Sehr geehrte Abgeordnete zum Nationalrat,

sehr geehrte Mitglieder der parlamentarischen Enquetekommission „Würde am Ende des Lebens“,

 

Wir haben über 1000 Menschen in ihrer letzten Lebenszeit begleitet und erlauben uns, vier Argumente zur gegenständlichen Debatte über gesetzliche Veränderungen am Lebensende beizutragen:

 

1.       Befürworter der Tötung auf Verlangen bzw. des ärztlich begleiteten Suizids führen als schwerwiegendes Argument ihre persönliche Freiheit in Grundsatzentscheidungen an, ihr Recht auf einen eigenen und selbstbestimmten Tod. Wir beobachten in der praktischen Anschauung, dass bei sterbenden Menschen der Wunsch nach Durchsetzung selbstbezogener Motive zurücktritt und der sorgenvolle Zukunftsblick weniger die Selbstsorge ins Augenmerk nimmt als die Sorge um die Weiterlebenden. An die Stelle egoistischer Beweggründe treten altruistische Strebungen. Stronegger und Freidl haben die bedeutsamsten Studien über Einstellungen zur Euthanasie in Österreich vorgelegt und kommen zu dem Schluss:“ Die Vorstellung eines „autonomen Subjekts“, das unabhängig vom Lebenskontext frei das für sich Richtige wählen kann, ist aber eine wirklichkeitsfremde Idealisierung, die gerade auf schwerkranke Personen kaum zutrifft.“ (1). Menschlicher Wille und menschliches Freiheitsempfinden sind relationale Phänomene – wir treffen alle für uns persönlich wichtigen Entscheidungen in einem sozialen Kontext. Vom ersten bis zum letzten Atemzug sind wir in einem Zustand des Angewiesenseins, idealerweise im Vertrauen darauf, dass ein Gegenüber unser Menschsein achtet . Das Konzept eines freien Willens ist in den letzten Jahren gefordert von Neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, die zeigen, dass des Menschen Willensfreiheit Grenzen hat (2). Unter den Menschen, die im Wissen darüber sind, dass ihre Lebenszeit begrenzt ist, gibt es nur eine Minderzahl, die sich für Tötung auf Verlangen aussprechen (29%, 3). Sie erkennen die immense Machtdifferenz, ihre Abhängigkeit und die Bedeutung von Vertrauen in dieser existenziellen Grenzsituation (3).

 

2.       Wir sprechen uns für die Beibehaltung der aktuellen Gesetzeslage aus (§ 77 und § 78 StGb), da wir zweifellos mehrere Belege dafür haben, dass in Ländern mit liberaler Gesetzgebung zur Tötung auf Verlangen medizinische Tötungshandlungen auch außerhalb des rechtlichen Rahmens angestoßen werden, Tötungen ohne Einwilligung oder gegen den Willen der Betroffenen und auch Tötungen aus ökonomischen Gründen, z.B. „damit ein Krankenhausbett frei wird“ (4-11). Sterbende und verletzliche Menschen haben ein Anrecht auf den Schutz ihrer Lebensrechte durch die gesetzgebenden Gremien einer Gemeinschaft.

 

3.       Wir sprechen uns in einem zweiten Punkt für die Beibehaltung des §78 StGb aus, da durch die liberalere  Deutsche Rechtspraxis (Beihilfe zur Selbsttötung ist straffrei) Situationen gebahnt werden, die voll von Widerspruch und moralischer Spannung sind: so ist ein Deutscher Arzt nach dem Strafrecht straffrei, wenn er einem Patienten zu einer todbringende Substanz verhilft, wird aber nach der ärztlichen Berufsordnung verfolgt, die den Tatbestand untersagt – im Rahmen seiner Garantenstellung ist er in der Folge zur Lebensrettung verpflichtet, wenn die von ihm verordnete Substanz ihre Wirkung entfaltet.

 

4.       Aus der Anschauung, dass es keinen Palliativdienst gibt, der zeitnahe alle Aufträge in der erforderlichen Qualität erbringen kann und weil es viele Menschen gibt, die durch die palliative/hospizliche Angebote aufgrund von Ressourcenmangel  nicht erreicht werden können, bitten wir um die rasche Umsetzung und ggf. Evaluierung der 4-Parteienentschließung aus 2001. Wünschenswert wäre begleitend eine strenge Qualitätskontrolle durch unabhängige Instanzen, das GÖG (vormals ÖBIG) hat europäisch betrachtet, hervorragende Arbeit geleistet, die Ressourcen im Gesundheitswesen sind jedoch fatal fehlverteilt. Alle Ärzte sollten verpflichtend in Palliativmedizin ausgebildet werden, der Status des Facharztes für Palliativmedizin (wie in den meisten Europäischen Ländern) sollte noch 2015 umgesetzt werden. Vor Anreizsystemen (LKF, SAPV o.dgl.) ist zu warnen, da diese regelmäßig missbraucht werden und die Versorgung – gegen die Erkenntnisse der Wissenschaft - definieren.

 

Die getätigten Aussagen entsprechen der privaten persönlichen Meinung der Unterzeichneten:

 

Dietmar Weixler, Dr. med. MSc, 3562 Schönberg am Kamp

Gertraud Busta MSc, 3580 Horn

Angelina Falkner, Mag. (FH), 3902 Vitis

Melitta Wührer, 3910 Zwettl

 

 

Referenzen:

(1)   BMC Med Ethics. 2013 Jul 4;14:26. Factors associated with the rejection of active euthanasia: a survey among the general public in Austria. Stronegger WJ, Burkert NT, Grossschädl F, Freidl W.

(2)   Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente. Christian Geyer. Edition Suhrkamp 2004

(3)   Dying cancer patients' own opinions on euthanasia: an expression of autonomy? A qualitative study. Karlsson M, Milberg A, Strang P. Palliat Med. 2012 Jan;26(1):34-42.

(4)   BMJ. 2010 Oct 5;341:c5174. Reporting of euthanasia in medical practice in Flanders, Belgium: cross sectional analysis of reported and unreported cases.Smets T1, Bilsen J, Cohen J, Rurup ML, Mortier F, Deliens L.

(5)   End-of-life practices in the Netherlands under the Euthanasia Act. van der Heide A, Onwuteaka-Philipsen BD, Rurup ML, Buiting HM, van Delden JJ, Hanssen-de Wolf JE, Janssen AG, Pasman HR, Rietjens JA, Prins CJ, Deerenberg IM, Gevers JK, van der Maas PJ, van der Wal G. N Engl J Med. 2007 May 10;356(19):1957-65.

(6)   BMJ. 2009 Jul 30;339:b2772. doi: 10.1136/bmj.b2772.

(7)   Euthanasia and other end of life decisions and care provided in final three months of life: nationwide retrospective study in Belgium.Van den Block L1, Deschepper R, Bilsen J, Bossuyt N, Van Casteren V, Deliens L.

(8)    Physician-assisted deaths under the euthanasia law in Belgium: a population-based survey.Chambaere K, Bilsen J, Cohen J, Onwuteaka-Philipsen BD, Mortier F, Deliens L.CMAJ. 2010 Jun 15;182(9):895-901

(9)   N Engl J Med. 2009 Sep 10;361(11):1119-21.

Medical end-of-life practices under the euthanasia law in Belgium. Bilsen J, Cohen J, Chambaere K, Pousset G, Onwuteaka-Philipsen BD, Mortier F, Deliens L.

(10) Legalised euthanasia will violate the rights of vulnerable patients.George RJ, Finlay IG, Jeffrey D. BMJ. 2005 Sep 24;331(7518):684-5. Review. No abstract available.

(11)  Death Stud. 2007 Mar;31(3):205-21.Using drugs to end life without an explicit request of the patient.Rietjens JA, Bilsen J, Fischer S, Van Der Heide A, Van Der Maas PJ, Miccinessi G, Norup M, Onwuteaka-Philipsen BD, Vrakking AM, Van Der Wal G.

 

 

Eingelangt am 14.09.2014