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Frau Präsidentin

des Nationalrates

Doris Bures

im Hause

 

                                                                                                Wien, 14. November 2014

 

Sehr verehrte Frau Präsidentin des Nationalrates!

sehr geehrter Vorsitzender des Geschäftsordnungsausschusses!

 

Eingangs wird auf das Schreiben der Präsidentin des Bundesrates vom 6. November 2014 hingewiesen, das folgendermaßen lautet (Hervorhebungen nicht im Original): „Auf Einladung zur Stellungnahme im Begutachtungsverfahren zu den Anträgen 718/A, 719/A und 720/A wird nach Befassung der Präsidialkonferenz des Bundesrates folgendes mitgeteilt: Die Präsidialkonferenz des Bundesrates hat sich in zwei Sitzungen ausführlich mit dem Thema dieser Anträge befasst. Inhaltlich gibt es zwei Meinungen: einerseits, dass die Neuregelung die Möglichkeit eröffnet, eine Neuregelung der außerberuflichen Immunität der Mitglieder des Bundesrates insgesamt vorzunehmen, andererseits, dass die Behandlung der außerberuflichen Immunität durch die Landtage weiterhin wünschenswert erscheint. Es wurde vereinbart, dass die einzelnen Bundesratsfraktionen ihre jeweiligen Standpunkte in eigenen Stellungnahmen darlegen können.

Entsprechend dieser Vereinbarung gibt die Bundesratsfraktion der ÖVP

·       zum Antrag betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, das Strafgesetzbuch, die Strafprozeßordnung 1975, die Nationalrats-Wahlordnung 1992, das Bundesbezügegesetz und das Mediengesetz (718/A) und

·       zum Antrag betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird und ein Bundesgesetz über die Informationsordnung des Nationalrates und des Bundesrates (Informationsordnungsgesetz - InfOG) erlassen wird (720/A)

folgende Stellungnahme ab:

1.      Rückblick:

In Erinnerung gerufen werden die Beschlüsse der Landtagspräsidentenkonferenz vom 27. Mai 2014 und vom 20. Oktober 2014, denen sich die Bundesratsfraktion der ÖVP vollinhaltlich anschließt:

a.      Beschluss der Landtagspräsidentenkonferenz vom 27. Mai 2014 (Hervorhebungen nicht im Original):

 

„Die Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage haben sich in der Vergangenheit wiederholt mit der Frage der Immunität von Abgeordneten auseinandergesetzt. Gegenstand der Diskussionen waren unter anderem Fragen der sachlichen bzw. außerberuflichen Immunität. Mögliche Änderungen der (bundesverfassungs‑)rechtlichen Grundlagen betreffend die Immunität von Abgeordneten sind – vor dem Hintergrund des Art 96 B-VG – von entscheidender Bedeutung auch für die Landtage.

Die Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage bekennen sich zum Rechtsinstitut der Immunität sowie zu seiner sinnvollen und zweckmäßigen Weiterentwicklung. Die Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage fordern deshalb eine offene Diskussion über eine Neuregelung der Immunität von Abgeordneten, sowie die Landtage bzw. die Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage rechtzeitig zu informieren und geeignete Schritte zu unternehmen, dass deren Standpunkte gehört werden und in den Entscheidungsprozess einfließen können.

Die Landtagspräsidentenkonferenz ersucht daher, jedenfalls den/die jeweils in der Landtagspräsidentenkonferenz Vorsitz führende/n Landtagspräsidenten/in in die Beratungen einzubeziehen.“

b.      Beschluss der Landtagspräsidentenkonferenz vom 20. Oktober 2014 (Hervorhebungen nicht im Original):

„Die LandtagspräsidentInnenkonferenz stellt fest, dass auf Bundesebene eine Reihe von Projekten bzw. Reformvorhaben in Verhandlung stehen, die teilweise mittelbare und teilweise unmittelbare Auswirkungen auf die Länder bzw. Landtage haben werden. Insbesondere betrifft dies die Bereiche Immunität, Untersuchungsausschuss, Beseitigung Amtsverschwiegenheit bzw. Informationsfreiheit sowie Bundesrat. Auf die diesbezüglichen Beschlüsse der LandtagspräsidentInnenkonferenz vom 27. Mai 2014 betreffend 'Immunität von Abgeordneten', 'Abschaffung der Amtsverschwiegenheit' und 'Reform des Bundesrates' wird verwiesen (Beilage).

Zu den auf Bundesebene laufenden Gesprächen zur Änderung der Immunitätsregelungen für Abgeordnete des Nationalrates und Mitglieder des Bundesrates, der Reform des Untersuchungsausschusses sowie der Beseitigung der Amtsverschwiegenheit bzw. Informationsfreiheit

·       bekräftigt die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage einerseits die Forderung nach Einbeziehung der Landtage in diese Gespräche und

·       betont andererseits, dass sämtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der strafgerichtlichen Verfolgung der Mitglieder des Bundesrates (einschließlich einer allfälligen Ermächtigung zur Verfolgung bei bestimmten Delikten) ausnahmslos bei dem jeweils entsendenden Landtag (oder einem von ihm zu bestimmenden Ausschuss) verbleiben müssen.“

 

 

 

2.      Status Quo Immunität für Mitglieder des Nationalrates, für Mitglieder der Landtage und für Bundesräte:

In Art. 57 B-VG ist die berufliche und die außerberufliche Immunität für die Mitglieder des Nationalrates festgelegt. In Fällen der außerberuflichen Immunität entscheidet über die Auslieferung von Mitgliedern des Nationalrates der Nationalrat selbst (unter Beteiligung des Immunitätsausschuss des NR).

Gemäß Art. 96 B-VG gelten für Landtagsabgeordnete dieselben Regeln hinsichtlich Immunität wie für Mitglieder des Nationalrates. Die Landtage entscheiden (unter Beteiligung ihrer Immunitätsausschüsse) in Fällen der außerberuflichen Immunität über die Auslieferung ihrer Landtagsabgeordneten selbst.

Die Mitglieder des Bundesrates genießen gemäß Art. 58 B-VG die Immunität von Mitgliedern des Landtages, der sie entsendet hat. Das bedeutet, dass in Fällen der außerberuflichen Immunität über Auslieferungen von Bundesräten die jeweiligen Landtage entscheiden.

3.      Zu Z 3 (Art. 57 Abs. 7) und Z 4 (Art. 58 B-VG) des Antrages 718/A:

a.      Kritik an der vorgeschlagenen Regelung:

Für den Nationalrat und den Bundesrat soll ein besonderes Bundesgesetz über die Informationsordnung des Nationalrates und des Bundesrates (InfOG) geschaffen werden. Dieses Gesetz soll die strafrechtliche Bewehrung der einer nach dem Bundesgesetz über die Informationsordnung des Nationalrates und des Bundesrates strafbaren Handlung (Delikt der Offenbarung einer klassifizierten Information der Stufe 3 oder 4) enthalten.

Im B-VG und im InfOG findet sich die Ausgestaltung des Delikts der Offenbarung einer klassifizierten Information der Stufe 3 oder 4 als Ermächtigungsdelikt. Die Ermächtigung zur Verfolgung von Mitgliedern des Nationalrates soll der Präsident des Nationalrates, die Ermächtigung zur Verfolgung von Bundesräten soll der Vorsitzenden des Bundesrates erteilen. Entgegen des einstimmigen Beschlusses der Landtagspräsidentenkonferenz vom 20. Oktober 2014 sollen die Landtage somit bei der strafgerichtlichen Verfolgung wegen des Delikts der Offenbarung einer klassifizierten Information nicht über die Verfolgung „ihrer“ Bundesräte entscheiden können. Die sonstigen Zuständigkeiten hinsichtlich Immunität sollen jedoch bestehen bleiben. Es gäbe folglich zwei unterschiedliche Organe, die über die strafgerichtliche Verfolgung von Bundesräten entscheiden.

Darüber hinaus sollen auch die berufliche und außerberufliche Immunität für die strafgerichtliche Verfolgung wegen Verleumdung durch Mitglieder des Nationalrates und durch Bundesräte durchbrochen werden. Zur strafgerichtlichen Verfolgung wegen Verleumdung ist die Notwendigkeit einer Ermächtigung jedoch nicht vorgesehen.

Diese neuen Regelungen haben aufgrund der oben dargestellten Verweiskette (Punkt 2.) auch Auswirkungen auf die Immunitätsregeln für Landtagsabgeordnete hinsichtlich Verleumdung und für Bundesräte hinsichtlich der strafgerichtlichen Verfolgung wegen Verleumdung und wegen des Delikts der Offenbarung einer klassifizierten Information.

 

Zusammenfassend werden aus Sicht der Bundesratsfraktion der ÖVP folgende Konsequenzen aus dem Entwurf abgelehnt:

o  Hinsichtlich der strafgerichtlichen Verfolgung von Bundesräten sollen gemäß dem Vorschlag in Zukunft zwei Organe zuständig sein.

o  Gemäß des Vorschlages würde ein von dem einen Bundesland entsandter Bundesrat als Vorsitzender des Bundesrates über die strafgerichtliche Verfolgung eines von einem anderen Bundesland entsandten Bundesrates entscheiden. Dieser Ansatz ist dem momentanen System des Immunitätsrechtes für Bundesräte, gemäß dem jenes Bundesland, das Bundesräte entsendet, auch für diese verantwortlich ist, völlig fremd.

o  Ein Bundesrat soll der direkten strafgerichtlichen Verfolgung wegen Verleumdung ausgesetzt sein, ohne dass ein Organ eines allgemeinen Vertretungskörpers zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Bundesrates dazwischen treten kann.

b.      Vorschlag der Bundesratsfraktion der ÖVP: Entsprechend den zitierten Beschlüssen der Landeshauptleutekonferenz aber entgegen dem übermittelten Antrag wird vorgeschlagen, ausschließlich die berufliche Immunität (Art. 57 Abs. 1 B-VG) für die strafgerichtliche Verfolgung wegen Verleumdung und wegen des Delikts der Offenbarung einer klassifizierten Information zu durchbrechen.

Die außerberufliche Immunität bliebe unverändert und würde in so einem Fall (z.B. Verleumdung einer Person oder Offenbarung einer klassifizierten Information in einer Sitzung des Nationalrates) zur Anwendung gelangen. Der Nationalrat bzw. der Immunitätsausschuss würde über die Auslieferung des Abgeordneten wie bisher entscheiden, weil die inkriminierte Handlung des Abgeordneten (Rede im Plenum) unzweifelhaft in einem Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit steht und daher die Genehmigung durch den Nationalrat für eine strafgerichtliche Verfolgung notwendig ist (Art. 57 Abs. 3 B-VG).

Weder die Verleumdung noch das Delikt der Offenbarung einer klassifizierten Information müssten als Ermächtigungsdelikte ausgestaltet werden, weil der Nationalrat und die Landtage weiterhin für die Auslieferung ihrer Abgeordneten bei allen Delikten zuständig blieben. Hinsichtlich der Zuständigkeiten der Landtage für die Auslieferung von Bundesräten würde sich dementsprechend nichts ändern. Die Verweiskette (Punkt 2.) könnte beibehalten werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass nach diesem Vorschlag in Bezug auf die strafgerichtliche Verfolgung wegen Verleumdung und wegen des Delikts der Offenbarung von klassifizierter Information durch Bundesräte hinsichtlich der in ihrem Beruf gemachten mündlichen oder schriftlichen Äußerungen vom System der beruflichen Immunität zu dem System der außerberuflichen Immunität gewechselt wird.

 

4.      Resümee:

Dieser eben dargestellte Vorschlag der Bundesratsfraktion der ÖVP würde die Forderung des Beschlusses der Landtagspräsidentenkonferenz vom 20. Oktober 2014 vollinhaltlich erfüllen. Es wäre sichergestellt, dass die Landtage auch weiterhin für die Auslieferung „ihrer“ Bundesräte hinsichtlich aller Delikte zuständig blieben. Trotzdem wäre dem Anliegen der Anträge 718/A und 720/A, dass in Zukunft Mitglieder des Bundesrates nicht unter dem Schutz der beruflichen Immunität verleumden oder klassifizierte Information offenbaren können, entsprochen, ohne das bewährte System des Immunitätsrechts grundlegend verändern zu müssen. Schließlich wäre garantiert, dass Bundesräte auch weiterhin soweit vor einer strafgerichtlichen Verfolgung geschützt sind, als es zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Bundesrates, über den einzig und allein die zur Entsendung berufenen Landtage entscheiden können, notwendig ist.

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Gottfried Kneifel

Obmann der ÖVP-Bundesratsfraktion