Sehr geehrte Frau Mag. Aubauer, sehr geehrte Mitglieder der Enquetekommission!

 

Aufgrund der Komplexität des Themas sowie der Unmöglichkeit der Beseitigung bestehender,

gravierender Graubereiche in der Praxis möchte ich zur Aufnahme des Antrages des „Verbotes der

aktiven Sterbehilfe“ in die österreichische Verfassung meine Bedenken zum Ausdruck bringen.

 

Als Anästhesist mit zwanzig jähriger Erfahrung zum Thema Sterben im Krankenhaus erlaube ich

mir, in einer Art Brainstorming, meine Bedenken und Fragen gegen dieses Ansuchen einzubringen:

 

- Stichwort: ärztliches Handeln / Palliativmedizin kann durch die Änderung in der Verfassung zu

leicht kriminalisiert werden. Jeder terminal erkrankte, unheilbare Mensch hat das Recht auf

beste palliativmedizinische Betreuung - wo und wie sollen Grenzen der Schmerztherapie gesetzt

werden, welche um effektiv zu sein, mitunter hohe Dosierungen und Kombinationen an

Schmerzmittel/Sedativa etc. erfordert. Somit kann in einigen Fällen nicht eindeutig festgestellt

werden woran ein palliativmedizinisch therapierter Patient tatsächlich stirbt - an seinem

Grundleiden, an der Schmerztherapie oder an der Kombination von beidem. Ohne Klärung

dieser Frage kann Palliativmedizin und effektive Schmerztherapie durch Verwandte, Freunde,

Religion, Politik, Eigeninteressen diverser Gruppierungen leicht kriminalisiert werden - wie kann

im Nachhinein geklärt werden ob ein Palliativpatient nicht an den Folgen der Schmerztherapie

verstorben ist. Aussagen und Empfindungen, durch Angehörige, Verwandte etc., dass der

Patient durch die Intervention des Arztes / der Ärztin früher verstorben sei als es der „natürliche“

Weg gewesen wäre werden Tür und Tor geöffnet. Schmerzensgeld- /

Entschädigungsforderungen, Verleumdungen und gerichtliche Nachspiele sind die Folge - ich

verweise z. B. auf die Gegebenheit in den USA wo es seit Jahren spezialisierte Juristen für

Schädigungen von Patienten durch Schmerztherapie gibt und auch auf das Extrembeispiel des

Kollegen in Dubai. Einmal mehr können Ärztinnen und Ärzte, als angreifbare

Letztverantwortliche, kriminalisiert werden und so zum Spielball auf einem juridischen

Experimentierfeld werden. Die daraus resultierenden Folgen sind absehbar - aus Selbstschutz

und Unsicherheit zurückhaltende und ineffiziente Schmerztherapie - wie es übrigens schon jetzt,

vor allem im ländlichen Bereich wo keine palliativmedizinische Versorgung gegeben ist,

vorkommt. !

 

- In einer Zeit in welcher ärztliches Handeln mehr denn je zunehmend rechtlichen Prüfungen und

und Konsequenzen ausgesetzt ist, der Patient und die Angehörigen aus juridischer Sicht

prinzipiell als Geschädigte und Opfer betrachtet werden, sich der ärztliche Berufsstand derzeit

vorwiegend auf Rechtfertigung konzentrieren muss, stellt sich die Frage wie ärztliches Handeln

bei terminal Erkrankten ausschließlich patientenorientiert, ohne der Angst vor ungerechtfertigten

rechtlichen Konsequenzen und der daraus resultierenden zusätzlichen Belastung der Gerichte

durch Prozesse, durchgeführt werden soll.

 

- Das Ziel ärztlicher Kunst, der Politik und auch der Verfassung ist es zum Wohle und zum

Schutze der Bürger zu handeln - dient der Antrag zur Aufnahme des Verbotes der aktiven

Sterbehilfe in die österreichische Verfassung dazu versteckt eine „Pflicht zum Leben bis zuletzt“

durchzusetzen und somit wirklich dem Wohle und dem Schutz der Menschen?

 

- Aus der Unmöglichkeit zukünftige medizinische Entwicklungen abschätzen zu können ergeben

sich neue Graubereiche in der Entscheidung ob es sich um aktive Sterbehilfe handelt oder nicht

- im Gegenzug dazu wird einer zunehmenden Kriminalisierung ärztlichen Handelns auf Basis

des jeweils herrschenden Wissensstandes Vorschub geleistet. Beispiel: extrakorporales Herz -

wann gilt es als aktive Sterbehilfe dieses abzuschalten und wird somit strafbar?

 

- Wie soll das Recht auf Autonomie des Patienten, auf Selbstbestimmung hinsichtlich des

individuellen letzten Weges, dem Sterben gewahrt und festgelegt werden - wo soll dies im

Gegenzug festgeschrieben und garantiert werden?

 

- Kann es Ziel sein unmenschliches, terminales Leiden entgegen dem Patientenwillen zu

verlängern nur um realitätsfernen Theorien/Gesetzen zu entsprechen - im Zweifelsfalle stellt

sich die Frage wie Menschen aus dem Kreise der Theoretiker für sich selbst, angesichts einer

von hohem Leid geprägten terminalen Situation, entscheiden würden. Wobei hier in jedem Falle

dem autonomen Wunsche des Sterbenden höchste Priorität einzuräumen ist.

 

- Psychologische Gutachten für Menschen welche sich als im falschen Körper geboren fühlen

zeigen Verständnis für deren seelisches Leid und ermöglichen eine chirurgisch/medikamentöse

Geschlechtsumwandlung zumindest teilweise auf Kosten aller Versicherungsnehmer - einem

schwerstkranken, sterbenden Menschen jedoch scheint dieses Verständnis weniger entgegen

gebracht zu werden, es scheint sogar erwartet und vorausgesetzt zu werden unsägliches Leid

bis zum bitteren Ende durchstehen zu müssen.

 

- Haben religiöse Gruppierungen, auch wenn es sich um sogenannte Amtskirchen handelt, das

Recht Nichtmitgliedern oder Nichtgläubigen vorzuschreiben wie ihr letzter Weg, ihr Sterben zu

erfolgen hat? Umgekehrt müssen wir, in einem Land mit verankerter Religionsfreiheit, auch den

Mitgliedern der jeweiligen Glaubensrichtungen, einen ihrem Glauben und somit einen ihrem

Willen entsprechenden würdigen Sterbeprozess ermöglichen.

 

Zusammenfassend kann ich durch die Aufnahme des Verbotes der aktiven Sterbehilfe in die

österreichische Verfassung in keiner Weise einen Lösungsansatz bzw. eine Verbesserung im

Umgang mit Sterbenden, schwerstkranken Menschen und der Therapie bei terminal erkrankten

Menschen feststellen. Im Gegensatz dazu wird jedoch der Kriminalisierung ärztlichem Handelns

Vorschub geleistet. Es besteht die Gefahr terminal erkrankten Patienten aufgrund bestehender

Ängste vor rechtlichen Konsequenzen, seitens betreuender Ärztinnen und Ärzte, eine effektive

Palliativtherapie vorzuenthalten.

 

Die Aktive Sterbehilfe ist in Österreich per Gesetz verboten und ich denke damit ist bereits alles

klar und deutlich festgestellt. Steht man als Arzt / Ärztin selbst am Krankenbett eines

schwerstkranken Menschen und denkt - zum Glück meist im Team - über das

„Sterbenlassen“ (Definition: passive Sterbehilfe), also Therapiereduktion / -unterlassung oder die

sog. „terminale Sedierung“ nach, so ergeben sich im subjektiven Empfinden keine so deutlichen

Grenzen wie sie von Theoretikern beschrieben werden - und jetzt soll ein Verfassungsgesetz die

Situation klären helfen?

 

Da ich mir, bei der ohnehin bestehenden klaren Gesetzeslage, über die Motivation zur Aufnahme

eines derartigen Verbotes in die Verfassung nicht ganz im Klaren bin, stellt sich mir die Frage ob

mit diesem Ansuchen eventuell der ärztlich assistierte Suizid, wie er in einigen Ländern (z. B.

Deutschland, Belgien, Schweiz, Schweden, Luxemburg, Niederlande und den US-Bundesstaaten

Oregon und Washington) erlaubt und praktiziert wird, gemeint sein könnte.

 

Eine Änderung der Verfassung wird weiters auch nicht verhindern dass Menschen mit ausreichend

finanziellen Hintergrund weiterhin ins Ausland zu diversen Instituten reisen um ihre

Selbstbestimmung auf dem letzten Weg finden zu können.

 

Möglicherweise liegt der größere Vorteil im Erarbeiten von konkreten Lösungsvorschlägen, in der

Beantwortung der Frage wie weit Selbstbestimmung im Sterben unterstützt werden darf und

wirklich leidenden Menschen geholfen werden kann - mit der einzigen Motivation des Helfens.

 

In diesem Sinne hoffe ich darauf einige konstruktive Gedanken in die Diskussion eingebracht zu

haben und verbleibe mit freundlichen Grüßen - Dr. Günter Baumann

 

 

Eingelangt am 1. September 2014