An das
Bundesministerium für Justiz
Museumstraße 7
1070 Wien
Betrifft:
Stellungnahme des Arbeitskreises kritischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare
(KRIBIBI)
zum Ministerialentwurf für ein Bundesgesetz, mit dem das
UrheberInnenrechtsgesetz und
das Verwertungsgesellschaftengesetz 2006 geändert werden
(UrheberInnenrechts-Novelle
2015 – Urh-Nov 2015)
UrheberInnenrecht
Bibliotheken, Archive und Museen sammeln, systematisieren und bewahren seit alters her das kulturellen Erbe. Spätestens seit der Aufklärung sind sie aber auch die Orte, die der Allgemeinheit Zugang zu diesem Erbe und damit zu Kultur und gemeinschaftlich produziertem Wissen ermöglichen. Ihre Aufgabe konnten sie bisher im Interessensdreieck von UrheberInnen, Verwertungs-organisationen und der Öffentlichkeit hinreichend zufriedenstellend erfüllen. Durch die digitale Revolution ist dieses ausbalancierte Dreieck aus den Fugen geraten, und die Aufgaben und Möglichkeiten der Bibliotheken müssen z.B. im UrheberInnenrecht neu verhandelt werden.
Als BibliothekarInnen verlangen wir, dass Bibliotheken auch digital veröffentlichte und vertriebene wissenschaftliche und künstlerische Werke sammeln und ihren BenutzerInnen kostenlos zur Verfügung stellen können. Das muss im UrheberInnenrecht verbindlich festgeschrieben werden.
Öffentliche Büchereien und wissenschaftliche
Bibliotheken haben vieles gemeinsam – in Bezug auf das digital vorhandene
Wissen stehen sie aber vor unterschiedlichen Herausforderungen. Für KRIBIBI
sind aus demokratiepolitischen Erwägungen zwei Forderungen
besonders wichtig:
Öffentliche Büchereien müssen – so wie bisher für
analoge Medien auch – mit allen notwendigen Rechten ausgestattet werden,
die sie für den kostengünstigen Verleih digitaler Medien
brauchen. Es darf nicht sein, dass sich Verlage weigern können,
Bibliotheken Rechte einzuräumen. Dies widerspricht dem – in
Österreich leider nicht verfassungsrechtlich geregelten, aber durch die
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verbindlichen – Grundrecht
auf Informationsfreiheit. Dazu bedarf es gesetzlicher Bestimmungen, die
auch mittels privatrechtlicher Verträge nicht ausgehebelt werden
können.
Für wissenschaftliche Bibliotheken stehen vor allem die Einschränkungen
durch von den Verlagen oktroyierte Lizenzvereinbarungen bei der
Zurverfügungstellung von digital publiziertem wissenschaftlichem Material
für Forschung und Lehre im Vordergrund. Das in der Regel an von der
Öffentlichkeit finanzierten Einrichtungen wie Universitäten
erarbeitete Wissen muss eben dieser Öffentlichkeit uneingeschränkt
zur Verfügung stehen. Es darf darüber hinaus auch nicht sein, dass
die Öffentliche Hand dieses Wissen über wahnwitzig hohe
Lizenzgebühren für Bibliotheken praktisch doppelt bezahlen muss.
Weiters muss Zugriff auf diese Materialien auch außerhalb der physischen
Bibliothek erlaubt sein. Es ist demokratiepolitisch äußerst
bedenklich, wenn Menschen, denen der Zugriff jetzt technisch möglich
wäre, nur deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nicht am Ort der
Bibliothek wohnen, die die benötigten Informationen bereithält.
Ein modernes Immaterialgüterrecht muss also aus der Sicht von KRIBIBI einerseits dafür sorgen, dass KünstlerInnen und ForscherInnen ihre Leistungen ordentlich abgegolten werden, aber auch dafür, dass der Öffentlichkeit das Grundrecht auf freien Zugriff auf Information und Wissen in vollem Umfang zuerkannt wird.
Abgabenregelung
Als mit wissenschaftlichen und künstlerischen Werken Beschäftigte wissen BibliothekarInnen, dass WissenschafterInnen und KünstlerInnen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in unserem Land nicht zu den Reichen zählen. Es muss daher bei jeder Reform des UrheberInnenrechts sichergestellt werden, dass kreativ Tätige von ihrer für die Gesellschaft so wichtigen Arbeit auch sozial abgesichert leben können.
Alle bisherigen Regelungsansätze für immaterielle Güter (wie das UrheberInnenrecht) hatten das Ziel, durch die staatlich verordnete künstliche Verknappung der Common-Pool-Ressource Wissen Anreize zu schaffen für die Produktion von künstlerischen und wissenschaftlichen Werken. Und sie hielten das Versprechen bereit, dass dadurch Kreative von ihrer Arbeit leben können sollten.
Das Ziel, Anreize zu schaffen, mag damit vielleicht erreicht worden sein, obwohl viele begabte Menschen wahrscheinlich auch ohne solche Anreize geforscht, komponiert oder gedichtet hätten. Das Versprechen aber, den Lebensunterhalt bestreiten zu können, hat sich nur für ganz wenige erfüllt – dies belegen alle Studien und auch alle Erfahrungswerte bezüglich der prekären Lebenssituationen vieler KünstlerInnen, aber auch – vor allem junger – WissenschaftlerInnen.
Die „Studie zur sozialen Lage der
Künstlerinnen und Künstler“ aus dem Jahr 2008 belegt
eindrucksvoll die miserable Lage vieler derart tätiger Personen. Auch der
Einkommensbericht des Rechnungshofes kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Es
ist hier nicht genug Raum genauer darauf einzugehen, daher möchten wir nur
einige wenige Ergebnisse nennen:
Das mittlere Einkommen aus künstlerischer Arbeit betrug 2008 nicht mehr
als 4.500 € netto.
Dabei gibt es noch große Unterschiede zwischen den Sparten:
- darstellende KünstlerInnen verdienten im Schnitt ca. 8.000 €
- das Durchschnittseinkommen von LiteratInnen lag bei 2.600 €
37% der KünstlerInnen fallen unter die offizielle Armutsgrenze,
auch wenn sie noch Einkommen aus nichtkünstlerischen Tätigkeiten
haben – und das bei einem sehr hohen Ausbildungsniveau.
Die schlechte soziale Absicherung und das geringe Einkommen bedeuten für
50–60% der Befragten eine „hohe psychische Belastung“.
Nur 10% der Befragten empfinden ein „hohes subjektives
Wohlempfinden“, obwohl künstlerische Arbeit wohl den geringsten
Anteil an Entfremdung aufweist. Ein modernes Immaterialgüterrecht muss
daher in erster Linie einmal dafür sorgen, dass sich die Lebensbedingungen
kreativ arbeitender Menschen in Wissenschaft und Kunst radikal verbessern!
Die Produktionsweisen in Wissenschaft und Kunst haben sich in den letzten 300 Jahren entscheidend auseinanderentwickelt. Während im Bereich der Kunst der/die singulär arbeitende KünstlerIn immer noch eher die Regel ist, hat sich in der Wissenschaft die Arbeitsweise vom einsam in seinem Elfenbeinturm forschenden Wissenschaftler (hier passt in der Tat die männliche Form) zu in zumeist öffentlich finanzierten Einrichtungen kollaborativ arbeitenden Teams weiterentwickelt. Dies muss unseres Erachtens auch im UrheberInnenrecht und in den Vergütungsformen entsprechenden Niederschlag finden.
In der Literatur zu immaterialgüterrechtlichen Fragen
lassen sich verschiedene Vergütungsmodelle finden. Keines davon
schaut auf den ersten Blick komplett unvernünftig und undurchführbar
aus, bei vielen – wie etwa MicroPayment, Crowdfunding, Kulturwertmark
u.a. – dürfte es allerdings einige Zeit dauern bis sie allgemein
greifen können. Bleiben also die heftig diskutierte Festplattenabgabe und
das Modell einer Kulturflatrate, z.B. eingehoben über die Provider von
Internet-anschlüssen. In beiden Fällen würden auch Menschen
zahlen müssen, die
a) keine Inhalte aus dem WWW herunterladen und/oder
b) auf ihrer Festplatte abspeichern.
Für die Kulturflatrate spricht unseres Erachtens vor allem die
relativ einfache Einhebung (es gibt ja nicht so viele Provider wie
Hardware-Verkäufer), die Tatsache, dass auch alle, die einen Radio- oder
TV-Anschluss haben zahlen müssen, egal ob sie ihn nutzen, sowie die
geringe Chance der Zahlungsverpflichtung auszuweichen; Festplatten können
z.B. ganz leicht aus dem Ausland geschmuggelt werden, oder man kauft bei einem
Händler, der unterhalb einer Bagatellegrenze (wie es sie etwa bei der
Leercassettenabgabe gibt) bleibt. Ein weiteres – für die, denen die
Abgabe zugute kommen soll – sicher ganz wesentliches Argument für
die Abgabe auf Internetanschlüsse ist, dass die Einnahmen gut
berechenbar sind und auch regelmäßig fließen
würden. KRIBIBI würde daher dieser Form der Vergütung
künstlerischer Leistungen den Vorzug geben.
Verteilt werden sollten die Einnahmen wie schon bisher bei der Leercassettenabgabe oder der Bibliothekstantieme über die Verwertungsgesellschaften. Diese aber müssen ganz genau auf Abrechnungsmodalitäten und Transparenz der Gebarung durchleuchtet und eventuell reformiert werden, damit es nicht dazu kommen kann, dass – wie es der deutsche Kommunikationswissenschaftler Rainer Kuhlen errechnet hat – einem/einer AutorIn gerade einmal 5% vom Gewinn aus dem Verkauf eines Werkes bleiben.
Résumé
Als historisch und politisch denkende Menschen wissen BibliothekarInnen, dass alles, was jemals erdacht, erfunden, geschrieben oder komponiert wurde, auf den Ideen und Gedanken von anderen aufbaut. Mozart ist ohne Bach genau so wenig zu denken wie Gershwin ohne die zigtausenden Jazzmusiker, Einstein nicht ohne Newton, Sloterdijk nicht ohne Kant und Turrini nicht ohne Molière oder Shakespeare. Das theoretische Konstrukt „Geistiges Eigentum“ muss daher grundsätzlich neu überdacht werden, denn niemand kann rechtens behaupten, sein oder ihr Werk wäre ausschließlich seine oder ihre originäre Leistung. In jedem Gedanken stecken die Gedanken unzähliger anderer Menschen. Es ist daher notwendig, kreative Arbeit nicht mehr nur als Ware zu sehen, die auf dem Markt gehandelt werden kann, sondern als nützlichen Beitrag zum gesellschaftlichen und kulturellen Reichtum. Dem entsprechend sollten unserer Meinung nach auch andere Abgeltungsmodelle entwickelt werden, die aber unbedingt der in Punkt 1 formulierten Forderung Rechnung tragen müssen. Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens würde diesen Forderungen sicherlich gerecht.
Im Übrigen sind wir der Meinung, dass Österreich ein alle Bibliotheken umfassendes Bibliothekengesetz braucht!
Für KRIBIBI
Nikolaus Hamann
www.kribibi.at