Betr: Selbstbestimmtes Sterben
 
Sehr geehrte Damen und Herren,

die katholische und monarchistische Geschichte unseres Landes war im Wesentlichen geprägt von der Fremdbestimmung ihrer Bürger. Die ‚Mächtigen‘ der Aristokratie und der Kirche haben das Leben der Menschen über Jahrhunderte hinweg in fast allen Aspekten bestimmt. Der Einzelne hatte wenig bis gar keine Möglichkeit sein Lebens selbst zu entscheiden.

 
Demgegenüber hat es in den vergangenen 100 Jahren eine fundamentale Machtverschiebung gegeben: von der Fremdbestimmung hin zu einer Mit- bzw. Selbstbestimmung. Das Ende der Monarchie und der Beginn einer parlamentarischen Republik als Staatsform war dabei der entscheidende Auslöser, vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer und dem dadurch ausgelösten Ende einer Diktatur. Die Menschen haben seither ein großes Ausmaß an politischen und persönlichen Rechten für sich erwirkt. Heutzutage können Männer und Frauen in unserer Gesellschaft ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen: angefangen von der Wahl des Berufes, der Wahl des Partners/Partnerin einschließlich einer Scheidung, der Familienplanung, der Wahl des Wohnortes, der Wahl der Regierung usw. Keine dieser Errungenschaften wird heute in Frage gestellt und es gibt einen breiten Konsens, dass die Erweiterung individueller Rechte - und eine damit einhergehende selbstbestimmte Lebensführung - einen wesentlichen Fortschritt gegenüber unserer monarchistischen Vergangenheit darstellt. Dies soll beibehalten und allenfalls noch weiter verbessert werden. 

Der zunehmenden Selbstbestimmung in vielen äußeren Lebensbereichen steht jedoch eine nach wie vor starke Fremdbestimmung in sehr persönlichen und intimen Aspekten vorallem am Beginn und am Ende des Lebens gegenüber. Dort herrscht teilweise immer noch das Denken der Vergangenheit vor, in welcher die Fremdbestimmung der Menschen ein selbstverständlicher Pfeiler von Machtausübung war. Die aktuelle Diskussion über selbstbestimmtes Sterben steht dabei stellvertretend für dieses Denken. 
 
Aus demokratiepolitischer Sicht ist es unverständlich, dass es überhaupt eine Diskussion darüber gibt wie Menschen ihr Lebensende, d.h. den Zeitpunkt sowie die Art und Weise ihres Sterbens, gestalten „dürfen“.
Es sollte selbstverständlich sein, dass diese existentielle Entscheidung am Ende des Lebens und mit allen Erfahrungen eines Lebens nur der betroffene Mensch selbst in einer verantwortungsbewussten Weise treffen kann. Ob und wie Menschen in ihren unterschiedlichen Entscheidungen und Bedürfnissen respektiert werden kann als Gradmesser für die Reife einer Demokratie gelten. Im Gegensatz zur Monarchie oder Diktatur, in welcher sich die Bevölkerung dem jeweiligen politischen Ziel mit allem was sie hatten, einschließlich ihrem Leben, unterordnen mussten. 
Ein demokratischer Staat hat die wesentliche Aufgabe seine Bürger in deren selbstbestimmten Entscheidungen zu unterstützen. Dies gilt insbesondere solange niemand anderes dadurch geschädigt wird. Die Selbstbestimmung über das eigene Sterben darf dabei keine Ausnahme darstellen. Nur die betroffene Person alleine kann beurteilen, ob ein Weiterleben oder ein Sterben die bessere Wahl darstellt. Jede Art der Fremdbestimmung ist inakzeptabel und stellt lediglich eine Fortführung der früher üblichen Leibeigenschaft dar.
 
Das hohe Gut der Selbstbestimmung muss natürlich auch für diejenigen gelten, die aus körperlichen Gründen nicht (mehr) in der Lage sind, ihre Entscheidungen selbst umzusetzen. Nach langen gesellschaftspolitischen Diskussionen wurde dies u.a. endlich für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft etabliert. Wenn wir aber die Entscheidungen von Menschen ihr Leben betreffend respektieren und sie in allen Belangen unterstützen, dann gibt es keinen Grund eine allfällige eigene Entscheidung ihr Sterben betreffend zu ignorieren oder gar zu boykottieren. Insofern steht das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord in fundamentalem Widerspruch zu der Akzeptanz, welche unsere Gesellschaft endlich auch Menschen entgegenbringt, die in gewissen Situationen auf Hilfe angewiesen sind. Nur weil jemand sein selbstbestimmtes Sterben aus körperlichen Gründen nicht mehr selbst umsetzen kann, dürfen wir uns nicht über dessen eigene Entscheidung hinwegsetzen. Vor allem dann nicht, wenn schwerkranke Menschen sich für ein Sterben entscheiden, um dem eigenen Leiden ein Ende zu bereiten. Die Weigerung der Gesellschaft, diesen intimen Wunsch zu akzeptieren, führt in diesen Fällen zu einer Fortsetzung des Leidens, welches ausschließlich auf Kosten der betroffenen Person geht. Diejenigen, die sich weigern den Wunsch anderer auf ein selbstbestimmtes Sterben zu akzeptieren, sind ja in keiner Weise persönlich von den Konsequenzen ihres Handelns betroffen. 
 
Darüber hinaus besteht ein fundamentaler Widerspruch darin, dass der Selbstmord zwar straffrei ist, die Beihilfe zu dieser straffreien Handlung jedoch unter Strafe steht.
 
Die aktuelle Diskussion um die verfassungsrechtliche Verankerung des Verbotes der Sterbehilfe ist ein verzweifelter Versuch, ein aus dem Mittelalter stammendes Konzept der Fremdbestimmung, welches in fundamentalem Widerspruch zu den Werten einer Demokratie steht, irgendwie in unsere aktuelle Zeit hinüberzuretten. Dieser Versuch muss scheitern, schon alleine aufgrund der fundamentalen Diskrepanz der zugrundeliegenden Werte. Er wird aber auch vorhersehbar scheitern, weil die Auswirkungen dieser Diskussion immer mehr eine Generation treffen, die gelernt hat ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und aktiv zu gestalten.  Für diese Generation ist Fremdbestimmung gerade in sehr persönlichen Lebensbereichen indiskutabel. Es ist anzunehmen, dass sich immer weniger Menschen am Ende eines selbstbestimmten Lebens in dieser letzten wichtigen Frage und Entscheidung („Wann und wie möchte ich sterben?“) fremdbestimmen lässt.
Aus diesem Grunde fahren zunehmend mehr Menschen in die Schweiz oder nach Holland, wo auch Entscheidungen das Lebensende betreffend respektiert werden und aktive Sterbe-Hilfe geleistet wird.
 
Die Frage in der aktuellen Diskussion ist also nicht ob der Staat seinen Bürgern  das selbstbestimmte Gestalten des Sterbens erlauben soll. Die Frage ist lediglich wie lange es dauern wird, bis sich die Mehrheit der Bevölkerung ein solches Recht erkämpft, so wie bereits zahlreiche andere Rechte in der Vergangenheit erkämpft wurden. Eine wichtige Frage ist auch, ob es uns gelingen wird in einer sachlichen Diskussion sinnvolle Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ein Missbrauch verhindert wird. Konkrete Beispiele und Erfahrungen gibt es in anderen Ländern bereits.
Wie lange wird es dauern, bis wir in Österreich darauf zurückgreifen?
 
DDr. Christian Fiala

Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Frauenheilkunde
Wien

 

 

Eingelangt am 15.09.2014