381/KOMM XXV. GP

 

Kommuniqué

des Unterausschusses des Unterrichtsausschusses

Veröffentlichung der auszugsweisen Darstellung der 4. Sitzung des Unterausschusses des Unterrichtsausschusses am 15. März 2017 (2/A-UN)

 

Der Unterausschuss des Unterrichtsausschusses hat in seiner 4. Sitzung am 15. März 2017 einstimmig beschlossen, die in der Beilage enthaltene auszugsweise Darstellung der Sitzung gemäß § 39 des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates als Kommuniqué im Internetangebot des Parlaments zu veröffentlichen.

Wien, 2017 03 15

                             Mag. Helene Jarmer                                                      Dr. Walter Rosenkranz

                                    Schriftführerin                                                                            Obmann


 

 

Parlament Österreich

 

 

 

Unterausschuss des Unterrichtsausschusses

 

 

titelbild

 

4. Sitzung

Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

Mittwoch, 15. März 2017

10.10 Uhr – 14.05 Uhr

 

 

Lokal VI


 

Unterausschuss des Unterrichtsausschusses

Zur Vorbehandlung
der Bürgerinitiative (2/BI) betreffend "Finanzielle Gleichstellung der Schulen in freier Trägerschaft mit den konfessionellen Privatschulen. GLEICHHEIT FÜR ALLE SCHULKINDER!",

der Bürgerinitiative (3/BI) betreffend "'Wir wollen mitbestimmen' - Bürgerinitiative für mehr SchülerInnenmitbestimmung und Schuldemokratie",

der Bürgerinitiative (4/BI) betreffend "Demokratie macht Schule - MEINE MEINUNG ist nicht wuascht!",

der Bürgerinitiative (11/BI) betreffend "Direktwahl der Landes- und Bundesschülervertretung durch die OberstufenschülerInnen der österreichischen AHS, BMHS und BS",

der Bürgerinitiative (13/BI) betreffend "Barrierefreiheit als Pflichtfach",

der Bürgerinitiative (19/BI) betreffend "Einführung eines eigenständigen Unterrichtsfaches "Politische Bildung" an allen Schulen ab der 7. Schulstufe (3. Hauptschule, Neue Mittelschule oder Gymnasium)",

der Bürgerinitiative (26/BI) betreffend "Änderung des Bundesverfassungsgesetzes und Bundesrahmengesetz zur Struktur und Organisationsgestaltung für elementar­pädagogische Einrichtungen und Horte",

des Antrages 136/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend flexible Schuleingangsphase,

des Antrages 223/A(E) der Abgeordneten Dr. Walter Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen betreffend "Unsere Kinder sind keine Versuchskaninchen - die Neue Mittelschule muss gestoppt werden!",

des Antrages 324/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung von Schulombudsstellen für SchülerInnen und Eltern,

des Antrages 370/A(E) der Abgeordneten Dr. Walter Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einrichtung weisungsfreier Ombudsstellen für Schüler und deren Eltern,

des Antrages 379/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Matthias Strolz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Umsetzung der Vorschläge des Rechnungshofes zur Verwaltungsreform,

des Antrages 380/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Matthias Strolz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Reform der Schulverwaltung,

des Antrages 421/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft,

des Antrages 423/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend neue Ferienordnung,

des Antrages 424/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Durchsetzung der Änderung der Landeslehrer-Controllingverordnung,

des Antrages 427/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend indexbasierte Mittelzuwendung für Schulen zur individuellen Förderung,

des Antrages 441/A(E) der Abgeordneten Dr. Walter Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Redimensionierung des Bundesinstituts für Bildungsforschung und Entwicklung des österreichischen Schulwesens (BIFIE),

des Antrages 482/A(E) der Abgeordneten Dr. Walter Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abschaffung der vorwissenschaftlichen Arbeit (VWA),

des Antrages 515/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Matthias Strolz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Qualitätssteigerung des Schulwesens durch objektive Auswahlverfahren für Schulleiter_innen sowie Förderung der Schulleiter_innenausbildung,

des Antrages 518/A(E) der Abgeordneten Dr. Walter Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einführung einer verpflichtenden Sprachstandserhebung vor Eintritt in die Primarschule bei Kindern mit Migrationshintergrund,

des Antrages 523/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Matthias Strolz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Übernahme der Kosten für das Lehrpersonal an nichtkonfessionellen Schulen in freier Trägerschaft,

des Antrages 466/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einführung eines eigenständigen Pflichtfaches Politische Bildung,

der Bürgerinitiative (45/BI) betreffend "Handy- und Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen",

des Antrages 559/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Matthias Strolz, Kolleginnen und Kollegen betreffend muttersprachlicher Unterricht als Wahlpflichtfach,

des Antrages 905/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Förderung für Schülerzeitungen,

des Berichtes (III-173 d.B.) des Qualitätssicherungsrates für Pädagoginnen- und Pädagogenbildung (Berichtszeitraum 2014) vorgelegt von der Bundesministerin für Bildung und Frauen sowie dem Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft,

des Antrages 1221/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Herbstferien für alle - pädagogisch sinnvolle Erholungsphasen schaffen,

des Antrages 1215/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und Einführung der Inklusion in der Schule,

des Antrages 1168/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Matthias Strolz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Förderung der Kooperationsfähigkeit im System Schule,

des Antrages 892/A(E) der Abgeordneten Ing. Robert Lugar, Kolleginnen und Kollegen betreffend "Erstellung einer Studie zur Lehrergesundheit",

des Antrages 886/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend verpflichtender gemeinsamer Ethik- und Religionenunterricht,

des Antrages 927/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Matthias Strolz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einführung des Unterrichtsfachs "Ethik und Religionen",

des Antrages 1849/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Hauser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Anhebung der SPF-Quote und Erhaltung der Wahlfreiheit,

des Antrages 1850/A(E) der Abgeordneten Mag. Gerald Hauser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Berechtigung sonderpädagogischer Schulen, VS- bzw. NMS-Zeugnisse auszustellen,

des Antrages 1502/A(E) der Abgeordneten Ing. Robert Lugar, Kolleginnen und Kollegen betreffend "Wahlfreiheit zwischen Sonderschulen und integrativen Maß­nahmen",

der Bürgerinitiative (102/BI) betreffend "Wahlfreiheit braucht Wahlmöglichkeit! Die Errichtung von Modellregionen ohne das Angebot von Sonderschulen oder Sonderschulklassen darf nicht so weit reichen, dass das Recht der Betroffenen auf Wahlfreiheit beschnitten wird",

des Antrages 1903/A(E) der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen betreffend einen Chancenindex für Schulen,

der Bürgerinitiative (60/BI) betreffend "Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder" und

des Antrages 1915/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Matthias Strolz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Standortkonzepte für Integrationsmaßnahmen

 

 

 

Beratung über folgende Themen:

Bürgerinitiative (60/BI) betreffend "Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder"

Bürgerinitiative (102/BI) betreffend "Wahlfreiheit braucht Wahlmöglichkeit! Die Errichtung von Modellregionen ohne das Angebot von Sonderschulen oder Sonderschulklassen darf nicht so weit reichen, dass das Recht der Betroffenen auf Wahlfreiheit beschnitten wird"

 

Beginn der Sitzung: 10.10 Uhr

Obmann Dr. Walter Rosenkranz eröffnet die 4. Sitzung des Unterausschusses des Unterrichtsausschusses und begrüßt alle Anwesenden.

 

Folgende Expertinnen und Experten sind zu dieser Sitzung geladen:

Sektionschef Ing. Mag. Andreas Thaller (Bundesministerium für Bildung)

Peter P. Hopfinger (Diabetes Austria)

Dr. Lilly Damm (Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien)

Eva Bernat, BEd (Pädagogische Hochschule Graz)

Mag. Romana Deckenbacher (Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer)

Elsa Perneczky (Österreichische Diabetikervereinigung)

Mag. Angela Sandor, MAS

Dominik Formanek (SHG Rheumalis)

Professor Ernst Smole (Internationales Forum für Kunst, Bildung und Wissenschaft)

Ilse Schmid (Steirischer Landesverband der Elternvereine an Schulen für Schulpflichtige)

Mag. DI Dr. Valentino Hribernig-Körber (Vertreter der Bürgerinitiative 102/BI)

Landesschulinspektorin Mag. Dr. Dagmar Zöhrer (Landesschulrat für Kärnten)

Landesschulinspektorin Dr. Heidemarie Blaimschein (Landesschulrat für Oberösterreich)

Dr. Andreas Piber

Michael Kirisits

Dr. Clemens Rauhs (Elternverein Hans Radl Schule)

*****

Der Obmann teilt mit, dass jede Bürgerinitiative jeweils 90 Minuten behandelt werde und für die Debatte eine Redeordnung festgelegt worden sei; er ersucht angesichts des straffen Zeitplans um Disziplin hinsichtlich der Dauer der Beiträge.

Der Obmann lässt sowohl über die Aufhebung der Vertraulichkeit für diese Sitzung des Unterausschusses als auch über die Beiziehung der geladenen Expertinnen und Experten abstimmen, was jeweils einstimmig angenommen wird.

Anschließend bittet er die Vertreter der Bürgerinitiative 60/BI um ihre Beiträge.

*****

Bürgerinitiative (60/BI) betreffend „Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder“

Peter P. Hopfinger (Diabetes Austria): Einen wunderschönen guten Morgen, meine Damen und Herren! Vielen Dank, dass wir hier heute Gelegenheit haben, die Anliegen von 190 000 chronisch kranken Kindern in Österreich zu vertreten. Es ist ein langer Weg: Wir haben vor vier Jahren mit dieser Initiative begonnen, es hat sich leider noch immer nicht viel getan. Wir werden später von Frau Dr. Damm hören, worum es eigentlich genau geht.

Wir haben es für Sie in einer wunderschönen 1- bis 2-Blatt-Präsentation ein bisschen zusammengefasst; wir haben eine Umfrage übers Internet gemacht und haben 52 Einzelfälle gehört und berichtet bekommen, in denen es in Kindergärten oder Schulen tragisch zugeht.

Ich darf noch ausführen, dass es um 190 000 chronisch kranke Kinder geht, die in Schulen und Kindergärten potenziell nicht gleichbehandelt werden. Es geht aber auch um deren Eltern, also diese Zahl mal zwei – es kommen mindestens noch die Eltern oder Großeltern dazu –, dann sind wir schon bei einer halben Million Menschen, und last, but not least geht es auch um 115 000 Lehrer in Schulen und Pädagogen in Kindergärten, die eine Rechtsunsicherheit erfahren müssen, die nicht notwendig ist, weil alles das, was wir hier fordern, ohne lästigen Aufwand gesetzlich geregelt werden kann.

Das Problem ist: Das eine Ministerium schiebt den Ball immer zum jeweils anderen, im Konkreten geht es um das Unterrichtsministerium und das Gesundheitsministerium. Da wird der Ball immer hin- und hergeschupft und passieren tut – auf dem Rücken der Kinder – nichts.

Ich übergebe schon an Frau Dr. Damm, denn sie ist die Fachfrau von Public Health und kann Ihnen die Details sicher noch viel genauer erklären als ich. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Dr. Lilly Damm (Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien): Ich danke vielmals, dass dieses Thema hier heute unser gemeinsames Thema wird, und ich hoffe, dass es das auch bleibt. Ich bin die Wissenschaftlerin, die zu diesem Thema seit über zehn Jahren forscht und arbeitet und kann Ihnen einige Eckpunkte zum Verständnis der Lage mitgeben.

Es handelt sich, wie Herr Hopfinger gesagt hat, um eine hohe Anzahl. Die Zahl 190 000 ist konservativ geschätzt, es sind mit Sicherheit mehr, aber als Wissenschaftlerin gehe ich nicht von der höheren Zahl aus, sondern runde ab. Ich kann Ihnen sagen, dass es an jeder Schule Kinder mit chronischen Erkrankungen gibt und in jeder Klasse – zumindest statistisch gesehen – ein bis drei solche Kinder drinnen sind. Das ist also kein Ausnahmephänomen, sondern das ist die Regel.

Diese Erkrankungen sind ärztlich diagnostizierte und ärztlich behandelte Erkrankungen, die deshalb jetzt auch vermehrt Thema sind, weil die Medizin sich so entwickelt hat und auch viele Möglichkeiten gefunden hat, diese Kinder groß werden zu lassen und so gut zu behandeln, dass sie die Schule überhaupt besuchen können; dennoch muss man sagen, das Problem nimmt zu. (Die Rednerin unterstützt ihre Ausführungen in der Folge durch eine PowerPoint-Präsentation.)

Ich darf Ihnen die Zahlen präsentieren: In der linken Grafik sind die österreichischen Zahlen dargestellt. Im Rahmen der sogenannten HBSC-Studie, die auch in der Unterlage von Herrn Hopfinger zitiert wird – die einzige Studie, die wir für Österreich betreffend diese Fragestellung haben –, wurden 11-, 13-,15- und 17-jährige Jugendliche befragt und gaben die Antwort, dass sie eine ärztlich diagnostizierte Erkrankung haben. Sie sehen diese vier Säulen der vier Altersstufen, und Sie sehen auch, dass es zunimmt. In der rechten Grafik sehen Sie, dass sich diese Zahlen mit den internationalen Zahlen decken, sodass wir also sagen können, im Volksschulbereich sind es etwas weniger und sie werden dann etwas später auch noch vermehrt diagnostiziert.

Es soll Sie nicht schrecken, aber was Sie alle sehen, ist, dass die Kurve steigt, die Kurve betreffend die diabetischen insulinpflichtigen Kinder, die einen für uns Wissenschaftler unerklärlichen Anstieg bereits im Vorschulalter zeigt. Diese Kinder werden mehr. Wir haben derzeit 1 500 Insulinpflichtige an unseren Schulen, und es kommen jedes Jahr 300 Kinder dazu, die vor Schulbeginn manifestieren. Das heißt, es wird ein Thema, und ich kann Ihnen sagen, auch die anderen Erkrankungen nehmen zu, weil die medizinische Versorgung besser ist oder weil die Krankheiten wirklich auch zunehmen.

Mir war es wichtig, Ihnen heute die Perspektive des Kindes hereinzuholen; Sie erleben die Kinder nicht persönlich hier, aber doch, was es für sie heißt. Die Kinder haben eine Art Rucksack mit ihrer Krankheit. Diesen Rucksack können sie nicht in der Garderobe ablegen, sondern den haben sie 24 Stunden, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr auf ihrem Rücken und können nicht einmal darauf vergessen, dass es dieses Problem in ihrem Leben gibt.

Die Erkrankung bedeutet für die Kinder, dass sie natürlich Medikamente bekommen, dass diese Medikamente Nebenwirkungen haben. Wenn wir von Schulen sprechen, dann ist zum Beispiel gerade die Konzentrationsfähigkeit ein sehr relevanter Faktor, der diese Kinder beeinträchtigt, weil Medikamente Nebenwirkungen haben, die die Merkfähigkeit, die Konzentration reduzieren.

Der nächste Punkt: Diese Kinder haben nicht die Perspektive, dass sie wieder ganz gesund sind, sondern dass ihre Erkrankung unter Umständen sogar selbstständig fortschreitet, ohne dass man das wirklich beeinflussen kann. Vergessen Sie nicht, was das heißt! Das ist ähnlich einer unheilbaren Krebserkrankung; sie führt nicht so schnell zum Tod, aber sie ist möglicherweise unheilbar. Ein insulinpflichtiges Kind bleibt immer, ein Leben lang, insulinpflichtig, will ich damit sagen. Es ist auch irgendwie aussichtslos, dagegen zu protestieren, denn das ist so. Diese Kinder haben überhaupt keine Perspektive auf Änderung, was diese Erkrankung betrifft; auf Therapieänderungen schon, aber nicht auf Heilung. Diese Kinder sind abhängig von ihren Ärzten, von den Medikamenten, von ihrem Umfeld, das mit dieser Erkrankung gut umgeht.

Alle Eltern, die chronisch kranke Kinder haben, machen sich Sorgen, wie dieses Kind zurechtkommen wird, wenn es erwachsen ist, wie es mit seiner Ausbildung, mit der Berufswahl umgehen wird.

Es gibt Vorurteile. Ich habe zum Beispiel ganz oft in den sozialen Medien gelesen: Was, die kleinen Kinder haben schon Diabetes? Die sollen weniger Zucker essen! – Man weiß nicht, dass es insulinpflichtige diabetische Kinder sind, also Kinder, die eine immunologisch bedingte Erkrankung haben, wo kein Insulin produziert werden kann. Das hat mit dem Essen gar nichts zu tun. Wir wissen nicht einmal, warum das so ist, aber es gibt ein großes Unwissen. Auch in Lehrerkreisen habe ich oft gehört, dass Diabetes Typ 1 und 2 nicht auseinandergehalten wird, weil das einfach auch vermehrt besprochen wird: Typ-2-Diabetiker mit Übergewicht und Bewegungsmangel und so weiter. Und dann gibt es natürlich auch die Erfahrung dieser Kinder, dass sie in der Schulklasse gehänselt werden, dass sie Außenseiter sind, dass auch vom Lehrer – man glaubt es nicht – wirklich so etwas wie: Mein Gott, der ist so mühsam, der hat immer Probleme, und immer muss ich was extra machen!, kommt. Diese Haltung – du bist eigentlich nicht okay, so wie du bist –, die kommt beim Kind an. Diese Mühsamkeit des Alltags, die der Lehrer zweifellos hat, überträgt sich, und das Kind hat das Gefühl: Ich bin nicht in Ordnung mit meiner Krankheit. – Das ist jetzt das ganz große Problem.

Es kommt zur Stigmatisierung. Die Probleme, die die Kinder haben, sind durchwegs die – auch auf dem Zettel, den Ihnen Herr Hopfinger auf den Tisch gelegt hat –, die die Eltern auf der Website melden. Die Kinder werden oft aktiv daran gehindert, dass sie ihre Krankheit managen. Das heißt, es werden Pausen gestrichen, die notwendig sind, damit das Kind geschwind zwischendurch Zucker messen kann; es wird vor dem Turnen nicht darauf geachtet, ob ein diabetisches Kind überhaupt den richtigen Zuckerwert für das Turnen hat; der Turnlehrer weiß nicht, dass Aufwärmübungen für Asthmakinder nicht gut sind.

Das sind vielfältige Details, die sich im pädagogischen Alltag sehr ungünstig auswirken, sodass die Kinder ihre Krankheit nicht gut managen. Sie brauchen momentan noch gar niemanden dafür, aber sie brauchen Zeit, und diese haben sie oft nicht. Es kommt zu einer Verschlechterung ihrer Messwerte, oft dramatisch schlechte Messwerte, die sich auf ihre Gesundheit wirklich nachteilig auswirken. Als Ärztin kann ich Ihnen sagen, dass schlechte Zuckerwerte über einen längeren Zeitraum zu Blindheit, zu Nierenversagen, Herzinfarkt, Schlaganfall, Durchblutungsstörungen führen. All diese Gefahren werden unter Umständen vermehrt, wenn das Kind die Einstellung, auf die es gut eingeschult ist, nicht durchführen kann, weil es im Schulalltag einfach nicht die entsprechenden Rahmenbedingungen hat. Die Kinder haben, wie wir aus Studien wissen, leider schlechtere Noten, als es ihrer eigentlichen intelligenten Begabung entspricht.

Die soziale Ausgrenzung haben wir besprochen. Dieses Selbstbewusstsein – ich bin zwar etwas Besonderes, aber ich bin ein Problem in der Gesellschaft – wirkt sich mit Sicherheit schwer nachteilig aus. Und das ist eigentlich auch genau das, was die Eltern berichten.

Ich ersuche Sie, den Zettel mit den grünen Grafiken noch einmal zur Hand zu nehmen – vorne sehen Sie grüne Balken –: Eine Soziologiestudentin hat sich die Arbeit gemacht, alle Einträge auszuwerten, zu kategorisieren, und sie hat diese Hauptprobleme dann auch benannt und gesagt, dass zum Beispiel die aktive Verweigerung von Hilfe – nein, das mache ich nicht, weil ... – eines der Hauptprobleme ist. Dann folgt die Diskriminierung, die wirklich spürbare Benachteiligung im Alltag: Du darfst nicht mit auf Wandertag, weil ..., du darfst nicht mit auf Skikurs, weil ..., wir können das jetzt nicht machen, weil ... – Das spüren die Kinder.

Keine Rücksichtnahme ist ebenfalls ein wirklich wichtiger Punkt. Ich als Wissenschaftlerin würde meinen, dass es im Großen und Ganzen um Informationsdefizite geht. Es muss an der Schule darüber geredet werden. Es muss festgestellt werden, was das Kind hat, was es braucht und woher die Schule die Unterstützung bekommt, die sie für den Unterricht dieser Kinder braucht. Die Kommunikation ist leider nicht so, wie wir sie uns wünschen. Zum Beispiel wissen nur die Hälfte der Lehrer – das ist bei einer Studie herausgekommen –, dass sie ein diabetisches Kind in der Klasse haben.

Erste Hilfe ist das nächste große Problem. Nur die Hälfte der Lehrer haben Erste-Hilfe-Kenntnisse, die dem Jetztstand entsprechen und auch wirklich zeitgemäß sind. Lehrer haben in ihrer Ausbildung verpflichtend Erste-Hilfe-Kurse, aber keine Auffrischungen. Ich halte das für ein ernstes Problem für die gesamte Schule, denn es gibt ja dort nicht nur chronisch kranke Kinder, sondern auch andere: Lehrkräfte, Schulwarte, Putzfrauen, Köchinnen und ich weiß nicht wen. Am Schulstandort viele Leute mit aktuellen Erste-Hilfe-Kenntnissen zu haben, ist wirklich ein Vorteil für alle.

Die Kommunikation funktioniert leider nicht gut. Die Schulärzte, wie es oft in Diskussionen genannt wird, sind leider Gottes nicht die Auskunftspersonen, die das weitergeben, die das Disease Management am Schulstandort machen. Da muss es sich dramatisch ändern, nämlich dass diese Gesundheitsberufe – die wir ja haben, wir haben Schulärzte – diese Aufgabe ganz bewusst in ihren Dienstverträgen zugeteilt bekommen, dass sie die Zeit bekommen und auch das notwendige Geld, dass sie an der Schule mit den Lehrern darüber reden, was diese Kinder brauchen.

Ich darf Sie bei dieser Gelegenheit bitten, sich jederzeit an mich zu wenden, falls Sie Fakten, Daten, Studienzahlen oder sonst etwas brauchen. Zu jeder Zeit sind Sie willkommen!

Die Eltern in meiner Studie wünschen sich Lehrer, die sich auskennen, die aber auch bereit sind, die Probleme wahrzunehmen und damit umzugehen, und vor allem wünschen sie sich Lehrer, die die Kinder wirklich ernst nehmen und regelmäßig mit den Eltern Kontakt halten. Wenn Sie das mit den Meldungen vergleichen, die die Bürgerinitiative hereinbekommen hat, dann sehen Sie, die Eltern wünschen sich, dass der Kontakt für die Lehrer verpflichtend ist, sodass Lehrer nicht sagen können: Da habe ich keine Zeit!, oder: Ich will nicht!, sondern dass der Austausch über die Kinder im Sinne der Kinder stattfinden muss.

Damit sind wir, glaube ich, auch schon fertig mit dem Thema, ich habe Ihnen ein paar Fakten erzählt. Es ist die Kommunikation am Schulstandort einer der Punkte, der wirklich dringend verbessert werden müsste. Es müsste ein Assessment stattfinden, ein Aufnahme-Assessment mit ganz klaren Richtlinien: Was braucht das Kind? Wer ist dafür verantwortlich? Wer ist auch für die Informationsweitergabe verantwortlich? Wer ist im Falle einer Supplierung von Fehlstunden, bei schulischen Veranstaltungen und so weiter zuständig? Wer hält den Kontakt mit den Eltern? Wer kennt die Notfallnummern der spezialisierten Zentren? Wer hat diese Adressen, diese Nummern? Wo findet man diese, und worauf ist zu achten? – Ich danke Ihnen vielmals.

 

Obmann Dr. Walter Rosenkranz leitet er zur Runde der Expertinnen und Experten über.

 

Eva Bernat, BEd (Pädagogische Hochschule Graz): Mein Name ist Eva Bernat, ich bin seit 16 Jahren ZIS-Leiterin, also Leiterin des Sonderpädagogischen Zentrums in Graz und derzeit als Landeskoordinatorin für Inklusion in der Steiermark tätig. In all meinen Arbeitsfeldern war ich nicht nur mit den Herausforderungen der Beschulung von Kindern mit Behinderung, sondern mit allen Diversitätsbereichen befasst, daher auch mit den pädagogischen Herausforderungen bei Kindern mit chronischen Erkrankungen.

Das Thema „Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder“ ist kein isoliertes Thema im Schulsystem, sondern ist im Kontext der Entwicklung eines inklusiven Schulsystems, wie im Nationalen Aktionsplan beschrieben, zu sehen. In diesem Kontext haben chronisch kranke Kinder, wie alle anderen Kinder auch, ein Anrecht auf Unterstützung im Sinne eines Nachteilsausgleichs. Die Schwierigkeiten, die Eltern von chronisch kranken Kindern in den Bildungseinrichtungen erfahren, haben ihren Ursprung hauptsächlich in Haltungen und Einstellungen in Bezug auf Umgang mit Diversität und Unterschiedlichkeit und in der Haltung in Bezug auf Differenzierung, Individualisierung und Organisation von Unterstützungssystemen für Kinder, die einen Unterstützungsbedarf über das angenommene Normalmaß hinaus aufweisen.

Generell sind Schulen durch die Rahmenzielvorgaben des Bundes im Rahmen von SQA, also Schulqualität Allgemeinbildung, und QIBB verpflichtet, auf Individualisierung und Differenzierung abgestimmte Entwicklungspläne zu erstellen. Dabei ist auf den Bedarf aller Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Schule in Bezug auf individuelle Unterstützung Rücksicht zu nehmen. Schulen haben explizit den gesetzlichen Auftrag, für alle Schüler des jeweiligen Standorts Unterstützung zu organisieren. Außerdem haben seit 2012 alle Schulen per Erlass des Ministeriums verpflichtend einen Handlungsplan im Umgang mit Krisensituationen auszuarbeiten.Für all diese Entwicklungspläne und auch für die Entwicklung eines Krisenplans im Zusammenhang mit chronisch kranken Kindern gibt es hinreichend Informationen auf den Bildungsservern der einzelnen Landesschulräte genauso wie eine Broschüre des Bundesministeriums als Unterstützung für die Schulen in der Schulentwicklung, wo alle Formen der chronischen Erkrankungen im Detail beschrieben sind, wo Handlungspläne beschrieben sind und auch Maßnahmen im Krisenfall. Diese Unterlagen stehen Schulen zur Schulentwicklung zur Verfügung.

Per se ist der Schulleiter für all diese Maßnahmen maßgeblich verantwortlich. Er ist ebenso für die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer verantwortlich. Die Krisenpläne und Unterstützungspläne haben gemeinsam im Schulforum unter Einbeziehung der Eltern, Schulärzte, Schulpsychologen und Mediziner, die die Kinder medizinisch betreuen, entwickelt zu werden.

Ein Problem, das sich im pädagogischen Feld ergibt, ist die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten an andere Personen als Mediziner. Es gibt die Möglichkeit der Anleitung durch die Mediziner, allerdings können LehrerInnen nicht dazu gezwungen werden, es unterliegt der Freiwilligkeit. Da bedarf es, was die Amtshaftung betrifft, noch neuer gesetzlicher Regelungen.

Chronisch kranke Kinder haben ebenfalls ein Anrecht auf pflegerisch-helfende Unterstützung. Das Problem dabei ist, dass diese Regelungen den Landesausführungsgesetzen unterliegen. Einzig im Bundesland Steiermark haben Kinder ohne SPF ein Anrecht auf pflegerisch-helfende Tätigkeit. In vielen anderen Bundesländern ist die Zuerkennung von pflegerisch-helfender Unterstützung an die Zuerkennung des sonderpädagogischen Förderbedarfs gebunden. Auch da wären die Länder in die Pflicht zu nehmen, die Landesausführungsgesetze dahin gehend zu ändern, dass pflegerisch-helfende Tätigkeiten chronisch kranken Kindern im Sinne eines Nachteilsausgleichs zur Verfügung stehen. Für die Bereitstellung hat der jeweilige Schulerhalter Sorge zu tragen.

Darüber hinausgehend ist ein weiteres Thema, das aber die Schulerhalter, nicht den Bund betrifft, die Zurverfügungstellung von Diätessen. Wenn Kinder im Rahmen der ganztägigen Schulform Diätessen benötigen, können Schulerhalter bis jetzt nicht dazu verpflichtet werden, Diätkost bereitzustellen. Da sind Eltern oft vor Probleme gestellt, wie sie ihren Kindern in der ganztägigen Schulform die Diätkost zukommen lassen können.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass es genug Informationen im System gibt, die Schulen und Schulgemeinschaften zur Verfügung stehen, jedoch fehlt eine zentrale Informationsstelle, zum Beispiel eine Homepage auf der Website des Ministeriums, auf der wirklich kompakt zentral alle Informationen, die im System zur Verfügung stehen, für Schulen abrufbar sind.

 

Mag. Romana Deckenbacher (Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer): Ich darf alle recht herzlich begrüßen und meinen persönlichen Zugang zu diesem Thema kurz erläutern: Ich bin bis November selbst über 28 Jahre lang als Lehrerin in Wien tätig gewesen, das heißt, ich kenne diese Problematik aus der Praxis sehr, sehr gut. Parallel dazu habe ich als Interessenvertreterin auch immer wieder Kontakt mit vielen, vielen Kolleginnen und Kollegen, die betroffen sind. Wie Frau Dr. Damm schon ausgeführt hat, sind es geschätzt 190 000 chronisch kranke Kinder, und das betrifft fast jeden in einem Schulraum.

Ich möchte an dieser Stelle auch ganz klar sagen, dass es der Mehrheit der KollegInnen ein großes Anliegen ist, dass alle Kinder im Lebensraum Schule integriert sind, dass chronisch kranke Kinder nicht ausgegrenzt werden, dass sie nicht stigmatisiert werden. Dafür bedarf es aber einer bestmöglichsten Betreuung und Unterstützung.

Eines möchte ich hier an dieser Stelle ganz klar sagen: Kolleginnen und Kollegen können diese Aufgaben in der Form teilweise einfach nicht erfüllen, wie es manchmal auch in der Praxis passiert. Die Übertragung medizinischer Tätigkeiten erfolgt freiwillig, und das muss auch so sein, denn ich glaube, besonders die Betreuung von Kindern und Jugendlichen ist eine ganz spezielle Sache und da braucht es ein professionell ausgebildetes Team.

Damit bin ich bei einem ganz wichtigen Punkt: Ich denke, dass Gesundheitspersonal an den Schulstandorten, ein Schulgesundheitsteam in Kooperation mit den Lehrerinnen und Lehrern ein ganz wichtiger Ausgangspunkt wäre, um eine optimale Betreuung für die Kinder zu gewährleisten. Ich höre von Kolleginnen und Kollegen immer wieder von Kindern, die im Turnunterricht einen epileptischen Anfall bekommen, oft nicht wissend, dass sie das haben. Da nehme ich jetzt auch die Eltern in die Pflicht – das sage ich ganz ehrlich –: Es wird oft – aus Scheu oder weshalb auch immer – die Information darüber nicht an die Schulen weitergegeben. Es müsste auf jeden Fall so sein, dass die Eltern informieren, denn dann – und nur dann – kann man auch wirklich richtig reagieren; dazu bedarf es natürlich einer Information für die Kolleginnen und Kollegen.

Wenn ein Lehrer ein Anwendungspapier im Turnsaal neben sich liegen hat und um ihn zwanzig tobende Kinder, weil das epileptische Kind gerade am Boden liegt, und der Lehrer dann überlegen muss, wie er die Spritze in die Mundhöhle des Kindes führen muss, damit das wieder okay geht, dann, sage ich ehrlich, übersteigt das teilweise die Tätigkeit des Kollegen; das muss ich hier ganz offen sagen. Nichtsdestotrotz tun das die Kolleginnen und Kollegen sehr wohl freiwillig.

Da bin ich bei einem ganz wichtigen Punkt, der ebenfalls angesprochen wurde: Freiwilligkeit, aber mit einer Rechtssicherheit. Das ist der Punkt, bei dem viele einfach Angst haben, Angst davor, dass es, wenn es zu einer „Fehlbehandlung“ – unter Anführungszeichen – kommt, rechtliche Konsequenzen gibt. Diese Freiwilligkeit bedeutet ja nach der Judikatur – ich bin kein Jurist –, dass da kein Gesetz vollzogen wird und somit auch § 1 des Amtshaftungsgesetzes nicht wirksam ist. Das heißt, es muss unbedingt gegeben sein, wenn Lehrerinnen und Lehrer als Organe der Republik handeln, dass auch die Amtshaftung greift.

Das ist natürlich „nur“ – unter Anführungszeichen – ein Punkt, den man zu diesem Thema setzen muss, dass es da eine gesetzliche Regelung gibt: die freiwillige Tätigkeit im Zusammenhang mit der Amtshaftung. Das, glaube ich, wäre einmal ein wichtiger Punkt, denn die moralische Verantwortung, die die Kolleginnen und Kollegen übernehmen, kann ihnen generell niemand abnehmen. Ich muss damit leben, wenn ein Kind Folgeerkrankungen hat, wenn ich falsch messe, spritze. Es gibt Kinder, die Sonden haben, gerade gestern hat mich eine Kollegin angerufen und mir von einem Kind mit einem künstlichen Darmausgang, der gewechselt werden muss, berichtet und, und, und. Das sind alles Tätigkeiten, die wirklich von geschultem Personal übernommen werden müssen.

Ich weiß, dass es in skandinavischen Ländern, aber auch in England Schulkrankenschwestern an den Standorten gibt. Andere Länder favorisieren Schulgesundheitsteams als Unterstützung für Lehrerinnen und Lehrer. Ich sage das ganz klar: Das eine ist die rechtliche Forderung, das andere ist die Forderung nach einem entsprechenden Gesundheitspersonal an den Standorten.

Das Nächste ist die Frage der Zuständigkeit, die ebenfalls angesprochen wurde: Bildungsministerium, Gesundheitsministerium in Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen, aber auch mit der Bürgerinitiative, das wäre eine große Unterstützung für alle Beteiligten. Ich denke, das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt.

Eines muss ich auch sagen: Jedes Berufsbild – sowohl das des Politikers als auch das der Ärzte oder des Krankenpflegepersonals – hat ein Tätigkeitsprofil. Auch wir Lehrerinnen und Lehrer haben ein solches, und jene Bereiche, die wir hier ansprechen, übersteigen das einfach in einem gewissem Ausmaß.

Darüber hinaus möchte ich noch zu bedenken geben, dass in Zukunft viel Neues auf die Schule zukommt, zum Beispiel die Inklusion, mit der man sich auseinandersetzt. Ich denke dabei auch an die Schulcluster, über die man diskutiert, bei denen es Tausende Schüler an einem Standort gibt; ich denke an die Zunahme der ganztätigen Schultypen. Dadurch wird es ein automatisches Ansteigen der Zahl von Schülerinnen und Schülern geben, die Betreuung brauchen, die chronisch krank sind. Da braucht es einfach eine entsprechende Klarheit seitens der Verantwortlichen, um zu wissen, wer wirklich dafür verantwortlich ist, muss ich an dieser Stelle ganz klar sagen.

Die Lehrerinnen und Lehrer – und zwar die Mehrheit von ihnen – sind daran interessiert. Ich weiß von mir selbst und aus vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen, dass selbstverständlich die Kinder an Schulveranstaltungen teilnehmen sollen – keine Frage! –, aber, wie gesagt, einfach mit entsprechender Unterstützung und Support.

Abschließend – dann bin ich schon am Schluss – möchte ich hier auch ganz klar sagen, dass wir alle – alle, wie wir hier sitzen – eine große Verantwortung tragen, und das gilt in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch für die Pädagoginnen und Pädagogen: Wir haben eine Verantwortung für das höchste Gut, das unsere Gesellschaft hat, nämlich für unsere Kinder und Jugendlichen. Und alle – alle!, ich betone das hier noch einmal – von ihnen haben ein Recht auf bestmögliche Betreuung unter bestmöglichen Umständen und Bedingungen, aber auf Basis einer klaren Rechtslage für Kolleginnen und Kollegen und vor allem für Schulgesundheitsteams beziehungsweise Schulkrankenschwestern an den Standorten. – Danke.

 

Elsa Perneczky (Österreichische Diabetikervereinigung): Guten Tag! Ich komme von der Österreichischen Diabetikervereinigung. Wir sind eine Selbsthilfegruppe, und unser Anliegen ist es, die Lebensqualität von Menschen mit Diabetes im Alltag zu verbessern. In diesem Zusammenhang machen wir natürlich auch sehr viele Veranstaltungen und Projekte, die Kinder und Familien betreffen, weil da der Informationsbedarf besonders hoch ist.

Ein junges Kind, also ein Volksschulkind, kann an und für sich das Selbstmanagement bei Diabetes ohne Hilfe seines Umfelds nicht bewältigen, und dazu gehört natürlich auch das pädagogische Umfeld, mit einem Wort die Lehrer. In vielen Dingen will ich mich meiner Vorrednerin sehr gerne schließen, etwa dass man die Verantwortung klarerweise nicht allein auf die Lehrer schieben kann, aber das Problem wird seit Jahren zwischen den einzelnen Ministerien hin- und hergeschoben. Auf der Strecke bleiben eigentlich die Kinder und deren Familien, denn wer ist zuständig für die Betreuung in der Schule?

Die Lehrer müssen beziehungsweise sollten zumindest über das Krankheitsbild und das Verhalten in Notfällen gut informiert sein, das wäre einmal eine wichtige Voraussetzung. Natürlich gibt es § 50a betreffend Übertragung einzelner ärztlicher Tätigkeiten auf Laien, wobei gerade bei den technischen Entwicklungen, die es heute insbesondere auf dem Gebiet der Diabetes gibt – Sensoren, Pumpen –, die Ängste der Lehrer dann noch größer werden. Prinzipiell ist es jedoch so, dass die Ängste und Sorgen später nicht so groß sind, wenn die Lehrer schon im Rahmen der Ausbildung über die wichtigsten chronischen Erkrankungen im Kindesalter informiert werden.

Allerdings ist die Gesetzeslage wirklich in einer Grauzone, und die Lehrer fürchten eben, für Fehler haftbar gemacht zu werden. Dabei muss man sagen: Dass die Eltern in jedem Fall immer erreichbar sind, das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein Lehrer diese freiwillige Tätigkeit, das Kind beim Selbstmanagement zu unterstützen, übernimmt.

Uns wäre es ein großes Anliegen, dass es zum Beispiel eine Schulschwester oder eine Assistenz in der Schule gibt, die zu den Kernzeiten – das betrifft Blutzucker messen, essen, Bolus abgeben oder spritzen – die Kinder unterstützt und die Lehrer somit entlastet. Außerdem ist es sehr wichtig für die psychosoziale Entwicklung der Kinder, dass sie nicht von Schulveranstaltungen ausgeschlossen werden, weil sie sonst unter Umständen ihre Erkrankung als sehr, sehr massive Einschränkung empfinden, und das kann zu großen psychischen Problemen –Stichwort Essstörung, zum Beispiel, oder auch Depressionen – führen.

Die Eltern brauchen die Sicherheit, dass ihr Kind in der Schule gut betreut ist, besonders dann, wenn es sich um eine Ganztagsschule handelt, in der das Kind viele Stunden des Tages verbringt. Es geht bei Diabetes mehr oder weniger darum, durch die Vermeidung von Folgeschäden die Lebensqualität zu sichern. Bei den Therapiestrategien, die uns heutzutage zur Verfügung stehen, ist es auch durchaus möglich, Folgeschäden zu vermeiden, aber wenn das nur einen Bruchteil des Tages ausgeführt werden kann, weil sonst niemand da ist, der die Kinder dabei unterstützt, ist das natürlich nur eine halbe Sache.

Wir würden uns also wünschen, dass es in Zukunft Gesundheitspersonal an den Schulen gibt. Dieses würde sich ja dann sicher nicht nur um die chronisch kranken Kinder kümmern, sondern da gäbe es auch in Sachen Gesundheitskompetenz, gesunde Ernährung, was auch immer, sehr viel zu tun. – Das zum einen. Zum anderen sollen natürlich auch die Lehrer nicht alleingelassen werden. Es sollen die Eltern nicht alleingelassen werden, in erster Linie die Kinder nicht alleingelassen werden, aber auch die betreuenden Personen, auch die Pädagogen brauchen Unterstützung. Das ist schon sehr klar.

Das wäre also das, was wir uns vorstellen könnten. Wir hoffen, dass da in Zukunft wirklich etwas passiert, denn das Problem ist schon sehr, sehr lange – seit vielen Jahren! – bekannt, und es ist eigentlich nicht wirklich etwas passiert.

Wir von der Österreichischen Diabetikervereinigung machen seit Jahren mobile Beratungen in Schulen und Kindergärten, und wir sehen auch, dass in vielen Fällen die Lehrer sehr engagiert und auch bereit sind, die Kinder zu unterstützen. Es gibt allerdings auch Schulen, wo von vornherein ausgeschlossen wird, dass das Kind entsprechende Unterstützung bekommt. Das hat dann zur Folge, dass das Kind eventuell einen viel längeren Schulweg auf sich zu nehmen hat, was natürlich gerade bei einer chronischen Erkrankung total kontraproduktiv wäre.

Es sind also in jeder Richtung Verbesserungen notwendig, und wir hoffen sehr, dass da etwas passieren wird. – Vielen Dank.

 

Mag. Angela Sandor, MAS: Ich bin jetzt sozusagen die Realität, ein tatsächlich eingetretener Fall: Meine Tochter ist im Alter von 20 Monaten an Typ-1-Diabetes erkrankt. Das bedeutet, dass man zuerst einmal damit fertigwerden muss, dass das eigene Kind eine verkürzte Lebenszeit hat – das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass man damit fertigwerden muss, dass es auch eine lebensbedrohliche Krankheit sein kann.

Wir haben also zwei Aspekte, die wir berücksichtigen müssen: Der eine ist die Notfallsituation, wie sie auftreten kann, wenn ich mich massiv mit Insulin überdosiere – und wir reden hier von Kindern, die sich ein potenziell tödliches Medikament alleine, ohne Unterstützung im Moment, verabreichen. Also ich denke, man muss sich wirklich vor Augen führen, dass Kinder in einem Alter – meine Tochter war 20 Monate alt, und die Kinder werden immer jünger, das wissen wir –, in dem sie mitunter noch nicht einmal Zahlen kennen, diese Krankheit handeln müssen.

Auch der andere Aspekt ist mir ein großes Anliegen: Als mein Kind dann ins Kindergartenalter gekommen ist, war es sehr schwierig, überhaupt einen Platz zu finden. Das nächste Problem gab es dann mit der Volksschule: Öffentliche Schulen haben mich aus dem Grund abgewiesen, dass die Haftungsfrage nicht geklärt ist. Ich habe dann eine Privatschule gefunden, die mein Kind genommen hat – unter der Voraussetzung, dass ich während der Schulzeit nebenan im Kaffeehaus sitze und auf Abruf da bin, falls etwas passiert.

Ich muss aber auch dazusagen, dass sich die Lehrer sehr engagiert haben und dass dann – ich weiß nicht, vielleicht nach dem ersten Jahr – die Angst sehr nachgelassen hat, als man gesehen hat, dass dem Kind eigentlich tatsächlich nichts passiert, dass das Kind einfach nur eine ganz normale Unterstützung benötigt – indem man einfach schaut, ob die Zahlen bei der Insulindosierung stimmen. Das sind ganz simple Maßnahmen, die wirklich jeder machen kann, aber natürlich wäre eine pflegerische Unterstützung am besten, weil einfach auch das Kind Angst hat. Das Kind ist in einer Situation, in der es sich ausgeliefert fühlt und weiß: Ich kann das selber noch nicht handeln!, und es braucht diese Unterstützung.

Ein weiterer Aspekt, der für Eltern von chronisch kranken Kindern sehr, sehr wichtig ist: Man gibt das Kind in eine Art Blackbox ab. Man weiß nicht, was mit dem Kind in der Schule ist, was ihm passiert. Man lebt ständig mit dem Handy in der Hand, und bei jedem Anruf zuckt man zusammen und denkt: Oh, hoffentlich ist es nicht die Schule! – Der zweite diesbezügliche Punkt ist: Meine Tochter geht mittlerweile in die dritte Klasse eines Gymnasiums. Sie geht nicht in eine Ganztagsschule, aber sie hat trotzdem an zwei Nachmittagen Unterricht bis um 17 Uhr. Wir wissen, dass es gerade bei Diabetes so ist, dass Langzeitschäden verhindert oder zumindest vermindert werden können, indem eine gute Zuckereinstellung gegeben ist. Nun ist mein Kind ein Drittel des Tages ohne medizinische Betreuung, und das ist natürlich für die Langzeitschäden zum Teil einfach wirklich fatal. Es gibt Kinder, die damit besser umgehen können, es gibt Kinder, die das nicht können, und da braucht es wirklich eine medizinisch geschulte Person vor Ort, die sich des Ganzen annimmt.

Wir lassen da Kinder im jungen Alter oder Kinder, die frisch erkrankt sind, wenn sie auch schon älter sind, absolut auf sich allein gestellt. Kinder sind, wenn sie neu erkranken, zehn Tage bis zwei Wochen im Spital, und danach sind sie auf sich allein gestellt – und natürlich auch die Familien. Wenn ein Erwachsener erkrankt, bekommt er eine Reha für vier Wochen, um sich langsam an all das zu gewöhnen; Kinder müssen das alleine – zusätzlich zum ganzen Schulalltag – meistern.

Sie können die Krankheit nicht in der Früh an der Garderobe abgeben, sie sind einfach durchgehend krank. Diese Verantwortung muss jemand in der Schule übernehmen, denn wir als Familien übernehmen sie zu Hause, wir übernehmen sie den Rest des Tages. Wir stehen in der Nacht auf, wir messen die Werte unserer Kinder; wir sind rund um die Uhr für unsere Kinder da. Die Kinder übernehmen die Verantwortung für ihre Erkrankung, und in der Zeit – ein Drittel ihrer Lebenszeit –, die sie in der Schule verbringen, in die wir Eltern nicht hineinkönnen, muss jemand die Verantwortung übernehmen.

Das ist uns Eltern ein großes Anliegen, denn es ist nicht so, dass wir von Eventualitäten reden, sondern es ist tatsächlich so, dass wir von Realitäten reden. Es passieren Sachen, nur Eltern sagen es nicht weiter oder sie reden nur untereinander, weil sie Angst haben, den Schulplatz zu verlieren. Es passieren Sachen, und man kann einfach nicht hoffen, dass es so weitergeht. Das geht nicht, das ist für uns nicht durchführbar.

Meine Tochter ist mit 20 Monaten erkrankt; Folgeschäden sind nach circa 20 Jahren zu erwarten, das heißt, da ist meine Tochter gerade einmal 21, 22 Jahre alt. Es ist für mich einfach sehr schwierig, sie für einen langen Zeitraum am Tag wirklich unbetreut zu wissen.

Das heißt, für uns wäre erstens einmal die Regelung der Haftungsfrage wichtig, dass Schulen Kinder nicht einfach abweisen können – in Wien kann ich vielleicht eine andere Schule besuchen, aber am Land geht das nicht oder es ist sehr schwierig oder mit einem großen Aufwand verbunden –, und das Zweite ist, dass wir wirklich an den Schulen medizinisches Personal brauchen, das sich um chronisch kranke Kinder kümmert, und zwar nicht nur, um in aktuellen Notfallsituationen zu helfen, sondern vor allem, um Langzeitschäden zu verhindern. Da geht es nämlich um eine verkürzte Lebenszeit und darüber hinaus um eine schlechtere Lebensqualität für Kinder. – Ich danke Ihnen.

 

Dominik Formanek (SHG Rheumalis): Grüß Gott! Ich bin ebenfalls ein Beispiel aus der Realität. Ich bin selbst seit meinem achten Lebensjahr chronisch erkrankt, und zwar an juveniler idiopathischer Arthritis. Bei kindlichem Rheuma handelt es sich um eine schwere Autoimmunerkrankung, die bereits bei Säuglingen auftreten und in Extremfällen sogar zum Tode führen kann, die aber auf jedem Fall mit starken Schmerzen, insbesondere bei akuten Schüben, verbunden ist und insgesamt die Bewegungsmöglichkeit deutlich einschränkt. Betroffen sind davon allein in Österreich 1 600 Kinder und Jugendliche, 120 kommen jedes Jahr dazu. Die Herausforderung für die Betroffenen ist, mit ihrer Gott sei Dank durch die Medikamente doch meist unsichtbaren, weitgehend unheilbaren, aber auch großteils unbekannten Erkrankung wahrgenommen zu werden – vor allem in Schulen.

Unser Anliegen und unsere wichtigste Forderung ist es, eine klare rechtliche Vorgabe und Struktur für chronisch kranke Kinder und Jugendliche zu schaffen, die deren Rechte im Kindergarten und in der Schule – insbesondere bei Prüfungen – derart regelt, dass diese österreichweit für alle Institutionen gelten und sich weder Direktoren noch Lehrer darüber hinwegsetzen können.

Dazu gehört zum Beispiel: dass man einen Laptop zum Schreiben verwenden darf, auch bei Prüfungen; dass es eine Schreibzeitverlängerung bei Schularbeiten und bei Tests gibt; das Ansiedeln von Klassen mit betroffenen Kindern im Erdgeschoß beziehungsweise die Zurverfügungstellung der alleinigen Nutzung des Aufzugsschlüssels; die Berücksichtigung der akuten Schmerzen, der Behinderung im Werk-, Zeichen- sowie Turnunterricht, allenfalls durch Befreiungen; Aufklärung der betroffenen Lehrer und Mitschüler durch den Schularzt oder den Direktor hinsichtlich des Umgangs mit den chronisch kranken Kindern und auch hinsichtlich der Rechte der chronisch kranken Kinder; die Verankerung eines Pflichtfachs Umgang mit erkrankten Kindern und Jugendlichen in der Ausbildung von KindergärtnerInnen, LehrerInnen und PädagogInnen; bei chronischen Darmerkrankungen das Recht auf Aufsuchen der Toiletten ohne Erlaubnis durch den Lehrer, wann immer notwendig und dann sofort, auch während Prüfungen; weiters die Einrichtung eines Behindertenbeauftragten an größeren Schulen oder im Stadt- beziehungsweise Landesschulrat, der bei der Durchsetzung von Forderungen unterstützt sowie – ganz wichtig! – ein gesetzeskonformes ärztliches Attest, das von den Betroffenen beim Stadt- oder Landesschulrat eingereicht werden kann und somit den Kindern und Jugendlichen bei Vorlage in der Schule ihre Rechte sichert. – Ich habe dann auch noch einige Beispiele mitgebracht.

Obwohl es anscheinend oder angeblich rechtliche Regelungen in unseren Schulen gibt, obliegt es zum Großteil den Direktoren, den Schulen beziehungsweise sogar Lehrern, selbst zu entscheiden, was die chronisch kranken Kinder dürfen oder nicht, was eigentlich nicht der Fall sein dürfte. So ein Anliegen sollte damit eigentlich auch die Lehrer rechtlich absichern.

Ein Fallbeispiel bin leider Gottes ich selbst. Ich wurde in der 8. Klasse des Gymnasiums von einem Lehrer gemobbt. Er äußerte mehr oder weniger, dass ich in seinen Augen nicht krank sei und er mir daher keine Schreibzeitverlängerung zugesteht. Trotz des Versuchs einer Intervention, trotz des Versuchs, mit dem Direktor zu reden, bis hin zum Stadtschulrat und Einschalten eines Anwalts war es mir leider nicht möglich, an der Schule zu maturieren. Ich musste mir auch Dinge anhören wie: Man solle die – damit waren die chronisch kranken Kinder gemeint – alle zusammenfangen und irgendwo extra maturieren lassen. Das wurde wortwörtlich von einem Lehrer gesagt, aber auch das blieb ohne Konsequenzen.

Ich konnte dann nicht maturieren und schied mit fünf Nicht genügend aus; das war Ende April 2012. Im Jänner 2013 maturierte ich an einer anderen Schule unter anderem in drei Fächern, in denen ich vorher mit Nicht genügend benotet worden war, mit einem Gut und ohne einen einzigen Vierer im Zeugnis. Auf einmal ging es!

Ich habe aber noch andere Beispiele – nicht dass der Eindruck entsteht, das sei jetzt nur ein persönliches Anliegen – von einigen Kindern und Jugendlichen mit juveniler idiopathischer Arthritis in Niederösterreich und Wien an verschiedenen Schulen, die wegen ihrer Medikamente an Landschulwochen nicht teilnehmen durften. Obwohl die Eltern sogar angeboten haben, mitzufahren, beziehungsweise offeriert haben, eine nicht mit den Schülern verwandte Begleitperson mitfahren zu lassen, und das sogar mehr oder weniger auf ihre Kosten, wurde das von einigen Schulen nicht akzeptiert.

Bei anderen Kindern – ich kann auch einige Namen nennen: Johanna, Theresa, Julia, Manuela; es handelt sich um eine Vielzahl von Kindern – wurde die Bitte der Eltern um Verlegung der Klasse im Folgeschuljahr – wir reden da also nicht von einer Verlegung während des Schuljahres, sondern nach dem Sommer – ins Erdgeschoss, da kein Lift vorhanden war, abgelehnt.

Es wurde dann sogar mehr oder weniger der Elternrat einberufen, und es gab eine breite Riesendiskussion. Eine Religionslehrerin erklärte einer Volksschülerin, dass ihre Erkrankung Gottes Strafe sei – auch so etwas kommt immer noch vor –, und vielen anderen Kindern wurde – auch mehrfach – gesagt, sie sollen sich wegen ihrer Schmerzen nicht so anstellen.

Ich weiß, es gibt sicherlich auch viele Schulen, an denen das nicht so läuft – es gibt auch Schulen, die sich in gewissem Maße sogar darüber hinaus für die chronisch kranken Kinder einsetzen –, es gibt aber immer noch Einzelbeispiele, die zeigen, dass Lehrer selbst mehr oder weniger Entscheidungen treffen, dass sie damit nicht einverstanden sind. Zu 99 Prozent haben wir es dann mit einem Schulwechsel beziehungsweise einem verlorenen Schuljahr zu tun, weil das Schuljahr aufgrund des Stresses dann natürlich nicht positiv absolviert wurde. Es sind insgesamt nur zehn Beispiele von Kindern, die ich hier jetzt benannt habe, es gibt leider Gottes noch viel mehr Fälle – allein in unserer Gruppe, also bei jenen Kindern, die wir repräsentieren.

Wir arbeiten mit vielen anderen Selbsthilfegruppen, die ebenfalls chronisch kranke Kinder und deren Eltern betreuen, zusammen. Leider gibt es solche Beispiele sehr häufig.

 

Professor Ernst Smole (Internationales Forum für Kunst, Bildung und Wissenschaft): Sehr geehrte Damen und Herren! Danke für die Einladung. Ich gendere, weil es mir ein Herzensanliegen ist; da dies in der Form des Binnen-I geschieht, dominiert im gesprochenen Text die weibliche Form.

Mein Kurzbeitrag heißt: Da ist die Schule in der Pflicht. Diese Formulierung ist heute schon einige Male gefallen. Meine Beziehung zu dem Thema ist eine mehrfache – auf privater und beruflicher Ebene.

Es stellt sich heute wirklich nicht nur bei dem Thema der chronisch kranken Kinder die Frage: Wer ist wie in der Pflicht?

Da ist die Schule in der Pflicht. Diese Feststellung ließe sich auch umkehren und als Frage formulieren: In welchem Themenbereich befindet sich die Schule von heute denn nicht in der Pflicht?

Der Weg hin zur umfassenden Pflichtigkeit der Schule von heute lässt sich klar nachzeichnen. In den 1970er-Jahren forderte die Bildungspolitik, dass Elternwünsche Vorrang haben müssten. Diese lauteten erstens: möglichst gute Schulnoten. Positive Noten waren in der damaligen Zeit, als Notendumping nur subkutan üblich war, ein akzeptierter Nachweis für Leistung.

Zweitens: möglichst keine Belastung des Familienlebens mit Problemen der Schule. Es war die Zeit, als verstärkt beide Elternteile berufstätig wurden. Die Wirtschaft förderte diesen Trend, und das linke Spektrum sah die Chance, dass Frauen sich im Beruf verwirklichen konnten. Skepsis kam aus dem konservativen Lager. In Wirklichkeit erlebten wir in den 1970er-Jahren einen Pendelschlag. Das Rollenbild Kirche–Küche–Kinderzimmer war die Frauenbefreiung der unmittelbaren Nachkriegszeit gewesen. Dies war die Reaktion auf die Mehrfachbelastungen der Frauen als kriegsbedingte Alleinerzieherinnen und als Männerersatz in der Kriegsindustrie.

Die Bildungspolitik der Siebzigerjahre versicherte den Eltern, dass ihre Wünsche – gute Noten und keine Schulprobleme zu Hause – angekommen sind und dass diese Forderungen die Gestaltung der künftigen Schule prägen würden. Parallel dazu verbannte man das Büffeln und Pauken aus den Schulen und entsorgte damit wohl irrtümlich auch die unverzichtbare Regelmäßigkeit des Lernens und des Übens. Auch für den Freizeitbereich begab sich die Schule nun in die Pflicht. Frühere Freizeitbeschäftigungen wie Briefmarkensammeln, Zimmergewehrschießen, Tennis und Fußballspielen wurden nun schulisch.

Die Schule von heute ist mit zahllosen Pflichten belastet und damit immer stärker überfordert. Es passiert das, was geschieht, wenn man den Inhalt eines Krügels Bier in ein Achtelglas umfüllen möchte: Das Gefäß geht über.

Auch das Anliegen der Bürgerinitiative „Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder“ speist sich teils aus Folgen der dramatischen Überforderung der Schulen mit den unzähligen ihnen auferlegten Pflichten. Etwa die im Antrag der Initiative angesprochene Zuckerkrankheit ist in nicht wenigen Fällen bereits bei Kindern eine Folge von Übergewicht, aber, wie wir gehört haben, bei Weitem nicht nur. Auch in diesem Zusammenhang, betreffend Ernährung, hören wir immer wieder den Ruf: Da ist die Schule in der Pflicht!

Auf gesunde Ernährung der Kinder zu achten war einst eine zentrale Elternpflicht. Warum wird auch diese Elternkompetenz den Schulen aufgehalst? – Um gesunde Ernährung der Kinder geht es bereits zwischen dem ersten und dem sechsten Lebensjahr. Auch in diesem Zusammenhang: Es steht nicht gut um Österreichs Schule.

Das BIFIE spricht mittlerweile davon, dass bis zu 40 Prozent der 15-Jährigen zumindest eine der Grundkompetenzen nicht beherrschen. Eine aktuelle Befragung aller VolksschullehrInnen in Vorarlberg hat ergeben, dass dort zumindest einem Drittel der Kinder die Noten geschenkt werden und man so Eltern und Kinder belügt. Diese erschreckenden Symptome sind Zeichen für die Überlastung der Schule mit Pflichten. Auch viele der unzähligen Maßnahmen der Schulbehörden verursachen resignative Ruhelosigkeit in unseren Schulen. Die Ruhe bräuchten ganz besonders auch Kinder, die chronisch krank sind.

Das alles ist auch in der Überfüllung des Gefäßes Schule mit Pflichten mitbegründet. Es ist daher nicht zu verantworten und nicht zumutbar, den LehrerInnen auch noch wesentliche Teile der medizinischen Betreuung chronisch kranker Kinder zu überantworten. Die Aufgaben der Lehrpersonen sind Erziehung und Unterricht; dies ist heute schwierig genug und scheitert immer öfter.

Die Republik muss im Rahmen ihrer Gesamtverantwortung dafür Sorge tragen, dass alle chronisch kranken Kinder während der Zeit, die sie in der Schule oder auf Schulveranstaltungen verbringen, professionell auf eine Weise versorgt werden, die ihnen ein Maximum an Zuwendung sichert, die weder den Unterricht noch die LehrerInnen und SchülerInnen beeinträchtigt und die vor allem jede Rechtsunsicherheit vermeidet.

Zum Schluss: Wie soll das finanziert werden? – Für eine Sitzung des Budgetausschusses haben wir errechnet, dass Österreichs SteuerzahlerInnen täglich zumindest 2,3 Millionen € für Unterricht aufwenden, der entfällt oder der wegen unbeherrschbarer disziplinärer Probleme nicht stattfinden kann. Laut einer im Nationalen Bildungsbericht 2015 zitierten internationalen Vergleichsstudie müsste Österreich 66 Millionen Einwohner haben, um seine ausufernde vielstufige und teure Schulverwaltung legitimieren zu können.

Da finden sich gewaltige Potenziale, mit deren Hilfe es ein Leichtes sein sollte, das geeignete Personal für die professionelle schulische Betreuung chronisch kranker Kinder auf Dauer zu finanzieren. – Danke.

 

Obmann Dr. Walter Rosenkranz erteilt dem Vertreter des Bundesministeriums für Bildung das Wort.

 

Sektionschef Ing. Mag. Andreas Thaller (Bundesministerium für Bildung): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Einige Male wurden die Haftungsthemen und Zuständigkeiten angesprochen. Es ist natürlich so, dass rechtlich alles klar ist – es ist nur nicht befriedigend, wie es geregelt ist; das muss man auseinanderhalten. Es gibt keine Unklarheiten von Zuständigkeiten, sondern die Zuständigkeiten sind unbefriedigend geregelt; das muss man vorweg sagen.

Insgesamt muss man sagen, betreffend die Haftungsfrage – sie wurde mehrmals angesprochen – kann man aus unserer Sicht etwas sehr Positives berichten. Im Zusammenhang mit dem Autonomiepaket und der Neuregelung der Bildungsdirektionen haben wir auch schon in den Gesetzentwürfen – § 66 SchUG, zusätzlich § 66a und 66b – vorgesehen, dass Lehrerinnen und Lehrer, die freiwillig solche Tätigkeiten übernehmen, in Zukunft abgesichert sind. Es wird in Zukunft da zur Amtshaftung durch den Dienstgeber kommen können.

Das Thema, das seit 30 Jahren, glaube ich, hin- und hergeschoben wird, schlichtweg nicht geregelt war, werden wir also lösen. Es ist natürlich juristisch relativ komplex gewesen, denn: Wie löst man etwas, wenn es keine Dienstpflicht ist? – Mit der freiwilligen Übernahme wird es zur Dienstpflicht. Der Lehrer entscheidet also freiwillig, ob er etwas macht – damit wird es zur Dienstpflicht, und damit haftet der Dienstgeber. Das heißt: Wir brauchen den § 50a Ärztegesetz nicht anzugreifen, also die Einschulung durch einen Arzt bleibt weiter erforderlich, die freiwillige Entscheidung der Lehrerinnen und Lehrer bleibt bestehen, und der Dienstgeber übernimmt dann, sollte etwas passieren, die Haftung.

Des Weiteren wurden mehrmals die Schulärzte und -ärztinnen angesprochen. Da haben wir halt in Österreich ein durchaus sehr komplexes System. Die Schulärzte werden zumindest in den Bundesschulen nicht im Wege des Gesundheitswesens tätig, sondern auf Basis einfachgesetzlicher Regelungen, die in die Zuständigkeit des Bildungsressorts fallen. Auch da gehen wir neue Wege, auch das ist bereits in diesem Paket enthalten, das hoffentlich bald in Begutachtung geht. Da sehen wir vor, dass Schulärzte auch im Wege des Gesundheitswesens tätig werden; das ist mittlerweile auch mit dem Gesundheitsressort abgesprochen, mit diesem haben wir die Gesetzentwürfe gemeinsam ausgearbeitet. Das heißt, Schulärzte können in Zukunft auch im Wege des Gesundheitswesens tätig werden und dann auch wirklich medizinische Aufgaben an Schulen übernehmen. Das ist also, glaube ich, ein Riesenschritt in die richtige Richtung.Das Nächste ist die Zuständigkeit für pflegerische Tätigkeiten, da müssen wir zwei Dinge auseinanderhalten: Auf der einen Seite sind medizinisch-pflegerische Tätigkeiten im Wege des Gesundheitswesens in mittelbarer Bundesverwaltung durch die Länder oder an den Standorten durchzuführen; das können wir, der Bund, leider auch mit bestem Willen nicht regeln. Da müsste man wirklich verfassungsrechtliche Kompetenzübertragung durchführen, das ist dann auch Sache des Verfassungsgesetzgebers, wenn man das möchte.

Das Nächste sind Pflegetätigkeiten, die nicht medizinische Aufgaben sind, wie zum Beispiel Wickeln, Absaugungen und so weiter. Das sind Dinge, die aus dem Pflegewesen resultieren, und das ist Landessache. Wir stehen da leider vor einem sehr komplexen Zuständigkeitsthema, das zwar klar geregelt ist, bei dem es aber halt unterschiedliche Zuständigkeiten gibt. Das, was wir, der Bund, tun können, dem Gesetzgeber Entwürfe vorlegen, das werden wir tun; sie sind fertig. Das heißt, Haftungen werden wir regeln, das Schulärztewesen werden wir aufs Gesundheitswesen ausdehnen. Das führen wir durch, dann sind, glaube ich, sehr wichtige Dinge erledigt.

Die Geschichte mit den pflegerischen Tätigkeiten – außerhalb der Fälle, wenn sich Lehrer freiwillig dafür entscheiden oder Schulärzte dabei unterstützen – ist durchaus ein Thema, das wir auch im Zuge der Bildungsreform mit den Ländern breit diskutiert haben. Da ist eine Frage: Wie stellen wir dieses Personal mittelfristig zur Verfügung? – Da sehen meine Kollegen im Haus und ich jetzt eigentlich nur eine Möglichkeit: Wenn man das regeln will, muss man das auf dem Verfassungswege machen – sonst wird es schwierig – oder die Länder führen das von sich aus in der Ausführungsgesetzgebung durch, dass eben Pflegepersonal dort, wo es erforderlich ist, zur Verfügung gestellt wird; vorhin ist die Krankenschwester, die Schulkrankenschwester angesprochen worden.

Das sind Dinge, die muss man, wenn man sie regeln will und umfassend regeln will, glaube ich, wirklich im Wege des Gesundheitswesens machen. Da bräuchten wir schlichtweg eine Übertragung, was natürlich auch finanzielle Auswirkungen hat. Das, was wir aber tun können, machen wir. Es wird diesen Entwurf geben, er ist bereits eingearbeitet, und die hauptsächlich angesprochenen Probleme bekommen wir damit in den Griff.

 

Obmann Dr. Walter Rosenkranz leitet zur RednerInnenrunde der Fraktionen über.

 

Abgeordnete Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ): Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke den Initiatorinnen und Initiatoren der Bürgerinitiative für das Aufgreifen dieses wichtigen Themas und dafür, dass Sie hier auch wirklich umfassend mobilmachen und eine öffentliche Sensibilität schaffen. Es hat ja auch schon gute Medienberichte über dieses Thema gegeben. Es ist ganz, ganz wichtig, dass dieses Wissen und die Sensibilität auch wirklich in die breite Bevölkerung gehen, denn wir haben gehört, es mangelt sehr oft an Information, es mangelt an Sensibilität bei den Menschen, die mit behinderten Kindern befasst sind, und auch generell bei der Öffentlichkeit.

Ich möchte ganz klar festhalten, dass chronisch kranke Kinder natürlich ein Recht auf uneingeschränkte Teilnahme am schulischen Alltag und natürlich auch ein Recht darauf, die wohnortnächste Schule beziehungsweise die Schule mit den gewünschten Schwerpunkten zu besuchen, haben und dass da kein Kind ausgeschlossen werden darf. Es muss das Prinzip gelten: Nicht das Kind muss schulgerecht sein, sondern die Schule muss kindgerecht sein – in jeder Beziehung, auch für kranke Kinder, auch für chronisch kranke Kinder. Ich bin diesbezüglich sehr oft im Gespräch mit Eltern behinderter Kinder – Diabetes ist die häufigste Form, wir haben es gehört, aber es gibt auch Epilepsie und viele andere Krankheiten, die eben eine besondere Behandlung erfordern, auch im Schulalltag –, und da hört man Unterschiedlichstes.

Ich möchte da auch nicht verheimlichen, dass es sehr, sehr viel Lob für das Engagement der Pädagoginnen und Pädagogen gibt, aber eben auch sehr viel Kritik. Wir wollen das aber natürlich alles aufgreifen, und ich danke auch für die Darstellung und die Gliederung der Kritikpunkte und der Hauptproblemfelder. Ich bin davon überzeugt, es ist alles davon lösbar, wenn ein guter Wille da ist.

Ich danke Herrn Generalsekretär Thaller dafür, dass er uns dargestellt hat, was auf Bundesebene sozusagen legislativ in der Pipeline ist. Die Haftungsfrage wird seitens der Pädagoginnen und Pädagogen sehr oft als Grund dafür, warum sie das nicht machen können/dürfen, obwohl sie es eigentlich wollten, erwähnt.

Ich würde Sie auch bitten, vielleicht aus Ihrem Erfahrungsschatz heraus zu sagen, wie viele Haftungsfälle es denn tatsächlich gegeben hat. Also meiner Meinung nach ist das sehr oft ein bisschen ein Phantomargument – wie auch immer. Ja, es sind einfach Ängste da, aber das Haftungsargument wird immer thematisiert, egal, worüber man auch spricht, Teilnahme an Schulveranstaltungen und so weiter. Also ich bin froh, dass das jetzt sozusagen auf dem Lösungswege ist.

Wichtig ist aber auch, an der Einstellung zu arbeiten: Informationsarbeit, Sensibilisierung. Die Schule ist ja auch ein Ort des sozialen Lernens, und da gehören einfach der korrekte Umgang mit kranken Menschen, mit behinderten Menschen dazu und auch, Hemmungen abzubauen; auch das soll Schule vermitteln. Es ist wirklich dramatisch, wenn da rüberkommt, dass Kinder mit Krankheiten, mit Behinderungen als Problem wahrgenommen werden, das ist für alle Beteiligten eine immense Belastung, und wir alle gemeinsam sind dazu aufgerufen, das zu ändern. – Danke.

 

Abgeordnete Marianne Gusenbauer-Jäger (SPÖ): Es ist meiner Auffassung nach sehr begrüßenswert, dass jetzt beinahe alle CK-Kinder eingeschult werden können. Leider ist der Nachteil, dass die Zahl steigt – grundsätzlich steigt; das ist nicht schön.

Es ist auch sehr klar, wie Sie ausgeführt haben, dass der pädagogische Alltag für solche Kinder eine Belastung, eine außergewöhnliche Belastung darstellt. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen, ich war immerhin 30 Jahre Lehrerin und habe da immer wieder Kinder in der Klasse gehabt, die Diabetes und auch epileptische Anfälle hatten. Ich war irgendwie konfrontiert damit, und das war teilweise eine sehr schwierige Sache. Verwunderlich ist für mich, dass 48 Prozent der Lehrer nicht wissen, dass sie so ein Kind in der Klasse haben. Das ist für mich nicht vorstellbar, denn irgendwie ist man ja sehr schnell damit konfrontiert.

Dass solche Kinder ein Recht auf Unterstützung und Assistenz haben, das, glaube ich, muss noch deutlicher eingefordert werden; und da darf man einfach nicht nachgeben. Wenn Sie, Herr Formanek, diese Erfahrungen gemacht haben, dann ist das eigentlich skandalös. Das darf man so nicht stehen lassen! Ich kann mir vorstellen, dass das passiert, ich denke aber, das ist nicht mehr die Mehrheit, und ich glaube, wenn es eben bestimmte Leistungen, eine fachliche Unterstützung in der Klasse gibt und somit auch eine zeitliche Entlastung, damit die Lehrkraft, die als Klassenlehrer in der Klasse steht, nicht belastet ist und einfach keine Zeit dafür verwenden muss, dann ist das für alle Kinder in der Klasse und nicht nur für die chronisch kranken Kinder förderlich. – Danke.

 

Abgeordnete Brigitte Jank (ÖVP): Herr Vorsitzender! Sehr geschätzte Damen und Herren! Sehr geschätzte Expertinnen und Experten! Danke vielmals für Ihre wirklich umfassende Darstellung und Ausführung der Problemstellungen, die hier seitens der Bürgerinitiative aufgegriffen wurden, einmal der breiten Öffentlichkeit publik gemacht wurden und letztendlich auch uns hier in diesem Hause damit konfrontieren. Ich möchte voranstellen, dass wir uns selbstverständlich auch im Rahmen der Bildungsreform  es ist bereits angesprochen worden – mit Teilthemen dieser Problematik – würde ich nach den heutigen Ausführungen einmal sagen – beschäftigen und insbesondere Rechtssicherheit herstellen. Das ist, glaube ich, ein wichtiger und notwendiger Schritt, um Lehrerinnen und Lehrer auch ganz einfach die Ruhe zu geben, dass sie, wenn sie etwas tun – und jeder kann irgendwann einmal einen Fehler machen –, dann auch in ihrer Tätigkeit den notwendigen Schutz haben.

Das wird vielleicht dazu führen, dass das eine oder andere Thema, das in der – wie selbst zugegeben – nicht repräsentativen Umfrage herausgekommen ist – es wird mehr Rücksichtnahme eingefordert, es wird auch die aktive Unterstützung zum Teil als nicht ausreichend empfunden und vielleicht da oder dort auch nicht so gelebt –, damit dann der Vergangenheit angehören kann.

Uns ist es wichtig, dass jedes Kind nicht nur am Unterricht an sich, sondern am gesamten schulischen Leben teilnehmen kann, also auch an all dem, was da außerschulisch an Aktivitäten und Freizeitaktivitäten passiert, selbstverständlich aber auch an der Nachmittagsbetreuung. Auch das ist ein wesentlicher und wichtiger Teil, weil wir ja den Weg des Ausbaus der ganztägigen Betreuung gehen. Das ist die Aufgabe, die wir zu leisten haben.

Allerdings möchte ich festhalten, dass wir aus meinem Verständnis heraus auch differenzieren müssen, was die Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern ist, warum sie Lehrerin beziehungsweise Lehrer geworden sind und was es an begleitenden und unterstützenden Maßnahmen braucht, damit sie ihre Aufgabe erfüllen können, freiwillig, gerne und unterstützt das tun können, was sie tun möchten, aber darüber hinaus auch auf eine tatsächliche Unterstützung durch dafür ausgebildete Personen zurückgreifen können. Ich erwarte mir durch die Clusterbildung, die die Schulreform bringen wird, die vereinfachte Möglichkeit, solche Personen – über die Cluster geregelt – zur Verfügung zu haben. Es wird ja vielleicht die Möglichkeit geben, durch die Verschiebung frei werdender finanziellen Mittel, da auch etwas beizutragen.

Ganz wichtig ist mir aber ein Aspekt, den ich heute erst so bewusst wahrgenommen habe: dass alles, was wir hier diskutieren, nicht ausschließlich nur ein Thema der Schule und damit des Bildungsressorts ist, sondern vor allem auch ein Thema des Gesundheitsressorts. Ich rege daher an, dass wir hier durchaus initiatorisch vonseiten der Bildung an das Gesundheitsressort herantreten, auch dort die entsprechende, vor allem auch begleitende, finanzielle Unterstützung, aber auch Unterstützung hinsichtlich Kompetenz eingebracht wird und es da zu einer besseren Zusammenarbeit kommt. Danke.

 

Abgeordneter Dr. Franz-Joseph Huainigg (ÖVP): Herr Vorsitzender! Werte ExpertInnen! Danke für dieses Thema, das wirklich wichtig ist und mit dem ich immer wieder konfrontiert bin.

Zur Regelung, dass die Schulärzte die Gesamtkoordination übernehmen, muss man sich genau anschauen, wie das jetzt geregelt wird.

Was mir wichtig ist, ist, dass bei freiwilligen Tätigkeiten der Lehrer nicht nur ärztliche Tätigkeiten, sondern auch pflegerische Tätigkeiten freiwillig durchgeführt werden und diese auch versicherungsrechtlich abgedeckt sind; denn wenn zum Beispiel ein Lehrer einmal auf einem Skikurs ist und einen Verband wechseln muss, dann sollte das auch rechtlich abgedeckt sein. Ich glaube nicht, dass das Länderkompetenz ist, denn es geht ja um das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, wo geregelt ist, wer welche Tätigkeiten durchführen darf – und das ist ein Bundesgesetz.

Ich unterstütze auch die Forderungen nach mehr Support, mehr Unterstützung, und ich denke da vor allem an die SchulassistentInnen, die in den Bundesschulen vom Bund finanziert werden und in Landesschulen von den Ländern.

So wie bei mir – ich habe eine persönliche Assistenz, die die Pflegetätigkeit und ärztliche Tätigkeit delegiert bekommt und von einer Pflegefachkraft eingeschult wird –, so sollte es auch im Schulbetrieb funktionieren, dass der Schulassistent dann auch diese Tätigkeit durchführen kann und soll. Ich glaube, das wäre im Bereich des Machbaren und es wäre auch eine wichtige Unterstützung für das pädagogische Personal. Danke.

 

Abgeordneter Wendelin Mölzer (FPÖ): Herr Vorsitzender! Ich darf mich auch für diese wesentliche Sensibilisierung – nicht nur von uns hier im Ausschuss, beziehungsweise im Nationalrat, sondern in weiterer Folge auch der Öffentlichkeit – für dieses doch sehr sensible und sehr komplexe Thema, bei dem es, wie heute schon mehrfach erwähnt worden ist, vor allem um die Frage der Information und dergleichen geht, bedanken.

Wenn ich das jetzt überblicken darf – ich bitte, mich gleich zu korrigieren, wenn ich es falsch sehe –: Aus Sicht der Initiatoren, der Initiative geht es einerseits um die Haftungsfrage, das ist heute schon mehrfach erwähnt worden, und dann auch grundlegend um die Frage der Information, dass es überhaupt Kinder mit entsprechenden chronischen Krankheiten gibt.

Ich glaube, da sollte man entsprechend ansetzen. In Zeiten von ELGA und Co muss es in irgendeiner Form möglich gemacht werden, dass es eine Art Verpflichtung gibt, zu informieren; gleichzeitig verstehe ich natürlich auch die Eltern, die eventuell Scheu haben, die Krankheiten ihrer Kinder zu deklarieren. Wir werden uns aber in irgendeiner Form etwas überlegen müssen, dass diese Informationen im Sinne der Kinder sichergestellt sind, damit es letztlich zu einer optimalen Betreuung und dergleichen kommt.

Eine zweite Frage, die, glaube ich, ganz klar auf der Hand liegt, ist offensichtlich die Frage der medizinischen Betreuung. Herr Generalsekretär Thaller hat vorhin das Hindernis der Kompetenzverteilung angesprochen: Da werden wir auf jeden Fall Lösungen finden müssen. Ich halte dieses Modell einer Schulkrankenschwester oder einer Art medizinischen Teams, das für Schulen zuständig ist, nämlich nicht nur für chronisch kranke Kinder, sondern generell, für sehr interessant. Das muss man sich natürlich anschauen. An größeren Schulstandorten wird das vielleicht einfacher sein als an kleineren Schulstandorten im ländlichen Raum, aber auch da sind wir dringend aufgerufen, entsprechend tätig zu werden, zumal eben der klassische Schularzt definitiv nicht ausreichend ist. Es ist, glaube ich, auch nicht notwendig, nur Ärzte zu haben, sondern es wäre besser und zielführender, etwa Krankenschwestern oder Krankenpfleger entsprechend einzusetzen.

Ein weiterer Punkt ist der Bereich der Ersten Hilfe: Das hat mich ein wenig erschreckt, weil mir das bis heute gar nicht so bewusst war, und – Frau Dr. Damm hat das schon richtig erwähnt – in dem Fall geht es nicht nur um die chronisch kranken Kinder. Mir war nicht bewusst, dass Lehrer nicht dazu verpflichtet sind, regelmäßig Erste-Hilfe-Kurse oder Ersthelferkurse zu machen, wenn ich das richtig verstanden habe. Bitte korrigieren Sie mich, Herr Generalsekretär, aber wenn ich weiß, dass es eine Arbeitsstättenverordnung gibt, aufgrund der, glaube ich, ab 29 Mitarbeitern ein Ersthelfer, der regelmäßig sein Wissen auffrischen muss, notwendig ist, dann muss ich mich schon fragen ... Also wenn es anders ist, dann freue ich mich, aber wenn dem nicht so wäre, sollten wir dringend entsprechend gesetzgeberisch tätig werden.

Ich glaube, das ist auf jeden Fall ein wesentlicher Punkt, dass jeder Lehrer regelmäßig einen Erste-Hilfe-Kurs besucht. Danke.

 

Abgeordneter Dr. Harald Walser (Grüne): Herr Vorsitzender! Hoher Ausschuss! Herzlichen Dank für diese Informationen, die zum Teil wirklich sehr betroffen machen. Wir wissen, dass es große Probleme gibt, aber Schilderungen, dass Kinder noch immer in der Volksschule abgewiesen werden, machen schon sehr, sehr betroffen. Ich glaube, wir sehen, dass wir da riesigen Handlungsbedarf haben; wir müssen zu einem System gelangen, das auf die Kinder ausgerichtet ist.

Ich weiß schon, das sind allgemeine Sätze. Wir waren mit den Bildungssprechern in Südtirol, und wir haben gehört, wie das dort organisiert wird: Eltern melden ihre Kinder an, und dann hat die Schule dafür zu sorgen, dass die Kinder dort aufgenommen werden können  Punkt. In diese Richtung muss es auch bei uns gehen, das heißt, wir brauchen natürlich dringend ein wirklich inklusives Schulsystem.

Zum Zweiten: Natürlich ist Rechtssicherheit geboten. Herr Generalsekretär Thaller hat darüber berichtet, was geplant ist. Ich nehme an, das sind die Ergebnisse dieses interministeriellen Dialogs mit dem Gesundheitsministerium, die Sie referiert haben. Das haben Sie ja in Ihrer Stellungnahme angekündigt. Sie haben damals auch geschrieben, dass das sehr breit aufgesetzt werden muss, ein Multi-Stakeholder-Prozess. – Mich würde interessieren, wie weit das gediehen ist oder ob das jetzt sozusagen schon zum Abschluss gekommen ist, denn ich glaube, da müssen wir dringend weitergehen. Einen Aspekt würde ich noch gerne anführen, auch aus meiner Praxis als Lehrer: Ich glaube, das Schulärztesystem muss bei uns schon auch grundsätzlich hinterfragt werden. Wenn wir sehen, dass etwa in den skandinavischen Ländern Krankenschwestern beziehungsweise Pflegepersonal an den Schulen ist, dann stelle ich mir oft die Frage, ob wir da den Level nicht zu hoch ansetzen und Ärztinnen und Ärzte an den Schulen haben, die de facto nichts machen können und dürfen.

 

Ich habe jetzt hier gehört, dass sich das ändern soll, aber ich glaube, hier sollte man dennoch ansetzen und gewährleisten, dass auch wirklich entsprechendes Personal an unseren Schulen ist.

 

Abgeordnete Mag. Helene Jarmer (Grüne) (in Übersetzung durch einen Gebärdensprachdolmetscher): Es sind oftmals verschiedene Themen, aber wir reden halt im Endeffekt immer über das Gleiche. Es geht um die Rechte der Kinder, in dem Fall der Schüler. Ihre persönlichen Erfahrungen haben mich sehr betroffen gemacht. Dieser Nachteilsausgleich, der oftmals angesprochen wird, gilt für alle Kinder, die mit einer Behinderung leben oder chronisch krank sind oder beides. Ich denke, es braucht dringend eine Umsetzung der Handlungsempfehlungen und zwar mit einer klaren Aufgabenverteilung: Was muss die Schule machen? Welche Information müssen an die Eltern gehen? Welche Informationspflichten muss es geben? Was braucht das Kind in der Schule?

In Südtirol sehen wir sehr deutlich, dass das sehr, sehr gut funktioniert: eine Regelschullehrerin, eine Inklusionslehrerin und eine Person, die assistiert, beispielsweise beim Essen – drei Personen in einem Raum, und es funktioniert.

Zu diesem Überlegen: Wer darf was und wie machen, und wer bekommt was? – Es gibt schon Modelle, die sehr, sehr gut funktionieren. Wir sitzen oftmals hier und diskutieren, aber ich denke, es braucht einfach klare Entscheidungen, die einfach auch umgesetzt werden müssen. Beispiele gibt es ja schon.

 

Abgeordneter Mag. Dr. Matthias Strolz (NEOS): Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Danke den Expertinnen, den Experten, den Betroffenen, dass Sie uns hier einen Eindruck vermittelt haben. Natürlich bekommt es in der Auseinandersetzung eine andere Qualität, auch für uns als Gesetzgeber, wenn wir Sie als Experten, als Betroffene an Bord haben.

Einige Punkte und einige Fragen: Meiner Überzeugung nach braucht es da einen Case-Management-Ansatz, weil natürlich jede Krankheit eine andere Befindlichkeit, eine andere Situation auslöst. Wir tun uns wahrscheinlich als Gesetzgeber auch schwer, das gesetzlich zu reglementieren; es braucht einen Auftrag an die Schulen, der formuliert werden muss. Ich glaube – und natürlich hat Südtirol da etwas –, dass es dann multiprofessionelle Teams braucht, die jeden einzelnen Fall in Augenschein nehmen können und das ideale Setting dafür schaffen. Anders wird es nicht gehen.

Das heißt aber auch, dass wir für solche multiprofessionellen Teams die Vorkehrungen treffen müssen. Ich halte die österreichische Schulverwaltung im aktuellen Zustand dafür ehrlich gesagt nicht für geeignet, weil die Einheiten dafür falsch geschnitzt sind. Die Schule ist als einzelne Einheit oft zu klein dafür, um das ressourcenmäßig abdecken zu können; vielleicht gibt es Erleichterung durch die Clusterlösung, da wir damit zu größeren Einheiten kommen. Das Bundesland ist dann schon wieder zu groß dafür, habe ich den Eindruck, dass es am Einzelfall ordentlich dran sein kann.

Da wäre unser Vorschlag  den wir auch immer wieder eingebracht haben –, dass man in Bildungsregionen denkt, wahrscheinlich der sinnvollste. Ich bin aber auch realpolitisch veranlagt und sage: Die werden demnächst nicht kommen! – Ich möchte halt sagen, was unser Mittelfristansatz wäre, weil ich glaube, dass eine Bildungsregion in der Größe eines oder mehrerer Bezirke die richtige Einheit wäre, um zu einem Case-Management-Ansatz zu kommen, wo multiprofessionelle Teams auch funktionieren.

Ich hätte an die Expertinnen, die Experten und die Betroffenen folgende Frage: Gibt es einzelne Schulen oder Bundesländer, die Ihrer Meinung nach mit einem guten Beispiel vorangehen, von denen man also wirklich auch aus der jetzigen Praxis lernen könnte?

Zweite Frage: Gibt es andere Länder, idealerweise im EU-Umfeld, anhand derer wir Best-Practice studieren können, wie das dort legistisch, gesetzgeberisch implementiert ist?

Und dann eine Frage an Dominik Formanek: Ich habe verstanden, dass du jetzt auf der Uni bist und die Unis sich eine freiwillige Selbstverpflichtung gegeben haben, dass quasi der Betroffene, die Betroffene eine Meldung übers Rektorat – oder wie auch immer – macht, und dann alle betroffenen Lehrpersonen über die Krankheit und die Bedürfnisse, die damit verbunden sind, informiert werden. Wenn ich es richtig verstanden habe, funktioniert es deiner Wahrnehmung nach an den Unis wesentlich besser als an den Schulen. Was können wir davon lernen, auch als Gesetzgeber, oder ist das etwas, das die Institutionen für sich ausdealen müssen?

 

Abgeordneter Ing. Robert Lugar (STRONACH): Auch von meiner Seite einen herzlichen Dank an die Bürgerinitiative, an die Experten und selbstverständlich auch an die Betroffenen, dass Sie uns heute dieses Thema nähergebracht haben!

Ich kann vieles unterstreichen, was schon gesagt wurde, es gibt viel Handlungsbedarf. Worin ich aber ein großes Problem sehe, ist die Ansicht, dass es notwendig ist, die Lehrer diesbezüglich in die Pflicht zu nehmen und es den Lehrern auf freiwilliger Basis zu ermöglichen, Leistungen zu erbringen, und das dann im Sinne von Haftung auch abzusichern.

Ich halte das deshalb für einen Fehler, weil es letztlich ja um das Kind geht; es geht um seine Bedürfnisse, und wenn man das Ganze den Lehrern aufbürdet, gibt es zwei Probleme: Die Lehrer, zumindest die meisten, sind ohnehin schon überlastet. Der Lehrer ist ja nicht nur Pädagoge, er ist auch Sozialarbeiter, er ist auch Mediator, und er kümmert sich um so viele Dinge, und jetzt muss er sich zusätzlich auch noch um Betreuungsleistungen im medizinischen Bereich kümmern.

Es wurde bereits angesprochen, dass da oft das Wissen fehlt und auch die Zeit und die Möglichkeit, sich wirklich so darum zu kümmern, dass den Kindern auch entsprechend geholfen ist. Das heißt, so wenig man es den Lehrern zumutet, schnell Reparaturen im Klassenzimmer durchzuführen, um sich möglicherweise den Installateur zu sparen, wenn ein Wasserhahn tropft, so wenig sollte man ihnen das zumuten, sondern die Dinge immer den Experten überlassen.

Gerade was Betreuungsleistungen betrifft, ist es ja nicht die Frage der Haftung, wenn etwas passiert, sondern die Frage: Wie können wir verhindern, dass etwas passiert? Was hat die Mutter, was hat der Vater davon, wenn das Kind möglicherweise durch eine schlechte Behandlung stirbt und der Staat dann haftet, weil die Haftung geklärt ist? Was bringt das den Betroffenen? Es ist doch viel besser, wenn man geeignetes Personal hat, damit das gleich gar nicht passiert.

Hier können die Lehrer nicht einspringen, denn die Lehrer werden oft vertreten. Ist ein Lehrer einmal krank, dann muss ein anderer einspringen, und der weiß dann wieder nichts und kann nicht helfen – deshalb muss, und da dürfen wir weder die Schule noch die Lehrer in die Pflicht nehmen, der Staat dafür sorgen, dass ausreichend Personal zur Verfügung steht. Das kann man zusammenfassen, das kann man organisatorisch strukturieren, aber es darf nicht den Lehrern umgehängt werden, auch nicht auf freiwilliger Basis, denn dann wäre es eine Gnade und keine Verpflichtung.

Die Verpflichtung muss lauten: Wir müssen den Kindern das geben, was sie brauchen. Da darf es auch überhaupt keine Diskussion darüber geben, ob das finanzierbar ist oder nicht. Es muss finanziert werden, denn jeder Folgeschaden, der durch eine schlechte Betreuung entsteht, lastet ja dann auch auf den Schultern der Steuerzahler. Es ist hundertmal besser, die Dinge gleich von Anfang an richtig zu machen. Deshalb ist die einzige Richtung, die ich mir vorstellen könnte, dass wir erstens einmal endlich diesen Kompetenzwirrwarr verfassungsrechtlich auflösen. Ich glaube, dass das ganz, ganz wichtig ist.

Wenn ich heute höre, dass ein Arzt gar keine medizinische Betreuung durchführen darf, dann ist das ja an Schwachsinn überhaupt nicht zu überbieten, und wenn das Ganze dadurch entstanden ist, dass wir eben diesen Kompetenzwirrwarr haben, dann ist der Gesetzgeber, also wir alle, verpflichtet – und zwar sofort –, das aufzulösen. Da wir ja die Möglichkeit haben, das im Parlament jederzeit auch verfassungsrechtlich zu klären, sollten wir das ganz, ganz schnell tun – im Sinne der Kinder, im Sinne all jener, die jetzt unter diesen Schwachsinnigkeiten leiden.

Jedes Kind, das schlecht betreut ist und dadurch einen Folgeschaden erleidet oder vielleicht sogar stirbt, ist auf jeden Fall ein Kind zu viel. Da haben wir als Parlamentarier die verdammte Pflicht, endlich einzuschreiten. Vielen Dank.

 

Obmann Dr. Walter Rosenkranz merkt an, dass er eine kurze Expertenrunde, insbesondere auch Beiträge seitens der Bürgerinitiative, zulassen werde, obwohl dies nicht vorgesehen sei. Er verweist auf konkret gestellte Fragen, bittet um kurze Stellungnahmen und erteilt Herrn Hopfinger das Wort.

 

Peter P. Hopfinger (Diabetes Austria): Großartige Veranstaltung, finde ich! Ich freue mich wahnsinnig, dass es gelungen ist, Ihnen hier die Problematik mit Patientenbeispielen näherzubringen, mit den Fällen, die wir zusammengetragen haben.

Ich möchte abschließend noch auf eines hinweisen: Ich meine, es ist doch jeder Mensch auf der einen Seite verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten, also auch ein Lehrer. Wenn diese regelmäßige Wiederholung von Erste-Hilfe-Kursen für Pädagogen nicht so stattfindet, wie ich sie mir wünsche, nämlich einmal jährlich, dann, finde ich, ist das eine Katastrophe. Ein Erwachsener muss helfen können, wenn einem Kind irgendetwas passiert, das muss nicht einmal ein chronisch krankes Kind sein. – Das ist das eine.

Das Zweite betrifft das Thema aus pädagogischer Sicht: dass man in Schulen offener mit der ganzen Problematik umgeht, nicht nur, was Diabetes und chronische Erkrankungen angeht. Gerade bei Diabetes ist es jedoch leichter, das Thema sogar in den Unterricht einfließen zu lassen und eventuell in Unterrichtsstunden über Ernährung und Bewegung zu sprechen. Die Mediziner sprechen von einem Tsunami an Diabetes Typ 2, der auf uns zukommt.

Es wurde heute auch schon kurz das Thema übergewichtige Kinder angesprochen: Wenn man einen offenen Umgang, zum Beispiel mit Diabetes, pflegen würde, könnte man durch Unterricht eventuell verhindern, dass Kinder an Typ-2-Diabetes erkranken; bei Typ 1 wird man das wahrscheinlich nicht verhindern können.

Ich danke Ihnen trotz allem für Ihr Engagement, ich hoffe, dieses geht weiter. Wir kämpfen seit vielen Jahren dafür, ich hoffe, Sie tun das auch. – Danke schön.

 

Dr. Lilly Damm (Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien): Lange muss ich nachdenken, was ich Ihnen jetzt sage. Bitte handeln Sie! Ich erlebe diese Diskussion seit über zehn Jahren. Ich habe beschämende Pingpongspiele bei parlamentarischen Anfragen wahrgenommen. Ich habe wahrgenommen, dass sich die Vertreter der Bürgerinitiative und auch meine Wenigkeit unendlich dafür einsetzen, dass da wirklich eine Bewusstseinsänderung stattfindet, und meine allergrößte Bitte dazu ist: Bitte handeln Sie, und zwar bald – für die Kinder!

Die Kinder können nämlich ihr Leben nicht verschieben und sagen: Ich warte jetzt mit meinem Diabetes, bis die Parlamentarier sich das gut überlegt haben! – Bitte entschuldigen Sie, wenn ich das so sage. Die Kinder haben keine Chance, sie sind uns jetzt, hier und heute ausgeliefert – und dem, was wir jetzt, hier und heute tun.

Ich freue mich unendlich, dass Sie uns zugehört haben, dass Sie diskutiert haben. Ich darf eine Antwort geben: In Schweden gibt es ein vorbildliches Modell für die Schulgesundheitspflege, hauptsächlich verantwortlich sind dort Schulkrankenschwestern. Für alle anderen Fragen stehe ich gerne weiter zur Verfügung – sehr, sehr gerne.

 

Eva Bernat, BEd (Pädagogische Hochschule Graz): Auch in Österreich gibt es Best-Practice-Modelle: Derzeit werden, was die inklusive Schulentwicklung betrifft, in drei Bundesländern inklusive Modellregionen erprobt. Im Rahmen dieser Konzeptentwicklung ist all das Thema: Unterstützungssysteme, Unterrichtsentwicklung für alle Kinder, und dass Schulen als lernende Organisationen Schule so organisieren, dass alle Kinder mit ihren speziellen Bedürfnissen Platz haben. Das ist das Schwerpunktprojekt der inklusiven Modellregion in der Steiermark, Kärnten und Vorarlberg. Natürlich gibt es im Rahmen dieser Entwicklung Best-Practice-Modelle, die man sich anschauen und dann aufs Bundesgebiet übertragen kann.

Wir stehen vor vielen Herausforderungen – es gibt bereits Modelle dazu, diese sind schrittweise auszuweiten, und die Lehrer sind dabei durch Meinungsbildung zu unterstützen und durch Information zu befähigen, dem ihnen vom Gesetz übertragenen Auftrag nachzukommen, alle Kinder am Schulstandort bestmöglich zu betreuen.

 

Mag. Romana Deckenbacher (Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer): Ich muss zuerst einmal meine Betroffenheit aussprechen, nämlich als Lehrerin. Wenn ich das höre, was Herr Formanek vorgebracht hat, tut mir das aufrichtig leid. Es gibt leider Gottes eben auch Kolleginnen und Kollegen, die so etwas offensichtlich auch wirklich tun – das finde ich ganz schrecklich, das muss ich an dieser Stelle auch ganz klar sagen.

Zum Thema Erste Hilfe möchte ich Folgendes sagen: Selbstverständlich ist es dringend notwendig, dass regelmäßig Erste-Hilfe-Kurse gemacht werden, nicht nur für chronisch kranke Kinder. Dazu braucht es jedoch ein entsprechendes Fortbildungsangebot, dazu braucht es auch entsprechende finanzielle Unterstützung. Sehr oft höre ich nämlich, dass Kolleginnen und Kollegen sagen: Wir finanzieren uns einen Erste-Hilfe-Kurs selbst, wir kümmern uns mithilfe unterschiedlichster Organisationen selbst darum. Das kann seitens des Dienstgebers so nicht sein, muss ich ganz offen und ehrlich sagen.

Der nächste Punkt ist: In Österreich gibt es die Modellregionen, aber es gibt in England, in skandinavischen Ländern, aber auch in Deutschland sehr wohl das Modell der Gesundheitsteams und des Supports. Da bin ich dann selbstverständlich bei Ihnen, Herr Lugar: Diese Aufgaben sollten in erster Linie von entsprechend professionell ausgebildeten Personen übernommen werden und nicht von Lehrerinnen und Lehrern! Da stehe ich hundertprozentig dahinter.

Wir wissen aber auch, wie es in der Praxis ist, und da bin ich auch dem Herrn Generalsekretär dankbar, dass das endlich zu Papier gebracht wird, dass wir da zumindest eine Lösung bezüglich der rechtlichen Situation haben. Diese Ängste sind da, auch wenn das vielleicht, wie vorhin schon gesagt wurde, so ein Phantom ist – trotzdem ist es notwendig; grundsätzlich bin da aber völlig Ihrer Meinung.

 

Elsa Perneczky (Österreichische Diabetikervereinigung): Mir ist es wichtig, noch einmal zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes zu differenzieren. Kinder haben Typ-1-Diabetes, das ist eine Autoimmunerkrankung, das hat nichts mit falschem Lebensstil, falscher Ernährung, Übergewicht et cetera zu tun. Es ist richtig, dass es in Amerika auch schon Typ-2-Diabetes bei Kindern gibt, und es ist zu befürchten, dass das auch zu uns herüberschwappen wird – bis jetzt ist das jedoch noch nicht gravierend. – Das ist das eine.

Das Zweite ist: Mit der School Nurse hat man sehr, sehr gute Erfahrungen im angloamerikanischen Raum.

Zum Dritten: So eine richtige Vorzeigschule für chronisch kranke Kinder kann ich nicht nennen, das ist nach meiner Erfahrung immer sehr personenbezogen. Einzelne engagierte Lehrer übernehmen die Unterstützung, und andere halt nicht. Das Problem ist: Wenn diese Person aufgrund von Krankheit oder sonst irgendetwas ausfällt, dann weiß niemand Bescheid, und die Unsicherheit ist wieder gegeben.

Zum Schluss noch ein Appell: Ich glaube, keine Gesellschaft kann es sich leisten, ihre Kinder im Stich zu lassen! In diesem Sinne: Bitte!

 

Mag. Angela Sandor, MAS: Ich möchte mich auch bedanken, dass wir heute die Gelegenheit hatten, dieses Thema hier zu erörtern. Ich meine, es ist klar geworden, dass die Kinder wirklich medizinische Unterstützung benötigen. Ich gebe Ihnen recht, die Haftungsfrage allein wird es nicht sein. Wir wissen, dass es Modelle mit School Nurses oder mit Personen in Gesundheitsberufen an den Schulen gibt. Ich denke, das wird vor allem im Zuge der Ganztagsschule unumgänglich sein. Das ist etwas, das ja nicht nur den chronisch kranken Kindern zugutekommt, sondern das kommt allen Kinder zugute.

Es gibt jetzt schon so Ansätze, dass sich Eltern das mehr oder weniger selbst über mobile Kinderkrankenschwestern organisieren, die kommen und zum Beispiel beim Essen helfen, Broteinheiten zu berechnen und Insulin abzugeben. Das wären mögliche Methoden, aber da ist halt nicht vorgesehen, dass das von der Schule kommt. Ich denke, da muss man wirklich ansetzen. Man kann sich das nicht einfach zwischen den Ministerien zerreiben lassen, denn das geschieht derzeit: Jeder zieht sich zurück und meint, das sei nicht seine Verantwortung – aber es ist durchaus eine Verantwortung, denn das Kind ist in der Schule und benötigt die Unterstützung.

Eine Lösung nur über die Schulärzte allein sehe ich jetzt auch nicht wirklich, muss ich ehrlich sagen, denn die sind nur stundenweise an der Schule. Das Kind braucht aber eigentlich die ganzen acht oder neun Stunden, die es an der Schule ist, Unterstützung. Es kann nämlich jederzeit ein Notfall eintreten – und nicht nur am Donnerstag von 11 bis 13 Uhr.

Das ist mein Appell an Sie: im Hinterkopf zu behalten, dass man eine chronische Krankheit nicht auf Zeiten einstellen kann. – Danke vielmals.

 

Dominik Formanek (SHG Rheumalis): Ich hoffe auch, dass angekommen ist, dass es einen Bedarf für neue gesetzliche Regelungen gibt, damit eben die chronisch kranken Kinder ihren Schulalltag genauso wie nicht betroffene Kinder absolvieren können. Sie werden die Schulbildung beziehungsweise die Matura wahrscheinlich sogar notwendiger haben als nicht betroffene Kinder, da sie in ihrem weiteren Berufsleben doch eingeschränkt sind.

Als Beispiel kann ich auch sagen, dass es an den Universitäten in Österreich Gott sei Dank wesentlich besser funktioniert, dass die selbst engagierter sind. Es gibt, glaube ich, an 17 von 19 Universitäten und Fachhochschulen eine Art Behindertenbeauftragten, an den man sich als chronisch kranker junger Erwachsener wenden kann. Dieser setzt dann einfach mithilfe eines ärztlichen Attests ein Schriftstück auf, das der obersten Fakultätsbeauftragten zugeschickt wird, und diese kümmert sich um alles.

Das wird von der obersten Fakultätsbeauftragten, vom Betroffenen selbst und auch von der Behindertenbeauftragten unterschrieben, da sind dann die Rechte des chronisch Kranken festgehalten. Sollte etwas anderes geschehen, also dass sich ein Professor darüber hinwegsetzt, ist das gesetzlich unzulässig, und da gibt es auch wirklich Rechtssicherheit. Man hat also wirklich rechtlich einen Anspruch darauf, dass das umgesetzt wird, und ist nicht auf den Goodwill einzelner Lehrpersonen angewiesen.

 

Professor Ernst Smole (Internationales Forum für Kunst, Bildung und Wissenschaft): Vielen herzlichen Dank für diese Beispiele aus der Schulpraxis, die sehr berührend, aber unter dem Strich schockierend sind. Ich meine, es geht genau darum: 20 überlebhafte Kinder – und dann muss eine Spritze gegeben werden. Es ist, wie Herr Ing. Lugar gesagt hat, nicht damit getan, zu klären, wer dann hinterher nicht an dieser Sache schuld ist. Es gilt ganz einfach, im Interesse der Kinder zu verhindern, dass überhaupt etwas passiert, und dafür brauchen wir diese Ruhe, die für die Schule und fürs Lernen insgesamt nötig sind.

Wir sind heute ständig über die österreichische Bundesverfassung gestolpert; also wenn man sich das anschaut: Das Schulwesen ist aufgrund seiner Komplexität – eine Schulverwaltung, passend für ein Land mit 66 Millionen Einwohnern – schlichtweg nicht autonomiefähig. Sie finden auf Ihren Plätzen einen kurzen Entwurf für einen Schulföderalismus Neu, entwickelt mit den namhaftesten Verfassungsrechtlern dieses Landes. Diese sagen zum Beispiel, dass in so einem Föderalismus statt der mehreren Tausend Gesetze für die Schule 200 Gesetze ausreichend wären.

Hans Kelsen, der wichtigste Autor der Bundesverfassung, schreibt in seinem Standardwerk zum österreichischen Staatsrecht aus dem Jahr 1923: Bitte ändert die Verfassung, wenn es notwendig ist. Die Verfassung wurde in der Zweiten Republik über hundertmal geändert, und zwar größtenteils völlig unaufgeregt. Wir müssen endlich so weit kommen, dass wir die Verfassung auch dort ändern, wo es um die Zukunft unserer Kinder geht, und das ist die Schule genauso wie die Gesundheit.

 

Obmann Dr. Walter Rosenkranz bedankt sich für die Redebeiträge und unterbricht die Sitzung zum Zwecke der Vorbereitungen für den zweiten Tagesordnungspunkt.

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(Die Sitzung wird um 11.53 Uhr unterbrochen und um 12.03 Uhr wieder aufge­nommen.)

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Obmann Dr. Walter Rosenkranz nimmt die unterbrochene Sitzung wieder auf, verweist auf die vereinbarten Redezeiten und bittet die Vertreter der Bürgerinitiative 102/BI um ihren Beitrag.

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Bürgerinitiative (102/BI) betreffend „Wahlfreiheit braucht Wahlmöglichkeit! Die Errichtung von Modellregionen ohne das Angebot von Sonderschulen oder Sonderschulklassen darf nicht so weit reichen, dass das Recht der Betroffenen auf Wahlfreiheit beschnitten wird“

Ilse Schmid (Steirischer Landesverband der Elternvereine an Schulen für Schulpflichtige): Grüß Gott und danke für die Möglichkeit, hier zu sprechen. Die Bürgerinitiative ist ja bekannt. Ich möchte betonen, es geht nicht um die Bezeichnung Sonderschule oder Sonderschulklasse, die unbedingt aufrechterhalten werden soll oder müsste, sondern ausschließlich um den inhaltlichen und organisatorischen Rahmen, der entsprechend beschaffen sein muss und den Kindern mit besonderen Bedürfnissen, insbesondere den speziell Beeinträchtigten, weiterhin zur Verfügung stehen muss.

Ich komme aus der Steiermark. Dort hat sich eine Gruppe von Eltern an den Landesverband der Elternvereine, den ich als Vorsitzende leite, gewandt, weil dort ganz massiv aufgekommen ist, dass die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen fordern würde, dass jede spezielle Kleinklasse und alles, was extra für Kinder mit Behinderungen geschaffen wird, wider die Kommission sei und dass daher Inklusion einfach zu bedeuten habe – so wie es in der Steiermark ja zu fast 90 Prozent gehandhabt wird –, dass die Kinder in Regelschulklassen mit mehr oder weniger vielen Stützlehrerstunden und Pflegepersonen sind. Das ist für viele Kinder und ihre Bedürfnisse einfach untragbar, deswegen gibt es die große Forderung nach Beibehaltung der Sonderschule in ihrer Struktur und ihrem Rahmen, den sie den Kindern bietet.

Die UN-Konvention fordert aber nicht, dass die Kinder sozusagen keine speziellen Rahmenbedingungen haben dürfen, sondern spricht vom „general education system“. Angesichts der Tatsache, dass es weltweit Millionen von Kindern gibt, die von jeglicher Bildung ausgeschlossen sind, ist auch klar, dass der Ausdruck „general education system“ das allgemein bildende Schulsystem meint.

Sehr viele Länder, die wir durchaus als fortschrittlich anerkennen, haben special schools und special classes. Das ist es, was in einer gewissen Weise den Eltern von Kindern mit Behinderungen signalisiert werden muss: dass es das für ihre Kinder, wenn sie das brauchen, auch weiterhin geben wird, unter welchem Namen und an welchem Ort immer.

Artikel 24 der Behindertenrechtskonvention verlangt nicht die Abschottung, verlangt nicht ein Verbot der speziellen Beschulung, sondern fordert, dass die Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität zur Entfaltung bringen können. Da ist es unsere Aufgabe, zu schauen, in welchem Rahmen das sein kann. Die Gliederung der Schule, das allgemein bildende Schulsystem, umfasst bei uns die Volksschule, die Neue Mittelschule, die Polytechnische Schule und eben diese besondere Schule, die jetzt bei uns unglücklicherweise Sonderschule heißt, was eine Bezeichnung ist, die mit sehr vielen Vorbehalten verknüpft ist.

Zufrieden sind Eltern damit, dass sie eine gewisse Mitsprache haben, in welcher Art und Weise ihre Kinder mit Beeinträchtigungen beschult werden, in welchem Rahmen – ob es eine Kleingruppe oder eben eine komplette Regelschulklasse, in der die Kinder überall und immer mit dabei sind, sein soll –, denn Eltern, die ihre Kinder sechs Jahre lang bis zum Schuleintritt begleitet haben, wissen einfach auch, was ihre Kinder brauchen.

Derzeit ist es so, dass der Besuch einer speziellen Klasse in einer Sonderschule oder eben einer Regelschulklasse ermöglicht werden muss, wenn Eltern das wünschen. Der Landesschulrat muss dafür Sorge tragen, dass diese Rahmenbedingungen erfüllt werden. Die bestehenden Angebote sind bekannt. Wir haben auch die Möglichkeit der Kooperationsklasse. Das sind spezielle Klassen – jetzt noch Sonderschulklassen genannt –, die eng mit Volksschul- und anderen Klassen kooperieren.

Sonderschule ist nicht gleich Sonderschule, das wissen wir alle. Es gibt Sonderschulen, die sich bei speziellen Probleme besonders verdient gemacht haben. Wir haben in der Steiermark viele dieser Sonderschulen wie das Landesinstitut für Körperbehinderte, wo an der Schule selbst bereits eine Volksschule angeschlossen ist, sodass dort eine enge Kooperation stattfindet, aber gleichzeitig für die Kinder die Infrastruktur mit Schwimmbad, Hippotherapie und so weiter gegeben ist.

Die Behindertenrechtskonvention fordert geeignete Maßnahmen, die ich aus Gründen der Zeit jetzt nicht verlesen werde, aber darin wird ganz dezidiert verlangt, dass es die Möglichkeit der Gebärdensprachenverwendung gibt, dass die Brailleschrift vermittelt werden muss, und so weiter. Das zeigt deutlich, dass da nach wie vor Pädagoginnen und Pädagogen mit ganz speziellen Ausbildungen gebraucht werden, weil das anders nicht geleistet werden kann. Die Vertragsstaaten werden auch verpflichtet, unter Umständen auch Lehrkräfte mit entsprechenden Behinderungen einzustellen und die Fachkräfte ganz besonders gut zu schulen. Voraussetzung ist eben, dass das zur Verfügung steht. Das wollen auch die Eltern, die sehr stark dahinter waren, dass eine Initiative gesetzt wird, um auf ihre spezielle Situation aufmerksam zu machen.

Der sonderpädagogische Förderbedarf wird als Makel angesehen, aber er ist etwas, das zur Unterstützung des Kindes da ist. Er darf, wenn dem Gesetz Genüge getan wird, nicht leichtfertig zuerkannt werden, das heißt, die allgemeinen Vorwürfe, dass zu viele Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf zuerkannt bekommen, muss man nicht an die Eltern richten, sondern an die Behörde.

Ziel ist es, dass die Kinder möglichst den Lehrplan der Volksschule, der NMS oder auch der AHS erreichen können, und nicht, dass sie irgendwo im Sonderschullehrplan verbleiben. Wir haben sehr unterschiedliche SPF-Quoten, was zeigt, dass die Handhabung sehr unterschiedlich ist, obwohl wir eine Bundesgesetzgebung haben – Inklusion laut verbindlichen Richtlinien des Ministeriums, diese sind bekannt.

Die Eltern von Kindern mit Behinderungen wollen nicht, dass ihre Kinder Benachteiligungen erfahren, wenn man versucht, diese Unterschiede, die es nun einmal gibt, komplett auszublenden. Es ist nun einmal notwendig, anzuerkennen, dass ein Kind mit einer bestimmten Behinderung auch ganz besondere Bedürfnisse hat, was auch in der Erklärung der Rechte des Kindes steht, nämlich dass das Kind, das körperlich, geistig oder sozial behindert ist, jene besondere Behandlung bekommt, die seine Lage erfordert.

Eine Mutter und betroffene Pädagogin hat nach langem Ringen erkannt, dass es mehr ihre eigenen Bedürfnisse als jene ihres Sohnes waren, die sie dazu veranlasst haben, ihn lange Zeit in einer normal großen Klasse zu belassen. Sie schreibt: Das ist Inklusion: zu erkennen, dass jeder von uns seine eigenen Bedürfnisse hat und niemand von uns, ob behindert oder nicht behindert, gleichbehandelt werden will. – Zitatende.

Damit schließe ich. Was Herr Professor Paul Liessmann über Inklusion und Exklusion gesagt hat, kann man nachlesen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

 

Mag. DI Dr. Valentino Hribernig-Körber (Vertreter der Bürgerinitiative 102/BI): Frau Bundesministerin! Geschätzte Damen und Herren! Ich bin hier als Vater einer Tochter, die für viele Kinder aus einem ganz speziellen Spektrum steht, und ich möchte jetzt eigentlich auch nichts anderes in den Betrachtungshorizont hereinnehmen als die Kinder, die unter dieses Spektrum fallen.

Ich möchte ein bisschen vom Anforderungsprofil sprechen, über die Rahmenbedingungen, die sie braucht, um in einer Schule reüssieren zu können, und dann am Ende ein paar Worte zum Thema soziales Lernen und Inklusion sagen.

Meine Tochter ist Jahrgang 2008. Nach kurz nach der Geburt auftretenden heftigen epileptischen Anfällen und einem nicht benennbaren genetischen Lesefehler, demzufolge ein sehr umfassendes genetisches Syndrom besteht, hat sie eine ganze Reihe von Beeinträchtigungen zu bewältigen, eine Entwicklungsverzögerung von circa eineinhalb Jahren. Sie ist aber laut Tests ganz normal intelligent, IQ 113, sprachlich sogar weit überdurchschnittlich. Was am meisten beeinträchtigt, sind eine schwere Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsstörung, eine teilweise völlig fehlende Impulskontrolle und Anteile aus dem autistischen Spektrum.

Insgesamt bewirkt der Gendefekt einen massiv herabgesetzten Muskeltonus, das heißt, alle Vorgänge, die in irgendeiner Form mit Muskelarbeit zu tun haben, fallen ihr schwer, auch Ausdauer, sie hat eine sehr schlechte Feinmotorik, hat Schwierigkeiten bei der deutlichen Artikulation, es wirkt sich aufs Hören, aufs Verweilen mit den Augen beim Lesen und vieles andere aus. Sie ist seit Schuleintritt medikamentös eingestellt – Methylphenidat, die Präparate sind hinlänglich bekannt.

Sie hat trotz der intellektuellen Voraussetzungen eine ausgeprägte Lernschwäche, händisches Schreiben, Zeichnen und so weiter in deutlicher Weise ist fast unmöglich, eine Rechenschwäche, die auch mit ihrer Körpermuskelsituation zu tun hat. Die Aufmerksamkeitsspanne beträgt in der Regel 5 bis 10 Minuten für eine Einheit, bei einer extremen Ablenkbarkeit durch jede Art von Impulsen, egal, ob optische oder akustische. Dazu kommt aber, dass ein gescheites Kind sich selbst auch ganz deutlich so wahrnimmt und diese Selbstsituation mit teilweise aggressivem, teilweise depressivem Verhalten beantwortet, im Unterricht schnell einmal verweigert oder, im Gegenteil, versucht, überdimensional dominant mitzuarbeiten.

Ein ganz großes Thema ist die Gruppenintegration. Sie hat Schwierigkeiten, soziale Signale richtig zu deuten, ist meistens zu impulsiv, wird somit auch als aggressiv wahrgenommen.

Wir haben es im Kindergartenalter mit normalen und auch Integrationskindergärten versucht. Die Reaktion vonseiten des Kindes war ein Totalausstieg aus der Realität. Das wäre, wenn wir es nicht bemerkt hätten, wahrscheinlich irgendwann ins psychotische Schema gekippt, und zwar nicht, weil die Gruppe so schlecht war, sondern weil sie einfach mit der Gruppengröße nicht zurande gekommen ist. Da hätten Mahatma Gandhi und der Dalai Lama und Jesus Christus drin sitzen können, sie hätte es trotzdem nicht geschafft.

Sie ist meiner Meinung nach ein repräsentatives Beispiel für eine ganze Reihe von ähnlich beeinträchtigten Kindern, mit ihrer sehr speziellen Körperbehinderung, die man ihr so nicht ansehen würde, mit dem nach Studien immer häufigeren Diagnosespektrum ADHS und Asperger-Autismus, mit der sehr ausgeprägten Lernbehinderung, und weist auch in ihrem Verhalten eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten mit normal verhaltensauffälligen Kindern auf, deren Zahl – wiederum nach Studien – im Zunehmen begriffen ist. Für diese Gruppe möchte ich jetzt kurz einen Blick auf die adäquate Schulform werfen.

Adäquat heißt aus meiner Sicht, dass jene Rahmenbedingungen vorhanden sind, die dem Kind ermöglichen, einen Schulerfolg zu erzielen, der seinen intellektuellen Möglichkeiten entspricht. Dazu ist das erste Thema die Kleingruppe, weil es nur dort vor sozialer Überforderung geschützt ist und man dort darauf schauen kann, dass es nicht abgelenkt wird und keine Reizüberflutungen stattfinden.

In der Kleingruppe ist eine angepasste Lerngeschwindigkeit möglich. Es ist für solche Kinder Assistenz bei täglichen Verrichtungen wie dem Toilettengang et cetera notwendig. Der Unterricht muss in Viertelstundeneinheiten gestaltet sein, mit häufigem Wechsel und auch haptischen Einheiten, in jungem Alter zum Beispiel die Sandkiste und in anderen Altersstufen andere Möglichkeiten. Es geht also um ganz kleine Portionen, die aber durchaus intellektuell aufgefasst werden können.

Die Abläufe müssen sehr eng und sehr klar strukturiert sein. Es hilft, wenn man visualisiert, wie das Ganze abläuft, und es gibt quasi null Spielraum, das in irgendeiner Form flexibel zu verändern.

Spezifische Unterrichtsmaterialien: Ich kann annehmen, dass Sie sich vorstellen können, dass sie für solche Kinder notwendig sind. Es betrifft aber auch die spezielle Raumgestaltung. Im besten Fall sind das völlig leere, nicht dekorierte Räume, in denen die Sitzmöbel und das Unterrichtsmaterial vorhanden sind. Es muss übersichtlich sein, um jede Ablenkung auszuschließen.

Solche Kinder zu unterrichten erfordert hoch qualifiziertes Personal, das speziell für diese Belastungslage ausgebildet ist. Zusätzlich ist es einfach eine Art von Unterricht, die hundert Prozent Präsenz erfordert, durch eine Identifikationsperson, die das Kind eigentlich während der ganzen Zeit braucht – das alles aber nicht nur stundenweise oder fächerweise oder Teile der Woche, sondern diese Kinder brauchen das rund um die Uhr: die Kleingruppe, das spezielle Personal, den entsprechenden Raum. Sie haben sonst keine Chance, in der Gruppe ihren Weg zu machen.

Meine These: Das Angebot in den derzeit als Sonderschulen geführten Bildungseinrichtungen entspricht Kindern mit dem dargestellten Syndrom in hohem Maße. Volksschule, NMS, AHS, so wie sie uns derzeit als Inklusionsmodell präsentiert werden, sind keine adäquate Schulform für diese Kinder. Warum? – Wenn die Kleingruppe nur für gewisse Tageseinheiten zur Verfügung steht, gehen sie in den anderen Einheiten unter. Ich weiß, dass es auch andere Beispiele gibt, aber von denen spreche ich hier nicht.

Wenn eine Kleingruppe nun groß herausgearbeitet wird, sozusagen, wenn die Kinder aus der großen Gruppe herausgeholt werden, fragen sie sich: Warum werde ich herausgeholt, warum bleiben die anderen drinnen? Das ist das Element der Scham, egal, wie liebenswürdig und behutsam das gemacht wird. Die Großgruppe ist eine Überforderung für beide Seiten – allein aufgrund der Lärmbelästigung, die solche Kinder im Unterricht sind. Es gibt Beispiele aus Wien, dass Kinder gegen die Diagnose ihrer behandelnden Ärzte sozusagen gezwungen wurden, in eine solche Regelschule einzusteigen, und dann nach Kurzem nur zwei Stunden pro Tag im Unterricht bleiben mussten und die restliche Zeit familiär betreut werden mussten, weil es nicht anders gegangen ist.

Ein Aspekt, der mir persönlich sehr wichtig ist: Inklusion ist eine unbestritten erstrebenswerte gesellschaftliche Vision – Arbeitsmarkt, Freizeitgestaltung, öffentlicher Raum –, überhaupt keine Diskussion. Ich glaube aber, dass die Vision, dass so in dieser Weise beeinträchtigte und nicht beeinträchtigte Kinder in der inklusiven Schule gemeinsam den Weg in eine solche Gesellschaft beschreiten, nicht aufgeht; denn die nicht beeinträchtigten Kinder sind durch solche Kinder massiv überfordert. Ich kann von Sieben-, Acht- oder Neunjährigen nun mal nicht verlangen, dass sie sich unbegrenzt sozial verhalten.

Die sonderpädagogischen Settings diskriminieren beeinträchtigte Kinder meiner Meinung nach nicht. Sie sind dort in einem geschützten Raum, wo sie sich nicht immer wieder in einem Wettbewerb sehen, egal, wie das aufgerichtet ist, das kommt aus den Kindern selbst heraus, die schon von Haus aus immer die Zweiten sind und immer diejenigen, die dann fragen: Warum kann ich das nicht? Warum darf ich dort nicht mitmachen? Warum ist das eingeschränkt?

Ganz abgesehen davon braucht es auch so etwas wie einen Raum für Diskretion, für Schutz im Bereich der Eltern, sodass einfach die Frage im Raum steht, wie in diesen Modellen soziales Lernen stattfindet; wie gesagt, bei Kindern dieses Beeinträchtigungsspektrums stelle ich das sehr stark infrage. – Danke.

 

Obmann Dr. Walter Rosenkranz leitet er zur Runde der Expertinnen und Experten über.

 

Landesschulinspektorin Mag. Dr. Dagmar Zöhrer (Landesschulrat für Kärnten): Geschätzte Damen und Herren! Ich bin ganz froh, als zuständige Verantwortliche und Landesschulinspektorin einer der genannten Modellregionen, nämlich Kärnten, hier einige Richtigstellungen zum Gesagten treffen zu können, nämlich was in inklusiven Modellregionen tatsächlich passiert beziehungsweise nicht passiert.

Es ist nicht per se Ziel der inklusiven Modellregion, Unterstützungsleistungen für Kinder mit hohem Assistenzbedarf abzuschaffen; es ist nicht die Idee der inklusiven Modellregionen, Assistenz oder sonderpädagogische Förderung abzuschaffen, sondern im Grunde genommen das Gegenteil. Wir erproben in der inklusiven Modellregion Kärnten seit 2008 Modelle, die genau das Gegenteil erreichen sollen, nämlich alle Unterstützungsleistungen, die Kinder mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen benötigen, in Regelschulen zu transferieren.

Das heißt, es geht in Wahrheit darum, allgemeine Schulen durch Unterstützungsleistungen, Beratung, aber auch Begleitung so auszustatten, dass jeder Schüler, jede Schülerin, unabhängig vom Grad der Behinderung, ohne sozialen Ausschluss und ohne die persönliche Stigmatisierung eines Sonderschulbesuchs – und das ist es, vor allem für jene Kinder, die das sehr bewusst wahrnehmen, immer – die Schule besuchen kann.

Es geht also darum, gemeinsame Lern- und Lebensräume zu schaffen, um die Sozialkompetenz bei allen Beteiligten im System Schule zu erhöhen, aber gleichzeitig auch jene Unterstützungsleistungen, die der betroffene Vater jetzt auch geschildert hat und die es bei uns in den Modellregionen auch gibt, bestmöglich zu bedienen.

Das heißt, die inklusive Modellregion hat den Auftrag, zu erproben, welche Maßnahmen Kinder brauchen. Das reicht zum Beispiel – wenn ich ganz kurz aus unserem Alltag in der inklusiven Modellregion Kärnten schildern darf – von Einzelförderung für Kinder mit Autismus an Regelschulen über Kleingruppen, die jetzt geschildert wurden, wo eben nur fünf bis sechs Kinder – aufgrund der Tatsache, dass sie eine größere Gruppe nicht aushalten – zusammen unterrichtet werden, und kooperative Angebote am Schulstandort bis hin zur Integration.

Es gibt also sämtliche Unterstützungsangebote, die hier gefordert wurden, an gemeinsamen Schulstandorten in dieser von uns angestrebten gemeinsamen Schule für alle. Diese jeweiligen Unterstützungsleistungen, die das Kind braucht, werden bei uns in der Modellregion durch sogenannte pädagogische Beratungszentren bei jedem einzelnen Kind sehr individuell gestaltet. Das heißt, in jedem Bezirk gibt es ein Beratungszentrum, das die Aufgabe hat, zu schauen: Wo ist Unterstützungs- und Assistenzbedarf gegeben? Wie ist aufgrund der geschilderten Diagnostik und der Erfahrungswerte der Eltern die Beschulung möglich? Dieses Modell der Unterstützung wird dann gewählt.

Mir ist es auch ganz wichtig, zu sagen, dass natürlich mit zunehmender Umsetzung dieses Vorhabens auch in Kärnten die Sonderschulen nicht mehr notwendig waren. Wir haben mittlerweile in sieben von zehn Bezirken keine Sonderschule und dennoch alle genannten Unterstützungsleistungen und Unterstützungsangebote, um jedem Kind seine individuelle optimale Entwicklung zu ermöglichen. Insgesamt sind 92 Prozent aller Kinder integrativ, 8 Prozent aller Kinder in Kleingruppensettings beschult.

Mir ist es ganz wichtig, auch auf das von Frau Schmid Gesagte noch einmal kurz einzugehen: Wir gehen davon aus, dass die Idee der UN-Behindertenrechtskonvention darin besteht, dass Unterstützungsleistungen angeboten werden, aber in einer inklusiven Schule und nicht in einer Schule, die tatsächlich die Stigmatisierung der Sonderschule mit sich bringt, in der es keine gemeinsamen Lern- und Lebenserfahrungen für nicht behinderte Kinder gibt und das System Schule nicht das abbildet, was die Gesellschaft ist, nämlich etwas Diverses und Heterogenes. Das hat auch die Schule abzubilden, wenngleich natürlich mit allen Unterstützungsleistungen, die da notwendig sind.

Es ist mir noch ganz wichtig, zum ständig bemühten Mythos der Wahlfreiheit etwas zu sagen: Diese auch angesprochene Wahlfreiheit hat es vor allem für Kinder mit hohem Assistenzbedarf in den meisten Bundesländern bisher eigentlich nie gegeben. Wenn Eltern eine ganztägige Schulform, eine therapeutische Versorgung und eine Kleingruppe wollten, dann mussten sie eine Sonderschule besuchen. Sie hatten keine Möglichkeit, dieses Angebot – und das wurde auch im Beitrag des betroffenen Vaters deutlich – an einer Regelschule zu bekommen. Genau darum geht es in der inklusiven Modellregion: umzusetzen, dass sämtliche Unterstützungsleistungen in einer gemeinsamen Schule möglich werden.

Zum Kostenfaktor möchte ich noch einen Punkt ausführen, der mir auch sehr wichtig ist, weil das sehr oft als Hemmschuh einer inklusiven Entwicklung gesehen wird, nämlich wie beziehungsweise ob das finanzierbar ist: Wir haben eben, wie gesagt, in sieben von zehn Bezirken keine Sonderschulen mehr, weil es einen politischen Willen gab, die Gelder, die im System vorhanden sind, die in den Sozialabteilungen, in den Bildungsabteilungen für den Bereich behinderte Kinder vorhanden sind, zu bündeln und in die inklusive Schulentwicklung und vor allem in die Unterstützungsleistungen zu investieren: in diese genannte Einzelassistenz für autistische Kinder, in die Kleingruppe für sehr basale Kinder, in behindertenpädagogische Fachkräfte am Nachmittag, in die therapeutische Versorgung. Jedes Kind hat Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie am Nachmittag in der ganztägigen Schulform.

Das heißt, der Kostenfaktor ist bei einem entsprechenden politischen Willen definitiv keine Argument, weil das inklusive Vorhaben, wenn man von der Doppelgleisigkeit wegkommt, tatsächlich absolut möglich ist. Was à la longue nicht geht – und das ist definitiv auch bei uns der Fall –: ist diese Doppelfinanzierung; das heißt, ein zweigleisiges Schulsystem, Sonderschule neben inklusiven Angeboten, so auszustatten, dass es für alle gut gelingt.

Ich kann als Expertin und aufgrund unserer Erfahrungen seit mittlerweile Jahren und Jahrzehnten deshalb nur auffordern: Inklusion gelingt, wenn es den politischen Willen gibt, da zu investieren und von der Sonderfinanzierung abzusehen.

Zusammenfassend ist es mir deshalb einfach wichtig, zu sagen: Laut unseren Erfahrungen gelingt Inklusion auch für sehr schwer beeinträchtigte Kinder, für Kinder mit sehr hohem Assistenzbedarf, wenn man die entsprechenden Unterstützungsleistungen, wie wir es eben geschafft haben, in dieses System investiert. – Danke.

 

Landesschulinspektorin Mag. Dr. Heidemarie Blaimschein (Landesschulrat für Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Geschätzte Damen und Herren! Vorerst möchte ich mich dafür bedanken, dass ich hier meine Expertise darlegen darf. Ich möchte mit einleitenden Gedanken als Grundlage beginnen, Sie dann kurz über den Diskussionsstand informieren und auch die Themenkomplexität in der Betrachtung der unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Ich erlaube mir dann, kurz die prozessorientierte Ausrichtung, einen Ausblick und Handlungsansätze zu erläutern. Das Ganze mündet dann in einer Conclusio.

Zu den einleitenden Gedanken zur Thematik: Im Denkansatz der Differenz, Diversität und Heterogenität und der Vielfalt als Chance ist Wahlfreiheit und Wahlmöglichkeit grundsätzlich ein hohes Gut und ein gesellschaftlich wertvoller, errungener Beitrag zum Gelingen von Bildung für alle. Inklusion bedeutet im schulisch-organisatorischen Zusammenhang und auch im Kontext der UN-Konvention das ausnahmslose Recht auf Bildung für alle, also hundertprozentige Beschulung aller schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen. Somit ist es selbsterklärend, dass es differente Strukturen und Möglichkeiten im System Schule braucht, damit allein aufgrund von strukturellen Gegebenheiten niemand hinausfällt.

Schule als Ort der Begegnung, als Ort des Lehrens und Lernens, als sozialer Lernort, also ein Ort der Sicherheit, der Bildung gewährleistet, braucht demnach flexible Möglichkeiten, um dem individuellen Bedarf und den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Nicht eine schulische Organisationsform, Strukturen oder Schularten sind diskriminierend, sondern nur der Mensch in seiner Einstellung und Haltung kann diskriminierend handeln, und zwar unabhängig davon, in welcher Organisationsform oder in welchem Bereich er tätig ist und wirkt.

Im pädagogischen Verständnis von individuellem Umgang braucht es daher schulische Strukturen und ausreichend Spielraum, um individuelle Herangehensweisen auch dementsprechend umsetzen zu können. Organisatorische und strukturelle Flexibilität sind für das Gelingen von Unterricht und Bildung deshalb unabdingbar. – So weit zu meinen einleitenden Gedanken.

Jetzt möchte ich doch kurz den aktuellen Diskussionsstand beleuchten, der in manchen Situationen schon ein Stückchen zu einer Verunsicherung führt, das nehme ich bei meiner täglichen Arbeit wahr: Die Diskussion rund um die Inklusion als gesamtgesellschaftliches Thema allein an einer schulischen Organisationsform aufzuzeigen greift etwas zu kurz. Aus Expertensicht und meiner täglichen Erfahrung merke ich, dass teilweise bei den betroffenen Eltern oder auch bei in diesem Segment tätigen Lehrpersonen Sorge besteht und auch Ängste da sind, wobei teilweise Demotivation ein Ergebnis dieser Unsicherheit ist. Sorge und Ängste sind aus meiner Sicht in Lebens- oder Berufssituationen niemals wünschenswerte Begleiter. Vielmehr ist es der intensive Austausch und die Kommunikation, die gepflegt werden müssen.

Auf Gelungenes und auf jahrelange Erfahrungen gilt es zu schauen, hinzuhören und diese auch dementsprechend zu vertiefen. Man muss Eigenverantwortung zulassen, das Gelungene und die Erfahrungen von den Betroffenen und Experten einbeziehen und sich auf einen innovativen, prozessorientierten Weg machen und diesen dann aber auch gesetzlich und finanziell absichern. Die Beleuchtung nur eines Aspekts, das Präferieren eines Modells, einer Idee oder eines Ansatzes und das Betrachten aus nur einer Perspektive greift bei der Komplexität der Materie und der Thematik zu kurz.

Ich möchte jetzt die Themenkomplexität anhand der verschiedenen Perspektiven, die sowohl im operativen Bereich als auch auf dem Weg zu Veränderungen zum Tragen kommen, sehr plakativ ausleuchten. Ich denke, es ist eine Verantwortung der Experten, die erforderliche Differenzierung zu sehen. Ich zähle das jetzt auf, um die Komplexität zu beleuchten.

Es sind: die strukturelle Perspektive, die Organisationsperspektive, die Mitarbeiter-perspektive, sprich Unterstützungspersonalperspektive, die Lehrkräfteperspektive, die Perspektive der betroffenen Eltern, die pädagogisch-inhaltliche Perspektive, die medizinische Perspektive, die psychologische Perspektive, die pflegerische Betreuungsperspektive, die schulrechtliche Perspektive, die Kinder-, Jugendlichen- und Schülerperspektive, die gesamtgesellschaftliche Perspektive und die Ressourcen-perspektive.

Allein an dieser Auflistung erkennen wir, wie komplex diese Materie ist, und ich möchte schon festhalten: Im Zusammenhang mit Beeinträchtigung ist jede Situation von höchster Individualität gekennzeichnet und muss Berücksichtigung finden. Aus der jeweiligen Perspektive betrachtet werden natürlich auch die Forderungen, Antworten oder Fragen immer anders ausfallen; aber wichtig ist in dieser Situation, in diesem Zusammenhang, dass es im System Schule Möglichkeiten gibt, bei der Suche nach der optimalen Beschulungs- und Betreuungssituation möglichst viele der aufgezeigten Perspektiven zu berücksichtigen. Das ist eigentlich Auftrag der Schule.

Zur prozessorientierten Ausrichtung und zum Ausblick: Die pädagogische Grundschulreform ist seit September 2016auf Schiene, jedoch ohne strukturelle Neuausrichtungen. Als Expertin sehe ich da einen Ansatz dafür, dass man in die Richtung weiterdenken darf, die Schularten Volksschule und Sonderschule vielleicht doch einmal zu einer Schulart zusammenzuführen, nämlich der Grundschule, und dann aufbauend auch in der Sekundarstufe I.

Das wäre so einmal ein grundsätzlicher Ansatz. Was es jedoch braucht, wenn man in diese Richtung denkt, ist eine Grundschule mit der Möglichkeit von besonderer Schwerpunktsetzung, Wahlmöglichkeit und Wahlfreiheit, damit bei Bedarf auf besondere Bedürfnisse von Schülern eingegangen werden kann.

Kurz noch abschließend: Es braucht interdisziplinäre Kooperation.

Conclusio: Es ist also ein Balancemodell angesagt unter Beachtung der individuellen Bedürfnisse, nämlich mit dem Ziel der differenzierten Fördermöglichkeiten unter flexiblen Rahmenbedingungen mit Wahlmöglichkeiten.

Als Abschluss: Die Freiheit in Bezug auf Wahlmöglichkeit oder Wahlangebot ist demnach wie immer, dass sich Strukturen und Organisationsformen weiter entwickeln beziehungsweise weiter entwickelt werden. Das ist unabdingbar für die Zukunft.

 

Dr. Andreas Piber: Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich bedanke mich dafür, dass ich hier sprechen darf, und möchte einmal aus der Praxis schildern, wie ein behindertes Kind die Schule erlebt.

Ich betrachte mich ebenfalls als Experten. Wir haben gerade zwei Landesschulinspektorinnen gehört, ich selber bin Materialwissenschafter. Was macht mich also zum Experten in dieser Sache? – In dieser Sache macht mich zum Experten, dass ich ein betroffener Vater bin. Ich habe eine neunjährige Tochter, die am Cri-du-chat-Syndrom, also Katzenschreisyndrom, leidet; da kann man leicht in Wikipedia nachschauen.

Ich möchte jetzt auszugsweise vorlesen oder zitieren, an welchen Beeinträchtigungen sie leidet: Das ist einmal eine Wachstumsstörung, ein Minderwuchs, eine Muskelschwäche, eine Mikroenzephalie – das heißt, der Kopf bleibt klein. Menschen mit Cri-du-chat-Syndrom haben meistens von Geburt an Probleme beim Schlucken und beim Saugen. Meine Tochter leidet heute noch unter chronischer Verstopfung, sie hat häufig Infektionen, sie leidet unter einer Skoliose – das ist eine Wirbelsäulenverdrehung. Sie hat Zahnprobleme, sie hat verschiedenste andere motorische Probleme, das heißt, starke Entwicklungsverzögerung hinsichtlich der motorischen Entwicklung, sie hat erst mit fünf Jahren frei stehen und gehen können. Sie hat eine starke Verzögerung der lautsprachlichen Entwicklung, und sie hat auch eine auffällige Verhaltensstörung. Das ist meistens gekoppelt mit autoaggressivem Verhalten; sie beginnt dann, wenn ihr etwas nicht behagt, sich selbst zu schlagen.

Meine Tochter ist jetzt neun Jahre alt und besucht die dritte Klasse einer Sonderschule in Tirol. Sie besucht eine sogenannte E-Klasse, in der sie neben Buchstabenlesen, Rechnen oder zumindest dem Erfassen des Zahlensystems viele Dinge des alltäglichen Lebens lernt, etwa normal zu essen und trinken und – da sie noch immer eine Windel tragen muss, weil sie nicht fähig ist, den Toilettengang selbst zu erledigen – auch den Toilettengang.

Die Kinder machen da auch ganz wichtige alltägliche Erfahrungen, zum Beispiel das Einschätzen von Gefahren. Im Rahmen dieser Schulausbildung hat sie auch vier Stunden pro Woche eine spezielle Therapie, und zwar eine Stunde Ergotherapie, eine Sprachheilförderung, eine Stunde Physiotherapie und eine Stunde Logopädie. Diese Schulform ermöglicht ihr Erfolge, die ich als Vater nicht abzuschätzen gewagt hatte: in Bezug auf die motorischen Fähigkeiten, bei der Sprachentwicklung – da hat es eine Wortschatzexplosion gegeben –, und auch was die Konzentrationsfähigkeit angeht. Sie ist jetzt fähig, sich zirka 10 bis 15 Minuten unter der Begleitung einer Lehrkraft auf eine Sache zu konzentrieren.

Jetzt bin ich als Elternteil damit konfrontiert, dass meine Tochter und andere Kinder, die mehr oder weniger an einer ähnlichen Symptomatik leiden, in ein inklusives System eingegliedert werden. Ich möchte jetzt nur den Status quo nennen und einen Vergleich ziehen, wie ich es in Tirol erfahren habe: Die Qualität ist derzeit absolut nicht gleichwertig. Warum nicht? – Weil Stützpersonalstunden derzeit gekürzt werden.

Was bedeutet Stützpersonal, zum Beispiel für meine Tochter? – Wenn sie in eine Schule wie die Volksschule in unserem Ort ginge, das ist ein Bau aus den Sechzigerjahren, da gibt es Stufen, sie kann nicht selbst Stiegen steigen, wäre sie auf Stützpersonal oder auf einen Lehrer angewiesen. Wenn dieses Stützpersonal oder der Lehrer gerade nicht Zeit haben oder nicht wollen, dann kann sie die Stiege nicht bewältigen. Genauso verhält sich das mit dem Toilettengang und mit vielen anderen Bereichen.

Weiters wurde die Ausbildung zur Sonderpädagogik gestoppt. Dazu möchte ich Folgendes anmerken: Sonderpädagoge wird man ja nicht, weil das so lustig ist, sondern die Sonderpädagogik ist eine Herzenssache, ich weiß das von Sonderpädagogen; die haben sich nach der Ausbildung in Gruppen getroffen, um zu besprechen, welche Methoden und welche Spiele sie für die Kinder entwickeln sollen und was für die Kinder das Beste ist. Das ist also wirklich eine Herzenssache.

In Schulen mangelt es an adäquater Infrastruktur wie zum Beispiel Wickelräume oder Rückzugsräume. Da möchte ich nur ein Beispiel nennen: Wenn das Kind einen Rückzugsraum braucht, wäre da ein Lehrmittelkabinett wirklich angebracht? – Ich glaube: wohl nicht.

In der Diskussion fehlt es vor allem an Akzeptanz, und zwar an Akzeptanz in Bezug auf die Kinder, sie so zu belassen, wie sie sind. Ich habe einmal von einer Elternvereinsobfrau gehört: Das Gras wächst nicht schneller, nur weil man daran zieht. – Die Kinder werden auch nicht anders, weil man will, dass sie anders werden. Man muss die Kinder so akzeptieren, wie sie sind.

Ich möchte als Betroffener nur noch ganz kurz auf eines hinweisen: Es wird ja oft die Modellregion Reutte strapaziert. Ich selbst war drei Jahre lang Mitarbeiter der Firma Plansee, die in Breitenwang beheimatet ist, also im Nachbarort von Reutte. Ich habe meinen Dienstort ins Inntal gewechselt, weil sonst nicht die Möglichkeit bestand, eine Sonderschule zu wählen. Ich bin jetzt sehr, sehr froh, dass ich für meine Tochter die Sonderschule gewählt habe, weil sie da die adäquate Ausbildung hat.

Mein Schlusssatz: „Inklusion kann und darf kein totalitäres Unternehmen sein. Also ein solches Unternehmen, das keinerlei institutionelle Differenzierung mehr zulässt.“ – Dieser Satz ist von Herrn Professor Dr. Bernd Ahrbeck, er ist Psychologe und Erziehungswissenschaftler sowie Professor für Verhaltensgestörtenpädagogik.

 

Michael Kirisits: Mein Name ist Michael Kirisits, ich bin Sozialpädagoge, Sozialarbeiter, Vater zweier Söhne und engagiere mich im Verein Integration Wien zum Thema inklusive Bildung, Nachmittags- und Ferienbetreuung.

Wer will, dass Menschen mit Behinderung Teil unserer Gesellschaft sind, darf sie nicht vom Anfang ihres Lebens an absondern, sondern muss sie eben in die Gesellschaft hineinholen. Sonderschulen sind eine Käseglocke. Zumindest mir ist als Kind gesagt worden: In der Schule lernt man für das Leben. Was lernt man dann für das Leben, wenn man abgesondert wird? – Dass man abgesondert werden muss. Auch alle anderen Kinder lernen, dass Menschen mit Behinderung abgesondert werden müssen.

Ich möchte Ihnen kurz exemplarisch die Bildungskarriere unseres elfjährigen Sohnes schildern. Seine Bildungskarriere – er hat das Down-Syndrom, er leidet nicht darunter; er hat eine Behinderung, das ist kein Leid – ist voll mit Neins, mit Hürden, mit behördlichen Diskriminierungen, mit keiner bis nur eingeschränkter Wahlfreiheit.

Das hat mit dem Aussuchen des Kindergartenplatzes begonnen: Da durften wir uns nicht einfach den nächsten städtischen Kindergarten aussuchen, wir mussten zur Bezirkspsychologin, diese hat uns dann einen Platz zugewiesen.

Das ging dann bei der Volksschule weiter: Wir meldeten ihn in der Schule an, in der schon sein Bruder war, also er wäre eigentlich ein Geschwisterkind gewesen. Wir mussten ins Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik, und dort hat es dann geheißen: Ja, sie können sich den Platz schon aussuchen, aber es hängt halt davon ab, ob genügend Stunden für SonderschullehrerInnen zugewiesen werden.

Das ging dann bei der Sekundarstufe I weiter: Da kam noch die prekäre Situation dazu, dass wir unseren Sohn nicht mehr für die Nachmittagsbetreuung anmelden durften – aus meiner Sicht eine klare behördliche Diskriminierung.

Wir hatten dann die Wahl: Entweder beenden wir diesen inklusiven Weg und geben unseren Sohn in die Sonderschule, da hätte er dann die Nachmittagsbetreuung gehabt, oder er wird zu Mittag mit dem Fahrtendienst von der Schule abgeholt. Er wäre dann in die einen Kilometer entfernte Sonderschule gefahren worden und hätte dort den Sonderhort besuchen dürfen – allerdings auch nur bis zum vollendeten 12. Lebensjahr, ab dann hätte er zu Hause sein müssen.

Das derzeitige System, das eben keine Regelschule für alle anbietet, bringt auch viele Familien, viele Alleinerziehende in sehr prekäre Situationen. Wir können nicht mehr arbeiten gehen, wir werden von Leistungsträgern, die wir alle sein wollen, zu Bittstellern und zu Leistungsempfängern.

Das heißt, es klafft eine riesige Betreuungslücke – und da geht es nicht nur um Schule zwischen dem zehnten und dem zwanzigsten Lebensjahr. Oft finden Eltern für ihre Kinder mit einer Behinderung keine Betreuung, und da geht es noch gar nicht um adäquate Betreuung. Das elfte und zwölfte Schuljahr gibt es nur in der Sonderschule oder mit Genehmigung der Behörde.

Nach der Pflichtschule ist es dann aus, da gibt es gar keine Beschulung mehr; das heißt, die Sekundarstufe II bleibt so und so verwehrt, ab dann gibt es auch keine Betreuung mehr. Echte Wahlfreiheit kann es also eigentlich nur in Regelsystemen geben, die für alle offen sind, denn dann kann man sich aussuchen, wo man sein Kind hingibt.

Es ist schon genannt worden: Wie wir alle wissen, ist Inklusion ja nicht unbedingt ein Bildungsproblem, sondern das ist sozusagen ein gesellschaftliches Weltbild, ein Menschenbild, das wir brauchen. Jeder soll als vollwertig anerkannt werden können und hat auch das Recht darauf, als vollwertig anerkannt zu werden. Jeder Mensch soll das Recht auf die Gemeinschaft, auf die Gesellschaft und auch auf die Gesetzgebung haben.

Wir alle haben die Verpflichtung, das auch anzuerkennen. Es gibt zwar Artikel 7 der Bundesverfassung, aber in der Praxis umgesetzt wird er de facto nicht. Wir haben die Menschenrechtskonvention, wir haben die UN-Konvention – dort sind diese Dinge zwar festgeschrieben, aber die Praxis ist eine andere.

Inklusion braucht Freiheit beziehungsweise respektiert sie Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung. Inklusion ist eine Win-win-Situation, das wissen wir seit den Siebzigerjahren, dazu gibt es genug wissenschaftliche Abhandlungen. Derzeit habe ich das Gefühl, wir fahren gesellschaftlich noch immer mit Autos, die drei Räder haben, und wissen eigentlich, dass die mit vier besser fahren. Warum auch immer, vielleicht aufgrund von Ängsten, weigern wir uns, das umzusetzen, was eigentlich wichtig wäre.

Warum ist das eine Win-win-Situation und nicht nur für Kinder mit Behinderungen ein Gewinn? – Es ist für alle ein Gewinn, ich nehme jetzt nur exemplarisch ein paar Beispiele heraus: Die Mitschüler, die mein Sohn jetzt hat, werden irgendwann einmal Arbeitgeber sein, werden irgendwann einmal Kollegen sein, werden irgendwann einmal Lehrer sein, Billa-VerkäuferInnen sein und, und, und, das heißt, sie müssen das auch lernen.

Kinder mit einer Behinderung, die inklusiv aufwachsen, auch das ist schon belegt, sind wesentlich selbstständiger. Wir setzen jetzt von Anfang an auf Segregation, und investieren dann wahnsinnig viel Geld, um die Kinder später wieder in den Arbeitsmarkt und in den Alltag zu integrieren. – Das ist aus meiner Sicht Schwachsinn.

Welche Voraussetzungen braucht es dafür aus meiner Sicht? – Das eine ist, dass wir von einem individualzentrierten System weggehen müssen, hin zu einem systemzentrierten System. Das müsste schon im Schulunterrichtsgesetz festgelegt werden. Es wird also nicht das Individuum ausgesucht, sondern die Schule muss sich darauf konzentrieren, was das jeweilige Kind braucht.Es gehört aber das Schulunterrichtsgesetz auch insofern geändert, dass man sagt: Die Schule ist ganztägig und für alle 6- bis 25-Jährigen offen. Das würde verschiedenste Bildungskarrieren möglich machen, nicht nur für Kinder mit Behinderung. Wichtig ist also, Altes loszulassen und Neues auszuprobieren, damit das Alte eben vielleicht auch überflüssig wird. Ich wünsche mir für meinen Sohn eine Gesellschaft, die mit seiner Behinderung umgehen kann, und dass er in der Gesellschaft zurechtkommt.

Eine letzte Aufgabe noch an alle: Ich ersuche Sie, wenn Sie nach Hause gehen, sich zu überlegen, wie viele Menschen mit Behinderung Sie in unserer Stadt sehen – sind das viele oder wenige? Ich war vor Kurzem in Valencia, da sind ganz viele Menschen mit Behinderungen unterwegs, auch in Rom, Barcelona und so weiter. Wir hingegen setzen in unserer Gesellschaft auf Segregation: Wir fahren die Kinder mit Behinderungen mit dem Fahrtendienst von Sondereinrichtung zu Sondereinrichtung. – Das ist, glaube ich, der falsche Weg. Sie können sich auch durch Onlineforen von Tageszeitungen klicken, da können Sie ganz viel Menschenverachtung finden, was die Inklusion angeht.

Als letztes Statement erlauben Sie mir bitte noch ein Zitat von Wolfgang Jantzen, ein Bremer Hochschullehrer, Sonderpädagoge und Autor; er sagt: „Nichts ist schädlicher für die Entwicklung des Selbst, als von reichhaltigen sozialen Beziehungen ausgegrenzt zu werden. Dies ist der Grundgedanke einer Theorie und Praxis der Integration behinderter Kinder.“

 

Dr. Clemens Rauhs (Elternverein Hans Radl Schule): Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank, dass ich heute hier sein kann. Kurz zu meiner Rolle und Erfahrung: Ich habe gemeinsam mit meiner Frau vier Kinder im Alter zwischen vier und zwölf Jahren. Unser ältestes Kind hat von Geburt an ein neurologisches Defizit, wir haben das bereits im fünften Schwangerschaftsmonat gewusst. Wir haben uns sehr bewusst für dieses Kind entschieden und haben in unserer Vergangenheit diverse Erfahrungen gemacht.

Grundsätzlich war ich – und bin ich immer noch – ein großer Inklusionsbefürworter. Wir waren in einem I-Kindergarten, wir haben ein vorschulisches Integrationsjahr in einer I-Gruppe in einem SPZ gemacht. Die Erfahrung, die wir gemacht haben, ist, dass immer wieder das Thema der fehlenden Ressourcen aufkam: Bitte holen Sie Ihr Kind früher ab, wir haben nicht genügend Kapazität! Schlussendlich hat darunter insbesondere meine Frau stark gelitten, aber auch ich.

Wir sind dann schlussendlich in der Hans Radl Schule gelandet, das ist eine Volks- und Sonderschule im 18. Bezirk, mit der wir derzeit in Bezug auf das Angebot sehr glücklich sind. Unser Sohn entwickelt sich dort extrem gut, muss ich sagen. Ich leite dort jetzt seit einem Jahr den Elternverein mit dem Ziel, für bessere Rechte für Kinder und Menschen mit Behinderung einzutreten.

Ich bin hauptberuflich Unternehmer und nicht Bildungswissenschaftler, habe daher also auch kein fertiges Bildungskonzept, aber ich habe zwei Seiten, die Sie schon bekommen haben sollten, mit unseren grundsätzlichen Zielsetzungen, die in einem Bildungskonzept umgesetzt werden sollen, ausgeteilt.

Das Erste, was ganz wichtig ist: Primär steht das Kind, der Schüler im Vordergrund. Es geht um dessen Wohl, und dieses muss bestmöglich erfüllt werden. Insbesondere im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung ist die Komplexität, die Vielfalt an Fördermaßnahmen dermaßen groß, dass es da einfach eines ganz besonders hohen Augenmerks bedarf, damit man wirklich auf die Schüler eingehen kann.

Ich persönlich habe den Vergleich: Da ich drei Kinder ohne Behinderung und ein Kind mit einer Behinderung habe, weiß ich, wie stark da die Unterschiede sind, und auch, wie gefordert man ist, wenn man ein Kind mit Behinderung hat oder es unterrichtet.

In diesem Zusammenhang möchte ich anschließend an meinen Vorredner sagen: Es ist ganz wichtig, dass man für Inklusion ist. Ich entwickle selbst ein inklusives Wohnbauprojekt, bei dem ich mich sehr für das Thema einsetze. Ich glaube, dass grundsätzlich die Stigmatisierung durch den Stempel SPF – Sonderschule – falsch ist. Da ist aber sicherlich die Frage, wie man das benennt. Tatsache ist aber natürlich, dass man die bestmögliche individuelle Förderung für den einzelnen Schüler sicherstellen muss.

Was in diesem Zusammenhang sicherlich wichtig ist: Es muss ein funktionierendes System sein. Es darf nicht so sein, dass es keine ordentliche Nachbesetzung gibt, wenn ein Lehrer ausfällt – das habe ich auch schon erlebt. Da wird man dann angerufen, man müsse die Kinder abholen. Es muss also ein funktionierendes Back-up-System und es muss auch ein funktionierendes Ganztagsschulkonzept geben.

Man muss auch an die Eltern denken, denn diese sind wirklich rund um die Uhr gefordert. Von dem Tag an, an dem man erfährt, dass es eine Behinderung gibt, bis zum Altwerden überlegt man sich: Wo wird mein Kind gebildet? Wie geht es weiter? Wo wird es leben? Wo wird es arbeiten? Was passiert, wenn ich einmal nicht mehr da bin? Die Eltern sind wirklich sehr gefordert. Ich sehe das im Elternverein, welche Schicksale es da im Bereich der Eltern gibt.

Ich meine, dass es gerade dort ganz besonders wichtig ist, ein funktionierendes Ganztagsschulkonzept zu haben, eine funktionierende Ferienbetreuung und eben ein funktionierendes Back-up-System, wie ich es nenne. Ein Lehrer fällt aus, ein Betreuer fällt aus – und es geht reibungslos weiter. Gerade bei diesen Kindern ist ein Wechsel nicht so einfach. Sie können nicht einer Bekannten sagen: Hol mein Kind ab!, und sie nimmt es mit. Ich kann Ihnen sagen, ich habe einen sehr, sehr großen Bekanntenkreis in Wien, ich bin Wiener, und ich kenne maximal drei, vier Leute, denen ich es zumuten kann, mein Kind abzuholen.

Ganz kurz noch zum letzten Punkt, der ein sehr wichtiger Punkt für uns ist: Wir sind für eine gesetzliche Verankerung eines Rechts auf eine Mindestlerndauer. Es gibt derzeit eine Diskussion um das elfte und zwölfte Schuljahr, das gewährt werden kann, und das Schulorganisationsgesetz; das ist alles relativ komplex. Tatsache ist, dass die Gefahr besteht, dass das elfte und zwölfte Schuljahr, insbesondere in Wien, wo ein sehr hoher Druck besteht, nicht mehr gewährt wird.

Ich bin der Meinung: Insbesondere diese Menschen brauchen eigentlich ein lebenslanges Lernen, und deshalb sollte man ihnen zumindest für 12 oder besser 14 Jahre ein Recht auf Bildung in einer Schule geben. Das gehört aus meiner Sicht auch rechtlich verankert. Man darf da einfach nicht Bittsteller sein – man ist jedoch in dieser Situation regelmäßig der Bittsteller, das kann ich Ihnen sagen. Viele Eltern haben da nicht die Kraft, sich aufzulehnen, weil sie durchgehend mit ihrem Kind beschäftigt sind.

Ein Punkt ist noch das Thema Erprobung: Man spricht sehr oft über den wissenschaftlichen Fortschritt im Bildungsbereich. Ich meine, dass es insbesondere im Bereich der Sonderpädagogik ganz wichtig ist, ein ausgeklügeltes, im Vorhinein bis ins Detail durchdachtes System zu haben, bevor man das umsetzt. Ein Schulversuch im Bereich des SPF oder vor allem für Menschen mit schweren Behinderungen ist wirklich ein Versuch auf dem Rücken der Eltern, und wenn der schief geht, leiden Familien darunter.

Mein Abschlusswort: Ich glaube, behindert ist, wer behindert wird. – Vielen Dank.

 

Professor Ernst Smole (Internationales Forum für Kunst, Bildung und Wissenschaft): Frau Bildungsministerin! Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Anlässlich eines Symposiums wurde diskutiert, welcher Schultyp heute der Olymp oder die Formel 1 des Schulsystems ist. Nicht eine forschungsorientierte HTL machte das Rennen, auch kein Hochbegabtengymnasium – man wurde sich letztlich einig, dass dies die Inklusionsschule ist. Anders gesagt: Wenn Österreich den Weg hin zu einer auf hohem Niveau funktionierenden Inklusionsschule ernsthaft beschreiten möchte, so würde uns dieser Weg gleichsam als Nebenwirkung das vermutlich beste allgemeine Schulsystem weltweit bescheren.

Wie stehen die Chancen dafür? – Wohl gibt es Tausende von LehrerkollegInnen, die angesichts von Klassen mit einem Anteil von 100 Prozent Kindern mit Migrationsvordergrund fragen: Und wo bitte ist das Problem? Ich melde mich mit Freude freiwillig, solche Klassen zu unterrichten! Die Mehrheit der Lehrpersonen scheint jedoch die Einschätzung jener DirektorInnen zu teilen, die Zuwandererkinder mit nicht deutscher Muttersprache zu einer verlorenen Generation erklären.

Wie entstehen derart ambivalente Einschätzungen ein und derselben Situation durch Angehörige ein und desselben Berufsstandes, die weitgehend ein und dieselbe Berufsausbildung genossen haben? – Die extrem unterschiedlichen Standards in der Unterrichtskunst der einzelnen LehrerInnen sind vermutlich der Hauptgrund. Wenn man Unterrichtsstunden live verfolgt, dann wird klar, warum der Unterricht der einen Lehrperson gelingt und der anderen nicht.

Unbestritten ist, dass alle Lehrer ihr Bestes geben – doch dieses Beste ist heute aufgrund immer schwieriger werdender Rahmenbedingungen in den Klassen immer öfter nicht mehr gut genug. Der Nationale Bildungsbericht 2015 des BIFIE nennt die Unterrichtskunst zutreffend individuelle Ebene und erklärt, dass diese in diesem 600-seitigen Berichtswerk mit Absicht nicht vorkomme. Warum wohl? – Eine Antwort muss ich Ihnen schuldig bleiben. Dem Gelingen des lehrerindividuellen Unterrichts muss im schulpolitischen Diskurs viel Raum geboten werden, da dieser nach allen weltweit vorliegenden Untersuchungen zu mehr als 80 Prozent über das Gelingen von Schule entscheidet. Die heutige Ausgabe der „Presse“ bringt ein Interview mit Herrn Professor Trautwein aus Tübingen, der eine Studie zitiert, nach der der Anteil des Lehrers mittlerweile bei 90 Prozent liegt. Das, was aber den öffentlichen Diskurs über Schule bestimmt, sind die knapp 20 Prozent an Strukturfragen: Schulverwaltung, Autonomie, Ganztagsschulen, Modellregionen. Diese Faktoren sind ohne maßgebenden Einfluss auf die lehrerindividuelle Unterrichtskunst, doch unglücklicherweise beherrschen eben diese 20 Prozent, die sicher nicht bedeutungslos sind, die öffentliche Bildungsdebatte.

Das wichtigste Merkmal von Inklusionsklassen ist die extreme Verschiedenheit der Kinder in so gut wie allen Aspekten. Je größer die Verschiedenheit der Kinder, desto massiver ist die lehrerindividuelle Unterrichtskunst gefordert.

Der Weg hin zu funktionierenden Inklusionsschulen und zu leistungsfähigen allgemeinen Schulen führt über eine den Erfordernissen angepasste neue LehrerInnenausbildung, über Fortbildung und über Feedbackebenen, deren wichtigste jene der Lehrpersonen einer Schule untereinander ist. Das ist eine Forderung, die auch John Hattie aufstellt, der diese Feedbackebenen für bedeutender hält als die Lehrerbildung im angloamerikanischen Raum. Eine weitere Feedbackebene muss auch die künftige helfende und kontrollierende Schulaufsicht sein, die sich endlich in den Klassen live darüber informieren sollte, was Unterricht heute in der Realität bedeutet.

Was benötigen auf hohem Niveau funktionierende Inklusionsschulen? – Erstens: LehrerInnen, die ihre persönliche, individuelle Unterrichtskunst auf hohem Niveau praktizieren; zweitens: Zusatzpersonal, das bewirkt, dass sich die LehrerInnen auf ihre Kernaufgabe, nämlich auf den gelingenden Unterricht und auf die gelingende Erziehung konzentrieren können; drittens: jene produktive Ruhe und konstruktive Gelassenheit, die der Bedeutung des Wortes scholē entsprechen und welche die Grundlagen erfolgreichen Lernens und Lehrens darstellen; und viertens: eine Schulpolitik, eine Schulverwaltung und vor allem auch Räumlichkeiten, die genau diese konstruktive Ruhe ermöglichen.

Ein Resümee: Österreich sollte die flächendeckende Inklusionsschule aktiv als Realvision anstreben, denn ein solches ernsthaftes und kompetentes Bemühen würde letztlich alle Schulen optimieren. Die Schließung der Sonderschulen innerhalb weniger Jahre, ohne dass nachweislich Besseres zur Verfügung steht, ist unrealistisch und im Grunde nicht verantwortbar, ganz im Gegenteil: Sonderschulen sollten am Weg in ein inklusives Schulsystem als überschaubare Zukunftslabors auf allen Ebenen gefördert werden. Die Wahlfreiheit sollte aufrechterhalten bleiben, und dem Plan der Inklusion ist ein Zeitrahmen von 10 bis 15 Jahren einzuräumen. Die Älteren unter uns wissen, dass das ein sehr kurzer Zeitraum ist.

Es braucht einen konsistenten Plan. Wie dieser Plan ausschauen müsste, wissen wir alle mittlerweile eigentlich ohnehin; es ginge nur darum, die richtigen Bausteine zusammenzusetzen.

 

Obmann Dr. Walter Rosenkranz erteilt der Bundesministerin für Bildung das Wort.

 

Bundesministerin für Bildung Mag. Dr. Sonja Hammerschmid: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzte Expertinnen und Experten! Ich versuche noch einmal ganz kurz, einen Bogen aus meiner Perspektive zu spannen und dann auf die individuellen Ansätze, die ich herausgehört habe, einzugehen.

Mir ist es, seit ich im Amt bin, ein zentrales Anliegen, dass wir die beste Bildung für alle Kinder bekommen und Bildungschancen und Bildungsgerechtigkeit im Zentrum unseres Agierens stehen. Das gilt natürlich auch für Kinder mit Beeinträchtigungen, für Kinder mit Behinderungen. Auch mir ist es wichtig, dass gerade diese Kinder an unserer Gesellschaft aktiv teilhaben können, auch am Berufsleben und am Arbeitsleben, und so weit als möglich ihre Selbstständigkeit erreichen und ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Seit meinem Besuch in Südtirol weiß ich, dass das funktionieren kann. Es waren auch die Bildungssprecher aller Parlamentsparteien dabei, um sich davon zu überzeugen, was in Südtirol seit 40 Jahren wirklich gut gelingt: die inklusive Schule mit all ihren Ausprägungen. Das ist nicht nur in Südtirol zu sehen, wo es seit Langem gelebte Praxis ist.

Ich war auch in Tirol, ich war beispielsweise in Innsbruck in einer Volksschule, in der es auch eine inklusive Schule gibt, die schwerbehinderte, wirklich schwerstbehinderte Kinder im Regelunterricht hat, und in der es den Pädagoginnen und Pädagogen gelingt, den Unterricht ganz neu und sehr gut zu gestalten. Auch dort war es erlebbar, wie sich Kinder, die wirklich schwerbehindert sind, nur mit Augenkontakt über Tablets verständigen können, aber plötzlich Teil des schulischen Unterrichts werden können, mit dabei sind und mitten im Leben stehen. Das soll, glaube ich, die Richtung definieren.

Auch in Wien war ich in Schulen, die das gezeigt haben. Die Modelle, bei denen es gut gelingt, stellen sehr stark auf die Individualisierung des Unterrichts ab, auf das besondere Eingehen auf jedes Kind. – Dass das nicht einfach ist, weiß ich schon.

Wir haben mit den Modellregionen – vielen Dank, Frau Dr. Zöhrer, dass Sie uns ein Bild von der Kärntner Modellregion mit allen ihren Facetten gezeichnet haben – eine Möglichkeit geschaffen, um vorzuleben, wie inklusive Schule sehr gut gestaltet werden kann und den Bedürfnissen des einzelnen Kindes auch entsprechend Rechnung getragen wird. Das Ziel ist, von diesen Modellregionen zu lernen. Sie werden über die nächsten Jahre entsprechend wissenschaftlich begleitet, um Beispiele zu haben und dann für ganz Österreich Modelle, Möglichkeiten zu schaffen, auf pädagogische Individualisierung abzustellen, damit diese Schulen in Zukunft flächendeckend gut gelingen.

Ich habe nicht vor – weil das immer wieder auch in den Medien kursiert –, bis 2020 die Sonderschulen abzuschaffen. Das wäre vom System zu viel verlangt. Thema soll aber sein, dass wir uns immer weiterbewegen und die inklusive Schule immer weiter ausbauen. Im Mittelpunkt dieses Ausbaus – und das betone ich ganz explizit – muss die pädagogische Qualität stehen, denn eines ist klar, und das sehen wir, glaube ich, alle gemeinsam so: Es geht um das Wohl unserer Kinder. Sie dürfen darunter nicht leiden und müssen genau die individualisierte Betreuung und Pädagogik bekommen, die sie brauchen, um sich weiterzuentwickeln.

Da es heute auch schon Thema war, kurz nachdem ich im Raum war: Sonderpädagogik wird irgendwie abgeschafft. – Das stimmt ja gar nicht. Ich möchte jetzt ganz explizit auch auf die Ausbildung in der PädagogInnenbildung Neu eingehen, weil sie ein zentraler Baustein sein wird, wenn Inklusion gelingen soll.

Was ist in den neuen Studien angedacht und auch schon – denn die Studierenden sind ja schon unterwegs und schon im System – Realität? – Die inklusive Pädagogik ist bereits an drei Stufen im Bachelorsystem massiv verankert. Zum einen erhalten alle Studierenden im Rahmen der bildungswissenschaftlichen Grundlagen die Basis für inklusive Pädagogik. Es ist ein gemeinsamer Inhalt, der da die Basis legt. Es gibt schon im Bachelorstudium Schwerpunktsetzungen, die in der Primarstufe 60 bis 80 ECTS-Punkte umfassen, die in der Sonderpädagogik liegen können; im Sekundarstufenbereich sind es 95 ECTS-Punkte.

Darüber hinaus wird in den Fachdidaktiken im Lehrplan immer auf inklusive Pädagogik eingegangen und auch auf Diagnose- und Förderkompetenz im Umgang mit Heterogenität immer wieder Bezug genommen. Es gibt Masterstudien, in denen die Sonderpädagogik eine Spezialisierungsmöglichkeit ist, sie umfasst 90 ECTS-Punkte. So viel sonderpädagogisches Know-how bei jedem einzelnen Pädagogen, jeder einzelnen Pädagogin im Schulsystem gab es noch nie.

In der Ausbildung Neu bekommt jeder Pädagoge, wie gesagt, zumindest eine Grundbildung im Thema Inklusion mit. Schon jetzt haben wir die Situation – und das will ich hier auch einmal betonen –, dass bereits 10 Prozent aller Lehrkräfte, die an Österreichs Schulen unterrichten, Sonderpädagogen sind. Es sind 6 506 Pädagoginnen und Pädagogen – das sind 10,6 Prozent aller Lehrerinnen und Lehrer – bereits jetzt im Schulsystem und widmen sich den Anliegen unserer Kinder, die besondere Betreuung brauchen.

Im Zuge der Studien, die ich zu dem Thema immer wieder betrieben habe – nämlich das Zahlen- und Faktenstudium –, muss auch einmal hervorgehoben werden, dass es bereits jetzt Bundesländer gibt, die es schaffen, Kinder mit besonderen Bedürfnissen, Kinder mit Behinderungen weitgehend in inklusiven Schulsystemen zu unterrichten. Es gibt 30 000 Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, zwei Drittel davon werden inklusiv beschult, ein Drittel geht in Sonderschulen. Kärnten, beispielsweise, ist mit 92 Prozent der Kinder in inklusiven Schulen ganz weit vorne, und auch die Steiermark ist gut unterwegs.Es gibt aber auch Bundesländer, in denen nur 50 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine inklusive Schule besuchen. Das sollte uns stutzig machen, denn: Was bedingt solche Unterschiede? – Also mir erklärt sich das nicht.

Wenn man die Schultypen betrachtet und die Analyse beispielsweise beim Thema Volksschulen durchgeht, dann sieht man, dass in Österreich durchschnittlich 1,9 Prozent der Kinder mit SPF leben, in Tirol, beispielsweise, sind es nur 0,6 Prozent, in Oberösterreich 2,6 Prozent. Das kann mir jetzt niemand erklären, dass die Populationen in Oberösterreich und in Tirol so unterschiedlich sind. Das heißt, wir müssen sehr genau hinschauen: Was tut sich da, wie wird der sonderpädagogische Förderbedarf festgestellt? Vor allem aber müssen wir darauf schauen, dass möglichst viele dieser Kinder in inklusive Schulen kommen.

Mir schwebt vor, dass wir Sonderschulen nicht abschaffen, das ist nicht mein Wille; wir müssen vielmehr die Sonderschulen aufmachen, öffnen. Das sage ich von Anfang an: öffnen. Wir müssen ja auch die Ressourcen nutzen. Wir haben besonders in den Sonderschulen Therapiemöglichkeiten, wie wir sie in anderen Schulen gar nicht haben. Wir müssen diese Infrastruktur und insbesondere auch die Pädagoginnen und Pädagogen, die vor Ort arbeiten, ihr Wissen nutzen und es in die Regelschule überleiten. Und noch einmal: Wir müssen dieses Wissen um Sonderpädagogik ausbauen. Wir brauchen viel mehr Pädagoginnen und Pädagogen, die dieses Wissen von vornherein mitbringen. Das stelle ich außer Frage.

Wie gesagt: Die PädagogInnenbildung Neu bietet das entsprechend an und wird da ein Stück weit Abhilfe schaffen, wiewohl mir ganz klar ist: Wir müssen hinschauen. Wir müssen immer sehr genau auf die Ausbildungssysteme schauen: Passt das? Was müssen wir nachschärfen, wo müssen wir nachlegen? Wir müssen auch in der Weiterbildung der Pädagoginnen und Pädagogen darauf abstellen, damit dieses Know-how qualitätsgesichert an unsere Schulen kommt. Es geht aber nicht um ein Abschaffen, es geht um ein Öffnen, um einen Ausbau zu Regelschulen und Nutzung der Ressourcen, die wir haben.

Weil das elfte und zwölfte Schuljahr auch Thema war: Im Autonomiepaket, das jetzt vorliegt und in Begutachtung gehen soll, ist das elfte und zwölfte Schuljahr für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, für Kinder mit Behinderungen, geregelt. Das haben wir dort bereits festgehalten.

Zum Thema Feedback für Pädagoginnen und Pädagogen: Das halte ich für alle Pädagoginnen und Pädagogen für sehr wichtig, um sich einfach auch qualitätsmäßig selbst weiterentwickeln zu können. Besonders wichtig ist es im Austausch von PädagogInnen, die an inklusiven Schulen arbeiten; dort muss dieses Feedback gewährleistet sein. Es ist im Autonomiepaket enthalten: Feedback für LehrerInnen soll in Zukunft ein völlig normaler Regelbestandteil sein, wenn es um Personalentwicklung für unsere Pädagoginnen und Pädagogen geht.

Ich möchte zusammenfassend noch einmal betonen: Es ist mir ein wichtiges Anliegen, inklusive Schule qualitätsvoll zu gestalten, möglichst schnell und rasch qualitätsvoll auszubauen und zu erweitern, profitierend von den Erfahrungen aus den Modellregionen, um allen Kindern die beste Bildung und damit eine Teilhabe an der Gesellschaft, am Arbeitsmarkt und in der Berufswelt in Österreich zu ermöglichen. Das ist mir ein Anliegen, und dafür werde ich arbeiten. –Vielen Dank.

 

Obmann Abgeordneter Dr. Walter Rosenkranz leitet zur RednerInnenrunde der Fraktionen über und ersucht um kurze Redebeiträge und Fragen.

 

Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ): Geschätzte Frau Ministerin! Geschätzte Expertinnen und Experten! Ich werde mich bemühen, den Anweisungen des Obmanns Folge zu leisten und mich kurz halten. Ich möchte mich zuerst einmal bei den Expertinnen und Experten für die Einblicke in ihren Lebensalltag, in den Schulalltag aber auch in den Betroffenenalltag herzlich bedanken. Ich denke mir, das zeigt genau auf, wie unterschiedlich dieses Thema auf Menschen wirkt und wie unterschiedlich auch die Zugänge zu diesem Thema sind.

Ein Satz von allen, die heute da sind, speziell auch von den Eltern, hat mir jedenfalls gezeigt, dass man auf dem Weg zu einer guten Beschulung, zu einem Lernerfolg der Kinder vor allem Pädagoginnen und Pädagogen braucht. Ich glaube, das ist unumstritten. Das hat auch Herr Dr. Piber sehr eindeutig gezeigt, indem er gesagt hat, sein Kind ist mit den Pädagoginnen und Pädagogen, mit deren Einsatz aufgeblüht. Darum bin ich überzeugt davon: Wenn wir eine inklusive Schule schaffen wollen, dann brauchen wir Pädagoginnen und Pädagogen auf dem Weg dorthin, dass sie den Prozess begleiten, dass sie den Eltern die Ängste nehmen, denn anders werden wir es nicht schaffen. Ich bin überzeugt, alle wollen das Gleiche, nämlich, dass die Kinder die bestmögliche Beschulung erhalten, um auch den weiteren Lebensweg bestmöglich gestalten zu können. Dazu braucht es das Fundament der Bildung, darum bin ich überzeugt davon, dass das ganz wichtig ist.

Ich hätte jetzt noch sehr viele Dinge zu sagen, aber ich halte mich jetzt wirklich kurz. Ich möchte Sie, Herr Dr. Piber, ganz speziell fragen: Wenn sichergestellt wäre, dass die Unterstützungsmodelle, die Ihr Kind braucht, in Regelschulen gegeben sind, wäre dann für Sie nicht auch die inklusive Schule die bessere, weil sie die Gesellschaft abbildet? – Das ist meine Frage, weil ich mir denke, das ist es, was das Leben ausmacht, ein diverses Leben, eine Vielfalt im Leben. Jetzt ist aber nur die Frage, ob das für Sie ein gangbarer Weg wäre.

Die zweite Frage würde ich gerne an Frau Dr. Zöhrer richten: Wie ist das mit der Infrastruktur in Kärnten gelungen, denn es ist doch ein Problem, dass es keine barrierefreien Schulgebäude gibt?

Damit schließe ich, da meine Kollegin Holzinger-Vogtenhuber auch noch etwas zu sagen hat. – Danke.

 

Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (SPÖ): Danke für die Inputs der Experten. Was sich für mich ganz stark gezeigt hat, ist so eine Emotion, die irgendwie vermittelt wurde: Auf der einen Seite ist es die Sicherheit, die man in diesen inklusiven Modellregionen vermittelt bekommt. Sie geben Sicherheit, dass es funktionieren kann, dass die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt werden können, dass es da keine Einsparungen gibt und dass es eben nicht eine Frage des politischen Willens ist, sondern dass es das Recht des Kindes ist, dass das abgedeckt wird.

Auf der anderen Seite merke ich aber irgendwie die Angst, dass man die Stigmatisierung nicht auflösen kann, dass dieser Weg, der eingeschlagen wird oder den man für das Kind einschlägt, das Kind eventuell das ganze Leben lang prägen wird. Ich glaube, es müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Ich habe gerade bei Ihnen, Herr Piber und Herr Kirisits, den Unterschied herausgehört: die Angst, die da auf der einen Seite ist, und die Chancen, die auf der anderen Seite dem Kind geboten werden können, wenn man den Weg der Inklusivität geht.

Ich glaube, Sie wollen beide das Beste für Ihre Kinder, die Herangehensweisen sind andere. Die Frage ist, wo man den Konsens finden kann, dass man sagt: Okay, diese Varianten wären für uns beide tragbar und gut, da, denken wir, wird das Kind am besten gefördert werden?

Ich denke, es ist richtig, dass ein Kind kein Bittsteller sein soll und auch die Eltern keine Bittsteller sein sollen. Wenn man schon mit so großen Problemen konfrontiert ist, soll man dann nicht auch noch an das System herantreten und die ganze Zeit seine Rechte einfordern müssen. Man darf aber auch nicht hergehen und sagen, man könne sich ein inklusives Modell nicht vorstellen, nur weil eine Schule nur Stufen und noch keinen Lift et cetera hat. Ich glaube, diese Voraussetzungen müssen geschaffen werden, das ist uns allen klar.

Ich habe es in Oberösterreich gesehen, weil sich Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung an mich gewandt haben. Da gibt es eine Sonderschule, bei der es möglich war, den Schulbesuch um zwei Jahre zu verlängern, weil die Kinder es benötigt haben. Auf der anderen Seite ist die Nachmittagsbetreuung an einem anderen Ort mit 16 Jahren aus. Das wäre zum Beispiel nur ein politischer Goodwill, wenn man von oben sagt, dass man dieser einen Schule gewährt – einer anderen Schule gewährt man es aber nicht. Das darf nicht sein, denn die Eltern dürfen nicht vor der Frage stehen: Muss ich eventuell meinen Job aufgeben, weil zum Beispiel die Schulbesuchsdauer verlängert wird, aber die Hortmöglichkeit nicht?

Also ich glaube, es liegt an den Voraussetzungen, die geschaffen sein müssen.

Ich habe ebenfalls noch eine kurze Frage an Frau Zöhrer: Wie schaut es aus, sind die sonderpädagogischen Bedarfe wirklich abgesichert und ist es möglich, dass man den Kindern mitgibt, was sie brauchen? – Danke.

 

Abgeordneter Dr. Karlheinz Töchterle (ÖVP): Werte Anwesende! Herr Vorsitzender, ich halte mich an Ihren Wunsch, daher kurz. Ich teile die Meinung derer, die sagen: Inklusion ist als Vision durchaus erstrebenswert, in der derzeitigen Situation aber nicht vollständig machbar. Das liegt einerseits an den Schulbauten, es liegt aber andererseits vor allem auch am Personal. Auch die neue Lehrerbildung – da bin ich anderer Meinung als die Frau Ministra – wird nicht die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Inklusion generell von diesem Personal bewältigbar ist, denn die Lehrerbildung Neu hat natürlich einen kleinen Pflichtanteil Sonderpädagogik, aber ihren Schwerpunkt ganz eindeutig in der Fachausbildung, und das ist auch gut so.

Wir wissen aber und haben es aus eindrucksvollen Beispielen hier von Betroffenen gehört: Es gibt eben viele Fälle, in denen ein immenser sonderpädagogischer Bedarf gegeben und eine hohe Kompetenz nötig ist, und die kann im Regelschulwesen nicht geleistet werden. Vielleicht gibt es irgendwann einmal ein Schulwesen, in dem das alles so glatt und gut ineinandergreift, dass Inklusion möglich ist; derzeit ist es nicht so, deshalb finde auch ich es wichtig, dass die Wahlmöglichkeit so lange offen bleibt.

 

Abgeordneter Dr. Franz-Joseph Huainigg (ÖVP): Herr Vorsitzender! Die Bedenken der Bürgerinitiative, nämlich dass Inklusion derzeit nicht funktioniert, verstehe ich, aber die Schlussfolgerungen sind meiner Meinung nach nicht richtig. Wenn das System derzeit nicht funktioniert, muss es entsprechend weiterentwickelt werden, und so wie in Kärnten, wo an den inklusiven Schulzentren Therapie angeboten wird, muss es kleine Gruppen geben, in denen jedes Kind entsprechend gefordert und gefördert wird. Davon profitieren nicht nur die behinderten Kinder, sondern auch die nicht behinderten Kinder und letztendlich dann auch die gesamte Gesellschaft.

Meine Frage richtet sich an den Herrn aus Reutte: Sie haben gesagt, Ihr Kind hat keine adäquaten Möglichkeiten vorgefunden. Haben Sie es probiert, Ihren Sohn in Reutte in eine Integrationsklasse zu geben, oder war es von vornherein der Beschluss, ihn in ein sonderpädagogisches Zentrum zu geben?

Die zweite Frage richtet sich an Frau Landesschulinspektor Zöhrer – das ist immer eine Schlüsselfrage –: Ist jedes Kind inkludierbar? – Danke.

 

Abgeordneter Asdin El Habbassi, BA (ÖVP): Ich möchte ganz kurz darauf aufbauen. Frau Dr. Zöhrer, ich hätte zwei konkrete Fragen. Sie haben davon gesprochen, dass in der Modellregion Inklusion quasi in Regelschulen stattfinden soll; die erste Frage ist konkret: Bedeutet das Inklusion als Recht in jeder Regelschule? Und wenn ja: Gibt es da eigene Integrationsklassen, oder soll das in jeder Klasse möglich sein?

Meine zweite Frage bezieht sich auf die Finanzierung.: Wir wissen ja, in Südtirol funktioniert sehr vieles ganz gut. Klar ist auch, dass dort ins System wesentlich mehr Geld hineingesteckt wird. Sie haben angedeutet, dass das in Kärnten deswegen möglich war, weil aus verschiedenen anderen Bereichen, nämlich aus dem Bereich Gesundheit und aus anderen Bereichen, Mittel zur Verfügung gestellt worden sind. Da wäre die Frage: Können Sie irgendwie beziffern, wie da der Anteil der zusätzlichen Mittel ausschaut, um diese Modellregion möglich zu machen? Ich glaube nämlich, dass das eine Schlüsselfrage sein wird, die auch auf Bundesebene zu klären ist.

 

Abgeordneter Mag. Gerald Hauser (FPÖ): Grüß Gott auch meinerseits! Ich darf mich zuerst namens meiner Fraktion bei den Vertretern der Bürgerinitiative recht herzlich dafür bedanken, dass Sie sich für die Bürgerinitiative „Wahlfreiheit braucht Wahlmöglichkeit!“ engagiert und so viele unterstützende Unterschriften zusammengebracht haben. Es ist Ihnen ja bekannt, dass wir von der Freiheitlichen Partei diese Wahlfreiheit aus vollem Herzen unterstützen. Auch die heutigen Ausführungen, speziell jene von Herrn Dr. Hribernig-Körber und Herrn Dr. Piber haben uns sicherlich in dieser Haltung bestärkt.

Man muss diese Debatte sehr ehrlich führen. Auch wir sagen: Inklusion dort, wo Inklusion möglich ist, selbstverständlich; es geht um das Wohl des Kindes. – No na net, worum soll es im schulischen Bereich sonst gehen? Da geht es auch nicht um eine politische Einstellung, aber ich fordere irgendwann einmal eine ehrliche Debatte ein.

Ehrlich zu debattieren würde für mich Folgendes heißen – nehmen wir das Beispiel von Dr. Piber –: Es wird öffentlich immer behauptet, der Bezirk Reutte in Tirol komme ohne Sonderschulen aus. – Es gibt sie dort einfach nicht. Herr Dr. Piber musste, weil es dort keine Sonderschule gibt, seinen Wohnort wechseln. Das wäre eine ehrliche Debatte. Man muss ehrlicherweise feststellen, dass viele Eltern ins benachbarte Allgäu auspendeln müssen, weil es die entsprechenden sonderpädagogischen Einrichtungen, sprich Sonderschulen, im Bezirk Reutte einfach nicht gibt. Diese Ehrlichkeit in der Debatte fordern wir.

Ich gebe auch dem Vorredner Dr. Töchterle vollkommen recht, wenn er sagt, dass die Inklusion derzeit nicht zu hundert Prozent funktioniert, weil einfach die organisatorischen, administrativen, baulichen und sonstigen Voraussetzungen nicht vorhanden sind. Es muss deswegen unser gemeinsames Ziel sein, die wichtigen Sonderschulen auch flächendeckend als Wahlmöglichkeit anbieten zu können, weil die betroffenen Kinder wie auch die Eltern dieses Angebot in ihrer Nähe brauchen und weil gerade Kinder, die beeinträchtigt sind, nicht ohne Weiteres jederzeit in anderen Bezirken eingeschult und in Internaten untergebracht werden können.

Begleitend dazu muss natürlich auch die Lehrerausbildung Neu dieser Idee Rechnung tragen. Es ist nicht ehrlich, wenn man jetzt behauptet, dass es da keine Einschränkungen gibt. Fakt ist, dass die Ausbildung nicht nur speziell abläuft, dass natürlich Pflichtkurse angeboten werden, aber grundsätzlich dieser sonderpädagogische Schwerpunkt, der ursprünglich in der Ausbildung eigentlich der ideale Zustand war, zurückgedrängt wurde.

Abschließend noch einmal: Sie wissen, dass wir von der Freiheitlichen Partei Ihre Bürgerinitiative unterstützen. Wir unterstützen selbstverständlich Inklusion dort, wo sie möglich ist; aber auch die heutigen Beispiele haben gezeigt, dass die Sonderschulen ganz wichtige schulische Aufgaben und Tätigkeiten leisten – deswegen sind wir für den Erhalt der Sonderschulen.

 

Abgeordnete Mag. Helene Jarmer (Grüne) (in Übersetzung durch einen Gebärdensprachdolmetscher): Dieses Thema ist wirklich nervenaufreibend. Es ist oftmals die gleiche Diskussion: Sollen wir? Sollen wir nicht? Machen wir? Machen wir nicht? Es gibt keine klaren Lösungsvorschläge, und es wird nicht darauf geachtet, was diese Kinder tatsächlich brauchen, sondern permanent nur darüber nachgedacht.

Ich bin selbst eine Betroffene: Ich bin Sonderpädagogiklehrerin, ich war selbst Sonderschülerin, hatte auch diesen Status, und ich kann mir erlauben, zu sagen, was diese Menschen in ihrem Leben durchmachen.

Es ist einfach Fakt, dass es in Österreich Inklusion braucht. Es gibt keine echte Inklusion in Österreich, es ist ein Wunschgedanke. Es wird darüber diskutiert. Das, was es gibt, ist Integration, das ist es. Dieser Wunsch ist erst gerade einmal ausgesprochen, und die Frage ist, ob wir uns jetzt eher für Inklusion, für Integration, für die Sonderschule – oder wie auch immer – entscheiden.

Es wurde auch von der von uns nominierten Expertin bereits gesagt, dass diese Doppelfinanzierung das Ganze so schwierig macht. Die Verantwortung liegt auch hier in diesem Raum. Es wird oftmals gesagt, es gebe da zu wenig Ressourcen, zu wenig Geld. – Natürlich gibt es zu wenig Geld, wenn in beide Systeme investiert wird. Nun erklärt man uns, dass es möglich ist, sie zusammenzufügen. Genauso war es übrigens auch in Italien; dort hat man von heute auf morgen gesagt: Aus, Ende mit den Sonderschulen, wir tun das zusammen! – Und es funktioniert! Ich habe mir das auch in Südtirol angesehen – es funktioniert!

Solange Sie sich das nicht angesehen haben, können wir nicht darüber diskutieren, ob es funktionieren könnte, ob das passieren kann, was passieren kann. Schauen Sie sich das persönlich an! Es funktioniert! Südtirol hat gezeigt, dass alle Schüler, die in einer Sonderschule waren, inkludiert wurden – bis auf zwei, die schwerstbehindert waren; das war’s. Alle anderen Schüler wurden integriert.

Zur Frage, ob alle Klassen inklusiv sein müssen, ob das Schulgebäude entsprechend gebaut sein muss et cetera: Es ist unterschiedlich. Inklusion ist keine Hausordnung, in der ganz genau ein Standard beschrieben ist, der eingehalten werden muss. Das Einzige, das sicher ist, ist, dass es drei Lehrer beziehungsweise drei Personen im Klassenraum braucht: Inklusionslehrerin, Regelschullehrerin und eine Person, die assistiert.

Das ist beispielsweise eine Sache, die Inklusion andeutet, Inklusion zeigt; aber die Struktur der Inklusion in den Schulen, wie es funktionieren soll, das wird und muss sich entwickeln und ist unterschiedlich in den verschiedenen Diskussionen. ÖVP und FPÖ sagen: Lassen wir es!, aber Kollege Huainigg: Deine Eltern haben sich auch darum bemüht, dass du in eine Regelschule kommst; trotzdem setzt du dich für Inklusion nicht so stark ein, wie es sich eigentlich gehört!

Es tut mir wirklich furchtbar leid: Seit wie vielen Jahren diskutieren wir? – Es gibt aber keine Ergebnisse! Wir sind dafür verantwortlich, lassen diese Kinder einfach im Stich, es passiert nichts. Diese Kinder werden in ihrem Leben, in ihrer Entwicklung einfach stehen gelassen. Sie werden nicht gezeigt, sie werden vor der Gesellschaft versteckt. Was wir hier diskutieren, ist Segregation: Wie verstecken wir die Kinder am besten?

Ich halte es für eine Schande, was da in Österreich passiert! Diese Gesellschaft, dieses fehlende Bewusstsein führt nur dazu, dass diese Kinder versteckt werden, in ihrer Zukunft keine Möglichkeiten haben – und dann diskutieren wir darüber, wie wir mit diesen Menschen, die es großteils nicht zu irgendetwas gebracht haben, weitermachen. Reden wir weiterhin über die Schande!

 

Abgeordneter Dr. Harald Walser (Grüne): Mir geht es wie Kollegin Jarmer: Es ist kaum mehr auszuhalten. Heute zu diskutieren, ob Inklusion möglich ist, angesichts der Entwicklung weltweit, bedeutet nichts anderes, als das Rad zurückdrehen zu wollen; da müssen wir nichts mehr beweisen, das ist klar.

Wenn Kollege Töchterle als jemand, der die neue LehrerInnenausbildung mitverhandelt hat, jetzt sagt, das sei garantiert nicht eine entsprechende Ausbildung für alle Kolleginnen und Kollegen, die mit Sonderpädagogik befasst sind, dann weiß ich nicht, was er damals mitverhandelt hat. Du bist derjenige, der für die ÖVP hier die entsprechenden Weichenstellungen vorgenommen hat!

Inklusion ist machbar. Wir wissen, dass sie machbar ist. Ich erinnere daran, dass in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen, jetzt bereits AbsolventInnen einer Sonderschule das Land Nordrhein-Westfalen klagen; sie sagen, sie seien in ihrer Bildungslaufbahn eingeschränkt worden.

Inklusion ist ein Menschenrecht, darüber müssen wir nicht mehr diskutieren. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir das möglichst schnell umsetzen. Ich bin sehr dankbar, Frau Dr. Zöhrer, für Ihre klaren Aussagen und auch Ihren sehr pragmatischen Zugang. Sie beweisen in Kärnten, dass wir sehr wohl ab sofort in Richtung Inklusion gehen können, wenn wir nur wollen.

Einen Punkt möchte ich auch noch erwähnen: In den Sonderschulen haben wir um 50 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler mit nicht deutscher Muttersprache. Das soll mir einmal einer erklären! Es ist ja wohl vollkommen klar, dass Schülerinnen und Schüler, die im Regelschulwesen schwierig sind, abgeschoben werden, und das darf nicht sein!

 

Abgeordneter Mag. Dr. Matthias Strolz (NEOS): Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klares Bekenntnis zum Ziel der Vollinklusion! Ich glaube, dafür gibt es auch eine Mehrheit im Parlament. Das Problem ist, dass dieser Bereich vom Ministerium extrem schlecht gemanagt wird.

Wir haben uns ein nationales Ziel gesteckt: dass wir bis 2020 das System überführen. Es hat sich das Bundesministerium nicht darum gekümmert: Man hat irgendwann einmal gesagt, da machen wir drei Modellregionen. Es gibt an und für sich keinen Fahrplan, man hat nicht darauf geschaut. Die restlichen Bundesländer haben gemacht, was sie wollten, und jetzt kommt langsam der Tag der Offenbarung, weil 2020 näher rückt – und wir kommen drauf, wir können das Datum nicht einhalten.

Was jetzt natürlich nicht geht, ist, mit einer ideologisch-dogmatischen Bestimmtheit zu sagen, wir halten 2020 und drehen in den Sonderschulen einfach die Schlüssel um. Das wäre auf dem Rücken und zulasten der Kinder, der Jugendlichen, der Eltern; das können wir nicht tun. Was wir aber tun können, ist, von der Bundesregierung einen neuen Fahrplan einzumahnen.

Ich behaupte, wir können Vollinklusion bis 2022 erreichen; dies aber nur unter der Bedingung, dass wir die Infrastruktur der jetzigen Sonderschulstandorte voll nutzen und auch das Know-how dort. Wir können nicht zudrehen. Wir können nicht per Helikopter die Therapieeinrichtungen in andere Schulen einfliegen; wir können dieses Kapital, das wir zum Wohle der Kinder und Jugendlichen aufgebaut haben, nicht über Nacht vernichten.

Wir brauchen ein sauberes Projektmanagement. Das kann keine Raketenwissenschaft sein, zumal in drei Bundesländern die Pilotprojekte schon unterwegs sind. Das heißt, das mahne ich von der Ministerin ein. Wenn sie da sitzt und sagt, sie wundere sich über die Unterschiede in den Bundesländern, dann wundere ich mich übers Ministerium. Ich meine, warum soll es keine Unterschiede geben, wenn wir Modellregionen haben? Da läuft es natürlich besser, und in anderen Regionen hat man es einfach laufen lassen. Das Ministerium soll sich nicht wundern, sondern steuern; das ist Aufgabe der Politik, des Bundesministeriums, das ist zu tun.

Abschließend: Es ist natürlich beklemmend, wenn das österreichische Bildungssystem von der die Generalhypothese ausgeht, Ausländerkinder seien dümmer als Inländerkinder; das belegt uns die Statistik seit Jahren und Jahrzehnten und das ist offensichtlich eine Annahme, sonst hätten wir ja etwas dagegen gemacht.

Die zweite Geschichte, die die Statistik ausweist: Es ist die Gruppe der behinderten Kinder und Jugendlichen jene, die am frühesten aus dem Bildungssystem herausfliegt. Jetzt würde ich einmal sagen: Versuchen wir, ihnen möglichst lange die Flügel zu heben und nicht zum ehestmöglichen Zeitpunkt Tschüss zu sagen!

Die Frage an die zwei Landesschulinspektorinnen lautet: Schaffen Sie es in den inklusiven Modellregionen im Vergleich zu anderen Bundesländern, diese Kinder und Jugendlichen länger im Schulsystem zu halten? Das wäre ein wichtiger Hinweis, dass sich Besserung abzeichnet.

 

Obmann Dr. Walter Rosenkranz bittet – da seitens des Teams Stronach keine Wortmeldung vorliegt – die anwesenden Expertinnen und Experten um eine kurze Stellungnahme zu den aufgeworfenen Fragen und Unklarheiten.

 

Landesschulinspektorin Mag. Dr. Dagmar Zöhrer (Landesschulrat für Kärnten): Ob es kurz sein wird, das vermag ich angesichts der Fülle an Anfragen jetzt nicht zu versprechen, aber ich beginne einmal mit dem Thema Infrastruktur.

Wie gelingt es, die Barrierefreiheit in Kärnten umzusetzen? – Wir hatten vor geraumer Zeit an Landessonderschulen, die eben baufällig waren, die Entscheidung zu treffen: Generalsanierung, ja oder nein? Da geht es um Größenordnungen von 10 Millionen € pro Standort, und da gab es ein ganz klares politisches Bekenntnis angesichts der breiten Inklusionsbemühungen des Landes Kärnten, dieses Geld in den Kommunen zu investieren, um dort Barrierefreiheit zu unterstützen. Das heißt, man hat die Kommunen beim Thema Barrierefreiheit nicht alleingelassen.

Es geht nicht nur um die barrierefreie Erschließung, sondern auch um die räumliche Ausstattung. Es gibt zum Beispiel in jedem Bezirk an definierten Standorten Therapieräume, es gibt an jedem Standort Nebenräume für Inkontinenzversorgung für all jene Kinder, die auch diese Unterstützung benötigen. Wir haben also sehr viel Geld, das seinerzeit eben vonseiten des Landes in die Erhaltung von Landessonderschulen und vor allem in die Tagessätze in Landeseinrichtungen geflossen ist – das sind zum Teil Beträge um 3 000 € pro Schüler –, in die barrierefreie Gestaltung in den Kommunen investiert.

Zur Frage, wie wir die Unterstützungsbedarfe absichern: Das ist mir ein ganz wichtiges Thema, zumal ja die Vorredner genau das infrage stellen. Es ist alles per Regierungsbeschluss in Maßnahmenplänen akkordiert. Es gibt einerseits die Umschichtung aus den Sonderschulen, die es in dieser Form nicht mehr gibt; das heißt, wir haben die sonderpädagogische Expertise durch das Fachpersonal. Wir haben aber andererseits auch – ich habe es schon kurz erwähnt – die zusätzliche Unterstützung durch die Sozialabteilung, die sich ja Geld erspart, wenn Kinder nicht in Sondereinrichtungen untergebracht sind.

Das heißt, es gibt tatsächlich an diesen genannten Schulstandorten Therapie, und zwar in dreierlei Form: Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie für alle Kinder mit hohem Assistenzbedarf. Es gibt Einzelassistenzen für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen. Es gibt Time-out-Gruppen für jene Kinder, die aufgrund ihres dissozialen Verhaltens in einer großen Gruppe vorrübergehend nicht gut gefördert werden können. Es gibt Kleingruppen für Kinder mit hohem Assistenzbedarf, die heute erwähnt wurden. – Das heißt, eigentlich gibt es bei uns die wirkliche Möglichkeit der Wahl, nämlich zwischen Einzelförderung, Kleingruppe und Großgruppe, aber alles an der Regelschule, an der inklusiven Regelschule.

Wenn Herr Dr. Töchterle meint, dass das derzeit nicht möglich sei, erlaube ich mir, zu sagen: Wir leben das in sieben von zehn Bezirken. Ich frage mich: Was ist da nicht möglich? Wir leben ja nicht auf dem Mond, sondern nur im südlichsten Bundesland, und da wird es tatsächlich so umgesetzt, wie ich das hier schildere.

Zur Frage von Franz-Joseph Huainigg, ob jedes Kind integrierbar ist: Grundsätzlich ja, es ist nur immer die Frage: Was benötigt dieses einzelne Kind für seine Integration? Welchen Unterstützungsbedarf hat das Kind? Noch einmal: Es gibt bei uns wirklich von der Einzelbetreuung bis zur Großgruppe das gesamte Spektrum an Organisationsformen, aber auch an Unterstützungsleistungen. Zur Wahlfreiheit habe ich schon kurz gesprochen, das möchte ich jetzt nicht mehr weiter ausführen.

Ein Punkt, der noch aufgekommen ist, betrifft die Lehrerausbildung: dass die derzeitige Lehrerausbildung Neu nicht den Bedarf abdecken wird, der im Bereich der Inklusion besteht. – Was da dazuzusagen verabsäumt wurde: Da geht es ja nur um die Basisbildung für alle – darüber hinaus gibt es natürlich auch weiterhin zusätzliche Ausbildung in diesen Spezialsegmenten, im Bereich Hören, im Bereich Sehen, im Bereich Verhalten. Da gibt es natürlich auch in der neuen Lehrerausbildung speziellere Ausrichtungen, die für Expertise sorgen werden.

Zur Frage von Herrn Strolz, warum Kinder mit anderer Erstsprache als Erste aus dem System kippen, muss ich leider sagen: Da sind uns die Hände gebunden, auch in der Modellregion, weil es ganz einfach diesen Rechtsanspruch auf ein weiteres Schuljahr nicht gibt. Wir haben ja in der Modellregion nicht die Möglichkeit, Gesetze außer Kraft zu setzen. Ich bin jedoch völlig Ihrer Meinung: Wir müssten auch da versuchen, Kindern mehr Rüstzeug, mehr Kompetenz im Bereich der Sprache und auch der Bildung mitzugeben, wenn wir wollen, dass sie einmal vollwertige Mitglieder in unserer Gesellschaft werden.

So viel zu den Fragestellungen, die an mich persönlich gerichtet wurden. – Danke.

 

Landesschulinspektorin Dr. Heidemarie Blaimschein (Landesschulrat für Oberösterreich): Der Weg in Richtung Inklusion ist ein sehr mühsamer, das kann ich aus eigener Erfahrung bezeugen. Ich arbeite jetzt seit 16 Jahren in diesem System und habe in diesen 16 Jahren eigentlich nichts anderes gemacht, als Stützsysteme, Assistenzsysteme aufzubauen, zu evaluieren, weiterzuentwickeln, Finanzierungen sicherzustellen; das haben wir in Oberösterreich.

Um da zu quantifizieren: In Oberösterreich haben wir knapp 1 000 Pflichtschulen und haben – noch, sage ich jetzt – 26 Kompetenzzentren, sprich von der Art her Sonderschulen. Diese Kompetenzzentren, überregionale Zentren, sind es, in denen dann das Know-how gebündelt in die Regionen weitergetragen wird, sei es durch Beratung, sei es durch Lehrerfortbildungen oder sei es auch direkt vor Ort, wenn spezielle Beratung betreffend Inklusion oder Integration erforderlich ist.

Ohne diese überregionalen Zentren könnte ich mir zum Beispiel die Integration oder Inklusion bei Sinnesbeeinträchtigten, bei Körperbeeinträchtigten absolut nicht vorstellen. Da ist es nämlich ganz, ganz wichtig, dass da zentriertes Know-how vorhanden ist und dass man auch Fachkräfte in diesem Bereich hat. Ich sehe, dass es in letzter Zeit Gott sei Dank wieder Lehrgänge an den Hochschulen gibt, die speziell für diese Bereiche organisiert werden. Wenn das abhandengekommen wäre, hätte das, glaube ich, zu einem enormen Know-how-Bruch geführt, denn da brauchen wir Spezialisten und Spezialistinnen, Experten und Expertinnen. – So weit ein kurzer Abriss zu Oberösterreich.

Wenn ich mir die Diskussion so anhöre, denke ich: Wir haben da einen ganz, ganz weiten Weg vor uns. Wir haben zum Beispiel auch flächendeckend Schule und Sozialarbeit implementiert, ein ganz wertvolles Supportsystem. Ohne dieses könnten wir uns die Situation nicht mehr vorstellen, das ist eine Präventivmaßnahme. Ich glaube, der Weg in Richtung Inklusion ist ein ganz, ganz wertvoller, ich habe es in meinen Ausführungen gesagt, aber doch: mit Maß und Ziel, Step by Step – anders geht es nicht. Wir haben auch nicht die finanziellen Mittel, das alles sozusagen über Nacht umzusetzen. Es geht wirklich nur eines nach dem anderen.

Ich sehe das sehr, sehr pragmatisch, aber trotzdem möchte ich zum Abschluss sagen: Idealisierte ideologische Inklusionsdiskussionen sowie auch naiv-pragmatisch nicht reflektierte Handlungsansätze bringen in diesem Bereich keine erfolgreiche Systementwicklung. Da muss man halt einfach diesen Weg beschreiten und dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben. Wie ich es auch in meinen Ausführungen gesagt habe: die Erfahrungen nützen und zusammentragen, um im Sinne der Kinder diese Ausgewogenheit, diese Balance halten zu können.

 

Dr. Andreas Piber: Persönlich wurde ich angesprochen, ob ich mir ein inklusives System für meine Tochter vorstellen könnte, wenn benötigte Therapien, Infrastruktur und so weiter vor Ort vorhanden sind. Dazu muss ich sagen: Das geht auf alle Fälle in die richtige Richtung. Wenn ich als Qualitätsmanager das beurteilen müsste, dann muss ich sagen: Wenn neue Systeme oder neue Prozesse aufgesetzt werden, dann braucht es eigentlich etwas, das mehr Qualität bietet als das bisher Gehabte. – Das einmal grundsätzlich.

Ich möchte diese Frage mit einer Gegenfrage beantworten: Wir wissen, dass besonders die skandinavischen Länder in Bezug auf inklusive Systeme relativ weit sind. Warum werden dort aber immer noch 3,9 Prozent der Kinder in Sonderschulen oder Sonderklassen unterrichtet? Vielleicht sollte man dieser Frage einmal auf den Grund gehen.

Vielleicht liegt der Schlüssel bei Kindern mit kognitiven Beeinträchtigungen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass eine ganze Menge, also ein sehr, sehr hoher Prozentsatz von Kindern, die derzeit Schüler einer Sonderschule sind, in ein Integrationssystem, in ein Inklusionssystem integriert werden können. Bei gewissen Kindern mit massiven kognitiven Beeinträchtigungen kann ich mir das nicht vorstellen. Da muss ich dann auch sagen: Wem nützt der Drang, dieses System so schnell wie möglich umzustellen? – Das nützt wahrscheinlich, würde ich einmal sagen, über 90 Prozent der Kinder, vielleicht 97 Prozent, aber 3 Prozent der Kinder fallen da sicher durch den Rost.

 

Michael Kirisits: Ich möchte abschließend nur noch sagen, dass ich auch der Meinung bin, dass wir in der Frage der Inklusion nicht auf die Bremse steigen, sondern endlich das umsetzen sollten, was wir umsetzen könnten. Wir haben das Geld, wir haben das Know-how, wir wissen, wie es funktionieren könnte, es gibt die Modellregionen und so weiter und so fort. Ich weiß nicht, warum da eigentlich gewartet wird – keine Ahnung!

Vielleicht bin ich ein Milchmädchen und kenne mich da politisch nicht so gut aus, aber ich glaube einfach, dass Inklusion nach dem Motto: ja, aber ... nicht funktioniert; man kann ja auch nicht ein bisschen schwanger sein. Also man muss das umsetzen, und ich ersuche daher den Gesetzgeber und die Gesetzgeberin, endlich die notwendigen Gesetze zu ändern. Da gehört auch das Schulunterrichtsgesetz angeschaut und dementsprechend geändert.

Schule gehört neu definiert, Bildung gehört neu definiert, und vor allem will ich als Elternteil eines: Ich will das gleiche Recht haben wie alle anderen. Das ist das, was mich im Alltag am meisten beschäftigt: dass ich aufgrund von Gesetzen und behördlichen Hürden in meinem Alltag zu etwas gezwungen oder diskriminiert werde. Da wünsche ich mir einfach, dass nach Jahrzehnten diese Segregation von Menschen mit Behinderungen aufhört, und zwar jetzt, und nicht morgen oder übermorgen, und nicht nach dem Motto: ja, aber ... Wir müssen aufhören, Menschen mit Behinderungen zu segregieren – das haben wir sehr lange gemacht, und das ist der falsche Weg.

 

Dr. Clemens Rauhs (Elternverein Hans Radl Schule): Wie gesagt, ein fertiges Konzept in diesem Sinn habe ich nicht, aber noch zwei Anmerkungen zu dieser ganzen Diskussion. Es gibt ja eine Transformation, einen Wandel in Richtung Inklusion, der sicherlich sehr richtig ist.

Ganz wichtig ist es, zu sagen: Man sollte vermeiden, dass man sozusagen die etwas Begabteren in Regelschulen hinüberschiebt und dann der harte Kern überbleibt. In Südtirol waren es offensichtlich nur zwei Kandidaten, aber auch für die zwei ist es sicherlich sehr dramatisch. Man müsste sich also ein gesamtheitliches System überlegen, bei dem dann nicht die harte Gruppe irgendwo segregiert übrig bleibt. – Das ist ein allgemeiner Kommentar.

Was mir in der Vorbereitung, auch seitdem ich für den Elternverein tätig bin, aufgefallen ist – ich habe mit vielen Experten und Entscheidungsträgern gesprochen –: Aus meiner Sicht ist die Feststellung des SPF bei uns wirklich dilettantisch. Wenn jemand einen Migrationshintergrund hat, wird er mit dem SPF abgestempelt – das ist eigentlich eine Sauerei und eine Diskriminierung, das sage ich jetzt mit dieser Wortwahl ganz offen.

Ehrlicherweise hängt damit auch die Mittelzuteilung zusammen. Wenn man auf diese Art und Weise unprofessionell Mittel zuteilt, darf man sich nicht wundern, dass man ein System hat, wie es heute ist. Da wird hintenherum geschachert, über irgendwelche Mittel und SPF-Stempel, damit es wieder Mittel gibt. Ich meine, ein ganz wichtiger Schritt des Ministeriums und der Politik muss es sein, da differenziertere Beurteilungen zu treffen und darauf aufbauend auch eine richtige Mittelzuteilung durchzuführen. Dann wird sicherlich viel möglich sein, aber wie wir heute gesehen haben: Die SPF-Quoten können nicht dermaßen auseinanderdriften. Ich kenne Werte, die liegen bei 4,6 Prozent. – Das ist es, vielen Dank.

 

Professor Ernst Smole (Internationales Forum für Kunst, Bildung und Wissenschaft): Ganz kurz zwei Punkte; erstens: Sonderschulzuweisungen von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache. Es gibt sehr genaue Beobachtungen, dass von bestimmten Lehrerinnen und Lehrern regelmäßig solche Zuweisungen kommen und von anderen nicht, das heißt, es liegt die Vermutung nahe, dass es auch bei diesen Sonderschulzuweisungen – ich sage es noch einmal mit Genuss und Freude – um die lehrerindividuelle Unterrichtskunst geht.

Zweiter Punkt, der etwas Hoffnung macht: Vor einigen Jahren bin ich gemeinsam mit zwei Kollegen aus Wien von der Kunstsektion des Ministeriums in die USA geschickt worden, um dort über den Musikunterricht in Schulen zu recherchieren. Das haben wir gemacht, aber der besonders bleibende Eindruck war die funktionierende Inklusion in öffentlichen Highschools im mittleren Westen.

Dort gibt es Bausteine, die wir auch alle haben: Barrierefreiheit, Rollstühle von Eltern geführt, Ganztagsform, alle Nebenräume, für jedes Kind ein individueller Wochenplan, wo das Kind wann ist, Pull-out-System, retardierter und akzelerierter Unterricht – diese Form der Individualisierung für Kinder, die besondere Begabungen oder Schwierigkeiten haben –, einen tollen Unterricht, eine Schulkrankenschwester und besonders Lehrer, die fröhlich und berufszufrieden sind – insgesamt eine unaufgeregte Stimmung, Ruhe und Gelassenheit.

Wir haben diese Bausteine, wir kennen sie. – Fahren wir hin, schauen wir uns das an und setzen dieses inklusive Haus aus diesen Bausteinen in den nächsten zehn oder 15 Jahren zusammen! – Danke.

 

Sektionschef Kurt Nekula, MA (Bundesministerium für Bildung): Ich möchte zum Vorwurf des schlechten Managements Stellung nehmen: Die Entwicklung, die wir jetzt aktiv vorantreiben, beginnt ja nicht erst jetzt, sondern ist eine mehrjährige, die bereits mit der Ratifizierung der UN-Konvention und der Entwicklung des Nationalen Aktionsplans begonnen hat. Wie in der Konvention und auch im Aktionsplan vorgesehen, haben wir dabei eine partizipative Strategieentwicklung verfolgt und mit allen Stakeholdern – mit der Zivilgesellschaft, den Vertretern der Wissenschaft und vielen weiteren Stakeholdern – partizipativ daran gearbeitet, wie wir aus dieser Sackgasse herauskommen: ja oder nein, Sonderschule oder nicht Sonderschule, das Kind mit seinen Bedürfnissen ins Zentrum stellen.

Wir haben eine Richtlinie für die Einrichtung von inklusiven Modellregionen entwickelt, weil das der Ausweg aus dieser Diskussion, das Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen war. Es ist ganz klar, dass Bund, Länder und Kommunen, weil es da ja um Pflichtschulen geht, in einer verfassungsgesetzlichen Zuständigkeit stehen und agieren. Das heißt, es kann nicht einer dem anderen vorgeben, was zu tun ist, sondern das ist ein gemeinsamer Prozess, der auch nur gemeinsam aufgesetzt werden kann. Das ist in drei Bundesländern zunächst einmal gelungen. In zwei weiteren Bundesländern steht unmittelbar bevor, dass sie ebenfalls aktiv in diese Entwicklung einsteigen; weitere werden folgen.

Wie stark die Verantwortung der Landesebene ist, sieht man doch wunderbar und illustrativ am Beispiel Kärntens, wenn man verfolgt, was da auf der Landesebene geregelt wurde, damit eben Inklusion gut funktioniert. Sie erleben es ja, dass es dort keine großen Aufregungen gibt, keine medialen Erregungen stattfinden und dass man da nicht krampfhaft bemüht ist, einen Flächenbrand zu löschen. Ganz im Gegenteil: Das ist ein ganz harmonisches Projekt, das wunderbar voranschreitet und von der Öffentlichkeit sehr, sehr gut angenommen wird. Das heißt also, da ist das Zusammenspiel der Ebenen unter den derzeitigen verfassungsgesetzlichen Rahmenbedingungen ohne Alternative.

In der PädagogInnenbildung Neu ist es gelungen, die Ausbildungszeit fast zu verdoppeln, Schwerpunktsetzungen zu ermöglichen, Inklusion als Fach zu wählen, die Grundlage dafür zu legen, dass wir nicht Speziallehrerinnen und -lehrer suchen müssen, die dann bitte doch auch in die Regelschulen kommen, sondern Regelschullehrer und -lehrerinnen, die sonderpädagogische Kompetenz erwerben und dann in ihre Tätigkeit einbringen können. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Inklusion überhaupt strukturell gelingen kann,

Dann wird auch noch etwas wichtig sein – aber darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen, weil da der Begutachtungsprozess noch nicht begonnen hat –: Es ist natürlich auch geplant, dieses Element sowohl in der neuen Behördenstruktur als auch im System der Schulcluster zu berücksichtigen. Da wird es natürlich so sein, dass die Entwicklungsverbünde der PädagogInnenbildung Neu, Pädagogische Hochschulen und Universitäten, involviert sind, die Entwicklung aktiv begleiten und dabei sind, die notwendige Standortentwicklung zu unterstützen.

Ich glaube, der zentrale Punkt ist, dass wir darauf achten müssen, dass bei dieser Entwicklung die Qualität gewährleistet ist und dass über die notwendige intensive Individualisierung nicht nur geredet wird – die Kinder ins Zentrum stellen –, sondern das bei der Schulentwicklung auch aktiv zu tun und umzusetzen.

Allein am Beispiel des sonderpädagogischen Förderbedarfs sieht man schon, wie diffizil die Geschichte ist: Es gibt Kinder, die haben einen SPF, brauchen aber keine zusätzlichen Ressourcen; es gibt Kinder, die haben keinen SPF, brauchen aber Förderung; es gibt Kinder mit SPF, die eben dann, wie wir heute gehört haben, oft Diskussionen führen müssen, damit sie zu dem kommen, was notwendig ist.

Da muss sichergestellt sein, dass die Schülerinnen und Schüler jene Förderung und zusätzlichen Ressourcen bekommen, die sie benötigen, und dass die insgesamt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Individualisierung und der Förderung so zum Einsatz kommen, dass sie bedarfsgerecht landen – und da sind wir unterwegs. Das ist nicht ein Hoppala oder ein Irgendwie, sondern das ist ein ganz klar strukturierter Weg, den wir gehen und der natürlich aufgrund der Komplexität nicht innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen sein wird.

 

Obmann Dr. Walter Rosenkranz bittet die VertreterInnen der Bürgerinitiative um ihre abschließenden Ausführungen.

 

Mag. DI Dr. Valentino Hribernig-Körber (Vertreter der Bürgerinitiative 102/BI): Es gibt möglicherweise ein Kommunikationsproblem: Wenn ich die Frage aufgreife, ob ich meine Tochter einer anderen Schulform anvertrauen würde, die unter der Überschrift Inklusion steht und all jene Qualitäts- und Leistungsmerkmale hat, die die jetzige Schule auch bietet, dann würde ich das wahrscheinlich verhältnismäßig bedenkenlos bejahen.

Mir stellt sich jedoch schon die Frage beziehungsweise liegt die Schlussfolgerung sehr nahe: Dann könnte man einfach alles so lassen, wie es ist, denn sie ist in ihrer Schule sehr zufrieden. Sie fühlt sich nicht ausgegrenzt und ist sogar sehr stolz darauf, dass sie im Unterschied zu ihrer großen Schwester eine Schule besucht, in der es ein Schwimmbad gibt.

Demgegenüber erfährt man über die Modellregion Kärnten sehr Positives. Man möchte das alles gerne glauben, aber dann kommen Schlagworte wie Erprobung, Ausprobieren. Da muss ich meine vorherige Zustimmung gleich wieder relativieren, denn ich möchte eigentlich nicht, dass auf dem Rücken meines Kindes Schulmodelle mit unbekanntem Ausgang Probe gefahren werden.

Wenn die Frau Bundesministerin davon spricht, die Sonderschulen zu öffnen, das Therapieangebot für andere Kinder auszuweiten – ich möchte jetzt nicht neidig sein, aber das Therapieangebot an unserer Schule ist zwar vorhanden, aber es ist auch schon für die jetzt dort beschulten Kinder äußerst knapp bemessen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie da eine Öffnung passiert.

Wenn man zwischen den Zeilen liest: Der Satz beginnt damit, dass die Sonderschule nicht gänzlich aufgelöst werde, und er endet damit, dass man sie öffnen werde, um sie in eine Regelschule aufzulösen – das ist sehr viel Misstrauen stiftende Rhetorik, die da ankommt.

Über allem steht die Frage der Stigmatisierung, es sind auch so harte Worte wie Segregation gefallen: Ja, behinderte Kinder erleben ihren Alltag in der Gesellschaft sehr stark als stigmatisierend. Da hat die Gesellschaft ein Problem mit den behinderten Kindern. Wenn ich persönlich die Sonderschule nicht als stigmatisierend erlebe, sondern, wie ich auszuführen versucht habe, als Schutzraum, den mein Kind in dieser Form notwendig braucht, dann – verzeihen Sie den Vergleich – ist es für mich ein bisschen so, wie wenn ich sage: Was tun wir, wenn sich die Gesellschaft jetzt durch unerfreuliche Prozesse plötzlich auf Träger von dicken Brillen einschießt? Ist dann die Lösung, dass wir versuchen, die dicken Brillen aus dem Verkehr zu ziehen? Dann muss ich doch quasi am gesellschaftlichen Spektrum arbeiten und nicht an den Angeboten, die die Kinder, wie ich glaube – zumindest Kinder wie meine Tochter –, notwendig brauchen, um einen Schulerfolg zu haben. – Danke.

 

Ilse Schmid (Steirischer Landesverband der Elternvereine an Schulen für Schulpflichtige): Es ist der sonderpädagogische Förderbedarf mehrfach angesprochen worden, dazu möchte ich noch einmal Folgendes anmerken: Der fällt nicht vom Himmel, sondern ist vom Landesschulrat beziehungsweise vom Stadtschulrat aufgrund eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens festzustellen. Das heißt also, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie laufen sollen, gibt es da meines Wissens auch eine Bundesbehörde. Da könnte man schon einmal ganz gut ansetzen.

Zu den Modellregionen: Ich weiß jetzt nicht, woran man festmacht, dass da etwas gelungen ist. Das, was die Kollegin aus Kärnten beschreibt, ist – wenn es so läuft – wirklich großartig, und es ist jetzt – wo wir die Sonderschule haben – ein Angebot, nur heißt es nicht Sonderschule. Wenn ich zwischen der Kleingruppe mit den speziellen Therapien und der großen Regelklasse wählen kann, dann ist es eigentlich das unter anderem Namen, mit dem derzeit noch bestehenden Nachteil, dass ein zwölftes Schuljahr dort vom Gesetz her absolut unmöglich ist – aber das ließe sich ja ändern.

Wenn ich die Steiermark hernehme, so muss ich leider sagen, dass das Ganze in der Steiermark, in der Modellregion, eben hochgekocht ist, obwohl die Steiermark wirklich ein integrations- und inklusionsfreudiges Bundesland war und eine sehr hohe Quote an Kindern, die Regelschulen besuchen, hat. Der Bogen war einfach insofern überspannt, als man – und das habe ich eingangs bereits gesagt – den Anspruch gestellt hat, dass Inklusion bedeutet, dass alle Kinder, ob behindert oder nicht behindert, in der Klasse – Volksschulklasse oder NMS-Klasse oder welche Klasse auch immer – mit mehr oder weniger Unterstützungspersonal zu beschulen sind.

Das ist einfach eine Situation, die für zu viele Eltern und ihre Kinder so nicht tragbar war. Da gibt es in der Modellregion Steiermark kein Angebot. Seit vielen Jahren fordern wir als Landesverband die Möglichkeit von Kleingruppen an Standorten für Kinder mit Verhaltensproblemen und so weiter. Das ist nicht möglich. Wir haben eine fiktive Teilungszahl und eine bestimmte Anzahl von Kindern, das ergibt so viele Klassen – und Punkt, fertig. Wir leisten uns noch immer keine kleinen Klassen für solche speziellen Situationen an der sogenannten Regelschule. Eine kleine Klasse kann ich nur haben, wenn ich wo hingehe, wo an der Türe Sonderschule steht.

Und noch einmal: Es geht nicht darum, dass man sagt, man will Kinder irgendwohin aussondern, sondern es geht darum, dass die Eltern ein verlässliches Angebot brauchen, das auch eine bestimmte Beschreibung beinhaltet, was dort passiert, worauf man sich verlassen kann; und dieses Angebot heißt derzeit halt Sonderschulklasse. Es muss aber nicht immer so heißen, nur muss es dieses Angebot schlicht und einfach geben.

Wir haben es hier mehrfach gehört: Es gibt nun einmal Kinder, die unter Umständen etwas anderes brauchen, um sich bestmöglich entwickeln zu können, als die Regelklasse mit Personal in mehr oder weniger großer Ausfertigung.

*****

Obmann Dr. Walter Rosenkranz nimmt die Anregung der Parlamentsdirektion, die Auszugsweise Darstellung der Verhandlungen als Kommuniqué zu veröffentlichen, auf und lässt über diesen Vorschlag sogleich abstimmen. – Der Vorschlag wird vorbehaltlich einer der Veröffentlichung vorausgehenden Durchsicht der Auszugsweisen Darstellung angenommen.

Der Obmann bedankt sich bei den Abgeordneten, bei den VertreterInnen der Bürgerinitiativen sowie den Expertinnen und Experten und schließt die Sitzung.

Schluss der Sitzung: 14.05 Uhr