61/SBI XXV. GP

Eingebracht am 02.02.2015
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Stellungnahme zu Bürgerinitiative

 

 

 

 

Parlamentsdirektion

Parlament

1017 Wien

per E-Mail

Parlamentsdirektion, Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen,

Bürgerinitiative Nr. 60 betreffend Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder; Ressortstellungnahme

Das Bundesministerium für Bildung und Frauen erlaubt sich zu der übermittelten Bürgerinitiative Nr. 60 betreffend „Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder“ wie folgt Stellung zu nehmen:

Zu der Forderung, wonach Kinder mit chronischen Erkrankungen keine wie immer geartete Diskriminierung durch den Ausschluss von Bildungseinrichtungen oder Veranstaltungen erfahren dürfen, sei grundsätzlich bemerkt:

Die Regelungen über die Aufnahme bzw. die Ablehnung der Aufnahme und Bestimmungen über das Aufnahmsverfahren gelten für gesunde wie chronisch kranke Kinder gleichermaßen. Kinder mit chronischen Erkrankungen können, aber müssen nicht, bei ihrer Ausbildungs- bzw. Berufswahl eingeschränkt sein. Die Schulpsychologie-Bildungsberatung bietet zahlreiche Hilfestellungen bei Bildungs- und Berufsentscheidungen. Auch der individuellen Berufs­orientierung kommt eine wesentliche Bedeutung zu (vgl. § 13b Schulunterrichtsgesetz).


 

 

 

 

 Auch chronisch kranke, schulpflichtige Schülerinnen und Schüler haben ihre allgemeine Schulpflicht zu erfüllen, sofern sie nicht gemäß § 15 Schulpflichtgesetz 1985 vom Schulbesuch befreit sind. Bei allen allfällig begleitenden psychischen Komorbiditäten unterstützen und beraten Schulpsychologinnen und Schulpsychologen die Eltern und die Pädagoginnen und Pädagogen.

Bei der Betreuung und Beaufsichtigung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher variiert die Art und Intensität der Betreuung je nach Alter und persönlicher Eigenart der Schülerinnen und Schüler sowie je nach Situation. „Fürsorge“ bedeutet nicht, eine chronisch kranke Schülerin bzw. einen chronisch kranken Schüler von der Schule, vom Unterricht und auch von Schulveranstaltungen auszuschließen, sondern es ist die Planung und Durchführung des Unterrichts bzw. der Schulveranstaltung zu modifizieren (zB. je nach Erkrankung kann darunter eine vorherige Notfallplanung, eine bestimmte Nahrungsmittelauswahl, das Erlauben des Essens während des Unterrichtes sowie ein selektives Angebot bei Sportveranstaltungen fallen). Um die Kommunikation zwischen Schule und Eltern chronisch kranker Kinder zu unterstützen, besteht eine enge Kooperation des Schulärztlichen Dienstes mit der Plattform Elterngesundheit (PEG).

Zur Forderung nach Umsetzung und Anwendung der bereits gesetzlich festgelegten Rechte für Kinder mit chronischen Erkrankungen auf Basis des 4. Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes, des Art. 7 des Bundes­verfassungsgesetzes sowie anderer relevanter rechtlicher Regelungen wird darauf hingewiesen, dass das Gebot der Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung mit Menschen ohne Behinderung (Art. 7 B-VG) im Schulrecht dadurch umgesetzt wird, dass Kinder mit chronischen Erkrankungen bzw. mit Behinderungen von allen Schulrechtsvorschriften grundsätzlich mitumfasst sind und dass darüber hinaus fördernde Bestimmungen auf die besondere Situation von Kindern bzw. Jugendlichen mit Behinderung bzw. mit chronischen Erkrankungen Bedacht nehmen. Dazu zählen insbesondere jene Bestimmungen, die im Pflichtschulbereich die Feststellung von Behinderungen regeln (§ 8 Schulpflichtgesetz 1985), besondere Fördermöglichkeiten in Sonderschulen vorsehen (§§ 22 ff Schulorganisationsgesetz, Lehrpläne der verschiedenen behinderungsspezifischen Arten von Sonderschulen, § 25 Schulunterrichts­gesetz, ua.), die Wahl von integrativem Unterricht ermöglichen (§ 8a Schulpflichtgesetz 1985 iVm §§ 9, 15, 21a, 28 und 34 Schulorganisationsgesetz), die Höchstdauer des Schulbesuches regeln (§ 32 Schulunterrichtsgesetz) sowie Lehrplanabweichungen ermöglichen.

Die chronisch kranken Schülerinnen und Schüler werden mit einer Vielzahl an Belastungen konfrontiert, die auch ihre schulische Leistung beeinflussen können. Lehrerinnen und Lehrer müssen einschätzen können, welche Rücksichtnahme diese Schülerin bzw. dieser Schüler im Unterricht bzw. bei Leistungsfeststellungen braucht. Einige schulrechtliche Bestimmungen nehmen auf derartige Umstände nach Aufnahme in die Schule Rücksicht (vgl. ua. den Regelungsgehalt der §§ 11 Abs. 6 und 18 Abs. 6 des Schulunterrichtsgesetzes idgF. sowie §§ 2 Abs. 4 und 11 Abs. 8 der Leistungsbeurteilungsverordnung idgF.). Die Art und der Umfang der Anwendung der speziellen schulrechtlichen Bestimmungen ist eine pädagogische Entscheidung, die mit größtmöglicher Verantwortung zu treffen ist.

Ferner wird darauf verwiesen, dass insbesondere auch im Rahmen des Unterrichts an berufs­bildenden Schulen eine Reihe von Maßnahmen, mit denen chronisch kranke Jugendliche unter­stützt werden, verankert wurden: Beispielhaft wird darauf hingewiesen, dass in den neuen Rahmenlehrplänen der Berufsschulen besonderes Augenmerk auch auf die Prävention berufs­spezifischer Erkrankungen gelegt wird. Ferner gibt es an den berufsbildenden Schulen spezielle Vorrichtungen bei langem Unterricht und Medienunterstützung.

Im Rahmen der neuen Reifeprüfung bzw. Reife- und Diplomprüfung wurde im Hinblick auf Kandidatinnen und Kandidaten mit Beeinträchtigungen in den Prüfungsordnungen der allgemein bildenden höheren Schulen und der berufsbildenden höheren Schulen sowie der höheren Anstalten der Lehrer- und Erzieherbildung besondere Regelungen hinsichtlich der Durchführung der Reifeprüfung bzw. Reife- und Diplomprüfung bzw. Diplomprüfung von Prüfungskandidatinnen und Prüfungskandidaten mit Körper- oder Sinnesbehinderungen verankert, die ohne Änderung des Anforderungsniveaus eine nach Möglichkeit barrierefreie Ablegung der Prüfung durch die betreffende Prüfungskandidatin oder den betreffenden Prüfungskandidaten ermöglichen. So obliegt die Festlegung der Vorkehrungen im organisatorischen Ablauf und in der Durchführung der Reifeprüfung bzw. Reife- und Diplomprüfung bzw. Diplomprüfung der oder dem Vorsitzenden basierend auf den Vorschlägen der Schulleitung. Den betroffenen Prüfungskandidatinnen und Prüfungskandidaten sind die nötigen (technischen) Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.

Weiters hat das Bundesministerium im Jahr 2011 die Broschüre „Das chronisch kranke Kind im Schulsport“ überarbeitet und Exemplare an alle Schulen versendet. Darüber hinaus wurde die Schulaufsicht für Bewegung und Sport für dieses Thema, in einigen Dienstbesprechungen, sensibilisiert. Ergänzend wurden an den Pädagogischen Hochschulen Fortbildungen von entsprechend geschulten Schulärztinnen und -ärzten für interessierte Lehrerinnen und Lehrer angeboten.

Der Schulärztliche Dienst des Bundesministeriums für Bildung und Frauen ist mit der Erarbei­tung von Vorschlägen zur Thematik der chronisch kranken Kinder in der Schule befasst. Für die Sensibilisierung und Fortbildung von Lehrpersonen in Bezug auf Schülerinnen und Schüler mit chronischen Erkrankungen sind Maßnahmen, wie eine Handreichung und ein Film, in Planung.

Zu den Ausführungen „Falls Unterstützungsleistungen durch Gesundheits- oder Assistenzberufe für die Ausbildung von Kindern zusätzlich erforderlich sind, müssen sie den Kindergärten und Schulen ohne Extrakosten für die Betroffenen zur Verfügung gestellt werden.“ sei bemerkt, dass pflegerische Tätigkeiten medizinisches Fachwissen erfordern, weshalb sie nach dem Gesundheits- und Krankenpflegesetz (GuKG) nur von Angehörigen der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe durchgeführt werden dürfen. Gemäß der Anlage Teil 2 Abschnitt G Z1 zu § 2 Bundesministeriengesetz 1986 idgF. fallen die Gesundheitsvorsorge für die schulbesuchende Jugend sowie die Gesundheitspflege in ihrer Gesamtheit in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Gesundheit und damit in den Verantwortungsbereich der Gesundheitsbehörden. Nicht alles, was in Verbindung mit oder im Umfeld von Schulen stattfindet, stellt eine Angelegenheit der Schulverwaltung dar. Krankenpflege bildet daher kein Aufgabenfeld der Schulverwaltung.

Eine allfällige Bereitstellung des personenbezogenen Unterstützungspersonals für helfende Tätigkeiten im Rahmen des Unterrichts obliegt den jeweiligen Schulerhaltern (für die öffentlichen Pflichtschulen sind dies das Land, die Gemeinde, der Gemeindeverband, für alle anderen öffentlichen Schularten der Bund). Hinsichtlich der öffentlichen Pflichtschulen darf sohin auf die Kompetenz der Länder hingewiesen werden. Die gesetzliche Regelung betreffend die öffentlichen Pflichtschulen findet sich in § 10 Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz. Unterschiedliche Regelungen im Bereich der öffentlichen Pflichtschulen sind im Hinblick auf die Kompetenz der Bundesländer zur Erlassung von Ausführungsgesetzen betreffend die äußere Organisation der Pflichtschulen möglich.

Tatsächlich wird an vom Bund erhaltenen öffentlichen Schulen manches im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Frauen finanzierten persönlichen Assistenz aufgefangen, sodass in vielen Fällen Probleme gar nicht erst entstehen. Chronische Erkrankungen können eine körperliche Behinderung im Sinn von § 3 Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz darstellen. In Bezug auf körperbehinderte Schülerinnen und Schüler an vom Bund erhaltenen öffentlichen Schulen wird auf das Rundschreiben Nr. 4/2013 verwiesen, aus dem sich die näheren Voraussetzungen für das Gewähren einer persönlichen Assistenz und die Modalitäten der Abwicklung ergeben.

Zur Forderung nach Rechtssicherheit für alle diejenigen, die Kindern in Ausübung ihres Berufes Unterstützungsleistungen gewähren, sei darauf hingewiesen, dass Lehrkräfte in Verbindung mit der gesundheitlichen Betreuung von Schülerinnen und Schülern zunächst alle Tätigkeiten durchzuführen haben, die kein medizinisches Fachwissen erfordern und die deshalb auch nicht unter dem Vorbehalt des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (§ 3 GuKG) stehen. Das wird durch die allgemeine Aufsichtspflicht gemäß § 51 Abs. 3 Schulunterrichtsgesetz bewirkt, wonach die Schülerinnen und Schüler zu beaufsichtigen sind, soweit dies nach dem Alter und der geistigen Reife erforderlich ist. Dabei hat die Lehrkraft insbesondere auf die körperliche Sicherheit und auf die Gesundheit der Schüler zu achten. Das Wahrnehmen solcher Tätigkeiten ist eine sich aus der lehramtlichen Stellung ergebende sonstige Obliegenheit. Zu ihnen gehören beispielsweise das Überwachen einer Medikamenteneinnahme oder das Verabreichen von Tabletten oder Tropfen nach ärztlicher Verschreibung. Hier handelt es sich noch um kein Verabreichen von Arzneimitteln im Sinn von § 15 Abs. 5 GuKG, sondern um eine mit der Nachbarschafts- oder Familienhilfe vergleichbare Situation, womit eine Möglichkeit der Berufung auf § 3 Abs. 3 GuKG besteht.

Tätigkeiten, die das, was einer medizinischen Laiin bzw. einem medizinischen Laien üblicher­weise abverlangt werden darf, hingegen überschreiten, setzen eine ärztliche Übertragung nach § 50a Ärztegesetz voraus. Ohne eine solche Übertragung darf diese Art von Tätigkeiten von Lehrkräften nicht ausgeführt werden. Ein Übergang auf Lehrpersonen wird durch § 50a Ärzte­gesetz verhindert. Die Übernahme von Tätigkeiten, die medizinische Kenntnis erfordern und somit eine ärztliche Übertragung nach § 50a Ärztegesetz voraussetzen, kann abgelehnt werden. Unter diese Kategorie fällt etwa das Verabreichen von Injektionen. Immer zulässig und von der Rechtsordnung sogar gefordert (§ 95 StGB), ist hingegen das Leisten von Erster Hilfe.

Freiwillig übernommene Tätigkeiten sind nach Judikatur und Lehre grundsätzlich kein Vollziehen von Gesetzen. Damit würde eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechtes (§ 1 AHG) wegfallen. Als Folge davon könnte die Lehrkraft von der Schülerin bzw. von dem Schüler unmittelbar in Anspruch genommen werden. Sie hätte in diesem Fall zunächst nur die Möglichkeit, der Republik den Streit zu verkünden und sie aufzufordern, auf ihrer Seiten als Nebenintervenientin dem Verfahren beizutreten. Denkbar wäre jedoch auch in dieser Konstellation eine Erweiterung der Aufsichtspflicht, womit die Amtshaftung wiederum zum Tragen käme. Die Beurteilung nach dem Amtshaftungsgesetz obliegt im jeweiligen konkreten Anlassfall jedenfalls den ordentlichen Gerichten.

Wien, 30. Jänner 2015

Für die Bundesministerin:

Mag. Angela Weilguny

 

 

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