Wien, 30.11.2014

 

An die

Enquete-Kommission zum Thema "Würde am Ende des Lebens" Wien.

 

Zu den Themen der Enquete-Kommission zum Thema "Würde am Ende des Lebens" nehme ich wie folgt Stellung:

1)      Vorbemerkung und Änderung des Beratungsgegenstands der Enquente-Kommission:

a)      Im österreichischen Strafrecht bestehen zwei Rechtsnormen, die die Tötung eines Lebensmüden betreffen:

§ 77 StGB regelt die Tötung auf Verlangen. Dabei tötet der Täter den Lebensmüden.

§ 78 StGB regelt die Mitwirkung am Selbstmord. Dabei tötet sich der Lebensmüde selbst, der Täter verleitet ihn dazu oder hilft ihm dabei. (Vgl. Foregger-Kodek, StGB und wichtige Nebengesetze, Kurzkommentar, Manz, 6.Aufl., Anmerkung II zu § 77)

Im deutschen Strafrecht besteht nur eine Rechtsnorm, die die Tötung eines Lebensmüden betrifft:

§ 216 StGB regelt die Tötung auf Verlangen und entspricht in etwa der österreichischen Regelung von § 77 StGB. Ein Gegenstück zum österreichischen § 78 StGB fehlt. Deshalb ist es in Deutschland möglich, dem Lebensmüden die Mittel bereitzustellen, die dieser zur Selbsttötung verwendet.

b)      Wortlaut der genannten Rechtsnormen:

Österreichischer Gesetzestext:

§ 77. StGB Tötung auf Verlangen

Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

§ 78. StGB Mitwirkung am Selbstmord

Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

Deutscher Gesetzestext:

§ 216 StGB Tötung auf Verlangen

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

c)       Änderung des Beratungsgegenstandes der Enquente-Kommission:

Auf Grund der in lit. a) und b) dargelegten Rechtslage, habe ich in meine Stellungnahme den ersten Satz der Beschreibung des Gegenstands der Enquente-Kommission wie folgt abgeändert: „Die Kommissionsmitglieder wollen sich mit der Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Verbots der Mitwirkung am Selbstmord und des sozialen Grundrechts auf würdevolles Sterben auseinandersetzen.“

Anmerkung: Die vorgeschlagene Änderung wurde fett hervorgehoben.

2)      Prüfung der Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Verankerung - strafrechtlicher Normen, insbesondere des Verbots der Mitwirkung am Selbstmord

a)      Das österreichische Verfassungsrecht ist durch eine kaum überschaubare Anzahl von Verfassungsbestimmungen durchlöchert. Es ist ein bekanntes Problem und ein dringendes Anliegen der Rechtsstaatlichkeit, diesen bedenklichen Zustand zu bereinigen. Jede zusätzliche Verfassungsbestimmung muss darum peinlich daraufhin geprüft werden, ob sie wirklich so relevant ist, dass sie eine neuerliche Ausnahmeregelung erforderlich macht.

b)      Die bereits bestehenden Verfassungsbestimmungen beinhalten viele zugunsten von Gruppeninteressen erstellte Regelungen. Das mag historisch gesehen verständlich sein, entspricht aber nicht Artikel 2 Staatsgrundgesetz und darf nicht weiterhin Schule machen. Vor allem nicht dort, wo institutionelle Interessen mit den persönlichen, ja sogar höchstpersönlichen Rechten von Staatsbürgern kollidieren. Durch die Monopolisierung einer einzelnen Gruppenmeinung werden die Andersdenkenden in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt.

Die angestrebte Verfassungsbestimmung monopolisiert eine Moral- und Ethikauffassung, die mit dem Gewissen einer großen Anzahl von Staatsbürgern in Widerspruch steht. Damit tritt sie zusätzlich in Konkurrenz zu Artikel 14 Staatsgrundgesetz, welcher die Glauben und Gewissenfreiheit verankert.

c)       Aus den Diskussionsbeiträgen der Befürworter einer verfassungsmäßigen Verankerung des Verbotes der aktiven Sterbebegleitung erkennt man deren „Sorge“, dass eine solche mittelfristig zu Missbräuchen führen werden. Deswegen sind sie bestrebt, bereits im Voraus den gegenwärtigen und die zukünftigen einfachen Gesetzgeber zu präjudizieren sowie eine mögliche demokratische Diskussion im Keim zu ersticken. Sie halten somit offenkundig diese Gesetzgeber samt ihren Gesetzgebungskörperschaften für nicht fähig oder willens, entstehenden Missbräuchen entgegenzuwirken und misstrauen der jetzigen und den nächsten Generationen von Staatsbürgern, auftauchende Probleme zur gegebener Zeit durch eine demokratische Willensbildung eigenständig zu lösen. Eigentlich eine vernichtende Beurteilung unseres demokratischen Rechtsstaats und seiner Staatsbürger.

d)      Ich bin Katholik und trete trotzdem (oder gerade deswegen) für eine strikte Trennung von Kirche und Staat ein. Die Kirche verliert ständig an Boden, andere Religionsgemeinschaften wachsen heran. Wenn der österreichische Staat der Kirche zuungunsten Andersdenkender nachgibt, muss er es in Zukunft auch bei allen anderen anerkannten Religionsgemeinschaften tun. Damit wird er zum „Steifen Mandl“, über das je nach den bestehenden konfessionellen Kräfteverhältnissen verfügt wird. Es geht mir dabei nicht um die kulturelle Vielfalt, sondern darum, dass der Staat Österreich aus den verschiedenen religiösen Meinungsstreitigkeiten herausgehalten wird, so wie es ja auch seiner Verfassung entspricht.

3)      Soziales Grundrecht auf würdevolles Sterben

a)      Ich gehe davon aus, dass das soziale Grundrecht auf würdevolles Sterben, außer Streit steht. Hinsichtlich seiner Verankerung in der Verfassung gilt das in Z 2 lit. a. Gesagte entsprechend.

b)      Die Wortfolge „Grundrecht auf würdevolles Sterben“ beinhaltet den unbestimmten Gesetzesbegriff „würdevoll“. Wer bestimmt, was „würdevoll“ ist oder sein soll? Wird der Begriff nicht determiniert, kann unter ihm alles was dekmöglich ist verstanden werden, somit auch die aktive Sterbebegleitung. Wird er zum Nachteil der Befürworter der aktiven Sterbebegleitung determiniert, kommt er mit dem Gleichheitsgrundsatz, der Gewissensfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht in Konflikt. Ich kann und will mich nicht auf Spekulationen und Details einlassen, weil mir das nötige Wissen fehlt. Ich gehe aber davon aus, dass durch das von allen anerkannte „Grundrecht auf würdevolles Sterben“ die Gegner der aktiven Sterbebegleitung leicht in eine Sackgasse geraten können.

4)      Hospiz- und Palliativversorgung

a)      Die Hospiz und Palliativversorgung ist allgemein anerkannt und geschätzt. Sie ist auch eine  Alternative zur aktiven Sterbebegleitung. Da ich jedoch keinen wirklichen Einblick habe, enthalte ich mich einer Stellungnahme.

5)      Patientenverfügung (Evaluierung und gegebenenfalls Maßnahmen zur Verbesserung, allenfalls auch Diskussion über Vorsorgevollmacht)

a)      In § 6 Abs. 1 Patientenverfügungs-Gesetz (PatVG) erfolgt eine statische Verweisung auf das Krankeanstaltengesetz in der Fassung BGBl. Nr. 1/1957. Mag sein, dass das legistisch vertretbar ist, für den Rechtssuchenden ist es jedenfalls verwirrend. Kein Problem: Rechtsanwälte und Notare kennen sich bestimmt aus. Es gibt aber auch Patienten, Ärzte und Pflegepersonal.

b)      Notare, Rechtsanwälte und die in § 11 e Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz genannten Patientenvertreter sind gem. § 5 PatVG bei der Erstellung einer verbindlichen Patientenverfügung an das Vorliegen eines ärztlich bestätigten Dokuments über das dort näher beschriebene Aufklärungsgespräch gebunden.

Sind nicht alle Formerfordernisse erfüllt, ist die Verfügung eine beachtliche, deren Beurteilung gem. § 268 Abs. 2 ABGB dem Sachwalter oder dem durch eine Vorsorgevollmacht ausgewiesenen Bevollmächtigten obliegt.

Kein Wunder, dass Ärzte sich scheuen, bei Vorliegen einer bloß beachtlichen Patientenverfügung, ohne Sachwalter bzw. ohne Vorsorgeberechtigten die Behandlung einzustellen. Im schlimmsten Fall könnten sie ja ansonsten wegen eines Tötungsdelikts belangt werden.

c)       Da gemäß § 5 PatVG bei einer verbindlichen Patientenverfügung ein  Arzt mitwirken muss, erhebt sich die Frage, ob nicht jede Patientenverfügung (also auch eine beachtliche), bei der ein Arzt mitgewirkt hat, in ELGA erfasst werden könnte.

d)      Es ist einsichtig, dass die strengen Formvorschriften deswegen notwendig sind, damit die jeweiligen Patientenverfügungen in allen EU Mitgliedstaaten anerkannt werden. Könnten aber nicht für die in Österreich behandelten Kranken erleichterte Bestimmungen erarbeitet werden? Da die Patientenvertreter, bei denen die Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung kostenlos ist,  nicht flächendeckend angesiedelt sind, entsteht durch die Kosten eine Zweiklassenregelung, die Menschen mit geringem und durchschnittlichem Einkommen übergeht.

e)      Geht man von folgendem Szenario aus: Ein Ehepaar hat jeweils dem Partner eine Vorsorgevollmacht erteilt. Zusätzlich haben beide eine verbindliche Patientenverfügung getroffen, um für den Fall vorzusorgen, dass sie von der Vorsorgevollmacht nicht Gebrauch machen können. Dadurch würde eine nichttragbare finanzielle Belastung entstehen, die hinsichtlich der Patientenverfügung jedes 5. Jahr anfällt. Ein Umstand, dass beide ihre Vollmacht nicht ausüben können, kann etwa durch einen Autounfall entstehen, bei dem beide in ein Wachkoma verfallen sind.

f)       Gegen die Patientenverfügung wird insbesondere von den Anhängern der aktiven Sterbebegleitung der Einwand erhoben, dass sie erst nach dem Verlust der Handlungsfähigkeit wirksam wird, während die aktive Sterbebegleitung noch bei vollem Bewusstsein des Patienten erfolgt. Dazu folgende Klarstellung:

Solange der Patient bei vollem Bewusstsein ist, hat er gem. § 8 Abs. 3 Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz das Recht, jederzeit die Behandlung (Weiterbehandlung) zu verweigern. Die Patientenverfügung kommt erst dann zum Tragen, wenn der Patient seine Handlungsfähigkeit verloren hat. Dies ist logisch und sachgerecht.

Die aktive Sterbebegleitung bedarf der Tötungshandlung vom Patienten. Sie kann daher nach dem Verlust der Handlungsfähigkeit nicht mehr erfolgen. Selbstverständlich könnte auch sie mit einer Patientenverfügung kombiniert werden.

 

 

Dr. Emmerich Lakatha

e. h.