An den

HERRN LEITER DER Oberstaatsanwaltschaft

Wien

 

 

BETRIFFT:     Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014; Begutachtung

 

BEZUG:          Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 07.05.2014,
                        BMJ-S578.028/0001-IV/3/2014

 

 

Zu obigem Bezug ergeht nachstehende Stellungnahme:

 

Zu § 1 Abs 2 und Abs 3 StPO, § 48 Abs 1 StPO:

 

Die geplante Regelung des § 1 Abs 3 StPO, welche den Anfangsverdacht nunmehr definiert, ist zu begrüßen, ebenso die in § 48 Abs 1 StPO normierte Unterscheidung zwischen „Verdächtigen“ und „Beschuldigten“. Ob diese Begriffsunterscheidung jedoch geeignet sein wird (ungerechtfertigt angezeigte) Personen in Hinkunft vor „öffentlicher Brandmarkung“ zu schützen, darf bezweifelt werden, zumal Medien bekannterweise mitunter nicht dazu neigen Begriffsunterscheidungen solcher Art in ihrer Berichterstattung zu berücksichtigen.

 

Der Umstand, dass diese Abgrenzung es in Hinkunft auch ermöglichen soll, im Fall eines Anfangsverdachts gegen Mitglieder allgemeiner Vertretungskörper die Verdachtslage soweit zu konkretisieren, dass ein allfälliges Ersuchen um Auslieferung nicht bereits im Fall einer vagen Verdachtslage zu stellen ist, ist ebenfalls sehr zu begrüßen. Allerdings ist die Vereinbarkeit von – in den Erläuterungen angeführten – Ermittlungsmaßnahmen wie die Einvernahme von Zeugen oder auch die Aufforderung eines Verdächtigen zur Stellungnahme mit der Bestimmung des Art 57 BVG zu hinterfragen.

 

Zu § 108a StPO:

 

Aus mehreren Erwägungen stellt sich die geplante Neuregelung des § 108a StPO als problematisch dar.

Auch wenn der Rechnungshof in seinem Prüfbericht zum staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren die steigende Dauer von Ermittlungsverfahren bemängelte und darin die Empfehlung an das BMJ richtete, gezielte Maßnahmen zur Verringerung der Verfahrensdauer zu setzen, so kann dies seitens des Gesetzgebers wohl nicht darauf reduziert werden, StaatsanwältInnen eine – wenn auch nicht absolute – Höchstfrist für die Dauer von Ermittlungsverfahren zu setzen. Dies ist umso mehr zu kritisieren, zumal die Maßnahme nicht im Geringsten geeignet erscheint die Dauer staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren zu verkürzen. Der Gesetzesentwurf lässt nämlich probate Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung wie beispielsweise die Einrichtung eines zentralen Kontoregisters, Neuregelung des zeitaufwändigen und wenig praktikablen Prozederes des § 112 StPO, Forcierung und Vergrößerung des Expertenpools (und dergleichen), gänzlich vermissen.

 

Des weiteren wurde offenbar nicht in das Kalkül gezogen, dass gerade im HR-Bereich mitunter eine hohe Fluktuation besteht, sohin davon auszugehen ist, dass jener (mitunter noch unerfahrener) HR, welcher zur Entscheidung über die Überschreitung der in § 108a Abs 1 StPO normierten 3-Jahres-Frist berufen ist, sich erst in einen umfangreichen und komplexen Sachverhalt einlesen muss, um seriös eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Dass dies nicht verfahrensbeschleunigend, sondern – im Gegenteil – viel mehr verfahrensverzögernde (insbesondere auch im Hinblick der vorhandenen Beschwerdemöglichkeiten gegen die jeweilige richterliche Entscheidung) Wirkungen nach sich zieht, liegt wohl auf der  Hand.

 

Des weiteren stellt sich auch im Hinblick auf die Bestimmung des § 108 StPO die Frage der Notwendigkeit der geplanten Regelung des § 108a StPO. Wenn die Notwendigkeit in den Erläuterungen damit begründet wird, dass ein Beschuldigter durch einen entsprechenden Antrag gemäß § 108 StPO sich in die Gefahr eines „Konfliktes“ mit der Staatsanwaltschaft begibt, so impliziert dies die Unterstellung, dass StaatsanwältInnen dem gesetzlich normierten Gebot zur Objektivität mitunter zuwiderhandeln, was auf das schärfste zurückgewiesen werden muss. Auch zeigen gerade die – offenbar der geplanten Regelung des § 108a StPO – zugrunde liegenden Anlassfälle, dass sich Beschuldigte keinesfalls davor scheuen, die ihnen gebotenen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu ergreifen, was naturgemäß zu einer entsprechenden – nicht unerheblichen – Verfahrensverzögerung führen kann.

Auch berücksichtigt die Regelung des § 108a StPO nicht ansatzweise den Umstand, dass die Dauer zahlreicher Vorgänge/Entscheidungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens (beispielsweise gerichtliche Entscheidungen über Einspruch wegen Rechtsverletzungen und Beschwerden, Entscheidungen im Rahmen des Berichtswesens, Dauer der Erstellung von Sachverständigengutachten und polizeilichen Ermittlungen, usw.) nicht in der Ingerenz der einzelnen StaatsanwältInnen liegen. Dennoch muss sich fast ausschließlich die Staatsanwaltschaft öffentliche Kritik bezüglich der Dauer von Ermittlungsverfahren gefallen lassen, welche durch die Normierung des § 108a StPO mitunter noch verstärkt werden könnte.

Ausgehend davon, dass im Falle von Rechtshilfeersuchen an ausländische Justizbehörden in der Regel parallel – um den Beschleunigungsgebot zu entsprechen – weitere Ermittlungen  erfolgen, ist die Regelung des Abs 4 unklar, zumal für diese Fälle nicht geregelt ist, welche Zeiten tatsächlich nicht in die 3-Jahres-Frist einzurechnen sind. Des weiteren ist in diesem Zusammenhang nicht verständlich warum die Zeiten des gerichtlichen Verfahrens nach § 108a StPO nicht auch von den Fristen der Absätze 1 und 2 ausgenommen wurden.

 

Zu § 126 Abs 5 StPO:

 

Hiezu ist anzumerken, dass das in § 126 Abs 5 StPO normierte Prozedere der Sachverständigenbestellung mitunter zu einer weiteren Verfahrensverzögerung führen kann.

 

Zum Mandatsverfahren:

 

Die Einführung des Mandatsverfahrens im geplanten Umfang, in welchem auf die Grundsätze der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Öffentlichkeit verzichtet wird, erscheint rechtsstaatlich bedenklich.

Kritisiert wird vor allem auch, dass im Rahmen des geplanten Mandatsverfahrens (unbedingte) Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr verhängt werden können, zumal gerade die Frage der Strafzumessung sowie der allenfalls bedingten Strafnachsicht sehr wesentlich vom persönlichen Eindruck des Angeklagten geprägt ist.

Abgesehen davon, dass aufgrund von Einsparungsmaßnahmen rechtsstaatliche Prinzipien nicht hintangehalten werden dürfen, wird auch bezweifelt, ob das Mandatsverfahren auch entsprechendes Einsparungspotenzial – insbesondere im Hinblick darauf, dass im Falle eines Einspruches ein weiterer Richter befasst werden muss und der bestehenden Verpflichtung der Anhörung eines Angeklagten zu einem drohenden Widerruf gemäß § 494a StPO – bietet.

 

Zu § 5 Abs 5 StAG:

 

Die Sinnhaftigkeit dieser Bestimmung ist nicht nachvollziehbar.

Die Einführung einer Revision in jenen Fällen, in welchen die Kostenschätzung eines (bereits bestellten) Sachverständigen den Betrag von EUR 10.000,- übersteigen könnte, wird in der Regel wohl kaum zu einer Kostenminimierung beitragen, sofern für das Ermittlungsverfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist.

 

Zu § 35b StAG:

 

Diese Bestimmung enthält nach wie vor keine klaren Regelungen, welche Auskünfte durch die jeweiligen Mediensprecher der Staatsanwaltschaften erteilt werden dürfen und kann diese Regelung somit einen detaillierten Medienerlass wohl nicht ersetzen.

 

Zu § 35c StAG:

 

Grundsätzlich ist es begrüßenswert, dass die Vorgehensweise für staatsanwaltschaftliche Erledigungen bei Sachverhalten, welchen kein Anfangsverdacht zu entnehmen ist, einer gesetzlichen Regelung zugeführt wurde.

Allerdings kommt die Verpflichtung, einen Anzeiger dahingehend zu belehren, dass er von einem Beschwerderecht gemäß § 37 StAG Gebrauch machen könne, geradezu einer „Einladung“ an Personen – welche vermehrt zu substratlosen Anzeigen tendieren – gleich, Dienstaufsichtsbeschwerden gegen StaatsanwältInnen zu erheben. Abgesehen davon lässt diese ausdrückliche Belehrungspflicht den (wenn auch ungewollten) Eindruck entstehen als bestünde ein latentes Misstrauen seitens des Gesetzgebers gegen staatsanwaltschaftliche Entscheidungen.

 

Staatsanwaltschaft St. Pölten

St. Pölten, 19.05.2014

Mag.a Michaela Schnell, Leitende Staatsanwältin

 

Elektronische Ausfertigung
gemäß § 79 GOG