Enquete-Kommission zum Thema "Würde am Ende des Lebens"

 

Sehr geehrte Damen und Herren

 

als jemand, der sich in der Schweiz sehr intensiv mit der Frage der Suizid- und Sterbehilfe befasst hat, erlaube ich mir, Ihnen kurz einige Gedanken dazu zuzuschicken. Im Anhang finden Sie ausserdem eine ausführlichere Stellungahme, die ich vor einiger Zeit an die Schweizerische Bundesverwaltung geschickt habe, als diese Frage in der Schweiz zur Diskussion stand.

 

Ich hoffe sehr, dass Österreich nicht daran denkt, ein Verbot der Sterbehilfe (inklusive Beihilfe zum Suizid???) in die Verfassung zu schreiben? Allfällige Bestimmungen zum Thema gehören allenfalls ins Strafgesetzbuch oder – besser –, falls überhaupt nötig, in die Gesundheitsgesetzgebung.

 

Ich bin eine vehemente Verfechterin des Rechts auf ein Sterben in Würde, auf ein selbstbestimmtes Sterben. Dieses sollte nicht bloss die Beanspruchung der Suizidhilfe umfassen, sondern auch die aktive Sterbehilfe, sofern eine Person den schriftlichen Wunsch danach in bestimmten Situationen geäussert hat (wenn z.B. die Urteilsfähigkeit oder die physische Möglichkeit zum assistierten Suizid nicht mehr gegeben ist). Sollte ich an irreversibler Demenz leiden oder körperlich nicht mehr fähig sein, selbst ein tödliches Mittel einzunehmen, würde ich mir aktive Sterbehilfe wünschen, als Erlösung von einem Leben, das ich nicht mehr als menschenwürdig empfinde. Die Niederlande und Belgien sind in dieser Beziehung fortschrittliche Beispiele.

 

Falls irgend etwas in einer Verfassung erwähnenswert wäre, dann das Grundrecht auf ein SELBSTBESTIMMTES Sterben in Würde. Mich macht es stutzig, dass Ihre Mailadresse “würdevoll.leben” lautet anstatt “würdevoll sterben” – denn darum geht es ja eigentlich.

 

Palliativmedizin ist super - für Leute, die das beanspruchen wollen. Sie ist aber keine Alternative zum assistierten Suizid und zur Sterbehilfe. Es gibt Menschen, die lieber rasch einschlafen möchten – anstatt unter Morphium noch längere Zeit dahin zu vegetieren. Jeder Mensch hat das Recht darüber zu entscheiden, wann er sterben möchte. Und es ist schön, dass es Organisationen gibt, die Menschen, die im Alter nicht dement werden oder längere Zeit dahinvegetieren wollen, dabei helfen, diese Welt auf würdige Weise zu verlassen, ohne dass sie sich unter einen Zug oder aus dem 11. Stock werfen müssen.

Recommendation 1418/99 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vermag unter diesem Gesichtspunkt in Paragraph 9 Buchstabe c nicht zu befriedigen.

 

Bei Patientenverfügungen ist vor allem wichtig, dass sie für Ärzteschaft und Pflegepersonal unter allen Umständen verbindlich sind.

 

Es geht um elementare Selbstbestimmungsrechte, in die sich weder Kirche noch Staat einmischen dürfen.

 

Mit besten Grüssen

Anne-Marie Rey - 77 jährig, mit etwelcher Erfahrung im familären Umfeld von grässlichem Dahinvegetieren am Lebensende. Mitglied von Dignitas.


 

Vernehmlassung zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes betreffend die organisierte Suizidhilfe

 

Stellungnahme  

 

Sehr geehrte Frau Bundesrätin

Sehr geehrte Damen und Herren

 

Als potentiell Betroffene ist es mir ein dringendes Anliegen, mich zum Vorentwurf für eine Neuregelung der Suizidhilfe im StGB zu äussern.

Ich habe in meiner nächsten Verwandt- und Bekanntschaft mehrere Situationen erlebt, die mich bewogen haben, bei Dignitas Mitglied zu werden, obwohl ich vorläufig noch bei bester Gesund­heit bin: Zwei schreckliche Selbsttötungen von alten, kranken Menschen (einmal durch Erschiessen und einmal durch Sturz aus dem 3. Stock), das Jahre dauernde Absterben von vier Alzheimer- bzw. Demenzkranken bei den Angehörigen zu Hause und in Pflegeheimen sowie die halbseitige Lähmung während 25 Jahren meines Vaters infolge eines Hirnschlages.

All dies führt mich dazu zu sagen: Das will ich für mich NICHT ! Ich will als selbstbestimm­ter Mensch über MEINEN Tod entscheiden können. Und dabei möchte ich die Hilfe einer Suizid­hilfeorganisation in Anspruch nehmen können. Palliativmedizin ist für mich keine Alternative.

Meine folgenden Bemerkungen betreffen sowohl Art. 115 StGB, wie die identischen Bestim­mungen von Artikel 119 des Militärstrafgesetzes.

 

1. GRUNDSÄTZLICHES

 

1.1  Ein grundlegendes Freiheitsrecht

Die Debatte um den Suizid hat sehr viele Gemeinsamkeiten mit der Thematik des Schwanger­schaftsabbruchs, mit welcher ich mich seit 40 Jahren befasse: Es geht um Selbst­bestim­mung des Individuums, um grundlegende Persönlichkeitsrechte.

Dass der Staat Leben schützen soll, ist unbestritten. Aber er hat keinesfalls biologisches Leben gegen den Willen des Trägers dieses Lebens zu schützen; es kann keine gesetzliche Pflicht zum Weiterleben geben.

Suizid ist – wie Schwangerschaftsabbruch – nicht a priori etwas Schlechtes, das es um jeden Preis zu verhindern gilt. Die Aussage „jeder einzelne Suizid ist einer zuviel“ (Abschnitt 4.1 des erläuternden Berichts) tönt nach Bevormundung und steht letztlich im Widerspruch zur Feststellung, dass „jede Person das Recht auf ihre persönliche Freiheit hat, und dazu gehört letztlich auch der Entscheid, das eigene Leben von sich aus beenden zu wollen“ (Abschnitt 4.2 des Berichts).

 

1.2  Alternativen zum Suizid?

Selbstverständlich soll man versuchen, Suizide von Jugendlichen und Kurzschlusshandlungen im Affekt mit Präventivmassnahmen zu verhindern.

Selbstverständlich soll Palliative Care allen Alten und Kranken, die eine solche Pflege in Anspruch nehmen möchten, zur Verfügung stehen.

Darum geht es aber bei der organisierten Suizidhilfe eben gerade nicht. Eine Person, die sich dazu ent­scheidet, mit Hilfe einer Suizidhilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden, handelt nicht im Affekt. Sie will eben gerade nicht ihre Selbständigkeit aufgeben, ihr Sterben mit Palliative Care, im Morphiumnebel, verlängern oder in geistiger Umnachtung in einem Pflegeheim dem Tod entgegen dämmern. Sondern diese Menschen haben sich lange und eingehend mit dem Gedanken des Todes befasst und einen wohlüberlegten Entscheid getroffen: Sie möchten über den Zeitpunkt ihres Todes selbst bestimmen und sie möchten zu gegebener Zeit in Würde sterben können, anstatt sich aufhängen, unter den Zug werfen, von der Brücke hinabstürzen oder – falls sie dazu physisch nicht mehr in der Lage sind – gegen ihren Willen ein langes Dahinsterben erdulden zu müssen. 

Die Entscheidung zum begleiteten Suizid muss als ebenso verantwortungsvoll respektiert werden, wie der Entscheid zum Sich-Fügen ins „Schicksal“.

Es ist unzulässig, Palliative Care gegen Suizidhilfe auszuspielen. Ebenso wie es un­zu­lässig ist, Adoption oder Sozialhilfe gegen Schwangerschaftsabbruch auszuspielen. Beide Angebote sind nötig.

 

1.3  Ziel und Zweck der Neuregelung

Im Gegensatz zu früheren Beschlüssen des Bundesrates soll jetzt plötzlich doch Art. 115 StGB geändert werden. Dies wird mit Missbrauchsverhinderung angesichts von „neueren Entwick­lungen“ in der Praxis der Suizidhilfeorga­ni­sa­tionen begründet (Ort der Durchführung, Methoden, Sterbetourismus, Ausweitung der Indikationen, Verkommerzialisierung). Im Visier steht insbe­son­dere Dignitas. Die neuen Praktiken waren jedoch durch die immer neuen Hürden verur­sacht, die der Organisation in den Weg gestellt wurden. Und von Verkommerzialisierung kann keine Rede sein. Bisher sind keine der behaupteten „Missbräuche“ tatsäch­li­ch nachgewiesen worden. Die gegen Dignitas erhobenen Vorwürfe entpuppten sich bei näherer Betrachtung als haltlos.

 

1.3.1  Sterbetourismus unterbinden?

Mit administrativen Hürden, namentlich den in Variante 1 geforderten zwei Gutachten und dem Erfordernis des „dauerhaft“ geäusserten Willens soll der Sterbetourismus unterbunden werden.

Es gibt aber keinen Grund, Sterbetourismus zu unterbinden. Nachdem in Europa alle Reisebe­schränkungen aufgehoben wurden, ist nicht einzusehen, weshalb es Sterbewilligen untersagt werden soll, die Hilfeleistung einer Schweizer Organisation für etwas in Anspruch zu nehmen, das sie dringend wünschen, im eigenen Land aber nicht angeboten werden darf. Bis 1975 reisten Französinnen zu Tausenden für einen Schwangerschaftsabbruch in die Schweiz. Schweizerinnen fuhren ab 1968 zum Abbruch nach England, später nach Holland. Heute reisen Tausende Irländerinnen zu diesem Zweck nach England und Italienerinnen kommen zu Hunderten in die Schweiz, um einen medikamentösen Abbruch durchführen zu können, der ihnen in Italien (noch) verweigert wird.

Solange Menschenrechte (zum Beispiel das Recht auf einen selbstbestimmten Tod mit Unterstützung der organisierten Suizidhilfe oder  das Recht auf selbstbestimmte Mutterschaft) nicht in allen Ländern respektiert werden, ist es eine vornehme Aufgabe fortschrittlicher Länder, auch Menschen aus andern Ländern zu ihrem Recht zu verhelfen. Menschen aus dem Ausland auszuschliessen, wäre eine Diskriminierung.

Wenn erst einmal mehr Länder den begleiteten Suizid zulassen, wird der Sterbetourismus verschwinden.

1.3.2  Ausweitung der Indikationen verhindern?

Variante 1 will die Suizidhilfe auf Personen beschränken, die unheilbar krank sind und deren Tod unmittelbar bevorsteht.

Was heisst „unmittelbar bevorsteht“? Zwei Wochen? Zwei Monate? Zwei Jahre? Was ist mit Chronisch­kranken, deren Zustand sich mit Sicherheit von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr verschlech­tern wird, mit Personen mit ersten Anzeichen einer Demenzkrankheit, mit urteils­fähigen schwerst psychisch Kranken? Es ist ein unerhörter Eingriff in die Privatsphäre und die Persönlichkeitsrechte, eine Diskriminierung, wenn der Staat solchen Menschen die Inan­spruchnahme der Hilfe erfahrener SuizidhelferInnen untersagen will. Es wäre nicht im Einklang mit dem Urteil des Bundesgerichts vom 3. November 2006.

Personen, die dauerhafte und unerträgliche physische Leiden ohne Aussicht auf Besserung ertragen, wo die Prognose aber nicht tödlich ist“, auszuschliessen (erläuternder Bericht 5.2.3.3.), ist schlicht zynisch und grausam. Einen derartigen Eingriff in die Privatsphäre mit einer Fürsorgepflicht des Staates zu begründen, ist nicht zulässig. Das ist nichts anderes als Bevormundung und Zwang. „Fürsorge gegen den Willen des «Befürsorgten» ist eine der perfidesten Formen der Gewalt“ (Frank Th. Petermann, NZZ 26. Juni 2009).

Ausserdem würde dies indirekt auf den Versuch einer Definition des strafrechtlich nicht mehr schützens­werten Lebens hinauslaufen. Niemand ist befugt, allgemeingültig zu definieren, was für den Einzelnen als lebenswert zu gelten hat und was es heisst, würdig zu sterben. Es gibt Dinge, gerade in derart weltanschaulich geprägten Bereichen, die man nicht regeln kann und nicht regeln soll.

Dass Indikationen nichts taugen, dem Einzelfall nie gerecht werden können und nicht prakti­kabel sind, hat sich beim Schwangerschaftsabbruch, erwiesen. Es gibt auch beim Suizid nur eine mögliche Regelung: Selbstbestimmung.

Ein Grundrecht kann nicht mit „Indikationen“ eingeschränkt werden.

 

1.3.3  Verkommerzialisierung / Gewinnorientierung verhindern?

Keine der in der Schweiz tätigen Suizidhilfeorganisationen ist auf Gewinnstreben ausgerichtet. Ihre Tätig­keit ist nicht erwerbsorientiert, sondern im Grunde genommen gemeinnützig. Es ist nicht einzusehen, weshalb diese Organisationen ihr Personal und die Personen, die die Dienstleistung erbringen, nicht entlöhnen, weshalb diese Personen kein Entgelt entgegen­nehmen sollten. Auch Mitarbeitende in der Palliativmedizin, in der Spitex, in Alzheimervereinen oder Patientenorganisationen werden entlöhnt. Die Zielsetzung von Dignitas ist ausserdem ideell, auf die praktische und rechtliche Durchsetzung des Menschenrechts auf einen selbstbe­stimmten Tod ausgerichtet. Der Verein bietet Beratung und Dienstleistungen auch unbemittel­ten Menschen an. Weshalb sollte er zur Finanzierung seiner Arbeit nicht Spenden, Schenkun­gen und Vermächtnisse entgegennehmen dürfen, wie andere ideelle und karitative Vereine?

Der Vergleich mit dem Transplantationsgesetz (vertiefte Abklärungen 5.3.2.) ist völlig fehl am Platz. Dieses untersagt die entgeltliche Organspende. Hingegen werden sämtliche, an der Transplantation beteiligten Personen für ihre Leistungen selbstverständlich entlöhnt (medizi­nisches Personal, Organisation, Transport etc.). Dasselbe gilt für den ebenso weltanschaulich kontroversen Schwangerschaftsabbruch.

 

1.3.4  Vermeidung übereilter Entscheide?

Bevor sich jemand zu einem begleiteten Suizid entscheidet, findet eine ausgiebige Auseinan­dersetzung mit diesem Gedanken statt (Bilanzsuizid). Es liegt in der Regel eine ärztliche Diagnose vor. Bis zur Durchführung verstreicht wieder Zeit. Im Gesetz weitere Hürden und Fristen festzu­legen wäre reine Schikane.

Selbstverständlich müssen Kurzschlusshandlungen vermieden werden. Das gehört zu den Abklärungen im Rahmen des „informed consent“, also Einwilligung nach Aufklärung.

 

1.3.5  Qualitätssicherung?

Ein Aufblähen der Bürokratie bringt keine wirksame Qualitätskontrolle. 

Die Suizidhilfeorganisationen unternehmen bereits auf freiwilliger Basis Anstrengungen zur Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle. Ein normierendes Eingreifen gegen nie belegte Missbräuche ist daher überflüssig. Sollte ein Bedarf nach einer gesetzlichen Regelung überhaupt bestehen, dann sollte das Ziel nicht eine Bürokratisierung der Suizidhilfe, die Senkung der Fallzahlen oder die Unterbindung des Sterbetourismus sein, sondern vielmehr die Gewährleistung des Rechts auf einen sebstbestimmten, sanften und würdigen Tod.

So betrachtet erübrigt sich eigentlich eine Gesetzesänderung. Der bestehende Artikel 115 StGB hat sich bewährt und kann so belassen werden wie er ist.

 

2.  Variante 1, Festlegung von klaren Sorgfaltspflichten

 

2.1  Allgemeines

Wenn eine Neuregelung politisch unumgänglich sein sollte, dann ist es sicher richtig, nicht den Weg eines bürokratischen, ausführlichen Spezialgesetzes zu wählen, sondern Artikel 115 StGB zu ändern.

Aber auch Variante 1 geht viel zu sehr ins Detail. Es werden zu hohe, unnütze, bürokratische Hürden aufgebaut. Es wird versucht, Dinge zu regeln, die gar nicht geregelt werden können. Sterbehilfe wird bis zu einem gewissen Grade ‚veradministriert’ “. „Zahlreiche Begriffe müssen ausgelegt und interpretiert werden“ (Abschnitt 5.2.8 des erläuternden Berichts).

Die Gesamtheit der Formulierungen in Variante 1 läuft praktisch auf eine Verunmöglichung der organisierten Suizidhilfe hinaus.

Positiv zu vermerken ist, dass der Begriff „Selbstmord“ durch „Suizid“ ersetzt wird und dass darauf verzichtet wird, gesetzliche „Bedenkfristen“ festzulegen.

Negativ fällt auf, dass der Text nicht geschlechtsneutral formuliert ist. Insbesondere ist überall sowohl die Suizidhelferin wie der Suizidhelfer zu erwähnen.

 

2.2  Artikel 115 StGB, Absatz 2

Dieser Absatz sollte nicht negativ, sondern positiv formuliert sein:

„Wer im Rahmen einer Suizidhilfeorganisation jemandem Hilfe zum Suizid leistet, bleibt straflos, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:“

Hinsichtlich der Sorgfaltspflichten sind die wesentlichen Punkte die Abklärung des Suizid­willens und der diesbezüglichen Urteilsfähigkeit.

 

Buchstabe a

Streichen: „... und besteht auf Dauer“

Was heisst „auf Dauer“? Dieser Begriff ist unpraktikabel. Wer sich an eine Suizidhilfeorgani­sation wendet, hat intensiv über sein Sterben nachgedacht, auch wenn der definitive Entscheid kurze Zeit nach einer ärztlichen Diagnose geäussert wird. Wichtig ist, dass dieser wohlerwogen ist (informed consent). Es geht nicht um Affekthandlungen.

Es kann auch nicht verlangt werden, dass „mehrere individuelle Gespräche durch die begutach­tenden ärztlichen Personen zu führen“ sind (vgl. erläuternder Bericht 5.2.3.1.). Solche Gesprä­che mit ÄrztInnen und Angehörigen haben meist schon lange vor dem definitiven Entscheid stattgefunden.

 

Buchstabe b

Streichen: „...von der Suizidhilfeorganisation unabhängiger...“

Es gibt keinen plausiblen Grund, weshalb nicht auch ÄrztInnen, die Mitglied bei einer Suizid­hilfe­organisation sind, die Urteilsfähigkeit eines Sterbewilligen beurteilen sollten. Es könnten durchaus die HausärztInnen und dieselben ÄrztInnen sein, die das Beratungs- und Infor­mationsgespräch führen und das Mittel verschreiben (Buchstabe d und e).

 

Buchstabe c

Der ganze Buchstabe ist zu streichen.

Das gesetzliche Erfordernis eines zweiten „Gutachtens“ ist abzulehnen. Es ist eine unnütze Hürde, die beim Schwangerschaftsabbruch abgeschafft wurde, hier aber wieder auftaucht. In den meisten Fällen war die sterbewillige Person schon lange in ärztlicher Behandlung, die Diagnose wurde schon lange gestellt.

Die Einschränkung auf Menschen, die an „einer unheilbaren Krankheit mit unmittelbar bevorste­hender Todesfolge“ leiden, ist inakzeptabel (vgl. weiter oben unter 1.3.2  „Ausweitung der Indikationen verhindern?“).

 

Buchstabe d

Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Alternativen besprochen werden, das gehört zum informed consent.

Zu streichen sind die Worte „... und sie werden, soweit von ihr gewünscht, ihr vermittelt und bei ihr angewandt“.

Es kann nicht Aufgabe von Suizidhilfe­or­ganisation und ihren Mitarbeitenden sein, (kurz vor dem begleiteten Suizid?) palliativme­dizinische Massnahmen anzuwenden. Die Vermittlung solcher Massnahmen könnte sich als unmöglich erweisen und darf daher keine Voraussetzung für die  Straflosigkeit sein.

 

Buchstabe e

Diese Bedingung lässt sich allerdings nur erfüllen, solange genügend ÄrztInnen bereit sind, das Mittel zu verschreiben.

 

Buchstabe f

Dieser Buchstabe ist zu streichen.

Die Aufgabe von Personen, welche Freitodbegleitungen durchführen, ist sehr anspruchsvoll. Je öfter solche Begleitungen vorgenommen werden, desto besser ist die Qualität der Durch­füh­rung. Diese Tätigkeit soll daher wie irgend eine andere Hilfe- und Dienstleistung im Pflegebe­reich angemessen entschädigt werden können. Die Zeiten sind vorbei, wo verlangt werden kann, dass gemeinnützige Arbeit immer gratis geleistet werden muss.

 

Buchstabe g

Es ist richtig, dass über jede Suizidbegleitung eine Dokumentation erstellt werden soll. Dazu gehört sicher die Feststellung der Urteilsfähigkeit und des informed consent (Beratung und Gespräch über die Motive, Erörterung der Alternativen und Einwilligung). Letzterer könnte wie beim Schwangerschafts­abbruch mittels eines vom Kanton zur Verfügung gestellten und vom Sterbewilligen zu unterzeichnenden Formulars belegt werden.

Bei Vorlegen einer solchen Dokumentation sollte dann allerdings auf die Einleitung des Verfahrens bei aussergewöhnlichen Todesfällen und die Einschaltung der Polizeibehörden verzichtet werden. Die ärztliche Todesbescheinigung und die Meldung an eine zu bezeichnende Stelle (z.B. Bezirksarzt, Kantonsarzt) müsste genügen. Ein suizidbegleiteter Tod ist dann nichts Aussergewöhnliches mehr.

 

2.3  Artikel 115 StGB, Absatz 3

Buchstabe b

Buchstabe b ist zu streichen.

Es ist richtig, dass der Zweck der Suizidhilfe nicht das Erzielen eines Gewinns sein darf. Alle Suizidhilfeorganisationen haben statutarisch festgehalten, dass sie keinen Gewinn anstreben. Jedoch ist nicht einzusehen, weshalb die Organisationen zur Deckung ihrer Unkosten und der Kosten ihrer ideellen Aktivitäten (z.B. politischer und rechtlicher Art oder Angebot ihrer Dienst­leistungen an unbemittelte Personen) nicht Spenden und Legate entgegennehmen sollten.

Die Bestimmung, dass Zuwendungen mindestens ein Jahr vor dem Tod ausgerichtet oder verfügt worden sein müssen, ist unpraktikabel. Was ist, wenn ich früher sterbe oder die Sterbebegleitung in Anspruch nehmen muss als erwartet? Soll dann Dignitas meine Spende an meine Erben zurückerstatten müssen? Das würde meinem Willen völlig widersprechen.

 

2.4  Artikel 115 StGB, Absatz 4

Absatz 4 ist zu streichen.

Was ist unter „erforderliche Sorgfaltspflicht“ zu verstehen? Ein unklarer Begriff. Die Begründung im erläuternden Bericht vermag nicht zu überzeugen.

3.  Variante 2, Verbot der organisierten Suizidhilfe

 

„Die persönliche Freiheit beinhaltet dabei auch, den Entscheid über die Art des Vorgehens für den Suizid zu treffen. Dazu gehört auch ein Suizid mit Unterstützung von Dritten, namentlich von Suizidhilfe­orga­nisationen“ (Abschnitt 4.2 des erläuternden Berichts).

Aus diesem Grund erübrigt sich eine Diskussion über Variante 2 (Verbot der Suizidhilfe). Sie ist schlicht und einfach absurd.

Suizidhilfeorganisationen sind eine grossartige Einrichtung und es ist ihnen Anerkennung geschuldet für ihre altruistische Hilfeleistung. Für Alleinstehende und Personen, die nicht ihre Angehörigen mit der Suizidhilfe belasten möchten, gewährleisten sie die Möglichkeit eines sicheren, sanften, selbstbestimmten Todes.

Ohne sie gäbe es mehr grässliche und mehr missglückte Suizide mit schrecklichen Folgen.

 

4.  Alternative Vorschläge

 

4.1  Zugang zu Natrium-Pentobarbital sicher stellen

Handlungsbedarf scheint vorab bei der Bewirtschaftung von NAP zu bestehen.

Anstatt die Zugänglichkeit von NAP für die Suizidhilfeorganisationen zu beschneiden, muss die Verfügbarkeit des Medikamentes sicher gestellt werden. Es kann nicht garantiert werden, dass jederzeit eine ausreichende Zahl von ÄrztInnen bereit ist, den Organisationen im Interesse ihrer Mitglieder, die eine Freitodbegleitung wünschen, ein Rezept auszustellen. Es wäre deshalb sinnvoll, dass der Bundesrat, gestützt auf Artikel 14a des  Betäubungsmittelgesetzes, den Organisationen, die Gewähr für eine seriöse Arbeit bieten, die Erlaubnis erteilt, Natrium-Pentobarbital auch ohne ärztliches Rezept zu beziehen, zu lagern und abzugeben. (Frank Th. Petermann, Rechtliche Überlegungen zur Rezeptierung und Verfügbarkeit von Natrium-Pentobarbital, Aktuelle Juristische Praxis (AJP) 04.7.2006, S. 439-467).

 

4.2  Regelung im StGB ähnlich Fristenregelung

4.2.1  Vorbemerkung

Wie bereits eingangs erwähnt, finde ich eine Änderung des StGB überflüssig. ABER: Konzeptionell lehne sich Variante 1 an die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Artikel 119 und 120 StGB) an, heisst es im erläuternden Bericht (5.2.1.). Wenn eine Neuregelung nicht vermieden werden kann, warum dann nicht eine engere Anlehnung an Art. 118-120?

Als Nicht-Juristin wage ich, eine Formulierung vorzuschlagen:

 

4.2.2  Variante 3:  Artikel 115 und 115a StGB

 

Art. 115  Verleitung und Beihilfe zum Suizid

Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Suizid verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Suizid ausgeführt oder versucht wird, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Art. 115Suizidhilfe im Rahmen einer Suizidhilfeorganisation

1  Wer im Rahmen einer nicht erwerbsorientierten (nicht gewinnstrebigen/gewinnorientierten) Suizidhilfeorganisation jemandem Hilfe zum Suizid leistet, bleibt straflos, wenn:

  1. die suizidwillige Person ihren Entscheid frei und wohlerwogen gefasst hat und ihr Verlangen schriftlich geltend macht;
  2. eine zur Berufsausübung zugelassene Ärztin oder ein zur Berufsausübung zugelassener Arzt die Urteilsfähigkeit der suizidwilligen Person festgestellt, mit ihr ein eingehendes Gespräch geführt und sie beraten hat;
  3. mit der suizidwilligen Person andere Hilfestellungen als der Suizid erörtert wurden;
  4. die Suizidhandlung mit einem ärztlich verschriebenen Mittel ausgeführt wurde; und
  5. die Suizidhilfeorganisation gemeinsam mit der Suizidhilfe leistenden Person über den Suizidfall eine Dokumentation über die Einhaltung der Voraussetzungen gemäss Buchstaben a bis d erstellt.

Nach der ärztlichen Todesbescheinigung ist der begleitete Suizid unter Beilage der gemäss Absatz 1 Buchstabe e erstellten Dokumentation der vom Kanton bezeichneten Behörde zu melden.

Die für eine Suizidhilfeorganisation verantwortliche Person wird nach Artikel 115 bestraft, wenn die Suizidhelferin oder der Suizidhelfer im Einvernehmen mit ihr zum Suizid Hilfe leistet, obschon eine in Absatz 1 genannte Voraussetzung nicht erfüllt ist.

 

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Ich bitte Sie, sehr geehrte Frau Bundesrätin, sehr geehrte Damen und Herren, meine Überlegungen und Vorschläge in die weitere Bearbeitung der Vorlage einzubeziehen.

 

Mit bestem Dank und freundlichen Grüssen

 

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Anne-Marie Rey

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eingelangt 13. September 2014