68/SBI XXV. GP

Eingebracht am 13.04.2015
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Stellungnahme zu Bürgerinitiative

 

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Doris Bures

Parlament

1017 Wien

 

 

                                                                          Wien, am 10. April 2015

 

                                                                                            Geschäftszahl:

                                                                          BMWFW-10.107/0023-IM/a/2014

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

In der Beilage übermittle ich Ihnen die Stellungnahme meines Ressorts zur
Bürgerinitiative Nr. 54 betreffend "Nein zum Comprehensive Economic and Trade Agreement Abkommen (CETA)" mit dem höflichen Ersuchen um entsprechende weitere Veranlassung.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

 

Anlage


 

 

 

 

 


Stellungnahme des Bundesministeriums
für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft

 

 

Das "Comprehensive Economic and Trade Agreement" (CETA) ist das erste    Freihandelsabkommen der Europäischen Unionen mit einem hochentwickelten Industriestaat. Ziel ist ein ambitioniertes Abkommen, das neben dem weit-gehenden Abbau noch bestehender Zölle den gegenseitigen Marktzugang für  Waren und Dienstleistungen deutlich verbessern soll.

 

Bilaterale Außenwirtschaftsbeziehungen

 

Kanada ist traditionell ein wichtiger und dynamisch wachsender Handelspartner Österreichs in Übersee. Mit einer überdurchschnittlichen Steigerung von 10 % erreichten die österreichischen Exporte 2014 € 1,01 Mrd., denen Importe von € 363 Mio. gegenüberstanden. Nach letztverfügbaren Zahlen für das Jahr 2013 stiegen die österreichischen Dienstleistungsexporte um rund 0,5 % auf € 185 Mio.

 

Der Bestand der österreichischen Direktinvestitionen im Ausland betrug nach letztverfügbaren Zahlen für 2013 an die € 170 Mrd., davon entfielen € 1,5 Mrd. auf österreichische Direktinvestitionsbestände in Kanada. Seit 2006 haben sich die österreichischen Direktinvestitionsbestände damit verdreifacht.

 

Um dieses Potenzial weiter zu entwickeln, hat Österreich wie die anderen        EU-Mitgliedstaaten das Projekt eines solchen Abkommens unterstützt; dies selbstverständlich immer unter der Voraussetzung, dass wesentliche europäische und österreichische Interessen, wie etwa der Schutz hoher Umwelt-, Sozial- und  Konsumentenstandards, gewährleistet bleiben. Das Abkommen trägt diesen   Erfordernissen nicht zuletzt auf Druck Österreichs Rechnung.


Aufgrund dieser bedeutenden Außenwirtschaftsbeziehungen Österreichs mit   Kanada sind aus dem Abkommen durchaus signifikante wirtschaftliche Vorteile zu erwarten. Der laut einer Studie von Joseph Francois und Olga Pindyuk (http://www.fiw.ac.at/fileadmin/Documents/Publikationen/Studien_2012_13/03-ResearchReport-FrancoisPindyuk.pdf) für Österreich erwartete Exportanstieg (Waren und Dienstleistungen) ist beachtlich und beträgt 50 %, wobei die größten Anstiege bei Nahrungsmitteln (131 %), Textilien und Bekleidung (116 %), Motor-fahrzeugen (88 %), sonstiger Transportausrüstung (60,3 %) und elektrischen Maschinen (66,2 %) erwartet werden; hauptsächlich wegen der Beseitigung nichttarifarischer Handelshemmnisse.

 

Transparenz und Information

 

Sowohl das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, als auch die Europäische Kommission stellen auf ihren jeweiligen Webseiten zahl-reiche Informationen zu den Verhandlungen über CETA sowie zu den erzielten Verhandlungsergebnissen zur Verfügung.

 

Auf den Seiten des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und      Wirtschaft finden sich laufend aktualisierte Informationen unter folgendem Link: http://www.bmwfw.gv.at/ceta

 

Ebenso stellt die Europäische Kommission auf ihrer Homepage unter dem Link http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ceta/ ausführliche Informationen zur Verfügung.

 

Verhandlungsverlauf

 

Die Entscheidung über die Aufnahme der CETA-Verhandlungen erfolgte im Früh-jahr 2009, als der EU-Rat das Verhandlungsmandat für die Europäische      Kommission beschlossen hat. Darin sind die wesentlichen Themen und Ver-handlungsziele der EU dargestellt.

 

2011 erfolgte eine Ausweitung des ursprünglichen Mandats auf Investitions-bestimmungen einschließlich Bestimmungen zu Investor-Staat-Streitbeilegungs-verfahren (ISDS), die ebenfalls einstimmig beschlossen wurde.


In den letzten fünf Jahren führte die Europäische Kommission die Verhandlungen für die EU und die Mitgliedstaaten auf der Basis dieser Verhandlungsrichtlinien.

 

Die Verhandlungen wurden insbesondere im EU-Ratsausschuss Handelspolitik behandelt, an dem Vertreter des federführend zuständigen Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft regelmäßig teilnehmen. Die öster-reichinterne Koordinierung erfolgte in laufend stattfindenden interministeriellen Besprechungen. Die betroffenen Ministerien und die Sozialpartner erhielten dabei laufend Gelegenheit, schriftliche Stellungnahmen zu den jeweiligen Ver-handlungsinhalten abzugeben.

 

Nachdem bereits im Oktober 2013 eine politische Einigung in den Schlüssel-bereichen zwischen der EU und Kanada erreicht wurden, wurden die Ver-      handlungen Anfang August 2014 abgeschlossen und die vorläufig ausverhandel-ten Abkommenstexte den EU-Mitgliedstaaten zur Prüfung übermittelt. Im Sinne bestmöglicher Transparenz sind diese Texte öffentlich zugänglich; es ist dies das erste Mal, dass ein Abkommenstext noch vor der Unterzeichnung durch die Verhandlungspartner veröffentlicht wird.

 

Nunmehr findet die Überprüfung der Abkommenstexte durch die EU-Mit-       gliedstaaten statt. Gleichzeitig erfolgt das sogenannte "legal scrubbing", also die Überprüfung durch die EU-Sprachjuristen. Danach haben die Übersetzungen in die EU-Sprachen zu erfolgen.

 

Nach einer abschließenden internen Behandlung in der Europäischen Kommission wird der formelle Vorschlag der Europäischen Kommission an den Rat zwecks Genehmigung des Abkommens und Unterzeichnung sowie die Befassung des  Europäischen Parlaments zwecks Genehmigung des Abkommens vorzulegen sein. Nach Auffassung Österreichs und sämtlicher anderer EU-Mitgliedstaaten handelt es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen, welches daher vom öster-reichischen Parlament zu genehmigen ist.

 

Somit wird nach Genehmigung des Abkommens durch den Rat und Unter-zeichnung das Europäische Parlament zwecks Genehmigung des Abkommens zu befassen sein.


Im Anschluss daran erfolgt die Einleitung und Durchführung der Ratifikationsver-fahren in allen 28 EU-Mitgliedstaaten entsprechend ihren internen Vorschriften.

 

 

Inhaltliches

 

Kein "ACTA durch die Hintertüre"

Für Österreich war und ist jedenfalls der EU-Acquis und die Absicherung des rechtlichen Besitzstands der EU und ihrer Mitgliedstaaten Basis für EU-Verhandlungsziele im Bereich der geistigen Eigentumsrechte (IPR).

 

Frühe Textentwürfe zum IPR-Kapitel vom Februar 2012, die gewisse Parallelen zu ACTA-Texten aufwiesen, haben keinen Eingang in den Abkommensentwurf     gefunden. Bei der Verhandlung des IPR-Kapitels wurde der Entscheidung des   Europäischen Parlaments zum ACTA-Abkommen Rechnung getragen.

 

Die diesbezüglich relevanten, öffentlich zugänglichen CETA-Bestimmungen      zeigen, dass die in der Bürgerinitiative geäußerten Bedenken unbegründet sind. So sind zum Beispiel keine zwingenden strafrechtlichen Bestimmungen enthalten.

 

Für die EU und Österreich ging es beim Schutz der geistigen Eigentumsrechte insbesondere um eine Anhebung des IPR-Schutzniveaus in Kanada in Bereichen, bei denen bisher Probleme aufgetreten sind. Dies betrifft eine Verbesserung des Urheberrechtsschutzes (zum Beispiel für Musikschaffende und Künstler), die  Verstärkung des Schutzes für wesentliche agrarische geographische Herkunfts-bezeichnungen der EU (zum Beispiel "Prosciutto di Parma") bzw. für Österreich ("Tiroler Speck", "Steirischeres Kürbiskernöl" und "Steirischer Kren") sowie eine Verbesserung des patentrechtlichen Schutzes insbesondere für pharmazeutische Produkte, da der bisherige Schutz in Kanada hinter dem in Industrieländern    üblichen Niveau zurückblieb.

 

Standards: Regulierungsautonomie - "right to regulate" - GMOs

Die Verhandlungen zu CETA und über die Transatlantische Handels- und          In-vestitionspartnerschaft (TTIP) bieten die Gelegenheit, unsere hohen         Standards auf globaler Ebene fest zu verankern. In beiden Verhandlungs-mandaten wurde deshalb eindeutig und unmissverständlich festgehalten, dass das Recht der Parteien zur Festlegung von Standards, das sogenannte "right to regulate", unberührt bleibt. Das bedeutet, dass jeder Vertragspartner weiterhin das Schutzniveau insbesondere für Gesundheit, Sicherheit, Konsumenten-,     Arbeits- und Umweltschutz nach eigenem Ermessen festlegen kann, die euro-päischen Standards gesichert bleiben und durch CETA bzw. TTIP nicht abgesenkt werden.

 

Das "right to regulate" ist in CETA bereits in der Präambel sowie u.a. in den    Kapiteln zu Nachhaltigkeit sowie Investitionen ausdrücklich festgehalten. Das heißt, dass die Vertragsparteien das Schutzniveau insbesondere für Gesundheit, Sicherheit, Konsumenten, Arbeits- und Umweltschutz nach eigenem Ermessen festlegen können. Für Österreich besonders wichtig ist, dass auch der Anwend-barkeit des Vorsorgeprinzips durch Verweis auf das WTO-Übereinkommen über die Anwendung sanitärer und phytosanitärer Maßnahmen Rechnung getragen wurde. Dies gilt insbesondere auch für Regelungen betreffen GMOs.

 

Investitionsschutz (ISDS)

Internationale Investitionsschutzabkommen haben sich über Jahrzehnte als    Instrumente bewährt, die die Rechtssicherheit im internationalen Geschäftsleben erhöhen, und kommen daher gerade einer exportorientierten Wirtschaft wie der österreichischen zugute.

 

In diesem Zusammenhang stellt CETA auch eine Chance dar, neue Standards für ein modernes und ausgewogenes Investitionsschutzverfahren zu schaffen,     welches den wesentlichen Kritikpunkten am jetzigen System Rechnung trägt und insbesondere eine adäquate Balance zwischen legitimen Rechtsschutzinteressen der Investoren und dem Recht der EU bzw. ihrer Mitgliedsstaaten, im öffentlichen Interesse Regelungen zu erlassen, gewährleistet.

 

Diskussion über die notwendige Reformierung und Weiterentwicklung des       Investitionsschutzes gegenüber Drittstaaten erfolgt dabei im Hinblick auf    Transparenz, Rechtstaatlichkeit, Nachvollziehbarkeit und die Verstärkung des Regulierungsrechts.


Wie bereits erwähnt, ist das Regulierungsrecht im vorliegenden Vertragsentwurf ausdrücklich verankert. So sind die Voraussetzungen einer einklagbaren        Verletzung des Gebots einer fairen und gerechten Behandlung von Investoren ("fair and equitable treatment") auf Fälle eingeschränkt, die die betreffende Maßnahme regelmäßig auch im Rahmen der nationalen Rechtsordnung anfecht-bar machen würden. Das Vorliegen einer einklagbaren indirekten Enteignung wird wiederum dann ausdrücklich ausgeschlossen, wenn die betreffende Maß-nahme legitime öffentliche Wohlfahrtsziele verfolgt. Diese restriktiven Kriterien wären selbstverständlich auch auf nationale Bestimmungen in Bereichen wie gentechnisch veränderte Produkte oder Förderung unkonventioneller Gasvor-kommen anwendbar. Diese Bestimmungen sind für Schiedsgerichte bindend.

 

Schiedsgerichte, die gemäß den Bestimmungen des Vertragsentwurfs ein-gerichtet werden, genügen hohen Transparenzstandards. Der Vertragstext schreibt die Anwendung eines jüngst durch die UN-Generalversammlung verab-schiedeten Standard-Regelwerks (Transparenzregeln der United Nations     Commission on International Trade Law, UNCITRAL) ausdrücklich vor und ist in einzelnen Punkten, etwa betreffend die Öffentlichkeit von Beweisstücken, sogar noch strikter. Der resultierende Transparenzgrad ist damit demjenigen inner-staatlicher Gerichtsverfahren vergleichbar; er geht teilweise, etwa bei der Ver-öffentlichung der Klage und von Schriftsätzen, sogar darüber hinaus.

 

Zu den angesprochenen Klagen von Konzernen und die in den Raum gestellte Möglichkeit, dass TTIP hinsichtlich ISDS durch CETA überflüssig werden könnte, ist festzuhalten, dass nach dem vorliegenden Text von CETA rechtlich unselbst-ständige Zweigniederlassungen von Investitionsschutzbestimmungen aus-drücklich ausgeschlossen sind. Für eine "Filiale" einer US-amerikanischen Firma in   Kanada besteht daher im Normalfall keine Klagsmöglichkeit gegen die EU oder einen Mitgliedstaat unter CETA. Investoren, die nach dem Vertragstext   gegen die EU oder einen Mitgliedstaat klagsberechtigt sind, müssen nach       kanadischem Recht gegründet oder geführt/organisiert sein und im Regelfall eine substantielle Geschäftstätigkeit in Kanada ausüben. Alternativ wäre nur eine   Eigentümerschaft des Unternehmens durch einen kanadischen Staatsbürger oder die kontrollierende Stellung eines anderen Unternehmens, das aber selbst      wiederum eine substantielle Geschäftstätigkeit in Kanada ausüben muss, zu-gelassen.


Allgemein hat die Überprüfung des Verhandlungstexts im Investitionsbereich  ergeben, dass das Verhandlungsergebnis in seinen wesentlichen Punkten öster-reichischen Positionen entspricht, etwa bezüglich der erwähnten Sicherstellung des Regulierungsrechts, einer hohen Verfahrenstransparenz und der Präzisierung zentraler Rechtsbegriffe wie "fair and equitable treatment". Gleichzeitig bestehen aus österreichischer Sicht durchaus Punkte, die noch weiterer Diskussion        be-dürfen, insbesondere die Regelung allfälliger Restrukturierungen von Staats-anleihen und das Verhältnis von Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) und     nationalen Gerichtsverfahren. Die im Jänner 2015 präsentierten Ergebnisse der öffentlichen Konsultation betreffend ISDS in TTIP haben formal zwar keine Aus-wirkungen auf das CETA-Verhandlungsergebnis. Österreich hat aber, wie auch andere EU-Mitgliedstaaten, zum Ausdruck gebracht, dass es den Konsultations-prozess sehr ernst nimmt und daher eine endgültige Genehmigung von CETA im EU-Rahmen jedenfalls so erfolgen sollte, dass die Vorschläge, die die Europäische Kommission für das Frühjahr 2015 angekündigt hat, noch diskutiert und dem Ergebnis des Diskussionsprozesses entsprechend berücksichtigt werden können.