ein guter Schritt in die richtige Richtung ist, direkte Demokratie auch im Parlament direkt zu leben – insofern: Danke schön. (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger (Fraktionsexperte): Ich glaube, dass das heute eine sehr wichtige Runde ist. Wenn man eine Reform wie die der Demokratie in Angriff nehmen will, dann ist es natürlich klug und sinnvoll, über die Grenzen hinaus zu blicken und zu lernen. Ich denke, wir haben heute doch sehr viele Anregungen bekommen.

Ich habe zwei Fragen an die Referenten: Zunächst einmal will ich den Zusammenhang zu dem Modell herstellen, das ja irgendwie den Ausgangspunkt dieser ganzen Veranstaltung gebildet hat, nämlich dieses Modell, das in einem Initiativantrag enthalten war und eine Volksbefragung über ein qualifiziert unterstütztes Volksbegehren vorsieht. Ich bin durch die heutigen Referate in meiner Befürwortung dieses Modells bestärkt worden, unter anderem auch, weil es die grundlegenden Probleme, die verbindliche Referenden nun einmal aufwerfen – die Frage der Themenbegrenzung, worüber darf nicht abgestimmt werden, die Frage der Quoren – ausspart. In dem Modell, in dem eine konsultative Abstimmung stattfindet, kann ich auf Regelungen dieser Art verzichten. Sie, Herr Decker, haben konsultative Abstimmungen als bessere Alternative bezeichnet, oder habe ich das etwa falsch verstanden? (Herr Decker schüttelt den Kopf.) – Schade, denn ich hätte Sie gerne gebeten, das noch näher zu erläutern.

Ein zweiter Aspekt, der mir in mehreren Referaten aufgefallen ist, ist der Dialogcharakter, das Dialogpotenzial bestimmter Verfahren der direkten Demokratie, zum Beispiel jener Verfahren, wie wir sie in den deutschen Bundesländern vorfinden. Das von mir angesprochene österreichische Modell ist ja von dem der deutschen Bundesländer inspiriert worden, allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass am Ende eine konsultative und keine verbindliche Abstimmung steht.

Es wurde gerade ebenfalls dieser Dialogcharakter betont. Ich empfinde es als Mangel des Initiativantrags, dass er diesen nur in sehr restringierter Form aufweist. Könnten Sie uns bitte darüber informieren, wie das in der Praxis funktioniert? Kommt es vor, dass von den Initiatoren auf eine Abstimmung verzichtet wird, wenn es vorher im Landtag zu einer entsprechenden Einigung kommt, wenn auch womöglich mit Abstrichen gegenüber dem ursprünglichen Antrag? Und die Frage wurde heute schon einmal gestellt: Wer ist in einem solchen Fall legitimiert, im Namen der Initiatoren zu sprechen? (Beifall.)

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LAbg. Mag. Martina Pointner (Vorarlberger Landtag): Ich freue mich natürlich sehr darüber, als Vorarlbergerin in Wien, also sozusagen am anderen Ende unseres Landes, sprechen zu dürfen. Speziell wir in Vorarlberg schauen sehr gerne über die Grenze zu unseren Nachbarn in der Schweiz, wenn es um Effizienz und Wirtschaftlichkeit geht, wenn es um die niedrige Steuerbelastung und die Steuerhoheit geht, und natürlich vor allem auch dann, wenn es um die direkte Demokratie geht. Wir haben heute schon einiges darüber gehört. Vorarlberg ist sicher nicht zuletzt aufgrund der räumlichen Nähe zu den Eidgenossen tatsächlich bemüht, direktdemokratische Elemente nicht nur zuzulassen, sondern zumindest ansatzweise auch zu fördern.

So gibt es bereits seit Längerem sogenannte Bürgerräte als moderiertes Beteiligungsverfahren, das zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger in den politischen Prozess einbindet. Erst im letzten Jahr wurde im Landtag ein Demokratiepaket verabschiedet, das unter anderem eine deutliche Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts sowie Erleichterungen für Initiatoren von Volksbegehren gebracht hat.

Die Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts hat bei der Landtagswahl im letzten September Effekte gezeigt und zu einigen durchaus unerwarteten Verschiebungen geführt: Mehrere, vor allem junge Abgeordnete sind so ganz unverhofft in den Landtag eingezogen. Bei Volksbegehren gibt es nun neben einer Verlängerung der Eintragungsfrist auf das Doppelte die Pflicht, eine Abstimmungsbroschüre zu erstellen, und für die Initiatoren auch ein Anhörungsrecht im Landtag sowie die Möglichkeit, Unterschriften überall zu sammeln, also auch auf der Straße und nicht nur wie bisher in den Gemeindeämtern zu den Öffnungszeiten – so weit, so gut.

Wir NEOS wollen aber deutlich weiter gehen, wir fordern mehr Möglichkeiten, Demokratie in neuen Formen und Formaten zu erleben beziehungsweise aktiv mitzugestalten. Eine zentrale Forderung ist etwa die verpflichtende Volksabstimmung bei Großprojekten ab 100 Millionen €. Das sind große Investitionen, die das Budget des Landes auf Jahre hinaus massiv belasten. Da haben die Bürger nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, mitzuentscheiden. Als Beispiel sei die geplante Tunnelspinne in der Stadt Feldkirch zu nennen, ein unterirdischer Kreisverkehr, der den Steuerzahler aus heutiger Sicht rund 230 Millionen € kosten soll, ein Riesenbrocken für unser kleines Land.

Eine weitere Forderung von uns NEOS sind sogenannte Bürgerhaushalte, die mein Kollege Feri Thierry vorhin schon erwähnt hat, also die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in den kommunalen Budgetprozess.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die direkte Demokratie der Schweiz lässt sich sicherlich nicht eins zu eins und ohne Weiteres auf Vorarlberg übertragen. Ich bin jedoch überzeugt, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ebenso mündig sind, weit mündiger, als ihnen das die derzeitige politische Elite zutraut. Es ist hoch an der Zeit, dass mehr Menschen mitdenken und mitentscheiden, durchaus auch die ohne politisches Mandat.

Leider hat man den Menschen in Österreich geradezu abgewöhnt, sich politisch zu interessieren, sich zu engagieren, wohl nicht zuletzt deshalb, weil dadurch die Parteien mehr Macht auf sich vereinen konnten. Das soll künftig anders werden! Wir treten an, um mehr Transparenz in die Politik zu bringen. Wir wollen Menschen für die Teilhabe am politischen Prozess begeistern – mit einem niederschwelligen Zugang, mit Aufklärung und politischer Bildung sowie mit innovativen Formen der Bürgerbeteiligung. Machen wir uns gemeinsam auf den Weg! (Beifall.)

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Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger (Fraktionsexperte): Das muss das Motto sein: Keine Angst vor dem Souverän! Schließlich stünde es dem Parlament schlecht an, Angst vor dem Volk zu haben. Einer der Experten hat heute gesagt: Das Volk an sich ist weder progressiv noch reaktionär; das Volk ist, wie es ist. So kann ein amerikanischer Bundesstaat Vorreiter bei der Einführung des Frauenstimmrechts gewesen sein, während ein Schweizer Kanton der Letzte war. Das spricht nicht gegen die direkte Demokratie, eine Vertiefung der Verbindung zwischen Bürgern und Parlament.

In den sehr interessanten Referaten der Expertin und der Experten wurde einiges für unsere weitere Diskussion sehr Wichtige angesprochen: Ein Referendum über Finanzbeschlüsse wie in der Schweiz und in Liechtenstein – warum soll man das nicht auch in Österreich, in den österreichischen Bundesländern, in den österreichischen Gemeinden oder auch auf Bundesebene einführen?

Die Berechtigung des Parlaments, einen Gegenvorschlag zu einer Volksinitiative einzubringen, ist meines Erachtens ein sehr interessanter Gedanke. In der Schweiz und in Liechtenstein gibt es eine Vorprüfung, das heißt, das Parlament entscheidet, ob eine Initiative verfassungskonform, mit höherrangigem Recht vereinbar ist. In Liechtenstein gibt es im Unterschied zur Schweiz zusätzlich noch das Instrument der Beschwerde beim Staatsgerichtshof, falls der Landtag zu Unrecht eine Initiative als verfassungswidrig qualifiziert hat, und dieses Instrument funktioniert.

Nun noch ein ganz kleiner Exkurs zu Liechtenstein, der zeigt, wie direkte Demokratie funktionieren kann und wie deren rechtliche Rahmenbedingungen ausgestaltet sein können. Liechtenstein ist viel kleiner als Österreich, zugegeben. Es hat dort eine Abstimmung über den Gesetzentwurf eines Bürgers stattgefunden, den dieser als Initiative eingebracht hat. Das gesamte politische Establishment hat diesen Entwurf abgelehnt, und zwar mit nur einer einzigen Gegenstimme im Landtag. Der Entwurf – der direkten Demokratie sei Dank! – ist dem Volk zur Entscheidung vorgelegt worden und ebenfalls gescheitert. Der Stimmenunterschied betrug allerdings nur lächerliche 74 Stimmen, was auch angesichts des in Liechtenstein relativ kleinen Samples eine Winzigkeit darstellt.

Sie sehen an diesem Beispiel, wie direkte Demokratie funktioniert. Hätte man Angst vor dem Souverän, würde man sagen: So etwas wollen wir lieber nicht! Meines Erachtens können solche Instrumente jedoch massiv zur Verlebendigung des politischen Systems beitragen.

Eine Frage hätte ich noch an den Professor Decker aus Deutschland: Ich hätte gerne noch etwas mehr über die praktische Anwendung dieses Instruments der direkten Demokratie, der Volksgesetzgebung in den deutschen Bundesländern gewusst. Gibt es da spektakuläre Fälle, und wie sind diese verlaufen? (Beifall.)

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Claudine Nierth (Fraktionsexpertin): Ein paar Gedanken noch zum Abschluss: Wir haben heute gehört, dass das Design darüber entscheidet, wie die Beteiligung ausfällt. Die Regeln bestimmen das Spiel. Das heißt also, wir müssen eigentlich die Position des Spielers einnehmen, um die Regeln des Spiels korrekt zu bestimmen. Andreas Gross brachte eben eine wunderbare Metapher: Ein Fußballspiel am Hang macht keinen Spaß. Ein anderes Bild: Ein Instrument, dessen Saiten so stramm gespannt sind, dass kein Ton rauskommt, ist kein Instrument mehr.

Ein paar aus eigenen Erlebnissen und Erfahrungen mit direkter Demokratie abgeleitete Gedanken: In Hamburg, Berlin oder München lassen sich zurzeit pro Tag und Person 60 Unterschriften sammeln. Ich persönlich schaffe sogar ein bisschen mehr, komme auf bis zu 100, aber ein durchschnittlicher Sammler kommt auf 60 bis maximal 80 Unterschriften. Wenn man nicht elektronisch sammelt, wird vor diesem Hintergrund verständlich, warum der SPD-Gesetzentwurf deutschlandweit in der ersten Stufe eine Hürde von 100 000 Unterschriften vorsieht. Erst, wenn diese Anzahl erreicht ist, wird die Initiative einer präventiven Normenkontrolle unterzogen – so der Vorschlag der SPD. Das bedeutet: Man kann erst einmal prüfen, ob es sich lohnt, weiter auf dem Spielfeld zu bleiben.

Die zweite Stufe, das Volksbegehren, sieht laut Gesetzentwurf der SPD eine Million Unterschriften bei 80 Millionen Bundesbürgern vor, eine Million Unterschriften in sechs Monaten. Damit kommt dieser wunderbare Aspekt der Zeit dazu. Das Instrument braucht Zeit, um sich zu entwickeln, damit der Dialog wirklich in Gang kommen kann. Wenn eine Million Unterschriften gesammelt worden sind, dann hat das Thema so eine Öffentlichkeit erreicht, dass es tatsächlich so gereift ist, um entweder in einen Kompromiss mit dem Parlament zu münden oder in einen Volksentscheid, um gegebenenfalls mit einem Alternativvorschlag des Parlaments entschieden zu werden. Nach dem Gesetzentwurf der SPD braucht es bei einfachen Gesetzen ein Zustimmungsquorum von 25 Prozent, bei verfassungsändernden Initiativen 33,3 Prozent.

Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den Quoren ausführen. Sie sind eine deutsche Spezialität. Den Schweizern gehen dabei die Nackenhaare hoch – verständlicherweise, weil man damit am Ende des Spiels eine Hürde aufbaut und man sich nur fragen kann: Was machen die da? Am Ende sollen wirklich das Ja und das Nein gegeneinander abgestimmt werden können. Wenn es ein Quorum gibt, eröffnet man den Nein-Sagern eine zweite Möglichkeit. Sie können auch dazu aufrufen, zu Hause zu bleiben, denn dann wird das Ganze sowieso ungültig. Damit wird das eigentliche Abstimmungsergebnis möglicherweise verfälscht und jedenfalls entwertet.

Es gibt in Deutschland zahlreiche Beispiele dafür, wo es Initiativen bis zur Abstimmung geschafft haben und dann mit 24,6 Prozent denkbar knapp am 25-Prozent-Quorum scheitern, obwohl 82 Prozent der an der Abstimmung Teilnehmenden zugestimmt haben. Sie merken schon, was da passiert: Enthaltungen werden auf die Nein-Seite verschoben, und die Zustimmenden werden um ihren Erfolg gebracht. Der Status quo bleibt erhalten.

Dagegen haben wir aus demokratiepolitischen Erwägungen heraus größte Bedenken. Auch die SPD hat das mittlerweile verstanden und gesagt: Wir müssen an dieser Stelle die Quoren niedriger ansetzen. Ich halte das Zustimmungsquorum für zu hoch. Die „Killerlinie“ liegt nach den Erfahrungen in Deutschland zwischen 20 und 25 Prozent. Das heißt: Die Quoren – wenn man sich denn schon für solche ausspricht – sollten bei ungefähr 20 Prozent liegen, bei Verfassungsänderungen aber durchaus bei 33 Prozent Beteiligung und einer Zweidrittelmehrheit.

Herr Decker, in Ihrem Beitrag war zu lesen, dass es durchaus einen Bestandsschutz beziehungsweise eine Bindewirkung geben sollte. Sie werden vielleicht überrascht sein, dass ich als Proponentin von „Mehr Demokratie“ nichts davon halte, sondern mich im Gegenteil dagegen ausspreche. Ich möchte keinen Bestandsschutz bei Volksabstimmungen haben. Diese Gesetze sollten mit Parlamentsgesetzen gleichrangig sein. Zur politischen Kultur, die wir entwickeln müssen, gehört, dass diesen Entscheidungen ein gesunder Respekt entgegengebracht wird. Die Gesetze müssen jedoch jederzeit wieder veränder- und revidierbar bleiben, genauso wie die vom Parlament beschlossenen auch.

Wenn wir uns um das Design Gedanken machen, müssen wir im Auge behalten, dass direkte Demokratie eine Dialogveranstaltung zu sein hat. Erforderlich hiefür sind: maßvolle Hürden, viel Zeit für ein wirkliches Voranbringen des Dialogs und angemessene Hürden am Ende, damit der Abstimmungsprozess tatsächlich gut und sinnvoll abläuft. Das sollte die Orientierung sein, wenn wir uns in Zukunft irgendwann einmal im kleineren Kreis zusammensetzen, um für Österreich diese Zahlen festzulegen. (Beifall)

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Heinz Emhofer: Ich möchte mich zuerst an die Sachverständigen und Experten wenden. (Der Redner dreht sich zur Regierungsbank um.) Bitte nicht persönlich nehmen, was ich jetzt sagen werde, es ist allgemein gesprochen!

Seit über 50 Jahren verfolge ich das österreichische Parlamentsgeschehen. In diesen Jahren habe ich sehr viel gehört und gesehen und, so glaube ich, auch Erfahrungen gesammelt. Die Sachverständigen haben uns heute einen Überblick über verschiedene Modelle der direkten Demokratie geboten. Welches Modell jedoch das richtige ist, das konnte mir niemand sagen.

Weil wir ins Parlament eingeladen worden sind, also offenbar der Wunsch besteht, auch die Meinungen einfacher Bürger zu hören und mit einzubeziehen, möchte ich jetzt in aller Kürze meine Wünsche und Visionen darstellen:

Erstens: Ich wünsche mir einfache Gesetze und einen leichten Zugang zu den verschiedenen Referenden.

Der zweite Wunsch richtet sich an die Parlamentarier: Mehr Mut, mehr Entscheidungen durch Volksbefragungen und Volksentscheide treffen zu lassen! Das gilt besonders für Materien, die schon jahrelang im Parlament blockiert sind, die Schulreform zum Beispiel. Hätten wir heute hier 50 Schulreform-Sachverständige sitzen, gäbe es zwar 50 Meinungen dazu, doch wieder bliebe die Frage offen: Welche ist die richtige? Warum wird in dieser Lage nicht das Volk gefragt? Dann stünden einander zwei Positionen gegenüber, und da wäre die Entscheidung leichter, als unter 50, 30 oder 20 Sachverständigenmeinungen die richtige herauszufinden.

Als Drittes meine Vision für das Jahr 2016: Österreich hat das beste Demokratiegesetz Europas! (Beifall.)

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Abgeordneter Asdin El Habbassi, BA (ÖVP): Ich möchte zunächst für einige Aussprüche danken, zuallererst für „Keine Angst vor dem Souverän!“ Mein Kollege Wolfgang Gerstl sagt immer: Keine Angst vor dem Chef! Und wer sind die Chefs? – Das sind die Wählerinnen und Wähler. Es ist ganz wichtig, das hier einmal festzuhalten und uns das auch immer wieder in Erinnerung zu rufen.

Weil das so ist, bin ich Ihnen, Frau Ruhsmann, auch sehr dankbar, dass Sie als eine unserer Chefinnen heute einmal das Wort ergriffen und uns den Spiegel vorgehalten haben. Es geht nämlich auch darum, wie wir die Prozesse hier im Haus anlegen. Wir sagen immer: Das Spiel wird durch die Spielregeln bestimmt. Wir sagen: Wir müssen die Leute miteinbeziehen. Es ist also ganz ausgezeichnet, wenn Anregungen gegeben werden, wie das vor sich gehen könnte.

Vielen jungen Abgeordneten, oder neuen Abgeordneten – nicht nur den jungen –, ergeht es ähnlich wie Ihnen, wenn sie zum ersten Mal hier sind und dann verstehen, wie Meinungsfindung erfolgt, wie solche demokratischen Prozesse ablaufen. Das ist nicht immer gleich leicht verständlich. Manches hat seinen Sinn – da kommt man dann später drauf –, manches hinterfragt man auch weiterhin. Und vielleicht ist das der Punkt, wo wir uns Anregungen holen sollten. Wir haben zum Beispiel jetzt eine Twitter-Wall – so etwas hat es noch nie gegeben. Wir haben diesmal als Teilnehmer Bürgerinnen und Bürger, die über kein Mandat verfügen und die auch nicht deshalb hier sind, weil sie einen klassischen Expertenstatus, etwa als Universitätsprofessor, haben. Das sind Innovationen, die es bereits gibt und die durchaus auch das Ergebnis von Rückmeldungen aus der Bevölkerung sind.

Ein anderes Beispiel: Wir haben es in der Enquete zu den Kinderrechten erstmals geschafft, dass junge Menschen hier das Wort ergreifen konnten, wobei sie verschiedene Fragestellungen, mit denen sie sich vorher in Workshops auseinandergesetzt hatten, eingebracht haben.

Ich glaube daher, es ist nicht alles so schlecht, wie es manchmal erscheint. Wir müssen nur besser werden – das sollte unser Anspruch sein. Ich kann Ihnen auch versichern, es sind die Würfel noch nicht gefallen. In allen Parteien werden die Diskussionen anhand der Inputs, die hier kommen, weitergeführt. Man sucht auch immer wieder das Gespräch mit den verschiedensten Initiativen, mit Menschen, die sich engagieren und die uns ihre Meinung sagen und auch über Twitter oder andere Tools ihre Vorschläge vorbringen.

Mich würde interessieren, von den Experten und Expertinnen, die sich wissenschaftlich mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben, Folgendes zu hören: Man sagt ja, bei 50 Experten gibt es 50 Meinungen, und oft hören wir, wenn wir Experten fragen, nur verschiedene Möglichkeiten. Ich würde es gut finden, zu erfahren – auch von Ihnen als Bürgerinnen und Bürger oder auch als Abgeordnete, oder wie auch immer –: Gibt es ein Konzept, das Sie persönlich gut finden würden, also wenn wir es hier im Parlament beschließen würden? Es wären diesbezüglich durchaus die Details interessant: Welche Quoren sollen das sein?

Ich glaube, dass die Quoren – um vielleicht auch kurz auf die Ausführungen der Kollegin Reiter einzugehen – doch auch eine maßgebliche Frage sind. Ein Punkt, warum das in Salzburg gescheitert ist, war durchaus auch die Frage: Ab wann sollen denn Abstimmungen verbindlich sein? In Salzburg geht es ja nicht um eine Volksbefragung, sondern um eine Abstimmung, die dann verbindlich ist, und da stellt sich schon die Frage, ob 10 Prozent – und davon dann 50 Prozent – als Minderheit über die Mehrheit verbindlich abstimmen können sollten.

Wir diskutieren hier jetzt eher in Richtung Volksbefragung, aber auch da stellt sich die Frage: Wie viele Menschen braucht es, um davon ausgehen zu können, dass ein Thema offensichtlich für eine Mehrheit der Bevölkerung wichtig ist – denn die sind nämlich alle von Gesetzen betroffen, die wir hier verabschieden? Was ist tatsächlich notwendig, um solche Dinge anzustoßen? – Ich glaube, wenn es ums Anstoßen geht, sollten die Quoren möglichst niedrig sein. Wenn es hingegen darum geht, verbindlich abzustimmen, sollte man sich überlegen, welche Quoren da sinnvoll sind.

Aber da würde mich jetzt interessieren – um es auf den Punkt zu bringen –: Gibt es Empfehlungen von irgendwelchen Seiten, wie wir die direkte Demokratie dann tatsächlich umsetzen können? Gibt es Vorschläge betreffend Quoren? Welche Dinge sollte man ausschließen? Welche sollte man mit hineinnehmen?

Ich glaube, es wäre auch schön, wenn wir diese Diskussion als Ausgangspunkt dafür nehmen würden, ein bisschen breiter zu diskutieren. Oft hört man ja die Kritik heraus, dass unser politisches System nicht funktioniere. Ich glaube aber doch, dass viele hier die repräsentative Demokratie als eine gute und wichtige Sache sehen, und ich teile nicht die Einschätzung, dass wir hier alle irgendwelchen Lobbys verpflichtet sind. Ich bin Abgeordneter einer Regierungspartei, ich nehme meinen Auftrag sehr ernst und sehe mich vor allem als Volksvertreter – und ich glaube, es ergeht allen anderen KollegInnen hier im Haus ebenso.

Bitte verbreiten Sie nicht immer dieses Bild, dass hier Leute nur Händchen heben und irgendwelchen Marionetten sind, die ausgeliefert sind. Wir sind selbständig denkende Menschen, Bürger wie Sie, die hier versuchen, einen guten Job zu machen. Und ich würde mich freuen, wenn wir da viele Inputs bekommen, heute und auch in Zukunft. (Beifall.)

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Marlen Ondrejka: Ja, es war heute die erste länderübergreifende Sitzung. Für diese Kommission würde ich mir wünschen, etwas Länderübergreifendes mitzunehmen beziehungsweise umzusetzen. Wir haben heute oft gehört: Es geht von unten aus, es geht vom Volk aus, freie Unterschriftensammlung. Das E-Voting ist heute sehr oft angesprochen worden – ich wäre auch sehr dafür –, das Thema mehr Volksabstimmungen in diversen Bereichen – Budget, Menschen und so weiter –, das Thema Vertrauensverlust. Da stellt sich für mich die Frage: Werden wir denn ernst genommen beziehungsweise wahrgenommen, wenn wir etwas vorschlagen beziehungsweise sagen?

Ich will mich jetzt eigentlich auch kurz halten. Das waren meine Worte zur heutigen Sitzung. Dem Sammelband habe ich entnommen – das sind nicht meine Worte, aber das will ich noch mitgeben –: Das Volk ist klüger, als manche denken. (Beifall.)

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Ass.-Prof. Dr. Klaus Poier (Fraktionsexperte): Ich möchte mich zuerst bei der Expertin und bei den Experten sehr herzlich für die vielen Inputs, die wir bekommen haben, bedanken. Es wurde heute schon mehrfach gesagt, es ist ganz wichtig, dass wir bei so weitreichenden Entscheidungen auch über den Tellerrand hinausblicken. Es wurde auch schon gesagt, dass man natürlich nichts eins zu eins kopieren kann. Es kommt immer auf die soziopolitischen Rahmenbedingungen einer Demokratie an, und wir müssen sehr ausgewogen überprüfen, was für uns passt und was nicht passt.

Ich möchte heute keine weiteren eigenen Argumente vorbringen, sondern nur zwei Fragen an die Experten und die Expertin stellen, und hoffe, dass jemand bereit ist, darauf einzugehen. 

Das Erste: Wir haben ja in Österreich den Vorschlag auf dem Tisch liegen, dass wir ein Volksbegehren mit einer Volksbefragung verknüpfen. Jetzt wird in der Diskussion immer wieder vorgebracht, es sei eigentlich unerheblich, ob es eine Volksbefragung oder eine Volksabstimmung ist, denn wenn es ein Ergebnis bei einer Volksbefragung gibt, dann traut sich eine Parlamentsmehrheit ohnedies nicht, sich darüber hinwegzusetzen. Ich würde gerne wissen, ob es hier Beispiele aus anderen Ländern gibt, beziehungsweise wie die Einschätzung der ExpertInnen ist hinsichtlich der Frage, ob es heutzutage überhaupt möglich ist, ein konsultatives Referendum in seiner eigentlichen Form durchzuführen, oder ob das nur anders heißt und ohnedies eine Abstimmung ist.

Jetzt gibt es in nicht so vielen Ländern konsultative Referenden – auch in Österreich haben wir auf Bundesebene erst ein einziges durchgeführt –, aber vielleicht kann man ein anderes Faktum hier als Referenz heranziehen, nämlich was die faktische Bestandskraft von direktdemokratisch erzeugten Gesetzen betrifft. Wenn ein Gesetz direktdemokratisch erzeugt wird und gilt, könnte sich eine Parlamentsmehrheit ja ein paar Monate später – wenn es keine Regel gibt, dass das nicht möglich ist – wieder darüber hinwegsetzen und einfach die alte Regel neu beschließen oder eine neue Regel, die dem nicht entspricht, erzeugen. Gibt es dazu Beispiele, wie die faktische Bestandskraft ist? Wirken solche direktdemokratisch erzeugten Gesetze sehr lange, oder werden sie wieder geändert?

Der zweite Fragenkomplex: Wir reden insbesondere über direkte Demokratie, aber das ist natürlich nur eine der Möglichkeiten, wie wir Partizipation stärken und ausbauen können. Wir haben letztes Mal intensiv etwa über sogenannte Bürgerräte diskutiert, die es jetzt in Vorarlberg gibt und die ein erfolgreiches Modell zu sein scheinen. Wir haben aber beim letzten Mal schon festgestellt, dass das wohl eher für die lokale und regionale Ebene geeignet ist.

Meine Frage an die Expertin und die Experten wäre: Kennen Sie aus anderen Ländern Beispiele, wie man jenseits dieser verrechtlichten direktdemokratischen Instrumente die Partizipation in einem Massenstaat verstärken kann? Gibt es da etwas, wovon wir vielleicht noch nie gehört haben und ein interessantes Modell wäre, das man auch auf Bundesebene in einem Staat implementieren könnte? (Beifall.)

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Abgeordneter Mag. Harald Stefan (FPÖ): Für mich war das heute eine sehr interessante Informationsveranstaltung, und da möchte ich gleich auf Sie, Frau Mag. Ruhsmann, eingehen. Ich habe es sehr interessant und gut gefunden, dass Sie uns hier die Frage gestellt haben: Sind Sie mit dem Verlauf bisher zufrieden?, weil mir und sicherlich auch allen anderen schon klar ist, dass hier in Wirklichkeit natürlich keine Diskussion untereinander stattfindet oder dass eine solche sehr schwer möglich ist. Denn: Jeder hat jetzt 5 Minuten Zeit für sein Thema, das er präsentieren will oder zu dem er Fragen stellen möchte, und in der Diskussion kommen noch einmal hundert Argumente, auf die man eingehen möchte. Es ist also wirklich sehr schwierig, das hier in diesem Rahmen zu tun.

Worin ich Ihnen aber völlig recht gebe: Wenn dann die Diskussion darüber beginnt, wie wir das, was wir hier alles hören, lernen und so weiter, auch umsetzen, dann sollten wir uns in einer anderen Konstellation zusammensetzen. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, in der Säulenhalle einen runden Tisch aufzubauen, die letzte Veranstaltung der Enquete-Kommission so abzuhalten, dass wir alle auf einer Ebene sitzen und dann dort diskutieren. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht, das müsste dann schon kommen. Jetzt ist es noch eine Art Informationsveranstaltung, aber dann müssten wir darüber hinaus kommen.

Zum Grundsätzlichen: Es ist ja immer ganz interessant, wenn hier gesagt wird, direkte Demokratie soll „von unten“ kommen. Das ist eigentlich schon eine sehr verräterische Ausdrucksweise, denn warum sollte die Bevölkerung, sollte das Volk in der Demokratie „unten“ stehen? Wenn der Souverän das Volk ist, dann ist es in Wirklichkeit die direkte Demokratie von oben, und nicht umgekehrt! – Allein diese Wortwahl zeigt schon, wie das in den Köpfen verankert ist.

Ich möchte aber jetzt nicht noch einmal diese Diskussion beginnen – ich hätte auch Hunderte Anliegen und Fragen. Ich hätte jetzt nur die Bitte, vielleicht noch zwei, drei Punkte zu vertiefen, die auch in unserer Diskussion hier in Österreich ganz wesentlich sind und gerade auch für die FPÖ immer besonders im Vordergrund stehen.

Das eine ist die Frage der Themeneinschränkung. Das ist ein wesentlicher Punkt, denn ich habe schon gehört, in den deutschen Bundesländern ist die Themeneinschränkung so massiv, dass man eigentlich über gar nichts mehr abstimmen kann – weil die Kompetenz an sich schon gering ist und es dann auch noch die Themeneinschränkung gibt. Da würde ich bitten, uns vor allem aus Schweizer Sicht, aber auch aus Sicht der anderen hier anwesenden Experten noch einmal etwas über diese Prüfungsmöglichkeit zu sagen.

Ich habe es so verstanden, dass das Parlament drei Faktoren prüft: Einheit der Form und des Inhalts und auch die Frage des Verstoßes gegen zwingendes Völkerrecht. Ich würde darum bitten, dass man vielleicht noch ein bisschen weiter erläutert, was das bedeutet und wie das funktioniert – das habe ich nicht ganz durchschaut –, weil bei uns ja auch immer diese Frage der Vorwegprüfung diskutiert wird: Wie werden dann die Themen eingeschränkt? Worüber dürfen wir überhaupt abstimmen?

Zweite Punkt: der Dialog – er ist auch schon angesprochen worden – zwischen den Initiatoren und dem Parlament. Da geht es erstens um die Frage: Wer zieht zurück?, und zweitens: Gibt es da Erkenntnisse darüber, ob es eine riesige Frustration der Unterstützer einer Initiative gibt, wenn dann die Initiatoren etwas zurückziehen und meinen, das sei eigentlich jetzt ohnedies vom Parlament umgesetzt? Da würde mich auch interessieren, wie sich das in der Praxis darstellt und wie das ausformuliert ist.

Als Drittes noch eine kurze Frage betreffend die Prüfung der Unterschriften: Ich habe jetzt mitgenommen, in der Schweiz wird einfach auf der Straße gesammelt. Wir haben ja da immer ein viel höheres Formerfordernis, weil wir sagen, wir wollen wissen, ob jemand in der Wählerevidenz steht und ob er auch wirklich unterschrieben hat. Das würde mich auch noch interessieren, wie das funktioniert: ob das geprüft wird, ob es auch irgendwelche Erkenntnisse darüber gibt, ob das missbraucht wird, und wie das weitergeht.

Damit bin ich mit meinen Fragen am Ende, obwohl es mich sehr interessieren würde, noch zu so vielen Punkten mehr zu erfahren. Aber wie gesagt, die Diskussion müssen wir dann natürlich ganz zum Schluss hier führen, und da bin ich sehr froh, wenn auch Sie als Bürger – wir sind alle Bürger, aber Sie als Bürger, die nicht im Parlament vertreten sind – mitdiskutieren und sich dann einbringen. Darauf freue ich mich schon, dass wir das wirklich in einer Runde machen, wo wir alle auf gleicher Ebene sitzen und in Ruhe diskutieren können. (Beifall.)

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Abgeordneter Dr. Peter Wittmann (SPÖ): Das waren viele interessante Anregungen. Einerseits finde ich die Anregung, den Diskussionsprozess zu verändern, sehr interessant. Für uns Abgeordnete ist es aber auch sehr wichtig, dass wir die Informationen erhalten, auf deren Grundlage wir dann letztendlich die Entscheidungen treffen können.

Aus den Vorträgen unserer Experten haben sich für mich einige Fragen ergeben. Die erste Frage richtet sich an Sie, Herr Professor Decker: Habe ich das richtig verstanden, dass Sie glauben, dass das System der Volksgesetzgebung, welches in Deutschland momentan auf Bundesebene sehr massiv diskutiert wird, etwas zu viel ist, um dann letztlich auch beschlossen zu werden, und dass man sich eher zurückzieht auf jene Möglichkeiten wie Volksabstimmung, Volksbegehren oder Volksbefragung, wie sie auch bei uns in der Bundesverfassung schon verankert sind? Oder liege ich mit dieser Annahme jetzt ganz falsch? Ich glaube nämlich, dass wir ein relativ gut funktionierendes System haben.

Die zweite Frage richtet sich an Sie, Herr Vospernik: Sie haben gesagt, dass laut Ihren Studien in mehreren Ländern auch die Regierungsparteien mit Volksabstimmungen Wahlen vorbereitet oder begleitet hätten, weil sie gewusst haben, dass sie über dieses Thema dann vielleicht eine Wahl gewinnen. – Ich halte das für eher bedenklich, Regierungsparteien dieses Instrument auch noch in die Hand zu geben. Ich bin zwar von einer Regierungspartei, aber dass man Wahlen vorbereitet über Volksabstimmungen, die dann verpflichtend sind für jemanden, der vielleicht jemand anderen wählt, halte ich für einen demokratiepolitisch höchst gefährlichen Ansatz.

Die dritte Frage ist – das richtet sich an Sie, Herr Kollege Gross –: Wenn man sich das kalifornische Modell ansieht, so hat es da, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Versicherungen gegeben, die bis zu 200 Millionen Dollar in die Kampagnisierung eines Gesetzestextes gesteckt haben. Bedeutet das nicht, dass wir jenen Kräften, die über genügend Geld verfügen, die Möglichkeit einräumen, sich Gesetzestexte zu bestellen? Ich halte das auch für einen durchaus sehr kritischen Ansatz, denn wenn ich dann genügend Geld in die Kampagnisierung stecke, kaufe ich mir Gesetzestexte. Ist das der Sinn und Zweck eines direktdemokratischen Ansatzes?

Ich halte diese drei Fragen für mich, für meine Entscheidungsfindung schon für sehr essenziell. Wenn dann die Möglichkeit gegeben ist, über Geld zu bestimmen, wie die Gesetze auszuschauen haben, über Geld zu bestimmen, wie der Staat auszusehen hat, wenn ich mir auch Verfassungsbestimmungen kaufen kann, halte ich das für einen äußerst schwierigen Ansatz. (Beifall.)

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Obfrau Präsidentin Doris Bures stellt fest, dass keine Wortmeldungen mehr vorliegen, und bedankt sich für die Beteiligung an der Diskussion. Sie schlägt vor, eine Runde mit Beiträgen vonseiten der Expertin und der Experten folgen zu lassen, und erteilt Herrn Gross das Wort.

Andreas Gross, lic.es.sc.pol. (Leiter des Ateliers Direkte Demokratie St-Ursanne, CH): Zur letzten Frage: Es stimmt, dass einige Male Lobbyisten das versucht haben, aber der Punkt ist, dass sie es nicht erreicht haben; denn Sie dürfen nicht davon ausgehen, dass die Bürger pawlowsche Hunde sind, die auf Geld reagieren. Das Geld hat meistens schon verloren. Wenn man Geld und Differenzen und Ergebnis analysiert, dann kommt man zu der Erkenntnis: In spezifischen Kontexten, Faktoren hat Geld mehr Chancen. Aber es gibt diese schönen, berühmtesten Beispiele, die zeigen, mit mehr Geld haben sie verloren.

Ich habe auch betont – und das ist der große Unterschied zur Schweiz, und ich teile diese Meinung –, Sie dürfen es nicht so machen wie in der Schweiz, wo nichts transparent ist. In Kalifornien ist es sehr transparent. Die Leute wissen, wenn jemand, wenn eine Lobby 200 Millionen investiert. Nicht zu vergessen ist aber auch, dass Senatorensitze in Kalifornien über 100 Millionen kosten. Man kann sich auch Parlamentssitze kaufen (Abg. Wittmann: In Österreich auch!); es ist übrigens einfacher, Parlamentssitze zu kaufen. – In der Schweiz auch, ich weiß schon.

Aber das Geld alleine kann sich nicht durchsetzen, denn – und das ist jetzt das Neueste in Kalifornien – der Staatssekretär ist verpflichtet, ständig auch im Internet die zehn größten Geldgeber anzuführen und diese Angaben immer wieder zu erneuern. Oft erschließt sich auch das eigene Interesse durch das Wissen um die verschiedenen Unterstützer. Die Qualität des Abstimmungsbüchleins in Kalifornien ist höher als in der Schweiz, weil die verschiedenen Sponsoren und die Geldgeber im Abstimmungsbüchlein drinnen sind. Wenn Sie auf der einen Seite immer alle Verbände der Industrie haben und auf der anderen Seite die Konsumentenschützer und die Naturschützer, dann müssen Sie über die Details des Gesetzes oft gar nicht so viel wissen. Sie können schauen, wem Sie eher vertrauen, und Sie ersetzen dann Kompetenz durch Vertrauen, wie das bei der repräsentativen Demokratie auch der Fall ist. Den Schutz vor dem Einfluss des Geldes erreicht man nicht mit einem Für oder Wider direkte Demokratie. Das Geld alleine kann sich oft nicht durchsetzen. In der Schweiz ist es sogar so, dass es einen schlechten Beigeschmack bekommt. Es ist eigentlich unschweizerisch, zu viel Geld zu investieren – wobei man nicht mehr weiß, ob da die Schweiz immer noch die Schweiz ist; das stimmt auch.

Zweiter Punkt: Ich würde vor Volksbefragungen warnen. Ein Blick in die Geschichte zeigt – das wurde von einem FPÖ-Abgeordneten gefragt –, dass in Skandinavien alle Abstimmungen eigentlich unverbindlich waren. Das heißt, formell hat das Parlament immer das Recht gehabt, mit dem Resultat zu machen, was es will, aber de facto hat sich kein Parlament an das gehalten, was beschlossen worden ist.

Der Punkt ist der: Die eigentliche Macht der Volksinitiative ist das Wissen, dass diejenigen entscheiden, die hingehen, und dass alle eingeladen sind, hinzugehen. Das ist das, was die Dynamik der Diskussionsqualität entfacht. Denn wenn man weiß, dass alle entscheiden, dann machen sich viel mehr Menschen die Mühe, andere zu überzeugen.

Es ist aber auch das Recht der Bürgerinnen und Bürger, nicht mitzuentscheiden. Aber wenn man von vornherein sagt, dass es unverbindlich ist, dann wird man erstens nie diese Diskussionsdynamik bekommen und zweitens wird man auch nie so viele Beteiligte bekommen wie dann, wenn alle wissen, dass diejenigen entscheiden, die hingehen.

Wenn ich es ganz offen sagen darf: Sie spielen da mit einem Instrument, das kaputtgeht, weil nur damit gespielt wird. Die Leute fühlen sich doch wieder nicht ernst genommen, weil sie eben wissen, dass man im Zweifelsfall im Parlament anders entscheiden kann, als im Volksentscheid entschieden wurde.

Deshalb sollte man nicht von Volksbefragung reden, sondern – wie in einer bestimmten Phase in Deutschland – vom Volksentscheid. Der Entscheid ist das Entscheidende! Dass wir das von vornherein aufgeben, heißt, dass wir den Kern des Punktes aufgeben. Das dient nicht der Demokratisierung der Demokratie! (Beifall.)

Der dritte Punkt betrifft das Thema Populismus. – In Österreich fällt das seit 30 Jahren auf.

Übrigens: Sie hätten auch noch einen Vertreter eines anderen Landes einladen sollen, nämlich Südtirol, denn in Südtirol gibt es jetzt schon eine 20-jährige Erfahrung im Zusammenhang mit dem Streit um die Volksgesetzgebung angesichts einer starken Regierungsmehrheit, die so etwas nicht möchte. Es wäre daher für Sie sehr interessant, sich das in Südtirol genauer anzusehen.

Zurück zum Thema Populismus: Im Zusammenhang mit Südtirol haben österreichische Experten immer mit der These gewarnt, die direkte Demokratie stärke den Populismus. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, auch gegenüber Professor Pelinka zum Beispiel, dessen Lieblingsthese das ist. Nämlich: Der Populist behauptet, zu wissen, was die Mehrheit denke, ohne dass er je den Beweis antreten muss, dass er recht hat, weil eben die Mehrheit nie direkt gefragt wird.

Ein Populist hat in der Schweiz viel weniger Chancen, etwas zu behaupten, weil er alle Vierteljahre den Beweis antreten müsste, er hätte recht, und diese Suggestion, zu wissen, im Namen der Mehrheit zu reden, ohne sie jemals liefern zu müssen, ist in der direkten Demokratie viel kleiner. Das heißt, je mehr die Bürgerinnen und Bürger wirklich entscheiden können, desto weniger hat der Populist mit seinem Diskursmodell die Chance, sich durchzusetzen. Das heißt, Partizipation ist das Gegengewicht zum Populismus und dem Populismus nicht förderlich. (Beifall.)

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Dr. Stefan Vospernik (Politikwissenschaftler, Wien): Ich muss sagen, ich kann Herrn Dr. Gross nur zustimmen. Auch ich sehe das sehr skeptisch, was man in Österreich jetzt plant, nämlich die nächste Frustration, was direkte Demokratie betrifft, schon automatisch einzuprogrammieren, indem man sagt, es werden für ein Volksbegehren Unterschriften im Ausmaß von 15 Prozent gesammelt. Das ist eine im europäischen Vergleich relativ hohe Hürde – ich glaube, die höchste gibt es zurzeit in Litauen mit 11,3 Prozent –, und dann findet nur eine Volksbefragung darüber statt.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder diese Festlegung, dass es nur eine Volksbefragung ist, ist totes Recht, und man befolgt das sowieso immer. Dann stellt sich die Frage, warum man nicht gleich von einem Volksentscheid spricht, weil das ja auch Werbung wäre und weil man damit den Bürgern auch zu verstehen geben würde, dass sie ernst genommen werden.

Die zweite Möglichkeit ist, dass man sagt: Wir halten uns das offen, damit wir vielleicht doch anders entscheiden können, wenn irgendetwas Problematisches herauskommt oder wenn es unklar ist oder wenn es sehr knapp ist! Dann stellt sich aber die Frage, was das Ganze soll, warum dann die Leute überhaupt abstimmen sollen.

Zu der Frage, die Professor Poier aufgeworfen hat, ob es in der vergleichenden Praxis einen Unterschied zwischen konsultativen und verbindlichen Referenden gibt, ist zu sagen, dass das von bestimmten Dingen abhängt. Es gibt Länder – das sind die älteren parlamentarischen Demokratien –, die das Prinzip der Parlamentssouveränität haben. In diesen Ländern ist es gar nicht möglich, dem Volk die Möglichkeit zu geben, das Parlament zu overrulen, weil das Parlament Souverän ist. Das geht noch auf den Gegensatz zur Krone zurück.

Das heißt, in Großbritannien, in Schweden und in Finnland gibt es nur konsultative Referenden. Das Ergebnis wird dann aber befolgt. Nur – da möchte ich Herrn Gross korrigieren –: Es ist schon so, dass das auch ausgenützt oder hintergangen werden kann. In Schweden hat es zum Beispiel einmal eine Volksabstimmung gegeben, wo es drei verschiedene Alternativen gegeben hat, und zwar über die Atomkraft. Und dann hat man gesagt: Das war eh nur eine Volksbefragung – und außerdem wissen wir nicht, wie die Mehrheit entschieden hätte!

Das heißt, da gibt es dann doch noch ein Hintertürchen – das ist das eine. Und das andere ist: Wenn nicht über ein Gesetz abgestimmt wird, sondern über eine allgemeine Frage, dann stellt sich die Frage: Wie wird das umgesetzt?

In Slowenien gab es in den neunziger Jahren ein ganz komisches Instrument der direkten Demokratie, wo man während des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses über einen Gesetzentwurf ein Referendum hat verlangen können und dann bestimmte Fragen zu diesem Gesetzentwurf hat stellen können. Und da war dann natürlich die Frage: Wie zwingt man denn die Parlamentarier dazu, gegen ihren eigenen Willen dieses Gesetz, das vom Volk angenommen worden ist, zu beschließen? Das hat in einem Fall zu einem sehr langen Tauziehen – vier Jahre lang zog sich das hin – geführt, als die Opposition an der Urne für das Mehrheitswahlrecht gestimmt hat und sich das Parlament geweigert hat, das zu machen. Und dann hat man die Verfassung ändern müssen. Wobei man dazusagen muss: Das war eine verbindliche Volksabstimmung, keine konsultative!

Bei der Quorenfrage, das muss ich sagen, bin ich hin und her gerissen, denn die Praxis in den osteuropäischen Staaten zeigt, dass es da Länder gibt, wo sich nur 10 bis 20 Prozent der Leute an einer Volksabstimmung beteiligen. Da stellt sich dann schon die Frage der Repräsentativität. Aber auf der anderen Seite, wenn man alles zusammen betrachtet, ist doch eine Abbildung der politischen Mehrheitsverhältnisse oder Kräfteverhältnisse gegeben.

Da möchte ich auch auf Folgendes hinweisen: Wir haben ja auch eine Volksbefragung gehabt, an der sich nur 50 Prozent der Leute beteiligt haben, was wesentlich weniger ist als bei der Nationalratswahl, und trotzdem entsprach das Kräfteverhältnis fast auf den Zehntelprozentpunkt den Parteiparolen. Das heißt, die Leute haben so abgestimmt, wie die Parteien aufgerufen haben, obwohl sich weniger an der Volksbefragung beteiligt haben.

Ich glaube, man sollte bei Quoren sehr vorsichtig sein, weil das eine Einladung dazu ist, dass die Gegner ein Boykottverhalten an den Tag legen. Das heißt: Lieber die Finger davon lassen! Man sollte sich eher überlegen, welche Themen man aussucht. Besser sind Themen, die wirklich viele Leute interessieren. Wenn zum Beispiel über ein Thema wie Rauchverbot oder über gesellschaftspolitische Themen oder über die Steuerreform abgestimmt wird, dann müssen wir uns, glaube ich, keine Sorgen beziehungsweise Gedanken darüber machen, wie viele Leute zu dieser Volksabstimmung gehen. In solchen Fällen erübrigt sich die Frage nach dem Quorum.

Ein letzter Punkt noch: Ich bin grundsätzlich dafür, dass man viel stärker auf das Instrument oder auf den Mechanismus des obligatorischen Referendums setzt. Warum? – Weil man auf diese Art und Weise direktdemokratische Prozesse entpolitisiert.

Wir sollten uns vielleicht als Konsequenz dieser Kommission zusammensetzen, um uns den Kopf darüber zu zerbrechen, wo es sinnvoll ist beziehungsweise welche Themen so wichtig sind, dass das Volk, der Souverän, darüber entscheiden soll. Und das schreiben wir dann in die Verfassung. Darüber hat jeweils, wenn man in diesen Themenfeldern etwas ändern will, das Volk zu entscheiden. Folgende Anmerkung möchte ich mir noch erlauben: Es ist schon interessant, dass der Vorschlag, dass man nur eine Volksbefragung vorsehen kann, auch damit begründet wird, dass es eine Gesamtänderung der Bundesverfassung wäre, wenn ein Volksbegehren automatisch zu einer Volksabstimmung führen würde, und dass wir dann darüber eine Volksabstimmung bräuchten. Das heißt: Wir reden hier darüber, dass wir die direkte Demokratie in Österreich stärken wollen, aber eine Volksabstimmung wollen wir vermeiden. (Beifall.)

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Prof. Dr. Florian Grotz (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg): Ich würde meinen beiden Vorrednern insofern zustimmen, als ich den konsultativen Charakter von Volksabstimmungen von ihrer politischen Verbindlichkeit her nicht als gesonderten Typ sehen würde, sondern die politische Verbindlichkeit ist da. Daher, Herr Kollege Öhlinger: Sich Themenbegrenzungen dadurch zu ersparen, würde ich aus politischer Sicht eher als problematisch begreifen, denn wenn ein Thema gesetzt ist und dann hinterher deutlich wird, dass man das nicht einlösen kann, dann ist das die größte Problematik.

Aufgefallen ist mir auch noch, dass in der gesamten Diskussion zwei Punkte eine Rolle spielten, nämlich: Warum wollen wir überhaupt über direkte Demokratie reden? Und: Warum will man direkte Demokratie einführen?

Der erste Aspekt ist Responsivität, also die Verantwortlichkeit der Abgeordneten zu erhöhen, und das erreicht man durch die Vorabwirkung von möglicher direkter Demokratie. Was Sie hier als Parlamentarier entscheiden, steht unter Umständen unter dem Referendumsvorbehalt.

Der zweite Aspekt ist viel häufiger genannt worden, das ist der Dialogcharakter. Dazu möchte ich noch etwas mit Blick auf die Unterschriftensammlung sagen. Viel war vom Dialogcharakter zwischen politischen Eliten oder Abgeordneten und dem Volk die Rede. Aber auch der Prozess der Unterschriftensammlung, etwa wenn sie offen gemacht wird, hat viel mit Dialogcharakter zu tun, nämlich zwischen den Bürgerinnen und Bürgern. Über die Einbindung durch den Dialog und das Abfragen und das Miteinanderreden entsteht auch eine Art von Inklusivität, die auch dem repräsentativen System guttut.

Letzter Punkt: Es gibt die erfolgreichen historischen Fälle – sage ich jetzt einmal – in der Schweiz und in den USA, wo sich die direkte Demokratie tatsächlich von unten, also von den Bürgerinnen und Bürgern her entwickelt hat und wo sich diese zugleich mit dem Regierungssystem mitentwickelt hat. Es gibt bislang aus meiner Sicht keinen erfolgreichen Fall, wo wir tatsächlich so umfassende Volksrechte haben und wo diese später in so ein komplexes föderalstaatliches Regierungssystem, wie wir es etwa in Deutschland oder eben auch in Österreich haben, eingebaut wurden.

Da sind zwei Punkte wichtig:

Das ist erstens die Vorabklärung von Zuständigkeiten. Wir sind in einem europäischen Mehr-Ebenen-System, und es würde keinen Sinn machen, irgendeine Befragung durchzuführen, wenn eben der nationale oder der regionale Gesetzgeber, also der Staatengesetzgeber, gar nicht zuständig ist.

Und die zweite Sache ist: Demokratie lebt nicht nur von der Inklusivität, sondern auch von der Entscheidungseffizienz. Dazu hat Herr Kollege Vospernik gesagt, dass man eben mit zusätzlichen Vetoinstitutionen, was eben auch ein fakultatives Referendum darstellt, in einem hochgradig gewaltenteiligen System, wie wir es zum Beispiel in Deutschland haben, vorsichtig sein muss, weil sich durch den Einbau von weitgehenden weiteren Institutionen auch das gesamte Gefüge ändert. Da wäre ich eher skeptisch. (Beifall.)

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Dr. Nadja Braun Binder, MBA (Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer): Angesichts der Kürze der Zeit werde ich mich auf drei „Wie-Fragen“ beschränken. Vorher möchte ich aber doch noch eine kurze Bemerkung in Richtung Best Practice oder Empfehlung machen, und zwar betreffend den Dialogcharakter.

Dialog, denke ich, setzt Dialogpartner voraus. Dialogpartner sind Partner auf gleicher Augenhöhe. Auf gleicher Augenhöhe sind die Dialogpartner immer dann, wenn sie die gleichen Möglichkeiten haben, sprich: wenn sie verbindliche Mitwirkungsmöglichkeiten haben. Ein Rückzug bringt dem Dialog nur dann etwas, wenn dieser Rückzug auch Wirkungen zeitigt. Wenn es letztlich nicht darauf ankommt, ob die Initianten das Begehren zurückziehen oder nicht, weil das Volksbegehren sowieso nur unverbindliche Wirkung hat, dann ist der Rückzug eigentlich auch hinfällig.

Nun zu den drei „Wie-Fragen“:

Erstens: Wie funktioniert der Rückzug in der Schweiz? – Das Initiativkomitee muss sich, bevor es eine Volksinitiative überhaupt zur Unterschriftensammlung bringen kann, registrieren. In der Schweiz ist das bei der Bundeskanzlei; das wäre in Österreich wahrscheinlich bei den Kollegen im Innenministerium. Es besteht aus mindestens sieben stimmberechtigten Schweizer Bürgerinnen oder Bürgern und maximal 27 Personen. Diese müssen sich verpflichten, von Anfang bis zum Schluss im Initiativkomitee zu bleiben.

Sie können sich nicht vorstellen, wie häufig ich in der Bundeskanzlei gefragt wurde, ob man denn aus diesem Initiativkomitee später auch wieder austreten könne. Wenn man nach etwa einem Jahr Unterschriftensammlung merkt, dass das Thema aneckt, dass es sehr kontrovers ist, dann möchte man sich vielleicht wieder zurückziehen. Das geht nicht. Wenn Sie im Initiativkomitee Mitglied sind, dann bleiben Sie dort bis zum Schluss.

Das ist wegen der Möglichkeit des Rückzugs der Initiative wichtig, damit die Regierung beziehungsweise das Parlament konstant einen Ansprechpartner durch das ganze Prozedere hindurch hat, das eben drei oder vier Jahre dauern kann, und genau diese sieben bis maximal 27 Mitglieder des Initiativkomitees können darüber entscheiden, ob sie die Initiative zurückziehen wollen oder nicht. Sie machen das mit Mehrheitsentscheid.

Spätestens kurz bevor der Bundesrat die Volksabstimmung ansetzt, werden diese Initiativkomitee-Mitglieder angeschrieben und erhalten die Aufforderung, sich persönlich dazu zu äußern, ob sie die Initiative zurückziehen wollen oder nicht.

Die zweite „Wie-Frage“ betrifft die Themeneinschränkung: Wie wird das geprüft? Wann wird das geprüft?

Die drei Ungültigkeitsgründe werden erst nach erfolgreicher Einreichung einer Volksinitiative vom Parlament überprüft. Man hat bei einer Volksinitiative 18 Monate Zeit für die Unterschriftensammlung, die vielleicht, wenn sie die drei Kriterien nicht erfüllt, später für ungültig erklärt wird. Das Ganze ist aber nicht so dramatisch, weil sich die Initianten im Vorfeld der Ausarbeitung des Initiativtextes sehr bewusst um diesen Text kümmern. Sie befassen sich mehrere Wochen und Monate lang intensiv mit einem Initiativtext. Dieser Text muss in der Schweiz auch ins Französische und Italienische übersetzt werden. Also die Initianten befassen sich Wort für Wort mit diesem Text und sind sich sehr wohl im Klaren darüber, wo die Grenzen sind, die zu einer Ungültigkeitserklärung führen würden. Aber wie gesagt: Rein vom Prozedere her, formell gesehen, passiert das erst nach erfolgreicher Einreichung der Volksinitiative.

Dritte „Wie-Frage“: Wie werden die Unterschriften geprüft, wenn man frei sammeln kann?

Die freie Unterschriftensammlung wird selbstverständlich nicht während der Leistung der Unterschrift geprüft, sondern später. Das Initiativkomitee ist verantwortlich dafür, dass die Unterschriftenlisten den Gemeinden zugestellt werden. Diese prüfen, ob eine Person in der jeweiligen Gemeinde tatsächlich stimmberechtigt ist und ob die stimmberechtigte Person in dieser Gemeinde nicht bereits einmal diese Volksinitiative unterzeichnet hat. Das ist die erste Stufe der Prüfung.

Es gibt dann noch eine zweite Stufe der Prüfung. Diese kommt zum Zug, nachdem die Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht worden sind. Dann ist die Bundeskanzlei verpflichtet, zu prüfen, ob die Gemeinde ihre Arbeit sorgfältig und korrekt erledigt hat, ob die beglaubigten Unterschriften tatsächlich korrekt beglaubigt worden sind.

Zweitens prüft die Bundeskanzlei, ob nicht Mehrfach-Unterzeichnungen über Kantonsgrenzen hinweg geleistet wurden. Das ist eine Schweizer Spezialität. Dieses Problem hat Sie, da Sie eine Wählerevidenz haben, nicht weiter zu kümmern. Aber da wir keinen zentralen Austausch der verschiedenen Stimmregister haben, muss diese Prüfung noch von zentraler Stelle durchgeführt werden. (Beifall.)

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Prof. em. Dr. Theo Schiller (Philipps-Universität Marburg): Ich möchte nur zu zwei Punkten etwas sagen. Zuerst einmal zur Frage konsultative Volksbefragung:

In Neuseeland wurde vor etwa 20 Jahren ein Initiativverfahren eingeführt, dessen Abstimmungsergebnis nur konsultativen Charakter hat. Das Ergebnis war, dass die ersten fünf Abstimmungen, die dort durchgeführt wurden, vom Parlament jeweils abgelehnt wurden. Man kann das also tun, man kann ablehnen – nur: Wenn das geschieht, wenn man das macht, dann hat man das Instrument getötet. Und das ist genau der Effekt in Neuseeland gewesen. Das heißt: Wenn man ein solches Instrument, konsultative Volksbefragung, einführt, haben Regierung und Parlamentsmehrheit eine große Verantwortung dafür, dass das Instrument überhaupt aufrechterhalten werden kann, ohne den Sinn für die Bürger verloren zu haben. Wenn dann ständig abgelehnt wird, ist das Instrument tot. Von daher gibt es eine erhebliche Verpflichtung, Entscheidungen auch zu akzeptieren – nicht hundertprozentig, aber doch in einem erheblichen Maße.

In den deutschen Ländern gibt es so etwas nicht, das habe ich schon gesagt. Keines der deutschen Bundesländer mit diesen verbindlichen Volksentscheiden ist als politisches System abgestürzt. Ich könnte Ihnen die Volksentscheide, die durchgeführt worden sind, vorführen, das will ich aber aus Zeitgründen nicht tun.

Ich komme zu meinem zweiten Punkt, nämlich dieser Dialogfrage. Wie ist die Interaktion zwischen den Initianten und den Repräsentanten des Landes, des Staates? Hierzu ist vielleicht die Information interessant, dass es bis Ende 2012 21  Volksentscheide in den deutschen Ländern durchgeführt wurden; 21 aus einer sehr viel größeren Zahl von Volksbegehren und so weiter und so fort. Von diesen hat die Mehrheit eine Mehrheit erreicht, eine Minderheit ist nicht durchgekommen. Themen könnte ich Ihnen nennen, interessant ist aber, glaube ich, der Punkt, dass es beinahe dieselbe Anzahl – nämlich 20 – Verfahrensergebnisse gab, die durch Übernahme der Forderung eines Volksbegehrens durch die Landtage und Regierungen erfolgt sind. Das heißt, dieses Verfahrenselement hat dieselbe Größenordnung und von daher dieselbe Bedeutung.

Ich nenne nur ein paar Themen, ohne die Länder zu nennen: Verkleinerung der Bürgerschaft – in Hamburg in dem Fall –, zweimal eine Wahlreform für mehr Beteiligung, Mindeststandards bei Kindergärten, Kita-Finanzierungsreform, bessere Familien- und Kinderpolitik in drei verschiedenen Bundesländern, gegen die Privatisierung von Wasserwerken, Verbesserung des kommunalen Bürgerentscheids sowie die angesprochene Volksinitiative, an die Landesregierung die Aufforderung zu richten, im Bundesrat eine Initiative für direkte Demokratie auf Bundesebene zu ergreifen. Diese ist ebenfalls durch Verhandlungen zustande gekommen.

Wie erfolgt der Rückzug? – Er erfolgt einfach dadurch, dass die Initiative nicht weitergeht, dass die Trägerinitiative den nächsten Schritt, den sie machen könnte – nämlich Volksentscheid –, nicht macht. Das geschieht natürlich nur, wenn ein politisches Ergebnis erzielt worden ist. Aber der Effekt ist doch beträchtlich.

Hinzu kommen dann noch Fälle, in denen Volksinitiativen, die noch nicht einmal zum Volksbegehren gekommen sind, ebenfalls zu Verhandlungsergebnissen geführt haben. Zum Beispiel wurde in Hamburg ein Transparenzgesetz – für Transparenz in Politik und Verwaltung – auf diesem Wege erreicht.

Letzte Bemerkung – es wurde ja nach einem politischen System gefragt, das eine wesentliche Stärkung erfahren hat; hierzu nenne ich jetzt nicht ein ausländisches Beispiel, sondern einen Fall aus Deutschland –: In Bayern wurde der kommunale Bürgerentscheid durch einen Volksentscheid auf Landesebene eingeführt, sonst wäre er nämlich nicht gekommen. Das war also ein erfolgreiches Volksbegehren, ein erfolgreicher Volksentscheid, und seither ist Bayern dasjenige Land in Deutschland, das die meiste Aktivität auf der kommunalen Ebene mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheid hat. Etwa 40 Prozent aller Bürgerbegehren auf kommunaler Ebene, die in Deutschland gestartet werden, werden in Bayern gestartet. Also von daher: durch Volksentscheid eine deutliche Stärkung der kommunalen Demokratie! Das ist, glaube ich, auch ein interessantes Ergebnis. (Beifall.)

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Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn): Ich bin mehrmals angesprochen worden, muss darauf jetzt aber leider auch im Telegrammstil antworten.

Fünf Bemerkungen:

Ich streite mich ja immer mit meinen Freunden von „Mehr Demokratie“ auch in den deutschen Parlamenten über die Volksgesetzgebung. Frau Nierth, Sie haben so ein bisschen den Eindruck erweckt, als ob wir in Deutschland jetzt kurz davor stehen, das auch auf Bundesebene einzuführen, als ob es jetzt nur noch um Fragen geht, wie die Quoren ausgestaltet werden, und so weiter. – Das ist nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass wir uns in Deutschland von der Möglichkeit, die Volksgesetzgebung auf Bundesebene einzuführen, eher entfernt haben. Also man muss da mit lieb gewonnenen Denkgewohnheiten brechen.

Deshalb halte ich auch nichts – das wäre die zweite Bemerkung – von der Volksbefragung. Herr Schiller hat gesagt, man kann das Instrument dann töten, wenn man sich nicht an das Ergebnis hält. Es kann aber natürlich auch ein gegenteiliger Effekt eintreten: Wenn man sich an das Ergebnis nicht hält, ruft man die Bestrebungen derer auf den Plan, die die Ergebnisse dann verbindlich machen wollen. Das heißt also, man hat im Grunde dann den Druck, die Volksgesetzgebung, die verbindlichen Volksentscheidungen, einzuführen.

Zur Frage des Bestandsschutzes, Frau Nierth, ich glaube, da haben Sie mich missverstanden; in der Stellungnahme habe ich das auch noch ein bisschen weiter ausgeführt: Ich glaube, dass es ein Irrtum ist, zu sagen, Volksbeschlossene Gesetze und parlamentsbeschlossene Gesetze seien gleichrangig. Das mögen sie de jure sein, politisch sind aber volksbeschlossene Gesetze schon deshalb höherwertig, mit einer höheren Legitimation versehen, weil sie sich ja nur auf als besonders wichtig empfundene Angelegenheiten beziehen. Das kann man übrigens in den USA sehr gut daran ablesen, dass volksbeschlossene Gesetze nicht dem Veto des Gouverneurs unterliegen. Jedes Parlamentsgesetz kann in den USA durch ein Veto des Gouverneurs beziehungsweise auf Bundesebene durch ein solches des Präsidenten kassiert werden. Für volksbeschlossene Gesetze gilt das nicht. Also wir haben dort eine Asymmetrie. Volksbeschlossene Gesetze werden zumindest in der deutschen Praxis auch sehr häufig gewissermaßen als Letztentscheidung eingesetzt, indem eben Parlamentsgesetze zu Fall gebracht werden.

Eine gute Antwort auf dieses Problem des Bestandsschutzes hat die Hamburger Verfassung gefunden. Dort ist es nämlich so, wenn das Parlament ein volksbeschlossenes Gesetz ändert, dann unterliegt dieses Änderungsgesetz einer erleichterten Vetoinitiative, also dem fakultativen Referendum. Das kann durchaus sinnvoll sein. Die Schleswig-Holsteiner haben zum Beispiel mit einer Volksabstimmung beschlossen, dass sie sich aus der gemeinsamen deutschen Rechtschreibung ausklinken. Im hohen Norden sollte dann anders geschrieben werden als im Rest der Republik. Der Landtag hat das 14 Tage später einfach kassiert, und das war sicherlich vernünftig.

Dritter Hinweis: Es ist ganz zentral – aus meiner Sicht –, Folgendes deutlich zu machen: Zwischen Landesebene und Bundesebene besteht ein immenser Unterschied. Es spricht nichts dagegen, direktdemokratische Verfahren auf kommunaler und auf Landesebene einzuführen, sie dort auch praktizierbar zu machen, aber daraus zu schließen – wie es die Befürworter tun –, dass man dann gerade dort, wo die wichtigen Entscheidungen, die Entscheidungen auch für den Ernstfall, getroffen werden, nämlich auf Bundesebene, dasselbe tun müsse, das halte ich für einen Fehlschluss.

Auch in diesem Zusammenhang ist das Beispiel der USA sehr interessant. In den USA – Herr Gross hat es ja ausgeführt – gibt es in vielen Bundesstaaten eine sehr lebhafte Verfassungspraxis direkter Demokratie, aber es gibt noch nicht einmal in Ansätzen eine Debatte darüber, plebiszitäre Verfahren auf Bundesebene einzuführen. Ich glaube, das sollte das Vorbild für Deutschland und eben auch für Österreich sein.

Praktische Anwendung – das hat Herr Bußjäger gefragt –: Auf Länderebene gibt es eine weitgehende Konzentration auf drei Länder: Hamburg, Berlin – nicht zufällig sind das Stadtstaaten, also die örtlichen Angelegenheiten spielen da eben auch eine große Rolle, Infrastrukturvorhaben und dergleichen – und Bayern. Ich will kurz etwas zu Bayern sagen, weil das auch jemand angesprochen hat. In Bayern haben wir im Grunde auch einen Stabilisierungseffekt der CSU-Herrschaft durch die Möglichkeit, der CSU im Wege von Volksbegehren auch ab und zu eine Niederlage beizubringen. Das ist mit Blick auf die Funktionsweise des parlamentarischen Systems durchaus problematisch.

In Hamburg – wenn meine eigenen Beobachtungen richtig sind – erleben wir, wie sich das Regierungssystem langsam nach Schweizer Vorbild konsensuell umgestaltet. Das heißt, die Regierenden in Hamburg müssen immer auf dem Schirm haben, sie können nicht mehr mit ihrer Mehrheit durchregieren, sondern es erhebt sich möglicherweise eine Volksinitiative. Für die neue Regierung wird zum Beispiel das Thema Verkehr, Verkehrspolitik eine Rolle spielen. Die Grünen, die jetzt wahrscheinlich in die Regierung kommen, fordern eine Stadtbahn, aber es gibt gegen diese Stadtbahn schon eine Initiative, und das wird man dort vorab zu berücksichtigen haben.

Die letzte Frage, die ich noch kurz aufgreifen will, ist jene von Klaus Poier nach weiteren Elementen der Partizipation, die die Legitimation des politischen Systems stärken kann. Es wird vieles vorgeschlagen, ein Stichwort ist auch genannt worden: Bürgerhaushalte. Das Problem bei all diesen für sich genommen durchaus sinnvollen Verfahren ist, dass sie hochgradig selektiv wahrgenommen werden, und zwar von den besser Gebildeten und durchaus auch von den besser Verdienenden. Also wir haben hier einen Bias, eine Schlagseite. Das muss man berücksichtigen. Wir haben dieses Problem heute auch schon bei der Wahlbeteiligung.

Ich würde – und das wäre auch mein letzter Hinweis – auf eine Stärkung der Parteiendemokratie setzen. Wir brauchen mehr direktdemokratische Verfahren in den Parteien selbst, wir brauchen stärkere Elemente der Personalisierung bei der Kandidatenaufstellung. Ich glaube, weil es in Österreich immer noch sehr starke Parteien gibt, gibt es da auch ganz gute Anknüpfungspunkte. Es gibt kein besseres Prinzip der politischen Partizipation als die politischen Parteien. Die müsste man im Grunde stärken, durchaus auch mit Druck. Die Parteien haben ja eine gewisse Closed-Shop-Mentalität, und die muss man natürlich dann aufbrechen. Aber das scheint mir der bessere Weg zu sein, als beim Wahlrecht oder als bei den direktdemokratischen Verfahren anzusetzen. (Beifall.)

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Obfrau Präsidentin Doris Bures bedankt sich recht herzlich für die Ausführungen und Beiträge der Expertinnen und Experten sowie bei allen, die einen Input für diese so wesentliche Diskussion geliefert haben.

Mit dem Hinweis darauf, dass die nächste Sitzung der Enquete-Kommission, die sich mit dem Themenfeld „Meinungsbild der organisierten Zivilgesellschaft“ auseinandersetzen wird, am 11. März, 10 Uhr, stattfinden wird, erklärt sie die Sitzung für geschlossen.

Schluss der Sitzung: 14.14 Uhr