Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

 

Wo es um den besonderen Schutz Berechtigter geht, sind deren Ansprüche nicht verzichtbar.  Einige Beispiele:

 

·        Vereinbarungen über verbotene Ablösen im Mietrecht.

·        Vereinbarungen mit anderen Bietern über die Nichtteilnahme an Zwangsversteigerungen.

·        Zwingende Bestimmungen im Konsumentenschutzgesetz

·        Die meisten kollektivvertraglichen Regelungen

 

Bei allen diesen und vielen anderen Bestimmungen hält der Gesetzgeber den –obwohl dort meistens entscheidungsfähigen und mündigen- Schutzbedürftigen für zu schwach, faktischen Anforderungen ökonomischen oder sozialen Drucks zu widerstehen und erlaubt es ihm nicht, auf seine Rechte zu verzichten.

 

Umso eher muss für das Recht auf Leben gelten, dass es unverzichtbar ist.

 

Bedenken Sie bitte, dass es typisch für todesnahe Situationen ist, dass freie Entscheidungen in dieser Frage nicht, oder für Außenstehende nicht nachvollziehbar getroffen werden können. Eine Abgrenzung der freien Sterbeentscheidung von depressiv oder medikamentös beeinflussten Zuständen bzw. sozial oder ökonomisch bedingtem Druck kann in der Praxis nicht funktionieren. Auch eine Patientenverfügung löst solche Probleme nicht, denn die Frage, ob man im Zustand begrenzter Zurechnungsfähigkeit noch zu seinem vorzeitigem Sterbewunsch steht, wird sich in keinem Fall beantworten lassen.  

 

Wenn die Tür zur aktiven Tötung auf Verlangen geöffnet wird, so wird Ähnliches geschehen, wie es bei den Folgen der Fristenregelung zum Schwangerschaftsabbruch zu beobachten ist:

 

·        Soziale Umstände, ökonomische Interessen Angehöriger werden enormen „Hinscheidensdruck“ auf Betroffene ausüben. Die Plage des Schuldgefühls für den Überlebenstrieb wird zu einer Geisel der Menscheit.

·        Vor allem demente Patienten werden in große Angst versetzt, getötet zu werden, wenn das grundsätzlich erlaubt wird.

·        Jede Krankengeschichte hat auch psychische Ab- und Aufwärtsentwicklungen. Die situationsbezogene Entscheidung über einen vorzeitigen Tod ist unumkehrbar, Chancen auf persönliche Erlebnisse und Entwicklungen werden vernichtet.

·        Medizinische Weiterentwicklungen in Richtung palliativer Medizin und Hospizwesen werden budgetär verkümmern, weil ein moralisch entrüstet geleugnetes aber faktisch enormes Sparpotential bei den Pensions- und Gesundheitskosten durch die Ausweitung aktiver „Sterbehilfe“ winkt.

·        Alle hehren Überlegungen mit legistischen Begleitmaßnahmen die Anzahl der Fälle aktiver Tötung gering zu halten, werden von der faktischen Entwicklung überholt werden und auf der Strecke bleiben

·        Ein Wirtschaftszweig der Selbsttötungsinstitute wird sich entwickeln, der mit enormer Eigendynamik und Lobbying sicherstellt, dass Grenzen der Zulässigkeit aktiver Tötung ausgeweitet werden

·        Bald nach allfälliger Einführung aktiver Tötungsbefugnisse wird darüber diskutiert werden, die Entscheidung darüber für Sachwalter oder nahe Angehörige zu öffnen. Die Ärzte werden folgen. Der Patient wird nicht mehr gefragt werden.

·        Die Forderung nach der Verpflichtung zur Einführung flächendeckender aktiver Tötungsmöglichkeiten in öffentlichen Krankenhäusern wird erhoben werden

·        Ärzte werden dazu genötigt werden, gegen Ihr Gewissen Tötungshandlungen vorzunehmen

·        Der öffentliche Respekt gegenüber dem Wert des Lebens wird nachhaltig reduziert werden, was weitere soziale Probleme nach sich ziehen wird

·        Ungeahnte Tiefen in Fragen des Versicherungs- und Gesundheitswesens sowie finanzieller Aspekte werden sich ergeben („Sterbehilfe-Bonus-Malussystem“)

 

Persönlich bringe ich folgende Erfahrungen zum Thema ein:

 

·        Meine Großtante fiel dem Euthanasieprogramm des Nationalsozialismus zum Opfer

·        Im Freundeskreis hatte ich einen ALS-Patienten und konnte unmittelbar beobachten, zu welchen Leistungen ein gut geführtes Hospizwesen fähig ist

·        Im Freundeskreis hatte ich einen Krebspatienten, der nicht in einem Hospiz untergebracht war und sich das Leben nahm

·        Im Bekanntenkreis hatte ich einen Patienten, der mehrere Jahre lang im Wachkoma lag. Bis zuletzt waren sich das überforderte Pflegepersonal und Familie nicht darin einig, wie hoch der Grad seiner Kommunikationsfähigkeit war und welche Bedürfnisse der Patient hatte. Ein ausgebautes Hospizsystem hätte in diesem Fall viel Leid reduziert.

·        Mein Vater ist letztes Jahr in rotierender familiärer Begleitung nach langer mit Geduld ertragener Krankheit verstorben. Er hatte oft große Sorge, jemandem zur Last zu fallen. Mir graut, wenn ich mir vorstelle, wie es ihm gegangen wäre, hätte die rechtliche Möglichkeit der Tötung auf Verlangen existiert.

 

Ich appelliere an Sie, Ihre Verantwortung für die Menschen wahrzunehmen und alles in Ihrer Kraft stehende zu tun, das Wesen der Sterbebegleitung auszubauen und damit solidarisch jene zu fordern, die nicht selbst betroffen sind, statt sterbenskranke Menschen in einen gravierenden  Entscheidungsdruck zu bringen, in dem sie dann alleingelassen würden.

 

 

freundliche Grüße,

Dr. Martin Schima,

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eingelangt am 12.09.2014