An
Enquete-Kommission
„Würdevoll Leben“
 

 

 

 

 

 

 


Wien, am 15. September 2014

 

 

 

Stellungnahme zum Thema „Sterben in Würde“

 

 

Wir vom Verein ÖZIV – Verein für Menschen mit Behinderungen - erlauben uns, der Aufforderung zur Verfassung einer Stellungnahme nachzukommen und hoffen, dass unsere Anregungen in den Kommissionsdiskurs aufgenommen werden.

 

Als Verein, der sich für Menschen mit Behinderung einsetzt, treten wir für die Ermöglichung einer selbstbestimmten und gleichberechtigen Lebensführung von Menschen mit Behinderung ein, arbeiten an einem Abbau von Vorurteilen und Barrieren und befürworten den Inklusionsgedanken. Wir treten für bedarfsgerechte und bedürfnisorientierte Angebote für Menschen mit Behinderungen ein und verfolgen so das langfristige Ziel, Menschen mit Behinderungen eine umfassende Teilhabe an der Gesellschaft in allen Facetten zu ermöglichen.

 

Vor dem Hintergrund dieser unserer Grundwerte möchten wir in einigen Punkten auf das Thema „Sterben in Würde“ eingehen und unsere Standpunkte darlegen:

 

1.   Eine Legalisierung der Möglichkeit der straffreien Tötung auf Verlangen hat aus unserer Sicht nichts mit der Ermöglichung von selbstbestimmtem Sterben zu tun.

 

2.   Selbstbestimmung und autonome Entscheidungs- und Handlungsfreiheit von Betroffenen setzen entsprechende Rahmenbedingungen voraus. Hier ist aus unserer Sicht nicht bloß auf den rechtlich relevanten Erklärungswillen von Betroffenen abzustellen, sondern vielmehr darauf zu achten, dass eine freie Wahl von den realen Möglichkeiten abhängig ist, diese Freiheit ausleben zu können. Wie im gesamten Gesundheitsbereich ist auch in diesem Bereich eine zunehmende Privatisierung und Individualisierung zu beobachten, die uns bedenklich erscheint. Damit werden einerseits zunehmend Entscheidungsver-antwortlichkeiten auf den/die  Einzelne/n abgewälzt, der/die diese unter den gegebenen Rahmenbedingungen treffen soll, ohne diese Rahmenbedingungen verändern zu können. Andererseits können  bestimmte privilegiertere Personenkreise die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten derart verändern, dass sie von der abnehmenden gesellschaftlichen Solidarisierung durchaus profitieren. Würdevoll zu sterben ist damit auch vor dem Hintergrund eines neuen Marktes zu sehen, der sich auf diesem Gebiet zusehends herausgebildet hat und wie jede Ökonomisierung einzelnen Profiteuren in die Hände spielt.

 

3.   Dass es durchaus Staaten gibt, in denen aktive Sterbehilfe und assistierte Selbsttötung erlaubt sind, liefern aus unserer Sicht vorwiegend Argumente im Sinne unseres Standpunktes: Etwa belegen wissenschaftliche Untersuchungen mittlerweile durchaus, dass in jenen Ländern mit legalisierter Sterbehilfe neben selbstbestimmter Sterbehilfe auch zahlreiche Fälle nachweisbar sind, in denen diese Selbstbestimmung angezweifelt werden muss. Das Argument des „Sterbetourismus“ als Argument für die Legalisierung von Tötung auf Verlangen geht außerdem am Thema vorbei und zeigt aus unserer Sicht nur deutlich, dass das Patientengut der Sterbenden längst als neuer Markt entdeckt wurde und mittlerweile Unternehmen davon wirtschaftlich enorm profitieren.

 

4.   Aus diesen Gründen fordern wir – in Übereinstimmung mit der Empfehlung des Europarats Nr. 1418 (1999) - das Aussetzen der Diskussion über das Thema „Tötung auf Verlangen“, zumindest bis Rahmenbedingungen geschaffen sind, die ein würdevolles und möglichst schmerzfreies Sterben für alle Menschen ermöglichen. Außerdem müssen umfassend und flächendeckend Bedingungen geschaffen werden, in denen Überzeugungen, Gewohnheiten, Wünsche und Ängste von sterbenden PatientInnen ernst genommen werden können und müssen.

 

Zu diesen Rahmenbedingungen gehören aus unserer Sicht unter anderem:

 

a)   Wahlfreiheit von Palliativ-PatientInnen bezüglich der Umgebung und der Art der Begleitung

 

b)   Umfassende Unterstützung für Sterbende und deren Angehörige in materieller und ideeller Hinsicht

 

c)   Verbesserung der (Personal)Situation in Alten- und Pflegeheimen dahin-gehend, dass kein Verlust der Privatsphäre und Selbstbestimmung für PatientInnen mit der Unterbringung in derartigen Institutionen verbunden ist

 

d)   Rahmenbedingungen und Unterstützungsangebote, die Angehörigenarbeit ermöglichen und fördern

 

e)   Flächendeckender Ausbau der Palliativ-Versorgung auch für Menschen mit Behinderungen bzw. ausreichende palliativmedizinische Versorgung auch in Krankenhäusern

 

 

f)    Wirksame und selbstbestimmte Schmerzbekämpfung und Symptomkontrolle

 

 

5.   Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten müssen im Sinne des Rechts auf selbstbestimmtes Leben bzw. eines Rechts auf würdevolles Sterben für alle Menschen zugänglich und leistbar sein, was nach derzeitiger Rechtslage nicht der Fall ist (etwa durch die verpflichtende Beratung durch einen Rechtsanwalt oder Notar bzw. durch die Kosten einer Eintragung in das Patientenverfügungsregister).

 

6.   Eine verfassungsrechtliche Verankerung des Verbotes der Tötung auf Verlangen ist allerdings abzulehnen, da die strafrechtlichen Bestimmungen ausreichend sind.

 

 

 

Wien, am 15.09.2014

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eingelangt am 15.09.2014