An die

Enquete-Kommission zum Thema
„Würde am Ende des Lebens“
des Nationalrats


Per E-Mail an: wuerdevoll.leben@parlament.gv.at

 

 

15. September 2014

 

Stellungnahme zur Enquete-Kommission zum Thema „Würde am Ende des Lebens“ des Nationalrats in seiner XXV. Gesetzgebungsperiode

 

Sehr geehrte Mitglieder der Enquete-Kommission,

die Barmherzigen Brüder Österreich sorgen in ihren Akutkrankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und in einem Hospiz in vielfacher Weise für Menschen am Lebensende. Aus dieser Erfahrung heraus möchten wir zum Thema der Enquete-Kommission im Folgenden Stellung nehmen.

Zunächst wollen wir keinen Zweifel daran lassen, welchen Grundsätzen die Einrichtungen der Barmherzigen Brüder selbst moralisch verpflichtet sind: einer professionellen Palliative Care; dem Respekt vor dem Patientenwillen, auch wenn er lebenserhaltende Maßnahmen ablehnt; dem Begrenzen maximalmedizinischer Interventionen, wenn diese nicht mehr indiziert sind; dem Verbot der Fremdtötung, auch auf Verlangen des Betroffenen; dem Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung.

Wir anerkennen, dass das Parlament als Gesetzgeber für eine pluralistische Gesellschaft Normen – Gebote, Verbote und Freiräume – definieren muss, die verallgemeinerungsfähig sind und nicht bloß partikuläre Moralvorstellungen verrechtlichen können. Für diesen rechtsethischen Diskurs in der Enquete-Kommission wollen wir folgende Anstöße geben:

1.    Eine konsequente Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung ist in unseren Augen eine notwendige Voraussetzung für eine gute Begleitung von Menschen am Lebensende: Das Konzept „Abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich“, welches 2004 im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen erarbeitet wurde, sollte hinsichtlich seiner Umsetzung evaluiert werden. Wo Versorgungsdefizite (auch solche in der Aus-, Fort- und Weiterbildung) bestehen, sollte das Parlament von der Bundes- und den Landesregierungen einen verbindlichen Umsetzungsplan verlangen. Die Finanzierung bzw. Leistungsabgeltung für Palliative Care im stationären und ambulanten Bereich sollte in einem der kurativen Versorgung analogen Maß sichergestellt werden. – Wir können andererseits nicht erkennen, inwieweit die Verankerung eines sozialen Grundrechts auf „würdevolles Sterben“ die bestehenden Defizite in der Hospiz- bzw. Palliativversorgung beheben könnte. Vielmehr sehen wir eine Gefahr darin, dass ein solches soziales Grundrecht als Makulatur über notwendige Strukturentwicklungen hinwegtäuscht. Zudem ist gegenwärtig nicht so sehr das Recht auf ein würdevolles Sterben umstritten, als vielmehr, was ein „würdevolles“ Sterben ausmacht.

2.    Wir sprechen uns dafür aus, die strafgesetzlichen Tatbestände von §§ 77 und 78 unverändert zu lassen. Lediglich in der Betitelung von § 78 regen wir eine Abänderung in „Mitwirkung an der Selbsttötung“ an, da es im ethischen Diskurs gute Argumente dafür gibt, vom Begriff „Selbstmord“ abzugehen. – Gegen eine Legalisierung oder Straffreistellung der Tötung auf Verlangen spricht unseres Erachtens die Ausweitungs- und Missbrauchsgefahr, die mit einer solchen Fremdtötung verbunden und die insbesondere in Belgien empirisch zu erkennen ist. Wir bewerten eine Legalisierung oder Straffreistellung der Mitwirkung an der Selbsttötung nach dem oftmals zitierten Schweizer Modell ebenfalls für nicht gerechtfertigt. Die Schweiz wurde erst unlängst vom EGMR (Fall Gross) dafür verurteilt, keine zuverlässigen rechtsstaatlichen, gesetzlichen Standards des Missbrauchs- und Übereilungsschutzes für die ärztliche Verschreibung von todbringenden Arzneimitteln zu haben. Für (im ethischen Sinn) tragische Fälle der Suizidbeihilfe kennt die österreichische Strafrechtsdogmatik schon jetzt Billigkeitslösungen (z.B. entschuldigenden Notstand), die von den Gerichten konsequent geprüft werden müssen und zu einer Straffreiheit im konkreten Fall führen können. – Das derzeitige Strafrecht bietet mit den §§ 77 und 78 StGB einen hinreichenden gesetzlichen Schutz, sodass wir andererseits nicht erkennen können, welche positiven Konsequenzen eine verfassungsrechtliche Verankerung dieser Tatbestände hätte.

3.    Wir sehen es im Zusammenhang mit der medizinischen Sorge um Menschen am Lebensende hingegen für hilfreich an, wenn zumindest in der Diskussion der Enquete-Kommission klar artikuliert wird, dass ein Verzicht auf oder die Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen rechtsethisch gerechtfertigt ist, wenn (a) der betroffene Patient sie (aktuell, antizipierend oder substanziell nachvollziehbar mutmaßlich) ablehnt oder (b) diese Maßnahmen nicht (mehr) medizinisch indiziert sind. – Hinsichtlich der Entscheidungsfindung möchten wir auf unsere positiven Erfahrungen mit einer institutionalisierten klinischen Ethikberatung hinweisen, die Behandlungsentscheidungen am Lebensende für alle Betroffenen (Patienten, Angehörige, klinisches Team) nachvollziehbar macht und damit die Belastungen reduziert. In diesem Sinn regen wir auch an, eine gesetzlich verbindliche Ethikberatung im KAKuG zu verankern (vgl. § 6 Abs. 6 Hessisches Krankenhausgesetz 2011).

4.    Die persönliche Vorsorge für medizinische, pflegerische und therapeutische Entscheidungen am Lebensende hat in unserer Erfahrung noch immer nicht den Stellenwert, den sie angesichts der Unausweichlichkeit dieser Situationen haben müsste. Die gesetzlichen Klarstellungen zum antizipierten Patientenwillen im PatVG und ABGB sind ein notwendiger, aber nicht hinreichender Schritt. Wir regen dringend an, dass die Enquete-Kommission internationale Erfahrungen mit Advance Care Planning Programmen und Physician Orders for Life-Sustaining Treatments (POLST) in den Blick nimmt, da sie unseres Erachtens die Qualität von antizipierten Entscheidungen verbessern können. Das Thema „Vorsorge für Entscheidungen am Lebensende“ sollte in diesem Sinn der Bevölkerung über öffentliche Kampagnen eindrücklicher vermittelt werden.

Abschließend wollen wir zum Ausdruck bringen, dass wir die Einsetzung der Enquete-Kommission sehr begrüßen, da durch ihre Arbeit für jeden Menschen unausweichliche Fragen zum Lebensende öffentlich diskutiert werden.

 

Wir danken für die Möglichkeit, hierzu Stellung zu nehmen und verbleiben,
hochachtungsvoll,

 

Frater Ulrich Fischer OH
Provinzial

Eingelangt am 15.09.2014