Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll175. Sitzung / Seite 112

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Zur Sache: Aus wirtschaftlicher Sicht, aber nicht nur aus dieser, bedauere ich den Austritt des Vereinigten Königreichs außerordentlich. Die vielen Nachteile für uns alle sind schon ausreichend behandelt worden. Daher muss dieser 60. Jahrestag der Römischen Verträge, den Frau Kollegin Muttonen schon angeschnitten hat, genutzt werden, um ein neues Kapitel der Europäischen Union aufzuschlagen.

Auch wenn es der EU in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, ein kriegerisches Europa in eine Friedensunion umzuwandeln, sind doch viele Europäer enttäuscht. (Zwischenruf des Abg. Hübner.) Der Brexit ist eben ein deutliches Signal für Verän­derung und zeigt auch die tiefe Vertrauenskrise. Die Europäische Union wird nicht mehr als Wohlstands- und Friedensunion gesehen, sondern als Summe von Ängsten, Krisen und Nationalismen.

Eines ist aber klar, wer diese Europäische Union verneint, verweigert die globale Realität: Bis zum Jahr 2050 schrumpft unser Anteil an der Weltbevölkerung auf 5 Prozent, aber nicht nur das, auch unser Sozialprodukt wird auf 10 Prozent sinken. Das heißt im Klartext für jeden einzelnen Nationalstaat, dass wir uns im bedeutungs­losen Promillebereich herumschlagen müssen.

All jene, die den Bürgerinnen und Bürgern suggerieren, wir können jetzt die soge­nannte heile Welt vor dem EU-Beitritt wiederherstellen, verweigern wirklich die Realität, denn nicht nur Europa hat sich verändert, sondern auch die globale Welt. Denken Sie nur an die rasante Wirtschaftsentwicklung der asiatischen Staaten, denken Sie an die technischen Innovationen, die für uns so wichtig sind und leider außerhalb Europas stattfinden, aber auch an die globale Vernetzung, gleich ob in Gesellschaft, Finanz oder Wirtschaft, und natürlich nicht zuletzt an die vielen Krisenherde, die Terroran­schläge und die Flüchtlingssituation!

Ich glaube, all diese Entwicklungen sollten eigentlich dazu führen, dass wir enger zusammenrücken. Wir haben ja auch hervorragende Voraussetzungen: Die Euro­päische Union ist der größte Binnenmarkt der Welt mit der am zweithäufigsten genutzten Währung der Welt. Wir sind die größte Handelsmacht der Welt und vor allem auch der größte Geber von humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe. Wir können wirk­lich mit Selbstbewusstsein dastehen.

Daher begrüße ich das Weißbuch der Europäischen Kommission. Dieses beschreibt nicht nur die Fakten, wie der Wandel im nächsten Jahrzehnt passieren wird, sondern auch eine Reihe von Szenarien, wie wir Europa weiterentwickeln können, die jetzt zur Debatte vorliegen.

Es ist wirklich höchst an der Zeit, denn das europäische Projekt hat noch eine Chance. (Abg. Kogler: Das stimmt, ja!) Mehr als zwei Drittel der Mitglieder der Europäischen Union betrachten die EU als Hort der Sicherheit, mehr als 80 Prozent der Euro­päerinnen und Europäer befürworten die vier Grundfreiheiten der Europäischen Union, und 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Eurozone stehen auch hinter ihrer Währung.

Der Weißbuchprozess ist bereits eingeleitet, und ich bin verwundert, dass die Kol­legInnen überhaupt noch nicht darauf eingegangen sind. Der Weißbuchprozess, das heißt die Debatte, ist eröffnet, und wer die sozialen Medien verfolgt, der sieht, dass sowohl online als auch offline schon die Diskussionsveranstaltungen im Laufen sind. Die fünf Szenarien, nach Schwerpunkten der einzelnen Politikbereiche, sollen nur eine Diskussionsgrundlage sein und werden nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch in den Regionen und Städten diskutiert. Die erste Bilanz werden wir im Sep­tember bei der State-of-the-Union-Rede von Präsident Juncker präsentiert bekommen.

 


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