Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll91. Sitzung / Seite 77

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burg, die mit ihren Ausbildnern gekommen ist, um das Parlament zu besuchen und der Debatte zu lauschen, herzlich begrüßen und hoffe, dass die jungen Leute einen guten Eindruck vom österreichischen Parlamentarismus mitnehmen. (Allgemeiner Beifall.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Al­lein diese Zahlen machen uns in mehrerlei Hinsicht Sorgen: nämlich aufgrund des Leids, das wir über die Fernsehschirme, die Medienberichte, aber inzwischen eben auch bei der Ankunft der Flüchtlinge in Europa und Österreich miterleben. Sie flüchten vor Terror, vor Folter, vor Krieg, vor Elend und sehr oft vor dem sicheren Tod. Aus dem heraus ist es naheliegend und verständlich, dass die Flucht nach Europa die Hoffnung auf Sicherheit und Frieden mit sich bringt und Europa gleichzeitig gefordert ist, diesen Herausforderungen positiv zu begegnen.

Die Staaten Europas haben in der Nachkriegszeit, in den Fünfzigerjahren, zwei funda­mentale Rechtswerke entwickelt – dazu möchte ich sagen, dass die Gründerväter, die das damals entwickelt haben, die Verantwortung an uns weitergegeben haben, dass diese fundamentalen Rechtsdokumente der Menschlichkeit auch heute noch Beach­tung finden –, nämlich die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950. Diese bilden auch heute die rechtliche, die aus meiner Sicht unverrückbare rechtliche Grundlage auch des grundsätzlichen Bekennt­nisses, dass das Recht jedes Einzelnen auf Asyl unantastbar ist.

Es gibt aber auf der anderen Seite auch Sorgen über die Bilder, die wir im Fernsehen sehen, und es stellt sich die Frage, wie wir das als Gesellschaft, als Staat, als Europa, als Österreich gut bewältigen können.

Ich möchte all jenen Dank sagen, die in den letzten Wochen mitgeholfen haben, dass wir den Zustrom als Österreich – insbesondere dort, wo Flüchtlinge angekommen sind, von Traiskirchen über Wien bis zu allen anderen Orten – sehr gut bewältigt haben, näm­lich gut im Sinne der Österreicherinnen und Österreicher und auch gut im Sinne der Menschen, die angekommen sind. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Dieser Flüchtlingswelle muss technisch so begegnet werden, dass all das gemacht wird, was notwendig ist – Erstversorgung, Unterbringung und so weiter.

Gleichzeitig sehen wir auch, dass das europäische System nicht mehr so funktioniert, wie wir es uns vorstellen. Europa braucht gemeinsame Antworten. Das gestrige Treffen der europäischen Innenminister ist ein erster Schritt – ob es ein kleiner oder ein ver­nünftiger Schritt war, werden wir heute nach dem EU-Gipfel sehen. Heute findet dieser Sondergipfel statt, der auch dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann zu verdanken ist, denn er hat gemeinsam mit seinen schwedischen, deutschen und fran­zösischen Amtskollegen Druck gemacht, dass dieser Gipfel endlich stattfindet. Dahin­ter steckt, dass sich Europa sehr schwertut, auf diese Fragen sinnvoll zu antworten.

Wir sehen auch, dass die Welt genauso unfähig ist, sinnvoll zu antworten – denken wir nur daran, dass bis jetzt vor Ort in Syrien und im Irak, in den Ländern des Bürgerkriegs keine Lösung in der Form gefunden wurde, wie sie eigentlich sein sollte. Kürzungen bei UNHCR und dem World Food Programme haben die Lage sogar noch verschlimmert.

Erinnern wir uns an 1945 und die Jahre danach, an die Ungarn-Krise 1956, als Öster­reich 180 000 ungarische Flüchtlinge aufgenommen hat, oder die Prager Krise 1968, als wir 160 000 Flüchtlinge aufgenommen haben. Aus dem heraus bin ich auch so ent­setzt, dass diese Länder diese historische Erfahrung jetzt nicht in einen positiven Um­gang mit der Situation umsetzen können, sondern stattdessen wieder Stacheldrähte in Europa aufbauen.

Ich habe ein Stück des Eisernen Vorhangs mitgebracht (der Redner zeigt ein Stück Stacheldraht), das 1989 herausgeschnitten wurde. Das war der Fortschritt Europas! Ich


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