Frau
Abgeordnete Mag. Gertrude Aubauer
Österr. Parlament
Wien

Sehr geehrte Frau Abgeordnete,

ich habe Anfang Mai 2014 ein Ereignis herbeigeführt und am 29. Mai d. J. einen Bericht darüber fertig gestellt, der viele wesentliche Gedanken zum Thema "Sterbehilfe" enthält. Der Bericht ist zwar umfangreich geworden, aber im Erzählstil geschrieben und daher leicht lesbar. Ich wollte alle Details des Ereignisses beschreiben und kommentieren.

Ich hatte vorgehabt, den Bericht nach dem Ende der Parlamentsferien zu übermitteln. Aber in den "Salzburger Nachrichten" vom 14. Juli 2014 wurde auf Seite 2 erklärt, dass Ihnen als Vorsitzender der parlamemntarischen Enquete-Kommission, die sich mit dem Lebensende befasst, Stellungnahmen der Bürger erwünscht seien. Ich erlaube mir daher, Ihnen als 79-Jähriger für das Thema altersmäßig Kompetenter meinen Bericht als Anhang zu übermitteln.

Damit erteile ich Ihnen auch das Recht, den Text oder Textausschnitte auf beliebigem Weg an alle an der Entscheidung, Beratung oder Beobachtung (Journalisten) der Merinungsbildung in den bezughabenden Fragen beteiligten Personen weiterzugeben.

Die "Salzburger Nachrichten" erhalten gleichzeitig exklusiv Kopien.

Mit freunlichen Grüßen
Paul Abart
(geb. Sept. 1935)

 

 

 

 

 

 

 

 

Eingelangt am 17.07.2014

Suizid-Versuch

 

 

Der Fortschritt der Wissenschaften hat die Lebensdauer der Menschen bedeutend verlängert. Für viele waren die zusätzlichen Jahre ein schönes Geschenk, das sie zu nutzen wussten.

Auch ich freute mich zusätzlicher Zeit, in der ich für meine Neigung, als Schriftsteller zu wirken, Ruhe und Kraft fand. Ich baute in diesen Jahren an den Modellen von Weltfragmenten und Lebensfragmenten nach meinen Vorstellungen weiter. Ich wollte damit nicht etwa Korrekturmodelle des großen wunderbaren Schöpfungswerkes, sondern kleine Beispiele, wie wir Menschen uns in dieses Schöpfungswerk befriedigend einfügen könnten, schaffen.

Wenn mir auch keine großen Veröffentlichungen möglich waren, so erlebte ich doch dankbar die Freude an der eigenen kreativen Tätigkeit. Und diese Freude war ein schöner Ausgleich zu den harten Anforderungen und Herausforderungen des Alltags, denen ich mich in den Jahrzehnten der Bildung und Berufstätigkeit gestellt hatte.

Aber ich beobachtete auch, dass diese zusätzlichen Jahre in umso leidvollere und dauerhafte Altersgebrechen, in Krankheiten und in Sinnarmut führten. Ich befasste mich eingehend mit all diesen Phänomenen und ich gelangte zur Überzeugung, dass dem großartigen Fortschritt auf der einen Seite auch Entsprechungen auf der anderen Seite beigegeben werden müssen. Der erfreulichen Verlängerung des Angenehmen, sollen nicht unausweichlich umso ausgeprägtere Formen des Leids folgen müssen.

So wie das Leben durch wissenschaftliche Methoden zur Freude verlängert wird, so sollen auf Wunsch eines jeden Betroffenen auch die belastenden Phasen zu qualfreiem, würdigem Ende geführt werden.

Aber dem stehen althergebrachte Auffassungen entgegen. Wer einem unabsehbaren Alterssiechtum mit allen Problemen, auch für die Gesellschaft, ausweichen will, muss derzeit selber Vorkehrungen treffen.

Als ich das Auftreten erster Gebrechen verspürte, entschloss ich mich zur Vorbereitung des Suizids, weil sich später vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu bieten würde.

 

Ich war also durch intensive gedankliche Auseinandersetzung mit der Frage, wie lange dem durch unnatürliche Alterskrankheiten geschwächten Leben Sinn zuzubilligen sei, zur Überzeugung gekommen, dass diese Frist begrenzt ist. Diese Auffassung widersetzte sich jedoch der Gesetzeslage und den Auffassungen der Gesellschaft. Ich beschloss daher, als sich ab dem Jahr 2005 in meinem siebzigsten Lebensjahr die ersten Anzeichen von Gebrechlichkeit einstellten, mir die eigene Entscheidungsfreiheit über mein höchstes persönliches Gut, über mein Leben zu sichern.

Nach allgemeiner Auffassung war ich der Meinung, dass Schlaftabletten ein gut geeignetes Mittel seien, den Lebensfaden zu durchtrennen. Denn den Anblick meiner Leiche in einer Blutlache oder meines zerschmetterten Körpers nach Absturz aus großer Höhe auf harten Grund wollte ich meinen Angehörigen nicht zumuten. Wozu auch, wenn es sanftere Methoden gab. Also beschloss ich, eine Gelegenheit zur Beschaffung von Schlaftabletten zu suchen.

Die Gelegenheit eröffnete sich zwei Jahre später. Ich lag mit dem ersten großen Gebrechen in der Schlaganfallabteilung der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg – in einem Zimmer mit fünf Betten. Entsprechend unruhig war es in den Nächten. Ich fühlte den Bedarf nach Schlaf, der mir aber durch die Störungen versagt blieb. Die Krankenschwester verschaffte dem Mangel mittels Schlaftabletten Abhilfe.

Ich bekam also jeweils am späten Abend eine Tablette, Marke »Lendorm«. Und die Tabletten hielten, was ihr Handelsname versprach. Ich war froh, dass ich schlafen konnte und dachte gar nicht daran, dass mir die Tabletten zu Weiterem als zur gewöhnlichen Einschlafhilfe dienen sollten.

Durch die Gewöhnung waren die Tabletten aber unentbehrlich geworden. Ich bekam sie auch in der Schlaganfallabteilung des Therapiezentrums Großgmain und später zum Gebrauch, als ich mit Hilfe eines Rollators oder Stöcken wieder selbstständig lebte. Und dadurch fand ich dann doch Gelegenheit, mir einen größeren Vorrat an diesen Tabletten anzulegen.

Ich versuchte, ob zur Einschlafhilfe nicht eine kleinere Dosis ausreichen würde. Mir wurde pro Tag eine ganze Tablette »Lendorm« verschrieben, es genügte aber, wie sich herausstellte, eine halbe. Ich konnte also jeden zweiten Tag eine Tablette abzweigen, ohne dass dies überprüfbar war, ohne dass jemand außer mir selbst zur Verantwortung gezogen werden könnte.

Ich lebte also beruhigt weiter. Ich hatte mir ja nun das Mittel gesichert, um je nach Umständen ein unerwünschtes, sinnloses Weiterleben abzubrechen. Und ich fühlte mich nach meinem Schlaganfall sieben Jahre lang einigermaßen wohl. Im Lesen und – eingeschränkt auf meine eigene Freude daran – Belletristik zu schreiben, erlebte ich erfüllende, selbst gewählte Aufgaben und Beschäftigungen.

Dieses friedvolle Gefühl unterlag nur durch Schwankungen des gesundheitlichen Wohlbefindens kleinen Veränderungen. So zum Beispiel als sich das Hörvermögen verschlechterte oder als ich – wahrscheinlich wegen wetterbedingtem unzureichenden Trainings – meine nun seit dem Schlaganfall ohnedies verkürzten Bergwanderungen einstellen musste.

Aber nach den sieben Jahren stellten sich wieder größere Probleme mit der Prostata und andere gesundheitliche Probleme ein. Ich fürchtete, dass die notwendigen Eingriffe den nächsten Schlaganfall auslösen könnten, mit der Folge unabsehbarer Behinderungen.

Am Wochenende kam mein Sohn mit Familie auf Besuch. Ich besprach mit den Angehörigen die durch einen heftigen Sturz verschärfte Situation, ohne mir anmerken zu lassen, wie sehr ich mich von Befürchtungen betroffen fühlte. Am Sonntag überlegte ich, dass nun wohl die Zeit gekommen sei, allen weiteren Risken durch Suizid vorzubeugen. Ich würde meine Angehörigern erst abreisen lassen und sobald ich sicher sein konnte, dass sie an ihrem Domizil angekommen waren, würde ich die Schlaftabletten hervorholen.

Meine erste Tätigkeit, als ich sodann allein war, war nun, die wohl ausgewählten Geschenke für meine Enkelinnen zu den Geburtstagsfeiern Anfang Juni 2014 herzurichten. Es machte mich betroffen, als ich mir vorstellte, sie würden die Geschenke unter dem Eindruck der »Verzweiflungstat« des Opas in Empfang nehmen. Andrerseits würde sich bis dahin vielleicht vieles ereignen, das meinen Entschluss verständlich machen könnte.

Als dies besorgt war, hielt ich eine besinnliche Stunde, in der ich nochmals alle Für und Wider abwog. Ich hatte dann allerdings nicht mehr die Kraft, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Dies wäre wegen des durch den Sturz stärker beeinträchtigten Sehvermögens auch kaum möglich gewesen. Aber ich hatte ja längst genügend Schriftstücke geschaffen, in denen ich mich mit dem Fall, dass ich den Freitod wählen würde, auseinander gesetzt hatte.

Ich überlegte noch, dass ich meine Angehörigen mit dieser letzten Handlung nicht vor Rätsel stellen sollte. Ich würde den Behälter mit den aufgemalten Totenköpfen und der Beschriftung, »30 Stück Lendorm« offen neben mich legen.

Ein letzter Willensanstoß, ich schluckte die 30 Tabletten so schnell wie möglich hinunter, half zwischendurch jeweils mit Wasser nach und legte mich zurück.

Damit endete auch mein Bewusstsein.

 

Zu meinem Erstaunen erwachten meine Sinne aber wieder. Das war mir unerklärlich. Und ich konnte undeutlich wahrnehmen, dass ich mich in einem Krankenhaus befand. Ich dämmerte längere Zeit dahin, ehe wieder normale Denkprozesse einsetzten. Aber ich blieb ohne Information über alles mir unbekannte Geschehen. Mein Suizid-Versuch musste gescheitert, verhindert worden sein. Aber wie?

 

In Unkenntnis des weiter Geschehenen begannen meine Gedanken im Kreis zu arbeiten und immer wieder Fragmente dessen zu wiederholen, was ich mir vor den Suizid-Handlungen gründlich überlegt hatte:

Das Recht auf das Leben des Einzelnen gilt als anvertrautes wertvolles Gut. Von wem wurde uns dieses wertvolle Gut anvertraut? Denn grundsätzlich darf nur der, der ein Gut anvertraut (bekommt) oder der es erwirbt, auch darüber verfügen. Und das Leben des Einzelnen hat zweifelsfrei als wertvolles Gut zu gelten. Von wem wurde uns dieses Gut aber anvertraut?

Nach althergebrachter Auffassung kann ein nach unserer Gedankenkapazität so unermesslich großes Gut nur von einem über allen Gütern, über alle Materie Erhabenen gegeben, anvertraut werden. Dieser Erhabene kann nur Gott sein.

Über dieses größte aller Güter bestimmen aber für jeden Einzelnen die Machthaber in unserer demokratischen Gesellschaft mit. Dieses Gut stammt aber weder von ihnen, noch wurde es uns von ihnen anvertraut. Es ist daher die Frage berechtigt: Mit welcher Vollmacht bestimmen sie über unser Leben, über dieses so persönliche Gut eines jeden Einzelnen mit?

Allenfalls könnte man einräumen, es geschehe im Auftrag der Erhaltung der Ordnung und im Interesse der Menschen selbst. Für Menschen, die sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen haben, die davor bewahrt werden müssen, durch Depressionen ihr Leben beenden zu wollen, von denen erwartet werden kann, dass sie nach Überwindung ihrer Krise zu Lebensfreude zurückfinden, dass sie im Weiterleben Sinn finden, mag eine gewisse Kontrolle angebracht sein.

Aber für alte Menschen, die ihre Lebensaufgabe erfüllt haben, die ihre Kinder auf guten Weg geleitet haben, die sich an und mit ihren Enkeln freuen, die in ihren Lebensjahrzehnten weitaus umfassendere Lebenserfahrung erworben haben als jene, die nun über ihr Leben mitbestimmen, ist diese letzte Bevormundung abzulehnen.

 

In früherer Zeit war der aufrechte Glaube, das Leben sei ein Geschenk Gottes, weit verbreitet. Diese Einheitlichkeit mochte eine gewisse Kontrolle gerechtfertigt haben. Inzwischen haben sich aber die Machtverhältnisse vom Monarchen, der sich als von Gottes Gnaden bestellter Regent verstand, bis zu den heute von »Volkes Gnaden« gewählten Politikern verschoben. Und welche Grundlagen, nach denen oder über die Entscheidungen zu treffen sind, sind im Zuge all dieser grundlegenden Änderungen unverändert geblieben?

Auch das uns anvertraute, uns geschenkte Leben wurde verändert. Die Menschen begannen selbst, an diesem größten Gut herum zu experimentieren. Und es gelang ihnen, daran allerhand zu ändern. Vor allem war ihnen daran gelegen, ihre Lebensdauer zu verlängern. Soeben erst habe ich in der Zeitung gelesen: »100 Jahre [alt werden] mit nur zwei Stammzellen« (»Salzburger Nachrichten« vom 9. Mai 2014, Seite 25). Wer weiß, wohin diese ersten Forschungsergebnisse in dieser Richtung noch führen werden? Aber auch von diesem spektakulären wissenschaftlichen Forschungsergebnis abgesehen wurde in die Erbsubstanz des Lebens eingegriffen und Wesentliches verändert, und auch am lebenden Organismus wurden Änderungen gewagt, die das Leben zu verlängern vermochten.

Zu unterscheiden von einzelnen Aktionen zur Überwindung oder Beseitigung von Krankheiten.

Es ist aber nicht gelungen – und die begonnene Forschung wurde ohne Rücksicht darauf vorangetrieben – die Lebensqualität adäquat zu sichern. Dazu wurde aber wie in vielen anderen Bereichen die Frage übergangen, ob die seit Jahrzehnten bestehenden Auffassungen und gesetzlichen Regelungen nicht überholt seien. Ob die Pflicht zum Schutz des Lebens, auch des eigenen, noch das Leben als größtes uns anvertrautes Gut in seiner ursprünglichen Form betrifft. Man sehe sich in der Gesellschaft um! Es hat noch nie so viele Menschen gegeben, die an Alterskrankheiten leiden. Ich würde hier gerne eine Karikatur einfügen, eine Karikatur eines Menschen der Gegenwart, der von den häufigsten Alterskrankheiten wie Inkontinenz, Prostatavergrößerung, Behinderungen nach einem Schlaganfall, Unstimmigkeiten des Blutdrucks, Gefährdung nach einem Herzinfarkt, Krebs, Altersdiabetes, Schwächung der Sinnesorgane, Altersdemenz, volle Pflegebedürftigkeit und anderen geplagt wird. (Aber eine solche Karikatur ist mir leider nicht verfügbar.) Ist es statthaft, vielen dieser Menschen zur Verlängerung ihres Lebens oft schweres psychisches und ungewisses physisches Leid aufzubürden? Setzt man nicht viele dieser Menschen einer in anderen Zusammenhängen so sehr verpönten Folterung aus – allein dadurch, dass man sie ihrer Unabhängigkeit, ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt und zum Weiterleben, bis sie von ihren übermäßig langwierigen Gebrechen endgültig niedergeworfen werden, verurteilt?

Ist daher nicht endlich ernsthaft die Frage zu stellen, wer über die veränderten Grundlagen der Lebensdauer für die einzelnen Menschen zu entscheiden hat, entscheiden darf? Wie die Leid-Beispiele mit den unantastbaren Menschenrechten zu vereinbaren seien? Ob damit nicht ein unerträgliches Maß an Bevormundung ausgeübt wird?

 

Mit Argumenten von »natürlichem Tod« und vom »Sterben in Würde« werden die veralteten Grundsätze der unbedingten Lebenserhaltung mit allen Mitteln schön geredet.

Vermögende kranke Alte, die andere Pläne festgelegt haben, müssen für die Erhaltung ihrer zu keinen Aktivitäten mehr fähigen und weiter schwindenden Lebenskraft ihr Eigentum hingeben. Anstatt, wie testamentarisch festgelegt oder durch Übergaben bereits vollzogen den Nachkommen eine solide Basis für Familiengründungen und Bildung der Enkel zu sichern, müssen die Mittel für die Pflege morbider Alter verwendet werden. Ist das nicht pervers? Und in einigen österreichischen Bundesländern werden nun sogar die »Kinder« mit relativ niedrigem Einkommen im Regressweg zur Zahlung von Pflegekosten für die alten Eltern verpflichtet. Die Sorge der Politik, dass die aktive Sterbehilfe vorzeitige Erbvorgänge ermöglichen könnte, wird damit ad absurdum geführt.

 

Ein Alter, der weder Harn- noch Stuhldrang unter Kontrolle hat, wälzt sich in seinen Exkrementen. Seine ihn pflegende Frau bemüht sich mit der Erinnerung an schöne gemeinsame Erlebnisse die auch unter nächsten Angehörigen abstoßende Aufgabe zu bewältigen. Der Patient muss die Peinlichkeiten bei vollem Bewusstsein miterleben. Ein von Altersdemenz Betroffener erkennt seine Frau, mit der er seit über fünfzig Jahren verheiratet ist, nicht mehr und er, der stets gütig war, richtet nun Aggressionen gegen sie. Ein Uralt-Greis liegt reglos im Spitalsbett und lässt lebenserhaltende Behandlungen über sich ergehen. Was soll er sonst tun? Niemand weiß, was dabei in ihm vor sich geht.

Da werden alle Beteuerungen von »natürlichem Tod« und vom »Sterben in Würde« zur Heuchelei. Jene, die unnachgiebig für die oft qualvolle Lebenserhaltung der kranken Alten mit unnatürlichen Mitteln der ärztlichen Kunst eintreten, sollten sich einmal zur Pflege von Patienten wie der im vorigen Absatz beschriebenen bereit finden.

 

Auch andere damit zusammenhängende Probleme sollten nicht einfach so weiter geschleppt werden, wie bisher damit begonnen wurde. Zum Beispiel die Finanzierung der wesentlich länger dauernden Pensionsleistungen oder der ungeheueren Kosten der »Pflegeindustrie«. Darf man die bereits hohen Schulden unbesorgt weiter vermehren? Wer wird dafür verantwortlich sein? Wer wird für die Rückzahlung aufkommen müssen? Dürfen zu Gunsten der Altersversorgung andere Verpflichtungen der Gesellschaft wie Familienförderung, Geburtenförderung, Bildung der Jugend, Wohnbau, Wirtschaftsförderung, Sorge für soziale Sicherheit vernachlässigt werden?

Man beobachte den skandalös verantwortungslosen Umgang mit den in den letzten Jahren entstandenen Finanzlasten. Was lässt er uns zu den nun entstehenden Problemen erwarten?

Ich habe dreißig Jahre als selbständiger Steuerberater Erfahrungen gesammelt und ausgewertet und ich vermag daher die drohenden Folgen einer verantwortungslosen Finanzpolitik vorherzusehen.

Zur Schließung von Finanzlücken sah die staatliche Verwaltung immer wieder nur Steuererhöhungen als einzige Möglichkeit. Jeder Euro, der aber dem Konsumpotential und damit der Wirtschaft entzogen wird, wirkt einseitig abseits des allgemeinen wirtschaftlichen Wohls. Nur der Euro, der auf einem normalen bis vorzüglichen »Saatplatz« eingesetzt ist, kann wie in der Zeit des Wirtschaftswunders bis etwa gegen Ende der achtziger Jahre des 20. Jh. frei wirken und zur gesunden Weiterentwicklung der Wirtschaft beitragen. Wer dies nicht in allen Phasen eingehend zu überblicken und darzustellen vermag, ist für eine eigenverantwortliche Aufgabe in der staatlichen Verwaltung nicht geeignet. Aber wer überprüft dies?

Und nicht nur Fehlplanungen oder Planlosigkeit zu Lasten der Finanzverwaltung haben Schäden zur Folge. Auch andere unkontrollierte Einflüsse auf die Entwicklung der Gesellschaft und der Wirtschaft wirken sich schädlich aus. So wirkt sich auch der ungehinderte Ausbau des Kapitalismus durch die Minderung der »Massen-Einkommen« (= Konsumpotential) und durch die vermehrten Zugänge zu hohem Privatvermögen in höchst schädlicher Weise aus. »Aktien essen und trinken nicht« – wer diese Symbolik nicht mit ihrem wichtigen Kerngehalt in das Thema einzuordnen weiß, vermag nicht zu begreifen, worum es dabei geht.

Aber auch die Lenkung wichtiger Details im Wirtschaftsgeschehen, wie z. B. Förderungen der Bautätigkeit und der Sanierung durch Wohnbaugesellschaften, die durch wesentliche Erhöhung der Wohnkosten eine neue Zweckbindung des Konsumpotentials schaffen, sind abzulehnen.

Und die unverantwortliche, während der modernen Wirtschaftsgesetze bisher nie da gewesene Erhöhung der Wohnkosten schafft vielen Bürgern Probleme. Ich selbst fürchte, dass ich die Wohnkosten bei Fortsetzung dieser Entwicklung aus meinem kleinen Pensionsbezug nicht mehr finanzieren kann? Was dann? Wie vielen würde es ähnlich ergehen? Das würde mit einem unglaublichen allgemeinen Verfall der Lebensqualität einhergehen.

Soweit ein Teil der Betrachtung, der nach »Exkursion« aussieht, jedoch die Kernprobleme betrifft.

Unverständlich ist mir dabei, dass man die Risken des sich verstärkenden Finanzdesasters nicht sieht oder nicht sehen will. Eine ausweglose Situation könnte politische Kräfte an die Macht führen, die u. a., was der freien Entscheidung der einzelnen Betroffenen überlassen werden hätte müssen, zwangsweise als Rettungsaktion einführen. Die Zwangs-Euthanasie! Alles schon da gewesen.

Die »Aktive Sterbehilfe« wird aber nicht unbegrenzt Tabu-Thema bleiben. Es wird darüber diskutiert werden, und man wird schließlich die Negativ-Seite der modernen Medizin, die sich andrerseits so verdienstvoll bewährt hat, die segensreich gewirkt hat, die so oft wertvolles Leben gerettet hat – man wird sich mit der Negativseite dieser Wissenschaft auseinander setzen müssen. Man wird den alten Patienten, die unter der bedingungslosen Lebenserhaltung leiden und das Ende ihres langen Lebens nach wohl überlegtem und berechtigtem Wunsch herbei sehnen, durch Sterbehilfe erfüllen müssen. (Das kann nicht zum Sparzweck eingeführt werden, aber es würde dennoch Entlastungen bringen.)

 

Ich war nun dem Spitals-Alltag ausgesetzt. Er war mir vertraut. Als junger Mann wäre ich bereit gewesen den Militärdienst abzuleisten. Dazu gab es damals keine Alternative. Aber als Jahrgang 1935 wurde ich nicht einberufen. Es wurde zwar erwogen, dass dieser Jahrgang der erste sei, mit dem das österreichische Bundesheer ab 1955 aufgebaut werde. Aber tatsächlich begonnen wurde dann mit dem Jahrgang 1937. Ich hatte mich also nie militärischen Befehlen unterordnen müssen. Eine harte Handwerkslehre mit Unterdrückung und Misshandlung durch einen ehemaligen NSDAP-Ortsgruppenleiter war aber mehr als Ersatz für Erfahrung militärischer Ausbildung.

Etwas von militärischer Ordnung wird auch in Krankenhäusern zu fordern versucht. Es war für mich störend, wenn die Schwester um 5,30 Uhr mit der ersten Tablette kam, und mich aus dem spät gefundenen Schlaf weckte. Die exakte Tageseinteilung war für mich nun nach vielen Jahren der Freiheit des Pensionisten belastend. Aber es war mir bekannt, dass ein solcher Betrieb nicht ohne strikte Organisation geführt werden kann. Ich hatte ja durch meinen Beruf viele Betriebsorganisationen kennen gelernt.

Mehr als die vorgegebene Ordnung störte mich aber manch rücksichtsloses Verhalten von Patienten, von solchen die sicher auch die Nerven von Schwestern und Pflegern strapazierten, und die den Schlaf der Mitpatienten störten. Sie waren mit ihrem renitenten Wesen eine Belastung für die ganze Umgebung. Der Schlaf wurde aber auch durch wirklich Kranke mit geistiger Behinderung gestört, wofür ich Verständnis aufbrachte. Besonders im geschlossenen Bereich, in dem ich anfangs untergebracht war, häuften sich Schlafstörungen.

Ich stellte gegenüber den Ärzten überzeugend klar, dass ich den misslungenen Suizid-Versuch nicht wiederholen werde. Ich wurde daher in den freien Bereich überstellt. Aber auch dort herrschte natürlich eine Art militärische Organisation. Und wenn in einem Zimmer drei Patienten untergebracht sind, befindet sich darunter sicher ein Schnarcher, der den Schlaf der anderen stört. Dafür kann er aber nichts.

Nichts funktioniert übrigens vollkommen – es sollte ja überwacht werden, dass ich den Suizid-Versuch nicht wiederhole. Aber im Badezimmer war ein Rasierapparat zur Nassrasur abgelegt. Durch mein unzulängliches Sehvermögen konnte ich allerdings nicht genau erkennen, ob der im obersten Regalfach liegende Apparat eine Rasierklinge enthielt. Für mich bedeutete der Apparat so oder so keine Gefahr. Mein Versuch war offenbar auch durch unzulängliche Vorbereitung misslungen und ich würde daher keinen weiteren unsicheren Versuch unternehmen.

Nach zwei Wochen konnte ich entlassen werden und bis zur Behandlung in der Urologie, der ich ausweichen wollte, in meiner Wohnung leben. Hinsichtlich der Prostata-Probleme wurde ambulante Weiterbehandlung vereinbart.

 

Während dieser Zeit wurde ich von meinen Angehörigen nach und nach darüber informiert, was sich nach meinem Suizid-Akt ereignet hatte:

Mein Sohn hatte mir am Sonntag empfohlen, dass ich tags darauf, also am Montag, den 5. Mai 2014, den Augenarzt aufsuchen sollte. Da mein Sehvermögen nach dem Sturz stärker beeinträchtigt war als davor. Das war ein vernünftiger Vorschlag und ich wäre ihm gefolgt, wenn ich nicht schon Weiterreichendes geplant hätte.

Am Montagabend versuchte mich mein Sohn in der Wohnung anzurufen, um sich zu erkundigen, was der Augenarzt festgestellt habe. Es meldete sich aber niemand. Das erregte Sorge. Schließlich entschloss sich meine Schwiegertochter, nach Salzburg zu fahren um nachzusehen. Meine Kinder hatten natürlich einen Wohnungsschlüssel und ich hatte mir angewöhnt, das Schloss nicht mit eigenem Schlüssel zu blockieren. Es war bei meinem Gesundheitszustand ja nicht auszuschließen, dass ich einmal von einer Ohnmacht oder gar von plötzlichem Tod betroffen würde.

Meine Schwiegertochter fand mich wie tot auf einer Matratze liegend vor. Große Mengen von Blut und Harn waren ausgetreten und hatten Kleidung und Matratze verschmutzt. Der erste Harnverhalt durch die Prostatavergrößerung im Juni 2005 hatte völlig dichte Wirkung. Ich hatte außerdem gerechnet, dass nach dieser großen Dosis des Schlafmittels sofort der Tod eintreten würde. Hätte ich damit rechnen können, dass es zu Harn- und Blutaustritt kommen würde, so hätte mich dies allein als Ästheten abgehalten, den Suizid auf diese Weise zu verüben.

Auf Zurufe und Anfassen der Hand stellte meine Schwiegertochter fest, dass ich noch – oder wieder – Lebenszeichen gab. Sie verständigte daher die Rettung und ich wurde ins Krankenhaus gebracht.

In welche Krankenhäuser ich gebracht wurde, habe ich nicht erfragt. Ich erfuhr unter anderem, dass ich in der Urologie behandelt worden war. Davon zeugte auch der Katheter, der mir eingesetzt worden war. Zu allererst werde ich aber wohl in jene Abteilung gebracht worden sein, die auf solche Suizidfälle spezialisiert ist und die die nach 24 Stunden im Magen noch vorhandenen Reste des Lendorm entfernte.

Zuletzt wurde ich folgerichtig in die psychiatrische Abteilung der Christian-Doppler-Klinik gebracht. Wann ich das Bewusstsein wieder erlangte und wie ich mich danach verhielt ist mir nicht in Erinnerung. Ich erinnere mich auch nicht, ob ich von Ärzten und Pflegepersonal Informationen darüber erhalten hatte, wo ich mich befand und was mit mir geschehen war.

Ungenau ist mir in Erinnerung, dass ich längere Zeit in einer Art Dämmerzustand verbracht haben dürfte. Erst allmählich vermochte ich klare Gedanken zu fassen. Da wurde mir klar, dass es mir für ein solches Vorhaben an Kenntnissen und an geeigneten Mitteln gefehlt hatte. Ansonsten hätte ich nicht 24 Stunden überlebt.

Wiederholt befasste ich mich in der Folgezeit mit den theoretischen ethischen Grundlagen, die ich vor dem Suizidentschluss entwickelt hatte. Sie sind hier oben wiedergegeben.

Und ich kam zum Schluss, dass ein Wiederholungsversuch unter gleich unsicheren Umständen sinnlos wäre. Auf Befragung von Ärzten erklärte ich, dass ich keinen Versuch zu einem weiteren Suizid unternehmen würde. Sonderbarer Weise ist mir aber nicht in Erinnerung, wann und auf welche Weise ich befragt wurde.

Möglichere Weise wurde ich nicht von Ärzten, sondern von meinem Sohn darüber befragt. Dies habe ich auch in Erinnerung. Auch, dass ich meinem Sohn versprach, keinen weiteren Suizid-Versuch zu unternehmen. Mein Sohn hatte auch erwähnt, dass der leitende Arzt ein Gespräch mit mir führen wollte, das sich dann erübrigt habe. Wahrscheinlich hat mein Sohn mein Verhalten so erklärt, dass dem Arzt klar wurde, es bestehe keine weitere Gefahr mehr, dass er den Aussagen meines Sohnes und dem Wort, das ich meinem Sohn gegeben hatte, vertrauen könne.

Ich wurde fortan in der Klinik gut und vertrauensvoll behandelt und nach zwei Wochen entlassen.

Nach der Heimkehr in meine Wohnung musste ich auf dem Parkettboden den dunklen Fleck erkennen, der von Harn und Blut verursacht wurde. Alle übrigen Spuren hatte meine Schwiegertochter bereits beseitigt und sie hatte auch sonstige rückständige Haushaltsarbeit für mich erledigt. Es war mir einerseits peinlich, dass sie sich neben den beruflichen Aufgaben als AHS-Professorin in den anspruchsvollen Fächern Mathematik und Physik und der Arbeit für den eigenen Haushalt und der Bertreuung ihrer beiden Töchter, meiner Enkelinnen, für mich so viel Mühe gegeben hatte. Andrerseits war ich dafür dankbar, denn ich bedurfte doch ein wenig der Erholung.

Ich konnte meiner Schwiegertochter auch versichern, dass ich volles Verständnis für ihr Verhalten, nachdem sie mich als Suizidopfer aufgefunden hatte, aufbrachte. Ich selbst hätte mich sicher gleich verhalten. Ich hätte es auch unter keinen Umständen fertig gebracht einen, der offensichtlich zu sterben vorhatte, in seinem Vorhaben gewähren zu lassen. Außerdem wäre dies auch ein Verstoß gegen strafrechtliche Bestimmungen gewesen – meines Wissens wegen unterlassener Hilfeleistung.

 

Es würde mir nun nichts anderes übrig bleiben, als alles Leid, das die Machthaber des Systems vielen hilflosen Alten aufbürdeten, auch selbst geduldig zu ertragen. Es sei denn, dass den Alten eine aktive Sterbehilfe zugestanden wird. Damit ergäbe sich eine neue Situation.

 

Wie wäre mein Suizid-Versuch übrigens verlaufen, wenn zu dieser Zeit eine aktive Sterbehilfe bereits zulässig gewesen wäre?

Dann hätte ich natürlich keinen heimlichen Suizid-Versuch unternommen. Im Fall, dass im Weiterleben durch starke körperliche oder geistige Beeinträchtigung kein Sinn mehr bestanden hätte, hätte ich ja die Sterbehilfe beantragen können. Frei von Vorsorgegedanken hätte dies viel später geschehen können.

Für den Fall, dass ich etwa durch einen weiteren Schlaganfall oder durch Demenz zur Willensäußerung nicht mehr fähig gewesen wäre, hätte ich durch schriftliche Festlegung und durch ein Überzeugungsgespräch mit meinen Angehörigen die Sterbehilfe gewünscht.

Falls ich aber künftig irgendwann zu einem Fall der Sterbehilfe werden, aber noch über ausreichende geistige Fähigkeiten verfügen würde, würde ich mit meinen Angehörigen einen Tag des Abschieds feiern.

Vielleicht würde sich die katholische Kirche zur Auffassung durchringen, dass die Sterbehilfe im Interesse des Todgeweihten und der Gesellschaft anzuerkennen sei, dann würden wir den Abschiedstag mit der Teilnahme an einer heiligen Messe beginnen. Fortsetzen vielleicht mit dem Erzählen von familiären Erinnerungen, unterstützt durch Bild- und Filmmaterial. Eventuell anschließend ein gemeinsamer erinnerungsträchtiger Ausflug oder erfreuende Filme und Bildmaterial über die Natur.

Und es würden durch lange Vorbereitungszeit, durch Berichte über die Gestaltung des letzten Tages in anderen Familien noch manche andere Anregungen verfügbar sein. Natürlich würden sich unvermeidlich auch Geschäftsleute etablieren, die die professionelle Gestaltung dieses letzten Tages anbieten würden.

Und zum Ausklang des Tages würde die berührende, aber friedliche und gefasste Abschiedsszene folgen. Der Hausarzt würde nach festgelegtem Termin bereits anwesend sein. Vielleicht würde er mit mir und der Familie mit einem letzten Gläschen anstoßen.

Dann würde er mir die erlösende Pille reichen und noch die Wirkung kontrollieren. Allen wäre bewusst, dass ich sie segnend verlasse.

Wäre das nicht ein allen vorangegangen ärztlichen Kunstgriffen angemessenes Sterben. Wäre das nicht ein Tod in Würde?