Sehr geehrte Frau Aubauer,

zufällig bin ich in den SN am 14.7.2014 bei  - kurz gemeldet – über Ihren Diskussionsaufruf zu „würdevoll leben“ gestolpert.

 

Mich beschäftigt dieses Thema sehr, und ich danke Ihnen herzlich für Ihren Aufruf und für die Gelegenheit mein Unbehagen auszusprechen. Mit dem gesetzlich verankerten Verbot der Sterbehilfe wird unmittelbar in meine Selbstverantwortung eingegriffen. Ich bin als mündiger Mensch mein Leben lang gefordert Verantwortung für mich und meine Familie zu übernehmen – das wird vom Staat, von der Gesellschaft und von der Kirche gefordert. Ich möchte diese Verantwortung auch für mein Sterben übernehmen und Vorsorge für mich treffen können, ohne meine Familie (Ehemann und Kinder) in die Illegalität treiben zu müssen. Der Staat hat kein Recht auf ordentlich geregelte Verfügungen (Notar) Einfluss zu nehmen – das empfinde ich als massiven Eingriff in meine Selbstverantwortung und Privatsphäre.

 

„Die Auslöschung“ ein Film der mich tief bewegte, muss hier erwähnt werden. Dieses von Klaus Maria Brandauer und Martina Gedeck getragene Drama eines Vergessenden spricht das Thema Alzheimer in einfühlsamer Weise an und bringt die Problematik auf den Punkt.

 

Ich möchte Ihnen kurz den Fall meiner Mutter schildern – einer Alzheimerpatientin.

Die Rückentwicklung einer selbständigen Frau zum hilfsbedürftigen und 100 % abhängigen Menschen, der seinem Umfeld  ausgeliefert ist wie ein Baby.

 

Wer war meine Mutter?

Trude war eine selbstbewusste Frau, 1920 geboren, selbständig, pflichtbewusst, lustig, eine begeisterte Tennisspielerin, nach ihrer Matura bis zur Pensionierung berufstätig, eine  liebevolle und besorgte Mutter und Ehefrau, angesehen bei Freunden und in ihrem Wohnort.

 

Wie ging das große Vergessen los?

Mit ca. 85 Jahren – beginnt die Unsicherheit in Gesprächen, beim Zusammentreffen mit Freunden,
später im Umgang mit Geld, mit der Erledigung der Einkäufe und des Haushalts und vieler weiterer alltäglicher Dinge.

 

Die Sorge und Angst um ihre Zukunft, das Unbehagen über ihren geistigen Verfall und - vor allem die Sorge jemandem (sprich mir, ihrer Tochter) zur Last zu fallen, tritt in den Vordergrund.

Meine Mutter spricht oft von Selbstmord …

Eine Freundin und ich unterstützen meine Mutter bei der Bewältigung des Alltags.

 

Februar 2008 – ich übernehme für meine Mutter, mit ihrer Zustimmung, eine Vertretungsvollmacht.

 

August 2009 ein Unfall in ihrer Wohnung – Diagnose: Oberschenkelhalsbruch

Jetzt geht es richtig bergab: 

Diese Zeit im Krankenhaus war, nach dem Krieg, sicher die schrecklichste gefühlte Erfahrung für meine Mutter. Sie versteht weder ihre Verletzung noch begreift sie die Situation im Krankenhaus. Sie reißt ständig die Verbände von der Wunde und muss im Bett fixiert werden. Wenn ich bei ihr bin will sie immer wissen, welches Verbrechen sie begangen hat, da sie festgebunden ist.

Die Freundin meiner Mutter und ich teilen uns die Stunden am Krankenbett, um Ihr den Aufenthalt erträglich zu machen und das Personal zu entlasten, das völlig überfordert ist.

 

Beginn der 24 h Pflege zu Hause:

Die liebevolle Pflege der slowakischen Schwestern bringt meine  Mutter wieder auf die Beine – der geistige Verfall ist jedoch nicht aufzuhalten.

Zeitvertreib: Mensch ärgere dich nicht, Aufgaben aus dem kleinen 1 x 1 und Kinderkreuzworträtsel;

Nach einigen weiteren Monaten immer größerer Verlust der geistigen Leistung - wir machen Gymnastik und spielen Ball mit Luftballons und Pölstern;

Ständige Angstattacken, dass sie alleine zurück gelassen wird;

Sie kann sich nicht mehr selbständig fortbewegen;

Der Stuhlgang kann nicht mehr kontrolliert werden – sie geniert sich fürchterlich und leidet – ein Verstehen der Situation ist schon lange nicht mehr möglich;

Sie möchte sich mitteilen, findet aber keine Worte, bzw. kann sie nicht mehr formulieren;

Hier möchte ich persönlich, sollte ich diese Krankheit bekommen, einen Schlussstrich planen können und ohne schlechtes Gewissen mit Hilfe friedliche einschlafen dürfen!

Sie erkennt mich nur mehr fallweise - versucht auch nicht mehr zu sprechen - gibt sich auf;

Die selbständige Nahrungsaufnahme wird immer schwieriger;

Sie wird gefüttert;

Der graue Star wird akut – eine Operation wäre nur mehr eine zusätzliche Belastung – sie erblindet;

Sie kann nicht mehr richtig schlucken – sie wird mit Brei gefüttert;

Sie döst den ganzen Tag in ihrem Sessel;

Sie wird alle 2 – 3 Stunden umgesetzt oder im Bett umgedreht, um keine wundgelegen Stellen zu bekommen;

Sie kann nicht mehr selbständig sitzen;

Sie wartet auf den Tod, Gott sei Dank in behüteter Umgebung mit liebevoller Einzelpflege ….

 

Wir feierten am 7. August ihren 94. Geburtstag und Ende August 5 Jahre 24 h Betreuung!

Anbei ein Geburtstagsfoto

 

Ich grüße Sie herzlich!

Katrin Kortschak

 

 

 

 

 

 

 

Eingelangt am 1. September 2014