60/SBI XXV. GP

Eingebracht am 02.02.2015
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Stellungnahme zu Bürgerinitiative

 

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Parlamentsdirektion

Parlament

1017 Wien

Organisationseinheit:

BMG - I/A/15 (Ministerrat)

Sachbearbeiter/in:

Elke Wyschata

E-Mail:

elke.wyschata@bmg.gv.at

Telefon:

+43 (1) 71100-4894

 

 

Geschäftszahl:

BMG-11000/0077-I/A/15/2014

Datum:

23.01.2015

 

 

 

E-Mail:

NR-AUS-PETBI.Stellungnahme@parlament.gv.at

 

 

 

 

Bürgerinitiative Nr. 60/BI betr. "Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder"

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 2. Dezember 2014, GZ. 17010.0020/44-L1.3/2014, teilt das Bundesministerium für Gesundheit zu der im Betreff genannten Bürgerinitiative Folgendes mit:

 

Gemäß § 2 Abs. 2 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl. I Nr. 169/1998 umfasst die Ausübung des ärztlichen Berufes jede auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird, u.a. die Untersuchung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von körperlichen und psychischen Krankheiten oder Störungen, von Behinderungen oder Missbildungen und Anomalien, die krankhafter Natur sind, die Beurteilung von in Z 1 angeführten Zuständen bei Verwendung medizinisch-diagnostischer Hilfsmittel und die Vorbeugung von Erkrankungen.

Die Tätigkeit von Schulärztinnen/Schulärzten bei Untersuchungen im Rahmen der Schulgesundheitspflege gemäß Schulunterrichtsgesetz (SchUG) ist jedenfalls als ärztliche Berufsausübung im Sinne des ÄrzteG 1998 einzustufen.

 

Ist die Schulärztin/der Schularzt oder eine andere Ärztin/ein anderer Arzt in der Schule bzw. sonstigen pädagogischen Betreuungseinrichtung anwesend, so hat jegliche medizinische Betreuung der Schülerinnen und Schüler jedenfalls durch diese/n zu erfolgen.

 

Durch die 5. Ärztegesetznovelle, BGBl. I Nr. 140/2003, wurde mit der Schaffung des § 50a Ärztegesetz 1998 die Übertragung einzelner ärztlicher Tätigkeiten im Einzelfall an Laien wie folgt ermöglicht:

 

§ 50a. (1) Der Arzt kann im Einzelfall einzelne ärztliche Tätigkeiten an

1. Angehörige des Patienten,

2. Personen, in deren Obhut der Patient steht, oder an

3. Personen, die zum Patienten in einem örtlichen und persönlichen Naheverhältnis stehen,

übertragen, sofern sich der Patient nicht in einer Einrichtung, die der medizinischen oder psychosozialen Behandlung, Pflege oder Betreuung dient, befindet. Zuvor hat der Arzt der Person, an die die Übertragung erfolgen soll, die erforderliche Anleitung und Unterweisung zu erteilen und sich zu vergewissern, dass diese über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt. Der Arzt hat auf die Möglichkeit der Ablehnung der Übertragung der in Frage kommenden ärztlichen Tätigkeiten gesondert hinzuweisen. Sonstige familien- und pflegschaftsrechtlich gebotene Maßnahmen sowie § 49 Abs. 3 bleiben unberührt.

(2) Eine berufsmäßige Ausübung der nach Abs. 1 übertragenen ärztlichen Tätigkeiten, auch im Rahmen nicht medizinischer Betreuung, ist untersagt.

 

Der Bedarf nach einer derartigen Regelung wurde durch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage wie folgt zum Ausdruck gebracht: „Das BMG ist wiederholt mit entsprechenden Anfragen (wie etwa … die Injektion von Insulin und die Messung des Blutzuckerspiegels bei Diabetes-Patienten) befasst worden, die einen diesbezüglichen dringenden Handlungsbedarf erkennen lassen.

 

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage führten zudem Folgendes aus:

 

Bereits die Überschrift … soll zum Ausdruck bringen, dass diese neue Delegationsmöglichkeit an Personen, denen im konkreten Fall keine gesetzliche Befugnis zur Durchführung der übertragenen Tätigkeiten zukommt, einen eingeschränkten Anwendungsbereich hat. …

Bei den nach § 50a delegierbaren Tätigkeiten handelt es sich nicht bloß um unterstützende Tätigkeiten iSd § 49 Abs. 2 zweiter Satz bei der Ausübung der Medizin. Vielmehr soll der Arzt eine oder mehrere von ihm genau zu bestimmende Tätigkeit(en) nach entsprechender Anleitung und Unterweisung im jeweiligen Einzelfall an eine bestimmte Person übertragen dürfen. Um zu verhindern, dass die gesamte ärztliche Versorgung vom Arzt auf einen Laien abgewälzt werden kann, sollen nur einzelne Tätigkeiten übertragbar sein. Das konkrete Ausmaß ist vom Arzt jeweils im konkreten Einzelfall zu beurteilen.

 

Dies bedeutet, dass § 50a ÄrzteG 1998 eine Durchbrechung des generellen ärztlichen Tätigkeitsvorbehalts des § 3 darstellt.

 

Die übertragende Ärztin/der übertragende Arzt muss nicht für jede einzelne Verrichtung einen eigenen Übertragungsakt vornehmen. Übertragung kann auch, sofern auf eine hinreichend konkretisierte Maßnahme an einer bestimmten Patientin/einem bestimmten Patienten bezogen, für eine Vielzahl wiederkehrender gleichartiger Tätigkeiten formuliert werden.

 

Der Begriff der Obhut ist im Sinne des StGB (vgl. beispielsweise § 82 und § 92 StGB) zu verstehen. Der Begriff der Obhut erfasst alle bestehenden Schutz- oder Betreuungsverhältnisse, durch die jemand zumindest vorübergehend die Aufsicht oder die Betreuung einer geschützten Person übernommen hat (vgl. OGH SSt 62/61 zu § 92 StGB). Dies trifft auf Lehrer/innen oder sonstige Betreuungspersonen einer Schule zu.

 

§ 50a normiert einen Delegationsausschluss für den gesamten intramuralen Bereich, insbesondere für Pflegeheime und Einrichtungen der Behindertenbetreuung, aber auch für Einrichtungen und Vereinigungen mit Betreuungsangebot für Personen im Hinblick auf Suchtgiftmissbrauch.

 

Durch die erforderliche Anleitung und Unterweisung und die Vergewisserung, dass die Person, an die die Übertragung erfolgen soll, über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt, soll diese in die Lage versetzt werden, die entsprechende/n Tätigkeit/en in verantwortungsvoller Weise durchzuführen. Die Ärztin/der Arzt hat insbesondere auch auf die Verantwortung bei der Durchführung der übertragenen Tätigkeiten und die erforderliche Verlässlichkeit, die übernommene Tätigkeit auch tatsächlich in der gebotenen Kontinuität vorzunehmen, hinzuweisen. Es besteht daher die Pflicht der übernehmenden Person, die delegierende Ärztin/den delegierenden Arzt rechtzeitig auf eine Verhinderung aufmerksam zu machen.

 

Aus dem ärzterechtlich gebotenen Hinweis auf die Ablehnungsmöglichkeit folgt, dass die Übernahme der Delegation zustimmungsbedürftig ist. Es besteht keine gesetzliche Verpflichtung zur Übernahme der Delegation. Eine Übernahme der Delegation erfolgt im schulischen bzw. pädagogischen Bereich ausnahmslos auf freiwilliger Basis.

 

Unter Laien im Zusammenhang mit § 50a ÄrzteG 1998 sind Personen zu verstehen, die nicht Angehörige eines gesetzlich geregelten Gesundheitsberufs oder eines Sozialbetreuungsberufs sind. Die Grenze der Laientätigkeit liegt dort, wo medizinisches bzw. pflegerisches Fachwissen Voraussetzung für die fachgerechte Durchführung der Tätigkeit ist bzw. nur auf Grund dieses Fachwissens Selbst- und Fremdgefährdung vermieden werden kann. Die Umstände des Einzelfalls können bewirken, dass die gleiche Tätigkeit entweder als Laientätigkeit oder als Tätigkeit, die den Angehörigen der Gesundheitsberufe vorbehalten ist, zu qualifizieren ist. Subjektive Kenntnisse und Fertigkeiten der Laien können zwar von Vorteil sein, ändern aber grundsätzlich nichts an der Einstufung einer Tätigkeit als Vorbehalts- oder Laientätigkeit.

 

Die Übertragung einzelner ärztlicher Tätigkeiten an Laien ist nicht möglich, sofern sich die Patientin/der Patient in einer Einrichtung, die der medizinischen oder psychosozialen Behandlung, Pflege oder Betreuung dient, befindet.

 

Schulen und Einrichtungen, die vornehmlich der pädagogischen Betreuung dienen, sind von den Begriffen der medizinischen oder psychosozialen Behandlung, Pflege oder Betreuung in der Regel nicht umfasst. Einrichtungen der außerschulischen Nachmittagsbetreuung (Hort) oder sonstige Kinderbetreuungseinrichtungen fallen ebenfalls nicht unter diesen Ausnahmetatbestand.

 

Es ist möglich, dass § 50a ÄrzteG 1998 in bestimmten Fallkonstellationen für die Übertragung einzelner ärztlicher Tätigkeiten (z.B. Verabreichung von Medikamenten oder Injektionen) im Einzelfall an Lehrer/innen und sonstige Personen in Schulen zur Anwendung kommt. Voraussetzung ist, dass alle Erfordernisse des § 50a zur Gänze erfüllt werden. Hinsichtlich Sonderschulen können Ausnahmen bestehen, wodurch diese unter Umständen als Einrichtungen der medizinischen oder psychosozialen Behandlung, Pflege oder Betreuung zu qualifizieren sind und eine Delegation gemäß § 50a somit ausgeschlossen wäre.

 

Zu beachten ist jedenfalls ein allfälliges Gefahrenpotential (wie Nebenwirkungen eines Arzneimittels) der zu übertragenden Tätigkeit. Bestimmte Arzneimittel sind von der Möglichkeit der Delegierung ausgeschlossen. Die Übertragung ist befristet und kann auch widerrufen werden bzw. kann jederzeit zurückgelegt werden.

 

Die Abgrenzung medizinischer/ärztlicher Tätigkeiten von Laientätigkeiten, die nicht übertragungspflichtig sind, erfolgt durch Entscheidung im Einzelfall und nach Beurteilung, ob die Tätigkeit eine entsprechende Ausbildung verlangt. Tätigkeiten wie Fiebermessen, Anwendung eines Sonnenschutzmittels oder einfache Wundversorgung (z.B. Aufkleben eines Pflasters) sind nicht übertragungspflichtig.

 

Sofern nicht Umstände vorliegen, die medizinische oder pflegerische Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, zählen auch folgende Tätigkeiten zu den Laientätigkeiten:

 

Unterstützung bei der oralen Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie bei der Arzneimittelaufnahme, Unterstützung bei der Körperpflege, Unterstützung beim An- und Auskleiden, Unterstützung bei der Benützung von Toilette oder Leibstuhl einschließlich Hilfestellung beim Wechsel von Inkontinenzprodukten und Unterstützung beim Aufstehen, Niederlegen, Niedersetzen und Gehen.

 

Eine sogenannte „Bedarfsmedikation“ überschreitet die Grenzen der Laientätigkeit und ist daher nicht zulässig.

 

Der Gesetzgeber hat im ÄrzteG 1998 bewusst enge Grenzen der Delegations-möglichkeiten ärztlicher Tätigkeiten an Laien gewählt, um zu verhindern, dass medizinisch nicht qualifiziertes Personal in einem institutionellen Kontext Aufgaben übernimmt, die entsprechendes medizinisches Fachwissen erfordern, da beispielsweise auch nicht rezeptpflichtige Arzneimittel schwerwiegende Neben- bzw. Wechselwirkungen oder unerwünschte Wirkungen hervorrufen können.

 

Betreffend Verantwortung für die delegierten Tätigkeiten ist aus ärzterechtlicher Sicht Folgendes festzuhalten:

 

Die delegierende Ärztin/der delegierende Arzt hat die erforderliche Anleitung und Unterweisung zu erteilen und sich zu vergewissern, dass der Laie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt (Anordnungsverantwortung). Dem Laien (d. h. der Lehrerin/dem Lehrer, der Betreuungsperson, …) obliegt die Durchführungsverantwortung (Verantwortung der sach- und anordnungsgemäßen Durchführung der delegierten ärztlichen Tätigkeit/en). Bei Auftreten von Fragestellungen, die den Wissenstand des Laien überschreiten, ist die anordnende Ärztin/der anordnende Arzt zu kontaktieren.

 

Übernehmen Laien die Durchführung einer ärztlichen Tätigkeit, obwohl sie wissen oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätten wissen müssen, dass sie die Tätigkeit nicht entsprechend der im Einzelfall gebotenen Sorgfalt durchführen können, so müssen sie auch dieses Verhalten verantworten (Einlassungs- und Übernahmsfahrlässigkeit).

 

Zivil- und strafrechtliche Haftungsfragen fallen in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Justiz.

 

 

 

Für die Bundesministerin:

Irene Peischl

 

 

 

 

 

 

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