Bundesministerium für Arbeit,

Soziales und Konsumentenschutz

Stubenring 1

1010 Wien

 

per E-Mail:     vi1@sozialministerium.at

                        begutachtungsverfahren@parlinkom.gv.at

 

Wien, am 08. März 2016

 

 

 

Betrifft: BMASK-433.001/0003-VI/B/1/2016;

                 Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungs­gesetz geändert wird, die Verpflichtung zu Bildung oder Ausbildung für Jugendliche geregelt wird (Ausbildungspflichtgesetz) sowie das Arbeitsmarktservicegesetz, das Behinderteneinstellungsgesetz und das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz geändert werden (Jugendausbildungsgesetz); Begutachtungsverfahren

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Der Behindertenanwalt dankt für die Übermittlung des Entwurfes eines Bundesgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird, die Ver­pflichtung zu Bildung oder Ausbildung für Jugendliche geregelt wird (Ausbildungs­pflichtgesetz) sowie das Arbeitsmarktservicegesetz, das Behinderteneinstellungs­gesetz und das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz geändert werden (Jugend­ausbildungsgesetz) und nimmt dazu wie folgt Stellung:

I.     Präambel

Der Behindertenanwalt ist zuständig für die Beratung und Unterstützung von Personen, die sich im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes oder des Behinderteneinstellungsgesetzes diskriminiert fühlen.

Darüber hinaus führt der Behindertenanwalt im Rahmen des § 13c Bundesbehinder­tengesetz Untersuchungen durch und gibt Empfehlungen und Berichte zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung ab.


II.    Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Bildung bzw. Ausbildung stellt einen soziographischen Faktor dar, welcher in großem Ausmaß über berufliche Chancen und soziale Mobilität entscheidet.

Bereits in den erläuternden Bemerkungen zum vorliegenden Gesetzesentwurf wird die eher nachteilige erwerbsbiographische Prognose in Zusammenhang mit dem Vorliegen eines Pflichtschulabschlusses ohne weitergehende (Berufs-)Ausbildung konstatiert.
Unter Berücksichtigung der jüngsten jährlichen Arbeitsmarktdaten des AMS lässt sich dieser Befund in Zahlen konkretisieren: Während die durchschnittliche Arbeitslosenquote im Jahr 2014 bei 8,4% lag, betrug sie für Pflichtschul­absolventInnen mit 24,3% beinahe das Dreifache. Keine andere der erfassten Gruppen lag über dem Durchschnitt.

Vor diesem Hintergrund ist die angestrebte sozialpolitische Steuerungsmaßnahme grundsätzlich zu begrüßen. Dabei ist auf die vollumfängliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen bzw. allfällige Exklusionsmechanismen Bedacht zu nehmen.

In diesem Zusammenhang verweist der Behindertenanwalt auf die von Österreich im Jahre 2008 ratifizierte und damit völkerrechtlich verpflichtende UN-Behindertenrechtskonvention, insbesondere auf Art. 4, in authentischer Fassung lautend:

„[States parties shall] (…) adopt all appropriate legislative, administrative and other measures for the implementation of the rights recognized in the present Convention; (…) take all appropriate measures, including legislation, to modify or abolish existing laws, regulations, customs and practices that constitute discrimination against persons with disabilities; (…) take into account the protection and promotion of the human rights of persons with disabilities in all policies and programmes; (…)”

Diese Anforderungen sind insbesondere mit Verweis auf Art.4 Zif. 2 im Sinne einer progressiven Entwicklung mit dem Ziel der vollumfänglichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gem. der vorliegenden Konvention zu verstehen.

In diesem Lichte soll der vorliegende Gesetzesentwurf als Chance verstanden werden, gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Um diese Chance zu realisieren, regt der Behinderten­anwalt folgende Änderungen des Entwurfes an:


Empfehlungen des Behindertenanwaltes

a)   Grundsätzliches

Im Lichte der Art. 24 und 27 UN-BRK ist der gleichberechtigte Zugang zu Schulbildung, Berufsausbildung und dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten.

Dies ist im Wesentlichen durch (1) die konsequente Verankerung von Barrierefreiheit und wirkungsvoller Diskriminierungsverbote, (2) dem Treffen angemessener Vorkehrungen im Einzelfall sowie (3) durch positive Verstärkungsmaßnahmen („positive Diskriminierung“) zu erreichen.

Mit Ausnahme der – begrüßenswerten –  Ausdehnung der Gruppe Anspruchs­berechtigter im Sinne eines umfassenderen Verständnisses von Behinderung im Artikel 4 des vorliegenden Entwurfes wird eine ausreichende Berücksichtigung der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sowie eine positive Haltung gegenüber dem Inklusionsgedanken eher vermisst.

Es ist daher zu befürchten, dass das wichtige Anliegen der Verbesserung der Ausbildung und damit der Arbeitsmarktchancen Jugendlicher in Hinblick auf die Gruppe Jugendlicher mit Behinderungen nicht wirkungsvoll genug zur Anwendung gelangt und diese Gruppe daher eine weitere Verschärfung der ohnedies schwierigen Arbeitsmarktsituation erfährt.

 

b)   Stellungnahme zu Art. 2 § 7 ABPG des vorliegenden Entwurfs

Ad Artikel 2 § 7 ABPG:

§ 7 ABPG benennt u.a. berücksichtigungswürdige Gründe, welche die Ausbildungs­pflicht als unzumutbar erscheinen ließen.

In den beigefügten erläuternden Bemerkungen zu § 7 ABPG wird angeführt, dass u.a. körperliche, intellektuelle oder Sinnesbeeinträchtigungen zu einer wesentlichen und u.U. dauerhaften Benachteiligung hinsichtlich gesellschaftlicher Teilhabe führen können und somit die Ausbildungsverpflichtung ruhend gestellt wird.

Der Behindertenanwalt lehnt diese gewählte Formulierung ausdrücklich ab.


Eine derartige Auslegung des § 7 ABPG würde zu einem Zirkelschluss führen: Jene Personengruppen, welche eine Benachteiligung am Arbeitsmarkt aufweisen, würden von Maßnahmen ausgeschlossen werden, welche die Verbesserung der Arbeits­marktchancen zum Ziel haben.

Der Behindertenanwalt verkennt dabei nicht, dass im Einzelfall eine Integration in den Arbeitsmarkt aufgrund besonders schwerer Behinderungen schwierig bzw. innerhalb der vorgesehenen Dauer der Ausbildungspflicht nicht möglich erscheinen kann. Hierbei kann es sich jedoch lediglich um ausgesprochene Ausnahmen handeln. Vielmehr sind sämtliche Ausbildungsangebote durch eine entsprechend barrierefreie Gestaltung sowie durch angemessene Vorkehrungen im Einzelfall so zu gestalten, dass die Teilnahme durch Jugendliche mit Behinderungen keine unzumutbare Belastung darstellt. In diesem Zusammenhang weist der Behinderten­anwalt auf das Gebot der Gleichbehandlung behinderter und nicht behinderter Menschen gem. Art. 7 Bundes-Verfassungsgesetz hin.

Gesetze und aus diesen abgeleitete Maßnahmen sind so zu implementieren, dass aus Gründen einer Behinderung jedenfalls nicht eine unzumutbare Belastung entstehen oder vorliegen könnte. Mit Blick den Nationalen Aktionsplan für Menschen mit Behinderung wird daher angeregt, das ABPG dahingehend anzupassen, sodass die unter Pkt. 5.1.2 verankerten Zielsetzungen, erreicht werden können. Insbesondere erachtet der Behindertenanwalt den Wirkungshorizont des ABPG als grundsätzlich geeignet, auf folgende Zielsetzungen positiv einzuwirken.

Um diese Ziele nachhaltig zu realisieren, wird eine umfassende Ergänzung des ABPG hinsichtlich der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in Bezug auf die Verankerung inklusiver Ausbildungsangebote im Sinne des ABGP angeregt, sodass das Vorliegen einer Behinderung für Betroffene nicht zu unzumutbaren Anforderungen im Sinne des Gesetzesentwurfs erwächst.

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Erwin Buchinger