Textfeld:  1 Jv 4322/14v-02-6

Graz, 23. Mai 2014

REPUBLIK ÖSTERREICH

OBERLANDESGERICHT gRAZ

bEGUTACHTUNGSSENAT

 

 

 

 

Der gemäß §§ 36 und 47 Abs 2 GOG beim Oberlandesgericht Graz gebildete Begutachtungssenat erstattet zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Jugendgerichtsgesetz 1988, das Suchtmittelgesetz, das Staatsanwaltschaftsgesetz das Geschworenen- und Schöffengesetz 1990 und das Gebührenanspruchsgesetz geändert werden (Strafprozessänderungsgesetz 2014) nachstehende

S t e l l u n g n a h m e :

 

Auf Grund der Kürze der Begutachtungsfrist beschränkt sich daher die Stellungnahme des Begutachtungssenats des Oberlandesgerichtes Graz wie folgt auf die wesentlichen zu

 

Artikel 1

Änderungen der Strafprozessordnung 1975

 

Zu 18.  („Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens“):

Der  Einzelrichter des Landesgerichtes und das Oberlandesgericht erhalten über eine Beschwerde eines hiezu Berechtigten (§ 87 Abs 1 StGB) gegen dessen Entscheidung mit der „Überprüfung der Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens“ im neu geschaffenen § 108a StPO eine neue Kompetenz, die aus Sicht der Rechtsprechung durchaus zu begrüßen ist, weil damit der Verlauf lang dauernder Ermittlungsverfahren nicht mehr allein der monokratisch organisierten Staatsanwaltschaft überlassen bleibt, sondern einer Kontrolle durch die unabhängige Rechtsprechung unterworfen wird. So werden die Staatsanwaltschaften gezwungen sein, die Dauer von Ermittlungsverfahren gegenüber den Gerichten, damit aber auch transparent für die  Parteien des Verfahrens zu begründen. Dem Gericht wird die Möglichkeit eingeräumt, zumindest mittelbar und kraft seiner Unabhängigkeit glaubwürdig zu entscheiden und damit an einer Verkürzung der Ermittlungsverfahren mitzuwirken. Wegen der Vorbefassung und damit eingeschränkten Unbefangenheit wäre allerdings eine Verlagerung der Zuständigkeit für diese Entscheidung von jenem Einzelrichter, der für das Verfahren zuvor zuständig war, zu einem anderen Einzelrichter oder zum Drei-Richter-Senat des Landesgerichtes zu diskutieren. Nicht verkannt wird aber andererseits der damit verbundene Mehraufwand für das Gericht durch das erforderliche Aktenstudium eines anderen Einzelrichters bzw. Referenten.

Zu § 108a Abs. 4 StPO ist die Frage aufzuwerfen, wie Zeiten eines gerichtlichen Verfahrens nach §§ 108 und 112 sowie Zeiten der Erledigung eines Rechtshilfeersuchens durch ausländische Justizbehörden zu behandeln sein werden, während deren Verlauf die Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungsschritte setzt. Schließlich stellt sich die Frage, welche Konsequenz sich an eine unterlassene Antragstellung der Staatsanwaltschaft nach § 108a knüpft. Den Erläuterungen folgend soll das Gericht im Fall der Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme mittels Fristvormerk oder Kalender den Ablauf der Höchstfrist zu überwachen haben und bei Untätigkeit der Staatsanwaltschaft den Akt samt einer Stellungnahme über die Notwendigkeit einer Überschreitung der Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens von der Staatsanwaltschaft anfordern (Seite 5 der Erläuterungen). Eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung dieser Verpflichtung wäre wünschenswert. Außerdem bleibt die Frage offen, wie die Überwachung in jenen Fällen stattzufinden hat, in denen keine vorherige Einschaltung des Gerichts aufgrund einer zu bewilligenden Ermittlungsmaßnahme erfolgte.

 

In diesem Zusammenhang, aber auch angesichts einer soeben veröffentlichen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, wonach das Fehlen einer Begründung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsanordnung weder das Erstgericht noch (über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Abweisung eines Antrags auf Bewilligung durch den Einzelrichter) das Beschwerdegericht zur Zurückweisung des Bewilligungsantrages ermächtigt (15 Os 25/14m), gibt der Entwurf wie schon die Begutachtung vorhergehender Gesetzesvorlagen Anlass, auf die mit den neuen Aufgaben vorhersehbar verbundene Mehrbelastung der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren und der Oberlandesgerichte hinzuweisen.     Einzuräumen ist zwar, dass keine große Zahl an Entscheidungen über Anträge nach § 108a zu erwarten ist, jedoch mit einer hohen zeitlichen Inanspruchnahme des jeweils befassten Richters bzw. Senats schon durch einen einzigen Akt zu rechnen ist.

 

Zu  23. - 25. (§ 126 StPO):

Die vorgesehene Ergänzung im letzten Satz des Abs.3 ist insofern redundant, als schon im vorhergehenden Satz die Verpflichtung zur Zustellung der Bestellung an den Beschuldigten ausgesprochen wird. Durch die Neuerungen im eingefügten Abs.5 ergeben sich zudem Überschneidungen mit Abs.3, denn nach Abs.3 hat der Beschuldigte das Recht, binnen einer angemessenen, eine Woche nicht übersteigenden Frist begründete Einwände gegen den ausgewählten Sachverständigen zu erheben, wobei die Einwendungen entweder die Befangenheit des Sachverständigen oder dessen fehlende fachliche Qualifikation zum Inhalt haben können (§ 126 Abs.4), während er nunmehr nach Abs.5 auch berechtigt sein soll, binnen 14 Tagen ab Zustellung (der Bestellung des Sachverständigen) oder ab Kenntnis eines Befangenheitsgrundes oder begründeter Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen einen Antrag auf dessen Enthebung zu stellen und „gegebenenfalls“ eine bestimmte andere Person zur Bestellung vorzuschlagen. Außerdem ist im Abs 5 letzter Satz im Fall der Bestellung des Sachverständigen durch das Gericht die Beschlussfassung über den Antrag auf Enthebung und den Vorschlag zur Bestellung einer anderen Person durch das Gericht vorgesehen. Eine Klarstellung für das Hauptverfahren in Bezug auf ein abgesondertes Rechtsmittel (vgl § 238 Abs 3 StPO) wäre wünschenswert (nach den Erläuterungen soll nur der Beschuldigte unter den Voraussetzungen der §§ 87f StPO Beschwerde erheben können). Nachdrücklich muss auch hier auf den durch den vorgesehenen Einspruch wegen Rechtsverletzung gegen die Nichtstattgebung eines Antrags auf Bestellung eines anderen Sachverständigen bzw. die Beschlussfassung des Gerichtes im Hauptverfahren bei gleicher Sachlage im Fall der Bestellung des Sachverständigen durch das Gericht und den dadurch ausgelösten jeweiligen Rechtszug bei den Gerichten zu erwartenden größeren Verfahrensaufwand hingewiesen werden.

 

Zu 43. (§ 489 Abs.1 StPO):

Die Bereinigung von Redaktionsversehen in der für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht bedeutsamen Verweisungsnorm  des § 489 Abs. 1 StPO wird ausdrücklich begrüßt, ebenso die dadurch wieder hergestellte Rügepflicht des Staatsanwalts für den Fall der späteren Geltendmachung von formellen Nichtigkeitsgründen im Einzelrichterverfahren.

 

Zu 44. (23a. Hauptstück, Mandatsverfahren § 491 StPO):

Grundsätzlich bestehen gegen die „Wiedereinführung“ des Mandatsverfahrens keine Bedenken. Die Verhängung von Freiheitsstrafen im Wege der Strafverfügung, also unter Verzicht auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten, wird allerdings grundsätzlich als problematisch erachtet. Nicht zu vernachlässigen sind ferner die präventiven Wirkungen einer öffentlichen, mündlichen Hauptverhandlung, welche durch eine schriftliche Strafverfügung nicht in gleichem Maße zu erreichen sind. Vom Abwesenheitsverfahren unterscheidet sich das nunmehr vorgesehene Mandatsverfahren außerdem dadurch, dass sich der Angeklagte im Abwesenheitsverfahren durch Nichterscheinen nach persönlicher Ladung zur Hauptverhandlung seines Rechts auf Anwesenheit und Ausübung seiner Parteirechte ausdrücklich begibt. Schließlich bedarf es des Hinweises, dass eine erhebliche Verringerung des richterlichen (Arbeits-)Aufwands durch den Entfall von - bei Vorliegen der Voraussetzungen des Mandatsverfahrens ohnehin nicht aufwändigen – Hauptverhandlungen   nicht zu erwarten ist. Keinesfalls bietet das Mandatsverfahren ein Einsparungspotential, durch das der durch andere Bestimmungen entstehende Mehraufwand im Bereich der Landesgerichte und Oberlandesgerichte ausgeglichen werden kann.

 

 

 

 

Sollte es zu einer entsprechenden Gesetzesänderung dennoch kommen, ist anzumerken, dass aus Sicht der Gerichte nicht nachvollziehbar erscheint, warum das Mandatsverfahren nur über Antrag der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden darf. Auch ein amtswegiges Vorgehen des Gerichts nach § 491 oder ein  Antrag des Angeklagten wäre vertretbar. Schließlich scheint mit Bezug auf die eingeräumte Möglichkeit einer Widerrufsentscheidung (§ 491 Abs 2 letzter Satz) ungeklärt, auf welche Weise ohne Vernehmung durch den Richter die Verfahrensbestimmungen des § 498 Abs 3 eingehalten werden sollen. Eine Schlechterstellung erfährt ferner der Privatbeteiligte, weil die unterlassene Anhörung des Beschuldigten zu seinen Ansprüchen die Verweisung auf den Zivilrechtsweg gemäß § 366 Abs 2 StPO zur Folge hat, ohne dass ihm eine Anfechtungsmöglichkeit offen steht. Überlegungen wert wäre eine ausdrückliche Regelung in Bezug auf eine Einspruchslegitimation eines Sachwalters.

 

 

Anknüpfend an die Stellungnahme zu Z 18 ergeht durch den Begutachtungssenat des Oberlandesgerichtes Graz nachstehende Anregung an den Gesetzgeber:

 

Angesichts der oftmals wahrgenommenen Verschiebung der Erfüllung von Begründungserfordernissen in Fällen unzureichend begründeter Anträge der Staatsanwaltschaft und nicht ausreichend begründeter Beschlüsse der Einzelrichter an das Oberlandesgericht, dem letztlich - allenfalls nach Einholung von Aufklärungen bei Staatsanwaltschaft oder Gericht - die Abfassung eines begründeten Beschlusses überbunden wird und der jüngst in einem derartigen Fall ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (15 Os 25/14m) sowie des großen Verfahrensaufwandes der Oberlandesgerichte beispielsweise bei Überprüfung auch nur unbegründeter Anklageeinsprüche, wird abschließend die Forderung gestellt, in nächsten Reformschritten

 

            1)         die Begründungspflicht für staatsanwaltschaftliche Ermittlungsanträge und                     Beschlüsse  der  Einzelrichter  im Ermittlungsverfahren durch geeignete gesetz-

                        liche Maßnahmen besser zu verankern und

 

            2)         die Begründungspflichten der Staatsanwaltschaften für Anklageschriften zu ver-                         schärfen und eine Begründungspflicht für Anklageeinsprüche einzuführen.

 

Der Vorsitzende:

Dr. Manfred Scaria

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