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Stellungnahme der Gewaltschutzzentren Österreich

zum Begutachtungsentwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, das Opferfürsorgegesetz,

das Heeresversorgungsgesetz, das Verbrechensopfergesetz,

das Behinderteneinstellungsgesetz sowie das Bundesbehindertengesetz geändert werden,

das Kriegsopfer- und Behindertenfondsgesetz aufgehoben und mit dem eine Rentenleistung für Contergan-Geschädigte eingeführt wird

 

 

Die Gewaltschutzzentren Österreich sind hinsichtlich dieses Gesetzesentwurfs nur vom Verbrechensopfergesetz (VOG) tangiert und nehmen einerseits zu dessen konkreten Neuerungen Stellung, darüber hinaus jedoch erlauben wir uns, auf einen generellen Verbesserungsbedarf beim VOG hinzuweisen. Dieser wurde in einer ersten Überarbeitung in den Reformvorschlägen der Gewaltschutzzentren 2014[1] bereits vorgestellt und wird in der  heurigen Fassung, welche bis Ende Mai den geldgebenden Ministerien übermittelt werden, noch weiter vertieft werden.


 

 

 

 

I.

 

1. Die gemäß § 2 Z 2a vorgesehene Ausweitung der Kostenübernahme bei Krisenintervention durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen auch auf PsychotherapeutInnen wird begrüßt, die unter II.7.3. angeregte Erweiterung auch auf DiplomsozialarbeiterInnen wird aber dennoch vermisst. Krisenintervention kann von klinischen PsychologInnen und GesundheitspsychologInnen, eingetragenen PsychotherapeutInnen oder SozialarbeiterInnen (DiplomsozialarbeiterInnen und AbsolventInnen von Fachhochschulen für Soziale Arbeit) geleistet werden.

 

2. § 4 Abs. 5 ließe eine erhebliche bürokratische Entlastung erwarten, wenn unter den angeführten Voraussetzungen eine Direktabrechnung durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erfolgt. Allerdings sollte diese Form der Abwicklung obligatorisch erfolgen.

 

3. Für § 4a würde - wie unter Punkt 1 bzw. unter II. 3 bereits angeführt – die Leistung von Krisenintervention durch ausgebildete SozialarbeiterInnen (DiplomsozialarbeiterInnen und AbsolventInnen von Fachhochschulen für Soziale Arbeit) aus fachlicher Sicht ebenso gut in Betracht kommen.

 

II.

 

Die Gewaltschutzzentren Österreich regen eine grundlegende Revision des Verbrechensopfergesetzes analog dem Schweizer Opferhilfegesetz (OHG) an, das Opfern von Straftaten in weiterem Umfang und niederschwelliger Leistungen gewährt.

 

Es ist davon auszugehen, dass Gewaltopfer aufgrund des zugefügten Leids ohnehin oft sehr belastet sind und sollen nicht durch aufwändige bürokratische Wege mit gesetzlich von vorneherein unsicherem Ergebnis beschwert werden. Das Verbrechensopfergesetz schafft viele Hürden für die Inanspruchnahme und wird auch deshalb in der Praxis oft nicht genutzt. Aus diesen Gründen wird in der Beratung immer wieder ausgewichen, etwa auf die Vermittlung einer kostenfreien Psychotherapie in manchen Therapieeinrichtungen, was unter Umständen nur einmal ein Telefonat benötigt.

Nachstehende Vorschläge werden als Vorleistung auf die noch anstehende ganzheitliche Überarbeitung im Sinne eines „opferfreundlichen“ Gesetzes erstattet. Dies um einige der gravierenden Zugangserschwernisse darzustellen.

 

 

 

 

 

 

 

1.      Kreis der Anspruchsberechtigten

 

Nach § 1 VOG haben Personen, die zum Zeitpunkt der Tat keine Aufenthaltsberechtigung für Österreich haben, keinen Anspruch auf Leistungen, auch wenn sie in Österreich Opfer einer strafbaren Handlung wurden. Ausgenommen sind Drittstaatsangehörige, deren unrechtmäßiger Aufenthalt durch Menschenhandel bewirkt worden ist und denen ein Aufenthaltsrecht für besonderen Schutz oder ein anschließendes Aufenthaltsrecht zuerkannt wurde.

 

Im Kommentar zum Artikel 30 (siehe Punkt 172) der Istanbul-Konvention ist angeführt: „…, dass es möglich ist, dass zahlreiche Opfer von in den Anwendungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt nicht die Staatsangehörigkeit der Vertragspartei haben, in deren Staatsgebiet die Straftat begangen wurde, sollte der zusätzliche staatlich finanzierte Schadenersatz auf Nichtstaatsangehörige ausgeweitet werden“.

 

§ 1 Abs 7 VOG ermöglicht Opfern von Menschenhandel, die anerkannt sind und über einen dementsprechenden Aufenthaltstitel verfügen den Zugang zu Leistungen aus dem VOG. Die Anknüpfung der Anspruchsvoraussetzung an den besonderen Schutz des § 57 AsylG oder anderen im Anschluss erteilten Aufenthaltstiteln im Inland ist kritisch zu beurteilen. Die Praxis zeigt, dass bis zur tatsächlichen Ausstellung eines solchen Aufenthaltstitels oft Monate vergehen können. Zudem stellt sich die Frage, wie Betroffene, die erst im Herkunftsland identifiziert werden – aus Österreich abgeschoben werden - oder aber auch das Land verlassen wollen, ihre Ansprüche geltend machen können.

 

Es ist dem Gesetzestext nicht zu entnehmen, ob Betroffene des Menschenhandels, vor der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem AsylG, während eines anhängigen Straf- oder Zivilverfahrens die formalen Voraussetzungen für einen Antrag auf Entschädigung nach dem VOG bei späterer Heilung erfüllen oder ob dies einen absoluten Verfahrensmangel begründet, der mit einer Zurückweisung durch die Behörde erledigt wird.

 

 

 

 

 

 

 

Reformvorschlag

Die Aufhebung der Bedingung der Erteilung eines befristeten Aufenthaltes nach § 57 AsylG oder anderer Aufenthaltstitel für die Antragslegitimation für Leistungen aus dem VOG zu Gunsten der Betroffenen des Menschenhandel, um so praktische Zugangsschranken für diese Opfergruppe möglichst zu vermeiden. Entscheidend für einen Anspruch sollte – wie beim Recht auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung – der Tatort sein und nicht der Aufenthaltsstatus.

 

2.      Heilfürsorge in Form von Psychotherapie

 

Die Inanspruchnahme von Kostenersatz für Psychotherapie nach § 4 Abs 5 VOG ist für Betroffene mit großem Aufwand und Unsicherheit hinsichtlich der Bewilligung verbunden. Eine Anzeige wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung, die vorsätzlich ist und das geforderte Strafausmaß hat, sollte anstelle „der Wahrscheinlichkeit“ (§ 1 Abs 1) die Voraussetzung für eine Vorschussleistung bilden.

 

Die Kriterien für die Bewilligung seitens des Bundessozialamtes sind nicht eindeutig und die Entscheidung über einen Kostenersatz von Therapiekosten ist zum Zeitpunkt der notwendigen Inanspruchnahme oft nicht vorhersehbar, weil eine Wahrscheinlichkeitsprüfung hinsichtlich der Tat durchgeführt wird. Aus diesen Gründen kann ein Kostenrisiko für Gewaltopfer entstehen. Eine Zwischenfinanzierung aus privaten Mitteln oder über andere Hilfseinrichtungen ist oftmals nicht gesichert.

 

Reformvorschlag

1.        Entfall der Wahrscheinlichkeitsprüfung – Anzeige einer vorsätzlich begangenen Straftat mit mehr als 6 monatiger Strafdrohung reicht als Anspruchsvoraussetzung

2.        Das Gesamthonorar für geleistete Psychotherapie hat das zuständige Bundessozialamt nach Antragsstellung durch das Opfer an den/die LeistungserbringerIn (PsychotherapeutIn) zu erbringen. Der Kostenzuschuss der Krankenversicherung soll im Wege des Regresses vom Bundessozialamt beim jeweiligen Träger geltend gemacht werden.

 

 

 

 

 

 

3.      Kostenübernahme bei Krisenintervention

 

§ 4a VOG sieht Krisenintervention ausschließlich durch klinische und Gesundheits-psychologInnen vor. Diese Ausschließlichkeit ist nicht adäquat und nachvollziehbar, hier müssten aufgrund ihrer Qualifikation zumindest auch DiplomsozialarbeiterInnen und PsychotherapeutInnen zugelassen werden, welche bereits in der Ausbildung dafür Kompetenz erwerben (siehe jeweilige Studien- bzw. Ausbildungspläne).

 

Reformvorschlag

Änderung in § 4a VOG:

Die Kosten einer Krisenintervention (klinisch-psychologische und gesundheitspsychologische Behandlung) in Notfällen, die Opfer oder Hinterbliebene infolge einer Handlung nach § 1 Abs 1 zu tragen haben, sind pro Sitzung bis zur Höhe des vierfachen Betrages des Kostenzuschusses nach § 4 Abs 5 des örtlich zuständigen Trägers der Krankenversicherung zu übernehmen. Eine Kostenübernahme gebührt höchstens für zehn Sitzungen. Krisenintervention kann von klinischen PsychologInnen und GesundheitspsychologInnen, eingetragenen PsychotherapeutInnen oder DiplomsozialarbeiterInnen geleistet werden.

 

 

4.      Pauschalentschädigung nach § 6a VOG für sexualisierte Gewalt

 

Nach § 1 Abs 1 VOG haben Opfer, die durch eine Straftat eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben, unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Leistungen nach dem VOG. Die Leistung einer Pauschalentschädigung nach § 6a VOG erhalten jedoch nur die Opfer von Strafverfahren wegen schwerer Körperverletzung und Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen.

 

Eine der häufigsten Auswirkungen sexualisierter Gewalt ist eine akute Traumatisierung einhergehend mit einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Diese wiederum tritt häufig in Kombination mit anderen psychischen Störungsbildern auf. Zusätzlich besteht lebenslang die Gefahr einer Re-Traumatisierung ausgelöst durch alltägliche Situationen.

 

 

 

 

 

 

Die psychischen Auswirkungen sexualisierter Gewalt können mit jenen einer schweren Körperverletzung oder Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen gleichgesetzt werden.

Eine Erweiterung der Entschädigung im Sinne des Artikels 30 Ziffer 2 der Istanbul-Konvention erscheint geboten.

 

Reformvorschlag

Erweiterung des § 6a VOG um eine Pauschalentschädigung bei sexualisierter Gewalt in der Mindesthöhe von € 4.000,00 entsprechend der Entschädigung wegen schwerer Körperverletzung, € 8.000,00 bei schweren Dauerfolgen und € 12.000,00, wenn die sexualisierte Gewalt mit schweren Dauerfolgen im Ausmaß von zumindest der Stufe 5 nach dem Bundespflegegesetz einhergeht.

 

 

5.      § 7a VOG – Vorläufige Verfügungen

 

Beim Instrument des Schmerzensgeldvorschusses ist kritisch anzumerken, dass die Voraussetzungen für die Beantragung desselben nach wie vor diffus und für potentiell Berechtigte schwer durchschaubar sind, da die Vorschussleistungen nur dann erfolgen, „wenn wahrscheinlich ist, dass der angemeldete Anspruch begründet ist“.

 

Reformvorschlag

Änderung in § 7a Abs 1 VOG:

Im Falle eines nachgewiesenen dringenden Bedarfes kann das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Antragstellern noch vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens Vorschüsse auf die nach diesem Bundesgesetz zu gewährenden Geldleistungen gewähren, wenn wahrscheinlich ist, dass der angemeldete Anspruch begründet ist  eine Anzeige wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat mit mehr als 6 monatiger Strafdrohung vorliegt. …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

6.      Ausschlussbestimmungen

 

6.1. Gewaltdynamik bei häuslicher Gewalt und VOG

 

Im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt und Beziehungsgewalt sind die Ausschlussbestimmungen völlig unpassend, weil sie die Gewaltdynamik in Beziehungen nicht berücksichtigen. Bei Gewalt im sozialen Nahraum fahrlässiges oder sorgfaltswidriges Verhalten des Opfers zu prüfen und diesem damit Schuld zuzuweisen mindert die

 

Verantwortung des Gewalttäters. In der Viktimologie gibt es dafür den Fachbegriff „Victim blaming“, welches dem Opferschutz zuwider läuft.

 

Die Amtlichen Erläuterungen zur Regierungsvorlage legen die Ausschlussbestimmungen sehr eng aus und gehen etwa bei Z 1 von Bestimmungs- und Beitragstätern aus, bei Z 2 und 3 wird auf ein etwaiges Verschulden bei „Gewalttaten zwischen Berufsverbrechern“ hingewiesen.

 

Reformvorschlag

Hilfeleistungen i. S. d. § 8 werden bei Opfern häuslicher Gewalt (§ 74 Abs1 Z 5a StGB) nicht anhand der Ausschlusskriterien der § 8 Abs 1 Z 1 – 4 einer Prüfung unterzogen.

 

 

6.2. Absehen einer Prüfung von Anspruchsleistungen im Herkunftsland

 

Nach § 8 Abs 3 VOG sind Personen ausgeschlossen, soweit sie auf Grund ausländischer gesetzlicher Vorschriften gleichartige staatliche Leistungen erhalten können. Es ist den einzelnen Betroffenen nur schwer zuzumuten, dass diese die Rechtssituation in ihrem Herkunftsland eruieren und von diesem eine Bestätigung über das Nichtbestehen eventueller Leistungen einholen müssen, um Ansprüche in Österreich geltend machen zu können.

 

 

 

 

 

 

 

 

In den Novellierungsvorschlägen für das VOG von CompAct Österreich vom 05.04.2012 wurde angeregt § 8 Abs 3 VOG dahingehend zu ändern, dass es keiner vorherigen Prüfung über vergleichbare Ansprüche im Herkunftsland als Antragsvoraussetzung für Betroffene des Menschenhandels bedarf. Diese Änderung wurde im vorliegenden Entwurf bedauerlicherweise nicht umgesetzt. In Artikel 2 der EU Richtlinie 2004/80/EG[2] zur Entschädigung der Opfer von Straftaten wird die ausdrückliche Zuständigkeit desjenigen Mitgliedsstaates festgelegt, in dessen Hoheitsgebiet die Straftat begangen wurde.

 

Reformvorschlag

Streichung der Prüfung von vergleichbaren Ansprüchen im Herkunftsland als Antragsvoraussetzung. Leistungen nach dem VOG sollen unabhängig von eventuellen Ansprüchen des Herkunftslandes erbracht werden.

 

 

 

03.03.2015

 

Maga. Maria Schwarz-Schlöglmann

Delegierte des Bundesverbandes der Gewaltschutzzentren Österreichs in justiziellen Belangen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



[1] http://www.gewaltschutzzentrum.at/ooe/aktuell.htm S 37 ff.

 

 [2]  Richtlinie 2004/80/EG des Rates vom 29. April 2004 zur Entschädigung der Opfer von Straftaten