MMag. Dr. Wilfried Grießer

Friedrich Schiller-Straße 83

2340 Mödling

 

 

An das

Bundesministerium für Justiz

Museumsstraße 7

1016 Wien

 

 

Betreff:  Stellungnahme zum Strafrechtsänderungsgesetz 2015

 

 

Als promovierter Philosoph, Mitglied der österreichischen Gesellschaft für Strafrecht und Autor der 2012 erschienenen umfassenden Studie „Verurteilte Sprache. Zur Dialektik des politischen Strafrechts in Europa“ (Franfurt am Main, 830 Seiten) erlaube ich mir, zu einigen Vorschlägen betreffend die Novellierung des StGB Stellung zu nehmen.

 

Zu § 70 StGB:

 

Es ist unfaßbar, daß die medial publik gewordene Kritik von Richtern (also Praktikern!) an der geplanten Neudefinition von „gewerbsmäßig“ qua „berufsmäßig“ in keinster Weise aufgenommen wurde und man genau bei dem ursprünglich kommunizierten Vorschlag blieb: Ein „Berufsverbrecher“, der inhaftiert war und unmittelbar nach seiner Haftentlassung erneut Diebstähle, Einbrüche o.ä. begeht, kann bei entsprechender Haftdauer diese neuerliche Tat gar nicht im Sinne der Neudefinition „berufsmäßig“ begangen haben!

Diesbezüglich wäre zwingend zu fordern, daß Haftzeiten die 12-Monatsfrist hemmen.

 

Die Erläuterungen nennen zurecht das Doppelverwertungsverbot, innerhalb einer berufsmäßig begangenen Tat(einheit) nicht zusätzlich Tatwiederholung geltend zu machen. Doch dürften sich noch weitreichendere Konsequenzen ergeben: Nach einer erfolgten Verurteilung wegen berufsmäßiger Begehung darf eine (im Zeitrahmen gelegene) neuerliche gleichartige Tat nicht als Wiederholungstat einer berufsmäßigen Begehung gewertet werden: Der neuerliche (z.B.) Diebstahl ist zwar wiederum „berufsmäßig“ begangen, aber ihn als Tatwiederholung einer berufsmäßigen Begehung zu werten, hieße, Vortaten, die die berufsmäßige Begehung erstmalig konstituierten, ein zweites Mal zu verwerten. Der Verurteilte ist dann zwar neuerlich wegen berufsmäßiger Begehung verurteilt, aber dennoch kein Wiederholungstäter im Sinne ebendieser berufsmäßigen Begehung und kann daher hinsichtlich dieses Delikts nicht zusätzlich als Wiederholungstäter belangt werden – eine paradoxe Situation!

 

Die bisherige Definition der „gewerbsmäßigen Begehung“ war zugestandenerweise mitunter rigide. Die Kritik hinsichtlich einer Abstellung auf die subjektive Tatseite ist jedoch teils irreführend, da die Annahme einer gewerbsmäßigen Begehung bei bereits einer einzigen Tat sich schon bisher auf objektivierbare Fakten (z.B. Art der Einbruchswerkzeuge) bezogen haben wird und nicht alleine auf „psychologische“ Einschätzung.

Nun kann indes der Eindruck entstehen, die Bevölkerung solle vor genau jenen Delikten nicht mehr zureichend geschützt werden, die im Alltag praktisch jedem widerfahren und von denen im Bekanntenkreis jeder zu erzählen weiß: Taschendiebstahl, Einbruch(sdiebstahl) usw. – Delikte, die in aller Regel von professionell agierenden Banden begangen und also „berufsmäßig“ begangen werden.

Hier kommt hinzu, daß viele Täter ihren Aufenthalt nicht durchgängig in Österreich haben und schon von daher keine drei (Inlands-)Taten innerhalb eines Jahres nachgewiesen werden können. (Der Täter genießt die Beute in seinem Heimatland und kommt erst Monate später wieder nach Österreich – mit geringem Risiko, ertappt zu werden.) Zu fordern wäre, nicht nur Haftzeiten, sondern auch Auslandsaufenthalte aus der 12-Monatsfrist herauszurechnen. Ein Täter, der innerhalb von sechs Jahren jedes Jahr für zwei Monate nach Österreich zum Stehlen kommt, wäre bei nachgewiesenen drei Taten innerhalb dieses Zeitraums ebenfalls als „berufsmäßig“ zu verurteilen.

Auf der anderen Seite der Neuformulierung von § 70 StGB wie überhaupt der Senkung der Strafrahmen für diverse Vermögensdelikte steht, daß hinkünftig auch „Hetze“ gegen unbestimmte Großgruppen wie „Fremde“, „Ausländer“ u.ä. strafbar sein soll. (Dazu unten zu § 283 StGB.) Dies zusammen kann ein Bild ergeben, das das für die Kriminalitätsbekämpfung wichtige Vertrauen der Bürger in Staat und Justiz nicht stärkt, sondern nachgerade unterminiert.

Zweifelsohne darf die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung einer Straftat kein vorrangiges Kriterium der Strafdrohung sowie der Strafbemessung sein. Dennoch irritiert es, wenn gerade jene Delikte, die jeden betreffen und die kaum jemals aufgeklärt werden, mit niedrigerer Strafdrohung bedacht werden, wohingegen die Verhetzung, die durch ihr sachimmanentes Streben nach (mitunter „maximaler“) Öffentlichkeit hohe Aufklärungsquoten erzielt, künftig mit deutlich höherer Strafdrohung bedacht wird.

 

Zwischenbemerkung

 

Der Schutz des Strafrechts geht – dem Zeitgeist folgend – vermehrt auf die politisch-mediale Öffentlichkeit (z.B. auch internationales Ansehen des Landes), aber immer weniger auf die Privatsphäre, sofern diese nicht den „Personkern“ des Körpers sowie der intendierten Selbstdarstellung bzw. Selbstinszenierung betrifft, der wiederum verstärkt geschützt wird. Genau die „Personkern“ und Öffentlichkeit vermittelnde Sphäre des Grundbesitzes, des sonstigen Eigentums, der Ehe und Elternschaft, worin die Person erst wirklich ist und umgekehrt der Staat seinen wirklichen Träger hat, wird heute in Frage gestellt (siehe z.B. den Diskurs um Vermögenssteuern) bzw. nicht mehr aktiv befördert.

Der entstehende „Unionsbürger“ (und gerade Äußerungsdelikte werden heute international forciert!) ist nicht mehr der freie Bürger seiner Nation, der durch Familie, Eigentum, Bildung und ggf. Religion geprägt ist, sondern der schlicht auf das Menschsein reduzierte Mensch, um diese Unbestimmtheit dadurch aufzufüllen, daß der vormalige souveräne Bürger sich als Mitglied eines „kollektiven Leidensgedächtnisses“ der Menschheit auslege, die durch die werdende „Zivilgesellschaft“ (mit der Europäischen Union als Motor) ihrer Befreiung und Erlösung entgegengehe – ein Stoff, der wesentliche Elemente einer „politischen Religion“ im Sinne Eric Voegelins und mithin eines Totalitarismus bereithält!

Aus diesem schleichenden, jedoch fundamentalen Paradigmenwechsel vom souveränen Bürger zum „Unionsbürger“ heraus sind praktisch sämtliche Änderungen des StGB zu verstehen. So vernünftig und argumentierbar der eine oder andere Punkt auch ist, so ist dies der Subtext, der mitgelesen werden muß und die Sache trägt.

 

Zu § 205a StGB:

 

Die Formulierung „ohne deren Einverständnis“ kann entgegen dem Slogan „Ein Nein der Frau muß genügen“ suggerieren, daß das Einverständnis der Frau explizit eingeholt werden muß und eine Person schon durch bloß „konkludente“ Vornahme eines Geschlechtsakts zum Straftäter wird. Zu empfehlen wäre eine Ersetzung durch „gegen deren Einverständnis“ bzw. „wider deren Einverständnis“.

 

Es erhellt von selbst, daß bei der Anwendung dieses Paragraphen Aussage gegen Aussage stehen wird, da objektivierbare Spuren von Gewalt nicht vorliegen.

 

Ein Problem entsteht ferner, wenn während eines laufenden Geschlechtsaktes das Einverständnis entzogen wird, der Mann aber bereits derart „in Fahrt“ ist, daß er nur durch energischeres Handeln gestoppt werden kann und hierbei zum Straftäter wird. Eine rechtsrichtige Durchführung des Geschlechtsaktes hat sich also des weiterhin bestehenden Einverständnisses regelmäßig zu vergewissern. Dadurch werden jedoch Situationen begünstigt, die den Entzug des Einverständnisses nach sich ziehen können (z.B. Lubrikations­probleme mit resultierender Dyspareunie), auf daß gerade das Bestreben nach rechtsrichtiger Durchführung des Geschlechtsaktes zu dessen rechtswidriger Durchführung führen kann.

 

Die Problematik der Einholung bzw. Erneuerung des Einverständnisses betrifft übrigens auch die Ehe, da das Strafrecht in keinster Weise darauf Bedacht nimmt, daß eine Eheschließung ein zeitlich überdauerndes grundsätzliches Einverständnis zum Geschlechtsakt beinhaltet, das während aufrechter Ehe insofern nie völlig außer Kraft gesetzt sein kann. (In den Worten Immanuel Kants: Die Ehe ist ein Vertrag zum wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtsor­gane – vgl. Metaphysik der Sitten, § 24 ff.) Die Novelle des StGB vollzieht indes das genaue Gegenteil: Die Begehung eines Deliktes innerhalb einer Ehe stellt nach § 33 (3) Z.1 StGB hinkünftig sogar einen Straferschwerungsgrund dar!

Da das Strafrecht das Bestehen einer Ehe nicht nur ignoriert, sondern künftig sogar strafverschärfend wertet, droht § 205a zur „Munition“ in Scheidungsverfahren zu werden, wo die überzeugendere Inszenierung als Opfer über Schuld und Unschuld zu entscheiden droht.

Ein Gericht mag zwar bei bestehender Ehe strengere Maßstäbe an die Verwirklichung dieses Tatbestandes anlegen, doch sobald das Gericht von dieser überzeugt ist, liegt paradoxerweise bereits ein Strafverschärfungsgrund vor. § 33 (3) Z.1 sollte vor diesem Hintergrund bei derartigen Handlungen nicht zur Anwendung gelangen dürfen.

 

§ 205a zielt auf Situationen ab, in denen eine Frau sich gegen einen konsenslos eingeleiteten Geschlechtsakt durch eine körperlich überlegene Person nicht zu wehren wagt, woraufhin § 201 StGB nicht verwirklicht wird. Dies ist der vernünftige Part dieses Paragraphen. In diesem Zusammenhang wäre übrigens § 321a StGB um „Verletzung der sexuellen Selbstbestim­mung“ zu ergänzen. Gerade im Zuge von Kriegshandlungen wird eine Frau – etwa schon aus Angst um ihre Familie – sich gegen eine Soldateska nicht wehren.

Dennoch steht bei § 205a als ein Subtext die Unantastbarkeit des „heiligen Wesens“ Frau ganz offenkundig Pate. – Hierzu eine allgemeinere Bemerkung: Schon Jesus nahm keine Frau, sondern ging ans Kreuz. Die „Zivilgesellschaft“ mit dem „Opfer Frau“ kann sich in ihrem universalen Anspruch mit Recht auf den Quell des Christentums berufen, um auch von ehedem bürgerlicher Seite mitgetragen zu werden. Der Mann muß jedoch die Frau „entheiligen“, denn er muß sich der Mutter entreißen, wie sie im Fall des christlichen Religionsgründers den Sohn überdauert, um ihrerseits nur noch den toten Sohn beweinen zu können. Die Frau als das unantastbare Wesen, dem die Wirklichkeit der Lust ermangelt, bleibt die Repräsentanz der Mutter. Auf daß der Mann sich als Mann setzt, muß er die Frau zum Ding bzw. zur „Ware“ herabsetzen, um jene Libido zu generieren, die die Frau auch fordert und genießt. Mitunter lieben es Frauen nachgerade, von einem ,wildgewordenen’ Penis „überfallen“ zu werden; und hierzu die Zustimmung einzuholen, weil die Frau als das personale Wesen genommen ist, wäre genau der Verlust dieses Reizes. Sexualität enthält insofern immer ein Element der Gewalt (im weitesten Sinn). Völlig gewaltfreie Sexualität zu fordern, ist die Forderung nach Lustlosigkeit, die denn auch allen empirischen Studien zufolge massiv im Steigen begriffen ist.

In diesem größeren Kontext betrachtet, ist § 205a ein Schritt mehr zur Kriminalisierung (männlicher) Sexualität überhaupt und zur Beförderung kollektiver Depression, die sich sodann auch im ökonomischen Feld niederschlägt. Indes entsteht Kriminalität gerade dann, wenn der Mann nicht mehr Mann sein darf, zumal im Zeichen des Gender-Ansatzes schon die Zweigeschlechtlichkeit als „reaktionär“ angesehen zu werden droht.

 

Wie sehr dieser Subtext tatsächlich Pate steht, illustrieren die Erläuterungen: Geht es darum, „ein deutliches, aber doch maßvolles Zeichen zur Vorbeugung und Hintanhaltung sexueller Gewalt zu setzen“, so sei bemerkt, daß es nicht die Aufgabe des Strafrechts als einer ultima ratio ist, gesellschaftspolitische „Zeichen“ zu setzen.

 

Zu § 218 StGB:

 

Wie kaum anders zu erwarten war, soll auch das „Po-Grapschen“ Eingang in das Strafrecht finden. Auch hier gilt: Gibt es keine Zeugen, so steht Aussage gegen Aussage. Da das Bestehen einer Ehe nicht nur kein Milderungs-, sondern hinkünftig sogar ein Straferschwerungsgrund ist, werden gerade diesbezügliche, gegenüber § 205a niedrigschwelligere Vorwürfe verstärkt in Scheidungssituationen vorgebracht werden. Sind bei der behaupteten „Belästigung“ Kinder zugegen gewesen, ist im Übrigen sogleich ein weiterer Erschwernisgrund gesetzt.

 

Da der Begriff „sexuelle Sphäre“ unbestimmt ist (zu dieser könnte man durchaus auch den Mundraum zählen), sei vorgeschlagen, den Passus „oder eine nach Art und Intensität einer solchen vergleichbare, der sexuellen Sphäre im weiteren Sinn zugehörige körperliche Handlung“ durch „oder eine nach Art und Intensität einer solchen vergleichbare, das Umfeld des Genitals betreffende körperliche Handlung“ zu ersetzen. Auch damit wären unerwünschte Berührungen des Gesäßes oder der (Innenseite der) Oberschenkel von § 218 StGB erfaßt.

Da das Berühren der Brüste einer Frau schon bislang als „geschlechtliche Handlung“ zählt, obwohl die Brüste nicht eigentlich zur Geschlechtssphäre zählen und erst im Zuge der Fortpflanzung an der Generativität partizipieren (Ernährung), bliebe dieses weiterhin strafbar.

 

Zu § 278 StGB:

 

Die Aufnahme des § 283 StGB – und damit eines Äußerungsdeliktes – in den Kreis möglicher Straftaten der „kriminellen Vereinigung“ macht dieses an sich schon weitläufige und Grundrechtseingriffe begünstigende Delikt nur weitläufiger. Via das Konstrukt der „kriminellen Vereinigung“ drohen auch Personen kriminalisiert zu werden, die sich der Verhetzung weder als Haupt- noch als Nebentäter schuldig gemacht haben, zumal es (wie in der Kritik am „Tierschützerprozeß“ laut wurde) zu konkreten Straftaten gar nicht gekommen sein muß. Im Zusammenspiel mit der 2012 erfolgten Erweiterung der geschützten Gruppen (z.B. Merkmal der sexuellen Ausrichtung, des Geschlechts oder der Weltanschauung – fortan auch der fehlenden Staatsangehörigkeit) sowie der aktuellen Ausweitung der Tatbestände des § 283 StGB – namentlich jener um Absatz 4, wo der Vorsatz der Verhetzung loser gefaßt scheint (siehe unten) – scheint all dies umso problematischer.

Zwei Beispiele mögen die vorgetragenen Bedenken illustrieren: Erwähnt sei, daß ein wiener Rechtsanwalt in Teilen einer seit 1949 im österreichischen Nationalrat vertretenen Partei eine „kriminelle Vereinigung“ (diesfalls hinsichtlich Verbrechen nach dem NS-Verbotsgesetz) ersehen wollte und zur Anzeige brachte. Ebenso kann eine rechtskatholische Internetplattform, die gegen Homosexualität wettert, nunmehr als „kriminelle Vereinigung“ gebrandmarkt werden, um auch solche Mitwirkenden zu belangen, die Beiträge gänzlich anderen Inhalts verfaßt haben. Hinzu kommt, daß § 278 StGB (wie schon angedeutet) ein niedrigschwelliges Einfallstor für Grundrechtseingriffe (z.B. Abhörmaßnahmen, Durchsuchungen) gegen Vereine u.ä. sein kann.

Namentlich in Verbindung mit § 283 (4) StGB kann § 278 StGB leicht zur Kriminalisierung politischer und zivilgesellschaftlicher Arbeit führen, die sich umwillen medialer Öffentlichkeit mitunter „deftigerer“ sprachlicher wie bildlicher Stilmittel bedient bzw. bedienen muß. Mit dem Schutzmerkmal der „Weltanschauung“ ist diese Gefahr keineswegs auf bloß bestimmte Richtungen des politischen Spektrums beschränkt. So könnten z.B. auch gewaltverherrlichende Aussagen bzw. Darstellungen in Bezug auf Studentenverbindungen in Ermangelung einer eindeutig zuordenbaren Urheberschaft zu Verurteilungen allenfalls peripher Beteiligter führen. Auch können durch § 278 StGB in Verbindung mit § 283 StGB Vereine leichter aufgelöst und Versammlungen leichter untersagt werden, als dies alleine aufgrund von § 283 StGB der Fall wäre.

Meint man, internationalen Erwartungen Rechnung tragen zu müssen, ließe sich mit einer Erweiterung von § 278 StGB bloß um Absatz 3 des § 283 StGB das Auslangen finden.

 

Zu § 283 StGB im Allgemeinen:

 

Gerade hier stehen behauptete internationale Verpflichtungen vielfach Pate. Meist handelt es sich um Beschlüsse, die ohne breitere öffentliche Diskussion vor Jahren erfolgt sind und offenbar von Österreichs Vertretern mitgetragen worden waren, um die Bevölkerung Jahre später mit vollendeten Tatsachen zu konfrontieren. Dies stellt eine ausgesprochene Unart dar: Irgendetwas wird irgendwo von irgendjemandem beschlossen, und nachher heißt es, ihr könnt diskutieren, so lange ihr wollt, doch das Ergebnis steht schon fest. Zudem mimt man in solchen Situationen gerne Gleichklang mit den Kritikern („Des miass ma leider moch’n“), obwohl das Ergebnis in Wahrheit bewußt an einer inländischen Öffentlichkeit vorbei ventiliert worden war. Daß ein derartiges Vorgehen „Verschwörungs­theorien“, „Europafeindlichkeit“, reaktiven Nationalismus usw. befördert, erhellt von selbst, rechtfertigt aber sodann wiederum die Ausweitung bestimmter Straftatbestände.

 

Merkwürdigerweise sind es nie Mindeststandards der Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Versammlungsfreiheit u.ä., die vom Europarat und ähnlichen Organisationen vorangetrieben werden, sondern es geht immer nur um Topoi wie Gewalt gegen Frauen, Gewalt in der Familie, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, korrekte Rede von Völkermorden u.ä.

 

Wes Geistes Kind die gegenwärtige Europäische Union sowie der Europarat sind, zeigt sich auch darin, was zufolge der Erläuterungen („gnädigerweise“) keinen Eingang in das österreichische Strafrecht finden soll: die Strafbarkeit der Verbreitung bereits bloß „diskriminierender“ Texte – also womöglich schon solcher Texte, die z.B. gegen die Fremdkindadoption durch Homosexuelle eintreten oder die das Ausmaß des „gender gap“ in der Entlohnung „bagatellisieren“. Hier werden die „Breiviks“ der Zukunft geschaffen, um sodann EU-weit noch schärfere Gesetze durchzusetzen und den letzten Rest desjenigen, was einmal Meinungsfreiheit hieß, zu Grabe zu tragen.

 

            * * *

 

Wenden wir uns dem vorgeschlagenen Gesetzestext zu: Da die bisherige Eignung zur Gefährdung der „öffentlichen Ordnung“ ein reichlich unbestimmter Begriff ist und rasch behauptet werden kann, ist die hinkünftig weitere Fassung, daß die Handlung bloß vielen Menschen zugänglich werden müsse, im Sinne einer klaren Nachvollziehbarkeit und mithin der Rechtssicherheit zu begrüßen. Grundsätzlich zu begrüßen ist es auch, daß der im politischen Diskurs sehr weit gebrauchte Terminus „Hetzen“ durch das etwas präzisere „Aufstacheln zu Haß“ ersetzt wurde.

Im Gegensatz zum englischen „hatred“ bezeichnet „Haß“ allerdings eine durchaus intellektuale Verachtung z.B. eines Volkes, die weder jeden einzelnen Angehörigen umfaßt noch auf Verwirklichung geht. Eine Formulierung, die auf Verwirklichung eines „Hasses“ abzielt, wäre umwillen des Grundrechts der Meinungsfreiheit wünschenswert. Etwa: „Aufstacheln zu gewaltbereitem Haß“ oder „Aufstacheln zu Gewaltbereitschaft“. Dies unterscheidete sich von der „Aufforderung zu Gewalt“ weiterhin dadurch, daß entstehende Gewalt (sozusagen eventualvorsätzlich) in Kauf genommen, aber nicht recte angeregt wird.

Letztlich geht es darum, Gewalttaten zu verhindern, und nicht darum, daß alle Menschen alle wertschätzen müssen. Dies letztere kann das Ziel einer religiösen Predigt sein, ist aber nicht die Aufgabe eines freiheitlichen Staates.

Auch angesichts der nun niedrigeren „Öffentlichkeitsschwelle“ wäre eine weitergehende Konkretisierung des vormaligen „Hetzens“ in Richtung potentieller Gewalt ein Ausgleich, sachlich vorgetragene und mitunter durch wahre Tatsachen untermauerte Meinungen betreffend eine Gruppe (auch) hinkünftig zu schützen. Dies letztere erfolgt zwar schon durch die Formulierung „Aufstacheln“, könnte aber hinsichtlich des Wozu des Aufstachelns präzisiert werden.

 

Zu § 283 (1) Z.1:

 

Die hinkünftige Strafbarkeit von Hetze wegen einer „fehlenden“ Staatsangehörigkeit schützt erstmals eine negativ bestimmte Gruppe – alle Nichtösterreicher, aber ebenso: Alle Nicht-Haitianer. Dies letztere Beispiel illustriert, daß damit das für das Strafrecht entscheidende Bestimmtheitsgebot abhanden kommt. Außerdem: Warum sollten alle Nicht-Haitianer speziell geschützt werden?

Einmal mehr kann der Eindruck entstehen, daß Teile der Novelle dazu dienen sollen, politische Arbeit betreffend mit Asylwerbern und anderweitigen Nicht-Staatsbürgern assoziierte Probleme zu erschweren und Migrationsdebatten nur noch im engeren Kreis eines politisch-medialen Mainstreams führen zu wollen.

Ein Beispiel zur Illustration der sich ergebenden Problematik: Gibt es ein Tatsachensubstrat in Gestalt etwa von Diebsbanden der Nation X, so gilt die Nennung von X rasch als „Verhetzung“. Mit der Ersetzung von X durch „Ausländer“ war bislang keine hinreichende Bestimmtheit der Gruppe gegeben, zumal das Kollektiv „Ausländer“ auch Gruppen umfaßt, die nicht im Fokus von Verhetzung stehen (z.B. Deutsche, Schweden, Niederländer). Gelten hinkünftig bereits „Ausländer“ als bestimmte schützenswerte Gruppe, verdünnt sich indes das Tatsachen­substrat. Zwar ist die Wahrheitsfrage – leider! – kein Kriterium bei § 283 StGB (und ebensowenig bei § 3g VG), doch kann der Aufweis eines Tatsachensubstrats, welches auch den Zuhörern einer inkriminierten Rede o.ä. bekannt war, in der Praxis durchaus vor einer Verurteilung schützen. Hinzu tritt nun, daß mit der Ersetzung von X durch „Ausländer“ unzulässig verallgemeinert worden sei und gerade dies die „Hetze“ ergebe, auf daß sowohl dann „gehetzt“ werde, wenn die Gruppe genannt wird, als auch dann, wenn und weil sie nicht genannt wird.

Was resultiert, sind vermutlich nur weitergehende Umschreibungen. So, wie heute schon „gewisse Kreise“ als eine Umschreibung des „Weltjudentums“ gebraucht werden, wird dann etwa (mit entsprechendem Unterton) von „unseren lieben Mitbürgern“ gesprochen werden, von „Kulturbereicherern“ oder auch demonstrativ von „EU-Bürgern“, wenn bestimmte ethnische Gruppen aus Rumänien und Bulgarien gemeint sind.

 

Völlig unmotiviert wirkt die Ersetzung von „Behinderung“ durch „körperliche oder geistige Behinderung“. Einmal abgesehen davon, daß geistige Behinderung heute meist als „mentale Behinderung“ bezeichnet wird (auch ein hiervon Betroffener ist im Geist als einer übergeordneten Entität nicht beeinträchtigt!), stellt sich die Frage, ob diese (erst?) nunmehr explizit geschützt werden soll. Zudem gibt es weitere Arten von Behinderung, die mit der neuen Formulierung nicht mehr genannt werden – etwa Lernbehinderung oder soziale Behinderung (z.B. Asperger-Autismus). Wohl kaum sollen Lernbehinderte künftig vom Schutz vor Verhetzung ausgenommen werden.

 

Wie schon die Ausweitung auf das Merkmal der „fehlenden Staatsangehörigkeit“ zeigt auch die „körperliche oder geistige Behinderung“, wie willkürlich letzten Endes schützenswerte Gruppen ausgezeichnet werden. Eine sinnvolle Formulierung des § 283 StGB schützte jedwede wodurch immer bezeichnete Gruppe vor Gewaltaufrufen – etwa auch: Unternehmer, Väter, Mütter, Hausbesitzer, Notare, Arbeitslose, Obdachlose, Psychiater, Geflügelbauern, Pelzhändler ... (keine dieser Gruppen ist derzeit vor Gewaltaufrufen geschützt!) – und natürlich auch: „Fremde“, „Ausländer“, „Asylwerber“ u.ä.

Alleine dies – und keine Auszeichnung von „Guten“ („Opfern“) gegenüber „Bösen“ („Tätern“) – wäre eines freiheitlichen Rechtsstaats würdig! So man es für nötig befindet, kann man sodann immer noch spezifischer definierte Gruppen zusätzlich (mit allerdings niedrigerem Strafsatz) vor „Aufstachelung zu Gewaltbereitschaft“ schützen.

 

Auffallend ist ferner die Ersetzung der „sexuellen Ausrichtung“ (wohl gleichbedeutend mit sexueller Orientierung) durch „sexuelle Neigung“. Soll § 283 StGB bewußt um den Schutz diversester Paraphilien erweitert werden, so könnten sich merkwürdige Konstellationen ergeben – etwa wäre es u.U. tatbestandsmäßig, wenn beinamputierte Frauen in einem Internetforum Amelotatisten als „perversen Abschaum“ o.ä. titulieren. Ebenso wäre Hetze gegen jene Gruppen strafbar, deren „ausgelebte“ Paraphilie ihrerseits härtester Strafdrohung unterliegt. Praktizierende Pädophile wären hinkünftig besser vor Hetze geschützt als z.B. Unternehmer, Mütter oder Schwangere!

 

Zu § 283 (1) Z.2:

 

Die Absicht (bisher: bedingter Vorsatz), die Menschenwürde zu verletzen, sollte sich auch in dem durch das Beschimpfen potentiell Bewirkten widerspiegeln. Während die Variante des „Verächtlichmachens“ in Gestalt der Verachtung einer Gruppe deren tiefe und totale Ablehnung impliziert, sollte die „Herabsetzung“ einer Gruppe in „gröblicher“ Weise erfolgen müssen. (Der Terminus „gröblich“ findet sich auch in § 3h VG sowie in der nachfolgenden Ziffer 3 von § 283 (1) StGB.) Denn Verachtung zielt geradezu auf ein Ausschließen aus einem imaginierten „Wir“ ab, wogegen Herabsetzung bereits jedes auch nur geringgradige Unter-die-eigene-Gruppe-Stellen beinhaltet. (Etwa: Die Ethnie Y sei weniger fleißig oder weniger intelligent als die Ethnie X, ohne aber darob Verachtung zu verdienen.)

 

Zu § 283 (1) Z.3:

 

Mit § 283 (1) Z. 3 gelangt – auf leisen Sohlen und ohne vorangegangene öffentliche Diskussion – ein Leugnungs- und Verharmlosungsverbot jedwedes irgendwann irgendwo von einem internationalen Gericht festgestellten Völkermordes sowie sonstigen Kriegsverbrechens ins österreichische Strafrecht. Anstatt den 1992 mit § 3h VG in die Welt getretenen Unfug der Ahndung auch (formal) sachlich argumentierender und aus partiell Zutreffendem zusammengefügter Thesen und Abhandlungen zur Geschichte zu überdenken, baut man ebendiesen Unfug noch weiter aus. Es ist ein zutiefst antiliberaler Zug, alle Unionsbürger („Europäer“) auf ein kollektives Geschichtsbewußtsein sowie auf kollektive „Werte“ festzulegen und dies hinsichtlich öffentlicher Debatten durch das Strafrecht abzusichern.

Hier ist mit Händen zu greifen, wie der künftige „Unionsbürger“ sich als Teil eines „kollektiven Leidensgedächtnisses“ der Menschheit auszulegen habe: Auschwitz, Treblinka, Srebrenica usw. haben für jeden Europäer Teil seines Geschichtsbewußtseins zu sein, sich als leidende Menschheit auszulegen und eine imaginäre Anklage zu erheben (um sich als weißer Mann und Christ vielfach gleich mitanzuklagen), wobei diese Anklage nun – endlich! – durch die „Zivilgesellschaft“ der Europäischen Union unterstützt und zum entschiedenen Urteil des Guten über das Böse finalisiert wird.

Nicht mehr Tun, Erwerben, Haben und Weitergeben an die Kinder stehen im Vordergrund, sondern Schuldigsein, Leiden und Warten auf den Retter, als welcher sich der Staat qua „Zivilgesellschaft“ bzw. die EU anbietet (um nicht von ungefähr mit islamistischen Konzepten einer Theokratie konfrontiert zu sein).

 

Zwar muß die beschriebene Handlung (im Gegensatz zu § 3h VG heißt es nun – und an erster Stelle – „Billigen“ und nicht „Gutheißen“) gegen eine bestimmte Gruppe „gerichtet“ sein und außerdem die Eignung haben, zu Gewalt oder Haß aufzustacheln. Doch kann hinsichtlich der subjektiven Tatseite die Frage auftauchen, ob der (bedingte) Vorsatz sich bloß auf das „Richten“ gegen eine Gruppe erstrecken muß oder ob auch dies, konkret zu Gewalt und Haß aufzustacheln, dem Vorsatz unterliegen muß. Ist die Eignung eine bloß objektive, oder muß diese auch (subjektiv) ergriffen worden sein?

Was die bloße „Gerichtetheit“ betrifft, kann rasch behauptet werden, eine Leugnung etwa des Völkermordes an den Armeniern sei – sozusagen eo ipso – gegen die Gruppe der Armenier gerichtet, sodaß diesbezüglich keine nennenswerte Schwelle hinsichtlich der subjektiven Tatseite besteht.

Angesichts der massiven Ausdehnung staatlichen Eingriffes in die Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung wäre indes zu fordern, dieses Delikt nicht als (einfaches) Vorsatz-, sondern als Absichtsdelikt zu konzipieren: Der Täter muß die Absicht haben, nicht allein gegen eine Gruppe sich zu „richten“, sondern zu Gewalt usw. aufzustacheln.

Diesbezüglich könnte § 283 (1) Z.3 in etwa wie folgt formuliert werden: „3. in der Absicht, gegen eine der in Z.1 bezeichneten Gruppen (usw.) zu Gewalt aufzufordern oder zu Gewaltbereitschaft aufzustacheln, sich der Gutheißung, Leugnung (usw.) als eines Mittels bedient.“

 

(In Übereinstimmung mit § 3h VG sowie § 282 (2) StGB sollte „Billigung“ durch „Gutheißung“ ersetzt werden. Daß die Variante der Billigung vor die der Leugnung tritt, ist sinnvoll, da das Gutheißen eines Verbrechens zweifellos empörender und daher auch allgemein in § 282 (2) StGB geregelt ist als jene der Leugnung. Wenn § 3h VG die Leugnung an die erste Stelle stellt, liegt dies zweifellos daran, daß der – dieser Reihung entsprechend – oft als „Auschwitzlüge-Paragraph“ bezeichnete § 3h als eine „Lex Honsik“ zustandekam.)

 

Zudem sollte die Bandbreite der genannten Verbrechen nach § 321 ff. StGB dringlich eingeschränkt werden, da die im Entwurf genannten Paragraphen bis inclusive § 321f auch Kriegsverbrechen gegen Eigentum sowie gegen Kulturgüter, den Mißbrauch von Schutz- und Nationalitätszeichen, verbotene Mittel und Methoden der Kriegsführung u.v.m. umfassen. Dies geht wesentlich weiter als § 3h VG, der lediglich den NS-Völkermord (entsprechend § 321 StGB) sowie NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit (entsprechend § 321a StGB) umfaßt! (In diesem Zusammenhang kann erwähnt werden, daß das bundesdeutsche Pendant zu § 3h VG – § 130 (3) StGB – qua Verweis auf das Völkerstrafgesetzbuch überhaupt nur auf den NS-Völkermord im engeren Sinn abhebt und NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausdrücklich nicht mitmeint.)

 

Wie problematisch und interessengeleitet im Kontext vor allem rezenter Konflikte schon die Qualifikation einer Handlung als Völkermord sein kann, zeigt – seriös und gut dokumentiert – an diversen Beispielen: Hannes Hofbauer, Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument, Wien 2011. Umso eher mögen Gerichtsurteile auf dem Gebiet fernerer Kriegsverbrechen manch kritischer Beleuchtung fähig sein. Mit dem Damoklesschwert, sich hierdurch gegen eine Gruppe zu „richten“, droht mit § 283 (1) Z.3 StGB eine erhebliche Einschränkung der Meinungs- sowie der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit, aber ebenso – insbesondere in Hinblick auf § 283 (4) StGB (dazu unten) – der Informationsfreiheit (Stichwort: Zugänglichkeit kritischer Erörterungen).

 

Hinsichtlich der subjektiven Tatseite stellt sich ferner die Frage, wieweit die Kenntnis der Rechtskraft eines inländischen oder internationalen Gerichtsurteils gefordert ist. Handelt es sich bei der Rechtskraft des festgestellten Völkermordes, Kriegsverbrechens u.ä. um ein bloß tatsächliches (deskriptives) oder um ein normatives Tatbestandsmerkmal?

Von einer x-beliebigen Person wird man nicht erwarten dürfen, daß sie laufend internationale Gerichtsurteile verfolgt. Ist die Kenntnis der Rechtskraft eines betreffend Völkermord und Kriegsverbrechen ergangenen Urteils nicht gefordert, stehen – nicht zuletzt aufgrund der reduzierten Öffentlichkeitsschwelle – zahllose Handlungen in der Begegnung diverser ethnischer Gruppen in Österreich (Serben – Albaner, Serben – Kroaten, Kroaten – Bosnier, Russen – Ukrainer ...) an der Schwelle zur Strafbarkeit – meist wohl, ohne daß die Beteiligten darum wissen! Ist die Kenntnis der Rechtskraft eines betreffend Völkermord und Kriegsverbrechen ergangenen Urteils hingegen gefordert, so muß auch sie nachgewiesen werden, welcher Nachweis schwer fallen wird. Einzig beim NS-Holocaust wird von der Judikatur seit Jahren eine allgemeine Kenntnis dieser Verbrechen zugrundegelegt (Stichwort „Beweisthemenverbot“).

 

In der Praxis wird dieser Paragraph auch aus anderen Gründen nicht leicht zu handhaben sein: Wie soll etwa ein österreichisches Gericht klären, ob eine in türkischer Sprache verfaßte Abhandlung zu den Verbrechen an den Armeniern bloß oder bereits gröblich verharmlosend ist? Ist es schon ein gröbliches Verharmlosen oder gar ein „Leugnen“, zu bestreiten, daß diese Verbrechen die Völkermorddefinition erfüllen (Absicht der Auslöschung einer Gruppe)? Heißt es, diese Verbrechen zu rechtfertigen, wenn behauptet wird, es habe sich um Revanche für eine Kooperation mit Rußland gehandelt?

 

Vermutlich wird § 283 (1) Z.3 selten zur Anwendung kommen. Doch handelt es sich um gefährliches totes bzw. „lebloses“ Recht. Am ehesten sind Anwendungen bei nicht rechtsextremistisch-nationalsozialistischer Bestreitung des Holocaust zu erwarten. Die Vorsatzkonstruktion des § 3h VG ist nämlich reichlich diffus: Auf der einen Seite genügt es, NS-Verbrechen mit einfachem (bedingtem) Vorsatz zu leugnen, ohne daß der Vorsatz spezifisch auf NS-Wiederbetätigung gehen muß, weil in dem letzteren Fall – schon vor 1992 – § 3g VG Anwendung findet. Andererseits gilt § 3h VG als aus § 3g VG „herausgehoben“ (und rekurriert auch auf diesen), der als einziges Tatbestandsmerkmal sonstige, nicht näher bestimmte Betätigung im NS-Sinn enthält. Die Judikatur löst dies so, daß der Vorsatz nationalsozialistisch „gefärbt“ sein müsse, was man nun bei z.B. islamistisch motivierter Leugnung sowie Gutheißung des Holocaust kaum behaupten wird können. Daher gab es meiner Kenntnis nach – trotz mehrerer durch die Medien bekannt gewordener Tatbegehungen – bisher keine einzige Verurteilung antiisraelisch-arabisch bzw. islamistisch motivierter Leugnung bzw. Gutheißung des Holocaust nach § 3h VG, und ebendieses Feld wird wohl (auch aufgrund der allgemeinen Bekanntheit dieser NS-Verbrechen) der primäre Anwendungsbereich dieses neuen Passus sein.

 

Erwogen werden kann schlußendlich die Abgrenzung zu § 282 (2) StGB: „Wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine Weise, daß es einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, eine vorsätzlich begangene, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung in einer Art gutheißt, die geeignet ist, das allgemeine Rechtsempfinden zu empören oder zur Begehung einer solchen Handlung aufzureizen, ist, wenn er nicht als an dieser Handlung Beteiligter mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.“

Ist die Handlung bloß öffentlich und gegen eine Gruppe gerichtet, kommt § 283 (1) Z.3 zur Anwendung. Ist sie vor einer breiten Öffentlichkeit begangen und geeignet, das allgemeine Rechtsempfinden zu empören usw., aber nicht gegen eine Gruppe gerichtet, kommt § 282 (2) StGB zur Anwendung. Ist sie vor einer breiten Öffentlichkeit begangen und gegen eine Gruppe gerichtet, kommt wiederum § 283 StGB zur Anwendung – aber in diesem Fall Absatz 2 mit der höheren Strafdrohung von 3 Jahren.

 

Zu § 283 (3) StGB:

 

Der Kausalzusammenhang („bewirkt“) zwischen „Verhetzer“ und tatsächlich Gewalt Ausübendem ist schwierig nachweisbar. Auch ist die maximal in Frage kommende Zeitspanne zwischen Verhetzung und Gewalttat unklar.

Die Bestimmung sollte keineswegs so angewandt werden, daß z.B. ein der Hetze gegen Haitianer Beschuldigter mindestens bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung bangen muß, ob irgendwo (in Österreich – oder selbst anderswo) eine Gewalttat gegen einen Haitianer tatsächlich geschieht, die (aufgrund welcher Umstände immer) dieser Hetze zuordenbar sei.

Nimmt man geläufige Adressaten von Hetze, stellt sich fernerhin die Frage, ob mehreren Beschuldigten, die unabhängig voneinander z.B. gegen Juden gehetzt haben, ein und dieselbe antijüdische Gewalttat eines Anderen zugeordnet werden kann, für die (mit) das Vorfeld bereitet worden sei. Auch wird man auf diesem Feld eher eine „geeignete“ Gewalttat finden, die man einem oder mehreren „Hetzern“ zuordnen kann.

 

In diesem Zusammenhang fällt auf, daß bei der „bewirkten“ Tat gegen ein Mitglied einer geschützten Gruppe – im Gegensatz zu Absatz 1 – das Wort „ausdrücklich“ fehlt. Hierdurch ist nicht sichergestellt, daß nicht nur der „ausdrücklich wegen“ z.B. ethnischer Zugehörigkeit gegen eine Person Hetzende, sondern auch der eigentliche Gewalttäter ausdrücklich wegen der Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Gruppe gehandelt haben muß. In der Natur einer (physischen) Gewalttat liegt es, daß sie gegen ein oder mehrere Personen gehen muß und nie alleine gegen die Gruppe als Abstraktum gehen kann, doch muß darob umso eher klargestellt sein, daß auch hier die Gruppenzugehörigkeit explizit leitend war. Ansonsten wird ein willkürliches Zuordnen einer tatsächlich begangenen Gewalttat zu vorangegangener verbaler Hetze (um sodann den erheblich höheren Strafrahmen des Absatzes 3 zur Anwendung zu bringen) massiv erleichtert.

 

Mit § 283 (3) StGB zeigt sich, in Anbetracht dieser Überlegungen, nur offenkundiger, daß „Aufstacheln zu Haß“ ein Aufstacheln zu gewaltbereitem Haß sein muß, soll dies „Bewirken“ von einem (zumindest eventualen) Vorsatz getragen sein und kein nur faktisches „Bewirkthaben“ sein. An ein bloß faktisches Bewirkthaben scheint insofern nicht gedacht, als es offenbar nicht genügt, daß Hetze eine Gewalttat bloß „zur Folge hat“, wie man ja ebenfalls formulieren hätte können.

 

Ein rechtsstaatlichen Standards genügender konkreter Nachweis solchen „Bewirkens“ wird wohl nur in Situationen gelingen, in denen vor einer überschaubaren Gruppe, der der Hetzer selbst angehört (dies kann allerdings auch eine virtuelle Gruppe in einem sozialen Netzwerk sein), gehetzt wird, woraufhin ein Mitglied dieser Gruppe zeitnah Gewalt gegen den Adressaten der Hetzrede ausübt. Von derartigen Umständen abgesehen schiene nur das Skizzieren einer konkret bestimmten und dabei unüblichen oder anderweitig sich abhebenden Tatausführung durch einen völlig Fernstehenden denkbar, ohne daß Bestimmungstäterschaft hinsichtlich dieser tatsächlichen Gewalttat in Betracht kommt.

 

Zu § 283 (4) StGB:

 

Wie schon in Absatz 3 fehlt das Wort „ausdrücklich“ („ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit“). Neuerlich wird der Tatbestand hierdurch nur weiter, indem auch die Verbreitung kritischer Schriften über Einzelpersonen einer Gruppe (etwa bestimmte jüdische Persönlichkeiten), die insgesamt keine „hetzerische“ (z.B. antisemitische) Textur aufweisen, unter dieses neue Delikt fallen kann.

 

Zudem stellen „Ideen oder Theorien“ überaus vage Formulierungen dar, zumal es reicht, daß diese „Haß“ (und nicht notwendig Gewalt) bloß „fördern“. Hinzu kommt die mittlerweile große Weite der explizit geschützten Gruppen (z.B. sexuelle Neigung, Geschlecht, Weltanschauung). Ist etwa schon der Slogan „Österreich zuerst“ eine „Idee“, die Haß fördert (nämlich gegen Personen mit „fehlender Staatsangehörigkeit“)? Enthalten Schriften, die Heterosexualität als ontologisch höherwertiger denn Homosexualität erachten, derlei „Ideen“? Ist dies bei Schriften, die eine Verabscheuung des Kommunismus zur Darstellung bringen, der Fall (Merkmal der Weltanschauung)?

 

Vor allem bezieht sich die hier geforderte Absicht bloß auf die Verbreitung, nicht aber auf die Hetze selbst. Es geht entgegen der Erläuterungen aus dem vorgeschlagenen Gesetzestext nicht hervor, daß der Täter durch die absichtliche Verbreitung auch hetzen will. Damit wären auch wissenschaftliche Abhandlungen (Text- und Bildzitate) oder Formen zivilgesellschaftlichen Engagements (z.B. gegen Rechtsextremismus) von dem Passus erfaßt, was gewiß nicht der Intention des Gesetzgebers entspricht.

Eine Reparatur dieses Lapsus kann schwerlich auf die naheliegende Weise erfolgen, daß neben der Absicht der Verbreitung ein bedingter Vorsatz der Hetze hineinoptiert wird, da der Täter diesfalls vermittels des Textes, Bildes o.ä. seinerseits zu Haß aufstachelte und also nach Absatz 1 zu belangen wäre. Ebendies schließt Absatz 4 denn auch explizit aus, woraus sich die niedrigere Strafdrohung ergibt. Verortete man dennoch einen Eigenraum des Absatzes 4 gegen Absatz 1, so könnte die niedrigere Strafdrohung als Einladung verstanden werden, sich zum Zweck der Hetze gegen eine Gruppe schon vorliegenden Fremdmaterials anstelle eigener Worte zu bedienen. (Zwar umfaßt Absatz 4 auch eigenhändig verfaßtes Material, um jedoch auch in diesem Fall nicht direkt und zu jemand Bestimmterem zu sprechen, sondern das Material „sprechen“ zu lassen.)

Forderte man indessen, als ein zweiter Reparaturversuch, daß der hetzerische Inhalt bloß nicht unkommentiert verbreitet (z.B. hochgeladen oder auch nur verlinkt) werden darf, wäre weiterhin die Verbreitung zahlreicher teils klassischer Schriften strafbar, sofern es sich nicht um wissenschaftlich kommentierte Ausgaben handelt. Dies betrifft auch religiöse Grundtexte, die bekanntlich zuweilen zu Gewalt – etwa gegen Anders- oder Ungläubige – auffordern. Es ist in diesem Fall absehbar, daß militante Atheisten die Verbreitung der Bibel als „Verhetzung“ anzeigen werden (weil etwa das Alte Testament gegen Homosexuelle „hetze“), Andere wiederum die Verbreitung des Koran (um daraufhin ihrerseits antiislamischer Hetze bezichtigt zu werden) usw. Der Effekt des Verhetzungsparagraphen wäre genau nicht der allgemeine Friede, sondern der Kampf der von diesem emporgehobenen geschützten Gruppen gegeneinander. Die Verbreitung des Verhetzungsparagraphen wäre folglich nach ebendiesem zu verbieten.

Dritter Reparaturvorschlag: Man führt nach Vorbild der BRD (dort § 86 (3) StGB) eine Sozialadäquanzklausel ein, die eine sozial adäquate Verbreitung (z.B. Wissenschaft, Aufklärungszwecke) explizit straffrei stellt. Hierbei wird man außerdem Sorge zu tragen haben, daß die Verbreitung etablierter Texte der Philosophie, der Religionen usw., aber auch klassischer Kinderbücher oder Romane gewiß nicht unter das Verdikt von § 283 StGB fallen kann.

 

Sonstiges:

 

Nachdem man z.B. bei Einbruchsdelikten die Strafuntergrenzen senken möchte, um Einzelfällen besser gerecht werden zu können und Härtefälle zu vermeiden, wäre Ähnliches auch bei manchen der seltener angewandten Paragraphen des NS-Verbotsgesetzes (etwa § 3b, § 3f VG) sinnvoll gewesen, wo regelmäßig (in einem Fall nach § 3f VG erst jüngst) einzig durch Anwendung von § 41 StGB ein tat- und schuldadäquates Ergebnis erzielt werden kann.

 

Überhaupt ist es bedauerlich, daß man den 40. „Geburtstag“ des StGB 1975 zwar zum Anlaß genommen hat, mit dem Suchtmittelgesetz auch Nebengesetze des Strafrechts zu novellieren, derlei beim NS-Verbotsgesetz aber offenbar überhaupt nicht angedacht worden war. Gerade in Hinblick auf den neuen Passus § 283 (1) Z.3 StGB sticht etwa die Strafobergrenze von zehn (bei qualifizierter Begehung sogar zwanzig) Jahren Freiheitsstrafe in § 3h VG heraus, handelt es sich doch bei diesem neuen Passus um das gegenüber § 3h VG spezifiziertere Delikt: Zur Leugnung usw. treten die Gerichtetheit gegen eine Gruppe sowie die Eignung zur Hetze hinzu, was § 3h VG nicht fordert.

Die bloß material-inhaltliche Spezifikation des § 3h gegenüber § 283 (1) Z.3 StGB, einen bestimmten Völkermord zum Inhalt zu haben, besteht nur unter der fragwürdigen Annahme eines materialen Vergleichs bzw. einer materialen „Bewertung“ verschiedener Völkermorde, welche den NS-Völkermord als schwerwiegender heraushebt. Da der Vorsatz bei § 3h VG nicht auf NS-Wiederbetätigung gehen muß, sondern die Handlung lediglich durch ihre materiale Qualifikation bei bloß einfachem (bedingten) Vorsatz als solche gelte, tritt mit der Beschränkung des § 3h VG auf NS-Verbrechen ansonsten kein Tatbestandsmerkmal hinzu.

 

 

Resumée (Vorschläge):

 

§ 70 StGB:  Nebst Herausrechnung von Haft- und Auslandszeiten möge eine Vortat innerhalb von 12 Monaten reichen, bzw. Ausdehnung des Zeitraums auf 24 Monate. Ohnedies würden weiterhin auch andere objektivierbare Kriterien zum Zug kommen, welche „Berufsmäßigkeit“ begründen. Allemal muß auch hinsichtlich dieser Vorsatz gegeben sein, der selbst bei deutlich mehr als drei Taten nicht „automatisch“ erfüllt ist (z.B. Gelegenheitsdiebe, Diebstahl als Mutprobe u.ä.).

 

§ 205a StGB:  Ersetzung von „ohne deren Einverständnis“ durch „gegen deren Einverständnis“;

neuen Straferschwernisgrund Ehe / Eingetragene Partnerschaft (§ 33 (3) Z.1 StGB) hier wie bei § 218 StGB sowie ähnlichen Delikten (etwa auch § 201 StGB) streichen, sofern nicht bereits ein Scheidungsverfahren eingeleitet ist und eine derartige Handlung als „Rache“ in Betracht kommt.

 

§ 218 StGB:  Ersetzung von „der sexuellen Sphäre im weiteren Sinn zugehörige körperliche Handlung“ durch „das Umfeld des Genitals betreffende körperliche Handlung“.

 

§ 278 StGB:  Streichung der Hereinnahme von § 283 StGB, allenfalls Hereinnahme von § 283 (3) StGB (faktisch bewirkte Gewalttat unter dem Einfluß der Vereinigung).

 

§ 283 StGB:  Durchgängige Ersetzung von „Haß“ durch „Gewaltbereitschaft“ (hierfür ggf. niedrigere Strafdrohung);

Streichung der „fehlenden“ Staatsangehörigkeit;

Streichung von „körperliche oder geistige“ (Behinderung);

Ersetzung von „sexuellen Neigung“ durch (wie bisher) „sexuellen Ausrichtung“;

 

in Absatz 1 Z.2:  Ersetzung von „herabzusetzen“ durch „gröblich herabzusetzen“;

 

in Absatz 1 Z.3:  Ersetzung von „billigt“ durch „gutheißt“;

klare Erstreckung des Vorsatzes (besser: Absicht) auch auf das Aufstacheln zu Gewalt oder Haß (besser: hier nur zu Gewalt – „Haß“ streichen);

Beschränkung der genannten Verbrechen auf Völkermord (§ 321 StGB) und allenfalls Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 321a StGB);

 

in den Absätzen 3 und 4:  Ersetzung von „wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe“ durch „ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe“;

in Absatz 3 außerdem:  Präzisierung von „bewirkt“, das einem diesbezüglichen (bedingten) Vorsatz unterliegen muß;

in Absatz 4 außerdem:  Verdeutlichung des geforderten Vorsatzes auch in Bezug auf die Verhetzung als solche, bzw. Sozialadäquanzklausel.

 

 

Hochachtungsvoll,

Dr. Wilfried Grießer.