Sehr
geehrte Damen und Herren!
Nicht nur ich empfinde es als demokratiepolitische Niederlage, dass sich diese
Enquete, die aus der Diskussion um die Frage der Verankerung eines Verbots der
aktiven Sterbehilfe in der österreichischen Verfassung entstanden ist,
genau mit diesem Thema nicht auseinandergesetzt, sondern sich - ganz auf
österreichische Manier - darum herum gedrückt hat. Es zeigt auch
einen erschreckenden Mangel an jenem Bewußtsein der gerade in den Tagen
nach "Charlie Hebdo" so vielzitierten Meinungsäußerungsfreiheit,
wenn man die Diskussion um ein "heißes Eisen" so scheut, dass
man es gar nicht mehr anspricht, sondern totschweigt.
Ich hatte gehofft, eine Diskussion auf breiter Basis fände statt über
ein Thema, das uns in zunehmendem Maße alle betrifft. Dass
Palliativmedizin und Sterbebegleitung ausgebaut, die Hospizbewegung
unterstützt werden möge, ist eine so selbstverständliche
Forderung, dass eine Enquete ausschließlich zu diesem Thema nur der
Selbstbeweihräucherung der Teilnehmer gedient und sich damit erübrigt
hätte.
Nein, es geht in Wahrheit vorwiegend nicht um die Vermenschlichung des
Sterbens, die Einbeziehung auch des Lebensabschlusses in unsere Gesellschaft,
sondern um die Frage, ob der staatliche Einfluß auch auf die freie
Entscheidung zum Wann und Wie des Todes erwünscht oder abzulehnen ist.
Meiner Ansicht nach hat der Staat - und erst recht das Strafgericht - nichts
mit der Entscheidung über das individuell als würdig - und
bewältigbar - empfundene Lebensende des Einzelnen zu tun. Meiner Meinung
nach ist die Entscheidung über das Wann und Wie des eigenen Lebensendes
von jedem Betroffenen selbst zu treffen, ohne durch eine Kriminalisierung daran
gehindert zu werden, den für ihn selbst als am passendsten empfundenen
Lebensschlußpunkt zu setzen. Das verstehe ich auch unter Freiheit, die
verfassungsgesetzlich gewährleistet ist. Staatliche Eingriffe in das
Intimste im Leben eines Menschen sind noch Relikte des - in Österreich
katholisch geprägten - absolutistischen Fürsorgestaates, den wir
eigentlich überwunden zu haben glaubten. Klar ist, dass insbesondere die
Kirchen ein Interesse am staatlichen Dirigismus in dieser Frage haben;
ihnen halte ich entgegen, dass sie sich um die Annahme der ethischen
Richtlinien, nach denen nach ihrer Lehre gelebt und gestorben werden soll, zu
kümmern haben, nicht aber um eine Kriminalisierung von Handlungen in
Ausnahmesituationen, in denen ihnen Barmherzigkeit und menschliches Verstehen
besser anstünde. Vorbildwirkung anstelle Strafbarkeit! So ist die
Forderung nach staatlichen Maßnahmen eigentlich eine
Bankrotterklärung für die derzeitige moralische Kraft der Kirche. Der
Staat aber hat am Wann oder Wie des Todes seiner Staatsbürger dann
überhaupt kein legitimes Interesse, wenn nicht Dritte in irgendweiner
Weise involviert sind - und das wäre allenfalls Gegenstand einer
entsprechenden gesetzlichen - nicht strafgesetzlichen - Regelung.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Marianne Händschke