Entwurf

Erläuterungen

I. Allgemeiner Teil

Allgemeines

1. Mit dem Jugendgerichtsgesetz 1928, dem Jugendgerichtsgesetz 1961 und dem heute geltenden Jugendgerichtsgesetz 1988 besteht in Österreich eine lange – auch international viel beachtete – Tradition, der bei vielen Menschen in der Phase des Übergangs vom Kind zum Erwachsenen („Adoleszenzkrise“) erhöhten Neigung (auch) zur Begehung von Straftaten – die aber bei den meisten episodenhaft bleibt – durch besondere Bestimmungen des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts Rechnung zu tragen. Immer wieder haben sich Bestimmungen des Jugendstrafrechts so erfolgreich erwiesen, dass sie nach einiger Zeit ins allgemeine Strafrecht übernommen wurden (so ist die aus dem heutigen österreichischen Strafrecht nicht mehr wegzudenkende allgemeine Diversion zunächst im JGG 1988 eingeführt und 1999 in die Strafprozessordnung übernommen worden); es wird daher von einer Vorreiterrolle des Jugendstrafrechts gesprochen.

Die letzte größere Reform des Jugendstrafrechts erfolgte mit 1. Juli 2001 durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 19/2001; einerseits wurde die obere Grenze des Anwendungsbereiches des Jugendstrafrechts auf das vollendete 18. Lebensjahr herabgesetzt, andererseits wurden für die Altersgruppe der „jungen Erwachsenen“ (ab Vollendung des 18. bis einschließlich 20. Lebensjahr) – ähnlich den Bestimmungen in Deutschland für „Heranwachsende“ – einzelne Bestimmungen des Jugendstrafrechts (sowohl materielle als auch prozessuale) anwendbar gemacht und die Strafsachen gegen junge Erwachsene in die Zuständigkeit der gleichen Gerichtsabteilungen gegeben wie Jugendstrafsachen.

In den letzten Jahren haben sich mehrere interessierte Kreise aus Lehre und Praxis mit Verbesserungsvorschlägen zum Jugendstrafrecht befasst: die Fachgruppe Jugendrichter der Richtervereinigung („Tamsweger Thesen“), die Arbeitsgruppe Jugend im Recht (ehemals Arbeitsgruppe Kriminalpolitik und Jugendrecht), die im Juli 2012 Thesen zu einer Reform des Jugendstrafrechts in Anlehnung an die „Tamsweger Thesen“ vorlegte (JSt 2012, 221), und die Kriminalpolitische Initiative.

In der letzten Legislaturperiode erhielt die Reformdebatte zusätzliche Dynamik durch die Einsetzung des Runden Tisches (auch: Task Force) „Untersuchungshaft für Jugendliche – Vermeidung, Verkürzung, Vollziehung“ durch die Bundesministerin für Justiz Univ.-Prof. Dr. Beatrix Karl im Juli 2013. Der Runde Tisch bezog einen breiten Kreis von Stakeholdern ein; er befasste sich mit verschiedensten organisatorischen Maßnahmen (vor allem im Bereich des Strafvollzuges), aber auch mit legistischen Vorschlägen. Der im Oktober 2013 vorgelegte Abschlussbericht enthält eine Zusammenstellung all dieser Maßnahmen. Diese werden seither Schritt für Schritt umgesetzt; neben Maßnahmen im Bereich des Strafvollzuges seien hier die Schaffung der Möglichkeit, Jugendliche als Alternative zur Haft in sozialtherapeutischen Wohneinrichtungen unterzubringen, die Einführung von Sozialnetzkonferenzen sowie der schrittweise bundesweite Ausbau der Jugendgerichtshilfe genannt.

Unmittelbar auf die Ergebnisse des Runden Tisches aufbauend, sieht das Regierungsprogramm der aktuellen Legislaturperiode (2013 bis 2018) im Abschnitt „Justiz“ zunächst die „Prüfung und Umsetzung der Ergebnisse der Task Force“ vor, darüber hinausgehend aber auch allgemein die „Modernisierung des Jugendstrafrechts bzw. des Heranwachsendenstrafrechts“. Weiters setzt sich das Regierungsprogramm im Bereich der Justiz auch zum Ziel, eine „Entlastung der Justiz durch weiteren Ausbau des PPP-Modells im nicht hoheitlichen Bereich (Justizbetreuungsagentur)“ zu erreichen.

Der vorliegende Entwurf greift große Teile der legistischen Vorschläge des Runden Tisches, aber auch Vorschläge der oben erwähnten Reformkreise sowie einzelne weitere Vorschläge aus Lehre und Praxis (z.B. Schroll in Fuchs-FS, S. 483) auf und versteht sich daher als (weitgehende) Umsetzung der zitierten Punkte des Regierungsprogramms. Hauptziel ist das – von breiten Teilen der Öffentlichkeit unterstützte – Anliegen, junge Menschen nur dann und nur so lange in Haft zu nehmen, wenn und wie dies wirklich unumgänglich ist. Damit soll auch ein Beitrag zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention geleistet werden.

Derzeit wird im Rahmen der EU an einem Gesetzesvorhaben beraten, das Umsetzungsbedarf im JGG nach sich ziehen wird: am Vorschlag der EK zu einer Richtlinie über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für verdächtige oder beschuldigte Kinder, COM(2013) 822; siehe dazu Zeder, JSt 2014, 36. Da allerdings sich einzelne Bestimmungen der künftigen Richtlinie inhaltlich mit einzelnen Reformvorschlägen überschneiden, wurden diese nicht in diesen Entwurf aufgenommen, sondern werden für die in etwa zwei Jahren anstehende Umsetzung der künftigen Richtlinie zurückgestellt; dies gilt insbesondere für das Thema notwendige Verteidigung.

2. Mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002, G 6/02, hat der Verfassungsgerichtshof § 209 StGB idF BGBl. Nr. 599/1988 ("Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren") mit Wirkung vom 14. August 2002 als verfassungswidrig aufgehoben. In seiner Entscheidung vom 7. November 2012 in den Beschwerdesachen BNr. 31913/07 u.a. stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung von Art. 14 iVm Art. 8 und 13 EMRK aus dem Grund fest, dass Verurteilungen nach § 209 StGB aF trotz dessen Aufhebung weiterhin im Strafregister aufscheinen.

Mit dem vorliegenden Entwurf soll nun dieser Entscheidung Folge geleistet werden und die Tilgung von Verurteilungen nach §§ 209 oder 210 Strafgesetzbuch (StGB) sowie deren Vorgängerbestimmungen §§ 129 I, 129 I lit. b, 500 oder 500a Strafgesetz 1945 (StG) ermöglicht werden.

Hauptgesichtspunkte des Entwurfs:

           1. Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die Sozialnetz-Konferenzen (Haftentlassung und Untersuchungshaft)

           2. Adaptierung der gesetzlichen Grundlage für Jugendgerichtshilfe

           3. Ausdehnung der Kostentragung für betreutes Wohnen

           4. Verstärkung des Ausnahmecharakters der Untersuchungshaft

           5. Ergänzung der Diversionsarten Erbringung gemeinnütziger Leistungen und Tatausgleich um die begleitende Betreuung durch Bewährungshilfe

           6. Einrichtung der durchgängigen Zuständigkeit des Schöffengerichts für 14 bis 16-Jährige.

           7. Verlängerung des Strafaufschubs zu Ausbildungszwecken

           8. Verbesserungen der Sanktionspalette für junge Erwachsene

           9. Angleichung der Strafuntergrenzen für junge Erwachsene an jene bei Jugendlichen

         10. EMRK-konforme Tilgung von Verurteilungen aus dem Strafregister.

Auswirkungen auf die Beschäftigungslage und den Wirtschaftsstandort Österreich

Unmittelbar wird keine Auswirkung auf die Beschäftigungslage zu erwarten sein. Längerfristig wird die geplante Ausweitung der Maßnahmen, die beabsichtigen, für Jugendliche und junge Erwachsene in geeigneten Fällen eine strafgerichtliche Verurteilung als ultima ratio vorzusehen, verhindern, dass gerade jungen Menschen (nach Überwindung ihrer Adoleszenzkrise) etwa durch Einträge im Strafregister praktisch vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden.

Kompetenzgrundlage:

Die Zuständigkeit des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes ergibt sich aus Artikel 10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Strafrechtswesen).

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Das Recht der Europäischen Union wird nicht berührt.

II. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Jugendgerichtsgesetzes 1988):

Zu Z 1 (Änderung des Titels):

Durch die angestrebte Aufnahme der jungen Erwachsenen in den Gesetzestitel soll zum Ausdruck gebracht werden, dass einerseits die Regelungen für junge Erwachsene inhaltlich ausgebaut und andererseits die bisher teils im StGB, teils im JGG enthaltenen Bestimmungen zur Gänze ins JGG aufgenommen werden sollen.

Zu Z 3 (§ 1 Z 5 JGG):

Die begriffliche Definition junger Erwachsener im Jugendgerichtsgesetz soll, wie auch die Änderung der Langüberschrift, klarstellen, dass im Gegensatz zur bisherigen Zersplitterung der Regelungen für junge Erwachsene, nunmehr eine Gesamtlösung im – dazu thematisch besser passenden – Jugendgerichtsgesetz erfolgt. Dadurch soll auch klar zum Ausdruck gebracht werden, dass die grundsätzlichen Bedürfnisse der jungen Erwachsenen sich sehr an jenen Jugendlicher orientieren und die Phase des Heranwachsens nicht mit Erreichen des achtzehnten Lebensjahres abgeschlossen ist. Die Besonderheit der Kriminalitätsbelastung junger Menschen und der sogenannten Adoleszenzkrise zeigt sich am Umstand ihrer meist spontanen Remission im Zuge des Heranwachsens. Der insbesondere zwischen dem siebzehnten und dem zwanzigsten Lebensjahr zu beobachtende starke Anstieg der Kriminalitätsbelastung sinkt bis etwa zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr wieder deutlich ab (Miklau in Jesionek-FS, S. 138).

Zu Z 4 (§ 5 Z 6a JGG):

Vorgeschlagen wird eine Regelung für den Verfall, die sich an der geltenden Regelung für bestimmte Geldstrafen (§ 5 Z 6 JGG) orientiert. Bei einer Entscheidung, die massive Auswirkungen auf die finanzielle Situation eines jungen Menschen haben kann, nämlich, dass Vermögenswerte, Nutzungen oder Ersatzwerte für verfallen erklärt werden, soll davon ganz oder zum Teil auch dann abgesehen werden können, wenn sie den Verurteilten unbillig hart treffen sollte. Nach geltender Rechtslage gibt es keine sogenannte Härteklausel, wie sie bis zum Jahr 2010 (für die Abschöpfung der Bereicherung) in § 20a Abs. 2 Z 3 StGB aF vorgesehen war. So kann durch eine derartige Entscheidung das Fortkommen jugendlicher Straftäter gefährdet sein. Auch § 5 Z 6 JGG bietet aufgrund der Beschränkung auf Geldstrafen keine Abhilfe (vgl. Schroll in WK2 JGG § 6 Rz 21). Daher soll eine Härteklausel für Jugendliche wiedereingeführt werden. Die Formulierung „Betroffener“ orientiert sich an jener in § 20a Abs. 2 StGB.

Zu Z 5 (§ 5 Z 11 JGG):

Mit der vorgeschlagenen Regelung soll einer Divergenz in der Rechtsprechung Rechnung getragen und eindeutig geklärt werden, wie bei Wert- oder Schadensqualifikation zusammenzurechnen ist (§ 29 StGB), wenn eine Jugendstraftat und später begangene Taten zusammentreffen. Praktisch bedeutsam ist dabei vor allem die Strafdrohung nach § 5 Z 4 JGG; es soll aber auf alle Varianten verwiesen werden, in denen das Gesetz eine niedrigere Strafdrohung für eine Jugendstraftat vorsieht (§ 5 Z 2, 3 und 5). Erst in den Fällen, in denen nur durch die Tat als (zumindest) junger Erwachsener alleine die Qualifikation (derzeit 3.000 €) überschritten wird, soll die höhere Strafdrohung gelten; daher soll sie nicht gelten, wenn nur durch die Zusammenrechnung der Schadensbeträge aus der Jugendstraftat und der Straftat des (zumindest) jungen Erwachsenen die Wertgrenze überschritten wird.

Zu Z 6 (§ 7 Abs. 3 JGG):

Mit Neufassung des § 7 JGG wurden die bis 2008 bestehenden Anwendungsgrenzen staatsanwaltschaftlicher Diversion bei Jugendstrafsachen beseitigt. Obwohl im JGG eine Bestimmung fehlt, die ein diversionelles Vorgehen durch die Gerichte auch in Jugendstrafsachen vorsieht, gehen Praxis und Rechtsprechung davon aus, dass eine richterliche Diversion zulässig und vom Gesetzgeber erwünscht ist. Die vorgeschlagene Regelung des § 7 Abs. 3 JGG trägt dem Rechnung und stellt klar, dass eine Einschränkung der Diversionskompetenz der Gerichte auch bisher nicht beabsichtigt war.

Zu Z 7 (§ 8 Abs. 3a JGG):

Künftig soll bei den Diversionsarten Erbringung gemeinnütziger Leistungen und Tatausgleich zusätzlich die Hinzuziehung bzw. Beistellung eines Bewährungshelfers möglich sein, wenn dies geboten ist, um das (weitere) Abgleiten eines Jugendlichen zu verhindern oder eine intensivere Betreuung notwendig ist, damit die gemeinnützigen Leistungen tatsächlich zur Gänze erbracht werden oder ein Tatausgleich durchgeführt werden kann. Die vorgeschlagene Regelung trägt den Wünschen der Praxis Rechnung, die die Kombination einzelner Diversionsarten vehement fordert. Mit der vorgeschlagenen Regelung soll allerdings keine unmittelbare Kombination aller Diversionsarten ermöglicht, sondern nur in den genannten beiden Fällen die schon bisher mögliche freiwillige Betreuung durch einen Bewährungshelfer (§ 27a BewHG) ausgebaut und dafür eingesetzt werden, wenn es der Einzelfall notwendig machen sollte, um eine intensivere Betreuung des Beschuldigten zu erreichen, die von Staatsanwaltschaften oder Gerichten angeordnet werden muss.

Um den Befürchtungen, dadurch einen Net-Widening-Effekt zu erzielen, entgegenzuwirken, soll die Zusammenarbeit mit einem Bewährungshelfer nur dann möglich sein, wenn dies von der Jugendgerichtshilfe vorgeschlagen wird. Diese Vorgehensweise soll jener der Wiener Jugendgerichtshilfe entsprechen, die diese derzeit im Rahmen der Vermittlung gemeinnütziger Leistungen wählt. Dort wurde seit Anfang 2014 die Vorgehensweise geändert, weil in der Vergangenheit aufgefallen ist, dass Beschuldigte, die ihre gemeinnützigen Leistungen nicht oder nicht vollständig erbracht haben, oft Ausreden erfanden. Um dem entgegenzuwirken, wurde eine neue Einverständniserklärung entworfen, die Beschuldigte und deren gesetzliche Vertreter zusätzlich zu einem Verhaltenskodex unterschreiben, der unter anderem Bestimmungen hinsichtlich Termintreue und Verhalten in der Einrichtung enthält. Unzuverlässige Beschuldigte werden von der Wiener Jugendgerichtshilfe einerseits ermahnt, andererseits mit dem von ihnen unterschriebenen Verhaltenskodex konfrontiert. In den meisten Fällen können nach einem klärenden und normverdeutlichenden Gespräch die Beschuldigten dazu bewogen werden, die gemeinnützigen Leistungen erfolgreich zu beenden. Auf die bundesweit tätige Jugendgerichtshilfe umgelegt könnte dies etwa jenem Betreuungsmodell des „reduzierten Kontakts“ entsprechen, wie der Verein Neustart die niedrigste Intensitätsschwelle der Bewährungshilfebetreuung bezeichnet.

Eine derartige niederschwellige Anleitung und Betreuung im Zusammenhang mit der Erbringung gemeinnütziger Leistungen oder mit einem Tatausgleich soll dazu führen, dass österreichweit die erfolgreichen diversionellen Erledigungen steigen, wodurch die negativen Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in noch mehr Fällen als bisher abgewendet und eine (Re-)Integration erleichtert werden könnten. Gleichzeitig soll der erwähnte Net-Widening-Effekt vermieden werden.

Die Betreuung durch einen Bewährungshelfer soll in der Zeit der Erbringung gemeinnütziger Leistungen oder des Tatausgleichs erfolgen.

Dem oben genannten Wunsch der Praxis könnte auch entsprochen werden, indem an die Erbringung gemeinnütziger Leistungen oder eines Tatausgleichs eine neue eigene Probezeit (bis zu zwei Jahren) angehängt wird, während der die Betreuung durch einen Bewährungshelfer erfolgt. Diese Variante wurde nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen, weil befürchtet wird, dass es dadurch zur unerwünschten überbordenden Inanspruchnahme eines Beschuldigten käme, die der Wesensart einer diversionellen Erledigung nicht mehr entspräche.

Zu Z 8 (§ 8 Abs. 4 JGG):

Mit der vorgeschlagenen Formulierung soll der Verweis auf § 203 Abs. 2 StPO berichtigt werden.

Zu Z 9 (§ 15 Abs. 1 JGG):

Mit der vorgeschlagenen Regelung soll der Gleichklang mit dem StRÄG 1996 hergestellt werden (vgl Schroll in WK2 JGG § 15 Rz 5). Nach der vorgeschlagenen Ergänzung soll nun auch im JGG, übereinstimmend mit den Regelungen im StGB, die Nichtbefolgung einer Weisung oder das Entziehen aus dem Einfluss des Bewährungshelfers für sich allein noch nicht für einen nachträglichen Strafausspruch ausreichen, soweit keine weiteren Umstände hinzutreten. Ein nachträglicher Strafausspruch aus genannten Gründen soll nach dem Entwurf nun auch unter die Bedingung spezialpräventiver Erforderlichkeit gestellt werden.

Zu Z 10 und 18 (§§ 17a, 35a JGG) und Art. 4 (§ 29e BewHG):

Die Sozialnetzkonferenz ist ein neuer methodischer Ansatz der Sozialarbeit, der auf das zunächst in Neuseeland entwickelte Modell der „Family Group Conference“ (FGC) zurückgeht. Das Modell geht davon aus, dass Jugendliche, die sich in einer krisenhaften Lebensphase befinden (was sich namentlich durch die Begehung von Straftaten manifestiert), selbst entscheidungs- und problemlösungskompetent sind. Die Sozialnetzkonferenz zielt darauf ab, das soziale Umfeld des oder der Jugendlichen (Eltern, andere Familienmitglieder, Freunde und Freundinnen, Nachbarn, Lehrer etc.) bei der Überwindung seiner/ihrer Krise und der Bearbeitung seiner/ihrer Konflikte einzubinden und ihn/sie dabei zu unterstützen, künftig keine Straftaten (mehr) zu begehen.

Dies erfolgt insbesondere dadurch, dass Jugendliche von ihrem sozialen Umfeld bei der Ausarbeitung eines verbindlichen Zukunftsplans und dessen Einhaltung unterstützt werden. Im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz hat der Verein Neustart ein auf zwei Jahre befristetes Projekt durchgeführt, und –ursprünglich- drei Typen von Sozialnetzkonferenzen angeboten: Sorgekonferenzen, in welchen Lösungen für schwierige Lebenssituationen und Problemstellungen der Klienten erarbeitet werden sollen, Haftentlassungskonferenzen, in welchen Vorbereitungen für eine erfolgreiche Integration nach der Entlassung aus einer Freiheitsstrafe getroffen werden sollen, und Wiedergutmachungskonferenzen, in welchen die Opfer von Straftaten beteiligt werden sollen.

Zwei Typen der Sozialnetzkonferenz, die Untersuchungshaftkonferenz und die Entlassungskonferenz, wurden ab 1. November 2014 bundesweit in den Regelbetrieb übergeführt (Erlass des BMJ vom 6. Oktober 2014, BMJ-S618.019/0001-IV 2/2014, eJABl. Nr. 7/2014).

Für eine Untersuchungshaftkonferenz (§ 35a JGG) kommen Jugendliche und einer Jugendstraftat verdächtige Erwachsen gewordene in Betracht, über die die Untersuchungshaft verhängt wurde. Rechtliche Grundlage für die Betrauung des Vereins Neustart mit der Ausrichtung einer Untersuchungshaftkonferenz ist die Anordnung der vorläufigen Bewährungshilfe (§ 179 StPO), die der Zustimmung des Beschuldigten bedarf. Die Jugendgerichtshilfe ist schon durch die Haftentscheidungshilfe mit den jeweiligen Fällen betraut und soll ihre Ansicht zur Sinnhaftigkeit und Eignung des jeweiligen Einzelfalles zur Durchführung einer Untersuchungshaftkonferenz darlegen. Sinn dieser Konferenz ist unter Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe und der Kinder- und Jugendhilfeträger entsprechende Entscheidungsgrundlagen zu schaffen und aktiv darauf hinzuwirken, dass die Untersuchungshaft zugunsten der Anwendung gelinderer Mittel (§ 173 Abs. 5 StPO) aufgehoben werden kann.

Zielgruppe einer Entlassungskonferenz (§ 17a JGG) sind wegen einer Jugendstraftat Verurteilte, die sich in Strafhaft befinden. Diese Konferenz verfolgt das Ziel, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass eine Haftentlassung nach § 46 StGB und § 17 JGG möglich ist. Über den Zeitpunkt der Haftentlassung hinaus soll die Entlassungskonferenz wesentlich dazu beitragen, dass der Verurteilte keine neuerlichen Straftaten begeht. Die Betrauung des Vereins Neustart mit der Ausrichtung einer Entlassungskonferenz erfolgt im Rahmen der Vorbereitung der bedingten Entlassung (§§ 144, 145 Abs. 2 StVG) durch den Anstaltsleiter. Die Anstaltsleiter sollen bei in Betracht kommenden Fällen, nach Rücksprache mit Staatsanwaltschaft und Vollzugsgericht, so rechtzeitig (§ 145 Abs. 1 und 2 StVG) eine Entlassungskonferenz anregen, dass eine Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe, spätestens aber nach zwei Dritteln, möglich wird. Auch der Staatsanwaltschaft bleibt es unbenommen, eine Entlassungskonferenz zu beantragen, weil auch sie einen Antrag auf bedingte Entlassung stellen kann (§ 152 Abs. 1 StVG).

Ausgehend von diesen inhaltlichen Festlegungen sollen mit den vorgeschlagenen Regelungen die gesetzlichen Grundlagen für die Sozialnetzkonferenzen geschaffen werden. Als generelle Norm dafür bietet sich die grundsätzliche Regelung im BewHG an. Die Untersuchungshaftkonferenz und die Entlassungskonferenz sollen dementsprechend im JGG anschließend an die besonderen Regeln für Festnahme und Untersuchungshaft bei jugendlichen Beschuldigten bzw. der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe angesiedelt werden.

Zu Z 11 (§ 18 JGG):

Diese Regelung fand seit ihrer Einführung keinen Anwendungsbereich in der Praxis, sodass vorgeschlagen wird, diese Bestimmung ersatzlos aufzuheben. Wie schon bei § 12 bemerkt, gilt auch hier, dass der Entfall der Bestimmung auch als Rechtsbereinigung und Vereinfachung des Jugendgerichtsgesetzes verstanden werden soll. Sollte das Begutachtungsverfahren jedoch ergeben, dass die Regelung beibehalten werden soll, so gäbe es dagegen keine grundlegenden Einwände.

Zu Z 12 (§ 19 JGG):

Vergleichbar den besonderen Verfahrensbestimmungen für Strafsachen junger Erwachsener in § 46a JGG, soll mit der vorgeschlagenen Regelung eine Bestimmung geschaffen werden, die die materiellen Bestimmungen für Strafsachen junger Erwachsener regelt.

Damit einhergehend wird vorgeschlagen, die Bestimmung des § 36 StGB (Verhängung von Freiheitsstrafe über Personen unter 21 Jahren) und § 46 Abs. 3 StGB in das Jugendgerichtsgesetz einzugliedern (unten Art. 2).

§ 19 Abs. 1 JGG soll künftig anstelle des § 36 StGB die Strafrahmen für Straftaten junger Erwachsener regeln. Künftig sollen diese sich auch mehr an den Strafrahmen für Jugendliche orientieren, zumal die sogenannte Adoleszenzkrise, in der ein Großteil der Straftaten junger Menschen begangen wird, jedenfalls auch auf bis unter 21-Jährige fortwirkt. Den unabhängigen Gerichten soll mit der gleichzeitig vorgeschlagenen Angleichung der Strafuntergrenzen an jene bei Jugendlichen künftig ein größerer Spielraum gegeben werden, um auf die Persönlichkeitsstruktur des einzelnen Täters besser eingehen zu können.

Mit § 19 Abs. 2 JGG soll künftig die Sanktionspalette für junge Erwachsene verbessert werden. Mit dem Verweis auf § 5 Z 1 JGG soll auch für junge Erwachsene die vorrangige Anwendung der Spezialprävention und die stark zurückgedrängte Anwendung der Generalprävention vorgesehen werden.

Mit dem Verweis auf §§ 7 und 8 JGG soll künftig ein diversionelles Vorgehen im Sinne der Sonderbestimmungen für Jugendliche auch für junge Erwachsene möglich sein. Damit soll den Staatsanwaltschaften und Gerichten die Möglichkeit gegeben werden, noch besser auf die für das Jugendstrafverfahren spezifischen Eigenheiten reagieren zu können. In den einzelnen Anwendungsbereichen, etwa in Verfahren wegen § 232 Abs. 1 StGB, soll künftig nicht mehr zwingend die Einbringung einer Anklageschrift und die damit verbundene ressourcenfordernde Verhandlung vor einem Schöffengericht notwendig sein. Dies ist etwa bei Fällen der bloßen Farbkopierung von Geldscheinen durch junge Erwachsene die bisherige Vorgehensweise und stellt in einzelnen Fällen nicht nur eine überzogene Reaktion auf ein Verhalten jugendlicher Torheit dar, sondern ließe sich darauf diversionell besser, weil maßgeschneidert auf den einzelnen Beschuldigten und auch für diesen spürbarer, reagieren.

Mit dem Verweis auf § 13 JGG sieht die vorgeschlagene Regelung vor, in den Fällen niederschwelliger Kriminalität auch bei jungen Erwachsenen adäquat reagieren zu können. Dies soll ebenfalls durch die Verbreiterung der Sanktionspalette durch Verweis auf §§ 15, 16 und 17 JGG erreicht werden.

Die vorgeschlagenen Änderungen (und des Gesetzestitels) bedeuten nicht, dass alle Bestimmungen, die für Jugendliche gelten, auch für junge Erwachsene gelten. Folgende Tabelle soll zeigen, welche Bestimmungen des JGG bereits jetzt schon für junge Erwachsene gelten, nach dem neuen Gesetz gelten sollen, bzw. für diese auch künftig nicht gelten:

Es gelten für JE:

Nach dem Entwurf sollen für JE überdies gelten:

Weiterhin nicht für JE gelten:

 

 

§ 4

 

§ 5 Z 1

§ 5 Z 2 bis 10

 

 

§ 6

 

§§ 7 und 8 (Diversion)

 

 

§§ 12 bis 16 (14 nur soweit er auf 13 verweist) (Schuldspruch ohne/unter Vorbehalt der Strafe)

 

 

§ 17 (bedingte Entlassung)

 

 

§ 17a (Entlassungskonferenz)

 

§ 27 (sachliche Zuständigkeit)

 

 

§ 28 (Besetzung Kollegialgericht)

 

 

 

 

§ 29 (örtliche Zuständigkeit)

 

 

§ 30 (besondere Eignung)

§ 31 (Anwendung der allg. Bestimmungen)

 

 

§ 32 (besondere Verfahrensbestimmungen)

 

 

 

 

§ 33 (Verständigungen)

 

 

§ 34 (Verbindung von Verfahren)

§ 35 Abs. 1 zweiter Satz

 

§ 35 Abs. 1 erster Satz

 

 

§ 35 Abs. 3 (Haftfristen)

 

§ 35a (U-Haftkonferenz)

 

§ 36 (Vorschriften zum Vollzug der U-Haft)

 

 

§ 37 (Vertrauensperson)

 

 

 

 

§ 38 (gesetzlicher Vertreter)

 

 

§ 39 (notwendiger Verteidiger)

§ 40 (Mitwirkung des Bewährungshelfers)

 

 

 

 

§ 41 (Verhandlung in Abwesenheit)

§ 42 (Öffentlichkeit der Hauptverhandlung)

 

 

§ 43 Abs. 1 (Jugenderhebungen)

 

§ 43 Abs. 2 (Verlesung der Jugenderhebungen)

 

 

§ 44 (Privat- oder Subsidiaranklage)

§ 45, 46 (Kosten)

 

 

§ 48 Z 1 und 4 und § 49 (Aufgaben der Jugendgerichtshilfe)

§ 50 (Stellung der Jugendgerichtshilfe)

 

§ 55 (Unterstellung unter den Jugendstrafvollzug)

 

 

Zu Z 13 (§ 27 Abs. 1 JGG):

Seit Inkrafttreten des § 27 Abs. 1 Z 2 JGG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2009 kommt bei Jugendstraftaten eine Geschworenengerichtsbarkeit sowohl in den Fällen eines durch § 5 Z 2 lit. a als auch in den Fällen eines durch § 5 Z 2 lit. b geänderten Strafrahmens in Frage. Dieser Effekt steht in einem Spannungsverhältnis zu der grundsätzlichen Absicht des Budgetbegleitgesetzes 2009, den Anwendungsbereich für die Geschworenengerichtsbarkeit (etwa für die Fälle des schweren Raubes) einzuschränken.

Mit der vorgeschlagenen Regelung (Beschränkung in Z 2 auf die Fälle des § 5 Z 2 lit. a) soll der vor dem Budgetbegleitgesetz 2009 geltende Zustand, dass bei einem im Tatzeitpunkt noch nicht 16-Jährigen keine Geschworenengerichtszuständigkeit besteht, wieder hergestellt werden.

Zu Z 14 (§ 27 Abs. 1 Z 2 JGG):

Die zu § 19 vorgeschlagene Angleichung der Strafuntergrenzen für junge Erwachsene an jene bei Jugendlichen macht die bisherigen Sonderbestimmungen für junge Erwachsene überflüssig.

Zu Z 15 (§ 33 JGG):

Mit dieser Regelung soll eine begriffliche Angleichung an das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013, BGBl. I Nr. 69/2013, erreicht werden.

Zu Z 16 (§ 35 Abs. 1a und 1b JGG):

1. Mit der Regelung des Abs. 1a soll die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besonders im Jugendstrafverfahren hervorgehoben und gesetzlich abgesichert werden. Sie steht auch in engem inhaltlichem Zusammenhang zu den ebenfalls vorgeschlagenen § 35 Abs. 1b und Abs. 3a. Der vorliegende Entwurf schlägt daher vor, dass in den Fällen, in denen nur eine sehr niedrige Strafdrohung vorgesehen ist, keine Untersuchungshaft verhängt werden kann. Damit soll auch die Verringerung der sozial schädlichen kurzen Haftzeiten erreicht werden.

2. Bei der bedingt obligatorischen Festnahme nach § 170 Abs. 2 StPO und der bedingt obligatorischen Untersuchungshaft nach § 173 Abs. 6 StPO war bisher zu beachten: Die deutlich geringeren Strafrahmen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen stehen einer bei Erwachsenen grundsätzlich vorgegebenen Annahme der Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr entgegen, denn es gibt keine Strafdrohung, die mit Rücksicht auf § 5 Z 2 bis 4 JGG eine mindestens zehnjährige Freiheitsstrafe vorsieht. Bei der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs. 2 Z 3 lit. a, lit. b und lit. c StPO wird auf die Schwere der angelasteten Straftat und die Gefahr der Begehung weiterer schwerer oder erheblicher Straftaten abgestellt. Gleiches gilt für den Haftgrund der Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs. 2 Z 3 lit. d StPO, falls die angelastete Straftat jedenfalls mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedroht ist. In Bezug auf diese Haftgründe ist daher eine bedingt obligatorischen Festnahme und eine bedingt obligatorischen Untersuchungshaft vorgegeben (Schroll in Fuchs-FS, S. 494).

Mit der vorgeschlagenen Regelung des Abs. 1b soll übereinstimmend mit den Ergebnissen des Runden Tisches Untersuchungshaft für Jugendliche, Vermeidung, Verkürzung, Vollziehung klar festgehalten werden, dass Untersuchungshaft bei Jugendlichen der Ausnahmefall sein muss. Es soll daher bei Jugendlichen, anders als bei Erwachsenen, die zum Nachteil wirkende Zweifelsregel aufgehoben werden. Sollte ein Jugendlicher einer besonders schweren Straftat verdächtig sein, soll beim Nachweis eines Haftgrundes weiterhin Untersuchungshaft verhängt werden können.

Zu Z 17 (§ 35 Abs. 3a JGG):

Die vorgeschlagene Regelung resultiert auch aus den Ergebnissen des Runden Tisches Untersuchungshaft für Jugendliche, Vermeidung, Verkürzung, Vollziehung des Bundesministeriums für Justiz und soll ebenfalls dazu dienen, den Ausnahmecharakter der Untersuchungshaft klarzustellen. Durch die vorgeschlagene Regelung soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung über eine freiheitsentziehende Maßnahme bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in regelmäßigen Zeitabständen auch nach der Einbringung der Anklage vom Gericht überprüft wird. Der vorliegende Entwurf geht jedoch nicht so weit wie die Reformbestrebungen insbesondere der Fachgruppe Jugendrichter in der Richtervereinigung, die eine standardisierte Prüfung der Haftfrage alle 14 Tage anregte. Im Ermittlungsverfahren würde das den Beschuldigten jedenfalls zum Nachteil gereichen, weil sich der Ermittlungsakt hauptsächlich beim Haft- und Rechtsschutzrichter befinden würde (der Akt wird zur Durchführung der Haftverhandlung an diesen versandt) und eine zielgerichtete schnelle Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft dadurch nicht möglich wäre. Eine Verlängerung des Ermittlungsverfahrens soll jedoch zum Zweck des Rechtsschutzes nicht hingenommen werden. Überlegt wurde die Einführung verpflichtender Haftprüfungen alle 14 Tage nach Anklageeinbringung. Da nach dem bestehenden System Haftfristen bereits laufen können (ein- oder zweimonatige Frist), soll das Fristensystem nach Anklageeinbringung fortgeschrieben werden.

Zu Z 18 (§ 43 Abs. 1 JGG):

Schon bisher mussten in Strafverfahren gegen den im Ermittlungs- oder Verhandlungszeitpunkt noch jugendlichen Beschuldigten bzw. Angeklagten oder des angeklagten jungen Erwachsenen Jugenderhebungen durchgeführt werden. Da dieser Verpflichtung in der Praxis nicht immer nachgekommen wird, soll deren künftige Einhaltung durch die Einfügung des Verweises auf die Gesetzesstelle, die die Jugenderhebungen regelt, und durch die Einführung einer Nichtigkeitssanktion erreicht werden. Sollten im Ermittlungsverfahren Jugenderhebungen nicht durchgeführt worden sein, können sie auch noch im Stadium der Hauptverhandlung nachgeholt werden (Schroll in WK2 JGG § 43 Rz 3a).

Seit 1. Jänner 2015 erfolgt schrittweise der Ausbau einer bundesweit tätigen Jugendgerichtshilfe. Spätestens mit Jahresende 2015 wird die Jugendgerichtshilfe im gesamten Bundesgebiet verfügbar sein, sodass auch die praktischen Möglichkeiten zur Durchführung der Erhebungen gegeben sein werden.

Zu Z 20 (§ 44 Abs. 2 JGG):

Mit der vorgeschlagenen Regelung soll eine Klarstellung erfolgen, wie sie von der Praxis derzeit schon angenommen wird.

Zu Z 21 und 22 (§ 46 Abs. 1 und 2 JGG):

Die vorgeschlagene Regelung sieht vor, dass bei jugendlichen und jungen erwachsenen Beschuldigten eine Kostentragung durch den Bund erfolgen soll, auch wenn einem Beschuldigten die Weisung erteilt wurde, sich in einer sozialtherapeutischen Wohneinrichtung Aufenthalt zu nehmen. Die bisherige Regelung sah eine Kostentragung nur für Entwöhnungsbehandlung, psychotherapeutische oder medizinische Behandlung vor. Die vorgeschlagene Regelung, sozialtherapeutische Wohneinrichtungen in diese Bestimmung aufzunehmen, entstammt ebenfalls den Überlegungen des Runden Tisches „Untersuchungshaft für Jugendliche, Vermeidung, Verkürzung, Vollziehung“. Gerade bei jugendlichen Beschuldigten ist einhellige Meinung, dass jede Form der Haft kontraproduktiv ist. Durch das Bundesministerium für Justiz wurden bereits Verträge mit Einrichtungen abgeschlossen, die sozialtherapeutische Wohneinrichtungen betreiben. Haft- und Rechtsschutzrichtern in Jugendstrafsachen wird dadurch die Möglichkeit gegeben, zur Vermeidung von Untersuchungshaft für Jugendliche diese, in geeigneten Fällen, in sozialtherapeutischen Wohneinrichtungen unterzubringen, etwa als gelinderes Mittel zur Untersuchungshaft. Künftig sollen somit zielführende haftvermeidende Weisungen nicht an der mangelnden Finanzierbarkeit durch den Jugendlichen oder jungen Erwachsenen scheitern.

Die gewählten Formulierungen sollen mit jener in § 179a StVG (die durch das 2. Gewaltschutzgesetz, BGBl. I 40/2009 auf den neuesten Stand gebracht wurde, teils auch mit § 41 SMG im Einklang stehen. Mit § 41 SMG besteht die Gemeinsamkeit, dass die Kostentragung auch bereits im Ermittlungsverfahren eintreten kann.

Zu Z 24 (§ 46a Abs. 3 JGG):

Diese Regelung soll analog zu § 5 Z 11 JGG eine Klarstellung bringen, wie bei Wert- oder Schadensqualifikation zusammenzurechnen ist.

Zu Z 25, 26 und 27 (§§ 47 Abs. 3 und 4, § 49 Abs. 1, § 50 JGG):

Die Jugendgerichtshilfe unterstützt die Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben; in den §§ 48 Z 1 bis 5 und 49 Abs. 1 JGG sind angeführten sechs verschiedene Aufgaben der Jugendgerichtshilfe angeführt. Daran soll sich nichts ändern.

Eine eigene Jugendgerichtshilfe besteht nur in Wien (und das seit über 100 Jahren). Seit 1. Jänner 2015 erfolgt schrittweise der Ausbau einer bundesweit tätigen Jugendgerichtshilfe (Erlass des BMJ vom 23. Jänner 2015, BMJ-S618.015/0001-IV 2/2015, eJABl. Nr. 8/2015).

Mit den vorgeschlagenen Regelungen sollen die gesetzlichen Grundlagen für die Jugendgerichtshilfe adaptiert, an die entsprechenden Regelungen der bereits bestehenden Familiengerichtshilfe im Außerstreitgesetz (§§ 106a, 106c) angepasst und übersichtlicher strukturiert werden; damit sollen die gesetzlichen Grundlagen für die bundesweite Jugendgerichtshilfe geschaffen werden.

Die Bestimmung in § 47 Abs. 3 übernimmt im Wesentlichen die derzeit in § 50 Abs. 1 enthaltene Regelung, erweitert um Telekommunikationseinrichtungen (wie in § 106c Abs. 1 Satz 2 AußStrG). Die (bisher in § 50 Abs. 2 enthaltene) Bestimmung über Ausweise (§ 47 Abs. 4) ist § 106c Abs. 3 Satz 2 AußStrG nachgebildet.

Die bestehenden Bestimmungen über die Jugendgerichtshilfe in Wien (im geltenden § 49 Abs. 1 Sätze 1 und 3) sollen im Wesentlichen beibehalten werden (§ 49 Abs. 1). Dagegen sollen die bisherigen Bestimmungen über die Einrichtung von Jugendgerichtshilfe auch in den anderen Bundesländern umgestaltet und – wie in § 106c Abs. 1 Satz 1 AußStrG – in Form einer Verordnungsermächtigung gefasst werden (§ 49 Abs. 2).

Die Bestimmung über die Befugnisse der Organe der Jugendgerichtshilfe (§ 50 Abs. 1) lehnt sich weitgehend an § 106a Abs. 2 AußStrG an. Für den Fall der Verweigerung der Kooperation sollen zwangsweise Vorführung oder sonst angemessene Zwangsgewalt und Beugemittel, wie sie die StPO kennt, zur Verfügung stehen.

Mit der gewählten Regelung der Auskunftspflicht (§ 50 Abs. 2) gegenüber der Jugendgerichtshilfe soll klargestellt werden, dass diese im Auftrag der Strafjustiz tätig ist und daher weiter gehende Berechtigungen benötigt, als sie die Familiengerichtshilfe hat (vgl. § 106a Abs. 3 AußStrG). Das bezieht sich insbesondere auf das Recht, in Akten des Pflegschaftsgerichts oder der Kinder- und Jugendhilfe Einsicht zu nehmen.

Zu Z 28 (§ 52 JGG):

Mit der vorgeschlagenen Änderung soll zunächst, einem dringenden Bedürfnis aus der Praxis nachkommend, die Möglichkeit zur Verlängerung des Strafaufschubs zu Ausbildungszwecken erweitert werden, indem dies nicht mehr nur bei einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr (§ 6 Abs. 2 Z 1 StVG), sondern bei einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zulässig ist.

Überdies wurde als unbefriedigend empfunden, dass während der Dauer des Strafaufschubes keine Bewährungshilfe angeordnet werden kann. Mit der vorgeschlagenen Änderung könnte durch eine Begleitung des Verurteilten durch Bewährungshilfe einerseits eine Schadensgutmachung, andererseits – bei positivem Verlauf – die Umwandlung in eine bedingte Strafe und damit die Vermeidung des Strafvollzuges gefördert werden. Dadurch könnte zusätzlich Opfern geholfen und Nachteile des Strafvollzuges vermieden werden.

Zu Z 2, 29 bis 37 (Art. I, §§ 61 – 66 JGG):

1. Die vorgeschlagene grundlegende Überarbeitung des JGG soll zum Anlass genommen werden, die bisher in Art. VIII bis X enthaltenen Inkrafttretens-, Übergangs- und sonstigen Schlussbestimmungen entsprechend den Vorgaben der Legistischen Richtlinien 1990 in die Stammfassung des JGG aufzunehmen. Die Inkrafttretens- und Übergangsbestimmungen sollen ab dem Jahr 2004 (namentlich ab der Novelle BGBl. I Nr. 60/2004) in § 64 aufgenommen werden; zu diesem Zweck wird die Bestimmung über das Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 102/2006 – die dort in Artikel VI zu finden ist – als § 63 Abs. 3 nachgetragen. Überholte Übergangsbestimmungen sollen aufgehoben werden.

Die Übergangsbestimmung für Änderungen der sachlichen Zuständigkeit und der Gerichtszusammensetzung (Art. IX Abs. 4) kann für jegliche Änderungen dieser Art herangezogen werden (§ 64), so etwa für die vorgeschlagenen Änderungen in den §§ 5 Abs. 11 und § 46a Abs. 3 sowie § 27 Abs. 1 Z 2.

Die Vollziehungsklausel (§ 66) kann sich auf den Bundesminister für Justiz beschränken. Dass § 65 ausgelassen wurde, hat seinen Grund darin, dass bei der nächsten Novellierung des JGG voraussichtlich eine Bestimmung über die Umsetzung von Richtlinien der EU einzufügen sein wird.

2. Zu den Inkrafttretensbestimmungen (§ 63 Abs. 11): Bereits seit 1. Juli 2012 wurden in extensiver Auslegung der geltenden Fassung des § 46 JGG (analog zu § 179a StVG) mit Betreuungseinrichtungen Verträge abgeschlossen. Im Sinne der Rechtssicherheit soll die geänderte Fassung des § 46 JGG bereits mit 1. Juli 2012 in Kraft treten.

Für die übrigen Bestimmungen wird ein Inkrafttreten mit 1. Jänner 2016 (bzw. ein Außerkrafttreten mit Ablauf des 31. Dezember 2015) vorgeschlagen.

Zu Artikel 2 (Änderung des Strafgesetzbuches)

Zu Z 1 (§ 36 StGB):

Mit der Schaffung des im Entwurf vorgesehenen § 19 JGG wird die Bestimmung des § 36 StGB obsolet. Der Entfall dieser Bestimmung im StGB könnte jedoch in der Praxis irrtümlich so aufgefasst werde, dass für junge Erwachsene keine besonderen Bestimmungen mehr gelten. Es soll daher die vorgeschlagene Neuregelung im StGB auf die geplante neue Regelung im JGG verweisen, um Missverständnissen vorzubeugen.

Zu Z 2 (§ 46 Abs. 3 StGB):

Für diese Bestimmung ist nach der Neuregelung des § 19 JGG kein Anwendungsbereich mehr gegeben.

Zu Artikel 4 (Änderung des Bewährungshilfegesetzes)

Zu Z 1 (§ 29e BewHG):

Siehe oben zu Artikel 1 Z 11 (§ 29e BewHG, §§ 17a, 35a JGG).

Zu Z 2 (§ 30 Abs. 10 BewHG):

Es wird ein Inkrafttreten mit 1. Jänner 2016 vorgeschlagen.

Zu Artikel 5 (Bundesgesetz zur Tilgung von Verurteilungen nach §§ 129 I, 129 I lit. b, 500 oder 500a Strafgesetz 1945 sowie §§ 209 oder 210 Strafgesetzbuch)

Mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002, G 6/02, hat der VfGH § 209 StGB ("Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren", aF) als verfassungswidrig aufgehoben; die Bestimmung trat am 13. August 2002 außer Kraft. Durch BGBl. I Nr. 134/2002 wurde als „Ersatz“ § 207b StGB eingeführt und hinsichtlich anhängiger Strafverfahren bestimmt, dass die geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden sind, in denen vor dem Inkrafttreten das Urteil erster Instanz gefällt worden ist, es sei denn, dass das Urteil aufgehoben oder eine Erneuerung oder Wiederaufnahme des Strafverfahrens angeordnet wird (Artikel X in BGBl I Nr. 134/2002).

In seiner Entscheidung vom 7. November 2012 in den Beschwerdesachen BNr. 31913/07 u.a. stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung von Art. 14 iVm 8 EMRK und 13 EMRK dadurch fest, dass Verurteilungen nach § 209 StGB (aF) weiterhin im Strafregister aufscheinen würden.

Begründend führte der EGMR aus, dass es der Gesetzgeber offen gelassen habe, wie mit Eintragungen nach § 209 StGB im Strafregister umgegangen werden solle. Tatsächlich wäre es jedoch seine Verpflichtung gewesen, Ausnahmebestimmungen einzuführen, um die Bestimmungen des Strafregisters in Übereinstimmung mit einem modernen Standpunkt in der Gleichstellung zwischen Mann und Frau zu bringen. Die schlichte „Ersetzung“ von § 209 StGB durch § 207b StGB sei kein umfassender Prozess gewesen, um die strafrechtliche Situation den Bedürfnissen einer sich wandelnden Gesellschaft anzupassen. Es sei lediglich eine Bestimmung eliminiert worden, die der Bundesverfassung widersprochen habe. Nach Ansicht des EGMR hätte „ein umfassendes Paket“ zur „Gleichstellung“ homosexueller Beziehungen mit heterosexuellen Beziehungen im Strafrecht geschaffen werden müssen.

Mit dem vorliegenden Entwurf soll nun dieser Entscheidung Folge geleistet werden und die Tilgung von Verurteilungen nach §§ 129 I, 129 I lit. b, 500 oder 500a Strafgesetz 1945 (StG) sowie §§ 209 oder 210 Strafgesetzbuch (StGB) ermöglicht werden.

Die Tilgung und die damit verbundene Löschung aus dem Strafregister einer aufgrund des mittlerweile aufgehobenen Straftatbestandes des § 209 StGB (aF) ergangenen Verurteilung oder eine Beschränkung der Auskunft hinsichtlich eines derartigen Urteils konnten schon bisher auf Grund eines individuellen Gnadenakts (Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG und §§ 507 bis 513 StPO) erfolgen. So hat insbesondere FBM Maga. Gastinger auf Initiative des HBP Dr. Fischer einen großen Teil der nach den Sonderstrafgesetzen erfolgten Verurteilungen zur gnadenweisen Tilgung vorgeschlagen. Dabei wurden sämtliche Verurteilungen einer näheren Prüfung unterzogen, die zumindest unter anderem wegen Verstößen gegen die Vorschriften der §§ 129 I lit. b, 129 I und 500a StG bzw. der §§ 209, 210, 220 und 221 StGB (aF) erfolgt waren. In einzelnen Fällen hat sich ergeben, dass mit einem ausschließlich nach § 209 StGB (aF) erfolgten Urteil gemäß §§ 31, 40 StGB auf Vorverurteilungen Bedacht genommen wurde, obwohl diese Vorverurteilungen zueinander nicht in dem von § 31 StGB definierten Verhältnis standen. Die Tilgung eines solchen Urteils wegen § 209 StGB (aF) würde die nur durch dieses Urteil begründete Einheit zwischen den Vorverurteilungen aufheben und damit dazu führen, dass sich die Tilgungsfrist der übrigen Verurteilungen verlängerte, weshalb in solchen Fällen von einer Tilgung im Wege des Gnadenrechts Abstand genommen wurde.

Dessen ungeachtet stellt das Gnadenrecht – sollte es verweigert werden – keine wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK dar, sodass in diesem Umfang Konventionsverletzungen weiter bestehen. Hinsichtlich Verurteilungen, die weiterhin gerichtlich strafbar sind oder die in Konkurrenz mit anderen Delikten stehen, fehlt es sowohl an der entscheidungsbefugten Behörde als auch an einer effektiven Beschwerdemöglichkeit.

Nach wie vor scheinen folgende Verurteilungen im Strafregister auf:

          52 Verurteilungen nach § 129 I oder 129 I lit. b StG (nicht § 129 I lit. a StG)

            4 Verurteilungen nach § 500 oder 500a StG

        112 Verurteilungen nach § 209 StGB

          35 Verurteilungen nach § 210 StGB.

Es sind keine Verurteilungen nach den §§ 517, 518 StG oder §§ 220, 221 StGB gespeichert.

Mit dem vorliegenden Entwurf soll nun der Entscheidung des EGMR Folge geleistet und die Tilgung von Verurteilungen nach §§ 129 I, 129 I lit. b, 500 oder 500a StG sowie §§ 209 oder 210 StGB ermöglicht werden. Durch diese Maßnahme wird ein wesentliches Hindernis für ein Vergessen der Verurteilungen beseitigt und die Resozialisierung gestärkt.

Das Vorbild des Entwurfs bildet das mittlerweile außer Kraft getretene Bundesgesetz vom 4. Juli 1951 über die Tilgung von Verurteilungen (Tilgungsgesetz 1951, BGBl. Nr. 155/1951), das ein System der gerichtlichen Entscheidung über Eintragung oder Löschung und Teillöschung von Verurteilungen im Strafregister vorsah.

Angesichts der überschaubaren Menge zu tilgender Verurteilungen ist eine technische Lösung im Strafregister nicht erforderlich, das Strafregisteramt kann die in Betracht kommenden Verurteilungen händisch löschen bzw. berichtigen.

Zu den einzelnen Bestimmungen:

Zu § 1:

§ 1 beschreibt jene Verurteilungen, die auf Antrag durch Beschluss des Gerichts zu tilgen sind, wenn das der Verurteilung zugrunde liegende Verhalten nicht mehr mit gerichtlicher Strafe bedroht ist. Umfasst sind sämtliche Verurteilungen, deren Aufscheinen im Strafregister vor dem Hintergrund der vom EGMR ins Treffen geführten gesellschaftlichen Entwicklungen eine Konventionsverletzung darstellen.

Zu berücksichtigen ist jedoch – wie bereits oben ausgeführt –, dass die Tilgung einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 209 StGB (aF) die nur durch dieses Urteil begründete Einheit zwischen den Vorverurteilungen aufheben kann und damit dazu führt, dass die Tilgungsfrist der übrigen Verurteilungen verlängert wird. Nach § 4 Abs. 2 erster Fall TilgG ist die Tilgungsfrist mehrerer ungetilgter Verurteilungen nämlich so zu bestimmen, dass die Summe der verhängten Freiheits- und Ersatzfreiheitsstrafen der Fristbestimmung im Sinne des § 3 TilgG zu Grunde gelegt wird, der Verurteilte also so gestellt wird, als ob er nur eine einzige Verurteilung erlitten hätte. § 4 Abs. 2 zweiter Fall TilgG bestimmt ferner, dass die Tilgungsfrist mehrerer ungetilgter Verurteilungen jedenfalls so lange zu dauern hat, dass sie die zuletzt endende Einzeltilgungsfrist um so viele Jahre übersteigt, als insgesamt Verurteilungen vorliegen. Nach Abs. 3 sind bei der Fristberechnung nach Abs. 2 Verurteilungen, mit denen auf keine strengere als eine höchstens einmonatige Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafe erkannt worden ist, nicht zu berücksichtigen. Nach Abs. 5 wiederum gelten Verurteilungen, die zueinander im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB stehen, tilgungsrechtlich als Einheit.

Im Ergebnis bedeutet dies etwa, dass zwei Verurteilungen zu jeweils drei Monaten Freiheitsstrafe eine siebenjährige Tilgungsfrist haben, wenn sie zueinander nicht im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB stehen. Liegt hingegen ein solches Verhältnis vor, beträgt die Tilgungsfrist lediglich fünf Jahre. Andererseits kommt etwa einer Verurteilung zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auch dann eine fünfjährige Tilgungsfrist zu, wenn der Verurteilte eine weitere Verurteilung zu einer nur einwöchigen Freiheitsstrafe aufzuweisen hat. Diese Verurteilung kann lediglich dazu führen, dass ihre ebenfalls fünfjährige Tilgungsfrist gemäß § 4 Abs. 1 TilgG den Ablauf der Frist der ersten Verurteilung hemmt. Stehen hingegen die beiden Verurteilungen zueinander im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB, liegt tilgungsrechtlich nur eine Verurteilung vor. Die für die Fristberechnung maßgebende Strafsumme beträgt dann allerdings mehr als ein Jahr und bedingt demgemäß eine zehnjährige Tilgungsfrist.

Damit im Einzelfall keine tilgungsrechtlichen Nachteile für den Verurteilten eintreten, soll von einer Tilgung kraft Gesetzes abgesehen werden und die Entscheidung im jeweiligen Einzelfall auf Antrag dem Gericht zukommen. Diese Vorgehensweise sichert einen möglichst geringen Aufwand bei gleichzeitig vollständiger Wahrung der Rechte Betroffener.

Zu § 2:

§ 2 sieht eine Regelung im Fall des Zusammentreffens mit strafbaren Handlungen anderer Art nach § 28 StGB vor. Bislang erfolgte die Tilgung der Verurteilungen nach § 1 im Wege des Gnadenrechts. Im Strafregister scheinen insbesondere jene Fälle auf, bei denen eine Tilgung im Wege des Gnadenrechts auf Grund des Zusammentreffens mit strafbaren Handlungen anderer Art nicht möglich ist. Im Sinne des EGMR soll dieses Manko nun beseitigt werden. Trifft etwa das Verbrechen des Raubes nach § 143 Abs. 1 StGB realkonkurrierend mit einem (damit in keinem Zusammenhang stehenden) Verbrechen nach § 209 StGB zusammen, soll es möglich sein, die letztgenannte Verurteilung – wenngleich auf unsystematischem Weg in Form einer dem TilgG sonst fremden Teiltilgung – zu beseitigen.

Die bloße Verständigung des Strafregisteramts vom Wegfall eines Spruchpunkts ist nicht hinreichend: Im Extremfall würde sonst etwa bei einem wegen § 209 StGB und eines anderen realkonkurrierenden mit weit geringerer Strafdrohung geahndeten Delikts Verurteilten die für beide Taten verhängte Strafe im Strafregister nur noch bei dem mit weit geringerer Strafe bedrohten Delikt aufscheinen und möglichweise sogar dessen Strafrahmen sprengen. Die fortdauernde Dokumentation einer Strafhöhe, die entweder grob unverhältnismäßig ist oder für die nunmehr eine entsprechende Rechtsgrundlage fehlt, stellt für den Verurteilten jedoch eine erhebliche Beschwer dar. Hier scheint der Verfahrensaufwand infolge ohnehin erforderlicher Prüfung der Aktenlage nicht zu groß, um entweder von Amts wegen oder auf Antrag (§ 8 Abs. 3) in Ansehung der von der Teiltilgung unberührt bleibenden rechtskräftigen Spruchpunkte die Strafe neu zu bemessen.

Eine neuerliche Hauptverhandlung erweist sich hier – anders als in Fällen teilweiser Wiederaufnahme des Verfahrens oder Zurückverweisung in die erste Instanz infolge teilweise erfolgreicher Nichtigkeitsbeschwerde – als entbehrlich, weil keine Schuldfrage zu lösen ist. Die Bestimmungen der §§ 31a Abs. 1 StGB, 410 StPO sind sinngemäß zur Anwendung zu bringen.

Zu § 3:

Bei erfolgten Tilgungen im Wege des Gnadenrechts hat sich in einzelnen Fällen gezeigt, dass mit einem ausschließlich nach § 209 StGB erfolgten Urteil gemäß §§ 31, 40 StGB auf Vorverurteilungen Bedacht genommen wurde, obwohl diese zueinander nicht in dem von § 31 StGB definierten Verhältnis standen. Die Tilgung des Urteils wegen Verstoßes gegen § 209 StGB würde die nur durch dieses Urteil begründete Einheit zwischen den Vorverurteilungen aufheben und führte damit zu einer Verlängerung der Tilgungsfrist der übrigen Verurteilungen.

Die Bestimmung stellt daher klar, dass eine Tilgung nach § 1 weder eine Verlängerung der Tilgungsfrist noch andere tilgungsrechtliche Nachteile bewirken darf. In solchen Fällen wirkt die Verurteilung tilgungsrechtlich weiter, als wäre sie nicht getilgt.

Zu § 4:

Die Bestimmungen des TilG sind sinngemäß zur Anwendung zu bringen. Insbesondere sollen mit der Tilgung einer Verurteilung alle nachteiligen Folgen erlöschen, die kraft Gesetzes mit der Verurteilung verbunden sind. Der Verurteilte soll fortan als unbescholten gelten und nicht verpflichtet sein, getilgte Verurteilungen anzugeben. Getilgte Verurteilungen sollen weder in Strafregisterauskünfte bzw. -bescheinigungen aufgenommen noch darin auf irgendeine Art ersichtlich gemacht werden.

Zu § 5:

Für den Verurteilten günstigere Bestimmungen bleiben unberührt.

Für die strafregisterrechtliche Umsetzung soll klargestellt werden, dass die (kalendarischen) Daten der Strafanpassung nicht in das Strafregister aufgenommen werden dürfen, wodurch Probleme bei der Umsetzung des § 3 im Fall gänzlicher Tilgung vermieden werden können. Im Kern betrifft dies verfehlte Mehrfachbedachtnahmen nach §§ 31, 40 StGB. Wird durch Tilgung das Band der §§ 31, 40 StGB durchtrennt, muss dieses im Interesse des Verurteilten im Strafregister auf eine Weise erhalten bleiben, die sich nicht auf konkrete richterliche Hoheitsakte stützt. Hier soll eine ausdrückliche Ermächtigung an das Strafregisteramt Abhilfe schaffen, den Gesetzesbefehl durch geeignet erscheinende Dokumentationen umzusetzen.

Zu § 6:

Für das tilgungsrechtliche Verfahren soll der Einzelrichter des Landesgerichts zuständig sein.

Zu § 7:

Die Tilgung soll auf Antrag des Verurteilten, eines Angehörigen oder der Staatsanwaltschaft erfolgen. Die Staatsanwaltschaft soll jedenfalls die Tilgung zu beantragen haben, wenn diese für den Verurteilten keine tilgungsrechtlichen Nachteile mit sich bringt.

Der Antrag soll die Verurteilung, dessen Tilgung begehrt wird, bezeichnen und das Vorliegen der Voraussetzungen einer Tilgung nach § 1 begründen.

Die Herabsetzung einer Strafe nach § 2 dritter Satz soll in unumgänglichen Fällen (wenn etwa die Strafhöhe den übriggebliebenen Strafrahmen übersteigt) von Amts wegen, sonst jedoch lediglich auf Antrag erfolgen, da eine neuerliche Konfrontation mit dem Unrechtsgehalt längst abgetaner strafbarer Handlungen nicht notwendigerweise im Interesse des Verurteilten liegt.

Zu § 8:

Der Beschluss über den Tilgungsantrag soll vom Gericht in nicht öffentlicher Sitzung gefällt werde. Vor der Beschlussfassung ist die Staatsanwaltschaft zu hören. Können Umstände, die für die Entscheidung wesentlich sind, weder aus Strafakten noch anderen öffentlichen Urkunden erhoben werden, so soll das Gericht die Tilgung auch aussprechen können, wenn diese Umstände hinreichend bescheinigt sind.

Zu § 9:

Gegen den Beschluss über Tilgungsanträge soll die Beschwerde zulässig sein. Die Staatsanwaltschaft und der Verurteilte sollen stets, also auch dann, wenn der Beschluss antragsgemäß erfolgte, Beschwerde erheben können. Einem Angehörigen soll das Beschwerderecht nur dann zukommen, wenn seinem Antrag nicht in vollem Umfang stattgegeben worden ist. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung.

Zu § 10:

Nach § 10 soll das Bundesgesetz außer Kraft treten, wenn sämtliche Verurteilungen nach § 1 getilgt wurden.

Zu § 11:

§ 11 regelt die Zuständigkeit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes.