Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

 

In einer offenen Gesellschaft sollte es selbstverständlich sein, dass man das Thema ”Sterbehilfe” breit diskutieren darf. Dennoch ist es ernüchternd, dass zwei Generationen nach dem NS-Euthanasieprogramm der gesellschaftliche Konsens zu bröckeln scheint und ähnliche Erwägungen, die für die Massentötung in Schloß Hartheim Pate standen, in Österreich wieder salonfähig werden.

 

Wie sonst ist es zu erklären, dass eine verfassungsrechtliche Schranke, die die bewährten Straftatbestände “Tötung auf Verlangen” und “Beihilfe zum Selbstmord” effektiv verstärken soll, auf so viel Skepsis stößt? Haben wir aus unserer Zeitgeschichte zu wenig gelernt? Ist die stürmischen Entwicklung in den Benelux Staaten kein abschreckendes Beispiel, wo nun nicht nur dem reflektieren Sterbewunsch totkranker Erwachsener, aber auch dem Todeswunsch von Angehörigen oder eines minderjährigen Patienten entsprochen werden darf?

 

Offenbar nicht. Der Nebel vorgeschobener Gründen scheint sich zu verdichten:  In unserer Genuss- und Instantgesellschaft wirkt eine absolute Leidensvermeidung zunehmend attraktiv, die durch versteckte Kosten-Nutzen Kalkulationen untermauert wird. Verzerrte Schlagworte von “Würde” und “Freiheit” überhöhen diese Maxime zusätzlich ideologisch, indem sie unter dem Denkmantel der “Unzumutbarkeit” eher Bedürfnisse Angehöriger oder Unbeteiligter als die der Patienten abbilden.

 

Wie plausibel und praktikabel ist hingegen die Alternative, die mit der Petition “An der Hand nicht durch die Hand sterben” angesprochen wird.

Die individuelle Menschenwürde und die Heiligkeit jedes Menschenlebens korrespondiert mit einer vorbehaltlosen Akzeptanz vom Lebensende als Grenze, die unserem Machbarkeitszugriff entzogen bleiben muss. Im Angesicht des Todes ist zwar jede und jeder auf sich gestellt. Doch keiner soll allein gelassen, isoliert – oder gar unter Zeitdruck - sterben müssen. Familie, Freunde und Versorgung sollen nicht vor, sondern im Sterben Halt machen können, damit die zwanglose Begleitung das breit vorgelebte Ideal werden kann.

 

Natürlich widerstrebt dieses Angebot dem Zeitgeist, wo Grunderfahrungen wie “Altern”, “Leiden” und “Sterben” zu oft mit Scheitern konnotiert und tabuisiert werden. Doch mit einem systematischen Ausbau des Hospizwesens wächst die große Chance, sich generationsübergreifend auf eine gemeinsame Lernkurve zu begeben. Diese Zunahme des Zusammenhalts und privatem Engagments würde unserer pluralistischen Gesellschaft gut tun, die von Fragmentierung, Überalterung und einseitiger Überlastung des Gesundheitssystems bedroht ist. 

 

Wenn man nicht nur das Potential der Palliativmedizin, sondern auch den schon vorhandenen juristischen Spielraums für Ausnahmesituationen und Extremfälle ausschöpft, dann kann das Prinzip der Unantastbarkeit des Lebens einer sinnvollen, medizinischen Spitzenversorgung als Orientierung dienen.

 

Zum Schluss: Das historisch gewachsene (Un-)rechtsbewusstsein kann zwar nur beschränkt durch straf- oder verfassungsrechtliche Schranken geprägt werden. Dennoch braucht es eindeutige, klare juristische Bewertungen. Nur so können auch künftig in Wechselwirkung mit der normativen Kraft faktischer Lebenspraxis Schlagworte wie “Sterben in Würde” eindeutig als JA zur Sterbebegleitung und als das “Nie wieder Euthanasie” konsensual verstanden werden. 

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

Dr. Richard Melichar


 

Persönliches P.S.: Ein Opa, ein Cousin – wir trauern mit reinem Gewissen, weil wir es zu verhindern suchten. Der Schmerz beim Selbstmord von Nahestehenden ist groß, aber die Schuld bei Tötung eines Verwandten auf dessen Verlangen wäre die eines Mörders, die gesühnt werden müsste.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eingelangt am 14.09.2014