„Würde am Ende des Lebens“

 

Ursprünglich war es ja die Idee der ÖVP, also jener christlich-konservativen Partei Österreichs, die etwas mehr als 20% der Bevölkerung repräsentiert, ein allgemeines Sterbehilfeverbot in den Verfassungsrang zu heben. Dies stand so im Koalitionspapier als quasi bereits beschlossener Deal zwischen zwei ansich gesellschaftspolitisch differenten Parteien – wobei bei diesem Verbot ausdrücklich keine Differenzierung zwischen „aktiver“ und „passiver“ Sterbehilfe getroffen wurde. Als Verankerung eines „Rechtes auf Sterben in Würde“ wurde dieses Vorhaben, jede weitere  differenzierte Diskussion auf ewig zu unterbinden, beschönigt.

Jedoch muss dieses wichtige, heikle und jeden von uns betreffende Thema ausführlich und sehr breit und sehr differenziert diskutiert werden - und darf nicht weltanschaulichen oder religiösen oder parteipolitischen Wahrnehmungen/Interessen unterworfen sein! Maßstab einer solchen Diskussion ist nicht die Bibel, nicht der Koran, nicht „unsere abendländisch Kultur oder Tradition“, nicht das Parteibuch - schon gar nicht das Parteibuch eines Koalitionspartners, der möglicherweise nach der nächsten Wahl nicht mehr in der Regierungsverantwortung stehen könnte.

Und schon gar nicht ist eine rasche und oberflächliche Abhandlung zu akzeptieren – so wie das offenbar noch im November 2013 versucht wurde.

Was sind - z.B. für mich als Palliativmedizinerin – die unverzichtbaren Eckpunkte?

Zunächst einmal ist es bei so einer Diskussion völlig inakzeptabel, nicht zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe unterscheiden zu wollen!

Der ursprüngliche Gedanke war ja, ohne diese Differenzierung ein Sterbehilfe-Verbot in den Verfassungsrang heben zu wollen. Man muss sich ernsthaft  die Frage stellen, ob sich da nicht sehr schnell eine neuerliche, völlig unnötige Diskussion zur Fristenlösung dranhängen würde – denn wenn wir schon mal über das Ende des Lebens diskutieren, müssen wir dann nicht auch den Anfang neu überdenken? Mit all seinen katastrophalen Konsequenzen!

Was würde eine Nicht-Differenzierung konkret bedeuten?

"Aktive" Sterbehilfe und assistierter Selbstmord sind in Österreich ohnehin strafrechtlich verboten. (Also wozu dann ein Verfassungsrang?)

Fatal wäre dies jedoch für die "passive" Sterbehilfe, denn dies betrifft das gesamte Spektrum von der Patientenverfügung bis zur Medikation bei der Sterbebegleitung.

Die Patientenverfügung tritt vor allem dann in Kraft, wenn man sich selbst nicht mehr äußern kann. De facto ist die Patientenverfügung eine ganz persönliche Anleitung zur "passiven" Sterbehilfe, also zur "Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen bei einer tödlich verlaufenden Krankheit".

D.h.: man vermerkt, was alles nicht mehr geschehen soll mit einem, wenn man sich nicht mehr wehren kann - z.B.: unnötige Operationen, Zwangsernährung, medikamentöse Therapie, die keine Heilung mehr bringt, Zwangsbeatmung.

Bei klarem Bewusstsein und Einsichtsvermögen hat jeder ab dem 14.Lebensjahr das Recht, eine Behandlung abzulehnen. Die Patientenverfügung gilt also explizit für Zustände, wo kein klares Bewusstsein mehr vorhanden ist.

Wenn dies jedoch dann alles "verfassungswidrig" ist - also z.B. eine sinnlose Behandlung abzubrechen oder zu unterlassen, dann sind wir Ärzte wieder "die Gesetzesbrecher, die Mörder", weil wir einem Patienten nicht all diese lebensverlängernden Maßnahmen aufgezwungen haben, oder weil wir gar den Patienten starke Schmerzmittel geben, die - wohl wissend - ev. das Risiko bergen, starke Nebenwirkungen zu haben, die in einem Schwächezustand den Tod inkludieren könnten.

Ganz plastisch gesagt: Man geht also zum Rechtsanwalt, lässt sich eine Patientenverfügung absichern, sodass sie "verbindlich" ist, und der Rechtsanwalt muss einem im Aufklärungsgespräch mitteilen: "Alles schön und gut, was Sie da drinstehen haben wollen, aber ich muss Ihnen sagen, dass dies eine klare Aufforderung zur "passiven Sterbehilfe" und somit in Österreich verfassungswidrig ist. Es DARF sich also niemand an diese Verfügung halten – außer er ist bereit, verklagt zu werden." (Ich sehe schon die Prozesse gegen Palliativmediziner bei Erbstreitereien, Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen, Streitereien bzgl. Auszahlung von Lebensversicherungen etc.)

Mit so einer Verfassungsänderung ist dann jedenfalls dem medizinischen Aktionismus bis zum letzten Atemzug wieder Tür und Tor geöffnet – und auch endgültig auf Jahrzehnte hin zementiert! Wer als Arzt nicht mit der Verfassung in Konflikt geraten möchte (mit all den genannten Konsequenzen), der wird sich da tunlichst zurückhalten. Also: zurück an den Start mit der Palliativmedizin! Über die traut sich dann keiner mehr drüber.

Zur „Würde am Ende des Lebens“ gehört für mich jedenfalls auch das Sterben dürfen in einem individuellen Kontext. Im christlich-konservativen Kontext muss gelebt werden um jeden Preis, denn schließlich wurde einem ja das Leben „geschenkt“. Leiden ist dankbar zu akzeptieren und zu ertragen, denn vielleicht hat es ja einen „Sinn“. Christus hat ja schließlich auch gelitten. Selbstmord ist eine Todsünde.

In diesem Kontext wird die Palliativmedizin lediglich als Kunst, das Sterben möglichst schmerzfrei hinauszögern zu können, akzeptiert. „Würde am Ende des Lebens“ wird hier immer irgendwie der Schmerzfreiheit und liebevollen Pflege gleichgesetzt. Das muss genügen, damit ist der Bürger ausreichend versorgt.

„Würde“ interpretiert aber jeder anders und sehr individuell aus seinem persönlichen Kontext, was bedeutet: der Staat hat hier nicht das Recht oder die Pflicht, eine Definition von „Würde“ und „Unwürde“ vorzugeben – schon gar nicht auf einem religiösen oder gesellschaftspolitisch aktuellen Hintergrund, der Übermorgen schon wieder ein ganz anderer sein könnte. Vielmehr hat der Staat die Pflicht, sich von solchen persönlichen und individuellen Sichtweisen von „Würde“ – sofern dadurch kein Dritter zu Schaden kommt - völlig fernzuhalten.

Womit ich mich einem sehr heiklen Punkt zuwende:

Wenn ein Mensch sich in einem Zustand des freien Willens befindet – das heißt: maximal möglich schmerzfrei, maximal möglich psychisch stabil, maximal möglich frei von wirtschaftlicher Sorge – und er in diesem Zustand frei äußert, dass sich für ihn persönlich ein würdeloser Zustand abzeichnet und er diesen Zustand als unerträglich und nicht lebenswert empfinden wird, so ist dies seitens des Staates zu akzeptieren, jedoch nicht zu reglementieren. Der Staat hat nicht vorzugeben, ob es gerade noch mit Würde vereinbar ist, die Leibschüssel benutzen zu müssen, oder nicht. Der Staat hat dies auch nicht zu sanktionieren. 

Daher bin ich der Meinung, dass aktive Sterbehilfe im Sinne des assistierten Suizids den gleichen rechtlichen Status erhalten sollte, wie die Fristenlösung. Das heißt: der Staat muss es ja nicht gut heißen, aber er muss auf strafrechtliche Verfolgung verzichten. Es ist meiner Ansicht nach unerträglich, wenn Menschen sich auf den Weg zur Dignitas in die Schweiz begeben – und die Angehörigen, die das Auto auf dieser für alle nicht eben lustigen Reise lenken, eine Anklage bzw. Haftstrafe wegen „Beihilfe zum Selbstmord“ zu erwarten haben.

„Das Recht auf palliativmedizinische Versorgung am Lebensende“

Diese Forderung, die auch oft ins Spiel gebracht wird, finde ich besonders abstrus. Palliativmedizin ist selbstverständliches ärztliches, empathisches Handeln. So wie jede notwendige ärztliche Handlung selbstverständlich ist und nicht verweigert wird. Der Patient muss mir nicht sagen: ich bestehe auf meinem Recht, dass sie mir in den Hals schauen, wenn ich Angina habe! Das ist lächerlich.

Richtig wäre die Forderung: Für die Palliativmedizin muss mehr Geld in die Hand genommen werden, damit sie jedem zu Gute kommen kann, der sie braucht. Denn Palliativmedizin ist mitunter ein sehr personalintensives Konzept.

Summa summarum:

Die Aufgabe des Staates besteht nicht darin, ein moralisierendes Regelwerk zu schaffen, wie jemand sein eigenes Lebensende zu sehen hat, sondern darin, ordentliche Rahmenbedingungen herzustellen, damit das Lebensende in dem Ausmaß würdevoll gestaltet werden kann, wie es für jeden einzelnen stimmig ist. Der assistierte Suizid kann durchaus auch ein würdevolles Lebensende bedeuten. Der Staat hat auch hier lediglich die Aufgabe, ein Regelwerk zu schaffen, das einen Missbrauch verhindern kann – nicht jedoch den Wunsch nach Suizid an sich zu kriminalisieren. Letzteres mag Angelegenheit einzelner Glaubensgemeinschaften sein – nicht jedoch eines Staates, der für alle Bürger gleichermaßen Sorge zu tragen hat, unabhängig von Konfession, politischer Zugehörigkeit oder sonstiger Weltanschauung.

 

 

 

Dr.med.Ursula Hammel, Diplom der ÖÄK für Palliativmedizin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eingelangt am 12.09.2014