87/SBI XXV. GP

Eingebracht am 29.06.2015
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Stellungnahme zu Bürgerinitiative

Parlamentsdirektion

Parlament

1017 Wien

per E-Mail

Parlamentsdirektion, Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen, Bürgerinitiative Nr. 66 betreffend „Halbe - Halbe -> Doppelresidenz (für Trennungskinder)“; Ressortstellungnahme

Das Bundesministerium für Bildung und Frauen erlaubt sich zu der übermittelten Bürgerinitiative Nr. 66 betreffend „Halbe - Halbe -> Doppelresidenz (für Trennungskinder)“ wie folgt Stellung zu nehmen:

Vorweg darf darauf hingewiesen werden, dass Materien des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetz­buches (ABGB) in die federführende Zuständigkeit des Bundesministeriums für Justiz fallen.

Aus Sicht des Bundesministeriums für Bildung und Frauen ist das Wohl des Kindes entscheidend.

Mit dem KindNamRÄG 2013 hat der Gesetzgeber die Bestimmungen hinsichtlich Obsorge und Kontaktrecht neu geregelt und dabei zum Ausdruck gebracht, dass beide Elternteile in die Verantwortung um das Kindeswohl und in die Erziehung des Kindes einzubeziehen sind. Auch wenn das Gesetz seither relativ weitgehende Regelungen auch betreffend Betreuung und Obsorge vorsieht, muss nach dem Willen des Gesetzgebers ein Elternteil mit dem hauptsäch­lichen Aufenthalt und der primären Betreuung des Kindes betraut werden. Aus Sicht des Gesetzgebers dient die Festlegung eines hauptsächlichen Aufenthalts für das Kind auch dazu, dem Kind einen stabilen örtlichen und persönlichen Bezugspunkt zu bieten und die psychische Belastung für Kinder nach Trennung nicht durch wechselnde Aufenthaltsorte weiter zu erhöhen.

Das Doppelresidenzmodell stellt hohe Anforderungen an alle Familienmitglieder und verlangt ein großes Maß an Kooperation, Kommunikation, Einfühlungsvermögen und Toleranz, speziell durch die Elternteile. Bei einer Doppelresidenz ist die Umgebungskontinuität manchmal nicht gegeben (es sei denn, die Eltern wohnen nicht weit voneinander) und dieses Modell erfordert eine sehr hohe Fähigkeit der Kinder, Veränderungen zu verkraften und sich an neue Gegeben­heiten anzupassen.

 

Vor allem im Fall von konfliktreichen Trennungen würde dieses Modell kontraproduktiv sein und die psychische Belastung für alle Beteiligten, besonders aber für die Kinder, erhöhen. In jenen Fällen, die auch bei der Trennung nur ein geringeres Konfliktpotential haben, ist eine einvernehmliche annähernd gleichteilige Betreuung jetzt schon möglich. Auch hier müssen die dadurch entstehenden (psychischen) Belastungen im Hinblick auf das Kindeswohl kritisch analysiert werden.

Da das Modell der Doppelresidenz (auch Wechsel-, Wandel-, Pendel- oder Paritätsmodell genannt) im österreichischen Familienrecht nicht vorgesehen ist, hat jener Elternteil, bei welchem das Kind nicht seinen Hauptaufenthalt hat, auch bei annähernd gleicher Betreuung seinen Unterhaltbeitrag grundsätzlich in Geld zu leisten, während der andere Elternteil seine Unterhaltspflicht durch die Betreuung des Kindes erfüllt (§ 231 Abs. 2 ABGB).

Beim Ermöglichen einer Doppelresidenz müsste vor allem bei schulpflichtigen Kindern die zu besuchende Schule zwischen den Eltern vereinbart werden. Auch unter Anhörung bzw. Berück­sichtigung der Meinung des Kindes bzw. des Jugendlichen. Können sich die Eltern nicht einigen, müsste wohl das Gericht entscheiden, wobei diese Entscheidung auch zeitgerecht sein muss. Leben die Eltern zu weit voneinander entfernt, wird sich durch den Schulbesuch ein faktischer hauptsächlicher Aufenthaltsort ergeben, womit sich an der tatsächlichen Situation nichts ändert. Nach wie vor lebt das Kind bzw. der Jugendliche zum größten Teil bei einem Elternteil, der damit auch die Hauptlast der mit der Obsorge verbundenen Arbeit und Verantwortung trägt.

Nach der aktuellen höchstgerichtlichen Rechtsprechung führt jeder Tag, der über das übliche Ausmaß des Besuchsrechts hinausgeht, zu einer Reduktion des Geldunterhalts von rund 10 % pro Tag. Bei einer annähernd gleichteiligen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile, wie dies bei der Doppelresidenz der Fall ist, führt der genannte Pauschalabzug in Höhe von 10 % pro zusätzlichem „Besuchstag“ oft zu einer unbefriedigenden Lösung, da die Verminderung des Geldunterhalts den wechselseitigen Leistungen nicht gerecht wird. Je größer die Einkommens­unterschiede der beiden getrenntlebenden Elternteile ist, umso kritischer muss aus Sicht des Kindeswohls diese Aufrechnung gesehen werden.

Auch um hier gesetzlich keine Möglichkeit des gänzlichen Unterhaltsausschlusses zu eröffnen und negative Auswirkungen auf die finanzielle Sicherung des Kindes hintanzuhalten, wurde im Zuge des KindNamRÄG 2013 seitens des Gesetzgebers die Möglichkeit zur gleichteiligen Aufteilung des Aufenthalts gerade nicht im Gesetz verankert.

Die Festlegung eines hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes nach Trennung der Eltern ist darüber hinaus auch zur Sicherstellung weiterer Rechte und Transferleistungen vor allem für das Kind wesentlich. An den hauptsächlichen Aufenthalt sind diverse weitere Rechtsvorschriften geknüpft wie etwa der Bezug der Familienbeihilfe, Ansprüche auf Wohn-/Mietbeihilfe, steuer­rechtliche Regelungen oder die meldegesetzlichen Bestimmungen.

Im Zuge der Beschlussfassung des KindNamRÄG 2013 wurde auch eine Evaluierung der Maßnahmen vereinbart. Vor einer allfälligen weiteren Änderung des Familienrechts sind die Ergebnisse dieser Evaluierung jedenfalls abzuwarten.


 

Im Sinne der Rechtssicherheit, dem Bezug zu rechtlichen Ansprüchen und vor allem im Hinblick auf das Kindeswohl wird eine gesetzliche Verankerung des Modells der Doppelresidenz aus Sicht des Bundesministeriums für Bildung und Frauen abgelehnt. Umso mehr gilt dies für die geforderte Regelung, das Doppelresidenzmodell als Regelmodell vorzusehen, da es gerade bei hochstrittigen und konfliktbehafteten Situationen nach Trennungen zu einer Verstärkung der Konflikte und damit zu einem erhöhten Loyalitätskonflikt des Kindes führen würde. Es ist schwer zu erkennen, welche Verbesserung die Initiative für die betroffenen Kinder und Jugendlichen bringen soll.

Wien, 29. Juni 2015

 Für die Bundesministerin:

SektChef Ing. Mag. Andreas Thaller

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