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Behindertenberatungszentrum

Zentrum für Selbstbestimmtes Leben

Schönngasse 15-17/4, 1020 Wien

 

Stellungnahme

 

 

Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Schulorganisationsgesetz, das Schul­unter­richtsgesetz, das Schulzeitgesetz 1985, das Schulpflichtgesetz 1985, das Schüler­beihilfen­gesetz 1983 und das Bildungsdokumentationsgesetz geändert werden;

 

 

Per e-Mail an begutachtung@bmbf.gv.at sowie an

begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

 

 

Wien, 8. Juni 2015

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

 

Wir danken für die Möglichkeit der Stellungnahme zum Entwurf eines Bundes­gesetzes[1], mit dem das Schulorganisationsgesetz, das Schulunterrichtsgesetz, das Schulzeitgesetz 1985, das Schulpflichtgesetz 1985, das Schülerbeihilfengesetz 1983 und das Bildungsdokumentations­gesetz geändert werden:

 

Die nun geplante Umbenennung der „Sonderschule für schwerst­behinderte Kinder“ in „Sonderschule für Kinder mit erhöhtem Förder­bedarf“ im Schulorganisationsgesetz und Schulunterrichtsgesetzes reiht sich - laut vorliegenden Erläuterungen – in die vom Ministerium unter­stützten bzw. initiierten Sensibili­sierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderungen ein.

 

(Sprachliche) Diskriminierungen sind gemäß Artikel 7 B-VG sind zu unterlassen bzw. zu be­seitigen. Der Nationale Aktionsplan Behinderung 2012-2020[2] forderte in Maßnahme 41 alle Bundesministerien auf, die Rechtsordnung des Bundes auf die Verwendung diskriminierender Begriffe zu durchforsten und die Novellierung der entsprechenden Rechtsvorschriften vorzu­bereiten.

 

Die Absicht mit dieser Novelle sprachliche Diskriminierungen zu beseitigen, ist daher nachvollziehbar und scheint verfolgenswert. Es bedarf unserer Einschätzung nach anschließend auch noch einer Überarbeitung der Zeugnisformularverordnung.[3]

Pseudo-Aktivitäten

Kritisch muss allerdings angemerkt werden, dass mit dieser vom Bildungsministerium vorgelegten Novelle wieder nur eine Maßnahme zur Umbenennung von aus­sondernden Strukturen vorgelegt wird. Wir verweisen in diesem Zusammen­hang an die im Vorjahr erfolgte Umbenennung von SPZs in Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik (§ 27a Schulorganisationsgesetz).

 

Es ist befremdlich, dass die Aktivitäten des Bildungsministeriums über das Umbenennen von menschenrechtlich inakzeptablen Strukturen derzeit noch nicht hinaus gehen. Die Novelle erweckt daher in diesem Punkt den Eindruck einer Art Pseudo-Aktivität.

 

Zu dieser Einschätzung kommen wir, weil leider auch die im Regierungsprogramm[4] von SPÖ und ÖVP aus dem Jahr 2013 erwähnte „Weiterentwicklung der inklusiven Bildung“, bisher gänzlich ignoriert wurde. Die erwähnte „Herausforderung: Gemeinsame Bildungs­möglich­keiten für alle SchülerInnen“ harrt ebenfalls einer Umsetzung.

 

Was die Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen im Bildungsbereich betrifft, besteht ebenso noch sehr großer Nachholbedarf. Diese Novelle setzt aber weder maßgebliche Aspekte des Artikel 24 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen[5] um, noch werden die UN-Handlungsempfehlungen im Rahmen der UN-Staatenprüfung Österreichs[6] aus dem September 2013 berücksichtigt. Exemplarisch sei hier die Kritik des UN-Fach­aus­schusses an Österreich zitiert, „dass unzureichende Anstrengungen unternommen wurden, um inklusive Bildung von Kindern mit Behinderungen zu unterstützen“-

Inklusive Bildung vorantreiben

Inklusive Bildung ist als völkerrechtliche Verpflichtung noch nicht im Alltag der österreichischen Bildungspolitik angekommen.

 

Meist sind die Schulgesetze noch auf Aussonderung / Fördermaßnahmen in der Segregation ausgerichtet. Integration wird als eine Möglichkeit dargestellt. Das Prinzip der Inklusion (als Überwindung der Integration sowie der Aussonderung) wird teilweise noch nicht verstanden.

 

Eine Reihe von Bestimmungen in Bundesgesetzen erschweren die Umsetzung von Inklusion, andere stellen sie als Option dar und einige verunmöglichen sie gänzlich. Als exemplarische Beispiele seien genannt: das Schulunterrichtsgesetz (§ 9, 17, 22, 32), das Schul­organisationsgesetz (§ 9, 15, 18, 21a, 21b, 21d, 27a), das Schulpflichtgesetz (§ 8, 8a, 15) sowie das Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz (§ 4)

 

Trotz Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention wurde das Bestehen dazu klar im Widerspruch stehenden aussondernden Schulangeboten (umgangssprachlich: Sonderschulen) bisher kaum infrage gestellt. Im Gegenteil: Es gibt mangels politischen Umsetzungswillens zur Inklusion sogar rückläufige Tendenzen. (Siehe UN-Handlungsempfehlungen Nr. 40 - 43)

 

Konkrete Maßnahmen:

 

1.      Durchforstung und Überarbeitung der bundesgesetzlichen Bestimmungen in den Schulgesetzen zur Umsetzung der Inklusion

 

2.      Erstellen von Etappenplänen, wie derzeit nicht inklusiv geführte Schulen (beispielsweise Sonderschulen) in inklusive Schule umgewandelt werden

 

3.      Recht auf Assistenz bzw. auf Support (auch im medizinischen Sinne), um unabhängig von der Art und dem Ausmaß der Behinderung im vollen Umfang an der Schulbildung teilnehmen zu können

 

4.      Verpflichtung jedes Schulstandortes (auch aller Bundesschulen), inklusive Beschulungs­möglichkeiten anzubieten

 

5.      Bund-Länder Vereinbarung zur ausreichenden und entsprechenden Bedeckung durch Ressourcen in jeglicher Art, um inklusive Schulorganisation zu ermöglichen

 

 

Wir danken abschließend für die Möglichkeit der Stellungnahme und hoffen auf Über­arbeitung der angesprochenen Punkte.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Martin Ladstätter, Magdalena Scharl



[1] Begutachtungsexemplar https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00128/index.shtml

[2] Nationale Aktionsplan Behinderung 2012-2020 http://www.bmask.gv.at/site/Soziales/Menschen_mit_Behinderungen/Nationaler_Aktionsplan_Behinderung_2012_2020/

[3] Zeugnisformularordnung https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR40170002

[4] SPÖ-ÖVP Regierungsprogramm 2013 http://images.derstandard.at/2013/12/12/regierungsprogramm%202013%20-%202018.pdf

[5] UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen  https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20006062

[6] UN-Handlungsempfehlungen an Österreich zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention https://www.bizeps.or.at/news.php?nr=14358