Sg. Damen und Herren,

 

 Ich bin seit fast 7 Jahren als Hospizärztin in einem mobilen Palliativteam in Wien tätig und
erlaube mir folgendermaßen zu den von Ihnen vorgeschlagenen Punkten Stellung zu nehmen :

 

1.)

 

Meines Erachtens sind die derzeit vorhandenen gesetzlichen Rahmenbedingungen in Österreich vollkommen ausreichend, um ein würdevolles Leben (und damit Sterben, denn dieses ist ein Teil unseres Lebens) zu ermöglichen. Eine Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen im Verfassungsrang erscheint mir unnötig.

 

Insbesondere sollte bei allen gesetzlichen Änderungen darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer reellen Verschlechterung der Patientenautonomie kommt, in dem Sinne, dass die PatientInnen weiterhin das Recht haben sollten, alle medizinischen Maßnahmen abzulehnen, auch wenn dies ein früheres Eintreten des Todes bedeuten kann (z.B. Beendigung einer Beatmung, einer künstlichen Ernährung o.ä.). Auch sollte darauf geachtet werden, dass es weiterhin erlaubt ist, Medikamente - wenn dies zur Linderung von belastenden Symptomen notwendig ist (z.B. bei terminaler Atemnot) - ausreichend zu dosieren, auch wenn bekannt ist, dass damit eine eventuelle Verkürzung der Lebenszeit in Kauf genommen wird. Eine Einschränkung dieser Möglichkeiten und PatientInnenrechte durch eine allzu rigorose Formulierung im Verfassungsrang würde tatsächlich eine massive Verschlechterung der Versorgung von PatientInnen am Lebensende bedeuten.

 

Ich bin gegen die Legalisierung der Tötung auf Verlangen.

 

Im Laufe meiner Jahre im Hospiz bin ich durchaus Menschen begegnet, deren Tötungswunsch ich nachvollziehen konnte. In vielen - wenn auch nicht in allen - Fällen, hat sich jedoch gezeigt, dass durch eine liebevolle, umfangreiche und menschliche Begleitung dieser Menschen auch der Todeswunsch in den Hintergrund gerückt ist.

 

Ich möchte auch betonen, dass hier in der öffentlichen Diskussion eine massive Inbalance herrscht: es wird anhand von einzelnene, herzzerreißenden Schicksalen etwas diskutiert, was am Ende aber eine Barriere für all die anderen niederreißen würde, die eigentlich an unserer Unfähigkeit als Gesellschaft, eine adäquate, interdisziplinäre, umfassende Betreuung bis zuletzt zu organisieren, leiden. Der Großteil der ÖsterreicherInnen stirbt nicht an hohen Querschnittlähmungen, ja auch nicht an durchaus bedrohlichen Krankheitsbildern, wie sie vielleicht bei einer Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) auftreten können - wir sterben großteils an Herzerkrankungen, Krebserkrankungen, Folgen von Diabetes und Bluthochdruck, Demenz etc. Und dies sind alles Erkrankungen, die eine menschenwürdige Betreuung und ein selbstbestimmtes Leben bis zuletzt zulassen - auch ganz ohne Tötung auf Verlangen.

 

Weiters  ist es m.E. eine Illusion zu glauben, dass Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung in mannigfaltigen Abhängigkeiten leben, (ausschließlich) autonom entscheiden und handeln. Insofern wären wir immer in Gefahr, Menschen am Ende ihres Lebens unter Druck zu setzen.

 

Es ist mir auch nicht klar, wer den "Job" der Tötung durchführen sollte: Ärzte/ ÄrztInnen? eine neue Berufsgruppe? Aus meinem persönlichen Verständnis heraus ist eine aktive Tötung mit einem ärztlichen Berufsethos nicht zu vereinbaren. Des weiteren enzieht sich das Töten auch einer medizinischen Indikationsstellung: jede medizinische Handlung muss ein Behandlungziel haben, das auf eine Besserung/ Linderung des derzeitigen Leidens abzieht. Da sich aber der Zustand nach dem Tod jeglicher menschlicher Erkenntnis entzieht, kann der "Tod" an und für sich niemals als "Behandlungsziel" benannt werden. Insofern sind Ärzte/ Ärztinnen als "Vollstrecker" einer Tötung auf Verlangen als Berufgruppe nach meinem Verständnis von vornherein auszuschließen.

 

Unter einem "sozialen Grundrecht auf würdevolles Sterben" kann ich mir wenig vorstellen. Ich denke aber, um am Ende des Lebens eine Betreuung auf Basis der persönlichen Wertvorstellungen eines jeden Menschen zu garantieren, fehlt es derzeit in Österreich vor allem an finanziellen Ressourcen (siehe Punkt 2) und politischem Willen (Stichwort: verpflichtende Pflegeversicherung - warum leisten wir uns eine sogenannte "Spitzenmedizin", deren Ergebnis - neben vielen anderen Effekten - auch ein Überleben zunehmend pflegebedürftiger Menschen ist: und dann sind wir aber nicht mehr willens eine adäquate Pflege, die unabhängig von persönlichen finanziellen Ressourcen ist, zu  sichern?).

 

 2.) Es ist meines Erachtens eine Schande für unser Gesundheitssystem, dass Hospiz- und Palliativversorgung auch heute noch zu einem großen Teil spendenfinanziert ist. Vor allem im ambulanten Bereich bedeutet dies auch, dass die Verpflichtung des Staates, sich um die Schwächsten der Gesellschaft zu kümmern, v.a. am Lebensende zunehmend an private/ kirchliche Organisationen ausgelagert wird.

 

Zur Abrundung einer menschenwürdigen Versorgung aller ÖsterreicherInnen und Österreicher am Lebensende fehlt es meines Erachtens an:

 

- stationären Hospizen in allen Bundesländern Österreichs, das heißt auch in Wien

 

- einer Ausfinanzierung von stationärer und ambulanter Palliativ- und Hospizversorgung, (sowie es in Österreich auch eine Selbstverständlichkeit ist, die Geburtshilfe für alle zu finanzieren.) - der Staat darf sich am Ende des Lebens nicht aus seiner Verantwortung schleichen!

 

- der Etablierung von Fachärztinnen und Fachärzten für Palliativmedizin (und parallell dazu von diplomiertem Palliativpflegepersonal), um die fachlich kompetente Betreuung von PatientInnen (vor allem in speziellen und schwierigen Situationen) am Lebensende zu garantieren und eine wissenschaftliche Diskussion auf Augenhöhe mit anderen Fachrichtungen zu garantieren.

 

 - einer Diskussion über Verteilungsgerechtigkeit in Medizin und Pflege: Warum ist es in Wien möglich, als 75 Jähriger drei Wochen vor dem Tod noch eine zigtausend Euro teure 4.Linien - Chemotherapie zu erhalten; wenn ich aber bei der Krankenkasse für ein Krankenbett für eine 45 jährige ansuche, die zu Hause im Kreise der Familie leben (und sterben) möchte, wird dieses abgelehnt mit dem Hinweis, dass bei einem metastasierten Karzinom keine Aussicht auf Besserung/ Heilung mehr bestehe. (Leider reale Tatsachen, keine erfundenen Beispiele).

 

- ergo gehören endlich (!!) stationäre und ambulante Gesundheitsversorgung in Österreich aus einer (!) Hand finanziert, die dann auch Interesse daran hätte, dass PatientInnen tatsächlich eine umfassende, auf sie zugeschnittene, ökonomisch vertretbare (und damit auch ethisch gerechte!) Versorgung bekommen - und das bedeutet oft eben eher ambulante Palliativversorgung als Drehtür- Aufnahmen im Akutspital wenige Tage vor dem Tod.

 

3.) Dieser Punkt enzieht sich meiner Kenntis, ich nehme daher dazu nicht Stellung.

 

4.) PatientInnenverfügung und Vorsorgevollmacht sind meines Erachtens hilfreiche Werkzeuge, mit deren Hilfe wir mit unseren PatientInnen ins Gespräch kommen können über ihre Wünsche am Lebensende. Oft geben sie Menschen auch Zuversicht, dass ihre Wünsche auch dann noch gehört werden, wenn sie sich nicht mehr selbst äußern können. Ich denke hier sind keine wesentlichen Änderungen notwendig.

 

 

Hochachtungsvoll,

 

Dr. Mag. Theresa Sellner-Pogány (Mobiles Caritas Hospiz Wien)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eingelangt am 14.09.2014