Sehr geehrter Herr Bundesminister Kurz!

 

Sie haben beim „Religionsdialogprozess“ im Frühjahr verkündet, dass Religion „Teil der Lösung und nicht Teil des Problems“ wäre. Nun liegt uns eine Islamgesetznovelle zur Begutachtung vor, mit der Sie und Ihre Regierungskolleginnen und –kollegen genau das Gegenteil suggerieren: Dass mit einer Religion in Österreich ein derartiger Problemfall gegeben sei, der besondere Bestimmungen in diesem Gesetzesentwurf rechtfertige. Ich fürchte, dass damit aus der europaweit vielbeachteten Intention des Islamgesetzes 1912 als Symbol der Anerkennung ein Signal für den aktuell (wieder) allgegenwärtig spürbaren Misstrauensgrundsatz entsteht.

 

Ich habe bereits in meinen „Gedankensplittern am Vorabend des 11. September 2014” (>>  https://www.facebook.com/notes/dialog16/globalisierung-des-generalverdachts/935466093137337) darauf hingewiesen, dass wir alle aufpassen müssten, nicht „kongeniale Partner der IS-Marketingstrategen“ zu werden, die bei der Rekrutierung v.a. junger Menschen aus Europa darauf setzen, zu signalisieren, dass – egal, was sie tun werden und wie sie ihren muslimischen Glauben anlegen, ob sie formal Staatsbürger sind oder nicht – sie letztlich niemals in europäischen Ländern wirklich akzeptiert würden.

 

Öffne ich beispielsweise zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Parlamentsseite, auf der die Stellungnahmen zum Islamgesetz einsehbar sind, ist dort eine Stellungnahme des BKA-Verfassungsdienstes zu finden, die sich auf das „Terrorsymbolegesetz“ bezieht – wohl ein Zuordnungsversehen, aber eines, das beinahe symptomatisch für die derzeitige Atmosphäre der Sphärenvermischungen wirkt.

http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/SNME/SNME_01651/index.shtml

 

Mir liegt es fern, den Oberexperten im Detail zu mimen, ich möchte nur zwei Aspekte aus dem Islamgesetzesentwurf herausgreifen:

 

1) Der abstruse und wirkungsbefreite Gedanke einer gesetzlich verordneten "Einheitskoranübersetzung" für alle in Österreich lebenden Muslime, der im Vorfeld des Entwurfs medial ventiliert wurde, konnte in dieser Form legistisch glücklicherweise nicht umgesetzt werden. Dennoch mutet es mir als Ironie an, dass § 6 Abs. 1 Z 5, der die Darstellung der Lehre einschließlich die Wiedergabe eines Textes der wesentlichen Glaubensquellen (Koran) in deutscher Sprache fordert, nicht der Grammatik der deutschen Sprache entspricht („Darstellung der Lehre, … die sich von bestehenden … Religionsgesellschaften … unterscheiden müssen“).

 

2) § 6 Abs. 2 erachte ich als politisch zynisch, wenn man ohne Übergangsfristen und trotz der Tatsache, dass eine heimische universitäre Imame-Ausbildung erst mit 1.1.2016 beginnen soll, ausländische Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit verbietet. Mir ist die Grundproblematik durchaus bewusst, aber eine derartig undifferenzierte und einzelfallentkoppelte Punzierung jeglicher nicht-inländischer Spenden oder personeller Ausstattungen von islamischen Religionsgesellschaften oder Kultusgemeinden trägt wiederum nur zur Generalverdachtsstimmung und zu praktisch schwierig lösbaren Existenzsituationen vieler Moscheevereine bei.

 

Ein Problem der derzeitigen Gesamtsituation im Bezug auf das vorliegende Thema ist auch, dass sich mir alle Seiten in einer „Opferrolle“ vorzukommen scheinen, in der es sich teilweise gut einrichten lässt oder aus der heraus bestens Maßnahmen gerechtfertigt werden können. Die Gesamtausrichtung des vorliegenden Islamgesetzentwurfs unterstreicht diese wenig produktive Situation: viele auf muslimischer Seite fühlen sich als Opfer einer zu generalisierten Misstrauens- und Ablehnungsdebatte, in der auch politisch Kleingeld gewechselt wird, viele auf nicht-muslimischer Seite als Opfer scheinbar zu gutmenschlichen bisherigen Umgangs mit der Frage der Integration "des Islams" in unsere plurale Gesellschaft, der spätestens jetzt einer Richtungskorrektur bedürfe.

 

Hier haben wir uns alle zu bemühen, ehestmöglich wieder in einen konstruktiven Dialog zurückzufinden! Einen Dialog, der nicht Befindlichkeiten vorreiht oder aus solchen Stimmungslagen über die Tagespolitik hinausreichende legistische Festlegungen trifft, sondern der mit klarem Blick für die Chancen und Risiken eines pluralen Miteinanders einen geeigneten Modus vivendi sucht – hoffentlich unter politisch-gesetzlichen Rahmenbedingungen, die einen solchen Prozess positiv unterstützen!

 

In diesem Sinne wäre eine Generalüberholung des vorliegenden Islamgesetz-Vorschlags aus meiner Sicht zweckmäßig und unabdinglich.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Mag. Wolfgang Bartsch

 

seit über einem Jahrzehnt als römisch-katholischer Christ ehrenamtlich engagiert in interreligiöser und interkultureller Begegnungsarbeit im 16. Wiener Gemeindebezirk  -   www.facebook.com/dialog16