24/SBI XXV. GP

Eingebracht am 23.06.2014
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Stellungnahme zu Bürgerinitiative

 


 

An den

Ausschuss für Petitionen und

Bürgerinitiativen

des Nationalrates

Parlament

1017       Wien

per mail:

NR-AUS-PETBI.Stellungnahme@parlament.gv.at

GZ: BKA-350.710/0165-l/4/2014                                                 Wien, am 23. Juni 2014

Betrifft: Bürgerinitiativen 22, 29

Stellungnahmen des Bundeskanzleramtes

Im Anhang werden die Stellungnahmen des Bundeskanzleramtes zu den Bürgerinitiativen 22 und 29 übermittelt.

Für den Bundeskanzler:

MATZKA

Anlagen


Betrifft: Bürgerinitiative Nr. 22 - „Sanierung des Flurverfassungsgrundsatzgesetzes

1951, nach VfSIg 9336/1982“

Eingangs wird angemerkt, dass die Angelegenheiten der Bodenreform und des Verfahrens der Agrarbehörden zum Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft gehören. Hiezu wird auf die Stellungnahme des genannten Bundesministeriums vom 23. Juli 2013,

BMLFUW-LE.4.2.6/0124-I/3/2013, verwiesen.

Aus Sicht des Bundeskanzleramtes wird wie folgt Stellung genommen:

Zum Gemeindegut:

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSIg. 9.336/1982 ausgesprochen, dass unter dem Begriff des Gemeindeguts im Sinne des Flurverfassungsrechts jenes zu verstehen ist, dessen Rechtsgrundlage ausschließlich die Gemeindeordnungen waren. Das Gemeindegut im Sinne der Gemeindeordnungen ist aber nicht nur formell der Gemeinde zugeordnet, sondern auch in materieller Hinsicht Eigentum der Gemeinde und nur insofern beschränkt, als es mit bestimmten öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechten einiger oder aller Gemeindemitglieder belastet ist, sodass die Substanz und also auch der Substanzwert und ein allfälliger Überschuss der Nutzungen der Gemeinde als solcher zugeordnet bleiben.

In seinem Erkenntnis VfSIg. 18.446/2008 umschreibt der Verfassungsgerichtshof Gemeindegut dahingehend, dass es im Eigentum der Gemeinde stehe, aber von allen oder bestimmten Gemeindemitgliedern aufgrund alter Übung unmittelbar für land- und forstwirtschaftliche Zwecke zur Deckung des Haus- und Gutsbedarfes von Stammsitzliegenschaften genutzt werde. Der über die Summe der Nutzungsrechte hinausgehende Substanzwert des Gemeindegutes, der je nach Art der Nutzung möglicherweise freilich erst bei Eingriff in die Substanz oder bei Teilungen zutage tritt, steht daher der Gemeinde zu. Die Übertragung des Eigentums am Gemeindegut auf die Agrargemeinschaft ist verfassungswidrig. Ist eine solche Übertragung aber rechtskräftig geworden, dann ist Gemeindegut entstanden, das atypischerweise im gemeinsamen Eigentum der Gemeinde und der Nutzungsberechtigten steht und als Agrargemeinschaft organisiert ist. Es wäre aber nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes unsachlich und einer ersatzlosen Enteignung gleichzuhalten, wenn aus dem formalen Übergang des Eigentums am Gemeindegut an die Agrargemeinschaft der Schluss gezogen würde, die Zuordnung des Substanzwertes an die Gemeinde sei damit als solche (auch materiell) für alle Zeiten beseitigt worden. Der Anteil der Gemeinde an dem als agrargemeinschaftliches Grundstück regulierten Gemeindegut als Surrogat ihres ursprünglichen (durch die Regulierung beseitigten) Alleineigentums sei auch als bloßer Anteil an der Agrargemeinschaft jedenfalls Eigentum im Sinn des Art. 5 StGG bzw. Art. 1 1. ZP EMRK.

 

Zur vorgeschlagenen Novellierung des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951:

Diese Rechtsprechung zu Gemeindegut und Substanzwert verkehrt der vorliegende, in der Bürgerinitiative vorgeschlagene Gesetzestext ins Gegenteil, indem etwa der Substanzwert der Gemeinde als „Schuldrecht“ bei Substanzverwertung auf 50% begrenzt und dessen Beseitigung durch Verjährung entgegen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (und des Verwaltungsgerichtshofes, siehe dazu etwa das Erkenntnis vom 30. Juni 2011, 2010/07/0091) festgeschrieben wird (Art. I Z 6). Auch die Begrenzung des „Anteilsrechts“ der Gemeinde auf die Höhe ihrer tatsächlichen durchschnittlichen Benutzung (Art. I Z 3) widerspricht der Substanzwertrechtsprechung. Dem Verbot einer „Teilung“ des agrargemeinschaftlichen Eigentums (Art. I Z 9) steht die Rechtsprechung zum atypischen Eigentum entgegen. Und auch die Aufhebung in Art. II geht zu Lasten der Gemeinde von erweiterten Möglichkeiten entschädigungsloser Aufhebung aus und beschränkt wiederum das höchstgerichtlich festgestellte Ausmaß des Substanzwertes. Diese Einschränkungen des Substanzwertes zu Lasten der Gemeinde sind als entschädigungslose Enteignungen der substanzwertberechtigten

(Gemeinden anzusehen, sodass der vorliegende Vorschlag in seiner wesentlichen Stoßrichtung als verfassungswidrig anzusehen ist.

Zur Feststellung von Gemeindegut:

Im Erkenntnis VfSIg. 19.262/2010 prüfte der Verfassungsgerichtshof eine von den Agrarbehörden vorgenommene Feststellung, welche Grundstücke einer Agrargemeinschaft Gemeindegut seien. Grundlage der Entscheidung der Agrarbehörden war ein Bescheid der Agrarbehörde erster Instanz aus dem Jahr 1949, in welchem bestimmte Grundstücke als Gemeindegutsgrundstücke qualifiziert wurden. Ob die Feststellung zu Recht erfolgt sei, so die Agrarbehörde, könne dahingestellt bleiben, da sie in Rechtskraft erwachsen sei.

Der Verfassungsgerichtshof verneinte eine denkunmögliche Anwendung der bestehenden Vorschriften des Tiroler Flurverfassungslandesgesetzes 1996 durch diese Beurteilung der Behörde. Für die behördliche Feststellung, ob bestimmte Grundstücke solche im Sinne des Erkenntnisses VfSIg. 18.446/2008 seien, komme es in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung an, weil die dieses Erkenntnis tragenden verfassungsrechtlichen Erwägungen die Übertragung von Eigentum einer (politischen) Gemeinde auf die Agrargemeinschaft durch den behördlichen Akt der Regulierung zum Ausgangspunkt hätten. Die Agrarbehörden seien bei Verfahren wie diesen mithin gehalten, die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt der Regulierung zu klären und dabei alle zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen. Auch Dokumente über länger zurückliegende Erwerbsvorgänge seien für die Klärung der Eigentumsverhältnisse von Bedeutung. In derartigen Fällen sei allerdings zunächst zu prüfen, ob vor der Regulierung ein Erwerbsvorgang zugunsten der politischen Gemeinde stattgefunden habe. Für die Beurteilung der Frage, ob bestimmte Liegenschaften Gemeindegut im Sinne des Erkenntnisses VfSIg. 18.446/2008 seien, sei in diesen Fällen die Feststellung früherer - vor dem letzten Erwerbsvorgang liegender - Eigentumsverhältnisse entbehrlich. Die Stützung auf den der Regulierung unmittelbar vorausgehenden Bescheid werde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht beanstandet; die Behörde nehme denkmöglich an, dass die darin enthaltene Feststellung bestimmter Grundstücke als Gemeindegut das Eigentumsrecht der Gemeinde festgestellt habe.

Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte in weiterer Folge Bescheide des Tiroler

Landesagrarsenates, die sich auf Feststellungen in rechtskräftigen Regulierungsplänen stützten, wonach bestimmte Grundstücke Gemeindegut seien, und kam darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass die Vorgängergesetze zum Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1952 (zurück bis zum Gesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte vom 7. Juni 1883, RGBl. Nr. 94) ebenso eine Differenzierung von Gemeindegut kannten (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2011, 2010/07/0091).

Zur vorgeschlaqenen Novellierung des Agrarverfahrensqesetzes 1950:

Entgegen dem angeführten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes wird mit der vorgeschlagenen Novellierung versucht, die Beurteilung der Eigentumsverhältnisse anhand des Zeitpunktes der Regulierung auszuhebeln. Ziel ist offenbar eine Außerachtlassung der (rechtskräftigen) Bescheide und die Heranziehung von Ermittlungsergebnissen zum „wahren Eigentum“. Diese Ansicht übersieht aber, dass die ausschlaggebenden Eigentumsverhältnisse die im Zeitpunkt der Regulierung bestehenden sind, weil die in VfSIg. 18.446/2008 angestellten Überlegungen zum Substanzwert und dessen Entstehung durch Übertragung des Eigentums der Gemeinde auf die Agrargemeinschaft gerade auf den Zeitpunkt dieser Übertragung abstellen. Die vorgeschlagene Novellierung beabsichtigt somit, wie jene des Flurverfassungsgesetzes 1951, im Ergebnis wiederum eine Umdeutung dessen, was Gemeindegut war bzw. ist, und in weiterer Folge somit wiederum eine verfassungswidrige Enteignung der Gemeinde durch Entziehung des ihr zustehenden Substanzwertes.



Betrifft: Bürgerinitiative Nr. 29 - „Volksgruppenschutz“

Mit dieser Bürgerinitiative wird das Anliegen verfolgt, eigene Grundrechte für die Volksgruppen zu schaffen, die Volksgruppen als Selbstverwaltungskörper bzw. Körperschaften öffentlichen Rechts einzurichten und das Volksgruppengesetz entsprechend zu novellieren. Dies ist im Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013-2018 nicht vorgesehen und wird von der Bundesregierung derzeit auch nicht für notwendig erachtet, wie auch BM Dr. Ostermayer in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage Nr. 36/J v. 20. November 2013 ausführte.